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Die Prüfungsanordnung vom 20.08.2020 und die Einspruchsentscheidung vom 16.11.2020 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die vom Beklagten erlassene Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung, die dieser im Auftrag des für die Besteuerung zuständigen Finanzamts J erlassen hat, rechtmäßig ist.
2Der Kläger ist Steuerberater und erzieht aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit. Am 20.01.2020 wurde durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärungen 2017 und 2018 sowie wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung 2018 ein steuerliches Strafverfahren eingeleitet.
3Mit Schreiben vom 23.07.2020 erteilte das Finanzamt J dem Beklagten den Auftrag, eine Auftragsprüfung beim Kläger nach § 195 S. 2 AO und § 193 Abs. 1 AO wegen Einkommensteuer und Umsatzsteuer der Jahre 2015 bis 2018 durchzuführen. Der Beklagte erließ daraufhin am 20.08.2020 die Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung gegenüber dem Kläger. In der Anordnung führte der Beklagte aus, dass er mit der Prüfung durch das Finanzamt J beauftragt worden sei.
4Der Kläger legte gegen die Prüfungsanordnung Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass das für den Kläger zuständige Finanzamt das Finanzamt J sei. Eine Auftragsprüfung durch den Beklagten dürfe nur dann erfolgen, wenn dessen Beauftragung rechtmäßig erfolgt wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall. Es könne zwar bei Steuerberatern grundsätzlich zulässig sein, dass eine wechselseitige Zuständigkeitsvereinbarung getroffen werde, es seien aber gleichwohl immer alle Umstände des Einzelfalls zu beachten. Beim Kläger seien bereits mindestens zwei Betriebsprüfungen durch das Finanzamt J durchgeführt worden. Seinerzeit seien gegen ihn auch steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren anhängig gewesen. Das Finanzamt J habe diese Prüfung dennoch durchgeführt und, obwohl konkret Reibungen eher zu erwarten gewesen wären, keine Auftragsprüfung beauftragt. Es sei nicht verständlich, warum nunmehr die Situation anders zu beurteilen sein solle. Beim Kläger habe sich kein Betriebsprüfer beschwert, dass der Kläger die Prüfer in irgendeiner Form unflätig behandelt hätte oder es unbotmäßig viele Reibungen gegeben habe. Da zudem auch Vorgänge des Klägers seit 2009 offen und mit Wechselwirkung zu beachten seien und das Finanzamt J ohnehin für die Rechtsbehelfe zuständig bleibe, sei eine Prüfung durch ein anderes Finanzamt im konkreten Fall ermessenswidrig. Dies gelte insbesondere auch mit Blick auf das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung. Es sei nicht ersichtlich, warum es dienlich sein solle, seine persönlichen Umstände nun auch noch einem weiteren Finanzamt zu offenbaren. Dies gelte erst recht, da die eingelegten Rechtsbehelfe der Jahre seit 2009 dann auch noch einmal mit dem Finanzamt J verhandelt werden müssten. Diese Wechselwirkung und allgemeine Abstimmung mit dem Finanzamt habe auch bereits konkrete Auswirkungen auf die aktuelle Prüfung, wie sich aus den bereits vorliegenden Prüferanfragen ergebe.
5Der Beklagte holte in der Folgezeit eine Stellungnahme des Finanzamtes J zu den dort angestellten Ermessenserwägungen ein. Mit Schreiben vom 24.09.2020 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass er dessen Einspruch gegen die Prüfungsanordnung nicht entsprechen könne und führte zur Begründung unter anderem im Einzelnen aus, dass seine Beauftragung mit der Durchführung der Außenprüfung nach § 195 S. 1 AO ermessensgerecht gewesen sei.
6Mit Einspruchsentscheidung vom 16.11.2020 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Zulässigkeit einer Außenprüfung gemäß § 193 Abs. 1 AO gegeben sei, weil der Kläger freiberuflich tätig sei. Gemäß § 195 S. 1 AO würden Außenprüfung grundsätzlich von dem für die Besteuerung zuständigen Finanzamt durchgeführt. Der Gesetzgeber sehe aber ausdrücklich in § 195 S. 2 AO vor, dass auch eine andere Finanzbehörde mit der Außenprüfung beauftragt werden könne. Das für die Besteuerung des Klägers zuständige Finanzamt J habe dem Beklagten nach § 195 S. 2 AO einen Auftrag für die Prüfung beim Kläger erteilt. Darin sei angegeben worden, dass die Besteuerungsgrundlagen zur Einkommensteuer und zur Umsatzsteuer für die Jahre 2015 bis 2018 zu prüfen seien. Diesen Auftrag habe der Beklagte mit der angegriffenen Prüfungsanordnung umgesetzt. Die Prüfungsanordnung enthalte auch den Hinweis, dass es sich um eine Auftragsprüfung handele, nicht jedoch eine Begründung für die Beauftragung. Der Kläger selbst habe jedoch schon auf die bestehende Zuständigkeitsvereinbarung bei der Prüfung von Steuerberatern hingewiesen. Der Beklagte und das Finanzamt J bewegten sich mit der Praxis, die Prüfung eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers nicht durch das Wohnsitzfinanzamt bzw. Betriebsfinanzamt durchzuführen, sondern nur durch ein benachbartes Finanzamt durchführen zu lassen, im Rahmen des ihnen zustehenden Ermessens. Die Begründung für diese Übung der genannten Finanzämter sei nachvollziehbar und plausibel, weil bei derartigen Prüfungen, soweit sie nicht als Auftragsprüfungen ausgestaltet würden, nicht ausgeschlossen werden könne, dass es zu Spannungen mit dem Steuerpflichtigen komme, die möglicherweise auch den Umgang miteinander in Fällen belasteten, in denen der geprüfte Steuerberater bzw. Wirtschaftsprüfer einen anderen Steuerpflichtigen gegenüber seinem Betriebsfinanzamt vertrete. Eine Differenzierung danach, mit welcher Wahrscheinlichkeit Reibungen für möglich gehalten oder von dem betroffenen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer wahrgenommen werden oder in welchem Umfang Mandanten im Bereich des Betriebsfinanzamtes betreut würden, sei nach der Rechtsprechung des Finanzgerichts Münster grundsätzlich nicht erforderlich, weil der Finanzbehörde insoweit ein weiter Ermessensspielraum zustehe. Daher reiche auch eine typisierende Entscheidung, wie sie in Nordrhein-Westfalen für die Berufsgruppe der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer bestehe, aus.
7Selbst wenn man dem Begehren des Klägers folge und eine Einzelfallprüfung vornehme, sei die Auftragsprüfung rechtmäßig. Den Gedanken der Wahrscheinlichkeit von Reibungen aufgreifend, liege im konkreten Fall die Vermutung nahe, dass die Betriebsprüfung nicht ohne Spannung verlaufen werde. Auch wenn es in der Vergangenheit, trotz durchgeführter, existenzbedrohender Ermittlungen, zu keinen Spannungen gekommen sei, bestehe nun wiederum im Hinblick auf das eingeleitete steuerliche Strafverfahren wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2017 und 2018 die Möglichkeit von auftretenden Spannungen. Steuerliche Strafverfahren ließen grundsätzlich ein höheres Konfliktpotenzial erwarten als das übliche Besteuerungsverfahren. Schon aus diesem Grund sei die Entscheidung des Finanzamts J, den Beklagten mit der Betriebsprüfung zu beauftragen, ermessensgerecht.
8Die Ausführungen des Klägers zu der Befassung des Finanzamtes J mit noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahren gegen frühere Prüfungsfeststellungen könnten bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Auftragsprüfung unbeachtet bleiben. Über die Einsprüche entscheide die Rechtsbehelfsstelle und nicht die Betriebsprüfungsstelle, sofern den Einsprüchen nicht abgeholfen werden könne. Es seien auch keine Zweckmäßigkeitsgründe ersichtlich, warum die Zuständigkeit der Betriebsprüfung trotz laufender Einspruchs- oder Klageverfahren nicht auf ein anderes Finanzamt übertragen werden können. Mögliche steuerliche Wechselwirkungen könnten auch dann im Rechtsbehelfsverfahren bzw. im Verlauf einer Betriebsprüfung beachtet werden, wenn diese durch ein anderes Finanzamt festgestellt würden.
9Auch das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung stehe der Durchführung einer Auftragsprüfung nicht entgegen. Es lasse sich insbesondere wegen klarer gesetzlicher Regelungen gegen die Grundsätze der Datensparsamkeit und der Datenvermeidung kein Verstoß erkennen und mithin keine klärungsbedürftige Rechtsfrage ableiten. Durch die AO sei bundesgesetzlich die Möglichkeit der Prüfungsbeauftragung ebenso geregelt wie das Steuergeheimnis, dem die prüfenden Bediensteten der beauftragten Finanzämter unterlägen. Datenschutzbestimmungen könnten, wie sich auch aus § 1 Abs. 3 S. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) ergebe, den Regelungsgehalt dieser bundesgesetzlichen Normen nicht einschränken. Der Anwendungsbereich des § 195 S. 2 AO werde auch nicht durch allgemeine Prinzipien des Datenschutzrechts, wie sie in § 3 BDSG zum Ausdruck kämen (Datenvermeidung und Datensparsamkeit), suspendiert.
10Mit seiner hiergegen erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiterhin gegen die Anordnung einer Außenprüfung durch den Beklagten. Er trägt zur Begründung vor, dass die Beauftragung eines anderen Finanzamts durch das grundsätzlich zuständige Finanzamt mittels Verwaltungsakt dem betroffenen Steuerpflichtigen bekannt gegeben werden müsse. Andernfalls könne durch das zuständige Finanzamt der gesetzliche Richter des Steuerbürgers nach Belieben der Behörde bestimmt werden. Auch wenn man dieser Auffassung nicht folge, sei die Beauftragung dennoch wegen Ermessensunterschreitung rechtswidrig, da sich weder aus der erstmaligen Beauftragung, noch aus der Einspruchsentscheidung ergebe, dass das Finanzamt J überhaupt erkannt habe, insoweit ein Wahlrecht gehabt zu haben, durch Verwaltungsakt zu agieren oder nicht. Da es dieses Wahlrecht nicht erkannt habe, habe es auch nicht dargelegt, warum es von einer Bescheidung durch Verwaltungsakt abgesehen habe. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass es eine Verwaltungspraxis sinngemäß dahingehend geben würde, dass das Finanzamt U alle Steuerberater für das Finanzamt J prüfen würde. Der Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfsstelle des Finanzamts N, Herr …, habe in zwei mündlichen Verhandlungen vor dem xx. Senat des Finanzgerichts Münster am 00.00.2021 zu Protokoll gegeben, dass es gerade keine gängige Praxis gebe, Steuerberater durch ein anderes Finanzamt prüfen zu lassen. Es sei auch weder ermessensgerecht, stets von Auftragsprüfungen abzusehen, noch sei es ermessensgerecht, eine gesamte Berufsgruppe mit dem Verdikt der Auftragsprüfung zu versehen und dabei stets nur ein anderes Finanzamt mit der Außenprüfung zu beauftragen. Eine (ergebnisoffene) Einzelfallprüfung liege darin gerade nicht.
11Der Kläger verweist außerdem darauf, dass er ca. seit den Jahren ab 2004 durchgehend geprüft worden sei und sämtliche Prüfungen durch die Betriebsprüfungsstelle oder die Umsatzsteuersonderprüfungsstelle des Finanzamts J durchgeführt worden seien. Bislang habe er gegen keine der Prüfungsanordnungen Einspruch eingelegt. Die Prüfungsanordnung des Beklagten sei jedoch rechtswidrig und eine Prüfung durch diesen wolle der Kläger nicht akzeptieren. Gegen eine Prüfungsanordnung des Finanzamts J hätte er, wie schon in der Vergangenheit, keinen Rechtsbehelf eingelegt.
12Es sei, so der Kläger weiter, nicht ersichtlich, in welcher Form das Finanzamt J sein Ermessen ausgeübt habe, eine Auftragsprüfung durchzuführen und welches die Entscheidungsgrundlagen hierfür gewesen seien. Die eher standardmäßigen Ausführungen in der Einspruchsentscheidung seien insoweit nicht weiterführend. Bereits dies mache die Entscheidung rechts- und ermessenswidrig. Das Finanzamt J hätte einkalkulieren müssen, dass bisher sämtliche Prüfungen durch dieses Finanzamt durchgeführt worden seien und dies auch zu Zeiten erfolgt sei, als steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Unterzeichner anhängig gewesen seien. Warum diese Prüfung jetzt nicht mehr durch das Finanzamt J erfolgen könne, sei nicht einmal ansatzweise dargelegt worden. Er lege auch großen Wert darauf, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht dadurch ausgehebelt werde, dass die persönlichen Umstände des Klägers nicht nur innerhalb des Finanzamtes J, sondern auch im Finanzamt U bekannt würden.
13Auch der Grund, dass eine Auftragsprüfung deswegen ermessensgerecht sei, weil die Beziehung zum lokalen Finanzamt nicht gefährdet werden solle, rechtfertige eine Auftragsprüfung nicht. Wenn die bisherigen Prüfungen die Beziehung des Klägers zum Finanzamt J nicht beeinflusst hätten, die unter erheblichem Druck von Steuerfahndungsmaßnahmen erfolgt seien, stelle sich die Frage, warum dies jetzt in einer weniger belasteten Situation der Fall sein solle. Dies könne der Finanzbeamte, der die erste Betriebsprüfung beim Kläger durchgeführt habe, bestätigen. Aber auch dann, wenn das Verhältnis als beeinträchtigt angesehen würde, könnte eine weitere Prüfung dieses Verhältnis nicht noch zusätzlich stören und eine Ausdehnung auf ein anderes Finanzamt würde nur die Gefahr bedeuten, dass eine weitere Störung erfolge, was wiederum eine Auftragsprüfung nicht rechtfertigen könne. Darüber hinaus sei bisher mit keinem Wort dargelegt worden, warum konkret das Finanzamt U die Prüfung beim Unterzeichner durchführen solle, obwohl auch andere direkt umliegende Finanzämter eine Auftragsprüfung durchführen könnten, namentlich die Finanzämter …, …, …, … und … . Die Auswahl des Beklagten hätte auch deshalb nicht erfolgen dürfen, weil bei diesem der Kläger deutlich mehr Mandanten und dazu auch größere Unternehmensgruppen betreue, als beim Finanzamt J. Beim Finanzamt … beispielsweise betreue der Kläger fast überhaupt keine Mandanten. Dies sei dem Finanzamt J aus früheren Betriebsprüfungen bekannt. Es hätte daher, wenn überhaupt, nahegelegen, das Finanzamt … zu beauftragen. Die Beauftragung gerade des beauftragten Finanzamts müsse im Rahmen des Ermessens gewürdigt werden. Dies habe das Finanzamt J nicht getan.
14Um ermessensgerecht zu handeln, hätte der Kläger vor Beauftragung des Beklagten durch das Finanzamt J außerdem angehört werden müssen, denn der Beklagte habe diesen Ermessensgesichtspunkt nach Erlass der Prüfungsanordnung weder berücksichtigen noch im Rahmen der Einspruchsentscheidung heilen können. Es werde angeboten, die Mandatsgruppen, die er, der Kläger, beim Finanzamt U betreue, zu benennen.
15Die Bestimmung eines anderen Finanzamts für die Prüfung sei auch deshalb nicht sachgerecht, weil im Hinblick auf das Ausscheiden des Klägers aus der Sozietät AB mit Sitz in H, Zuständigkeit Finanzamt J, ein Rechtsbehelf beim Finanzamt J anhängig sei, der noch nicht beschieden sei. Hier seien in der Folge auch Aufwendungen nach dem Ausscheiden entstanden, die als Betriebsausgaben im Einzelunternehmen des Klägers berücksichtigt worden seien und bei der regelmäßige Rückfragen durch den Beklagten im Hinblick auf die Grundlagenfestsetzung zu erwarten seien. Es erscheine nicht sachgerecht, die Vorgänge zu trennen und auf zwei Finanzämter zu verteilen, zumal mit einer Einspruchsentscheidung zu dem Jahr 2009 frühestens Mitte des Jahres 2021 zu rechnen sei. Es sei deshalb erforderlich, einem neuen Prüfer noch einmal im Detail zu erklären, welche alten Sachverhalte zur Abgrenzung der steuerlichen Situationen zu berücksichtigen seien. Dies gelte umso mehr, als der Kernbereich der eigenen beratenden Tätigkeit des Klägers betroffen sei und grundsätzlich eine möglichst geringe Belastung des Verhältnisses zwischen Berater und Finanzbehörde das Ziel einer Außenprüfung sein müsse. Es sei nicht ersichtlich, wie dies erreicht werden könne, wenn aus dem Kernbereich der eigenen Tätigkeit des Beraters erhebliche Einschnitte aus der beruflichen Vergangenheit mehreren Finanzbeamten erläutert werden müssten.
16Der Kläger beantragt,
17die Prüfungsanordnung vom 20.08.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2020 aufzuheben.
18Der Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Der Beklagte verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung. Er trägt ergänzend vor, dass es keine generelle Zuständigkeitsvereinbarung zwischen den Finanzämtern U und J gebe, wonach stets Steuerberater im Bezirk des einen vom anderen Amt geprüft würden, sondern im Einzelfall die Durchführung einer Auftragsprüfung nach pflichtgemäßem Ermessen abgestimmt werde. Der Beklagte erklärt außerdem, dass eine Abfrage, welcher Steuerberater in einem Finanzamt wie viele Mandanten betreue, zwar technisch möglich sei, dies aber aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht an ein anderes Finanzamt weitergegeben werden dürfe. Auch im eigenen Finanzamt sei eine solche Abfrage datenschutzrechtlich nicht zulässig.
21Der Senat hat am 28.06.2021 mündlich verhandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Verfahrensakte Bezug genommen.
1. Die zulässige Klage ist begründet. Die Prüfungsanordnung vom 20.08.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Beauftragung des Beklagten mit der Durchführung einer Außenprüfung bei dem Kläger durch das Finanzamt J war ermessensfehlerhaft.
24a) Gemäß § 195 S. 1 der Abgabenordnung (AO) werden Außenprüfungen grundsätzlich von dem für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörden durchgeführt. Nach § 195 S. 2 AO kann die zuständige Finanzbehörde andere Finanzbehörden mit der Außenprüfung beauftragen. Diese Beauftragung ist eine Ermessensentscheidung. Die Prüfungsanordnung, aus der sich die Ermessenserwägungen für den Auftrag ergeben müssen, kann sodann von der beauftragten Behörde erlassen werden (vgl. die ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Urteil vom 10.12.1987 IV R 77/86, BStBl II 1988, 322; Beschluss vom 27.11.2003 I B 119/03, I S 11/03, BFH/NV 2004, 756; BFH, Urteil vom 15.5.2013 IX R 27/12, BStBl II 2013, 570). Aufgabe der beauftragten Behörde ist es auch, über einen Einspruch gegen die Prüfungsanordnung zu entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 18.11.2008 VIII R 16/07, BStBl II 2009, 507; BFH, Urteil vom 15.05.2013 IX R 27/12, BStBl II 2013, 570). Die Entscheidung über die Zuständigkeitsübertragung ist von dem beauftragten Finanzamt zu begründen und bei einer Anfechtung der Prüfungsanordnung die Rechtmäßigkeit der Beauftragung inzident zu prüfen (BFH-Urteil vom 18.11.2008 VIII R 16/07, BStBl II 2009, 507; BFH, Urteil vom 15.05.2013 IX R 27/12, BStBl II 2013, 570).
25b) Das im Streitfall für die Besteuerung des Klägers nach Maßgabe des § 19 Abs. 1 AO zuständige Finanzamt war zunächst das Finanzamt J. Durch innerdienstliches Schreiben vom 23.07.2020 hatte das Finanzamt J das beklagte Finanzamt U mit der Durchführung der Außenprüfung bei dem Kläger beauftragt. Dem Auftrag lag eine Ermessensentscheidung der beauftragenden Finanzbehörde, dem Finanzamt J, zugrunde.
26aa) Die besonderen Voraussetzungen für eine Auftragsprüfung wurden im Streitfall eingehalten. Bei einer Auftragsprüfung muss der Auftrag den zeitlichen und sachlichen Umfang der Außenprüfung erkennen lassen. Auch muss das beauftragte Finanzamt sich an den im Auftrag genannten Prüfungsumfang halten. Die Prüfungsanordnung selbst muss auf die Beauftragung hinweisen und erforderlichenfalls auch die Gründe für die Übertragung angeben. Letztere können aber auch noch im Verlauf des weiteren Verfahrens, etwa im Rahmen einer Einspruchsentscheidung, nachgeholt werden (vgl. BFH-Urteile vom 10.12.1987, IV R 77/86, BStBl. II 1988, 322 sowie vom 21.04.1993, X R 112/91, BStBl. II 1993, 649).
27Im Streitfall hat das Finanzamt J als das für die Besteuerung des Klägers zuständige Finanzamt vor Erlass der im vorliegenden Verfahren streitigen Prüfungsanordnung des Beklagten diesem nach § 195 S. 2 AO einen Auftrag für die Prüfung beim Kläger erteilt. In dem Prüfungsauftrag vom 23.07.2020 hat das Finanzamt J angegeben, dass die Besteuerungsgrundlagen zur ESt und zur USt für die Jahre 2015 bis 2018 zu prüfen sind. Diesen Auftrag hat der Beklagte mit der streitgegenständlichen Prüfungsanordnung vom 20.08.2020 umgesetzt. Er hat außerdem darauf verwiesen, dass es sich bei der angeordneten Prüfung um eine Auftragsprüfung handelt. Die Begründung für den Prüfungsauftrag wurde im Schreiben vom 24.09.2020 und in der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2020 ergänzt.
28bb) Die angefochtene Prüfungsanordnung in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist allerdings ermessensfehlerhaft.
29(1) Der Erlass einer Prüfungsanordnung ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur in den Grenzen des § 102 FGO überprüft werden kann. Gleiches gilt für die Entscheidung, eine andere Finanzbehörde mit der Außenprüfung zu beauftragen. Die Prüfungsanordnung ist nur dann rechtswidrig, wenn durch sie Ermessensgrenzen unter- oder überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Die Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung setzt außerdem voraus, dass sie mit Gründen versehen ist, die die Ermessenserwägungen der Behörde erkennen lassen. Diese Erwägungen müssen sich aus dem betreffenden Verwaltungsakt ergeben (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO). Sie können allerdings - unter den Einschränkungen des § 102 S. 2 FGO bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens – ergänzt werden (§ 126 Abs. 2 AO).
30(2) Ein Ermessensfehler in Gestalt eines Ermessensausfalls ergibt sich nicht bereits daraus, dass der innerdienstliche Prüfungsauftrag des Finanzamts J und auch die Prüfungsanordnung des Beklagten nicht mit der Mitteilung von Ermessenerwägungen verbunden waren. Der Beklagte hat im Verlauf des Einspruchsverfahrens eine Stellungnahme des Finanzamts J eingeholt und im Schreiben vom 24.09.2020 sowie in der Einspruchsentscheidung die Ermessenserwägungen umfangreich dargestellt. Im Fall von Auftragsprüfungen sind die erforderlichen Ermessenserwägungen grundsätzlich vom beauftragenden Finanzamt anzustellen, sie können dem Steuerpflichtigen aber vom beauftragten Finanzamt bekannt gegeben und von diesem sogar nötigenfalls ergänzt werden (BFH, Urteil vom 10.12.1987, IV R 77/86, BStBl. II 1988, 322; BFH, Beschluss vom 27.11.2003, I B 119/03, I S 11/03, BFH/NV 2004, 756). Dies hat in der Prüfungsanordnung selbst oder in der ebenfalls durch das beauftragte Amt zu erlassenden Einspruchsentscheidung zu geschehen (vgl. BFH, Beschluss vom 27.11.2003 I B 119, S 11/03, BFH/NV 2004, 756).
31(3) Auch sein Entschließungsermessen hat das Finanzamt J fehlerfrei ausgeübt. Mit der Entscheidung des Finanzamts J, die Prüfung des Klägers als Steuerberater nicht durch das Betriebsfinanzamt durchzuführen, sondern durch ein anderes Finanzamt durchführen zu lassen, bewegten sich das Finanzamt J und der Beklagte im Rahmen des ihnen zustehenden Entschließungsermessens, denn das Gesetz lässt die Möglichkeiten ausdrücklich zu, die Außenprüfung durch das für die Besteuerung zuständige Finanzamt durchzuführen oder eine andere Finanzbehörde mit der Außenprüfung zu beauftragen.
32Dabei folgt der Senat nicht der Auffassung des 6. Senats des Finanzgerichts Münster in dessen Entscheidung vom 01.12.2010 (6 K 2311/10 AO, bestätigt durch BFH, Beschluss v. 29.02.2012, III B 235/11, BFH/NV 2012, 981), nach der sich die Finanzverwaltung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens bewegt, wenn ohne Prüfung des jeweiligen Einzelfalls die Prüfung von Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern nicht durch das Wohnsitzfinanzamt bzw. Betriebsfinanzamt, sondern durch ein benachbartes Finanzamt erfolgt. Eine solche typisierende Entscheidung widerspricht gerade den Grundprinzipien einer Ermessensentscheidung, die grundsätzlich auch eine individuelle Interessenabwägung im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert. Der Beklagte hat in seiner Einspruchsentscheidung allerdings Ermessenerwägungen mitgeteilt, die im Rahmen des Entschließungsermessens die Umstände des Einzelfalles in ausreichender Weise berücksichtigen. Der Beklagte hat im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen, nämlich der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen den Kläger, die Besorgnis des Auftretens von Spannungen besteht, was sich negativ auf den Umgang miteinander in Fällen auswirken könnte, in denen der Kläger gegenüber dem Finanzamt J von ihm betreute Mandanten vertritt.
33Der Beklagte hat sich auch damit auseinandergesetzt, dass in der Vergangenheit trotz gegen den Kläger eingeleiteter Steuerstrafverfahren keine Auftragsprüfung veranlasst wurde. Der Beklagte ist in seiner Einspruchsentscheidung auch darauf eingegangen, aus welchen Gründen eine Auftragsprüfung trotz der beim Finanzamt J anhängigen Rechtsbehelfsverfahren sachgerecht sei. Die vom Beklagten insofern angestellten Erwägungen sind nachvollziehbar und plausibel.
34(4) Das Finanzamt J hat allerdings keinerlei Erwägungen dazu angestellt, aus welchen Gründen gerade der Beklagte mit der Durchführung der Auftragsprüfung beauftragt wurde. Hierin liegt eine Ermessensunterschreitung, da der Beklagte sein Auswahlermessen nicht ausgeübt bzw. seine diesbezügliche Entscheidung nicht begründet hat.
35Eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Durchführung einer Auftragsprüfung erfordert nicht nur die Prüfung und Begründung, weshalb die Außenprüfung nicht durch das zuständige Wohnsitz- oder Betriebsstättenfinanzamt, sondern auch, warum sie gerade durch das beauftragte Finanzamt vorgenommen werden soll. Insofern folgt der Senat der Auffassung des Sächsischen Finanzgerichts in dessen Entscheidung vom 12.04.2018 (Az. 4 K 273/14 –, juris). Im Rahmen des Auswahlermessens hat das beauftragende Finanzamt sich damit auseinanderzusetzen und dem zu prüfenden Steuerpflichtigen mitzuteilen, welche Erwägungen dafür maßgeblich waren, gerade das beauftragte Finanzamt für eine Auftragsprüfung auszuwählen. Diese Abwägung hat, soweit tatsächlich möglich und rechtlich zulässig, die Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu würdigen. Zu den hier zu berücksichtigenden Umständen können bspw. die räumliche Nähe, die Zugehörigkeit des zu prüfenden Steuerpflichtigen zu einem Unternehmensverbund oder Konzern oder die Anwesenheit besonders geschulter Bediensteter im zu beauftragenden Finanzamt gehören. Hierzu gehört auch die Auseinandersetzung mit den Gründen, die einer Überprüfbarkeit der einzelnen Auswahlkriterien entgegenstehen. Begründet das beauftragende Finanzamt sein Entschließungsermessen mit zu erwartenden Spannungen, ist im Rahmen des Auswahlermessens auch einzubeziehen, ob und ggfs. in welchem Umfang solche Spannungen durch die Beauftragung des ausgewählten Finanzamts vermieden oder reduziert werden können. Dabei ist der Steuerpflichtige zur Mitwirkung und Auskunft verpflichtet.
36Insoweit würde eine Abwägung dahingehend, welche Mandate der jeweilige Steuerpflichtige tatsächlich im Bezirk des beauftragenden Finanzamts, des beauftragten Finanzamts und ggfs. weiterer benachbarter Finanzämter betreut, dem Zweck der Auftragsprüfung nicht widersprechen. Zwar kann dieses Vorgehen im Einzelfall eine Vorabsichtung des Mandantenstammes des betreffenden Steuerpflichtigen erfordern. Ein Unterlassen dieser Vorabsichtung würde aber nur dann zu einem Ermessensfehler führen, wenn das beauftragende Finanzamt entweder selbst tatsächlich und rechtlich zur Einholung der betreffenden Informationen in der Lage war, der Steuerpflichtige nicht zur Mitwirkung aufgefordert wird oder der Steuerpflichtige seine diesbezüglichen Mitwirkungspflichten vollumfänglich erfüllt hat.
37cc) Da die Prüfungsanordnung bereits aus den dargestellten Gründen ermessensfehlerhaft und daher aufzuheben war, kann offen bleiben, ob auch das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung der Durchführung einer Auftragsprüfung entgegen stehen kann, obwohl die AO die Möglichkeit einer Auftragsprüfung grundsätzlich vorsieht und auch die prüfenden Bediensteten des Beklagten dem Steuergeheimnis gemäß § 30 AO unterliegen.
382. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
393. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
404. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung von der Auffassung des 6. Senats des Finanzgerichts Münster in dessen Entscheidung vom 01.12.2010 (6 K 2311/10 AO) ab, die durch den BFH in seinem Beschluss vom 29.02.2012 (III B 235/11, BFH/NV 2012, 981) bestätigt wurde. Darüber hinaus ist die Frage, ob und ggf. in welcher Weise das Auswahlermessen bei Auftragsprüfungen auszuüben ist, bislang – soweit ersichtlich – nicht höchstrichterlich geklärt.