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Die Bescheide für 2011 bis 2013 über Einkommensteuer und Umsatzsteuer vom 14.4.2016 und der Bescheid für 2012 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 27.4.2016, jeweils in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.6.2017, werden nach Maßgabe der Entscheidungsgründe geändert. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 10 % und der Beklagte zu 90 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leisten.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Steuerfestsetzungen aufgrund der Ergebnisse einer Außenprüfung bei der Klägerin für die Jahre 2011 bis 2013.
3Die Kläger sind verheiratet und werden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist Gewerbetreibende. Sie betreibt einen Irish Pub, den X mit Getränke- und Speisenangebot. Die Gewinnermittlung erfolgte in den Streitjahren durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes, EStG). Außerdem erzielten die Kläger in den Streitjahren jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klägerin hatte in den Streitjahren durchschnittliche Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit i. H. v. rd. 37.800 € p. a. (Arbeitsstätte: Y, F). Der Kläger ist im Betrieb der Klägerin angestellt und bezog hieraus in den Streitjahren durchschnittliche Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit i. H. v. rd. 9.400 € p.a. Die gemeinsame Tochter der Klägerin ist ebenfalls in dem Gewerbebetrieb der Klägerin angestellt.
4Die Klägerin setzte in ihrem Betrieb eine Kasse der Serie „Inka“ des Herstellers Indatec ein (Modell 200). Die Einnahmen aus dem regulären Betrieb dokumentierte sie täglich anhand von Tagesendsummenbons (Z-Bons). Da diese Bons den Zahlungsweg (bar oder EC-Kartenzahlung) nicht auswiesen, fügte sie den Z-Bons die Händlerbelege für die unbaren EC-Kartenzahlungen bei. Außerdem fügte sie diesen Dokumenten Belege über Kassenausgaben bei, die an dem jeweiligen Tag angefallen waren. Neben dieser Belegablage übertrug die Klägerin die auf den Z-Bons ausgewiesenen Einnahmen täglich – unter Ergänzung von Ausgaben und Bankeinzahlungen – in ein Excel-Dokument, das den (Kassen-)Bestand selbstrechnend auswies. Auf diese Weise glich die Klägerin täglich den Soll- mit dem Ist-Bestand der Kasse ab (Kassensturz). Über die tägliche Ablage der Belege und die tägliche Erstellung des Excel-Dokuments hinausgehende Kassenberichte in Form eines (handschriftlichen) Kassenbuchs führte die Klägerin nicht.
5In den Streitjahren veräußerte die Klägerin unnummerierte Gutscheine. Sie dokumentierte den Verkauf nicht einzeln. Die Erlöse aus dem Verkauf bonierte sie regelmäßig unter der Warengruppe Küche ein. Bei Einlösung der Gutscheine minderte sie die Betriebseinnahmen um den ausgewiesenen Betrag.
6Neben dem regulären Betrieb erzielte die Klägerin auch Erlöse aus Sonderveranstaltungen. Sie vereinnahmte Eintritt für Musikveranstaltungen im Ladenlokal und Erlöse aus einer „Außentheke“ bei verschiedenen Veranstaltungen. Außerdem nahm sie – unabhängig vom Ladenlokal – an weiteren Veranstaltungen teil, auf denen sie Getränke und Speisen anbot. Die Klägerin nutzte bei sämtlichen Sonderveranstaltungen offene Ladenkassen und bei einigen jährlich durchgeführten umfangreicheren Sonderveranstaltungen („xyz“, „zyx“) zusätzlich geliehene elektronische Registrierkassen. Die offenen Ladenkassen wurden täglich ausgezählt. Das Ergebnis der Auszählung hielt die Klägerin handschriftlich fest. Die Z-Bons der teilweise eingesetzten elektronischen Registrierkassen liegen vor. Die Summe der Einnahmen aus diesen Sonderveranstaltungen trug die Klägerin in einer Summe in das für die Kasseneinnahmen und Kassenausgaben geführte Excel-Dokument ein. Hinsichtlich der offenen Ladenkassen erstellte die Klägerin keine darüber hinausgehenden Kassenberichte. Die für die Sonderveranstaltungen bestellten und nicht verbrauchten Getränke gab sie zum Teil an den Getränkelieferanten zurück und zum Teil verbrachte sie sie in den Pub, wo sie die Getränke im regulären Gaststättenbetrieb veräußerte.
7Die Klägerin erklärte für ihren Gewerbebetrieb die folgenden Besteuerungsgrundlagen:
82011 |
2012 |
2013 |
||
ESt/GewSt |
Einkünfte aus Gewerbebetrieb |
- 6.480 € |
32 €/30 € |
- 12.063 €/- 12.064 € |
USt |
Lieferungen und sonstige Leistungen zu 19 % |
317.396 € |
337.469 € |
322.911 € |
Weiter reichte sie Jahresabschlüsse einschließlich Kontennachweise ein. Aus diesen geht hervor, dass sich die Umsatzerlöse für die Streitjahre 2011 und 2012 wie folgt aufteilen:
10Umsatzerlöse |
2011 |
2012 |
X |
279.036,75 € |
302.799,66 € |
Außer Haus |
39.388,27 € |
35.840,65 € |
Erlöse Abfallverwertung |
- |
33,62 € |
Provisionsumsätze 19% USt |
551,87 € |
372,66 € |
Entnahme Unternehmer (Waren) 19 % USt |
1.655,48 € |
1.246,00 € |
Erlösschmälerungen |
- 2.105,05 € |
- 3.710,80 € |
Summe |
318.527,32 € |
336.581,79 € |
Eine entsprechende Aufteilung für 2013 ist nicht in der Bilanzakte des Beklagten vorhanden.
12Der Beklagte führte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für die Jahre 2011 bis 2013 durch. Die Betriebsprüferin gelangte aufgrund verschiedener Einzelfeststellungen zur Kassenführung zu dem Ergebnis, dass die Beweiskraft der (gesamten) Buchführung widerlegt sei. Vor diesem Hintergrund setzte die Prüferin Sicherheitszuschläge an, die sie durch „überschlägige Getränkekalkulationen“ ermittelte. Die Sicherheitszuschläge betrugen:
132011 |
2012 |
2013 |
|
Umsätze zu 19 % |
+ 29.000 € |
+ 28.000 € |
+ 15.000 € |
Umsatzsteuer |
+ 5.510 € |
+ 5.320 € |
+ 2.850 € |
Gewinn |
+ 29.000 € |
+ 28.000 € |
+ 15.000 € |
Im Einzelnen stellte die Prüferin zur Kassenführung fest:
15Die von der Klägerin im Rahmen der Kassenführung erstellten Excel-Dokumente seien jederzeit abänderbar und entsprächen nicht den Vorschriften des § 146 Abs. 4 Satz 1 der Abgabenordnung (AO).
Es sei nicht überprüfbar, wie viele Gutscheine im Einzelnen verkauft worden seien.
An diversen Tagen erscheine es so, als wäre die Nummerierung der Z-Bons rückläufig. Nach Auskunft der Klägerin sei die Kasse so umprogrammiert worden, dass der Datumsumsprung nicht wie üblich um 0:00 Uhr, sondern erst um 1:00 Uhr erfolge. Als Nachweis habe die Klägerin ein Schreiben eingereicht. Nach diesem sei es in 2010 zu einer Umstellung der Datumsumschaltzeit an einer Registrierkasse des Modells „Inka 250“ gekommen.
Die Prüferin stellte hierzu fest, dass in dem Betrieb das Modell „Inka 200“ eingesetzt worden sei. Die von der Klägerin für das Modell „Inka 250“ vorgelegte Bescheinigung betreffe mithin nicht die eingesetzte Kasse. Weiter sei am vorgelegten Kassenprogrammausdruck nicht erkennbar, ob tatsächlich eine Veränderung der Datumsumschaltzeit vorgenommen worden sei. Im Kassenprogramm werde als letzte Änderung der Bondrucker-Software unter dem Punkt „BonProgZeit“ der 20.3.1997 ausgewiesen.
20Die Bons 1002 und 1003 seien zeitlich nicht korrekt verbucht worden. Der Bon 1002 weise unter dem Bon-Datum 22.2.2012 die Tageseinnahmen für den 21.2.2012 aus und sei am 22.2.2012 verbucht worden. Der Bon 1003 weise unter dem Bon-Datum 22.2.2012 die Tageseinnahmen für den 22.2.2012 aus und sei am 21.2.2012 verbucht worden.
In einigen Tagesberichten werde die Position „reaktivierter Tisch“ ausgewiesen. Laut Bedienungsanleitung ermögliche dieser Befehl die „Rückgängigmachung“ der letzten Abrechnung eines Tischs und es werde ein besonders gekennzeichneter Reaktivierungsbeleg gedruckt. Diese Ausdrucke seien von der Klägerin nicht vorgelegt worden. Somit könne nicht abschließend geklärt werden, welche Geschäftsvorfälle sich im Einzelnen hinter dem Ausweis verbergen würden und aus welchen Gründen eine Rückgängigmachung/Stornierung einer Abrechnung erfolgt wäre.
Für den 28.5.2011 würde neben dem Tagesbericht mit „reaktiviertem Tisch“ auch eine Journalrolle vorliegen, nach der mit der Reaktivierung eine Stornierung von Umsätzen erfolgt sei. Diese „Stornos“ seien nicht im Tagesbericht ausgewiesen worden.
24Abschließend führte die Prüferin aus, dass es fraglich bleibe, ob alle Stornoarten im Tagesbericht/Z-Bon ausgewiesen und die vorgelegten Stornoaufzeichnungen vollständig seien.
25Die Klägerin habe für ihre Erlöse aus den Sonderveranstaltungen keine Einzelaufzeichnungen, insbesondere Kassenberichte und Zählprotokolle mit retrograder Einnahmeermittlung, vorgelegt. Das Fehlen dieser Uraufzeichnungen stelle einen schwerwiegenden Mangel dar. Die Kassenführung für die bei den Sonderveranstaltungen eingesetzten offenen Ladenkassen sei daher nicht ordnungsgemäß.
Die Prüferin stellte im Rahmen der Prüfung verschiedene überschlägige Kalkulationen auf. Der im Rahmen einer Ausbeutekalkulation für 2011 ermittelte Bier- und Softdrinkumsatz übersteige die auf den Z-Bons ausgewiesenen Erlöse der Warengruppe „Bier“ und „AFG“. Eine überschlägige Getränke-Kalkulation für die Sonderveranstaltung „xyz“ für 2011 bis 2013 führe zu Werten, die die Umsätze laut Z-Bons und Angaben zur offenen Ladenkasse überschritten (Kalkulationsdifferenz für 2011 i. H. v. 19.077,55 €, für 2012 i. H. v. 18.493,18 € und für 2013 i. H. v. 13.156,03 €). Diese überschlägige Getränke-Kalkulation basiere auf der jeweiligen Rechnung des Getränkelieferanten.
28Für die Bestimmung der Sicherheitszuschläge führte die Prüferin eine überschlägige Getränke-Kalkulation für die Hauptgetränke-Gruppen (Bier, Cider und Softdrinks) durch. Sie berücksichtigte einen Schankverlust i. H. v. 5 %. Das Ergebnis zog sie von den erklärten Umsätzen ab und unterstellte für den nicht kalkulierten Wareneinsatz laut Richtsatzsammlung einen mittleren Rohgewinnaufschlag i. H. v. 233 %. Die Prüferin nahm an, dass dieser Resteinsatz vornehmlich aus Spirituosen und Speisen bestand. Sie nahm auch diesbezüglich einen Schankverlust, Verderb und Mitarbeiterverzehr i. H. v. 5 % an. Die Hinzuschätzungen durch die Prüferin basieren auf dieser überschlägigen Getränke-Kalkulation und nicht auf der überschlägigen Getränke-Kalkulation für die Sonderveranstaltung „xyz“.
29Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 22.2.2016 nebst Anlagen Bezug genommen.
30Der Beklagte erließ unter dem 14.4.2016 geänderte Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide sowie unter dem 27.4.2016 einen geänderten Gewerbesteuermessbescheid für 2012. Zur Erläuterung führte er aus, dass den Feststellungen und Festsetzungen die Ergebnisse der bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung zugrunde liegen.
31Die Kläger legten hiergegen Einsprüche ein. Zur Begründung widersprachen sie der Feststellung der Betriebsprüfung, dass die Kassenführung nicht ordnungsgemäß gewesen sei. Soweit überhaupt Mängel vorliegen würden, seien diese viel zu geringfügig, um die Buchhaltung insgesamt zu verwerfen. Nur solche Mängel, die wesentlich seien und auf Systemmängel hinwiesen, seien geeignet, die Beweiskraft der Buchhaltung, hier der Kassenführung, zu erschüttern. Nicht ausreichend seien hingegen solche Fehler, wie sie im Rahmen der Buchhaltung immer passieren könnten; solange sie nicht darauf hinwiesen, dass bei der Buchhaltung systemrelevante Fehler gemacht worden seien. Von daher werde auch keine Veranlassung gesehen, zu der Kalkulation Stellung zu nehmen. Im Einzelnen führten sie an:
32Die von der Klägerin erstellten Zusammenstellungen der Kasseneinnahmen und ‑ausgaben in einem Excel-Dokument seien keine Ursprungsaufzeichnungen i. S. d. § 146 Abs. 4 AO. Ursprungsaufzeichnungen seien die Z-Bons und die Händlerbelege des EC-Terminals. Diese lägen im Original vor und seien nicht abänderbar.
Die Zusammenfassung der auf den Ursprungsaufzeichnungen enthaltenen Daten in Form eines Excel-Dokuments diene allein dem täglichen Kassensturz.
35Die der Klägerin bei dem Verkauf von Gutscheinen unterlaufenen Fehler seien geringfügig. Der Umsatz mit dem Verkauf von Gutscheinen werde im Verhältnis zum Umsatz mit weniger als 5 % geschätzt. Derartige Vorgänge kämen in einem Irish Pub eher selten vor.
Dass die Bescheinigung eine Kasse des Modells „Inka 250“ betreffe, liege daran, dass für die Kasse der Klägerin („Inka 200“) die Software für das Modell „Inka 250“ genutzt werde (Update). Eine Bescheinigung werde nachgereicht. Jedenfalls ergebe sich aus der Umstellung des Datumsumsprungs auf 1:00 Uhr keine irgendwie geartete Vermutung der Manipulation des Kasseninhalts.
Es sei richtig, dass die Bons 1002 und 1003 vertauscht worden seien. Es handle es sich um einen einmaligen Vorgang und daher um einen geringfügigen Mangel.
Es sei unrichtig, dass es sich bei einer Reaktivierung eines Tischs um die Rückgängigmachung eines zuvor gebuchten Umsatzes handle. Richtig sei, dass die Bediener durch den reaktivierten Tisch lediglich einen gebuchten Umsatz, dessen Erfassung abgeschlossen sei, wieder sichtbar machen könnten. Dies werde auf den Z-Bons angezeigt, jedoch nicht mit der Folge, dass deswegen die Buchung rückgängig gemacht werde. Zu einer Rückgängigmachung einer Buchung führe nur eine Stornobuchung.
Die Kassenführung bei Sonderveranstaltungen entspreche zwar nicht den sonstigen üblichen Gepflogenheiten. Allerdings sei den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften (§ 146 Abs. 1 Satz 2 AO) schon genügt, wenn die Kasseneinnahmen täglich festgehalten würden, was auch bei den Sonderkassen in Form der Thekenkasse der Fall sei. Einzelaufzeichnungen bei Thekenkauf zu verlangen, sei unverhältnismäßig und durch die Rechtsprechung nicht gedeckt. Es genüge in diesen Fällen, wenn die Einnahmen aus der Thekenkasse täglich gezählt und ordnungsgemäß erfasst würden. Dies sei der Fall. Im Übrigen sei der Umfang dieser Einnahmen geringfügig.
Die Klägerin habe bei den Sonderveranstaltungen, mit denen größere Einnahmen erzielt wurden, Registrierkassen angemietet, um die einzelnen Geschäftsvorfälle zu erfassen.
42Mit Einspruchsentscheidung vom 23.6.2017 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, dass bei der Erstellung eines Kassenbuchs mittels eines PC zusätzlich die Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Speicherbuchführung erfüllt sein müssten. Insbesondere dürfe eine Buchung nicht in der Weise änderbar sein, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar sei. Mithin genüge ein mit dem Programm „MS Excel“ geführter Kassenbericht auf Grund seiner jederzeitigen Änderbarkeit nicht. Deshalb sei im Betrieb der Klägerin die Sturzfähigkeit der Kasse nicht gegeben gewesen. Die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung erfordere aber bei Bareinnahmen, die ähnlich einer offenen Ladenkasse erfasst werden, einen täglichen Kassenbericht, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens der Bareinnahmen erstellt worden sei. Hieran mangele es jedoch vorliegend. Die Kalkulation der Sicherheitszuschläge entspreche den Anforderungen der Rechtsprechung. Ausgehend vom Wareneinsatz habe die Betriebsprüferin im Wege der Ausbeutekalkulation die erzielbaren Verkaufserlöse ermittelt. Im Vergleich zu den erklärten Bruttoeinnahmen hätten sich Kalkulationsdifferenzen ergeben.
43Hiergegen haben die Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie ihren bisherigen Vortrag.
44Hinsichtlich der vom Beklagten vorgetragenen Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung wegen der Nutzung eines Excel-Dokuments für den täglichen Kassensturz verweisen sie auf die Unabänderlichkeit der Ursprungsaufzeichnungen (Z-Bons, Händlerbelege über EC-Kartenzahlungen und Ausgabenbelege).
45Die Umstellung des Datumsprungs sei damit zu begründen, dass die Kläger es für sinnvoll hielten, für die Einnahmen eines Abends einheitlich durchnummerierte Z-Bons vorlegen zu können. Hierfür sei der vorprogrammierte Datumsumsprung um 0.00 Uhr nicht geeignet gewesen. Da der Betrieb der Gaststätte häufig über Mitternacht hinaus laufe und dann regelmäßig innerhalb der ersten Stunde des folgenden Tages zum Erliegen komme, sei der Datumsumsprung um 1.00 Uhr vor diesem Hintergrund zweckmäßig. Die Kläger reichten eine Bescheinigung des Kassenaufstellers über die Umprogrammierung des Datumsumsprungs und das Kassenmodell (Inka 200) ein.
46Die Reaktivierung eines Tisches führe nicht zu einer Stornierung von Umsätzen. Es komme ab und zu vor, dass nach der Abrechnung eines Tisches noch Rückfragen der Kunden bestehen würden. Diese Rückfragen könnten mit der Funktion „Tisch reaktivieren“ geklärt werden, in dem im Nachhinein wieder sichtbar gemacht werden könne, welche Buchungen getätigt worden seien und ob dort ein Fehler vorgefallen sei oder nicht.
47Der Verkauf von Gutscheinen sei tatsächlich nicht ordnungsmäßig verbucht worden. Allerdings seien Verkäufe nur in einem geringen Umfang angefallen. Die Umsätze aus dem Verkauf von Gutscheinen hätten 2011 250 €, in 2012 330 € und in 2013 – aufgrund einer Sonderaktion mit einem Radiosender – 1.450 € betragen (Umsatz mit üblichen Gutscheinen: 244 €). Die Ausgabe der Gutscheine im Rahmen der Sonderaktion sei u. a. als Zahlung für die Werbemaßnahme direkt an den Radiosender erfolgt. Dieser habe dann Gutscheine über 50 € für 25 € verkauft. Tatsächliche (Kassen-)Einnahmen durch den Verkauf dieser Gutscheine hätte die Klägerin nicht erzielt.
48Die Kassenführung bei Sonderveranstaltungen sei nur teilweise ausschließlich durch offene Ladenkassen erfolgt. Die Umsätze, die auf diese Veranstaltungen entfallen würden, betrügen für 2011 2.724,80 €, für 2012 3.964,30 € und für 2013 5.578 €. Bei den übrigen Sonderveranstaltungen sei die Kassenführung durch elektronische Registrierkassen und offene Ladenkassen erfolgt. Die Umsätze, die auf diese Veranstaltungen entfallen würden, betrügen für 2011 33.457,05 €, für 2012 36.686,10 € und für 2013 41.074,60 €. Insgesamt seien mit den Sonderveranstaltungen 2011 36.181,85 €, 2012 40.650,40 € und 2013 46.652,60 € erwirtschaftet worden.
49Hinsichtlich der Ausbeutekalkulation für die Sonderveranstaltung „xyz“ weisen die Kläger darauf hin, dass allein ein technischer Schankverlust i. H. v. jeweils 9,4 % zu berücksichtigen sei. Im Übrigen ergäben sich Preisdifferenzen, insbesondere durch einen verbilligten Bierverkauf am letzten Tag der Sonderveranstaltung und durch den Verkauf ganzer Weinflaschen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die im Rahmen der Sonderveranstaltung nicht verbrauchten Getränke nicht (in vollem Umfang) an den Getränkelieferanten zurückgegeben, sondern im Irish Pub verkauft worden seien.
50Im Ergebnis begehren sie, dass von den durch die Prüferin ermittelten Sicherheitszuschlägen i. H. v. 29.000 € (2011), 28.000 € (2012) und 15.000 € (2013) abgesehen wird.
51Die Kläger beantragen,
52die Bescheide für 2011 bis 2013 über Einkommensteuer und Umsatzsteuer vom 14.04.2016 und den Bescheid für 2012 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 27.04.2016, jeweils in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.06.2017, nach Maßgabe der Klagebegründung zu ändern.
53Der Beklagte beantragt,
54die Klage abzuweisen.
55In seiner Klageerwiderung wiederholt und vertieft der Beklagte sein bisheriges Vorbringen. In der mündlichen Verhandlung weist er darauf hin, dass eine Hinzuschätzung der Höhe nach jedenfalls auf Grundlage der überschlägigen Getränke-Kalkulation für die Sonderveranstaltung „xyz“ erfolgen könne. Die Prüferin habe berücksichtigt, dass die Klägerin nicht sämtliche Getränke verbraucht, sondern Getränke an den Getränkelieferanten zurückgegeben habe.
56In der Sache haben am 25.01.2018 ein Erörterungstermin vor dem damaligen Berichterstatter und am 29.04.2021 eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden.
57Entscheidungsgründe
58I. Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet.
Die Bescheide für 2011 bis 2013 über Einkommensteuer und Umsatzsteuer vom 14.4.2016 und der Bescheid für 2012 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 27.4.2016, jeweils in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.6.2017, sind insoweit rechtswidrig, als die ihnen aufgrund der Außenprüfung zugrunde liegenden Hinzuschätzungen auf die Umsätze höher sind als Sicherheitszuschläge i. H. v. 2.000 € p. a. (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Bescheide sind dementsprechend zu ändern.
61Dem Grunde nach besteht eine Schätzungsbefugnis lediglich, weil die Klägerin hinsichtlich des Verkaufs von Gutscheinen keine ordnungsgemäße Buchführung vorweisen kann und sie im Rahmen der Sonderveranstaltungen offene Ladenkassen genutzt und hierbei keine täglichen Kassenberichte auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens der Bareinnahmen erstellt hat (hierzu 1.). Der Höhe nach führen diese Mängel der Buchführung zu Sicherheitszuschlägen auf die Umsätze i. H. v. 2.000 € p. a. (hierzu 2.).
621. Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO). Im finanzgerichtlichen Verfahren geht die Schätzungsbefugnis auf das Gericht über (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen, die der Steuerpflichtige nach den Steuergesetzen zu führen hat, der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 1 f. AO). Gemäß § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.
Nach den Gesetzesmaterialien ist § 158 AO dahingehend zu verstehen, dass formell ordnungsmäßig geführte Bücher bzw. Aufzeichnungen die Vermutung ihrer sachlichen Richtigkeit für sich haben, solange keine Umstände vorliegen, die diese Vermutung erschüttern. Die Finanzbehörde soll sich, um die Vermutung zu entkräften, z. B. des inneren und äußeren Betriebsvergleiches bedienen. Komme sie dabei zu der Überzeugung, dass das in der Buchführung ausgewiesene Ergebnis unmöglich den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen könne, soll sie grundsätzlich berechtigt sein, die Buchführung zu verwerfen und die Besteuerungsgrundlagen im Wege der Schätzung zu ermitteln. Auch Verstöße gegen formelle Buchführungsbestimmungen sollen die Beweiskraft der Buchführung beeinträchtigen können, wenn sich daraus Zweifel an ihrer sachlichen Richtigkeit ergeben. Werde die Vermutung des § 158 AO entkräftet, so soll dies nicht zu einer Verwerfung des gesamten Buchführungsergebnisses führen. Dies komme durch die Verwendung des Wortes „soweit“ zum Ausdruck (BT-Drucks. VI/1982, 146 zu § 139 des RegE zur AO, jetzt § 158 AO).
65Für buchführungspflichtige Steuerpflichtige gilt, dass eine Buchführung (erst) dann formell ordnungswidrig ist, wenn sie wesentliche Mängel aufweist oder die Gesamtheit aller unwesentlichen Mängel diesen Schluss fordert (BFH-Beschluss vom 02.12.2008 X B 69/08 Rz. 4, juris). Maßgebend ist das Gesamtbild aller Umstände im Einzelfall. Ob ggf. nur unwesentliche formelle Buchführungsmängel vorliegen, unterliegt den Regeln der freien Beweiswürdigung; formelle Mängel berechtigen nur zur Schätzung, soweit sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln (BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 Rz. 22 m. w. N.). Demzufolge kann eine Buchführung trotz einzelner Mängel nach den §§ 140 bis 148 AO aufgrund der Gesamtwertung als formell ordnungsmäßig erscheinen. Insoweit kommt der sachlichen Gewichtung der Mängel ausschlaggebende Bedeutung zu (so auch der Anwendungserlass zur Abgabenordnung, AEAO, zu § 158). Jedenfalls dann, wenn vorwiegend Bargeschäfte getätigt werden, können Mängel der Kassenführung den gesamten Aufzeichnungen die Ordnungsmäßigkeit nehmen (BFH-Urteil vom 14.12.2011, XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921, Rz. 34).
66Die Buchführung und die Aufzeichnungen der Klägerin sind nach dem Gesamtbild aller Umstände des Einzelfalls formell ordnungswidrig, soweit Umsätze aus dem Verkauf von Gutscheinen betroffen sind und die Klägerin im Rahmen der Sonderveranstaltungen offene Ladenkassen eingesetzt und keine täglichen Kassenberichte auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens der Bareinnahmen erstellt hat. Die übrigen Einzelfeststellungen der Prüferin führen weder für sich noch in ihrer Gesamtheit dazu, dass die Buchführung und die Aufzeichnungen der Klägerin formell ordnungswidrig sind.
67a) Entgegen der Auffassung des Beklagten führt bereits die Verwendung eines Excel-Dokuments für einen täglich durchgeführten Kassensturz nicht dazu, dass die Klägerin ihre Kasseneinnahmen und Kassenausgaben nicht entsprechend einer ordnungsmäßigen Buchführung täglich festgehalten hat. Hiermit liegt kein Verstoß gegen § 146 Abs. 1 Satz 2 AO oder § 146 Abs. 4 AO vor.
68aa) Die Buchführung muss so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen (§ 145 Abs. 1 AO). Die Aufzeichnungen sind so vorzunehmen, dass der Zweck, den sie für die Besteuerung erfüllen sollen, erreicht wird (§ 145 Abs. 2 AO).
69Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 f. AO in der in den Streitjahren gültigen Fassung sind die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden.
70Eine Buchung oder eine Aufzeichnung darf nicht in einer Weise verändert werden, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist. Auch solche Veränderungen dürfen nicht vorgenommen werden, deren Beschaffenheit es ungewiss lässt, ob sie ursprünglich oder erst später gemacht worden sind (§ 146 Abs. 4 AO).
71Die Bücher und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen können auch in der geordneten Ablage von Belegen bestehen oder auf Datenträgern geführt werden, soweit diese Formen der Buchführung einschließlich des dabei angewandten Verfahrens den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen; bei Aufzeichnungen, die allein nach den Steuergesetzen vorzunehmen sind, bestimmt sich die Zulässigkeit des angewendeten Verfahrens nach dem Zweck, den die Aufzeichnungen für die Besteuerung erfüllen sollen (§ 146 Abs. 5 Satz 1 AO).
72bb) Nach den Gesetzesmaterialien zu § 146 Abs. 1 Satz 2 AO reiche eine bereits gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 AO erforderliche zeitgerechte Verbuchung für Kasseneinnahmen und Kassenausgaben nicht aus. Die erforderliche tägliche Abstimmung des Kassenbestands sei nur möglich, wenn Kasseneinnahmen und Kassenausgaben täglich aufgezeichnet würden (BT-Drs. VI/1982, S. 126 zu § 91 des RegE zur AO, jetzt § 146 AO). Die in den Streitjahren gültige Fassung als Soll-Vorschrift bringt zum Ausdruck, dass nicht in jedem Fall die tägliche Aufzeichnung der Kasseneinnahmen und Kassenausgaben für eine ordnungsmäßige Buchführung zwingend erforderlich ist. Indem auf das Festhalten und nicht auf das Aufzeichnen der Kasseneinnahmen und Kassenausgaben abgestellt wird, können neben dem Aufschreiben auch andere Möglichkeiten des Festhaltens in Betracht kommen (BT-Drs. 7/4292, S. 30).
73cc) Nach der Rechtsprechung des BFH können Einnahmen wie Ausgaben zu Kontrollzwecken nicht nur durch schriftliche Aufzeichnungen, sondern auch durch jede andere Maßnahme festgehalten werden, die es ermöglicht, die Daten abrufbereit zu konservieren. Es besteht keine gesetzliche Vorgabe, wie (Kassen-)Aufzeichnungen zu führen sind. So können diese grundsätzlich auch in der geordneten Ablage von Belegen bestehen oder auf Datenträgern geführt werden. Der Steuerpflichtige ist in der Wahl des Aufzeichnungsmittels frei und kann entscheiden, ob er seine Warenverkäufe manuell oder unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel – wie einer elektronischen Registrier- oder PC-Kasse – erfasst. Dabei bestimmt die Kasseneigenschaft die Art der Aufzeichnung. Werden die Bareinnahmen in einer offenen Ladenkasse erfasst, so erfordert dies einen täglichen Kassenbericht, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens der Bareinnahmen erstellt worden ist (BFH-Urteil vom 20.3.2017 X R 11/16, BFHE 258, 272 Rz. 38 ff. mit Verweis auf BFH-Urteil vom 16.12.2014 X R 47/13, BFH/NV 2015, 793, Rz. 23).
74dd) Die Finanzverwaltung stellt in dem zum Entscheidungszeitpunkt gültigen AEAO zu § 146 (Tz. 1.4) fest, dass buchführungspflichtige Steuerpflichtige für Bargeldbewegungen ein Kassenbuch (ggf. in der Form aneinandergereihter Kassenberichte) zu führen haben. Diese Vorschrift ist erst ab dem 19.6.2018 gültig. In den Streitjahren galt dieser Anwendungserlass, der für das Gericht im Übrigen nicht bindend ist, noch nicht.
75ee) In der Praxis erfolgt die Kassenbuchführung im Allgemeinen anhand eines Kassenbuchs, das zu den wesentlichen Grundbüchern eines Betriebs gehört und in dem Kasseneingänge und ‑ausgänge täglich festgehalten werden können. Der Kasseneingang kann durch einen Kassenbericht ermittelt werden („Kassensturz“; Kassenbestand bei Geschäftsabschluss zzgl. Ausgaben im Laufe des Tages (z. B. Zahlung von Wareneinkäufen, Geschäftsausgaben, Entnahmen) abzgl. Kassenbestand des Vortages = Kasseneingang). Einnahmen, die nicht aus Ausgangsumsätzen stammen (z. B. Einlagen), sind besonders zu vermerken und zur Ermittlung der Tageslosung vom Kasseneingang abzusetzen.
76ff) Die Klägerin hielt die im Zusammenhang mit dem regulären Gaststättenbetrieb – ohne Sonderveranstaltungen – anfallenden Kasseneinnahmen – dokumentiert durch Bediener- bzw. Finanzberichtbons – und die Kassenausgaben – dokumentiert durch Quittungen und sonstige Belege – durch eine geordnete Ablage der entsprechenden Belege fest. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Es bestehen auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, dass diese im Zusammenhang mit dem regulären Betrieb anfallenden Belege von der Klägerin nicht vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet ablegt worden sind. Demzufolge entspricht die Festhaltung der Kasseneinnahmen und Kassenausgaben insoweit den in den Gesetzesmaterialien und der einschlägigen Rechtsprechung des BFH zu § 146 Abs. 1 Satz 2 AO enthaltenen Voraussetzungen an eine ordnungsmäßige Buchführung. Da die Klägerin insoweit keine offene Ladenkasse, sondern eine elektronische Registrierkasse nutzte, ist ein täglich erstellter Kassenbericht nach dem BFH-Urteil vom 20.3.2017 X R 11/16, BFHE 258, 272 nicht erforderlich.
77Die in den geordnet ablegten Belegen enthaltenen Daten sind auch nicht jederzeit, ohne weiteres und ohne Kenntlichmachung veränderbar. Ein Verstoß gegen § 146 Abs. 4 Satz 1 AO scheidet bezüglich dieser (Original-)Belege aus.
78Bei Einsatz einer elektronischen Registrierkasse kann ein Festhalten der Kasseneinnahmen und Kassenausgaben gemäß § 146 Abs. 1 Satz 2 AO auch durch eine geordnete Ablage der Belege erfolgen. Vom Steuerpflichtigen für Zwecke eines täglichen Kassensturzes darüber hinaus erstellte überobligatorische Kassenberichte in Form eines Excel-Dokuments stehen einer ordnungsmäßigen Buchführung nicht entgegen. Die Klägerin führte zusätzlich zum gemäß § 146 Abs. 1 Satz 2 AO erforderlichen Festhalten der Kasseneinnahmen und Kassenausgaben einen täglichen Kassensturz durch, um den Soll- mit dem Ist-Bestand abzugleichen. Hierfür nutzte sie ein Excel-Dokument, indem sie die in den geordnet abgelegten Belegen enthaltenen Daten zu Kasseneinnahmen und Kassenausgaben verarbeitete. Dieser nach den gesetzlichen Vorgaben nicht erforderliche, von der Klägerin für ihre Zwecke täglich durchgeführte Kassensturz nimmt der Buchführung nicht ihre formale Ordnungsmäßigkeit.
79b) Die Erfassung von Gutscheinen erfolgte in den Streitjahren nach der übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten nicht in einer Art und Weise, die einer ordnungsmäßigen Buchführung entspricht. Wie auch die Klägerin einräumt, fehlt es an einer Einzeldokumentation des Gutscheinverkaufs. Bei Einlösung der Gutscheine erfolgte keine ausdrückliche Verbuchung der Gutscheine, sodass die vorliegenden Z-Bons diese nicht ausdrücklich ausweisen. Vor diesem Hintergrund geht der Senat dem insoweit vorliegenden Buchführungsmangel nicht weiter nach.
80Jedoch kommt diesem Mangel nur ein geringes sachliches Gewicht zu. Die Klägerin hat für die Streitjahre dargelegt, dass kein erheblicher Umsatz durch die Ausgabe von Gutscheinen erzielt wurde. Der von der Klägerin erklärte Umsatz mit Gutscheinen belief sich in 2011 auf insgesamt 250 €, in 2012 auf insgesamt 330 € und in 2013 – aufgrund einer Sonderaktion mit einem Radiosender – auf insgesamt 1.450 € (Umsatz mit üblichen Gutscheinen: 244 €). In Relation zu den in den Streitjahren getätigten Umsätzen der Klägerin (2011: 317.396 €, 2012: 337.469 €, 2013: 322.911 €) fallen diese Umsätze aus dem Verkauf von Gutscheinen sachlich nur gering ins Gewicht.
81c) Entgegen der Auffassung des Beklagten führt die dahingehende Programmierung der elektronischen Registrierkasse, dass der Datumsumsprung nicht um 0:00 Uhr, sondern um 1:00 Uhr erfolgt, nicht zu einer ordnungswidrigen (Kassen‑)Buchführung.
82Die Programmierung dieses Datumsumsprungs ist mit einer entsprechenden Bescheinigung nachgewiesen worden. Hiernach erfolgte die Umstellung der Datumsumschaltzeit von 0:00 Uhr auf 1:00 Uhr am 14.4.2010. Im Übrigen lag der Prüferin im Rahmen der Betriebsprüfung ein Kassenprogrammausdruck vom 14.4.2010 vor. Dieser weist als letztes Änderungsdatum den 14.4.2010 aus.
83Der Umstand, dass die Prüferin anhand der vorgelegten Programmausdrucke nicht erkennen konnte, dass die Datumsumschaltzeit am 14.4.2010 von 0:00 Uhr auf 1:00 Uhr umgestellt wurde, lässt keine Rückschlüsse auf eine nicht ordnungsmäßige Programmierung der von der Klägerin genutzten elektronischen Registrierkasse zu. Dies kann auch damit zu begründen sein, dass die Umstellung der Datumsumschaltzeit grundsätzlich nicht im Programmausdruck der von der Klägerin eingesetzten elektronischen Registrierkasse vermerkt wird. Schließlich ist das für die Bondrucker-Software unter dem Punkt „BonProgZeit“ aufgeführte Datum 20.3.1997 – nach Auskunft der Kläger in der mündlichen Verhandlung – darauf zurückzuführen, dass zu diesem Zeitpunkt die Kasse in Betrieb genommen wurde. Einen Rückschluss auf die Programmierung der Datumsumschaltzeit lässt diese Angabe mithin nicht zu.
84Schließlich ist für den Senat nicht ersichtlich, welchen Einfluss die Umstellung der Datumsumschaltzeit auf die formelle Ordnungsmäßigkeit oder sachliche Richtigkeit der Buchführung haben soll. Einen Einfluss auf die (fortlaufende) Nummerierung der Z-Bons hat die Umprogrammierung der Datumsumschaltzeit nicht. Ein Einfluss auf die Höhe der insgesamt erfassten Einnahmen ist aufgrund der Umprogrammierung der Datumsumschaltzeit ebenfalls nicht erkennbar. Außerdem lässt die fehlende Dokumentierung der modifizierten Datumsumschaltzeit in den Kassenprogrammausdrucken auch nicht die Feststellung zu, dass die elektronische Registrierkasse der Klägerin manipuliert wurde.
85Auch die in diesem Zusammenhang zwischen den Beteiligten diskutierte Frage, ob die Klägerin eine elektronische Registrierkasse des Modells Inka 200 oder Inka 250 nutzte, wirkt sich auf die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht aus. Der Kassenaufsteller hat bescheinigt, dass bei der Klägerin seit 2005 eine elektronische Registrierkasse des Modells Inka 200 im Einsatz ist. Die zugehörige Betriebsanleitung beziehe sich auf die Modelle Inka 200 und Inka 250. Eine Bezeichnung der elektronischen Registrierkasse der Klägerin als Modell Inka 250 sei versehentlich erfolgt.
86Wenn eine Bedienungsanleitung, Kassenprogrammausdrucke (Programmierprotokolle) und Bescheinigungen des Kassenaufstellers über nicht in den Kassenprogrammausdrucken dokumentierten Programmierungen vorliegen, dann obliegt es der Finanzbehörde, substantiiert vorzutragen, aufgrund welcher fehlenden Unterlagen es an ordnungsmäßigen Aufzeichnungen über die Programmierung einer elektronischen Registrierkasse fehlt. Im Rahmen der Betriebsprüfung müssen die Programmierunterlagen vorgelegen haben, denn in der Prüferhandakte befinden sich eine Kopie der Bedienungsanleitung zu der genutzten elektronischen Registrierkasse sowie Ausdrucke des Kassenprogramms vom 14.4.2010, 15.4.2010, 18.4.2010, 16.2.2011, 19.11.2011 und 12.6.2012. Außerdem hat der Kassenaufsteller bescheinigt, dass der Datumsumsprung am 14.4.2010 von 0:00 Uhr auf 1:00 Uhr umprogrammiert wurde. Soweit der Beklagte darüber hinaus geltend macht, dass Programmierprotokolle nicht vorliegen, mangelt es an einem substantiierten Vortrag. Dass Programmierprotokolle in der Betriebsprüfung und dem Klageverfahren vorgelegen haben, geht aus den Akten hervor. Wenn der Beklagte trotzdem vorträgt, dass Programmierprotokolle fehlen, muss er substantiiert darlegen, um welche Protokolle es sich hierbei handeln soll.
87d) Weiter führt die zeitlich nicht korrekte Verbuchung der Bons 1002 und 1003 nicht zu einer ordnungswidrigen Buchführung. Es handelt sich um einen Vorfall innerhalb des Prüfungszeitraums, der drei Veranlagungszeiträume/Kalenderjahre umfasst. Weiter hat die Betriebsprüfung keine Auswirkung auf das materielle Ergebnis der Buchführung festgestellt.
88Vor diesem Hintergrund kommt diesem Mangel nur ein unerhebliches formelles und sachliches Gewicht zu.
89e) Außerdem führt die von der Klägerin genutzte Funktion „Tisch reaktivieren“ nicht zu einer ordnungswidrigen Buchführung.
90Nach der in der Betriebsprüfungsakte des Beklagten enthaltenen Bedienungsanleitung führt die Funktion „Tisch reaktivieren“ zu einer Rückgängigmachung der letzten Abrechnung eines Tisches. Dies ist nur möglich, solange auf den Tisch noch nicht wieder zugegriffen wurde. Mit dieser Funktion kann ein abgerechneter Tisch, auf den noch nicht wieder zugegriffen wurde, mit dem ursprünglichen Saldo wieder aufgerufen und alle Tischposten wieder reaktiviert werden.
91Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass es allein durch diese Funktion („Tisch reaktivieren“) zu (unerkannten) Stornierungen kommt. Die Funktion dient (lediglich) dazu, einen bereits abgerechneten Tisch, auf den noch nicht wieder zugegriffen wurde, zu reaktivieren. Ein denkbarer Anwendungsfall könnte derjenige sein, den die Klägerin in der Klagebegründung schildert. Eine Reaktivierung komme hiernach in Betracht, wenn nach der Abrechnung eines Tischs noch Rückfragen der Kunden zu klären sind.
92Die Feststellung der Betriebsprüferin, dass am 28.5.2011 neben dem Tagesbericht mit „reaktiviertem Tisch“ auch eine Journalrolle vorliege, nach der mit der Reaktivierung eine Stornierung von Umsätzen erfolgt sei, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass mit einer Reaktivierung zugleich eine nicht als solche dokumentierte Stornierung erfolgt. Im Gegenteil: Der Ausweis eines „reaktivierten Tisches“ und der Ausweis einer Stornierung zeigen, dass es sich um unterschiedliche Vorgänge handelt. Im Übrigen ist dieser Vorfall nach seinem sachlichen Gewicht unerheblich. Es handelt sich um lediglich einen Geschäftsvorfall in einem drei Veranlagungszeiträume/Kalenderjahre umfassenden Prüfungszeitraum und einen Umsatz i. H v. 53,10 €. Ein struktureller bzw. systematischer Mangel der Buchführung lässt sich hieraus nicht ableiten.
93f) Soweit die Klägerin im Rahmen von Sonderveranstaltungen offene Ladenkassen eingesetzt und keine täglichen Kassenberichte auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens der Bareinnahmen erstellt hat, liegt keine ordnungsmäßige Buchführung vor. Ein solcher Buchführungsmangel hat erhebliches Gewicht (vgl. zum Erfordernis täglicher Kassenberichte im Falle einer offenen Ladenkasse: BFH-Urteil vom 20.3.2017 X R 11/16, BFHE 258, 272 Rz. 38 ff.).
94Bei Einsatz mehrerer Kassen wirken sich Mängel beim Einsatz einer Kasse aufgrund der insoweit gebotenen kassenscharfen Betrachtungsweise grundsätzlich nicht auf die anderen eingesetzten Kassen aus. Vielmehr sind die Mängel kassenscharf zu betrachten und differenziert zu gewichten (vgl. BFH-Beschluss vom 26.2.2018 X B 53/17, BFH/NV 2018, 82, Rz. 13). Der hinsichtlich der bei den Sonderveranstaltungen eingesetzten offenen Ladenkassen vorliegende Buchführungsmangel wirkt sich demzufolge nur auf die Kassenführung der offenen Ladenkassen bei Sonderveranstaltungen aus. Nur bei den Sonderveranstaltungen und nicht in ihrem regulären Gaststättenbetrieb setzte die Klägerin offene Ladenkassen ein und erstellte keine Kassenberichte auf der Grundlage eines täglichen Auszählens der Bareinnahmen. Außerdem setzte die Klägerin bei den Sonderveranstaltungen nicht ausschließlich offene Ladenkassen, sondern bei den umfangreicheren, wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Sonderveranstaltungen zusätzlich auch elektronische Registrierkassen ein.
95Der Betriebsprüfungsbericht enthält keine Feststellungen zu den allein mit diesen Sonderveranstaltungen erwirtschafteten Umsätzen. Nach der Aufteilung der Umsätze in den mit dem Jahresabschlüssen eingereichten Kontennachweisen erwirtschaftete die Klägerin mit Umsätzen „Außer Haus“ in 2011 39.388,27 € und in 2012 35.840,65 €. Nach der im Klageverfahren durch die Kläger vorgelegten Übersicht der mit den Sonderveranstaltungen erwirtschafteten Umsätze hat die Klägerin mit den Sonderveranstaltungen in 2011 insgesamt 36.181,85 €, in 2012 insgesamt 40.650,40 € und in 2013 insgesamt 46.652,50 € erwirtschaftet.
962. Der Senat nimmt im Rahmen seiner Schätzungsbefugnis Hinzuschätzungen zum Nettoumsatz und zum Gewinn in Höhe von 2.000,- € pro Streitjahr vor.
Angesichts der nicht ordnungsmäßigen Buchführung hinsichtlich der Gutscheine und der bei Sonderveranstaltungen eingesetzten offenen Ladenkassen und der insoweit dem Grunde nach bestehenden Schätzungsbefugnis, die sich nicht auf die gesamte klägerische Buchführung bezieht, sondern abgrenzbare Teile der Einnahmen betrifft (hierzu 1., insbesondere unter Buchst. f)), nimmt der Senat niedrigere als vom Beklagten vorgenommene Hinzuschätzungen vor. Die den Hinzuschätzungen des Beklagten zugrundeliegende überschlägige Getränkekalkulation bezieht sich nicht nur auf die von den festgestellten Buchführungsmängeln betroffenen Sonderveranstaltungen, sondern auf den gesamten Gewerbebetrieb.
99Zwar hat die Prüferin im Rahmen der Betriebsprüfung auch eine überschlägige Getränkekalkulation für eine der Sonderveranstaltungen durchgeführt („xyz“, 2011 - 2013) und ist insoweit zu Kalkulationsdifferenzen gelangt. Allerdings kann auch diese überschlägige Getränkekalkulation nicht einer Hinzuschätzung zugrunde gelegt werden. Sie berücksichtigt nicht, dass die im Rahmen dieser Veranstaltung übrig gebliebenen Getränke zum Teil nicht an den Getränkelieferanten zurückgegeben, sondern in der klägerischen Gaststätte verkauft wurden. Allein das Vorliegen von Belegen des Getränkehändlers, wonach dieser Getränke zurückgenommen hat, schließt es nicht aus, dass bei Sonderveranstaltungen übrig gebliebene Getränke im Pub verkauft wurden. Zudem haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung plausibel erläutert, dass es auch dann zu Getränkerücknahmebelegen kam, wenn bestellte Waren gar nicht erst angenommen wurden, z.B. wegen schlechten Wetters. Eine überschlägige Getränkekalkulation auf Grundlage der Rechnungen des Getränkelieferanten kann somit zu keinem realitätsnahen Ergebnis führen.
100Da eine Ausbeutekalkulation hinsichtlich der von der Klägerin durchgeführten Sonderveranstaltungen somit einer Schätzung nicht zugrunde gelegt werden kann, verbleibt mangels weiterer nach Aktenlage anwendbarer Schätzungsmethoden lediglich der Ansatz von Sicherheitszuschlägen.
101Zwar hat der vorliegend festgestellte Buchführungsmangel hinsichtlich der offenen Ladenkassen erhebliches Gewicht. Bei den Sonderveranstaltungen wurden (ausschließlich) Bareinnahmen erzielt und (auch) offene Ladenkassen eingesetzt. Das Fehlen von täglichen Kassenberichten ist in diesem Zusammenhang als erheblicher Verstoß gegen die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung anzusehen. Allerdings wirkt sich der Buchführungsmangel nur insoweit aus, als offene Ladenkassen tatsächlich eingesetzt wurden. Bei den größeren, wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Sonderveranstaltungen nutzte die Klägerin auch elektronische Registrierkassen und nicht ausschließlich offene Ladenkassen.
102Vor diesem Hintergrund – und unter Berücksichtigung des sachlich lediglich in geringem Umfang ins Gewicht fallenden Mangels hinsichtlich der Behandlung von Gutscheinen – sieht der Senat Sicherheitszuschläge auf die Umsätze i. H. v. 2.000 € p. a. als gerechtfertigt an. Vor dem Hintergrund der von der Klägerin erklärten Umsätze erscheint dieser jährliche Sicherheitszuschlag als plausibel und wirtschaftlich realistisch.
103II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 AO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.