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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über eine Erfassung von Bareinzahlungen als steuerpflichtige Einkünfte im Streitjahr 2017.
3Die Klägerin ist geschieden. Im Streitjahr erzielte sie (unstreitig) gewerbliche Einkünfte und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
4Die Klägerin ist als Einzelunternehmerin tätig. In früheren Jahren führte sie das Einzelunternehmen G-Verlag. Aus diesem Gewerbebetrieb resultierten Verluste. Darüber hinaus war die Klägerin als Einzelunternehmerin mit einem Gewerbe als Vermögens- und Finanzberaterin tätig. In den Vorjahren ermittelte sie ihren Gewinn als Finanzberaterin durch Bestandsvergleich nach den §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –; die letzte vorliegende Bilanz ist die zum 31.12.2012 aufgestellte Bilanz. Auch aus dieser Tätigkeit resultierten in früheren Jahren Verluste aufgrund von sog. Stornohaftungen aus der Vermittlung von Versicherungsverträgen. Mit Gesellschaftsvertrag vom xx.xx.2010 gründete die Klägerin die im Handelsregister des Amtsgerichts M-Stadt unter HRB yyy eingetragene L-UG (haftungsbeschränkt) (im Folgenden: „UG“). Alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der UG war die Klägerin. ... Ihr Einzelunternehmen der Vermögens- und Finanzberatung betrieb die Klägerin weiterhin, und zwar auch im Streitjahr.
5Am xx.12.2010 wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Ausweislich eines Insolvenzgutachtens des Herrn Rechtsanwalt T. vom xx.12.2010 bestanden für die Klägerin bei Insolvenzeröffnung ungedeckte Verbindlichkeiten i.H.v. 436.150,30 € bei einer frei erzielbaren Masse von 1.004,- €. Mit Beschluss vom xx.xx.2014 xxx hob das Amtsgericht E-Stadt das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin mangels zu verteilender Masse ohne Schlussverteilung auf. Mit Beschluss vom xx.1.2017 wurde der Klägerin die Restschuldbefreiung gemäß § 300 der Insolvenzordnung – InsO – erteilt.
6Bereits am 15.12.2010 hatte die Klägerin als Darlehensnehmerin mit der UG als Darlehensgeberin einen Darlehensvertrag geschlossen. Bis zum Ende des Jahres 2011 zahlte die UG an die Klägerin einen Darlehensbetrag von 42.042,52 € aus, im Jahr 2012 weitere 15.248 €, im Jahr 2013 weitere 44.689 € und im Jahr 2014 weitere 47.048 €. Auch in den Jahren 2015 bis 2018 erhielt die Klägerin von der UG Darlehensauszahlungen. Ab 2015 kam es zu teilweisen Rückzahlungen. Nach der Buchführung der UG valutierte das Darlehen zum 31.12.2015 mit 157.065,01 €, zum 31.12.2016 mit 118.525,65 €, zum 31.12.2017 mit 61.390,62 € und zum 31.12.2018 mit 82.261,72 €. In Bezug auf diese Darlehensauszahlungen kam es zwischen den Beteiligten zu Streitigkeiten, da der Beklagte von verdeckten Gewinnausschüttungen ausging. Für das Jahr 2012 hat der Senat durch Urteil vom 9.6.2021 13 K 668/19 E hierüber entschieden.
7Am 23.2.2017 zahlte die Klägerin einen Betrag von insgesamt 70.000 € in bar auf ihr bei der Bank E geführtes Konto mit der Nr. xxx ein, und zwar in zwei Teilbeträgen von 45.000 € und 25.000 €. Dieses Konto war in der letzten dem Senat vorliegenden Bilanz des Einzelunternehmens der Klägerin zum 31.12.2012 als betriebliches Konto ausgewiesen und wurde ausweislich in den Akten befindlicher Kontoauszüge im Streitjahr sowohl für private als auch für betriebliche Zwecke verwendet, etwa für die Vereinnahmung von Provisionsumsätzen. Von dem eingezahlten Guthaben überwies die Klägerin noch am gleichen Tage einen Betrag i.H.v. 35.200 € an die UG mit dem Verwendungszweck „Rückzahlung Darlehen L-UG“. Einen weiteren Betrag von 6.301,08 € zahlte sie später an das Finanzamt E-Stadt unter Angabe ihrer früheren Steuernummer xxx.
8Die Bank E erstattete am 28.2.2017 eine Geldwäscheverdachtsanzeige gem. § 11 des Geldwäschegesetzes – GWG –. In der Anzeige gab die Bank an, die Klägerin habe sich im Vorfeld der Bareinzahlung bei dem zuständigen Bankberater informiert, ab welchem Betrag bei Bareinzahlungen ein „Formular“ ausgefüllt werden müsse. Der Bankberater habe ihr gesagt, dass grundsätzlich kein „Formular“ ausgefüllt werde. Auf Nachfrage, woher das Bargeld stamme, habe die Klägerin angegeben, dass sie sich privat einen Kredit geliehen habe. Mit dem Geld habe sie private und geschäftliche Schulden begleichen wollen, so die Bank in der Anzeige.
9Das Landeskriminalamt NRW prüfte die Anzeige und leitete sie an die Staatsanwaltschaft E-Stadt weiter. Diese eröffnete ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche unter dem Az. xxx, gab die Sache an das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung C-Stadt (im Folgenden: „STRAFA-FA“) ab und stellte das Strafverfahren am 1.6.2017 gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung – StPO – ein. Das STRAFA-FA leitete ein Ermittlungsverfahren ein und übersandte am 26.6.2017 seine Informationen an den Beklagten im Wege einer Kontrollmitteilung.
10Der Beklagte begann im April 2018 mit Sachverhaltsermittlungen und versandte am 13.4.2018 an die Klägerin ein Schreiben mit der Bitte um Aufklärung und Übersendung von Unterlagen und Nachweisen u.a. dazu, wer das Darlehen gewährt habe (Name und Anschrift) und welche Konditionen dem Darlehen zugrunde lägen. Daraufhin antwortete die Steuerberaterin der Klägerin mit Schreiben vom 18.6.2018, bei den Bareinzahlungen auf dem Konto der Klägerin handele es sich um ein Darlehen von privater Seite. Die Klägerin werde den Namen des Kreditgebers aus Gründen des Identitätsschutzes nicht nennen. Wörtlich führte die Steuerberaterin aus:
11„Es handelt sich um einen bekannten, im …bereich tätigen Herrn, ausländischer Staatsangehörigkeit (kein EU-Mitgliedstaat), mit dem sie privat befreundet ist. Der Mann besitzt auch in seinem Heimatland umfangreichen Schutz seiner Identität und Privatsphäre.
12Es besteht nur ein mündlicher Kreditvertrag, der Zinssatz wurde mit 2,5 % vereinbart. Die monatliche Kreditrate von 1.000,00 € wird ebenfalls in bar beglichen, wenn der Kreditgeber Frau L. besucht bzw. umgekehrt. Auf die Stellung von Sicherheiten wurde vorerst verzichtet, obwohl diese in Form einer Bürgschaft seitens meiner Mandantin angeboten wurde. Der Bürge ist ein Herr deutscher Staatsangehörigkeit und würde den Sachverhalt auch schriftlich bezeugen.
13Bisher wurden 16.000 € zurückgezahlt, somit beträgt das Restdarlehen noch 54.000 €. Die Zinsen werden nach Tilgung berechnet und gesondert gezahlt werden.“
14Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 18.6.2018 verwiesen.
15Mit Schreiben vom 4.7.2018 forderte der Beklagte die Klägerin gem. § 160 der Abgabenordnung – AO – und gem. §§ 3, 4 GWG auf, den Kreditgeber/Gläubiger genau zu benennen (Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Anschrift). Er wies darauf hin, dass der Schutz der Persönlichkeitsrechte und somit der Schutz vor Offenbarung der Daten grundsätzlich durch § 30 AO und § 47 GWG gewährleistet sei. Darüber hinaus bat der Beklagte um Angabe, wann das Darlehen tatsächlich ausgezahlt und ab wann es getilgt worden sei. Er erläuterte, dass jede Person, die mit Barmitteln im Gesamtwert von 10.000 € oder mehr aus einem Drittland nach Deutschland einreise, diesen Betrag bei der Ein- oder Ausreise unaufgefordert bei der zuständigen deutschen Zollstelle schriftlich anmelden müsse. Daher bat er um Übersendung einer Kopie der Zollbestätigung. Weiter erklärte er, dass bei dem vorliegenden Auslandssachverhalt eine erhöhte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO bestehe und im Falle der Nichtbenennung des Namens des Kreditgebers von im Jahr 2017 erzielten steuerpflichtigen Einkünften auszugehen sei.
16Mit Schreiben vom 28.8.2018 antwortete die Klägerin und versicherte ihre Auskünfte an Eides statt. Sie erklärte, den Kredit habe sie von ihrem zukünftigen Ehemann erhalten, einem weltweit tätigen „britischen …“. Dieser Mann besitze in seinem Heimatland absoluten Schutz seiner Identität und Privatsphäre, damit der Schutz seiner Person und seines Lebens gewährleistet sei. Die insgesamt 70.000 € habe sie in mehreren Beträgen erhalten, die alle „deutlich unter 10.000 €“ gelegen hätten. Daher habe keine Pflicht bestanden, das Geld bei den deutschen Zollbehörden zu deklarieren. Sie tilge das mit 2,5 % verzinste Darlehen seit Anfang März 2017 in monatlichen Raten zu 1.000 € in bar. Das Geld werde vom Geschäftskonto der UG abgehoben. Auf die Gestellung von Sicherheiten habe ihr Verlobter verzichtet, obwohl sie ihm eine Bürgschaft angeboten habe. Inzwischen seien 18.000 € getilgt worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die eidesstattliche Versicherung vom 28.8.2018 verwiesen.
17In einem am 6.11.2018 an Amtsstelle geführten Gespräch gab die Klägerin an, dass Herr H. N. als Bürge zur Verfügung gestanden habe. Sie legte in diesem Gespräch zudem Kontoauszüge der UG für die Jahre 2017 und 2018 vor, aus denen sich verschiedene Barabhebungen ergaben. Wegen der Einzelheiten wird hierauf verwiesen.
18In einem weiteren Schreiben vom 5.11.2018 erläuterte die Klägerin, bei den von dem Geschäftskonto der UG monatlich abgehobenen 1.000 € handele es sich nicht um ein erneutes von der UG an sie – die Klägerin – ausgereichtes Darlehen, sondern um Zahlungen der UG auf ihren monatlichen Gehaltsanspruch als Geschäftsführerin der UG. Mit demselben Schreiben legte die Klägerin eine eidesstattliche Versicherung des Herrn H. N. vom 5.11.2018 vor, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Die Identität des Kreditgebers verschwieg sie weiterhin „aus Sicherheit für sein Wohl und Leben“.
19Die Klägerin gab für das Streitjahr 2017 am 31.12.2018 ihre Einkommensteuererklärung ab. Für ihr Einzelunternehmen ermittelte sie einen Jahresüberschuss vom 8.917,58 €.
20Der Beklagte gelangte im Veranlagungsverfahren zu der Auffassung, bei den 70.000 € handle es sich um steuerpflichtige Einkünfte. Die Herkunft der Bareinzahlungen vom 23.2.2017 sei nicht geklärt. Die vorgelegten Unterlagen zu einem Darlehen eines privaten Kreditgebers, den die Klägerin aus Gründen des Identitätsschutzes nicht benennen wolle, reichten als Nachweis nicht aus. Auch die für das Jahr 2018 vorgelegten Kontoauszüge, welche belegen sollten, dass das Darlehen zurückgezahlt worden sei, hätten lediglich die Abhebung von Bargeld ausgewiesen. Ein Zusammenhang mit monatlichen Darlehensrückzahlungen könne hierdurch nicht hergestellt werden.
21Mit Bescheid vom 22.5.2019 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 2017 auf 26.263 € fest. Bei den Besteuerungsgrundlagen berücksichtigte er sonstige Einkünfte i.H.v. 70.000 €. Die übrigen Einkünfte der Klägerin im Jahr 2017 betrugen 13.329 €, und zwar Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 4.412 € und gewerbliche Einkünfte i.H.v. 8.917 €. Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO.
22Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 26.6.2019 Einspruch ein.
23Mit Einspruchsentscheidung vom 7.10.2019 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Dies begründete er damit, die Klägerin sei ihren Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 1 AO nicht nachgekommen. Bei einem Sachverhalt mit Auslandsbezug treffe den Steuerpflichtigen gem. § 90 Abs. 2 AO eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Diese Pflicht habe die Klägerin nicht erfüllt. Zudem sei sie dem auf § 160 Abs. 1 AO gestützten Verlangen, den beteiligten Kreditgeber zu benennen, nicht nachgekommen. Sie habe die Identität des Darlehensgebers nicht benannt. Dies führe dazu, dass Zuflüsse bzw. Einnahmen als Einkünfte angesetzt werden könnten. Die Klägerin habe auch keinen Nachweis über die Erfüllung der Meldepflicht gegenüber dem Zoll aufgrund der Auslandssachverhalte erbracht. Außerdem habe sie keine Nachweise über die tatsächlich erfolgten Darlehenszahlungen und Rückzahlungen, z.B. in Form von Kontoauszügen vorgelegt. Die eingereichten Kontoauszüge beträfen lediglich Geldabgänge bei der UG.
24Daraufhin hat die Klägerin am 30.10.2019 Klage erhoben, mit der sie begehrt, den Betrag von 70.000 € nicht als steuerpflichtige Einkünfte zu erfassen.
25Zur Begründung ihrer Klage trägt sie vor, die Feststellungslast für steuerpflichtige Einkünfte liege gemäß § 8 des Körperschaftsteuergesetzes – KStG – beim Beklagten. Von diesem sei auch die gesellschaftsrechtliche Veranlassung zu beweisen. Unter Berücksichtigung des Maßstabs eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters könne im Streitfall keine verdeckte Gewinnausschüttung angenommen werden. Zudem habe sie – die Klägerin – die Bedingungen der Darlehensgewährung zweifelsfrei dargelegt und durch eidesstattliche Versicherungen nachgewiesen.
26Weiterhin weist die Klägerin darauf hin, dass es in ihrem Gewerbe faktisch unmöglich sei, Schwarzgeld in bar zu vereinnahmen.
27Im Nachgang zu einem am 3.9.2020 vom Berichterstatter des Senats durchgeführten Erörterungstermin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 30.10.2020 eine handschriftliche Bestätigung des „Darlehensgebers“ vom 12.10.2020 in englischer Sprache und deutscher Übersetzung vorgelegt. Der „Darlehensgeber“ bestätigt hierin u.a., ein Darlehen i.H.v. 70.000 € an die Klägerin ausgereicht zu haben. Er erklärt, seine Gesundheit zwinge ihn, seit Januar 2018 in einer Klinik isoliert zu sein. Es sei nicht absehbar, wann er die Klinik verlassen könne. Daher stehe er für weitere Bestätigungen und Auskünfte nicht zur Verfügung. Ein vollständiger Name des Darlehensgebers sowie seine Adresse waren nicht angegeben. Der handschriftliche Schriftzug könnte „L. X.“ bedeuten.
28Die Klägerin beantragt,
29den Einkommensteuerbescheid vom 22.5.2019 für 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.10.2019 zu ändern und die erfassten Einkünfte um 70.000 € zu vermindern.
30Der Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Er verweist auf seine Einspruchsentscheidung. Weiterhin meint er, die Klägerin habe die ihr obliegende Darlegungs- und Beweislast nicht erfüllt.
33Der Berichterstatter des Senats hat am 3.9.2020 einen Erörterungstermin, der Senat am 9.6.2021 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Protokolle verwiesen.
34Entscheidungsgründe:
35Die Klage ist unbegründet.
36I. Der Einkommensteuerbescheid vom 22.5.2019 für 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.10.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Beklagte hat den Betrag i.H.v. 70.000 € zu Recht der Besteuerung unterworfen.
371. Die Erfassung der Bareinzahlungen i.H.v. 70.000 € als steuerpflichtige Einkünfte kann entgegen der Auffassung des Beklagten allerdings nicht auf das sog. Benennungsverlangen gem. § 160 AO in dessen Schreiben vom 4.7.2018 gestützt werden.
38Gem. § 160 Abs. 1 Satz 1 AO sind Schulden und andere Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und andere Ausgaben steuerlich regelmäßig nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde nicht nachkommt, die Gläubiger oder die Empfänger genau zu benennen. Nach dem klaren und eindeutigen Gesetzeswortlaut setzt § 160 Abs. 1 Satz 1 AO voraus, dass Schulden oder andere Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten oder andere Ausgaben vorliegen, die steuerlich abziehbar sind; § 160 AO ist hingegen keine Schätzungsnorm (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 24.6.1997 VIII R 9/96, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 183, 358, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1998, 51, Rz. 22). Damit kann aus der unzureichenden Beantwortung eines Benennungsverlangens lediglich eine Verminderung von steuermindernden Abzugspositionen, nicht aber eine Erhöhung von Einnahmen gefolgert werden.
39Die weitere Frage, ob der Beklagte im Benennungsverlangen vom 4.7.2018 sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat (dazu Schuster in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 160 AO Rz. 14 und 24), kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.
402. Der Beklagte hat bei der Veranlagung der Klägerin zu Recht steuerpflichtige Einkünfte i.H.v. 70.000 € der Besteuerung zugrunde gelegt, weil die Voraussetzungen für eine Schätzung gem. § 162 AO vorlagen und die Höhe der Schätzung nicht zu beanstanden ist.
41Gem. § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Hierbei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind, § 162 Abs. 1 Satz 2 AO. Zu schätzen ist gem. § 162 Abs. 2 Satz 1 AO u. a. dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt.
42a) Der Beklagte war nicht deshalb daran gehindert, die Einnahmen in Höhe von 70.000 € der Besteuerung zugrunde zu legen, weil er sich zur Begründung vornehmlich auf § 160 Abs.1 Satz 1 AO gestützt hat. Denn zum einen hat er die Klägerin mit dem Schreiben vom 4.7.2018 auch unter Berufung auf § 90 Abs. 2 AO zur Aufklärung des Sachverhaltes aufgefordert, zum anderen genügt es, dass die Voraussetzungen der Schätzung erfüllt waren. Im Übrigen kann der Senat von seiner eigenen Schätzungsbefugnis gem. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO Gebrauch machen.
43b) Die Voraussetzungen für eine Schätzung lagen vor.
44Die Klägerin hat gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 AO über ihre Angaben keine ausreichenden Aufklärungen gegeben und im Übrigen ihre Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt.
45Gem. § 90 Abs. 1 Satz 1 AO sind die Beteiligten zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet. Sie kommen der Mitwirkungspflicht gem. § 90 Abs. 1 Satz 2 AO insbesondere dadurch nach, dass sie die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen und die ihnen bekannten Beweismittel angeben. Ist ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, der sich auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereichs der AO bezieht, so haben die Beteiligten gem. § 90 Abs. 2 Satz 1 AO diesen Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Sie haben dabei gem. § 90 Abs. 2 Satz 2 AO alle für sie bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.
46Die Klägerin hat in Bezug auf die Bareinzahlung des Betrags von insgesamt 70.000 € am 23.2.2017 auf ihr Konto bei der Bank E diesen Verpflichtungen nicht entsprochen. Der Senat leitet dies aus den folgenden Umständen ab:
47aa) Die Klägerin behauptet, es habe sich bei dem genannten Betrag um ein Darlehen gehandelt. Sie hat aber den Darlehensgeber nicht benannt. Damit hat sie die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen nicht vollständig offengelegt. Für die steuerliche Behandlung eines Darlehens ist es von entscheidender Bedeutung, wer der Darlehensgeber ist. Denn sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht müssen durch namentliche Benennung des Darlehensgebers in die Lage versetzt werden, den Sachverhalt aufzuklären, etwa indem sie den Darlehensgeber befragen.
48Handelt es sich – wie es im Streitfall nach dem Vorbringen der Klägerin der Fall sein soll – um einen im Ausland ansässigen Darlehensgeber, ergibt sich die Aufklärungspflicht der Klägerin zudem aus § 90 Abs. 2 Satz 1 AO. Aufgrund ihrer Pflicht, gem. § 90 Abs. 2 Satz 2 AO alle rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, kann auf eine Benennung des im Ausland ansässigen Darlehensgebers nicht verzichtet werden.
49Die Pflicht zur Benennung des Darlehensgebers hat die Klägerin während des gesamten Verwaltungs- und Klageverfahrens nicht erfüllt. Auch aus der mit Schriftsatz vom 30.10.2020 vorgelegten handschriftlichen Bestätigung des Darlehensgebers vom 12.10.2012 ergibt sich nicht dessen Identität. Ein vollständiger Name war auf der Bestätigung ebenso wenig angegeben wie eine Adresse. Der handschriftliche Schriftzug „L. X.“ lässt keine hinreichenden Rückschlüsse auf die Identität der Person zu. Weitere Ermittlungen zur Person des Darlehensgebers waren nicht möglich, denn die Klägerin hat es ausdrücklich abgelehnt, weitere Angaben zur Identität des Darlehensgebers zu machen, und der Darlehensgeber hat mitgeteilt, für weitere Auskünfte nicht zur Verfügung zu stehen.
50Dabei kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, bei dem Darlehensgeber handele es sich um ihren zukünftigen Ehemann und dieser Mann besitze in seinem Heimatland absoluten Schutz seiner Identität und Privatsphäre. Der Schutz der Identität und Privatsphäre wird im Besteuerungs- und Klageverfahren durch § 30 AO gewährleistet. Vor diesem Hintergrund entbindet eine eventuelle Notwendigkeit, die Person und deren Privatsphäre zu schützen, die Klägerin jedenfalls nicht von ihren Pflichten gem. § 90 Abs. 1 und 2 AO. Ihre Weigerung, unter Hinweis auf den Schutz der Identität und der Privatsphäre des Darlehensgebers dessen Identität zu benennen, führt dazu, dass sie ihre Pflichten gem. § 90 Abs. 1 und 2 AO verletzt. Damit sind die Voraussetzungen für eine Schätzung gem. § 162 Abs. 2 Satz 1 AO eröffnet und die Klägerin hat die steuerlichen Folgen dieser Schätzung zu tragen.
51bb) Die Klägerin hat darüber hinaus auch deshalb gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 AO über ihre Angaben keine ausreichenden Aufklärungen gegeben, weil ihr Vortrag widersprüchlich war.
52Die Steuerberaterin der Klägerin hat mit Schreiben vom 18.6.2018 erklärt, bei dem Kreditgeber handele es sich um einen „im …bereich tätigen Herrn, ausländischer Staatsangehörigkeit (kein EU-Mitgliedstaat), mit dem sie privat befreundet ist.“ Nach dem Schreiben der Klägerin vom 28.8.2018 soll es sich demgegenüber um einen „britischen“ … handeln. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Schreibens gehörte das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland noch zur Europäischen Union. Demnach hätte es sich um einen EU-Bürger gehandelt. Da sich die Klägerin den Inhalt des Schreibens ihrer Steuerberaterin vom 18.6.2018 zurechnen lassen muss, sind die Schreiben vom 18.6.2018 und vom 28.8.2018 widersprüchlich.
53Darüber hinaus hat die Klägerin auch deshalb gem. § 162 Abs. 2 Satz 1 AO keine hinreichenden Angaben gemacht, weil der angebliche Darlehensgeber bzw. die Klägerin nach ihrer Darstellung Barbeträge i.H.v. 70.000 € ohne Anmeldung bei der zuständigen Zollstelle nach Deutschland eingeführt haben wollen. Hierbei hat die Klägerin jedoch erst, nachdem sie vom Beklagten durch das Schreiben vom 4.7.2018 auf die Notwendigkeit einer Zollanmeldung hingewiesen worden war, mit ihrem Schreiben vom 28.8.2018 erklärt, es habe sich stets um Beträge „deutlich unter 10.000 €“ gehandelt. Zu der Frage, auf welche Weise und unter welchen praktischen Umständen diese Beträge tatsächlich nach Deutschland eingeführt worden sein sollen, ist die Klägerin weitere Erklärungen schuldig geblieben.
54cc) Der Vortrag der Klägerin genügt auch deshalb nicht den Anforderungen des § 162 Abs. 2 Satz 1 AO, weil die Klägerin die angeblichen Darlehensrückzahlungen i.H.v. 16.000 € (Stand des Schreibens vom 18.6.2018) bzw. 18.000 € (Stand des Schreibens vom 28.8.2018) nicht nachgewiesen hat. Sie hat lediglich Kontoauszüge der UG vorgelegt, welche Barabhebungen auswiesen. Daraus ergibt sich nicht, dass mit den Barabhebungen Tilgungsleistungen in Höhe von monatlich 1.000 € auf das angebliche Darlehen erbracht worden sind.
55Selbst wenn hiermit Tilgungsleistungen erbracht worden sein sollten, würde es sich um eine Tilgung durch die UG und nicht durch die Klägerin als Darlehensnehmerin handeln. Der Senat vermag auch nicht dem Vortrag der Klägerin aus ihrem Schreiben vom 5.11.2018 zu folgen, es habe sich jeweils um eine Vorauszahlung auf die Geschäftsführervergütung gehandelt. Da die Klägerin im Jahr 2017 ausweislich des angefochtenen Bescheids, der insoweit von der Klägerin nicht beanstandet worden ist, lediglich über Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 4.412 € und gewerbliche Einkünfte i.H.v. 8.917 € verfügte, ist nicht erkennbar, in welcher Weise die Klägerin angesichts anfallender Lebenshaltungskosten aus diesen Einkünften monatliche Beträge von 1.000 € auf das Darlehen hätte zurückzahlen können.
56c) Die steuerpflichtigen Einkünfte sind der Höhe nach mit 70.000 € zu schätzen.
57aa) Nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (BFH-Urteil vom 15.7.2014 X R 42/12, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2015, 145, Rz. 21; BFH-Beschluss vom 28. 3.2001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217, m.w.N.). Jede Schätzung hat zum Ziel, Besteuerungsgrundlagen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ermitteln, wenn eine sichere Tatsachenfeststellung trotz des Bemühens um Aufklärung nicht möglich ist (BFH-Urteil vom 15.7.2014 X R 42/12, BFH/NV 2015, 145, Rz. 60;vom 2.2.1982 VIII R 65/80, BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige bei der Einzahlung von Mitteln auf ein betriebliches oder auf ein sowohl betrieblich wie privat genutztes Konto bei der Prüfung der Frage, ob steuerpflichtige Einnahmen oder nicht steuerpflichtige Vermögenszugänge (insbesondere Darlehen oder Einlagen) vorliegen, wegen der von ihm selbst hergestellten Verbindung zwischen Privat- und Betriebsvermögen verstärkt zur Mitwirkung verpflichtet ist. Das Finanzamt bzw. das Finanzgericht kann bei Verletzung dieser Pflicht den Sachverhalt ohne weitere Sachaufklärung dahin würdigen, dass in Höhe der unaufgeklärten Kapitalzuführungen nicht versteuerte Einnahmen vorliegen (vgl. etwa BFH-Urteile vom 15.2.1989 X R 16/86, BStBl II 1989, 462 und vom 28.1.2009 X R 20/05, BFH/NV 2009, 912; BFH-Beschluss vom 4.12.2001 III B 76/01, BFH/NV 2002, 476).
58bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, denen sich der Senat anschließt, geht der Senat im Wege der Schätzung davon aus, dass es sich bei den unaufgeklärten Kapitalzuführungen in Höhe von 70.000 € um nicht versteuerte Betriebseinnahmen der Klägerin aus ihrem Einzelunternehmen handelt.
59Denn die Klägerin hat am 23.2.2017 70.000 € in bar auf das bei der Bank E unter der Nr. xxx geführte Konto und damit auf ein Konto eingezahlt, bei dem es sich ausweislich der Bilanz zum 31.12.2012 um ein betriebliches Konto, ausweislich der in den Akten befindlichen Kontoauszüge jedenfalls aber um ein sowohl für private als auch für betriebliche Zwecke genutztes Konto gehandelt hat. So wurden auf diesem Konto im Streitjahr etwa Provisionsumsätze vereinnahmt. Hieraus ist zu folgern, dass der Klägerin dieser Betrag tatsächlich in dieser Höhe zur Verfügung stand und in dieser Höhe der Besteuerung zu unterwerfen ist.
60Es ist im Wege der Schätzung kein Abzug von Betriebsausgaben steuermindernd zu berücksichtigen. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass es sich bei dem Betrag von 70.000 € bereits um einen Nettobetrag, also um die Einnahmen abzüglich eventueller Betriebsausgaben handelte.
61cc) Ohne Bedeutung für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides ist, dass der Beklagte den Betrag in Höhe von 70.000 € bei den sonstigen Einkünften erfasst hat, denn die die Höhe des Gesamtbetrages verändert sich durch die Erfassung des Betrages als gewerbliche Einkünfte nicht. Insbesondere ist keine Steuerermäßigung gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG in Ansatz zu bringen, da für das Streitjahr 2017 gegenüber der Klägerin kein Gewerbesteuermessbetrag festgesetzt worden ist.
623. Die Klägerin kann sich nicht – wie in ihrer Klagebegründung – darauf berufen, die Feststellungslast für steuerpflichtige Einkünfte gem. § 8 KStG liege beim Beklagten und eine verdeckte Gewinnausschüttung könne nicht angenommen werden. Denn der Beklagte hat im Streitfall keine verdeckte Gewinnausschüttung angesetzt. Über die Frage von verdeckten Gewinnausschüttungen hatten die Beteiligten vielmehr im Verfahren 13 K 668/19 E gestritten.
63II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.