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Der Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 07.12.2020 wird dergestalt geändert, dass bei den Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen zusätzlich ein Verlust in Höhe von X € berücksichtigt wird.
Die Berechnung der Einkommensteuer wird dem Beklagten übertragen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Klageverfahrens tragen die Kläger und der Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leisten.
Tatbestand:
2Streitig ist, ob der Kläger durch den Tausch von Genussrechten der R-GmbH in Genossenschaftsanteile und in Bezugsrechte für Anleihen einen steuerlich berücksichtigungsfähigen Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen gem. § 20 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erzielt hat.
3Die Kläger sind Ehegatten und werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.
4Der Kläger hatte mit Vertrag vom 27.03.2013 Genussrechte der R-GmbH (nachfolgend: R-GmbH) erworben und dafür eine Einzahlung in Höhe von X € auf ein Konto der R-GmbH geleistet.
5Mit Beschluss des Amtsgerichts T vom 00.00.2014 wurde über das Vermögen der R-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet (Aktenzeichen). Der Insolvenzverwalter stellte einen Insolvenzplan vor, gemäß dem die allgemeine Insolvenzquote 57,8 % betrug. Die Insolvenzforderungen der Genussrechtsgläubiger sollten kombiniert durch Hingabe eines Genossenschaftsanteils an der R eG (nachfolgend: R eG) sowie durch Einräumung der Option auf Erwerb einer Schuldverschreibung erfüllt werden. Der Wert des Genossenschaftsteils sollte einem Anteil von 23,3% der Insolvenzforderung („Wandlungsquote“) sowie der Wert der Anleihe einem Anteil von 34,5 % der Insolvenzforderung entsprechen („Anleihequote“; s. Insolvenzplan, Gerichtsakte Bl. 43f.).
6Die Umwandlung der R-GmbH in die R eG sowie der Eintausch der Genussrechte in Genossenschaftsanteile und Schuldverschreibungen sollten gemäß dem Insolvenzplan in folgenden Schritten geschehen:
71. Zunächst soll die in der Bilanz der R-GmbH ausgewiesene Kapitalrücklage vollständig aufgelöst und zur Deckung des Verlustvortrags und Jahresfehlbetrags verwendet werden.
2. Anschließend sollen die Gesellschafter der R-GmbH durch eine Kapitalherabsetzung auf Null und eine anschließende Kapitalerhöhung ausgewechselt werden. Im Rahmen der Kapitalerhöhung sollen drei neue Geschäftsanteile im Nennwert von jeweils X € ausgegeben werden, die durch die Gesellschaften B 1 Beteiligungsgesellschaft mbH, B 2 Beteiligungsgesellschaft mbH und B 3 Beteiligungsgesellschaft mbH übernommen werden.
3. Sodann soll die R-GmbH formwechselnd in die R eG umgewandelt werden.
4. Zuletzt sollen diejenigen Genussrechtsinhaber, die zuvor ihre Zustimmung zur Wandlung ihrer Genussrechte erteilt haben, der R eG beitreten. Die Einlagen für ihre Genossenschaftsanteile erbringen die Genussrechtsgläubiger durch Einbringung ihrer Insolvenzforderungen nach Abzug des Teiles, der auf die „Anleihequote“ entfällt.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Insolvenzplan sowie auf das Rechtsgutachten des Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverbandes e.V. vom 00.00.2015 Bezug genommen (aus dem Handelsregister abrufbar, s. Gerichtsakte).
13Die Gläubigerversammlung nahm den Insolvenzplan mit Beschluss vom 00.00.2015 an. Das Insolvenzgericht bestätigte ihn mit Beschluss vom 00.00.2015. Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses wurde die R-GmbH am 00.00.2015 formwechselnd in die R eG umgewandelt.
14Der Kläger erwarb 237 Genossenschaftsanteile an der R eG im Nennwert von insgesamt X € (X € je Geschäftsanteil); der Restbetrag in Höhe von X € wurde in die Kapitalrücklage der Genossenschaft eingestellt (vgl. Gerichtsakte Bl. 46). Weiterhin erwarb der Kläger Schuldverschreibungen im Nennwert von X €; zusätzlich erhielt er einen Spitzenausgleich in Höhe von X € (Gerichtsakte Bl. 69).
15In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015 erklärte der Kläger anderweitige Kapitaleinkünfte in Höhe von X €; weiterhin erklärte er aus dem Umtausch der R-Genussrechte einen Verlust in Höhe von X €.
16Der Beklagte erließ am 15.08.2017 den Einkommensteuerbescheid für 2015, in welchem er den erklärten Verlust aus den R-Genussrechten indes nicht berücksichtigte. Am selben Tag erließ er einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2015. In diesem Verlustfeststellungsbescheid wurden jedoch lediglich ältere Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften fortgeführt; den von den Kläger geltend gemachten Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigte der Beklagte hier ebenfalls nicht. Beide Steuerbescheide standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
17Den fristgemäß eingelegten Einspruch der Kläger wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15.12.2017 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass es sich bei Genussrechten um eine sonstige Kapitalforderung i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 sowie Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG handele. Der Verlust des nicht zurückgezahlten Teils dieser Forderungen sei als Vorgang der privaten Vermögensebene einkommensteuerlich unbeachtlich.
18Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, die am 19.01.2018 beim Finanzgericht eingegangen ist. Während des Klageverfahrens sind am 07.12.2020 zwei weitere Bescheide ergangen, mit welchen der Beklagte die Vorbehalte der Nachprüfung für die vorliegend streitbefangene Einkommensteuerfestsetzung und Verlustfeststellung aufgehoben hat.
19Die Kläger tragen vor, dass die Klage fristgerecht erhoben worden sei. Die Einspruchsentscheidung vom 15.12.2017 sei ihrem Prozessbevollmächtigten tatsächlich erst am 19.12.2017 zugegangen, so dass die einmonatige Klagefrist bei Klageerhebung am 19.01.2018 noch nicht abgelaufen sei. Die sog. Drei-Tages-Fiktion nach § 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO), nach welcher die Einspruchsentscheidung bereits am 18.12.2017 bekannt gegeben worden wäre, greife im vorliegenden Fall nicht. Es sei nach Lage der Verwaltungsakten unklar, wann die Einspruchsentscheidung tatsächlich versandt worden sei.
20Im Rahmen des Klageverfahrens haben die Kläger ursprünglich die Berücksichtigung eines Verlustes von X € beantragt. Nach Hinweis des Gerichts schränkten die Kläger ihren Antrag dahingehend ein, dass sie nunmehr die Berücksichtigung eines Verlustes in Höhe von X € begehren. Dieser Betrag entspricht der Differenz aus dem Nennwert der untergegangenen Genussrechte abzüglich des Werts der erhaltenen Rechte (Nennwert des Genossenschaftsanteils zzgl. des in die Kapitalrücklage eingezahlten Betrages sowie der Anleihe zzgl. des an den Kläger ausgezahlten Spitzenausgleichs). Die Genussrechte des Klägers seien in dieser Höhe endgültig ausgefallen. Nach Einführung der Abgeltungssteuer sei auch ein solcher privater Forderungsausfall steuerlich zu berücksichtigen.
21Die Kläger beantragen,
22die Änderungsbescheide vom 07.12.2020 über Einkommensteuer für 2015 sowie über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2015 und die Einspruchsentscheidung vom 15.12.2017 dergestalt zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ein Verlust in Höhe von X € berücksichtigt wird.
23Der Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Bezüglich der Frage der Wahrung der Klagefrist räumt der Beklagte ein, dass die in den Verwaltungsakten befindliche Ausfertigung der Einspruchsentscheidung keinen Postaufgabevermerk aufweise; auch in anderer Weise könne der Zeitpunkt der Absendung nicht mehr nachgewiesen werden. Zur streitigen materiell-rechtlichen Rechtsfrage erklärt der Beklagte, dass nach der geänderten Auffassung der Finanzverwaltung auch der Ausfall einer im Privatvermögen gehaltenen Kapitalforderung zu einem steuerlich berücksichtigungsfähigen Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen führe. Allerdings sei auf Bund-Länder-Ebene noch nicht geklärt, ob die Verluste aus den R-Genussrechten steuerlich berücksichtigungsfähig seien.
26Der Rechtsstreit ist am 09.06.2021 mündlich vor dem Senat verhandelt worden; auf das Protokoll wird Bezug genommen.
27Entscheidungsgründe:
28Soweit die Klage sich gegen den Verlustfeststellungsbescheid auf den 31.12.2015 richtet, ist sie unzulässig. Soweit die Klage sich gegen den Einkommensteuerbescheid für 2015 richtet, ist die Klage zulässig und begründet.
29I. Die Klage ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Verlustfeststellungsbescheid richtet. Es fehlt an der Klagebefugnis im Sinne des § 40 Abs. 2 i.V.m. § 42 FGO, da die Klagebegründung nicht erkennen lässt, dass die Kläger durch diesen Bescheid eigenständig beschwert sind. Gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG sind die Besteuerungsgrundlagen bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags so zu berücksichtigen, wie dies in der Einkommensteuerfestsetzung geschehen ist. Da der Beklagte im Falle der Änderung des Einkommensteuerbescheides verpflichtet ist, auch den Verlustfeststellungsbescheid entsprechend zu ändern (§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO), besteht keine Notwendigkeit für eine gesonderte Anfechtung des Verlustfeststellungsbescheides.
30II. Soweit die Klage sich gegen den Einkommensteuerbescheid für 2015 richtet, ist sie zulässig.
311. Die Klagebefugnis gem. § 40 Abs. 2 FGO ist gegeben. Falls die Klage Erfolg haben sollte, würde sich für die Kläger eine geringere Steuerlast ergeben, da der Verlust mit den anderweitigen Kapitaleinkünften der Kläger zu verrechnen wäre. Auch bezüglich des darüberhinausgehenden Verlustes ist die Klagebefugnis gegeben, da der Einkommensteuerbescheid im Hinblick auf die in ihm berücksichtigten Verluste wie ein Grundlagenbescheid für den Verlustfeststellungsbescheid wirkt (§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO).
322. Die Klage ist fristgemäß erhoben worden.
33Die Frist für die Erhebung einer Anfechtungsklage beträgt gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO einen Monat; die Frist beginnt mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung. Wenn die Einspruchsentscheidung – wie vorliegend – durch die Post übermittelt wird, gilt sie gem. § 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Bestreitet der Empfänger nicht den Zugang überhaupt, sondern – wie im Streitfall – nur den fristgerechten Zugang so muss er nach Maßgabe des ihm Möglichen substantiiert Umstände vortragen, die den Schluss zulassen, dass ein anderer als der typische Geschehensablauf ernsthaft in Betracht kommt. Der Empfänger kann insbesondere darlegen, dass der Verwaltungsakt bzw. die Einspruchsentscheidung keinen Postaufgabevermerk trägt oder in der Behörde angesichts des Absendeverfahrens (z.B. Zwischenschaltung weiterer Personen nach Anbringung des Postaufgabevermerks) keine Kontrolle darüber stattfindet, dass der Aufgabevermerk die tatsächliche Aufgabe zur Post wiedergibt. Fehlt der Postaufgabevermerk auf der in den Steuerakten befindlichen Ausfertigung des Bescheids, kann das Finanzamt den Tag der Aufgabe zur Post nicht durch Berufung auf den allgemeinen organisatorischen Verfahrensverlauf beweisen (vgl. Müller-Franken in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 122 Rn. 365f., mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
34Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze ist die Bekanntgabe-Fiktion des § 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die in den Verwaltungsakten enthaltene Ausfertigung der Einspruchsentscheidung vom 15.12.2017 weist keinen Postaufgabevermerk auf, so dass nicht mit der notwendigen Gewissheit festgestellt werden kann, dass die Einspruchsentscheidung noch am Tag ihrer Unterzeichnung zur Post gegeben wurde. Der Beklagtenvertreter hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt, dass der Beklagte den Tag der Absendung im vorliegenden Fall auch nicht auf anderem Wege nachweisen könne. Da die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO vorliegend mithin nicht anwendbar ist, ist – dem Klägervortrag folgend – davon auszugehen, dass ihm die Einspruchsentscheidung erst am 19.12.2017 bekannt gegeben worden ist. Die am 19.01.2018 bei Gericht eingegangene Klage ist mithin fristgemäß erhoben.
35III. Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für 2015 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Der Kläger hat einen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG berücksichtigungsfähigen Verlust in Höhe von X € erlitten.
361. Der Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ist eröffnet, da es sich bei den Genussrechten der R-GmbH um sonstige Kapitalforderungen im Sinne dieser Vorschrift handelte. Die vorliegend zu beurteilenden Genussrechte begründen keine Beteiligung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 EStG, da sie kein Recht am Liquidationsgewinn der R-GmbH vermitteln (vgl. § 11 Nr. 3 der Genussrechtsbedingungen, Gerichtsakte Bl. 57).
37Die Hingabe der Genussrechte gegen Erhalt der Genossenschaftsanteile und der Anleihe stellt ein Tauschgeschäft dar, welches der Veräußerung im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gleichsteht. Wird ein Wirtschaftsgut im Wege des Tausches übertragen, bemessen sich die Anschaffungskosten des neu erworbenen Wirtschaftsguts gem. § 6 Abs. 6 Satz 1 EStG nach dem gemeinen Wert des hingegebenen Wirtschaftsgutes; spiegelbildlich hierzu gilt das hingegebene Wirtschaftsgut als zu seinem gemeinen Wert veräußert. Zwar betrifft § 6 Abs. 6 Satz 1 EStG unmittelbar nur Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens, jedoch strahlt diese gesetzliche Regelung auf die anderen Einkunftsarten aus (vgl. Korn/Strahl in: EStG, § 6 Rn. 518; so zu § 17 EStG: BFH-Urteil vom 06.04.2009 – IX B 204/08, BStBl. II 2009, 1263). Der gemeine Wert wird gemäß § 9 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre; dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen.
382. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze ergibt sich ein Veräußerungsverlust des Klägers in Höhe von X €.
39Der gemeine Wert der vom Kläger eingetauschten Genussrechte ist mit X € anzusetzen. Dieser Betrag entspricht dem Nennwert der vom Kläger im Rahmen des Tauschs erworbenen Wirtschaftsgüter und berechnet sich wie folgt:
40Nennwert Genossenschaftsanteil |
X |
||
Einzahlung in die Kapitalrücklage |
X |
||
Nennwert Schuldverschreibung |
X |
||
Spitzenausgleich |
X |
||
X |
Von diesem „Tauscherlös“ sind die ursprünglichen Anschaffungskosten des Klägers für seine Genussrechte in Höhe von X € in Abzug zu bringen, so dass sich ein Verlust in Höhe von X € ergibt.
42Anhaltspunkte dafür, dass den hingegebenen Genossenschaftsanteilen ein hiervon abweichender gemeiner Wert zukommen könnte, liegen nicht vor. Die Insolvenzquote sowie der Nennwert der Genossenschaftsanteile und der Anleihe sind durch den Insolvenzverwalter unabhängig ermittelt worden. Der von ihm vorgeschlagene Insolvenzplan ist durch die Gläubigerversammlung und das Insolvenzgericht bestätigt worden. Bei dieser Sachlage besteht nach Auffassung des Senats kein Zweifel, dass der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbare Veräußerungspreis der Genussrechte den hier angesetzten Nennwerten des Genossenschaftsanteils und der Bezugsrechte für die Anleihe entspricht. Die Einzahlung in die Kapitalrücklage in Höhe von X € sowie der Spitzenausgleich in Höhe von X € sind werterhöhend bzw. als zusätzliche Gegenleistung zu berücksichtigen.
433. Die Berücksichtigung des Verlustes ist nicht nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung (seit dem 01.01.2020: § 20 Abs. 6 Satz 7 EStG) ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung dürfen Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, nur verrechnet werden oder die Einkünfte mindern, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt, wenn eine Verlustbescheinigung im Sinne des § 43a Absatz 3 Satz 4 vorliegt.
44Vorliegend ist eine solche Verlustbescheinigung nicht erforderlich. Die Verlustbescheinigung kann gem. § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG nur von der „auszahlenden Stelle“ ausgestellt werden. Im Falle des hier zu beurteilenden Gewinns/Verlusts aus der Veräußerung einer Schuldforderung existiert eine solche „auszahlende Stelle“ nur dann, wenn die entsprechende Schuldforderung entweder von einem Kreditinstitut bzw. einer vergleichbaren Institution (§ 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a EStG) oder vom Schuldner selbst (§ 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. b EStG) verwahrt oder verwaltet wird. Beides ist im Hinblick auf die Genussrechte nicht der Fall, da diese zwar von der R-GmbH ausgegeben, jedoch nicht von dieser i. S. von § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 EStG verwahrt oder verwaltet wurden. Die Genussrechte sind gem. 9 Abs. 1 der Genussrechtsbedingungen grundsätzlich frei übertragbar; die Genussrechtsinhaber sind gem. § 9 Abs. 3 der Genussrechtsbedingungen lediglich verpflichtet, der R-GmbH innerhalb von vier Wochen nach Übertragung Namen, Anschrift und Bankverbindung des neuen Genussrechtsinhabers mitzuteilen. Der R-GmbH wäre eine Erfüllung der Pflichten der auszahlenden Stelle demnach ohnehin unmöglich gewesen. Unabhängig davon ist eine Verlustberücksichtigung trotz fehlender Vorlage der Bescheinigung nach § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG zudem dann möglich, wenn – wie vorliegend – keine Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung besteht (vgl. BFH-Urteil vom 03.12.2019 – VIII R 34/16, BStBl. II 2020, 836).
45IV. Die Berechnung der Einkommensteuer war gem. § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO dem Beklagten zu übertragen.
46Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Da die Kläger im ursprünglichen Klageantrag die Berücksichtigung eines Verlusts in Höhe von X € beantragt haben, sind die Kosten des Klageverfahrens nach der Obsiegens-/Unterliegensquote aufzuteilen.
47Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.