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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die steuerliche Anerkennung von Verlusten des Klägers aus Wertpapiergeschäften im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer 2006.
3Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2006 gemeinsam zur Einkommen-steuer veranlagt. Der Kläger erzielte u.a. Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit aufgrund seiner Tätigkeit als Ingenieur.
4Im Jahr 2005 hatte der Kläger folgende Wertpapiere erworben, wobei er die Anschaffung jeweils teilweise durch Lombard-Kredite fremdfinanzierte:
5Lfd. Nr. |
Name |
WKN |
Nennwert/Anschaf-fungspreis |
1 |
10-Jahres Bank 1 Ladder Steepener mit Kündigungsrecht der Emittentin (Öffentlicher Pfandbrief) |
XXXXX1 |
1.000.000 EUR |
2 |
Bank 2 20jährige Schuldverschreibungen („Enhanced Euro-Steepener“) mit Kündigungsrecht der Emittentin |
XXXXX2 |
1.000.000 EUR |
3 |
10-Jahres Bank 3 Ladder Steepener mit Kündigungsrecht der Emittentin (EMTN) |
XXXXX3 |
2.000.000 EUR |
4 |
10-Jahres Bank 4 Ladder Steepener mit Kündigungsrecht der Emittentin (EMTN) |
XXXXX4 |
1.000.000 EUR |
Aus den Produktinformationen, die die Bank 4 mit Schreiben vom 08.03.2017 an den Klägervertreter sandte (vgl. Anlage C der Klageschrift) ergibt sich bzgl. des Wertpapiers Nr. 1, dass die Emittentin das Recht hatte, die Pfandbriefe im Ganzen zum Nennbetrag zu jedem Zinstermin, erstmalig am 02.03.2006, unter Einhaltung einer Ankündigungfrist von nicht weniger als fünf Geschäftstagen nach freiem Ermessen zu kündigen. Bei Fälligkeit war die Anleihe zu 100 % zurückzuzahlen. Zinstermine waren jeweils der 2. März und 2. September des Jahres. Die Zinsen sollten in der 1. und 2. Periode 6 % p.a. betragen und sich ab der 3. Periode wie folgt berechnen: Zinssatz der Vorperiode + 2 × (Spread – 0,95%). Der Spread wiederum berechnete sich aus der Differenz zwischen dem 10-Jahres-EUR-Swapsatz und dem 2-Jahres EUR-Swapsatz, festgestellt jeweils drei Bankarbeitstage vor dem Ende der jeweiligen halbjährlichen Periode („Fixing in Areas“). Der 10-Jahres-EUR-Swapsatz war der Prozentsatz für Euro-Swap-Transaktionen im Interbankenhandel mit einer Laufzeit von 10 Jahren. Der 2-Jahres-EUR-Swapsatz war der Prozentsatz für Euro Swap-Transaktionen im Interbankenhandel mit einer Laufzeit von zwei Jahren. Der Mindestzinssatz für jede Periode betrug 0 %.
7Bzgl. des Wertpapiers Nr. 2 ergibt sich aus den Produktinformationen, dass die Emittentin das Recht hatte, die Pfandbriefe im Ganzen zum Nennbetrag zu jedem Zinstermin, erstmalig am 31.03.2008 nach freiem Ermessen zu kündigen. Bei Fälligkeit war die Anleihe zu 100 % zurückzuzahlen. Zinstermin war jeweils der 31. März des Jahres. Für den Zeitraum vom 31.03.2005 bis 31.05.2008 (ausschließlich) sollten die Schuldverschreibungen mit 6 % p.a. verzinst werden. Für den Zeitraum vom 31.03.2008 bis 31.03.2015 (ausschließlich) sollten die Schuldverschreibungen in Höhe des 5fachen der Differenz zwischen dem 10-Jahres-Euro-Swapsatz und dem 2-Jahres-Euroswapsatz verzinst werden. Unbeschadet dessen sollte die ab dem 4. März 2008 (ausschließlich) zahlbare Verzinsung der Schuldverschreibung per annum nicht höher als der 10‑Jahres-Euro-Swapsatz und nicht geringer als 1,75 % sein. Die Definition der 10- und 2-Jahres-Swapsätze entsprach der Produktinformation zu Wertpapier Nr. 1.
8Bzgl. des Wertpapiers Nr. 3 ergibt sich aus den Produktinformationen, dass die Emittentin das Recht hatte, die Pfandbriefe im Ganzen zum Nennbetrag zu jedem Zinstermin, erstmalig am 18.03.2006, unter Einhaltung einer Ankündigungsfrist von nicht weniger als fünf Geschäftstagen nach freiem Ermessen zu kündigen. Bei Fälligkeit war die Anleihe zu 100 % zurückzuzahlen. Zinstermine waren jeweils der 18. Mai und 19. November des Jahres. Die Zinsen sollten in der 1. und 2. Periode 6 % p.a. betragen und sich ab der 3. Periode wie folgt berechnen: Zinssatz der Vorperiode + 2 × (Spread – 1,00%). Der Spread wiederum berechnete sich aus der Differenz zwischen dem 10-Jahres-EUR-Swapsatz und dem 2-Jahres EUR-Swapsatz, festgestellt jeweils fünf Bankarbeitstage vor dem Ende der jeweiligen halbjährlichen Periode („Fixing in Areas“). Die Definition der 10- und 2-Jahres-Swapsätze entsprach der Produktinformation zu Wertpapier Nr. 1. Der Mindestzinssatz für jede Periode betrug 0 %.
9Bzgl. des Wertpapiers Nr. 4 ergibt sich aus den Produktinformationen, dass die Emittentin das Recht hatte, die Pfandbriefe im Ganzen zum Nennbetrag zu jedem Zinstermin, erstmalig am 22.06.2006, unter Einhaltung einer Ankündigungsfrist von nicht weniger als fünf Geschäftstagen nach freiem Ermessen zu kündigen. Bei Fälligkeit war die Anleihe zu 100 % zurückzuzahlen. Zinstermine waren jeweils der 22. Juni und 22. September des Jahres. Die Zinsen sollten in der 1. und 2. Periode 6 % p.a. betragen und sich ab der 3. Periode wie folgt berechnen: Zinssatz der Vorperiode + 2 × (Spread – 1,05 %). Der Spread wiederum berechnete sich aus der Differenz zwischen dem 10-Jahres-EUR-Swapsatz und dem 2-Jahres EUR-Swapsatz, festgestellt jeweils drei Bankarbeitstage vor dem Ende der jeweiligen halbjährlichen Periode („Fixing in Areas“). Die Definition der 10- und 2-Jahres Swapsätze entsprach der Produktinformation zu Wertpapier Nr. 1. Der Mindestzinssatz für jede Periode betrug 0 %.
10Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von der Bank 4 mit Schreiben an den Klägervertreter vom 08.03.2017 übersandten Produktinformationen Bezug genommen.
11Zinszahlungen aufgrund der Wertpapiere wurden wie folgt geleistet:
12Wertpapier lfd. Nr. |
Termin |
Zinssatz |
Betrag |
1 |
02.03.2006 04.09.2006 |
6 % 4,716 % |
30.000 EUR 23.580 EUR |
2 |
31.03.2006 22.12.2006 |
6 % 6 % für 269 Zinstage von 360 |
60.000 EUR 44.833,33 EUR |
3 |
18.05.2006 20.11.2006 |
6 % 4,078 % |
60.000 EUR 40.780 EUR |
4 |
22.06.2006 22.12.2006 |
6 % 3,974 % |
30.000 EUR 19.870 EUR |
Summe |
309.063,33 EUR |
Am 22.12.2006 veräußerte der Kläger die Wertpapiere Nr. 1 bis 4 unter gleichzeitiger Rückführung der Anschaffungsdarlehen, wobei er aus der Veräußerung des Wertpapiers Nr. 1 einen Erlös iHv 725.500 EUR; aus der Veräußerung des Wertpapiers Nr. 2 einen Erlös iHv 797.500 EUR, aus der Veräußerung des Wertpapiers Nr. 3 einen Erlös iHv 1.410.600 EUR und aus der Veräußerung des Wertpapiers Nr. 4 einen Erlös iHv 714.800 EUR erzielte. Die Bank 4 leistete an den Kläger aufgrund der erlittenen Veräußerungsverluste Schadensersatz iHv insgesamt 800.000 EUR, der iHv 162.400 EUR auf das Wertpapier Nr. 1, iHv 120.000 EUR auf das Wertpapier Nr. 2, iHv 348.800 EUR auf das Wertpapier Nr. 3 und iHv 168.800 auf das Wertpapier Nr. 4 entfiel.
14Am 19.03.2008 gaben die Kläger ihre Einkommensteuer für das Jahr 2006 ab. Darin erklärten sie bzgl. der vorgenannten Wertpapiere, die im Depot des Klägers bei der Bank 4 mit der Depot-Nr. xxx1 gehalten wurden, Einkünfte aus Kapitalvermögen. In der Zusammenstellung für die Anlage KAP wurde ein Betrag iHv 709.540 EUR zur Position „Zinsen und andere Erträge (ohne Dividenden) – festverzinsliche Wertpapiere“ und ein Betrag iHv 332.996,67 EUR zur Position „Ausländische Kapitalerträge – Zinsen aus Sparguthaben, festverzinslichen Wertpapieren usw.“ aufgeführt. Diese Beträge decken sich mit den in den von der Bank 4 ausgestellten Jahressteuerbescheinigungen aufgeführten Beträgen. Die Kläger erklärten Verluste aus Kapitalvermögen iHv 1.351.600 EUR und wurden zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zur Einkommensteuer veranlagt.
15Zur Vorbereitung einer im Jahr 2009 beim Kläger anberaumten Betriebsprüfung forderte der Beklagte beim Kläger u.a. Verkaufsprospekte der Bank 4 und Abrechnungen der Wertpapiere Nr. 1 bis 4 an. Am 20.03.2009 legte der Kläger Produktinformationen vor, die sich inhaltlich von den im Klageverfahren eingereichten Informationen insbesondere hinsichtlich der Zinssätze unterschieden. Ergänzend stellte der Betriebsprüfer Internetrecherchen zu den Wertpapieren an.
16Die Betriebsprüfung kam im Betriebsprüfungsbericht vom 03.04.2009 zu dem Schluss, dass die Kläger die in den Jahresbescheinigungen der Bank 4 aufgeführten Beträge mit den erzielten Veräußerungsverlusten verrechnet und einen Negativbetrag von 1.024.796 EUR als Einkünfte aus Kapitalvermögen erklärt hätten. Der von der Bank 4 geleistete Schadensersatz sei nicht berücksichtigt worden. Die Betriebsprüfung vertrat die Auffassung, dass zum einen die Schadenersatzzahlung der Bank 4 die Veräußerungsverluste mindere, da sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit diesen stehe. Die sich so ergebenden (geringeren) Verluste seien allerdings zum anderen steuerlich nicht gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung mit der (negativen) Marktrendite zu berücksichtigen. Die Betriebsprüfung begründete dies damit, dass die Entgelte für die Kapitalüberlassung einerseits und der Vermögenszuwachs bzw. -verlust andererseits eindeutig voneinander abgrenzbar seien. Die vom Kläger erlittenen Verluste seien der Vermögensebene zuzurechnen. Die Einnahmen aus Kapitalvermögen seien daher insgesamt iHv 326.807 EUR (-1.024.796 EUR erklärter Betrag + 1.351.600 EUR Korrekturbetrag) zu berücksichtigen. Die Zinsen aus den Anleihen iHv in der Summe 309.063,33 EUR stellten Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung dar. Die Refinanzierungszinsen iHv insgesamt 110.033,31 EUR seien als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen.
17Der Beklagte schloss sich der Auffassung der Betriebsprüfung an und erließ am 06.07.2009 einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid sowie einen geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2006. Die Kläger legten hiergegen Einspruch ein und begehrten die Berücksichtigung von Verlusten aus Kapitalvermögen iHv insgesamt 1.351.600 EUR. Während des Einspruchsverfahrens wurde der Einkommensteuerbescheid am 04.09.2009 aus hier nicht streitigen Gründen geändert. Zur Begründung ihres Einspruchs machten die Kläger geltend, dass es sich bei den Wertpapieren Nr. 1 bis 4 um Kapitalforderungen ohne Emissionsrendite handele. Die Mindestrendite betrage für jede Periode 0 %. Nach Art ihrer Gestaltung komme eine rechnerische Differenzierung zwischen einem vereinbarten Kapitalnutzungsentgelt und einer realisierten Wertentwicklung des jeweiligen Papiers nicht in Betracht, weil jeweils kein abgrenzbares Kapitalnutzungsentgelt vereinbart worden sei. Die Ertrags- und Vermögensebenen seien miteinander verknüpft und nicht ohne jede Schwierigkeit voneinander abgrenzbar. Die Wertpapiere seien nach der Art ihrer Ausgestaltung auf eine Einbindung von Kursgewinnen in das Entgelt für die Kapitalüberlassung ausgerichtet. Bei einer unterjährigen Veräußerung würden keine Stückzinsen ausgewiesen. Verzinsung wie Kursentwicklung der Wertpapiere seien untrennbar mit der Entwicklung der jeweiligen Swap-Sätze verknüpft. Änderten sich diese Sätze, erhöhe sich die Verzinsung der Wertpapiere, was automatisch den Kurswert beeinflussen würde.
18Der Beklagte stellte im Rahmen des Einspruchsverfahrens weitere Recherchen zu den Vertragsbedingungen der streitigen Wertpapiere an.
19Das Einspruchsverfahren ruhte sodann im Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängige Verfahren VIII R 40/10.
20Mit Einspruchsentscheidung vom 03.01.2017 wies der Beklagte den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte zunächst aus, dass es sich bei den Wertpapieren Nr. 1 bis 4 um Kapitalforderungen iSv § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F. handele, da jeweils die 100%ige Kapitalrückzahlung und ein Entgelt für die Kapitalüberlassung in Gestalt einer variablen Verzinsung zugesagt worden sei. Da alle Wertpapiere mit einem variablen Kupon ausgestattet gewesen seien, habe jeweils keine Emissionsrendite iSv § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 1 Hs. 2 EStG a.F. ermittelt werden können. Hierfür sei entscheidend, dass die Zinshöhe in der variablen Zinsphase jeweils von einem ungewissen Ereignis habe abhängen sollen. Da die Wertpapiere keine Emissionsrendite gehabt hätten, wäre nach dem Wortlaut der Regelung des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 1 Hs. 1 EStG a.F. der Unterschied zwischen dem Entgelt für den Erwerb und den Einnahmen aus der Veräußerung, die Marktrendite, als Kapitalertrag anzusetzen. Nach gefestigter Rechtsprechung des BFH sei ein (negativer) Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 1 Hs. 1 EStG a.F. nur dann steuerlich zu berücksichtigen, wenn die streitige Kapitalforderung nach der Art ihrer Gestaltung eine typische Verknüpfung von Kapitalnutzungsentgelt und Wertentwicklung des Kapitals aufweise, nicht aber dann, wenn Kapitalnutzungsentgelt und Wertentwicklung des Kapitals rechnerisch eindeutig abgrenzbar und bestimmbar seien. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 1 Hs. 1 EStG a.F. auf Vertragsgestaltungen reagiert, die auf eine Kombination von Kapitalnutzung und Ausschöpfung der Werthaltigkeit des Kapitals gerichtet gewesen seien, um anstelle steuerpflichtiger Zinserträge nicht steuerbare private Veräußerungsgewinne zu erzielen. Er habe aber nicht die im System der Einkommensteuer hinsichtlich der Überschusseinkünfte angelegte Differenzierung zwischen Quellenausnutzung und Quellenverwertung aufgegeben. Ein Verlust des hingegebenen Kapitals könne im Hinblick auf eine bestehende Differenzierung zwischen Quellenausnutzung und Quellenverwertung steuerlich nur geltend gemacht werden, wenn aufgrund der Ausgestaltung der Finanzinnovation eine wirklich untrennbare Vermischung von Vermögens- und Kapitalnutzungsebenen gegeben sei, die über die generelle Verbindung von Zinssatz und Ausfallrisiko hinausgehen müsse. Es müsse eine untrennbare Verbindung von Nutzungsentgelt und Kursentwicklung entsprechend der konkreten Ausgestaltung bestehen. Der Gesetzeszweck erfordere es, Überschüsse und Verluste nicht als Kapitalertrag zu behandeln, bei denen die Veranlassung durch die Veranlassung durch die Kapitalüberlassung zur Nutzung von vornherein ausscheide. Maßgeblich sei dabei die anhand der Ausgabebedingungen des Wertpapiers zu treffende Beurteilung, ob sich Kursentwicklung und Nutzungsentgelt voneinander abgrenzen ließen. Nach der Rechtsprechung des BFH komme es auf die Art der Gestaltung an. Das Vorliegen einer untrennbaren Verbindung zwischen Nutzungsentgelt und Kursentwicklung sei nach Auffassung des BFH nur anhand der getroffenen Vereinbarungen und damit anhand des dem Wertpapiergeschäft zugrunde liegenden Prospekts, beurteilt werden und hänge nicht vom Zeitpunkt der Veräußerung ab. Der Beklagte führte in der Einspruchsentscheidung weiter aus, dass für die Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4 nicht beurteilt werden könne, ob sich Nutzungsentgelt und Kursentwicklung voneinander abgrenzen ließen, da die Kläger die Produktinformationen nicht vorgelegt hätten. Bezüglich des Wertpapiers Nr. 2 ergebe sich aus den Produktinformationen, dass Stückzinsen gezahlt worden seien. Eine Berücksichtigung des Veräußerungsverlusts scheide schon aus diesem Grund aus.
21Der Beklagte verwies in der Einspruchsentscheidung weiter auf die Entscheidungen des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf in den Verfahren 13 K 2328/12 E und 4 K 1072/13 E, auf deren Grundlage im Streitfall die negativen Marktrenditen der Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4 nicht berücksichtigt werden könnten.
22Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage begehren die Kläger die Berücksichtigung der aus der Veräußerung der Wertpapiere Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 4 erlittenen Verluste unter anteiliger Anrechnung der von der Bank 4 erhaltenen Schadenersatzzahlung. In Summe belaufen sich die geltend gemachten Verluste auf 469.100 EUR. Die Kläger verweisen zur Begründung zunächst auf die von der Bank 4 mit Schreiben vom 08.03.2017 an den Klägervertreter übersandten Produktinformationen zu den streitigen Wertpapieren (vgl. Anlage C der Klageschrift). Grundsätzlich handele es sich um Wertpapiere, bei denen ein Gesamtvolumen in einzelnen Tranchen ermittelt werde. Dementsprechend gebe es jeweils ein sog. „Debt Issuance Programm“ im Sinne eines Rahmenvertrages über das Gesamtvolumen und zusätzlich pro konkret ermittelter Tranche ein „Pricing Supplement“ als konkretes Konditionenblatt, das sehr zeitnah an Markkonditionen angepasst werde. Bei den Wertpapieren Nr. 1, 3 und 4 handele es sich um nahezu identisch konstruierte Schuldverschreibungen und im Sinne der gesicherten Rechtsprechung um „echte Finanzinnovationen“, bei denen die Verluste steuerlich zu berücksichtigen seien.
23Unstreitig, so die Kläger weiter, lägen Kapitalforderungen iSv § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F. vor. Die Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4 wiesen keine von vornherein endgültig bezifferbare Emissionsrendite iSv § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 EStG a.F. auf. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die Zinszahlungen von ungewissen Ereignissen in Gestalt der Entwicklung der Spreads abhingen. Dabei sei ebenfalls unstreitig, dass dies anhand der Verhältnisse zum Zeitpunkt der Emission der Anlage zu beurteilen sei.
24Bezüglich der Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4 liege außerdem eindeutig eine enge, typische Verbindung von Kapitalnutzung und Ausschöpfung der Werthaltigkeit des Kapitals vor. Als Indiz hierfür gelte es nach gesicherter Rechtsprechung, wenn nicht nur zum Emissionszeitpunkt, sondern auch zum Zeitpunkt der Veräußerung die jeweilige Gesamtverzinsung von einem ungewissen Ereignis abhänge. Die Kläger verweisen weiter auf ein Urteil des FG Münster vom 22.06.2010 im Verfahren 9 K 2179/08 (EFG 2011, 234), welches der BFH mit Gerichtsbescheid vom 26.06.2012 im Verfahren VIII R 40/10 (BFH/NV 2013, 346) bestätigt habe. Danach solle, wenn die Verzinsung einer Schuldverschreibung von der Kursentwicklung bestimmter Aktien („Aktienkorb“) abhänge, eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene nicht möglich sein, da die Schuldverschreibungen nach der Art ihrer Ausgestaltung auf eine Einbindung von Kursgewinnen in das Entgelt für die Kapitalüberlassung ausgerichtet gewesen seien. Der diesen Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalt sei dem Streitfall vergleichbar.
25Die Kläger verweisen außerdem auf das Urteil des FG Münster vom 31.01.2013 im Verfahren 3 K 3686/10 E. Danach seien Veräußerungsverluste nicht zu berücksichtigen, wenn das zinsbestimmende Ereignis zum Veräußerungszeitpunkt bereits eingetreten sei. Im hiesigen Streitfall würden die Zinsen aber nachträglich in den letzten Tagen der jeweiligen Zinsperiode berechnet. Die Kläger verweisen ferner auf das Urteil des FG Düsseldorf vom 06.08.2014 im Verfahren 4 K 1072/13 E, wonach Veräußerungsverluste insofern anzuerkennen seien, als kein Ausfallrisiko vorliege, also eine Kapitalrückzahlung garantiert worden sei. Im Streitfall sei eine 100%ige Kapitalrückzahlung zugesagt worden, weshalb die Verluste zu 100 % zu berücksichtigen seien.
26Die Kläger beantragen,
27den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 04.09.2009 sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2006 vom 04.09.2009, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.01.2017, dahingehend zu ändern, dass Verluste aus Kapitalvermögen in Höhe von 469.100 EUR berücksichtigt werden.
28Der Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Der Beklagte verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass die Entscheidung des BFH im Verfahren VIII R 40/10 nicht amtlich veröffentlicht worden und deshalb nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anwendbar sei. Der BFH habe in dieser Entscheidung außerdem für die Frage der Trennbarkeit von Zins- und Vermögensebene auf den Zeitpunkt der Veräußerung abgestellt, was kritisch zu betrachten sei. Maßgeblich müsse der Emissionszeitpunkt sein. Soweit die Kläger auf die Entscheidung des FG Düsseldorf abstellten, ginge dies fehl. Laut der Entscheidung seien vereinfacht bei 85 % Risiko eines Kapitalausfalls 15 % des Verlusts anzuerkennen. Im Streitfall habe aber kein Risiko eines Kapitalausfalls bestanden.
31Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Verfahrensakte Bezug genommen.
32Entscheidungsgründe
33I. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Einkommensteuerbescheid 2006 vom 04.09.2009 sowie der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2006 vom 04.09.2009, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.01.2017, sind nicht rechtswidrig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtordnung (FGO). Der Beklagte hat die vom Kläger aufgrund der Veräußerung der Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4 erlittenen Verluste iHv insgesamt 469.100 EUR zutreffend nicht als Verluste aus Kapitalvermögen berücksichtigt.
341. Der Senat legt seiner rechtlichen Würdigung die als Anlage C der Klageschrift beigefügten, von der Bank 4 mit Schreiben an die Prozessbevollmächtigten vom 08.03.2017 übersandten Produktinformationen zugrunde. Die darin zu den Wertpapieren Nr. 1 bis 4 aufgeführten Wertpapierkennnummern stimmen mit den auf den Wertpapierabrechnungen der Bank 4 auf den 22.12.2016 jeweils aufgeführten sowie den vom Beklagten im Rahmen eigener Recherchen ermittelten Wertpapierkennnummern überein. Der Beklagte hat in seiner Klageerwiderung nicht vorgetragen, dass die Produktinformationen unzutreffend seien.
352. Aufgrund des Überschreitens der Jahresfrist zwischen Anschaffung und Veräußerung der Wertpapiere kommt eine Berücksichtigung des Verlusts nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht in Betracht.
363. Die Verluste sind auch nicht gemäß § 20 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) steuerlich zu berücksichtigen.
37a) Die streitigen Schuldverschreibungen fallen unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG a.F. Die Vorschrift erfasst Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Im Streitfall war für die Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4 die Rückzahlung des Nennbetrags der Einlage bei Laufzeitende und Kündigung durch die Emittentin gewährleistet. Für alle drei Wertpapiere war als Entgelt zunächst für die ersten beiden Zinsperioden ein fester Zins und sodann ab der dritten Zinsperiode ein variabler Zins vereinbart, dessen Höhe von einem ungewissen Ereignis in Gestalt der Entwicklung der 10-Jahres- und 2-Jahres-Swapsätze abhing. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
383. Der Veräußerungsverlust aus den streitigen Wertpapieren Nr. 1, 3 und 4 ist jedoch nicht gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c 2. Alternative, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG nach Maßgabe der Marktrendite steuerlich zu berücksichtigen.
39a) Zwar fallen die streitigen Schuldverschreibungen unter § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 S. 1 Buchst. c EStG a.F. Es handelt sich um Schuldverschreibungen, bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis, der Entwicklung der 10-Jahres- und 2-Jahres-Swapsätze, abhängt.
40b) Jedoch handelt es sich bei dem Veräußerungsverlust nicht um einen steuerlich zu berücksichtigenden Kapitalertrag.
41aa) Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG a.F. zählen zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Einnahmen aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen, bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis abhängt, soweit sie der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite entsprechen. Haben die Kapitalforderungen keine Emissionsrendite oder weist der Steuerpflichtige sie nicht nach, gilt nach dem Gesetzeswortlaut von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG der Unterschied zwischen dem Entgelt für den Erwerb und den Einnahmen aus der Veräußerung, Abtretung oder Einlösung als Kapitalertrag, sog. Marktrendite.
42Die streitigen Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4 weisen keine von vornherein endgültig bezifferbare Emissionsrendite auf. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist als Emissionsrendite die vom Emittenten bei der Begebung der Anlage von vornherein zugesagte, eindeutig abgrenz- und bezifferbare Rendite zu verstehen, die bis zur Einlösung des Papiers bzw. Endfälligkeit der Kapitalforderung mit Sicherheit erzielt werden kann (vgl. nur BFH-Urteile vom 13. Dezember 2006 VIII R 79/03, BStBl II 2007, 562; vom 26. Juni 2012 VIII R 40/10, BFH/NV 2013, 346; vom 17. Dezember 2013 VIII R 42/12, BStBl II 2014, 319; vom 5. November 2014 VIII R 28/11, BStBl II 2015, 276; vom 27. Oktober 2015 – VIII R 70/13 –, BFH/NV 2016, 736). Maßgeblich für die Prüfung des Vorliegens einer Emissionsrendite ist die Ausgestaltung der fraglichen Wertpapiere oder Kapitalforderungen im Zeitpunkt der Emission (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. dazu im Einzelnen mit Nachweisen die BFH-Urteile vom 13. Dezember 2006 VIII R 62/04, BStBl II 2007, 568; vom 20. November 2006 VIII R 97/02, BStBl II 2007, 555; vom 11. Juli 2006 VIII R 67/04, BStBl II 2007, 553; vom 13. Dezember 2006 VIII R 6/05, BStBl II 2007, 571; vom 27. Oktober 2015 – VIII R 70/13 –, BFH/NV 2016, 736). Hängt die Höhe der Kapitalerträge von ungewissen Ereignissen in der Zukunft ab, fehlt es an einer endgültig bezifferbaren Emissionsrendite im Zeitpunkt der Emission (BFH, Urteil vom 24. Februar 2015 – VIII R 54/12 –, , BStBl II 2015, 693; BFH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – VIII R 70/13 –, BFH/NV 2016, 736). Nach den vorstehenden Grundsätzen hatten die Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4 im Streitfall keine Emissionsrendite. Bei allen drei Schuldverschreibungen schloss sich ausweislich der Produktinformationen der Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4 an eine festverzinsliche Phase eine variable Verzinsung an, die insbesondere nach der – jederzeit nach den Verhältnissen des Kapitalmarkts änderbaren – Differenz zwischen dem 10-Jahres Euro-Swapsatz und dem 2-Jahres Euro-Swapsatz zum jeweiligen Fixing bemessen wurde. Eine Mindestverzinsung wurde ausweislich der Vertragsbedingungen der Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4, anders als bei Wertpapier Nr. 2, nicht garantiert.
43bb) Grundsätzlich wäre nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG daher eine Besteuerung nach der Marktrendite geboten. Jedoch steht der Gesetzeszweck dem Ansatz der Marktrendite entgegen. Bei den streitigen Schuldverschreibungen ist das Entgelt für die Kapitalüberlassung und ein Vermögenszuwachs jeweils rechnerisch eindeutig abgrenzbar und bestimmbar und der streitige Veräußerungsverlust gehört eindeutig der Vermögensebene an. Demgemäß sind die Verluste aus der Veräußerung der streitgegenständlichen Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4 nicht gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG einkommensmindernd zu berücksichtigen.
44(1) Wie der Bundesfinanzhof bereits mit Urteil vom 20. November 2006 (VIII R 97/02 –,BStBl II 2007, 555)entschieden hat, wollte der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG durch das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310) nicht jegliche Wertveränderung im Vermögensstamm erfassen, sondern lediglich solche Kapitalanlagen, bei denen an sich steuerpflichtige Zinserträge als steuerfreier Wertzuwachs konstruiert werden (vgl. auch BTDrucks 12/5630, S. 59). Diese Kapitalanlagen machten sich den Umstand zunutze, dass nach bis dahin gültigem Recht im Privatvermögen zwischen steuerpflichtigen Kapitalerträgen (z.B. Zinsen) und steuerfreien Vermögensmehrungen zu unterscheiden war (vgl. BTDrucks 12/6078, S. 116). Der Gesetzgeber wollte sicherstellen, "dass Vorteile, die unabhängig von ihrer Bezeichnung und ihrer zivilrechtlichen Gestaltung bei wirtschaftlicher Betrachtung für die Überlassung von Kapitalvermögen zur Nutzung erzielt werden, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören" (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59). Die Maßgeblichkeit der Marktrendite gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG stellt dabei eine Abweichung von der im EStG angelegten Systematik der Besteuerung von Kapitalerträgen dar. Dem ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH im Rahmen der gebotenen systematischen wie teleologischen Auslegung der Norm Rechnung zu tragen. Aufgrund der mit § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG verbundenen Systemabweichung ist eine tatbestandsmäßige Eingrenzung der von § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG erfassten Finanzinnovationen geboten. Der Tatbestand der sonstigen Kapitalforderungen, bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis abhängt (fehlende Emissionsrendite, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c, d EStG), ist als sachgerechte gesetzliche Typisierung gerade solcher Anlagen einzuordnen, bei denen ihrer Ausgestaltung nach Nutzungsentgelt und Kursgewinn rechnerisch nicht abgrenzbar sind. Für derartige Wertpapiere und Kapitalforderungen ist die steuerliche Abschöpfung auch von Kursdifferenzen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG dadurch gerechtfertigt, dass eine eindeutige Abgrenzung dieser Kursdifferenzen vom Nutzungsentgelt für die Kapitalüberlassung nicht möglich ist. Allein für solche Papiere entsteht auch keine unverhältnismäßige Benachteiligung von Anlagen in derartige Finanzinnovationen gegenüber Kapitalanlagen, bei denen vereinbartes Kapitalnutzungsentgelt bzw. Ertragsebene und realisierte Wertentwicklung des Papiers bzw. Vermögensebene klar voneinander unterschieden werden können. Einer entsprechenden Einbindung bedarf es aber etwa bei Kursänderungen von festverzinslichen Wertpapieren oder Aktien nicht, da insoweit Kapitalnutzungsentgelt und Wertentwicklung des Papiers ohne Schwierigkeiten voneinander geschieden werden können. In der danach systematisch wie verfassungsrechtlich gebotenen engen Auslegung sind gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG Finanzanlagen, bei denen nach der Art ihrer Ausgestaltung bei der Emission eine rechnerische Differenzierung zwischen Ertrags- und Vermögensebene ohne weiteres möglich ist, nicht mit der Marktrendite zu erfassen (vgl. zum Vorstehenden grundlegend BFH, Urteil vom 13. Dezember 2006 – VIII R 6/05 –, BStBl II 2007, 571).
45(2) Bei den Wertpapieren Nr. 1, 3 und 4 handelt es sich nicht um Anlagen, bei denen ihrer Ausgestaltung nach Nutzungsentgelt und Kursgewinn rechnerisch nicht abgrenzbar sind. Es gibt es weder verdeckte Zinserträge, noch eine Vermengung von Ertrags- und Vermögensebene. Maßgeblich für diese Beurteilung ist die Art der Ausgestaltung bei der Emission und damit die Produktinformationen des einzelnen Wertpapiers (vgl. grundlegend BFH, Urteil vom 13. Dezember 2006 – VIII R 6/05 –, BStBl II 2007, 571). Die Berechnungsgrundlagen des variablen Zinses der streitigen Wertpapiere werden in den Produktinformationen erläutertet und sind anhand der in den Produktinformationen enthaltenen Formeln auf der Basis der Zinsentwicklung ohne Schwierigkeit zu ermitteln. Dies zeigen auch die Rechenbeispiele in den Produktinformationen zu den Markdaten per 07.02.2005 (Wertpapier Nr. 1), 27.04.2005 (Wertpapier Nr. 3) und 30.05.2005 (Wertpapier Nr. 4).
46Es ist dabei unschädlich, dass sich die Verzinsung bei Veräußerung der Wertpapiere am 22.12.2006 noch nicht berechnen ließ, sondern erst im Jahr 2007 eine Ermittlung möglich war, weil der Zinssatz jeweils drei Bankarbeitstage vor dem Ende der jeweiligen halbjährigen Periode (bei Wertpapier Nr. 1 am März 2007, bei Wertpapier Nr. 3 am 17. Mai 2007 und bei Wertpapier Nr. 4 am 21. Juni 2007) zu berechnen war. Es genügt, dass sich der Zinsertrag im Nachhinein ermitteln lässt (vgl. BFH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – VIII R 70/13 –, BFH/NV 2016, 736; wohl auch BFH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VIII R 42/12 –, BStBl II 2014, 319). Eine Berechenbarkeit des Zinsertrages zu jedem Zeitpunkt der Laufzeit der Kapitalanlage bzw. jedem denkbaren Veräußerungszeitpunkt ist nicht erforderlich. Kann der Zinsertrag im Nachhinein eindeutig berechnet werden und ist insoweit eine Abgrenzung zwischen Vermögens- und Ertragsebene möglich, ist keine untrennbare Verbindung bewirkt worden und Zinserträge wurden nicht als steuerfreie Wertzuwächse „konstruiert“.
47(3) Auch der Umstand, dass die Verzinsung ab der dritten Zinsperiode jeweils variabel ist und von der Entwicklung des Spreads, also der Entwicklung des 10-Jahres- und des 2-Jahres-Swapsatzes abhängt, steht der Abgrenzbarkeit zwischen Zinsertrag und Kursgewinn nicht entgegen (so auch zu Schuldverschreibungen mit einer Phase fester und indexabhängiger variabler Verzinsung, bei der die Höhe der Verzinsung in der variablen Zinsphase sich ebenfalls aus Differenz der – jederzeit veränderbaren – Bezugsgrößen des 10‑Jahres‑Euro-Swapsatzes und des 2-Jahres‑Euro‑Swapsatzes ergibt, BFH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – VIII R 70/13 –, BFH/NV 2016, 736). Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG a.F. nicht jegliche Wertveränderung im Vermögensstamm erfassen, sondern lediglich solche Kapitalanlagen, bei denen an sich steuerpflichtige Zinserträge als steuerfreier Wertzuwachs konstruiert werden (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59 und BFH, Urteil vom 20. November 2006 – VIII R 97/02 –, BFH BStBl II 2007, 555 sowie BFH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – VIII R 70/13 –, BFH/NV 2016, 736). Dies trifft auf die streitgegenständlichen Wertpapiere nicht zu. Ausweislich der Produktinformationen wurde eine Verzinsung vereinbart, die ab der dritten Zinsperiode variabel sein sollte. Im Streitjahr 2006 wurden Zinsen auch vereinbarungsgemäß gezahlt – und der Besteuerung unterworfen.
48(4) Der Umstand, dass ausweislich der Produktinformationen der Kurs der streitgegenständlichen Wertpapiere von Veränderungen der EUR-Zinskurve sowie von Veränderungen am Optionsmarkt abhing, führt nicht zu einer untrennbaren Verbindung von Nutzungsentgelt und Kursgewinn. Dass je nach Kapitalmarktentwicklung mit Änderungen der Referenzzinssätze Kursschwankungen verbunden sind, unterscheidet die streitgegenständlichen Wertpapiere nicht wesentlich von festverzinslichen Wertpapieren. Auch bei solchen hängt der Kurswert von der allgemeinen Zinsentwicklung ab (in diese Richtung auch BFH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VIII R 42/12 –, BStBl II 2014, 319). Anders als bei sog. Dax-Zertifikaten sind bei den streitgegenständlichen Wertpapieren auch nicht Kursgewinne in das Entgelt für die Kapitalüberlassung eingebunden (vgl. zu Dax-Zertifikaten BFH, Urteil vom 13. Dezember 2006 – VIII R 79/03 –, BStBl II 2007, 562), sondern es wurde ein hiervon abgrenzbares Kapitalnutzungsentgelt in Gestalt einer zunächst festen, dann variablen Verzinsung vereinbart.
49(5) Soweit der BFH bei Schuldverschreibungen, die mit einem variablen Zinssatz ausgestattet sind, der an die Wertentwicklung von Aktien deutscher bzw. ausländischer Aktiengesellschaften gebunden ist („Aktienkorb“), die Abgrenzbarkeit von Vermögens- und Ertragslage verneint hat (BFH, Urteil vom 26. Juni 2012 – VIII R 40/10 –, BFH/NV 2013, 346), folgt der Senat dem nicht. Der BFH führt in dieser Entscheidung aus, dass die fehlende Trennbarkeit zwischen Vermögens- und Ertragslage u.a. darin ihren Grund habe, dass bei der unterjährigen Veräußerung der Schuldverschreibungen keine Stückzinsen ausgewiesen würden, sodass bei unterjähriger Veräußerung eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene nicht möglich sei, und zum anderen sowohl Verzinsung wie Kursentwicklung der Schuldverschreibungen untrennbar mit der Wertentwicklung der zugrunde liegenden Aktien verknüpft seien: Steige der Kurswert der Aktien, erhöhet sich die Verzinsung der Schuldverschreibungen, was automatisch den Kurswert der Schuldverschreibung beeinflusst und zwar unabhängig vom jeweiligen Zinsniveau. Umgekehrt verhalte es sich genauso. Fallen die Kurse der maßgeblichen Aktien, verringere sich die Verzinsung der Schuldverschreibung, was wiederum den Kurswert der Schuldverschreibung beeinflusse. Hinzu komme, dass die Höhe der Verzinsung sich nach der Kursentwicklung der Aktien zu einem vorab bereits festgelegten Zeitpunkt richte und nur auf diesen Zeitpunkt Zinsen gezahlt würden.
50In seiner späteren Entscheidung vom 17. Dezember 2013 (VIII R 42/12 –, BStBl II 2014, 319) hat der BFH auf den Ausweis von Stückzinsen bei unterjähriger Veräußerung nicht abgestellt. Die Abhängigkeit der Kursentwicklung von der Zinsentwicklung hat der BFH in seiner späteren Entscheidung nicht als ausreichend angesehen, um eine untrennbare Verbindung von Ertrags- und Vermögensebene anzunehmen. Dies ist nach Auffassung des erkennenden Senats auch überzeugend, da sich in dieser Hinsicht Wertpapiere mit variablem Zins nicht wesentlich von festverzinslichen Wertpapieren unterscheiden. In der Abhängigkeit der Höhe der Verzinsung von der Kursentwicklung eines Aktienkorbes sind die Wertpapiere der BFH-Entscheidung im Verfahren VIII R 40/13 außerdem eher Dax-Zertifikaten, bei denen Kursgewinnen in das Entgelt für die Kapitalüberlassung eingebunden sind, als solchen Schuldverschreibungen vergleichbar, bei denen sich die Höhe der Verzinsung in der variablen Zinsphase nach der Entwicklung bestimmter Referenzzinssätze ergibt.
51(6) Die Veräußerungsverluste des Klägers sind auch nicht deshalb steuerlich anzuerkennen sind, weil die Emittentin eine Rückzahlung zum Nennwert garantiert hatte. Der BFH vertritt die Auffassung, dass bei der Veräußerung von Indexzertifikaten, bei denen Vermögens- und Ertragslage nicht abgrenzbar seien, der Veräußerungsüberschuss nur hinsichtlich des Teils steuerbar sei, der der garantierten Mindestrückzahlung zuzuordnen sei (BFH, Urteil vom 04. Dezember 2007 – VIII R 53/05 –, BStBl II 2008, 563). Im Streitfall sind aber Vermögens- und Ertragslage der Wertpapiere Nr. 1, 3 und 4 voneinander abgrenzbar, so dass eine Berücksichtigung des erlittenen Veräußerungsverlusts schon dem Grunde nach nicht in Betracht kommt. Auf die Frage, ob eine Berücksichtigung des Verlusts in vollem Umfang möglich ist, weil eine Rückzahlung zum Nennwert garantiert wurde, kommt es deshalb nicht an.
524. Das Verfahren war nicht im Hinblick auf die beim BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des BFH vom 12. Juli 2017 (VIII R 48/14 –, BFH/NV 2018, 412) auszusetzen. Gegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist die Frage der Ermittlung der Emissionsrendite bei absolutem Zinsbetrag und festgeschriebener Laufzeit und nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei einer Finanzanlage von einer fehlenden Abgrenzbarkeit von Vermögens- und Ertragslage auszugehen ist.
53II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
54III. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, weil der Senat vom Urteil des BFH vom 26. Juni 2012 – VIII R 40/10 –, BFH/NV 2013, 346 abweicht.