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Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 29.8.2019 und der Einspruchsentscheidung vom 2.10.2019 verpflichtet, der Klägerin für ihre Tochter M. L. für die Monate September und Oktober 2019 Kindergeld zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin in dem Streitzeitraum von September bis einschließlich Oktober 2019 einen Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter M. L., geboren am 31.8.2001, hat.
3Die Tochter der Klägerin besuchte bis einschließlich Juli 2019 das städtische Gymnasium in C-Stadt. Am 7.7.2019 schloss sie, gesetzlich vertreten durch die Klägerin, mit der U-GmbH einen Vertrag über die Teilnahme an einem Stipendienprogramm mit dem Namen „XYZ“ ab, welches diese mit ihrem Kooperationspartner I. durchführt. Das Programm sollte ausweislich des Vertrags am 1.8.2019 beginnen und am 31.1.2020 enden. Die U. ist eine internationale Bildungsplattform mit Sitz in D-Stadt, die Bildungsprogramme und –konzepte mit Fokus auf unternehmerische Fähigkeiten, Innovation und lebenslanges Lernen entwirft. Der geschlossene Teilnehmervertrag zum Programm „XYZ“ hatte unter anderem folgenden Inhalt:
4„§ 1 Vertragszweck/Inhalt Stipendium
5Die U. wird der Stipendiatin / dem Stipendiaten im Rahmen ihres 24-wöchigen Bildungs-Programms „XYZ“ durch Workshops auf die Anforderungen in der heutigen Berufswelt vorbereiten.
6Das Bildungsprogramm wird in Form eines Stipendiums vergeben. […] Die Stipendiatin / der Stipendiat bekommt während der Dauer des Studiums einen Zuschuss zum Bestreiten des Lebensunterhalts. Dieser Zuschuss stellt keine Gegenleistung für Tätigkeiten der Stipendiatinnen / Stipendiaten dar.
7Ziel dieses Programmes ist es, der Stipendiatin / dem Stipendiaten Orientierungsmöglichkeiten für seine Berufsfindung zu geben und sie / ihn erste praktische Erfahrungen sammeln zu lassen. Zu diesem Zweck erhält die Stipendiatin / der Stipendiat neben der theoretischen Unterrichtung, welche den Schwerpunkt des Programms darstellt, die Möglichkeit, Einblicke in die betriebliche Praxis eines Unternehmens zu nehmen. Dies erfolgt vergleichbar einem Praktikum im Rahmen von Hospitationen in den Stores und Büros des Kooperationspartners der U.. […]
8§ 3 Inhalt des Programms, Pflichten der Stipendiatinnen / Stipendiaten, Freizeit
9Das Stipendium gliedert sich in eine insgesamt 16-wöchige Unterrichts- / Orientierungsphase und eine insgesamt 5-wöchige praktische Phase in Form von Schnuppertagen bei dem Kooperationspartner sowie zusätzlich 3 Wochen Ferien, deren Verteilung von der U. vor Beginn des Programms festgelegt wird (Gesamtdauer des Programms somit 24 Wochen).
101) Anwesenheitspflicht: Die Stipendiatin / der Stipendiat verpflichtet sich, während des Programms vollumfänglich an allen Aktivitäten, den einzelnen Unterrichtsphasen und Schnuppertagen, teilzunehmen. Die täglichen Programmzeiten werden im Curriculum und einem Programmkalender angegeben; die täglichen Zeiten sind in der Regel von 10.00 bis 17.00 Uhr. […] Die Stipendiatin / der Stipendiat erkennt an, dass jede Abwesenheit die ausdrückliche Erlaubnis der U. erfordert.[…]
113) Die insgesamt 16-wöchige Unterrichts- und Orientierungsphase ist in folgende Abschnitte gegliedert:
124) Die insgesamt 5-wöchige praktische Phase an Schnuppertagen ist in folgende Abschnitte gegliedert:
14[…]“
167) Die praktische Phase umfasst wöchentlich 30 Stunden bei fünf Schnuppertagen pro Woche. […]“
17Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Teilnehmervertrag vom 7.7.2019 Bezug genommen.
18Ausweislich der Homepage des Unternehmens I. (xxx, zuletzt abgerufen am 19.8.2020) ist das Programm „XYZ“ ein Programm zur beruflichen Orientierung mit dem Ziel, junge Schulabsolventen dabei zu begleiten, ihre individuellen Brücken zwischen Schulabschluss und Berufsleben zu bauen. Das Programm vermittle Fähigkeiten und Wissen in den Bereichen Soft Skills, Selbstmanagement, Entscheidungsstärke, Projektplanung, Bewerbungstraining und Wirtschaft. Zudem erhielten Teilnehmer Einblicke in den Berufsalltag bei I. und lernten das Unternehmen als Arbeitgeber kennen.
19Mit Bescheid vom 29.8.2019 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Kindergeld für ihre Tochter M. L. ab September 2019 ab, da die Tätigkeit der Tochter nach dem Teilnehmervertrag nicht konkret berufsbezogen sei, sondern lediglich der Vermittlung allgemein nützlicher Fertigkeiten diene. Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin am 5.9.2019 Einspruch ein.
20Im Einspruchsverfahren erklärte die Klägerin am 23.9.2019, dass ihre Tochter eine duale Hochschulausbildung im Bereich Personalmanagement beabsichtige. Sie wolle entweder bei der IUBH internationalen Hochschule GmbH, Campus E-Stadt (im Folgenden: IUBH) ein duales Studium im Bereich Personalmanagement aufnehmen oder sich an der International School of Management in E-Stadt (im Folgenden: ISM) für den Studiengang „Psychology & Management“ einschreiben. Die Klägerin bat in diesem Zusammenhang daher um nochmalige Überprüfung der Entscheidung der Beklagten, zumal ein von der U. ausgestelltes Zertifikat bei der Bewerbung für ein Studienstipendium vorteilhaft sei.
21Der duale Studiengang Personalmanagement an der IUBH beginnt lediglich zum Wintersemester. Bewerbungsschluss für den Studiengang ist jeweils der 31. August des Jahres des Studienbeginns. Der Studiengang „Psychology & Management“ an der ISM kann sowohl zum Sommersemester wie auch zum Wintersemester begonnen werden. Bewerbungsschluss für den Studiengang ist für das Sommersemester der 15. Dezember des Jahres vor Studienbeginn und für das Wintersemester der 16. Oktober des Jahres des Studienbeginns.
22Die Tochter der Klägerin nahm im Rahmen des Programms „XYZ“ in den Zeiträumen vom 25.8.2019 bis zum 6.10.2019, vom 10.11.2019 bis zum 21.12.2019 und vom 5.1.2020 bis zum 1.2.2020 an theoretischem Unterricht der The U. teil.
23Im Rahmen der ersten Theoriephase vom 25.8.2019 bis zum 6.10.2019 wurde u.a. vermittelt, was es heiße eine Weltbürgerschaft (engl.: Global Citizenship) zu besitzen. Außerdem sollten sich die Teilnehmer mit ihren Wertevorstellungen, Stärken und Schwächen auseinandersetzen und damit, wie man diese mit einem späteren Beruf verbinden könne. Zudem wurden Methoden des Projektmanagements vermittelt und die Teilnehmer sollten in Kleingruppen ein Produkt zur Lösung eines Problems ihrer Wahl entwickeln. Darüber hinaus wurde vermittelt, was ein Megatrend ist und welche Megatrends es auf dem Weltmarkt aktuell gebe. Die Teilnehmer führten auch einen Persönlichkeitstest durch, dessen Ergebnis ein Präferenzprofil umfasste, durch welches den Teilnehmern ihre bewussten und unbewussten Eigenschaften im Arbeitsumfeld näher gebracht werden sollten.
24An die erste Theoriephase schloss sich eine Praxisphase vom 7.10.2019 bis zum 30.10.2019 an. Im Rahmen dieser Praxisphase lernte die Tochter der Klägerin im Customer Service Center zunächst vom 7.10. bis zum 12.10.2019 den Beruf eines Mitarbeiters im Kundenservice (sog. „First Line Agent“) bei I. kennen. Ab dem 12.10.2019 bis zum 27.10.2010 nahm die Tochter der Klägerin zum einen in einer Filiale von I. am Verkaufsalltag teil, in welchem sie Einblicke in die visuelle Verkaufsförderung (sog. „Visual Merchandising“) bekam. Zum anderen lernte sie den Alltag im Personalwesen durch einen HR-Manager der I. kennen. Schließlich erhielt die Tochter am Ende der Praxisphase im sog. I.-Support Office Einblicke in die Bereiche Einkauf, Design, Finanz- und Rechnungswesen, Innendesign, Merchandising, Nachhaltigkeit, Human Resources und Logistik bei I..
25Es folgte die zweite Theoriephase vom 10.11.2019 bis zum 21.12.2019. In dieser sollten die Teilnehmer eine Projektaufgabe lösen. Zu diesem Zweck wurden ihnen Arbeitsweisen des Projektmanagements vermittelt (z.B. Brainstorming, Erstellung von Prototypen und Prüfung, ob ein Produkt die Zielgruppe anspricht).
26Im Rahmen der abschließenden dritten Theoriephase vom 5.1.2020 bis 1.2.2020 wurden den Teilnehmern Kenntnisse zum Erstellen von Präsentationen und zur Vermittlung ihrer Inhalte, zum strukturierten Arbeiten, zur Stärkung der Resilienz, zur Markenbildung beim Menschen (sog. „Self-Branding“), zum richtigen Investieren und zur Verwaltung von Finanzen vermittelt.
27Die Tochter der Klägerin erhielt zudem eine Bestätigung über die Teilnahme am Programm zur Vorlage bei späteren Bewerbungen.
28Letztlich blieb der gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten eingelegte Einspruch erfolglos. Daher hat die Klägerin gegen die Einspruchsentscheidung vom 2.10.2019 am 4.11.2019 die vorliegende Klage erhoben.
29Die Klägerin hat im Zuge des laufenden Klageverfahrens nachgewiesen, dass ihre Tochter sich am 7.11.2019 für ein Studium an der IUBH in E-Stadt zum Wintersemester 2020/2021 beworben hatte. Da sie wegen der Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie keinen Praxispartner für das duale Studium finden konnte, nahm sie das Studium letztlich nicht auf, sondern begann zum 1.8.2020 ein duales Studium der Betriebswirtschaftslehre, welches eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau bei dem Unternehmen T-GmbH beinhaltet.
30Die Klägerin ist der Auffassung, ihre Tochter habe ein hinreichend konkretes Berufsziel – ein Studium im Bereich des Personalmanagements – verfolgt, welches durch das Bildungsprogramm „XYZ“ gefördert worden sei. Durch das Bildungsprogramm habe sie Einblicke in verschiedene Abteilungen eines Wirtschaftsunternehmens erhalten und sich somit für das Studium erforderliche Kenntnisse und Fähigkeiten vor Beginn angeeignet. Der abschließende theoretische Teil habe unter anderem auch die Finanzierung einer Studienausbildung zum Inhalt gehabt. Der Grundtatbestand des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfasse ferner Praktika – wie sie im Rahmen des Bildungsprogrammes durchgeführt worden seien. Das Bildungsprogramm sei zugleich auch eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme gewesen.
31Die Klägerin beantragt,
32die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 29.8.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.10.2019 zu verpflichten, ihr für ihre Tochter M. L. für die Monate September und Oktober 2019 Kindergeld zu gewähren.
33Die Beklagte beantragt,
34die Klage abzuweisen.
35Sie ist weiterhin der Auffassung, dass das Stipendienprogramm der U. keine Berufsausbildung im Sinne des Kindergeldrechts darstelle. Das Programm diene der Berufs- und Selbstfindung; es mangele ihm an einem konkreten Berufsbezug, da die Vermittlung allgemein nützlicher Fertigkeiten oder allgemeiner Lebenserfahrungen oder die Herausbildung sozialer Eigenschaften im Vordergrund stünden. Die Tochter der Klägerin sei zudem kein Kind ohne Ausbildungsplatz im Sinne von § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG gewesen. Ernsthafte Bemühungen um einen Ausbildungsplatz seien erst ab November 2019 nachgewiesen worden.
36Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 7.1.2019 bzw. vom 17.3.2020 übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
37Entscheidungsgründe
38I. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne vorherige Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
39II. Die zulässige Klage ist begründet.
40Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 29.8.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.10.2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Denn im Streitzeitraum bestand gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG ein Kindergeldanspruch der Klägerin für ihr Kind M. L..
411. Ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, welches – wie im Streitfall – das 18 Lebensjahr, aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, besteht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG u.a. dann, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird. Dies war im Streitzeitraum der Fall.
42a. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet (vgl. BFH-Urteil vom 9.6.1999 VI R 16/99, BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713). Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind, und zwar unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungsordnung oder Studienordnung vorgeschrieben sind (vgl. BFH-Urteile vom 9.6.1999 VI R 16/99, BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713; vom 2.4.2009 III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298, m.w.N.). Unter den weiten Begriff der Berufsausbildung fällt aber nicht jedweder Erwerb von Fertigkeiten; erforderlich ist vielmehr ein konkreter Bezug der erworbenen Kenntnisse zum angestrebten Beruf, welcher bei Tätigkeiten zu Erlangung allgemeiner Erfahrungswerte fehlt (vgl. BFH-Urteil vom 13.12.2018 III R 25/18, BFHE 263, 53, BStBl II 2019, 256). Eine solche Abgrenzung ist insbesondere erforderlich bei der Vermittlung oder dem Erwerb von Fähigkeiten, die (auch) der Erlangung sozialer Erfahrungen, der Persönlichkeits- und Charakterbildung oder der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl dienen. Die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen den Maßnahmen und dem angestrebten Beruf besteht, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu treffen (vgl. BFH-Urteil vom 13.12.2018 III R 25/18, BFHE 263, 53, BStBl II 2019, 256).
43b. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, welche der Senat für zutreffend erachtet, und unter Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass das Programm „XYZ“ im Streitfall eine Berufsausbildung der Tochter der Klägerin i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG darstellte. Denn es vermittelte ihr Kenntnisse und Fähigkeiten, welche in einem konkreten Bezug zu der von ihr im Streitzeitraum angestrebten späteren beruflichen Tätigkeit im Bereich Personalmanagement standen. Insoweit kann dahinstehen, inwieweit allgemeine Maßnahmen zur Berufsfindung und Berufsorientierung nach Erlangung eines Schulabschlusses zum Bezug von Kindergeld berechtigen.
44aa. Das einheitliche Bildungsprogramm „XYZ“ ermöglichte der Tochter der Klägerin zunächst praktische Einblicke in mögliche Managementberufe (Kundenservice, Personalverwaltung, Marketing-Management), welche ihr nach Abschluss des von ihr im Streitzeitraum angestrebten Studiums im Bereich Personalmanagement offen stehen werden. Auch in den theoretischen Teilen des Bildungsprogramms wurden der Tochter der Klägerin überwiegend Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt, welche insbesondere im Rahmen einer späteren beruflichen Tätigkeit im Bereich Personalmanagement erforderlich sind (Projektmanagement, Krisenmanagement, Erstellung von Präsentationen und Vermittlung ihrer Inhalte, Markenbildung bei Menschen, strukturiertes Arbeiten, richtiges Investieren und Verwaltung von Finanzen). Der Vermittlung allgemeiner Erfahrungswerte und der persönlichen Charakterbildung (Persönlichkeitstest, Auseinandersetzen mit eigenen Wertevorstellungen, Stärken und Schwächen) kam im Rahmen des Bildungsprogramms für die Tochter der Klägerin nur eine untergeordnete Bedeutung zu, da diese Inhalte bezogen auf den gesamten zeitlichen Umfang höchstens 35 % des gesamten Bildungsprogramms ausmachten.
45bb. Dem konkreten Bezug des Programms zu der von der Tochter der Klägerin angestrebten späteren beruflichen Tätigkeit steht nicht entgegen, dass das Bildungsprogramm „XYZ“ im Allgemeinen dem Ziel dient, den Teilnehmern eine Orientierungsmöglichkeiten für ihre Berufsfindung zu geben und daher grundsätzlich auf einen Teilnehmerkreis von Personen ausgerichtet ist, die – anders als die Tochter der Klägerin – noch nicht wissen, für welchen Beruf sie sich ausbilden lassen möchten und für die mithin möglicherweise die Erlangung allgemeiner Erfahrungswerte im Vordergrund steht.
46Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann auch eine Bildungsmaßnahme, die in der Regel nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl dient (z.B. Freiwilligendienst) im Einzelfall einen so hinreichend engen Bezug zu einem späteren Studium oder einer betrieblichen Ausbildung haben, dass sie Bestandteil der Berufsausbildung ist (vgl. BFH-Urteile vom 13.12.2018 III R 25/18, BStBl II 2019, 256; vom 7.4.2011 III R 11/09, BFH/NV 2011, 1325; vom 15.7.2003 VIII R 78/99, BFHE 203, 90, BStBl II 2003, 841).
47Im vorliegenden Einzelfall bestand ein solcher hinreichend enger Bezug zu dem von der Tochter der Klägerin bereits im Streitzeitraum beabsichtigten Ausbildungsziel, das Studium des Personalmanagements erfolgreich zu absolvieren. Dass die Tochter der Klägerin bereits im Streitzeitraum dieses Ziel verfolgte, ergibt sich bereits aus dem Schreiben der Klägerin aus dem Monat September 2019. In diesem Schreiben teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass ihre Tochter entweder Personalmanagement zu studieren beabsichtige oder sich für den Studiengang „Psychologie and Management“ mit ähnlichen Studieninhalten einschreiben werde. Schließlich spricht für das tatsächliche Bestehen eines konkreten Berufsziels der Tochter der Klägerin im Bereich Personalmanagement im Streitzeitraum, dass sie sich einen Monat nach dem Streitzeitraum tatsächlich auf einen entsprechenden Studienplatz beworben hat. Für dieses angestrebte konkrete Ausbildungsziel bestand ferner ein hinreichend enger Bezug zu den Inhalten des Bildungsprogramms, weil das Bildungsprogramm insbesondere ein Praktikum im HR-Bereich ermöglichte und im theoretischen Teil des Programms das vermittelte Wissen und die vermittelten Soft Skills in ihrer Gesamtschau überwiegend solche waren, die für eine Management-Tätigkeit im Rahmen eines Wirtschaftsunternehmens gefordert werden.
48cc. Die Teilnahme am Programm „XYZ“ ist schließlich nicht in einen einem Praktikum entsprechenden Teil (Praxisphase vom 7.10.2019 bis zum 30.10.2019) und einen theoretischen Teil (Theoriephasen vom 25.8.2019 bis zum 6.10.2019, vom 10.11.2019 bis zum 21.12.2019 und vom 5.1.2020 bis zum 1.2.2020) aufzuspalten mit der Folge, dass bei einer isolierten Betrachtung des theoretischen Teils möglicherweise die Vermittlung allgemeiner Erfahrungen und die persönliche Charakterbildung überwöge. Denn es handelt sich bei dem Programm „XYZ“ um eine aufeinander abgestimmte, gemeinsam mit dem Kooperationspartner des praktischen Teils organisierte einheitliche Bildungsmaßnahme.
49III. Die Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 135 Abs. 1, 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
50IV. Die Revision war nicht zuzulassen. In Anbetracht dessen, dass der Senat auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des BFH zum Ausbildungsbegriff eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen hat, liegt weder eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung vor (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch erscheint eine Entscheidung durch den BFH zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).