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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob die Teilnahme am Ausbildungsgang zur „AOK-Betriebswirtin“ Teil einer einheitlichen mehraktigen Berufsausbildung ist.
3Die Klägerin ist Mutter der am 00.8.1991 geborenen Tochter K und des am 00.11.1996 geborenen Sohnes Q. K beendete am 2.7.2013 ihre Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten bei der AOK … und wurde ab dem Folgetag dort als Arbeitnehmerin in Vollzeit übernommen. Die Beklagte hob daraufhin die Kindergeldfestsetzung für K ab August 2013 auf.
4Vom 1.10.2014 bis zum 30.11.2016 absolvierte K den berufsbegleitenden Ausbildungsgang zur „AOK-Betriebswirtin“. Nach der Studien- und Prüfungsordnung AOK-Betriebswirt/-in der AOK …, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 114-131 der Kindergeldakte), handelt es sich hierbei um einen internen Studiengang, den Mitarbeiter/-innen der AOK … wahrnehmen können (§ 1 Abs. 1 des Vorworts des Vorstandsvorsitzenden). Ziel ist die Befähigung, erste Führungsaufgaben und herausgehobene Beratungs- und Fachaufgaben im AOK-System wahrzunehmen (§ 1 Abs. 1 der Studien- und Prüfungsordnung). Voraussetzung ist nach § 2 Abs. 1 die Teilnahme an einem bundeseinheitlichen Potenzialanalyseverfahren, das K im Juli 2013 erfolgreich durchlaufen hatte. Ferner sind weitere Leistungsnachweise durch zwei schriftliche Klausurarbeiten zu erbringen, die frühestens ein Jahr nach Bestehen der Abschlussprüfung zur Sozialversicherungsfachangestellten erbracht werden können (§ 3 Abs. 1). Diese absolvierte K im Juli 2014. Das Studium umfasst die Themenschwerpunkte Betriebswirtschaftslehre, Recht, Gesundheitswissenschaften, Management und Marketing (§ 6 Abs. 1). Es besteht aus Seminaren, Eigenstudium und Praxisphasen, die organisatorisch, curricular und didaktisch aufeinander abgestimmt sind (§ 7 Abs. 1). Die Praxisphasen umfassen einen Zeitraum von insgesamt 16 Wochen und werden in im § 7 Abs. 2 näher bezeichneten Arbeitsbereichen über jeweils mindestens drei Wochen durchgeführt. Das Studium endet mit einer Abschlussprüfung.
5Die Seminare teilten sich bei der Tochter der Klägerin auf insgesamt zwölf zweiwöchige Lehrgangsabschnitte auf, in denen von montags bis samstags vormittags und an den meisten Tagen auch nachmittags Unterricht stattfand. Im 2. Nachtrag zum Arbeitsvertrag vom 22.1.2016 wurde die Vorstandsrichtlinie und die Studien- und Prüfungsordnung des Studiengangs Bestandteil des Arbeitsvertrages zwischen der AOK … und der Tochter der Klägerin. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von der Klägerin eingereichten Unterlagen und Arbeitsverträge der Tochter (Bl. 40-129 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Für den Zeitraum des Studiums beantragte die Klägerin am 12.12.2017 rückwirkend die Festsetzung von Kindergeld. Dies lehnte die Beklagte unter Hinweis auf die bereits abgeschlossene Berufsausbildung ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
6Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie zunächst darauf verweist, dass Kommilitonen der Tochter für dieselbe Ausbildung Kindergeld gewährt worden sei. Ferner beruft sie sich auf das BFH-Urteil vom 8.9.2016 (III R 27/15), wonach auch ein berufsbegleitendes Studium eine Berufsausbildung darstelle. Dieses habe K zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgenommen. Während der Ausbildung habe der Ausbildungscharakter und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen im Vordergrund gestanden, so dass es sich nicht um eine innerbetriebliche Qualifizierung gehandelt habe. Die Nachbereitung der Studieninhalte sowie die Vorbereitung auf die Leistungsnachweise habe die Tochter im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber auch während der Dienstzeit vorgenommen.
7Die Klägerin beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 26.2.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 20.9.2018 zu verpflichten, für die Tochter K für den Zeitraum Oktober 2014 bis November 2016 Kindergeld in der gesetzlichen Höhe festzusetzen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie ist der Auffassung, dass der Ausbildungsgang nicht mehr Teil der Erstausbildung sei, da dieser eine Berufstätigkeit voraussetze, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung diene. Außerdem handele es sich um eine AOK-interne Weiterbildung und nicht um eine staatliche oder staatlich anerkannte Ausbildung.
12Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
13Entscheidungsgründe
14Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
15Die zulässige Klage ist unbegründet.
16Die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung für K für den Zeitraum Oktober 2014 bis November 2016 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter K für den streitigen Zeitraum.
17Ein volljähriges Kind wird gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigt, wenn es das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind nach dieser Vorschrift nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a SGB IV sind unschädlich (32 Abs. 4 Satz 3 EStG).
18Für die Monate September bis November 2016 kann K unabhängig von den weiteren Voraussetzungen bereits deshalb nicht berücksichtigt werden, da sie bereits im August 2016 ihr 25. Lebensjahr vollendet hatte.
19Für die übrigen Zeiträume befand sich K nicht in einer Berufsausbildung. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind, und zwar unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungsordnung der Studienordnung vorgeschrieben sind. Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen. Voraussetzung für eine innerhalb eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses stattfindende Ausbildung ist jedoch, dass die Erlangung beruflicher Qualifikationen, d.h. der Ausbildungscharakter, und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen, d.h. der Erwerbscharakter, im Vordergrund steht (BFH-Urteil vom 22.2.2017 III R 20/15, BStBl. II 2017, 913 m .w. N.). Für diese Abgrenzung ist auf die Gesamtwürdigung der Verhältnisse abzustellen. Dabei spricht für die Aufnahme einer Berufstätigkeit als Hauptsache, wenn sich das Kind längerfristig an einen Arbeitgeber bindet, etwa durch ein zeitlich unbefristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer regelmäßigen vollzeitigen oder nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit. Ferner ist von Bedeutung, ob das Kind mit der nach Erlangung des ersten Abschlusses aufgenommenen Berufstätigkeit bereits die durch diesen Abschluss erlangte Qualifikation nutzt, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben. Darüber hinaus ist in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, inwieweit die Arbeitstätigkeit im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung den im nächsten Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet ist (BFH-Urteil vom 11.12.2018 III R 26/18, BFH/NV 2019, 465).
20Nach den Gesamtumständen stand während der Zeit des Ausbildungsganges weiterhin der Erwerbscharakter im Vordergrund des Arbeitsverhältnisses der Tochter der Klägerin mit der AOK … . Das berufsbegleitende Studium stellt demgegenüber lediglich eine innerbetriebliche Fortbildung dar. K blieb weiterhin in Vollzeit bei der AOK … als Sozialversicherungsfachangestellte und damit in ihrem erlernten Beruf tätig. Sie bezog hierfür eine entsprechende Vergütung und nicht etwa ein gekürztes Ausbildungsgehalt. Nach der Studien- und Prüfungsordnung AOK-Betriebswirt/-in der AOK … lag auch der zeitliche Schwerpunkt der Tätigkeit während der zweijährigen Laufzeit nicht im Studium. Die nach § 7 Abs. 2 abzuleistenden Praxisphasen umfassten während der zwei Jahre lediglich insgesamt 16 Wochen. Daneben umfassten die Seminare insgesamt 24 Wochen. Danach entfallen insgesamt 40 Wochen innerhalb von zwei Jahren auf die theoretischen und praktischen Teile des Studiums. Hinzu kommen die Inhalte, die im Rahmen des Fernstudiums abgeleistet werden mussten. Soweit die Klägerin vorträgt, dass ihre Tochter während der regulären Dienstzeit im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber gelernt habe, ergibt sich dies weder aus der Studienordnung noch aus den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Der Senat geht dabei davon aus, dass das Fernstudium und weitere Vor- und Nachbereitung außerhalb der Dienstzeit erfolgten. Dementsprechend stand die Tochter außerhalb der Seminare und der Praxisphasen ihrem Arbeitgeber für ihre reguläre Tätigkeit als Sozialversicherungsfachangestellte zur Verfügung, ging dieser nach und wurde hierfür entsprechend bezahlt.
21Selbst wenn man den innerbetrieblichen Studiengang als Ausbildung im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG ansähe, wäre eine Berücksichtigung nicht möglich, weil die Tochter der Klägerin während dieser Zeit einer Erwerbstätigkeit in Vollzeit und damit von mehr als 20 Stunden pro Woche nachgegangen ist und bereits eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen hatte.
22Der Studiengang AOK-Betriebswirt/-in ist nicht Teil einer mehraktigen erstmaligen Berufsausbildung. Nach der Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt und auf die sich auch die Klägerin beruft, ist für die Frage, ob bereits der erste objektiv berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in einem engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (BFH-Urteile vom 3.7.2014 III R 52/13, BStBl. II 2015, 152; vom 8.9.2016 III R 27/15, BStBl. II 2017, 278 und vom 11.4.2018 III R 18/17, BStBl. II 2018, 548). Der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang liegt dann nicht mehr vor, wenn vor dem Beginn des zweiten Ausbildungsabschnitts eine Berufstätigkeit erforderlich ist (BFH-Urteil vom 4.2.2016 III R 14/15, BStBl. II 2016, 615).
23Eine solche schädliche Zäsur liegt im Streitfall vor. Die Tochter der Klägerin hatte bereits im Juli 2013 ihre Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten abgeschlossen und erst im Oktober 2014 mit dem Studium begonnen. Ein früherer Studienbeginn war deshalb nicht möglich, weil die nach § 3 Abs. 1 der Studien- und Prüfungsordnung erforderlichen Leistungsnachweise frühestens ein Jahr nach Abschluss der Ausbildung erbracht werden können. Diese Regelung stellt sicher, dass die Studenten vor Aufnahme des Studiums eine mindestens einjährige Berufserfahrung aufweisen.
24Darüber hinaus handelt es sich nicht um einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang, da er nicht staatlich anerkannt ist und ohne Beteiligung staatlicher Stellen konzipiert wurde. Der 3. Senat des Finanzgerichts Münster hat in einem mit dem Streitfall nahezu identischen Fall den Studiengang zum AOK-Betriebswirt allein aus diesem Grund nicht als mehraktige erstmalige Berufsausbildung angesehen (FG Münster, Urteil vom 13.12.2018 3 K 577/18 Kg, Juris).
25Eine Ausnahme nach § 32 Abs. 4 Satz 3 greift nicht ein; insbesondere stellt der Studiengang kein Ausbildungsdienstverhältnis dar. Ein Ausbildungsdienstverhältnis setzt ein Dienstverhältnis besonderer Art voraus, das durch den Ausbildungszweck geprägt ist. Die Ausbildungsmaßnahme selbst muss Gegenstand und Ziel des Dienstverhältnisses und des Arbeitsvertrages sein. Die vom Arbeitnehmer geschuldete Leistung, für die der Arbeitgeber bezahlt, muss in der Teilnahme an der Berufsausbildungsmaßnahme bestehen. Selbst wenn das Dienstverhältnis neben der Arbeitsleistung auch berufliche Fortbildungen und Qualifizierungen des Arbeitnehmers zum Gegenstand hat, diese aber nicht den wesentlichen Inhalt des Vertrages ausmachen, wird das Dienstverhältnis nicht zu einem Ausbildungsdienstverhältnis (BFH-Urteil vom 23.6.2015 III R 37/14, BStBl. II 2016, 55). Der Studiengang machte während seiner Dauer nicht den wesentlichen Inhalt des Dienstvertrages der Tochter der Klägerin mit der AOK … aus. Vielmehr hatte sie auch während dieser Zeit im Schwerpunkt ihre Arbeitsleistungen als Sozialversicherungsfachangestellte zu erbringen.
26Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass für Kommilitonen ihrer Tochter Kindergeld für denselben Studiengang gewährt worden sei. Zum einen hat die Klägerin dies nicht nachgewiesen und zum anderen wäre das Gericht an fehlerhafte Entscheidungen einer Behörde nicht gebunden.
27Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
28Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO sind nicht ersichtlich. Die Kriterien für die Abgrenzung zwischen Berufsausbildung und innerbetrieblicher Fortbildung sowie für die Beurteilung einer einheitlichen mehraktigen Berufsausbildung sind inzwischen durch eine Vielzahl von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs geklärt.