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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob ein gegen den Kläger ergangener Haftungsbescheid für Umsatzsteuerschulden der V UG rechtmäßig ist.
3Die V UG wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 00.06.2012 gegründet und am 00.08.2012 ins Handelsregister eingetragen (Amtsgericht E, HRB xxx, Bl. 1 KÖ-Akte). Gegenstand des Unternehmens war die „Übernahme von Dienstleistungen aller Art im Transportgewerbe und die Durchführung von Transporten“. Die Aufträge (Kleintransporte im Paketdienst) erhielt die V UG von der Firma W-GmbH, die der V UG auch die Fahrzeuge vermietete. Alleingesellschafter der W-GmbH und zeitweise auch ihr Geschäftsführer war der Kläger. Die von der V UG an die W-GmbH erbrachten Kurierdienstfahrten wurden in der Regel im Gutschriftswege, teilweise aber auch per Rechnung abgerechnet. Alleinige Gesellschafterin der V UG war zunächst Frau C O und ab dem 04.04.2013 Herr B G. Jeweils alleinige/r Geschäftsführer/in war bis zum 21.09.2012 Frau C O, bis zum 08.04.2013 Herr V X und bis zur Auflösung der Gesellschaft Frau E G (Eintragung ins Handelsregister: 29.09.2014). In der Zeit vom 03.07.2012 bis zum 18.12.2013 unterhielt die Gesellschaft ein Geschäftskonto bei der Bank B1, verfügungsberechtigt über dieses Konto waren Frau C O und der Kläger (Bl. 283 f. der Akte USST V UG). Ab dem 12.11.2013 unterhielt die V UG ein Geschäftskonto bei der Bank B2, einzelverfügungsbefugt über dieses Konto war Frau E G (Bl. 180 der Akte USST V UG). Durch Beschluss des Amtsgerichts E vom 22.08.2014 ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse abgelehnt worden.
4Für die V UG sind keine Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2012-2014 abgegeben worden. Im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung hat der Beklagte die Umsätze anhand der vorgefundenen Rechnungen sowie der Geldzuflüsse auf den betrieblichen Konten bei der Bank B1 und der Bank B2 ermittelt (siehe Anlage 1 zum Bericht über die Umsatzsteuersonderprüfung vom 29.05.2015, Bl. 20 der BP-Akte). Die von der Umsatzsteuersonderprüfung getroffenen Feststellungen hat der Beklagte in den nicht angegriffenen Umsatzsteuerjahresbescheiden für die Jahre 2012-2014 zugrunde gelegt (siehe Umsatzsteuerakte der V UG Band I; Bl. 21 ff. der BP-Akte). Nach Prüfung des Falles durch die Steuerfahndung C ist der Umsatzsteuerbescheid 2012 zu Lasten der V UG dahingehend geändert worden, dass die Vorsteuer in 2012 um 844,44 € gekürzt worden ist (Bericht der Steuerfahndung C vom 21.04.2016, Bl. 25 ff. der BP-Akte, Bl. 4 der Umsatzsteuerakte, Ziff. 10). Im Übrigen sind die Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung unbeanstandet geblieben (Bericht der Steuerfahndung C vom 21.04.2016, Bl. 25 ff. der BP-Akte, Bl. 4 der Umsatzsteuerakte, Ziff. 9).
5Nachdem die Umsatzsteuerschulden bei der V UG nicht beigetrieben werden konnten, erließ der Beklagte gegen Frau E G einen Haftungsbescheid vom 07.04.2014 für die Steuerschulden der V UG wegen Umsatzsteuer und Nebenleistungen in Höhe von 47.393,50 € für den Haftungszeitraum 10.11.2013 bis 07.04.2014 (Bl. 32 der Haftungsakte E G). Ebenfalls am 07.04.2014 erging ein weiterer Haftungsbescheid gegen Frau E G (Bl. 36 ff. der Haftungsakte E G) für die Steuerschulden der V UG wegen Lohnsteuer und Nebenleistungen in Höhe von 5.401,25 €. Die Haftungsschulden der Frau E G konnten nicht beigetrieben werden. Im Rahmen einer erneuten Haftungsprüfung nach durchgeführter Umsatzsteuersonderprüfung stellte der Beklagte Überlegungen zur Inanspruchnahme weiterer Haftungsschuldner an. Auf den hierzu gefertigten Aktenvermerk vom 28.10.2015 wird Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 46 f.).
6Mit Haftungsbescheid vom 03.12.2015 (Bl. 54 der Haftungsakte) nahm der Beklagte den Kläger für den Haftungszeitraum 10.08.2012 bis 28.02.2014 (Zeitpunkt der Gewerbeabmeldung) mit einer Haftungssumme in Höhe von 117.688,35 € für die Steuerschulden (Umsatzsteuer, Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer und Zinsen zur Umsatzsteuer, vgl. die Aufstellung Bl. 8 KÖ-Akte) der V UG gem. §§ 191, 69, 35 Abgabenordnung (AO) in Anspruch. Zur Begründung führte der Beklagte an, dass der Kläger faktischer Geschäftsführer der V UG gewesen sei und in dieser Funktion die steuerlichen Pflichten in schuldhafter Weise nicht erfüllt habe. Wegen fehlender Mitwirkung des Klägers bei der Sachverhaltsermittlung setzte der Beklagte die Haftungsquote auf 100% fest. Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Haftungsbescheid vom 03.12.2015 verwiesen. Gegen Frau C O und Herrn V X ergingen keine Haftungsbescheide.
7Gegen den Haftungsbescheid vom 03.12.2015 legte der Kläger am 16.12.2015 Einspruch ein (Bl. 1 der Haftungsakte B O), den er nicht begründete.
8Mit Einspruchsentscheidung vom 24.11.2016 (Bl. 24 der Haftungsakte B O) wies der Antragsgegner den Einspruch als unbegründet zurück.
9Mit seiner am 27.12.2016 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, er sei nicht faktischer Geschäftsführer der V UG gewesen. Gesellschafter und Geschäftsführer sei zunächst Herr B G gewesen, später habe dieser die Geschäftsführung auf seine Ehefrau E G übertragen. Die Behauptung des Finanzamts, dass der Kläger die kaufmännische Leitung des Unternehmens innegehabt habe und in dieser Funktion die Ausgangsrechnungen des Unternehmens gefertigt habe, sei unzutreffend. Der Kläger könne sich nicht daran erinnern, für das Konto Nr. 000001 bei der Bank B1 Überweisungsaufträge unterschrieben zu haben. Den Online-Zugriff auf das Konto habe nicht er, sondern Frau C O gehabt. Der Kläger sei bei der V UG lediglich angestellt gewesen. Er habe Kurierfahrten und Springerfahrten für die Gesellschaft ausgeführt und hierfür ein monatliches Gehalt in Höhe von ca. 1.100 € erhalten. Er, der Kläger, habe auch kein Geld vom Konto der V UG bei der Bank in Z abgehoben. Vermutlich seien diese Abhebungen von Frau C O durchgeführt worden, weil diese eine Kontovollmacht besessen habe. Diese habe das Geld dann wahrscheinlich an Herrn B G weitergeleitet. Er habe auch weder Geld vom Konto der V UG zur Finanzierung seines privaten Schwimmbades verwendet noch Kraftstoffrechnungen an die Firma L GmbH vom Konto der V UG bezahlt. Soweit vom Konto der V UG eine Heizöllieferung bezahlt worden sei, so habe es sich möglicherweise um Heizöl für den Tank am A-Weg gehandelt. Der Haftungsbescheid sei zudem ermessensfehlerhaft, da der Beklagte ohne nähere Begründung davon abgesehen habe, die während des Haftungszeitraums im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer, Frau C O und Herrn V X, in Haftung zu nehmen. Zudem hätte der Beklagte im Rahmen des Auswahlermessens auch in Erwägung ziehen müssen, Herrn B G als weiteren faktischen Geschäftsführer in Haftung zu nehmen, da dieser als Alleingesellschafter alle Fäden in der Hand gehalten habe.
10Nachdem der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2019 einen ersetzenden Haftungsbescheid gegen den Kläger erlassen hat, beantragt der Kläger nunmehr,
11den Haftungsbescheid vom 29.08.2019 aufzuheben.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Der Kläger habe eine Kontovollmacht für das Konto der V UG bei der Bank B1 ab dem 29.08.2012 gehabt. Die offiziell eingesetzten Geschäftsführer V X und E G hätten hingegen keine Bankvollmachten über dieses Firmenkonto gehabt. Unterschriften unter Überweisungsträger seien nicht erforderlich gewesen, da ausweislich der vorliegenden Kontoauszüge per Online-Banking überwiesen worden sei. Es spreche viel dafür, dass die Barabhebungen am Bankautomaten in Z vom Kläger vorgenommen worden seien, da der Kläger in diesem Stadtteil wohne. Frau C O habe zum Zeitpunkt der Abhebungen in … bzw. in … gewohnt, so dass sie wohnortnäher Bargeldabhebungen hätte durchführen können. Die Heizöllieferung an die V UG sei an die Privatadresse des Klägers in der B-Strasse in Z erfolgt. Der Lieferschein weise zudem die Handy-Nummer des Klägers aus. Da Frau C O bereits im März 2013 aus dem Haus in Z ausgezogen sei, könne sie unmöglich im September das Heizöl mit dem Handy des Klägers bestellt haben. Der Kläger habe aus dem Vermögen der V UG zahlreiche Überweisungen auf sein Privatkonto bei der Bank B1 erhalten, wobei es sich vielfach nicht um Lohnzahlungen für seine Kurierfahrertätigkeit gehandelt habe. Herr V X habe bei seiner Vernehmung am 09.12.2015 ausgesagt, dass er bei der V UG nur als Strohmann eingesetzt gewesen worden sei und hierfür einen erhöhten Arbeitslohn als Kurierfahrer erhalten habe. Auch habe allein der Kläger seinerzeit die Kontakte zum Steuerberater der V UG unterhalten. Ermessensfehler lägen nicht vor. Gegen Frau E G sei bereits am 07.04.2014 ein Haftungsbescheid über 47.393,50 € ergangen. Eine Erweiterung der Haftung auf Herrn B G als Anteilseigner habe sich wegen dessen Vermögenslosigkeit nicht ergeben. Auch gegen Herrn V X sei die Realisierung des Steueranspruchs wegen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht in Betracht gekommen. Auf Frau C O entfielen lediglich zwei Monate des Haftungszeitraums und damit nur 1.720,46 € der Haftungssumme, so dass auch hierdurch die Realisierung des Steueranspruchs in Höhe von 117.688,35 € nicht möglich gewesen sei.
15Mit Schreiben vom 06.06.2019 (Bl. 70 ff. der Gerichtsakte) hat der Berichterstatter beide Beteiligte mittels Ausschlussfrist gem. § 79b Abs. 2 FGO aufgefordert, bis zum 15.07.2019 alle Beweisanträge zu stellen, denen das Gericht nachgehen soll. Dabei sei das Beweismittel und das Beweisthema anzugeben. Für den Fall der Beantragung des Zeugenbeweises hat der Berichterstatter die Beteiligten aufgefordert, eine ladungsfähige Anschrift des entsprechenden Zeugen mitzuteilen.
16Der Beklagte hat daraufhin die Vernehmung mehrerer Zeugen beantragt (Bl. 95 f. der Gerichtsakte). Der Kläger hat keine Beweisanträge gestellt.
17In der Sache hat am 29.08.2019 eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte unter dem Datum 29.08.2019 einen neuen (ersetzenden) Haftungsbescheid erlassen. Es wird auf den ersetzenden Haftungsbescheid vom 29.08.2019 sowie auf die die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19Die Klage hat keinen Erfolg.
20Der Haftungsbescheid vom 29.08.2019, der gem. § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden ist und den ursprünglichen Haftungsbescheid vom 03.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.11.2016 ersetzt hat (BFH, Urt. vom 16.12.2008 – I R 29/08, BStBl. II 2009, 539), ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
21Nach § 191 Abs. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet.
22Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH zweigliedrig. Das Finanzamt hat auf der ersten Stufe zunächst zu prüfen, ob in der Person, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine durch das Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. Satz 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob (Entschließungsermessen) und ggf. wen (Auswahlermessen) es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 FGO auf Ermessensfehler überprüfbar (BFH, Urt. vom 13.04.1978 – V R 109/75, BStBl. II 1978, 508; BFH, Urt. vom 20.09.2016 – X R 36/15, BFH/NV 2017, 593).
231. Die Voraussetzungen der Haftungsvorschrift des § 69 AO liegen vor.
24Gem. § 69 Satz 1 AO haften die in §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Sie haben gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 AO insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
25a) Der Kläger ist als faktischer Geschäftsführer Haftungsschuldner gem. § 35 AO.
26Gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.
27Die Voraussetzungen des § 35 AO sind erfüllt, wenn eine Person nach außen hin so auftritt, als könne sie umfassend über fremdes Vermögen verfügen und sie faktisch die Aufgaben eines Geschäftsführers wahrnimmt (Loose, in: Tipke/Kruse, AO, § 69 Rdn. 6).
28Die Voraussetzungen des § 35 AO sind im Streitfall in der Person des Klägers erfüllt. Zur Überzeugung des erkennenden Senats ist durch eine Vielzahl von Umständen belegt, dass der Kläger faktischer Geschäftsführer der Firma V UG gewesen ist.
29Hinsichtlich des Geschäftskontos der V UG bei der Bank B1 (Kto. Nr. 000001) waren nur der Kläger und seine (damalige) Ehefrau C O verfügungsbefugt. Die im Handelsregister eingetragenen (formalen) Geschäftsführer E G und V X waren hingegen nicht verfügungsbefugt (Bl. 2 des Ordners SteuFa-Unterlagen B O).
30Entgegen der Einlassung des Klägers hat zur Überzeugung des Senates auch nicht seine ehemalige Ehefrau, Frau C O, die Geschäfte der Gesellschaft geführt und hierbei über das Konto der Gesellschaft verfügt. Vielmehr war es der Kläger selbst, der die Gesellschaft geführt und über deren Vermögen verfügt hat.
31Hierfür spricht, dass der Kläger auf seinem Privatkonto Nr. 000002 bei der Bank B1 (teilweise als Arbeitslohn für andere Personen deklarierte) Überweisungen vom Konto der V UG bei der Bank B1 erhalten hat, die weit über seinen durchschnittlichen Lohn von ca. 1.100 € monatlich hinausgingen. So hat er am 15.05.2013 Zahlungen über 1.004,98 €, 1.100,72 € und 1.500,62 € (Lohn/Gehalt April 2013, Summe 3.606,32 €) erhalten. Am 13.09.2013 hat er auf seinem Privatkonto Zahlungen über 2 x 400 €, 1.065,53 €, 1.268,24 € und 1.391,62 € (Lohn/Gehalt August 2013, Summe 4.525,39 €) vereinnahmt. Am 14.11.2013 sind Beträge in Höhe von 400 €, 988,42 €, 1.244,24 € und 1.370 € (Lohn/Gehalt Oktober 2013, Summe 4.002,66 €) vom Konto der V UG auf das Privatkonto des Klägers bei der Bank B1 überwiesen worden. Wegen der weiteren Zahlungen der V UG an den Kläger wird auf die Übersicht der Steuerfahndung C (Bl. 37 der Akte SteuFA Unterlagen B O) sowie die Kontenauszüge (Bl. 192 ff. der Akte USST V UG) verwiesen. Insgesamt ergibt sich im Jahr 2013 eine Summe von 38.497 €. Die offizielle Geschäftsführerin Frau E G hat demgegenüber im Haftungszeitraum nur ein Mini-Job-Gehalt in Höhe von monatlich 400 € erhalten.
32Auch hat der Kläger im Jahr 2012 Aufwendungen für den Bau seines privaten Schwimmbades vom Geschäftskonto der V UG bei der Bank B1 beglichen (siehe Rechnungen der Firmen … und … sowie die entsprechenden Kontoauszüge, Bl. 39 ff. der Akte SteuFa Unterlagen B O).
33Zudem ist vom Konto Bank B1 der V UG am 30.08.2012 eine Kraftstoffrechnung der …-Tankstelle C-Strasse in E an die dem Kläger zuzurechnende Firma L GmbH in Höhe von insgesamt 5.288,85 € bezahlt worden (Bl. 44 ff. der Akte Steufa Unterlagen B O).
34Des Weiteren hat der Kläger nach Auszug seiner Ehefrau aus dem gemeinsamen Haus im September 2013 unter seiner Privatadresse B-Strasse in Z eine Heizöllieferung im Namen der V UG bezogen und diese vom Geschäftskonto der V UG bezahlt (Bl. 23 ff. des Hefters Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 07.09.2017).
35Soweit der Kläger behauptet, dass seine Ehefrau C O die Geschäfte der V UG unter Nutzung des auf ihn angemeldeten Mobiltelefons (Nr. xxxx xxxxxxx) geführt habe, so ist dies nach Auffassung des Senates nicht glaubhaft. Hiergegen spricht, dass von dem Mobiltelefon zahlreiche Auslandstelefonate nach …, dem Herkunftsland des Klägers, geführt wurden (vgl. die Anlagen zum Schriftsatz des Beklagten vom 07.09.2017, Bl. 7 ff.), während Frau C O aus … stammt. Zudem hat der Kläger auch bei der nach Auszug der Ehefrau erfolgten Heizöllieferung im September 2013 die Mobilfunknummer xxxx xxxxxxx als Kontakt angegeben (Bl. 25 des Hefters Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 07.09.2017).
36Für das ab November 2013 geführte Geschäftskonto der V UG bei der Bank B2 (Konto Nr. 000003) war zwar lediglich Frau E G verfügungsberechtigt. Frau E G (Bl. 334 ff. der Akte USST V UG, Bl. 62 ff. der Akte SteuFA Unterlagen B O, Bl. 7 ff. Bp-Akte) und ihr Ehemann Herr B G (Bl. 70 ff. der Akte SteuFA Unterlagen B O) haben jedoch übereinstimmend ausgesagt, dass die Bankkarte und die Zugangsdaten an den Kläger ausgehändigt worden seien. Frau E G erinnerte sich zudem daran, dass die Online-PIN für das Konto das Geburtsdatum des Klägers gewesen sein solle (Aktenvermerk/Gesprächsprotokoll vom 29.04.2014, Bl. 38 der Haftungsakte O, X, G), was ebenfalls Indiz für eine tatsächliche Verfügung des Klägers über das Konto ist. Hintergrund für die Eröffnung des Kontos sei gewesen, dass für das bisherige Konto eine Kontopfändung ausgebracht worden sei. Diese Aussagen stehen im Einklang mit der Tatsache, dass zahlreiche Barabhebungen von diesem Konto in Z, dem Wohnort des Klägers, getätigt worden sind (siehe hierzu die Übersicht Bl. 37 der Akte SteuFA Unterlagen B O sowie die Kontoauszüge Bl. 190, 190 R der Akte USST V UG). Die Eheleute G wohnten zu diesem Zeitpunkt in … und Frau C O in … bzw. in …, so dass für sie jeweils wohnortnähere Auszahlungsmöglichkeiten bestanden.
37Zudem ist auch die Korrespondenz zwischen der Firma V UG und dem Steuerbüro StB über den Kläger erfolgt (vgl. E-Mail des StB … … vom 16.04.2013, Bl. 20 der Akte SteuFA Unterlagen B O). Auch dies steht im Einklang mit den Aussagen des Herrn B G, der erklärt hat, keinen Kontakt zum Steuerbüro StB gehabt zu haben, sondern dass alle steuerlichen Belange mit Herrn B O geklärt worden seien (Beschuldigtenvernehmung des Herrn B G, Bl. 73 der Akte SteuFA Unterlagen B O). Auch Herr V X hat ausgesagt, dass er keinen Kontakt zu einem Steuerberater gehabt habe (Beschuldigtenvernehmung des Herrn V X, Bl. 26 der Anlagen zum Schriftsatz des Beklagten vom 07.09.2017).
38Soweit Herr B G nach eigener Aussage und nach Aussage seiner Ehefrau E G (teilweise) die Rechnungen für die V UG geschrieben hat sowie die Lohnabrechnungen erstellt hat, so führt dies nicht dazu, dass die faktische Gesellschafterstellung des Klägers entfallen ist. Denn Herr B G hat ausgesagt, dass die Erstellung der Rechnungen und der Lohnabrechnungen nach den genauen Vorgaben des Klägers erfolgt sei (Beschuldigtenvernehmung des Herrn B G Bl. 73 der Akte SteuFA Unterlagen B O). Ferner hat Frau E G ausgesagt, dass der Kläger alle Einnahmen und Ausgaben der V UG verwaltet hat (Aktenvermerk/Gesprächsprotokoll vom 29.04.2014, Bl. 38 der Haftungsakte O, X, G) und immer alle Fäden in der Hand gehalten habe sowie sie und ihren Mann wie Puppen habe spielen lassen. Er sei der tatsächliche Drahtzieher gewesen (Beschuldigtenvernehmung der Frau E G vom 09.12.2015, Bl. 62, 66 der Akte SteuFA-Unterlagen). Der erkennende Senat hat keine Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussagen, da diese auch durch die objektiven Umstände gestützt werden.Auch nach der Anteilsübernahme durch Herrn B G und der Bestellung der Frau E G zur Geschäftsführerin hat der Kläger über das Gesellschaftsvermögen bzw. über die Geschäftskonten wie über eigenes Vermögen/eigene Konten verfügt (siehe obige Ausführungen). Hinzu kommt, dass fast alle Aufträge der V UG über den Kläger bzw. die dem Kläger zuzurechnenden Firmen W GmbH bzw. L GmbH stammen (siehe die Umsatzübersicht, Anlage 1 zum Umsatzsteuersonderprüfungsbericht, Bl. 20 der BP-Akte) und auch die LKWs vom Kläger bzw. dessen Firmen gemietet wurden, so dass die Eheleute G vollständig wirtschaftlich vom Kläger anhängig waren. Lediglich das Risiko und die Personalkosten für 17 Fahrer wurde auf die V UG abgewälzt. Die Eheleute G hatten mithin auch keine eigene Entscheidungsgewalt, sondern waren dem Kläger letztlich ausgeliefert. Insofern ist die Aussage der Frau E G, dass sie sich wie eine „Puppe“ gefühlt habe, nachvollziehbar und glaubhaft.
39b) Es bestehen auch die im Haftungsbescheid bzw. die in der Einspruchsentscheidung aufgeführten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gegenüber der V UG.
40Derjenige, der akzessorisch haften soll, kann grundsätzlich gegenüber seiner Haftungsinanspruchnahme geltend machen, dass die Hauptschuld nicht besteht und dies grundsätzlich ungeachtet der Frage, ob sie gegenüber dem Hauptschuldner bereits unanfechtbar festgesetzt ist (Krumm, in: Tipke/Kruse, AO, § 166 Rdn. 8).
41Hinsichtlich der Höhe der Steuerrückstände der V UG besteht zwischen den Beteiligten jedoch kein Streit. Für den Senat sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Steuerfestsetzungen rechtsfehlerhaft sind. Für die V UG sind keine Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2012-2014 abgegeben worden. Im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung hat der Beklagte die Umsätze anhand der vorgefundenen Rechnungen sowie der Geldzuflüsse auf den betrieblichen Konten bei der Bank 1 und der Bank 2 ermittelt (siehe Anlage 1 zum Bericht über die Umsatzsteuersonderprüfung vom 29.05.2015, Bl. 20 der BP-Akte). Die von der Umsatzsteuersonderprüfung getroffenen Feststellungen hat der Beklagte in den nicht angegriffenen, mittlerweile bestandskräftigen Umsatzsteuerjahresbescheiden für die Jahre 2012-2014 zugrunde gelegt (siehe Umsatzsteuerakte der V UG Band I). Diese Bescheide haben unter Berücksichtigung geleisteter Zahlungen die Basis für den streitgegenständlichen Haftungsbescheid gebildet. Auch die Steuerfahndung hat diese Feststellungen – mit Ausnahme der Vorsteuerkürzung zu Lasten der V UG im Jahr 2012 – übernommen.
42c) Der Kläger hat seine Pflichten als faktischer Geschäftsführer schuldhaft verletzt und es ist hierdurch zu Steuerausfällen gekommen.
43aa) Reichen die finanziellen Mittel der Gesellschaft nicht zur Befriedigung aller Gläubiger aus, so begeht der gesetzliche Vertreter eine Pflichtverletzung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 AO, wenn er es versäumt, die Steuerschulden der Gesellschaft in etwa in dem gleichen Verhältnis zu tilgen, wie die Forderungen der anderen Gläubiger, sog. Grundsatz der anteiligen Tilgung (BFH, Urt. vom 26.04.1984 – V R 128/79, BStBl. II 1984, 776; BFH, Urt. vom 1609.1987 – X R 3/81, BFH/NV 1988, 283).
44Daneben unterliegt der gesetzliche Vertreter und damit auch der faktische Geschäftsführer im Hinblick auf bereits erkennbare künftige Steuerschulden einer Mittelvorsorgepflicht. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann eine Pflichtverletzung auch bereits (vor Fälligkeit) dadurch begangen werden, dass keine Vorsorge zur späteren Tilgung/Entrichtung der Steuern getroffen wird (BFH, Urt. vom 11.03.2004 – VII R 19/02, BStBl. II 2004, 967, Rdn. 15; BFH, Beschluss vom 11.11.2015 – VII B 74/15, BFH/NV 2016, 370; BFH, Urt. vom 09.01.1997 – VII R 51/96, BFH/NV 1997, 324).
45Im Rahmen seiner Mitwirkungs- und Auskunftspflicht (§ 93 Abs. 1 AO) hat der Vertreter die verwendeten Mittel, das Eigen- und Fremdkapital des Vertretenen, Zahlungseingänge und Zahlungsausgänge darzulegen. Unterlässt er diese Angaben, kann das Finanzamt die Haftungsquote schätzen (BFH, Urt. vom 25.05.2004 – VII R 8/03, BFH/NV 2004, 1498, BFH, Urt. vom 26.10.2011 – VII R 22/10, BFH/NV 2012, 777; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 69 Rdn. 46).
46Im Streitfall hat der Kläger keine Angaben gemacht und ist damit seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Nach dem Gutachten des Insolvenzverwalters hat die V UG im Wesentlichen lediglich die Forderungen der Sozialversicherungsträger sowie der Finanzverwaltung nicht erfüllt (Seite 3 des Gutachtens des Insolvenzverwalters … vom 15.08.2014, Bl. 49 der Haftungsakte E G). Den übrigen Verpflichtungen, insbesondere den Verpflichtungen gegenüber der vom Kläger geführten Firma W GmbH sowie den Lohnzahlungsverpflichtungen ist die Gesellschaft jedoch regelmäßig nachgekommen, obwohl der erwirtschaftete Umsatz schon zu Beginn nicht ausreichte, um eine Kostendeckung zu erzielen (Seite 3 des Gutachtens des Insolvenzverwalters … vom 15.08.2014, Bl. 49 der Haftungsakte E G). Der Kläger ist als faktischer Gesellschafter auch seiner Mittelvorsorgepflicht nicht nachgekommen. Denn es wurden Zahlungen der Sozialversicherungsträger und der Finanzverwaltung von Beginn an verzögert, um die übrigen Kosten begleichen zu können (Seite 3 des Gutachtens des Insolvenzverwalters … vom 15.08.2014, Bl. 49 der Haftungsakte E G). In Verbindung mit der Tatsache, dass der Kläger – wie unter Ziff. 1 a) im Einzelnen dargelegt – der Gesellschaft im Haftungszeitraum in erheblichem Umfang Mittel zu eigenen Gunsten entzogen hat, ist die vom Finanzamt geschätzte Haftungsquote in Höhe von 100% nach Auffassung des Senates nicht zu beanstanden.
47bb) Der Kläger hat seine Pflichten auch vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig verletzt.
48Ein Vertreter handelt vorsätzlich, wenn er in Kenntnis seiner Pflichten das von ihm geforderte Handeln bewusst unterlässt oder eine Handlung vornimmt, von der er weiß, dass sie einem pflichtgemäßen Verhalten nicht entspricht. Ausreichend ist es, wenn die Pflichtverletzung zwar nicht unbedingt gewollt, doch zumindest billigend in Kauf genommen wird (Jatzke, in: Gosch, AO, § 69 Rdn. 58).
49Grob fahrlässig im Sinne des § 69 AO handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Handelnde gesetzliche Vorschriften nicht beachtet, deren Beachtung von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebes verlangt werden muss (vgl. BFH, Beschluss vom 07.03.1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941 ff. m.w.N.). Die Frage, welche Anforderungen an eine haftungsbegründende grobe Fahrlässigkeit eines Geschäftsführers im Sinne des § 69 AO zu stellen sind, kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Besonderheiten des einzelnen Falles (BFH, Beschluss vom 05.03.1998 – VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325 m.w.N.).
50Im Streitfall hat der Kläger, der zur Überzeugung des Senats aufgrund seiner langjährigen und vielfältigen Beteiligungen an Gesellschaften geschäftlich äußerst erfahren ist, nicht dafür gesorgt, dass die Steuerverbindlichkeiten der Gesellschaft getilgt werden. Vielmehr hat er nicht einmal die Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen 2012-2014 veranlasst, obwohl er den Kontakt zum Steuerbüro StB unterhielt. Die Rechnungen der vom ihm ebenfalls faktisch geführten W-GmbH hat er jedoch laufend bezahlt bzw. für deren Bezahlung gesorgt. Zudem hat er der V UG ohne Rechtsgrundlage in erheblichem Umfang Mittel für eigene/private Zwecke entzogen.
51Der Senat ist vor diesem Hintergrund der Überzeugung, dass der Kläger vorsätzlich seine Pflichten zur Abgabe der Umsatzsteuererklärungen 2012-2014 und zur Entrichtung der Umsatzsteuer verletzt hat. Er hat bewusst geschäftlich unerfahrene Dritte als formelle Geschäftsführer installiert. Dies geschah in der Absicht, sich so seinen steuerlichen Pflichten zu entziehen. Hiervon ist der Senat auch deshalb überzeugt, weil der Kläger auch in weiteren, faktisch von ihm betriebenen Gesellschaften wie z.B. der W GmbH und der L GmbH Strohleute als Geschäftsführer eingesetzt hat (vgl. auch die Übersicht Bl. 104 der Akte USST V UG). Zumindest aber war sein Verhalten grob fahrlässig.
52cc) Die Pflichtverletzung war auch ursächlich für den Steuerausfall.
53Eine Pflichtverletzung ist dann ursächlich für den Haftungsschaden, wenn der Haftungsschaden ohne die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre (BFH, Urt. vom 26.4.1984 - V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl. II 1984, 776). Verwendet der Geschäftsführer Mittel der Gesellschaft, ohne auf künftig fällige Steuerschulden Rücksicht zu nehmen, so ist das nur dann eine für den Schaden ursächliche Pflichtverletzung, wenn feststeht, dass der Steuergläubiger bei pflichtgemäßem Verhalten bei Fälligkeit der Steuerschulden befriedigt worden wäre (BFH, Urt. vom 26.04.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl. II 1984, 776). Stehen daher ausreichende Zahlungsmittel zur Begleichung aller Schulden nicht zur Verfügung, beschränkt sich die Haftung nach dem von der Rechtsprechung entwickeltem Grundsatz der anteiligen Tilgung auf den Betrag, der bei gleichmäßiger Befriedigung aller Gläubiger auf den Steuergläubiger entfallen wäre (BFH, Urt. vom 28.11.2002 VII R 41/01, BStBl. II 2003, 337).
54Im Streitfall war die Pflichtverletzung auch kausal für den Steuerausfall, da die V UG lediglich die Forderungen der Sozialversicherungsträger und der Finanzverwaltung nicht erfüllt hat. Er hat die vom ihm als „fremdes“ Geld vereinnahmte Umsatzsteuer dazu verwendet, die anderen Verbindlichkeiten der V UG zu tilgen bzw. die Umsatzsteuer sogar für eigene (private) Zwecke vereinnahmt.
55c) Der Senat konnte davon absehen, die vom Beklagten benannten Zeugen zu vernehmen, da er der Rechtsauffassung des Beklagten zum Bestehen einer faktischen Geschäftsführerstellung des Klägers aufgrund der Würdigung der zahlreichen Indizien auch ohne Vernehmung der Zeugen gefolgt ist. Der Kläger hat weder innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist noch in der mündlichen Verhandlung Beweisanträge gestellt.
562. Der Beklagte hat auch das ihm gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt. Das Gericht hat insoweit nach § 102 Satz 1 FGO nur zu prüfen, ob die in § 5 AO festgelegten Grenzen des Ermessens über- oder unterschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
57Der Beklagte hat den ursprünglichen Haftungsbescheid vom 03.12.2015 wirksam durch den neuen Haftungsbescheid vom 29.08.2019 gem. § 68 FGO ersetzt. Insbesondere liegt hierin nach der Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, keine unzulässige Umgehung des § 102 Satz 2 FGO (BFH, Urt. vom 16.12.2008 – I R 29/08, BStBl. II 2009, 539; Paetsch in Gosch, FGO, § 68 Rdn. 25; Wackerbeck, NWB 2017, 3237; a.A. Stapperfend in: Gräber, FGO, § 102 Rdn. 26; Drüen in: Tipke/Kruse, FGO, § 102 Rdn. 13). Der Steuerpflichtige ist insoweit geschützt, als dass er den Rechtsstreit aufgrund des Erlasses des ersetzenden Haftungsbescheides für erledigt erklären kann, denn die Kosten wären dann, jedenfalls wenn die ursprüngliche Ermessensentscheidung ermessensfehlerhaft gewesen wäre, gem. § 138 Abs. 2 FGO dem Finanzamt aufzuerlegen (Wackerbeck, NWB 2017, 3237 unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 30.04.2010 – 9 B 42/10, HFR 2010, 1112 zur Nachschiebung von Ermessenserwägungen). Erklärt der Steuerpflichtige den Rechtsstreit nicht für erledigt, weil er sich – wie im Streitfall – auch gegen die Haftung dem Grunde nach wendet und/oder auch die Ermessensentscheidung im ersetzenden Haftungsbescheid für unzureichend hält, so ist die Tatsache, dass dem Kläger durch die Anwendung des § 68 Satz 1 FGO eine außergerichtliche Instanz zur Überprüfung der Ermessensausübung verloren geht, aus prozessökonomischen Gründen zur Beschleunigung des Verfahrens hinzunehmen (Paetsch in Gosch, FGO, § 68 Rdn. 25, Wackerbeck, NWB 2017, 3237; a.A. Seer in: Tipke/Kruse, FGO, § 68 Rdn. 5).
58a) Der Beklagte hat im Haftungsbescheid dargelegt, dass die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis selbst nicht zum Erfolg geführt habe. Die Steuerschuldnerin sei weder freiwillig zur Zahlung bereit gewesen noch hätten die rückständigen Beträge durch Vollstreckungsmaßnahmen eingezogen werden können. Ein solcher Hinweis auf die Unmöglichkeit der Einziehung rückständiger Steuern durch Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Steuerschuldner stellt nach ständiger Rechtsprechung des BFH regelmäßig eine ausreichende Begründung des Entschließungsermessens dar (BFH, Urt. vom 13.06.1997 – VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4; BFH, Urt. vom 29.09.1987 – VII R 54/84, BStBl. II 1988, 176; FG Köln, Urt. vom 06.11.2014 – 13 K 1065/13, EFG 2015, 612).
59b) Der Beklagte hat auch sein Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt.
60Die Ermessensausübung ist nur dann fehlerfrei, wenn sämtliche Personen in die Ermessenserwägungen einbezogen werden, die nach den Haftungsvorschriften für dieselben Steuern haften (BFH v. 18.7.2008 - VII B 184/07, BFH/NV 2008, 1805). Von dem Erlass eines Haftungsbescheids kann die Finanzbehörde aus verwaltungsökonomischen insbesondere dann absehen, wenn das Haftungsverfahren aussichtslos ist, weil der Haftungsschuldner selbst auch vermögenslos ist (Loose in: Tipke/Kruse, AO, § 191 Rdn. 38; Nacke, GmbHR 2006, 846, 847).
61Der Beklagte hat umfangreiche Ermessenserwägungen angestellt und dabei sowohl die Eheleute G, Frau C O als auch Herrn V X und damit alle weiteren in Betracht kommenden Personen als Haftungsschuldner in Betracht gezogen.
62Gegen die formelle Geschäftsführerin Frau E G waren bereits mit Datum vom 07.04.2014 zwei Haftungsbescheide über 47.393,50 € (Umsatzsteuer ab Juli 2013 bis 2014) und 5.401,25 € (Lohnsteuer Oktober 2013 bis Februar 2014) erlassen worden (Bl. 32 ff. und Bl. 36 ff. der Haftungsakte E G).
63Von einer Erweiterung der Haftung der formellen Geschäftsführerin Frau E G (aufgrund der Ergebnisse der Umsatzsteuersonderprüfung) sowie vom Erlass eines Haftungsbescheides gegen Herrn B G als möglichen weiteren faktischen Geschäftsführer hat der Beklagte vor dem Hintergrund der Vermögensverhältnisse der Eheleute G abgesehen. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden, da die Eheleute G laut Insolvenzgutachten jeweils Leistungen nach dem SGB II beziehen und faktisch vermögenslos sind (Seite 6 des Gutachtens des Insolvenzverwalters … vom 15.08.2014, Bl. 51 der Haftungsakte E G). Der Senat ist aufgrund der Gesamtumstände ferner der Überzeugung, dass nicht Herr G, sondern allein der Kläger faktischer Geschäftsführer gewesen ist. Denn auch nach der Anteilsübernahme durch Herrn B G und der Bestellung der Frau E G zur Geschäftsführerin hat der Kläger über das Gesellschaftsvermögen bzw. über die Geschäftskonten wie über eigenes Vermögen/eigene Konten verfügt, während Frau G nur ein Mini-Job-Gehalt und Herr G nur ein Fahrer-Gehalt erhalten hat (siehe obige Ausführungen unter Ziff. 1. a)). Aus Sicht des Senates bestanden und bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Herr G ebenfalls faktischer Geschäftsführer war, so dass dieser als bloßer Anteilseigner vom Beklagten bereits nicht in das Auswahlermessen hatte einbezogen werden müssen.
64Auch den Erlass eines Haftungsbescheides gegenüber Herrn V X hat der Beklagte im Hinblick auf das über dessen Vermögen am 23.10.2014 eröffnete Insolvenzverfahren (Amtsgericht E, Az.: 000 IK 000/14) abgelehnt (siehe auch Bericht des Insolvenzverwalters über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners vom 08.12.2014, Bl. 19 ff. der Haftungsakte V X).
65Im Hinblick auf Frau C O hat der Beklagte von einer Haftungsinanspruchnahme abgesehen, da auf diese wegen des kurzen Haftungszeitraums nur eine Steuerschuld in Höhe von 1.720,56 € entfalle.
66Diese Erwägungen sind aus verwaltungsökonomischen Gründen, insbesondere im Hinblick auf die Aussichtslosigkeit der Haftung nicht zu beanstanden. Sämtliche Erwägungen waren dem Kläger auch bereits vor Erlass des ersetzenden Haftungsbescheides in der mündlichen Verhandlung hinlänglich bekannt, da der Beklagte den nunmehr als Anlage 2 zum Haftungsbescheid vom 29.08.20189 beigefügten Aktenvermerk vom 28.10.2015 bereits als Anlage zur Klageerwiderung vom 13.12.2017 übersandt hatte (Bl. 46 f. der Gerichtsakte). Insbesondere ergab sich die vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung (mit Nichtwissen) bestrittene Vermögenslosigkeit der Eheleute G aus den Finanzamtsakten (Seite 6 des Gutachtens des Insolvenzverwalters … vom 15.08.2014, Bl. 51 der Haftungsakte E G). Über den Aktenvermerk vom 28.10.2015 hinausgehend enthält der ersetzende Haftungsbescheid vom 29.08.2019 keine neuen Erwägungen. Soweit dieser am Ende gegenüber dem Haftungsbescheid vom 03.12.2015 um wenige Absätze ergänzt worden ist, so handelt es sich inhaltlich lediglich um Wiederholungen von bereits im Aktenvermerk vom 28.10.2015 dargelegten Ermessenserwägungen.
67c) Im Übrigen ist der Senat auch der Auffassung, dass der Beklagte sein Ermessen bereits im ursprünglichen Haftungsbescheid wirksam ausgeübt hatte. Bereits im ursprünglichen Haftungsbescheid vom 03.12.2015 und in der Einspruchsentscheidung vom 24.11.2016 hat der Beklagte das Entschließungs- und Auswahlermessen ausgeübt und dabei auf seine Prüfung hinsichtlich der möglichen Inanspruchnahme der weiteren möglichen Haftungsschuldner verwiesen. Ein Ermessensnicht- oder Ermessensfehlgebrauch liegt daher nicht vor. Seine Ermessenserwägungen hatte der Beklagte bereits durch Übersendung des Aktenvermerks vom 28.10.2015 als Anlage zur Klageerwiderung vom 13.12.2017 gem. § 102 Satz 2 FGO während des laufenden Klageverfahrens wirksam ergänzt (vgl. BFH, Beschluss vom 27.12.2005 – VII B 268/04, BFH/NV 2006, 708). Selbst wenn man der Auffassung des BFH im Urteil vom 16.12.2008 (I R 29/08, BStBl. II 2009, 539), dass § 102 Satz 2 im Anwendungsbereich des § 68 FGO verdrängt wird, nicht folgen würde, so läge im Streitfall nach Auffassung des Senates daher lediglich eine zulässige Ergänzung der Ermessenserwägungen vor. Soweit der ursprüngliche Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung Herrn B G nicht in das Auswahlermessen als möglichen Haftungsschuldner einbeziehen, so ist dies unschädlich, da Herr B G nach Auffassung des Beklagten, die der Senat aus den oben unter Ziff. 2. b) genannten Erwägungen teilt, keine faktische Geschäftsführerposition innegehabt hat.
68Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Eine anderweitige Auferlegung der Kosten nach § 137 Satz 1 FGO wegen des Erlasses eines ersetzenden Haftungsbescheides mit nunmehr umfangreicher Darstellung der im Rahmen der Haftungsprüfung getroffenen Ermessenserwägungen erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 29.08.2019 kam nicht in Betracht, weil der Senat der Auffassung ist, dass der Beklagte sein Ermessen bereits zuvor wirksam ausgeübt hatte (siehe Ausführungen unter Ziff. 2. c)). Damit beruht die Entscheidung nicht auf dem Erlass des neuen Haftungsbescheides, den der Beklagte früher hätte erlassen können.