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Der Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 19.05.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2016 wird dahingehend geändert, dass weitere Vorsteuern in Höhe von 1.014,60 € berücksichtigt werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 85% und der Beklagte zu 15%.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger ein Recht zum Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen der Firmen Schrott- und Metallhandel P L und B L Gerüstbau zusteht.
3Der Kläger betrieb im Streitjahr 2010 eine Gerüstbaufirma in Form eines Einzelunternehmens. Eine Umsatzsteuererklärung bzw. eine Gewinnermittlung oder Bilanz für seinen Betrieb gab er für das Streitjahr nicht ab.
4Das Finanzamt für Steuerfahndung und Steuerstrafsachen C führte ab dem 20.02.2013 eine Steuerfahndungsprüfung hinsichtlich des Klägerunternehmens für das Streitjahr 2010 durch. Im Rahmen dieser Prüfung wurde eine vollständige Buchführung nicht vorgelegt, der Kläger reichte jedoch eine vorläufige Gewinnermittlung und eine Bilanz für 2010 ein. Es lag lediglich eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2010 vor, Umsatzsteuererklärungen und Gewerbesteuererklärungen für 2010 wurden nicht eingereicht (B. 5. des Prüfungsberichtes der Steuerfahndung vom 01.04.2015, Bl. 19 der Umsatzsteuerakte).
5Wegen der Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung schätzte der Beklagte die Umsätze auf der Grundlage der Gewinnermittlung und ging von Netto-Umsätzen zu 19% in Höhe von 335.466,17 € (USt. 63.738,57 €) aus (D. 9. des Prüfungsberichtes der Steuerfahndung vom 01.04.2015, Bl. 20 der Umsatzsteuerakte). Er versagte jedoch den Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Firmen Schrott- und Metallhandel P L und B L Gerüstbau in Höhe von insgesamt 7.174,40 € (D. 7. des Prüfungsberichtes der Steuerfahndung vom 01.04.2015, Bl. 19 der Umsatzsteuerakte) und kürzte dementsprechend die Vorsteuer laut Bilanz in Höhe von 58.869,63 € auf 51.695,23 €. Es ergab sich mithin eine Umsatzsteuer in Höhe von 12.043,34 € (D. 9. des Prüfungsberichtes der Steuerfahndung vom 01.04.2015, Bl. 20 der Umsatzsteuerakte). Wegen der Einzelheiten wird insgesamt auf den Prüfungsbericht vom 01.04.2015 (Bl. 18 ff. der Umsatzsteuerakte) verwiesen.
6Die Feststellungen der Steuerfahndung C setzte der Beklagte im Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 19.05.2015 um (Bl. 19 ff. der Gerichtsakte).
7Hiergegen legte der Kläger am 16.06.2015 Einspruch ein. Der Bescheid sei bereits deshalb rechtswidrig, weil keine Schlussbesprechung durchgeführt worden sei, obwohl eine solche von der Abgabenordnung als zwingend vorgesehen sei. Zudem sei ihm ein Entwurf des Schlussberichtes nicht vorab zur Stellungnahme zugeleitet worden. Die Firma P L sei über Herrn M als Vermittler zum Kläger gekommen. Der Kläger habe die zwei angebotenen Schwerlastregale mit einer Länge von ca. 5m tatsächlich erhalten. Es könne daher nicht sein, dass dieses Unternehmen nicht existiere. Den Rechnungen der Firmen P L und B L lägen Leistungen zugrunde, die durch diese Unternehmen erbracht worden seien. Nach der Rechtsprechung des EuGH könne der Vorsteuerabzug nur dann versagt werden, wenn der Rechnungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass er in eine Steuerhinterziehung einbezogen gewesen sei. Das Finanzamt trage insoweit die Feststellungslast.
8Mit Einspruchsentscheidung vom 29.06.2016 (Bl. 10 ff. der Gerichtsakte) wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Eine Umsatzsteuererklärung bzw. eine endgültige Bilanz und Gewinnermittlung für 2010 sei nicht eingereicht worden.
9Mit seiner am 28.07.2016 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, die Lieferanten hätten an den genannten Adressen ihren Firmensitz gehabt. Nach der Rechtsprechung des EuGH stelle die Versagung des Vorsteuerabzugs eine Ausnahme dar. Die Finanzverwaltung sei insoweit darlegungspflichtig und eine Unaufklärbarkeit gehe letztlich zu ihren Lasten. Die Steuerbehörden dürften die ihnen obliegenden Kontrollpflichten nicht auf den Unternehmer übertragen. Insbesondere habe für den Kläger keine Pflicht bestanden, die auf den Rechnungen angegebenen Anschriften oder Bankverbindungen zu überprüfen.
10Der Kläger beantragt,
11den Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 19.05.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2016 dahingehend zu ändern, dass die in den Rechnungen der Firmen Schrott- und Metallhandel P L und B L Gerüstbau ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 7.174,40 € als Vorsteuer abgezogen wird;
12hilfsweise die Revision zuzulassen.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Das Fehlen einer Schlussbesprechung führe entgegen der Ansicht des Klägers nicht zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides. Die Steuerfahndungsstellen seien grundsätzlich nicht verpflichtet, eine Fahndungsprüfung mit einer Schlussbesprechung nach § 201 Abs. 1 AO abzuschließen. Eine solche Verpflichtung bestehe nur in dem Ausnahmefall, dass die Steuerfahndung steuerliche Ermittlungen einschließlich der Außenprüfung auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde durchgeführt habe (§ 208 Abs. 2 Nr. 1 AO). Ein solcher Ausnahmefall liege im Streitfall nicht vor. Auch sei aus den Akten nicht zu entnehmen, dass ein Antrag auf Vorabübersendung des Prüfungsberichtes nach § 202 Abs. 2 AO gestellt worden sei.
16Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug aus den streitigen Rechnungen nicht vor. Soweit der Kläger vorgetragen habe, sich an den Kauf von zwei Schwerlastregalen von der Firma P L zu erinnern, so könne dem nicht gefolgt werden. Keine der Rechnungen der Firma P L im Streitjahr habe die Lieferung von Schwerlastregalen zum Gegenstand gehabt. Ein Erwerb von Schwerlastregalen sei im Jahr 2009 verbucht worden. Die Rechnung der Firma P L vom 12.02.2010 enthalte zahlreiche unrichtige Angaben. Eine Person „P L“ sei in E weder bekannt noch ermittelbar, die Anschrift „A-Str., 00000 E“, existiere nicht, die Steuernummer 000/0000/0000 sei nicht vergeben und die Bankverbindung „Bank E BLZ …, Kto. Nr. …“ existiere nicht. Auch die Rechnungen der Firma Gerüstbau B L enthielten unrichtige Angaben. Unter der Adresse „B-Str., 00000 E“ habe weder im Zeitpunkt der Fahndungsprüfung noch zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung ein Gerüstbaubetrieb bestanden. Ein Gewerbe „Gerüstbau B L“ sei nicht angemeldet worden, bei der vorgefundenen Gewerbeanmeldung könne es sich nur um eine Fälschung handeln. Zudem sei die auf der Rechnung angegebene Steuernummer nicht vergeben und die angegebene Bankverbindung sei zumindest im Hinblick auf die Bankleitzahl falsch. Auffällig sei, dass die Rechnungen der Firma P L sowie die Rechnungen der Firma B L vom 07.09.2010, vom 15.10.2010 und vom 27.10.2010 als Bankleitzahl der Bank E die nicht existente Bankleitzahl … statt der tatsächlichen Bankleitzahl (…) aufwiesen. Die einzig plausible Erklärung hierfür sei, dass hinter diesen Rechnungen vermeintlich unterschiedlicher Lieferanten jeweils derselbe Urheber stecke. Dies könne nur der Kläger oder eine Person aus seinem Wirkungskreis sein. Zudem habe der Zeuge N in seiner Aussage vom 22.05.2013 zugegeben, an den Kläger von Dritten erstellte Scheinrechnungen verkauft zu haben.
17In der Sache hat am 12.06.2019 eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden, auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19Die Klage hat teilweise Erfolg.
20Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 19.05.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2016 ist in Höhe eines nicht zum Vorsteuerabzug zugelassenen Betrages von 1.014,60 € rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
211. Der Umsatzsteuerbescheid ist nicht bereits aus formalen Gründen rechtswidrig. Weder war eine Schlussbesprechung vor Erlass des Bescheides erforderlich noch hätte der Beklagte den Prüfungsbericht vorab an den Kläger übersenden müssen.
22a) Gem. § 201 Abs. 1 Satz 1 AO ist über das Ergebnis der Außenprüfung eine Besprechung abzuhalten (Schlussbesprechung), es sei denn, dass sich nach dem Ergebnis der Außenprüfung keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt oder dass der Steuerpflichtige auf die Besprechung verzichtet.
23Eine Schlussbesprechung ist bei einer Steuerfahndungsprüfung nur dann abzuhalten, wenn die mit der Steuerfahndung betraute Dienststelle gem. § 195 Satz 2, § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde mit einer Außenprüfung beauftragt worden ist, sog. Auftrags-Außenprüfung (BFH, Urt. vom 11.12.1997 – V R 56/94, BStBl. II 1998, 367; Seer, in: Tipke/Kruse, AO, § 208 Rdn. 37, 52).
24Unterbleibt eine Schlussbesprechung unzulässigerweise, so liegt ein Verfahrensfehler vor, der jedoch nach § 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AO durch Nachholung der Schlussbesprechung geheilt werden kann (Rozek, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 126 Rdn. 41, Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 201 Rdn. 22). Eine vor dem FG durchgeführte mündliche Verhandlung ist einer Schlussbesprechung mindestens gleichwertig (BFH, Beschluss vom 15.12.1997 – X B 182/96, BFH/NV 1998, 811, Rdn. 6 der Gründe).
25Eine solche Auftrags-Außenprüfung gem. § 195 Satz 2, § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO lag im Streitfall jedoch nicht vor. Aus den Akten ergibt sich nicht, dass der Beklagte das Finanzamt für Steuerfahndung und Steuerstrafsachen mit der Außenprüfung beauftragt hat. Der Bericht des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung C vom 01.05.2015 nennt als Rechtsgrundlage für die Fahndungsprüfung vielmehr § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 AO. Der Beklagte hat auch vorgetragen, dass keine Auftrags-Außenprüfung vorgelegen hat. Der Kläger ist dem nicht entgegengetreten, insbesondere hat er nicht dargelegt, dass ihm eine Prüfungsanordnung bzw. ein selbständiger Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist, aus dem sich das Vorliegen einer Auftragsprüfung ergibt (zur Streitfrage, ob die Gründe für die Auftragsprüfung lediglich in der Prüfungsanordnung mitgeteilt werden müssen oder die Beauftragung einen eigenständigen Verwaltungsakt darstellt siehe Seer, in: Tipke/Kruse, AO, § 195 Rdn. 13).
26Selbst wenn man vom Vorliegen einer Auftrags-Außenprüfung ausgehen würde, so wäre der Verfahrensmangel der fehlenden Schlussbesprechung aber jedenfalls im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 12.06.2019 geheilt worden.
27b) Gem. § 202 Abs. 2 AO hat die Finanzbehörde dem Steuerpflichtigen auf Antrag den Prüfungsbericht vor seiner Auswertung zu übersenden und ihm Gelegenheit zu geben, in angemessener Zeit dazu Stellung zu nehmen.
28Hat das Finanzamt den Prüfungsbericht „ausgewertet“, ohne ihn dem Steuerpflichtigen antragsgemäß zu übersenden und ihm Gelegenheit zu geben, in angemessener Zeit dazu Stellung zu nehmen, liegt darin ein Verfahrensfehler, der nach § 126 Abs. 1 Nrn. 2, 3 Abs. 2 durch Nachholung im Einspruchsverfahren bzw. im finanzgerichtlichen Verfahren geheilt werden kann (Schallmoser in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 202 Rdn. 39). Bei in der Sache zutreffender Entscheidung der Finanzbehörde kann in sinngemäßer Anwendung des § 127 AO die Änderung des Steuerbescheides im gerichtlichen Verfahren ferner nicht allein deshalb verlangt werden, weil die Übersendung des Prüfungsberichtes vor Abschluss des Einspruchsverfahrens unterblieben ist (Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 202 Rdn. 39).
29Im Streitfall hat der Kläger schon nicht dargelegt geschweige denn belegt, dass er einen entsprechenden Antrag auf Vorab-Übersendung des Prüfungsberichtes gestellt hat, so dass schon kein Verfahrensfehler nach § 202 Abs. 2 AO vorliegt. Ungeachtet dessen hatte der Kläger im Einspruchs- und im Klageverfahren die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Prüfungsbericht, so dass ein etwaiger Verfahrensfehler jedenfalls geheilt wäre. Zudem handelt es sich bei der Entscheidung über die Festsetzung einer Steuerschuld um eine gebundene Entscheidung. Auch bei Einhaltung der Verfahrensvorschrift hätte keine andere Entscheidung in der Sache ergehen können, so dass eine Aufhebung auch aus diesem Grunde ausscheidet (§ 127 AO).
302. Der Bescheid ist in materiell-rechtlicher Hinsicht insoweit rechtswidrig, als dass die vom Beklagten vorgenommene Vorsteuerkürzung in Höhe von insgesamt 7.174,40 € um 1.014,60 € zu hoch ist. In Höhe von 6.159,80 € hat der Beklagte den Vorsteuerabzug dagegen zu Recht versagt.
31a) Einwendungen gegen die Höhe der geschätzten Umsätze hat der Kläger nicht geltend gemacht. Vielmehr liegen der Schätzung des Beklagten die vom Kläger selbst in seiner Gewinnermittlung/Bilanz ausgewiesenen Umsätze zugrunde. Der Beklagte ist lediglich in Bezug auf die nicht anerkannten Vorsteuerbeträge aus den Eingangsrechnungen der Lieferanten P L und B L von den in der Gewinnermittlung ausgewiesenen Werten abgewichen.
32b) Dem Kläger steht auch kein Recht zum Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Firmen Schrott- und Metallhandel P L und B L Gerüstbau in Höhe von insgesamt weiteren 6.159,80 € zu.
33Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Unionsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 168 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006 (MwStSystRL).
34Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei in formaler Hinsicht gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Auch das Unionsrecht verlangt als formelle Voraussetzung für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts gem. Art. 178 a) MwStSystRL eine im Einklang mit Art. 226 MwStSystRL ausgestellte Rechnung (EUGH, Urt. vom 15.09.2016 – C-516/14 „Barlis 06“, HFR 2016, 1031 Rdn. 41).
35In materieller Hinsicht setzt das Recht zum Vorsteuerabzug voraus, dass die Lieferung des betreffenden Gegenstands oder die betreffende Dienstleistung tatsächlich bewirkt wird. Umgekehrt kann kein Recht auf Vorsteuerabzug entstehen, wenn die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung tatsächlich nicht bewirkt wurde (EuGH, Urt. vom 27.06.2018 – C-459/17 und C-460/17 „CGI“, BFH/NV 2018, 1070 Rdn. 35, 36).
36Der Vorsteuerabzug ist aus materiellen Gründen auch dann zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit dem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war (EuGH, Urt. vom 21.06.2012 – C-80/11 und C-142/11 „Mahageben und David“, HFR 2012, 917 Rdn. 45; EuGH, Urt. vom 06.12.2012 – C-285/11 „Bonik“, HFR 2013, 192, Rdn. 40; BFH, Urt. vom 12.08.2009 – XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259; BFH, Urt. vom 19.05.2010 – XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132).
37Grundsätzlich trägt der Steuerpflichtige, der den Vorsteuerabzug vornehmen möchte, die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs (EUGH, Urt. vom 15.09.2016 – C-516/14 „Barlis 06“, HFR 2016, 1031 Rdn. 46; EuGH, Urt. vom 18.07.2013 – C-78/12 „Evita-K.“, HFR 2013, 857 Rdn. 37; BFH, Beschluss vom 03.02.2016 – V B 35/15, BFH/NV 2016, 794).
38Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH obliegt es zwar – wie der Klägervertreter zu Recht hervorhebt – den zuständigen Steuerbehörden, die objektiven Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung dieses Rechts geltend gemachte Umsatz in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war, rechtlich hinreichend nachzuweisen (EuGH, Urt. vom 06.12.2012 – C-285/11 „Bonik“, HFR 2013, 192, Rdn. 43; EuGH, Urt. vom 21.06.2012 – C-80/11 und C-142/11 „Mahageben und David“, HFR 2012, 917 Rdn. 49). Liegen Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder einer Steuerhinterziehung vor, kann ein verständiger Wirtschaftsteilnehmer zwar nach den Umständen des konkreten Falls verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen (EuGH, Urt. vom 21.06.2012 – C-80/11 und C-142/11 „Mahageben und David“, HFR 2012, 917 Rdn. 60). Die Steuerverwaltung kann jedoch von dem Steuerpflichtigen, der sein Recht auf Vorsteuerabzug ausüben möchte, nicht generell verlangen, zu prüfen, ob der Aussteller der Rechnung über die Gegenstände und Dienstleistungen, für die dieses Recht geltend gemacht wird, verfügte und sie liefern konnte und seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und der Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen ist, um sich zu vergewissern, dass auf der Ebene der Wirtschaftsteilnehmer einer vorgelagerten Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung vorliegen oder entsprechende Unterlagen vorzulegen (EuGH, Urt. vom 21.06.2012 – C-80/11 und C-142/11 „Mahageben und David“, HFR 2012, 917 Rdn. 61). Es ist nämlich grundsätzlich Sache der Steuerbehörden, bei den Steuerpflichtigen die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, um Unregelmäßigkeiten und Mehrwertsteuerhinterziehung aufzudecken und gegen den Steuerpflichtigen, der diese Unregelmäßigkeiten und Steuerhinterziehung begangen hat, Sanktionen zu verhängen (EuGH, Urt. vom 21.06.2012 – C-80/11 und C-142/11 „Mahageben und David“, HFR 2012, 917 Rdn. 62).
39Diese Rechtsprechung ändert jedoch nichts daran, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Steuerpflichtige die Feststellungslast dafür trägt, dass Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer identisch sind (FG Düsseldorf, Beschluss vom 26.03.2014 – 1 V 3235/13, juris; Kraeusel, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 15 Rdn. 148). Zudem trägt der Steuerpflichtige auch dafür die Beweislast, dass keine Scheinlieferungen vorliegen, sondern tatsächliche wirtschaftliche Vorgänge, mittels derer er die Verfügungsmacht an der Ware erhalten hat (Kraeusel, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 15 Rdn. 144, 148). Nur dann, wenn die in Rede stehenden Lieferungen von Gegenständen tatsächlich bewirkt und die Gegenstände vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet worden sind, kann das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich nicht versagt werden (EuGH, Urt. vom 27.06.2018 – C-459/17 und C-460/17 „CGI“, BFH/NV 2018, 1070 Rdn. 38 ff.; EUGH EuGH, Urt. vom 06.12.2012 – C-285/11 „Bonik“, HFR 2013, 192 Rdn. 33; BFH, Beschluss vom 26.02.2014 – V S 1/14 (PKH), BFH/NV 2014, 917; BFH, Beschluss vom 08.07.2015 – XI B 5/15, BFH/NV 2015, 1444; Rothenberger, UStB 2014, 227, 228).
40aa) Im Streitfall fehlt es bereits am Vorliegen ordnungsgemäßer Rechnungen und damit an der formalen Voraussetzung für den Vorsteuerabzug.
41Gem. § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG bzw. Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL muss eine Rechnung die Angabe des vollständigen Namens und der vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers enthalten. Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung setzt jedoch nicht voraus, dass die wirtschaftliche Tätigkeit des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt wird, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift (EuGH, Urt. vom 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 „Geissel und Butin“, HFR 2018, 88; BFH, Urt. vom 13.06.2018 – XI R 20/14, BFHE 262, 174 und BFH, Urt. vom 21.06.2018 – V R 25715, BStBl. II 2018, 809). Es ist jedoch erforderlich, dass der Steuerpflichtige unter der angegebenen postalischen Adresse erreichbar ist (BFH, Urt. vom 05.12.2018 – XI R 22/14, BFH/NV 2019, 365).
42Die auf den Rechnungen des Lieferanten P L angegebene Adresse „A-Str. in 00000 E“ existiert nicht, so dass unter dieser postalischen Adresse auch niemand erreichbar war. Ein solcher bloßer Scheinsitz genügt - in Abgrenzung zu einem Briefkastensitz - auch nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urt. vom 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 „Geissel und Butin“, HFR 2018, 889) nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechnung. Auch unter der Anschrift der Firma B L „B-Str. in 00000 E“ hat weder im Zeitpunkt der Rechnungsstellung noch im Zeitpunkt der Fahndungsprüfung ein Gerüstbaubetrieb bestanden. Unter der Adresse befindet sich vielmehr seit dem Jahr 2005 eine Tischlerei, dem dortigen Gewerbetreibenden, Herrn I, war ein Gerüstbauunternehmen B L auch nicht bekannt (Vermerk der Steuerfahndung C vom 25.02.2013, Bl. 66 der Gerichtsakte). In Verbindung mit der Tatsache, dass es sich auch bei der Gewerbeanmeldung um eine Fälschung handelt, geht der Senat davon aus, dass es sich auch bei der Firma B L um ein reines Phantasieunternehmen mit einem Scheinsitz gehandelt hat.
43Gem. § 14 Abs. 4 Nr. 4 UStG und Art. 226 Nr. 2 MwStSystRL muss eine ordnungsgemäße Rechnung ferner eine fortlaufende Nummer mit einer oder mehreren Zahlenreihen enthalten, die zur Identifizierung der Rechnung vom Rechnungsaussteller einmalig vergeben wird. Diesen Anforderungen genügen die Rechnungen der Firma B L nicht, denn die Rechnungen vom 21.07.2010 (Bl. 30 Gerichtsakte) und die Rechnung vom 07.09.2010 (Bl. 31 der Gerichtsakte) weisen dieselbe Rechnungsnummer (102) aus.
44bb) Es liegen darüber hinaus auch die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nicht vor.
45Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die in den Rechnungen ausgeführten Waren durch die Rechnungsaussteller geliefert worden sind. Der Kläger, den beim Vorliegen solcher Zweifel im Hinblick auf die tatsächliche Bewirkung der Lieferung bzw. sonstigen Leistung die Feststellungslast trägt, hat den Nachweis der tatsächlichen Lieferungen durch die Rechnungsaussteller nicht erbracht.
46Angesichts der Tatsache, dass in E keine Person mit dem Namen P L bekannt bzw. ermittelbar ist und auch die Geschäftsanschrift „A-Str. in 00000 E“ eine reine Phantasieanschrift ist, ist der Senat davon überzeugt, dass die Lieferungen nicht durch den Unternehmer P L erfolgt sind. Vielmehr ist der Senat davon überzeugt, dass die Rechnungen der Firma P L und auch die Rechnungen der Firma B L von ein- und derselben dritten Person als Scheinrechnungen erstellt worden sind. Hierfür spricht zum einen der Umstand, dass sowohl in Rechnungen der Firma P L als auch in Rechnungen der Firma B L die nicht existierende Bankleitzahl … angegeben ist, während die tatsächliche Bankleitzahl der Bank E … lautet. Zudem haben die Ermittlungen der Steuerfahndung ergeben, dass der Kläger auch in anderen Bereichen mit fingierten Rechnungen gearbeitet hat (Aussage des Zeugen N vom 22.05.2013, Bl. 76 ff. der Gerichtsakte).
47Darüber hinaus war die Gewerbeanmeldung des Unternehmers B L gefälscht und unter der vom Unternehmer B L angegebenen Adresse „B-Str.“ bestand kein Gerüstbauunternehmen, sondern eine von einem Dritten betriebene Tischlerei.
48Der Kläger, der die Feststellungslast dafür trägt, dass die Lieferungen tatsächlich von den Rechnungsausstellern erbracht worden sind, ist dem detaillierten und umfänglichen Vorbringen des Beklagten nicht substantiiert entgegengetreten.
49Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er sich daran erinnere, dass die Firma P L zwei Schwerlastregale mit einer Länge von ca. 5m geliefert habe, so trifft dieser Vortrag nicht zu. Nach den Rechnungen hat die Firma P L im Streitzeitraum statt dessen sechs Gitterträger, einen Abbruchhammer (Rechnung vom 12.02.2010, Bl. 28 der Gerichtsakte) und einen Gabelstapler (Kaufvertrag vom 23.04.2010, Bl. 29 der Gerichtsakte) geliefert.
50Die vom Kläger mit Schriftsatz vom 02.02.2017 angetretenen Beweise waren nicht zu erheben, denn diese Beweisantritte stehen in keinem Zusammenhang zu den angeblichen Leistungen in den hier streitbefangenen Rechnungen. Eine Vernehmung der angeblichen Rechnungsaussteller P L und B L haben die Beteiligten nicht beantragt. Eine Vernehmung von Amts wegen scheidet aus, denn es sind keine ladungsfähige Anschriften oder sonstigen Identifizierungsumstände dieser Personen bekannt. Die Internetrecherche (google) hat unter dem Namen P L über 500 Einträge, aber keinen, der auf einen Schrotthandel hindeutet, ergeben. Die Suche nach B L, E, hat mehr als 20.000 Einträge ergeben, aber keinen konkreten Hinweis auf einen Gerüstbauunternehmer mit diesem Namen. Letztlich scheitert der streitbefangene Vorsteuerabzug neben den materiell-rechtlichen Voraussetzungen auch an den formalen Rechnungsvoraussetzungen, so dass es auch aus diesem Grund keiner Vernehmung der angeblichen Rechnungsaussteller bedurfte.
51cc) Soweit der Beklagte jedoch den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Firmen P L und B L um einen Betrag in Höhe von 7.174,40 € gekürzt hat, so ist diese Kürzung um 1.014,60 € zu hoch. Die in den vom Beklagten vorgelegten Rechnungen der Firmen P L und B L ausgewiesene Umsatzsteuer beläuft sich auf insgesamt lediglich 6.159,80 €, nur in dieser Höhe war eine Vorsteuerkürzung vorzunehmen:
52Lieferant |
Re-Datum |
Vorsteuer |
P L |
12.02.2010 |
199,50 € |
P L |
23.04.2010 |
912,00 € |
B L |
21.07.2010 |
1.824,00 € |
B L |
07.09.2010 |
883,50 € |
B L |
15.10.2010 |
1.276,80 € |
B L |
27.10.2010 |
1.064,00 € |
Summe |
6.159,80 € |
Der Berichterstatter hatte auf diesen Umstand bereits mit Schreiben vom 11.05.2019 (Bl. 59 f. der Gerichtsakte) hingewiesen. Auch die vom Beklagten hierauf mit Schreiben vom 31.05.2019 übersandten Rechnungen (Bl. 61 ff. der Gerichtsakte) können die Differenz zur Kürzung durch den Beklagten nicht erklären.
54Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.
55Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
56Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor, die Entscheidung basiert auf der Würdigung der tatsächlichen Gesamtumstände des Einzelfalles.