Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der Duldungsbescheid vom 21.01.2016 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 26.03.2018 wird dahingehend geändert, dass sich die Duldungspflicht auf insgesamt 8.450 EUR erstreckt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin 20 vH und der Beklagte 80vH.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand
2Die Klägerin wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme per Duldungsbescheid für Steuerrückstände ihres Lebensgefährten.
3Die Klägerin lebt seit dem Jahr 2001 mit ihrem Lebensgefährten, dem Zeugen C (im Folgenden auch: „Zeuge“), zusammen. Sie haben zwei gemeinsame Töchter, die in den Jahren 2002 und 2004 geboren wurden. Der Zeuge war früher Geschäftsführer der H Ltd, über deren Vermögen im Jahr 2008 ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde (AG …, 73 IE 1/08).
4Die Klägerin unterhielt bei der T-Bank, BLZ …, seit 1995 das Girokonto mit der Nummer xxx (Konto A) und seit 2006 das weitere Girokonto mit der Nummer xxx (Konto B). Über diese Konten war der Zeuge nach einer Auskunft der T-Bank vom 10.2.2015 gegenüber dem Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung … seit dem 1.9.2012 verfügungsbefugt. Die Klägerin vereinnahmte für sich über beide Konten ab dem Jahr 2011 per SB-Bareinzahlung Entgelte für von ihr abgehaltene sog. FEP-Kurse (Frühkindliche Entwicklungsförderprogramme) bei der .... Daneben war sie in ihrem Beruf als Erzieherin tätig.
5Das Konto A war auf Rechnungen der „F Ltd “ als deren Geschäftskonto benannt; als Geschäftsführer dieser steuerlich in Deutschland nicht geführten Gesellschaft war „L…“ angegeben. In den beigezogenen Strafakten des Amtsgericht … (AG …, Az. …) befinden sich exemplarisch vier dieser Rechnungen aus dem Zeitraum 10.9.2010 bis 1.10.2010.
6Auf den beiden vorgenannten Konten der Klägerin gingen im Zeitraum vom 1.1.2009 bis zum 31.12.2013 per Überweisung bzw. in bar Beträge ein, als Entgelt des Zeugen für dessen einzelunternehmerische Tätigkeit im Baugewerbe.
7Gegen den Zeugen erging am 17.9.2015 ein rechtskräftig gewordener Strafbefehl des Amtsgerichts …, Az. …. Darin stellte das AG … fest, dass der Zeuge in den Jahren 2009 bis 2013 gewerblich als Einzelunternehmer tätig war (Handwerker im Baugewerbe). Er habe vorsätzlich keine Einkommen- und Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2009 bis 2013 abgegeben und dadurch Einkommensteuer nebst Solidaritätszuschlag für die Jahre 2009 bis 2013 und Umsatzsteuer für die Jahre 2010 bis 2013 verkürzt bzw. versucht zu verkürzen. Er habe als Einzelunternehmer über die steuerlich nicht existente F Ltd ., deren Geschäftsführer er gewesen sei, Leistungen in Rechnung gestellt. Er habe die unbaren Erlöse über das Konto einer dritten Person, seiner Lebensgefährtin, vereinnahmt, um dadurch den betrieblichen Charakter dieser Einnahmen zu verschleiern.
8Der Beklagte erließ gegen den Zeugen (geänderte) Bescheide betreffend Einkommen- und Umsatzsteuer zzgl. Nebenabgaben, insbesondere für die Jahre 2009 bis 2013. Die Einkommensteuerbescheide für diese Jahre waren am 10.9.2015, als der Vorbehalt der Nachprüfung für die Jahre 2010 bis 2013 aufgehoben wurde, bereits bestandskräftig.
9Nach Duldungsanfragen vom 2.9.2015 und vom 9.10.2015, die mit einfacher Post verschickt wurden, erging am 21.1.2016 ein Duldungsbescheid gegenüber der Klägerin, der ihr am 26.1.2016 zugestellt wurde. Wegen Abgabenrückständen des Zeugen in Höhe von 44.303,13 EUR (Einkommen- und Umsatzsteuer für 2009 bis 2013 zzgl. Nebenabgaben), die der Beklagte in Anlage 1 zum Duldungsbescheid im Einzelnen auflistete, habe sie nach § 191 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. §§ 3, 4 des Anfechtungsgesetzes (AnfG) in gleicher Höhe die Vollstreckung in ihr Vermögen zu dulden. Angefochten wurden Beträge, die Kunden bzw. Schuldner des Zeugen auf dessen Anweisung auf die Konten A und B der Klägerin bei der T-Bank überwiesen hätten, und Bareinzahlungen auf diese Konten, die im Zusammenhang ständen mit Bareinnahmen des Zeugen aus dessen einzelunternehmerischer Tätigkeit im Baugewerbe. Für den Zeitraum 1.1.2009 bis 31.12.2013 seien den beiden Konten der Klägerin auf diese Weise 158.373,07 EUR gutgeschrieben worden.
10Mit Einspruchsentscheidung vom 26.3.2018 änderte der Beklagte den Duldungsbescheid vom 21.1.2016 dahingehend, dass die Duldungspflicht sich auf einen Betrag von 40.355,75 EUR erstreckte. Bei dieser Summe handelte es sich ausweislich der Anlage 1 zur Einspruchsentscheidung ausschließlich um Gutschriften auf die Konten der Klägerin; Bareinzahlungen wurden nicht mehr berücksichtigt. Die gegenüber dem Zeugen festgesetzten Steueransprüche seien fällig und vollstreckbar und würden sich im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung – unter Berücksichtigung einer Zahlung von 330,24 EUR aus der Lohnpfändung des Zeugen für August 2017 – auf 43.972,89 EUR belaufen. Die Inanspruchnahme der Klägerin im Wege der Duldung sei dem Grunde und der Höhe nach ermessensgerecht. Zwar möge die Klägerin auch den Lebensunterhalt für sich, die beiden gemeinsamen Kinder und den Zeugen von den in Rede stehenden Geldern bestritten haben. Der Zeuge habe aber während des Verwaltungsverfahrens bekundet, er leiste keinen Unterhalt an die Klägerin bzw. die gemeinsamen Kinder, und die Klägerin habe mitgeteilt, sie habe von ihren Einkünften ihren Lebensunterhalt bestritten. Außerdem gehe der Beklagte davon aus, dass die Bargeldzahlungen ebenfalls zum Lebensunterhalt verwendet worden seien. Die Anweisung des Zeugen an seine Auftraggeber, Zahlungen auf ein Konto der Klägerin zu leisten, habe nicht der Erfüllung von Unterhaltspflichten, sondern vielmehr dazu gedient, anderen Gläubigern die Gelder vorzuenthalten. Die Vollstreckung in das Vermögen des Zeugen sei bis dato weitgehend erfolglos geblieben.
11Die Anfechtungsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 AnfG lägen vor. Bei einem von Anfechtungsschuldnern verwendeten Fremdgeldkonto bestehe grundsätzlich eine objektive Gläubigerbenachteiligung. Im Streitfall lägen auch objektive Umstände vor, aus denen geschlossen werden könne, dass der Zeuge seine Gläubiger habe benachteiligen wollen. Als Geschäftsführer der H habe er für diese - ausweislich der Feststellungen der Insolvenzverwalterin - kein eigenes Firmenkonto einrichten können und sich stattdessen – ausweislich deren Briefkopfes – das Konto A der Klägerin bedient. Gleiches gelte, soweit der Zeuge nach der Insolvenz der H insbesondere im Zeitraum von 2009 bis 2013 einzelunternehmerisch tätig geworden sei. Hierbei habe er gegenüber seinen Kunden Namen und Briefkopf der F Ltd genutzt. Auf dem Briefkopf der F Ltd sei neben dem Hinweis auf ihn als Geschäftsführer das Konto A der Klägerin angegeben gewesen. Auf einen Benachteiligungsvorsatz lasse auch schließen, dass der Kläger, obwohl er in seinen eidesstattlichen Versicherungen angab, nicht unternehmerisch tätig zu sein, dennoch unternehmerisch tätig geworden sei. Vollstreckungsversuche gegen ihn seien erfolglos gewesen. Der Zeuge habe durch die Nutzung der Konten der Klägerin etwaige gegen die H , die F Ltd und gegen ihn persönlich gerichtete Vollstreckungstitel mindestens zu erschweren versucht; ein unmittelbarer und direkter Zugriff auf das Vermögen der Klägerin als Kontoinhaberin sei seinen Gläubigern verwehrt gewesen.
12Die Klägerin habe vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Zeugen auch Kenntnis gehabt. Sie wusste, dass auf ihren Konten auch unternehmerische Vorgänge ihres Lebensgefährten erfasst wurden. Beide hätten die Konten als gemeinsame angesehen, über die sämtliche Einnahmen und Ausgaben laufen sollten. Die Nutzung der ausschließlich auf ihren Namen laufenden Konten durch den Lebensgefährten der Klägerin sei nur durch die Erteilung von Verfügungsvollmachten für ihn möglich geworden. Weder die Klägerin noch der Zeuge hätten weitere Konten gehabt. Da die Konten nur auf ihren Namen lauteten, musste die Klägerin davon ausgehen, dass den Gläubigern des Zeugen für etwaige gegen ihn persönlich gerichtete Vollstreckungstitel ein unmittelbarer und direkter Zugriff nicht möglich gewesen bzw. erschwert gewesen sei. Die gegen das Gebot der Kontenwahrheit verstoßende Einräumung der Verfügungsberechtigung für den Zeugen und die dadurch ermöglichte Kontennutzung für dessen unternehmerische Vorgänge habe nur den Zweck haben können, Bestandteile des Vermögens des Zeugen beiseite zu schaffen und die Befriedigung seiner Gläubiger zu verhindern. Andere Motivlagen seien nach Aktenlage nicht erkennbar. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass die Klägerin auch Kenntnis über die Zahlungsschwierigkeiten des Zeugen gehabt habe. Zumal die Konten auch als ihr eigenes Gehaltskonto dienten, widerspreche es der Lebenserfahrung, dass die Klägerin nach Zurverfügungstellung der Konten überhaupt keinen Zugriff gehabt haben sollte. Es bedürfe im Streitfall nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 25.4.2017 VII R 31/15, BFH/NV 2017, 1297, keines Nachweises, dass die Klägerin über die Kenntnis von Zahlungsschwierigkeiten hinaus zusätzlich positive Kenntnis über eine drohende Zahlungsunfähigkeit ihres Lebensgefährten gehabt habe. Dabei stehe ihrer Inanspruchnahme nicht entgegen, dass sie sich hinsichtlich der Nutzung ihrer Konten durch den Zeugen auf dessen Aussagen verlassen haben wolle.
13Der Rückgewähranspruch sei unabhängig davon gegeben, ob die Klägerin auf Dauer bereichert sei; entscheidend sei, was der Zeuge als Vollstreckungsschuldner dem Zugriff seiner Gläubiger entzogen, aus seinem Vermögen weggegeben habe.
14Die Klägerin macht geltend, dass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AnfG nicht vorlägen.
15Nachdem sie zunächst vorgebracht hat, der Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass die von ihm in der Anlage 1 zur Einspruchsentscheidung aufgelisteten Vorgänge Rechtshandlungen des Zeugen seien und der Duldungsbescheid zu unbestimmt i.S. des § 119 Abs. 1 AO sei, hat sie in der mündlichen Verhandlung erklärt, die Kontobewegungen der Jahre 2009 bis 2013, wie sie sich aus dem Anhang zu Einspruchsentscheidung ergäben, beträfen nicht ihre eigene Tätigkeit.
16Es sei weder ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Zeugen noch eine Kenntnis der Klägerin von einem solchen Vorsatz erwiesen. Eine solche Kenntnis der Klägerin könne sich nicht aus dem Umstand des Zusammenlebens und der Nutzung eines gemeinsamen Kontos ergeben. Es sei sicher auch nicht ausreichend, dass sie ggf. Kenntnis darüber hatte, dass unternehmerische Gelder auf das gemeinsame Konto geflossen seien. Bei einer gemeinsamen Haushaltsführung sei ein gemeinsames Konto üblich; Motiv für das gemeinsame Konto sei das Zusammenleben gewesen. Hinsichtlich der Nutzung des Kontos durch den Zeugen habe es keine Absprachen gegeben. Der Zeuge habe seit vielen Jahren vollständigen Zugriff auf das gemeinschaftliche Konto gehabt, insbesondere auch eine PIN, mit der er eigenverantwortlich sämtliche Kontobewegungen habe durchführen können. Die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt daran mitgewirkt, Vermögensgegenstände des Zeugen zu verschleiern. Sie habe sich ausschließlich um die gemeinsamen Kinder gekümmert, während der Zeuge für die finanziellen Angelegenheiten zuständig gewesen sei. Er habe insoweit mit seinem Einkommen für den wesentlichen Unterhalt der Kinder und der Klägerin gesorgt. Aus der Kenntnis des Zuflusses von Einnahmen lasse sich eine Kenntnis der Klägerin von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Zeugen nicht ableiten. Der Beklagte stelle lediglich Vermutungen auf. Die Klägerin habe durch Einräumen der Kontovollmacht auch nicht gegen den Grundsatz der Kontenwahrheit verstoßen.
17Schließlich habe die Klägerin zu keinem Zeitpunkt positive Kenntnis über eine drohende Zahlungsunfähigkeit des Zeugen gehabt. Zwar seien ihr gelegentliche finanzielle Engpässe des Zeugen und auch eine Insolvenz in der Vorzeit bekannt gewesen. Über etwaige Gläubiger und die Höhe der Außenstände habe sie jedoch nichts gewusst und aus den Zahlungseingängen aus dem Konto auch nicht ableiten können. Allein aus der Kontenüberlassung sei eine positive Kenntnis der Klägerin nicht herleitbar.
18Soweit der Beklagte unter Bezugnahme auf ein Urteil des FG Münster vom 22.1.2010, 6 K 4276/06 die Meinung vertrete, ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Zeugen sei der Klägerin nach § 166 Abs. 2 BGB zuzurechnen, hält dem die Klägerin entgegen, dass der Sachverhalt des vorgenannten Urteils mit demjenigen des Streitfalles nicht vergleichbar sei. In jenem Fall habe die Ehefrau bei ihrem Ehemann als Arbeitnehmerin gearbeitet, so dass die Lebens- und Arbeitsbereiche der Eheleute eng verflochten gewesen seien.
19Die Klägerin geht davon aus, dass ihre Inanspruchnahme teilweise, im Umfang von 8.450 EUR innerhalb einer Anfechtungsfrist von vier Jahren, nach § 4 Abs. 1 AnfG zu Recht erfolgt ist.
20Die Klägerin beantragt,
21den Duldungsbescheid vom 21.1.2016 in der Fassung der Einspruchsentschei-
22dung vom 26.3.2018 aufzuheben,
23hilfsweise,
24die Revision zuzulassen.
25Der Beklagte beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Der Beklagte trägt vor, er sei seiner Nachweispflicht unter Hinweis auf die Buchungstexte in ausreichendem Maße nachgekommen. Die anhand dieser Buchungstexte bestehende Zuordnungsmöglichkeit zur gewerblichen Tätigkeit des Lebensgefährten sei im Streitfall die einzig mögliche. Die Klägerin habe insofern auch keine substantiierten Einwendungen erhoben.
28Zur Vermögenslage des Zeugen und den eigenen Vollstreckungsversuchen bzw. denen Dritter habe der Beklagte im Einspruchsverfahren Stellung genommen.
29Schon das gemeinsame Wirtschaften mit dem Zeugen sei ein Indiz dafür, dass sie dessen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gekannt habe. Dass die Klägerin mit dem Zeugen in regem Informationsaustausch über ihre eigene und die gemeinsame wirtschaftliche Lage gestanden habe, zeige sich in der Vielzahl der Buchungen auf beiden Konten zu ihren Gunsten bzw. zur Tilgung ihrer Verbindlichkeiten. Zumindest hätte sich die Klägerin fragen müssen, weshalb ihr Lebensgefährte seinen geschäftlichen Zahlungsverkehr über ihr Konto abgewickelt hat bzw. dies wollte.
30Im Übrigen müsse sich die Klägerin den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ihres Lebensgefährten über § 166 Abs. 2 BGB zurechnen lassen, weil dieser bei seinen Anweisungen an seine Schuldner bzw. bei den damit verbundenen Forderungseinziehungen auf Grund der von der Klägerin erteilten Kontovollmacht gehandelt habe.
31Zum Verfahren beigezogen worden sind die Verwaltungsvorgänge und die Straftakte betreffend das Strafverfahren gegen den Zeugen C (Amtsgericht …, Az. …).
32Am 26.3.2019 hat ein Erörterungstermin vor der Berichterstatterin und am 18.6.2019 die mündliche Verhandlung vor dem Senat mit Einvernahme des Zeugen C stattgefunden. Auf die jeweiligen Protokolle wird Bezug genommen.
33Entscheidungsgründe
34Die Klage ist insoweit begründet, als die Klägerin durch den Bescheid vom 21.1.2016 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 26.3.2018 über einen Betrag von 8.450 EUR hinaus auf Duldung in Anspruch genommen wird. Insofern ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
351. Die Klägerin hat die Vollstreckung in ihr Vermögen im Umfang von 8.450 EUR zu dulden.
36a. Nach § 191 Abs. 1 AO kann derjenige, der kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Dazu zählen auch die Fälle, in denen einem Gläubiger zur Befriedigung seiner Forderungen das zur Verfügung gestellt werden muss, was durch anfechtbare Rechtshandlungen aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist. Gleiches gilt, wenn der Anfechtungsgegner den in anfechtbarer Weise aus dem Schuldnervermögen ausgeschiedenen Gegenstand nicht in Natur zurückgewähren kann und wenn er deshalb verpflichtet ist, Wertersatz zu leisten (§ 11 Abs. 1 AnfG).
37Die Entscheidung über die Inanspruchnahme nach § 191 Abs. 1 AO ist zweigliedrig. Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es durch Duldungsbescheid in Anspruch nehmen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung erfüllt sind. Hierbei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob und ggf. wen es als Duldungsverpflichteten in Anspruch nehmen will (siehe § 5 AO). Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensfehlgebrauch bzw. Ermessensüberschreitung) überprüfbar (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 11. März 2004, VII R 52/02, BStBl II 2004, 579 m. w. N.).
38b. Im Streitfall liegen die allgemeinen Anfechtungsvoraussetzungen der §§ 1 und 2 AnfG vor.
39Gemäß § 1 AnfG sind Rechtshandlungen eines Schuldners, die seine Gläubiger (hier insbesondere das Finanzamt) benachteiligen --d.h. jedes rechtliche oder tatsächliche Handeln oder Unterlassen, das entsprechende rechtliche Folgen hat (vgl. BFH-Urteil vom 2. November 2010, VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374)--, außerhalb des Insolvenzverfahrens anfechtbar. Hierzu gehört auch die Übertragung einer formellen Rechtsposition durch Einzahlung auf das "geliehene", als Eigen-, nicht als Anderkonto geführte Bankkonto eines anderen oder die Aufforderung an einen Drittschuldner (im Streitfall: die Auftraggeber des Zeugen für dessen Leistungen im Baugewerbe), mit schuldbefreiender Wirkung auf ein solches Konto zu überweisen (§§ 362, 185 des Bürgerlichen Gesetzbuches –BGB-). Hierdurch erreicht der Schuldner (hier der Zeuge), dass jedenfalls im Außenverhältnis nur noch Forderungen des Kontoinhabers (hier der Klägerin) gegen die Bank bestehen. Somit liegt trotz des Herausgabeanspruchs des Schuldners keine reine Vermögensumschichtung vor. Vielmehr ist auch eine formelle Rechtsstellung ein Vermögenswert, dessen Weitergabe eine objektiv benachteiligende Rechtshandlung sein und dessen Rückgewähr vom Kontoinhaber (Anfechtungsgegner) gegebenenfalls nach den Vorschriften des AnfG gefordert werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 25. April 2017, VII R 31/15, BFH/NV 2017, 1297; BFH-Beschluss vom 17. Januar 2000, VII B 282/99, BFH/NV 2000, 857, jeweils m.w.N.).
40Die Weitergabe der formellen Rechtsposition an die Klägerin hat eine objektive Gläubigerbenachteiligung zur Folge, da die Gläubiger (hier insbesondere das Finanzamt) das Guthaben auf dem Konto der Kontoinhaberin (hier der Klägerin) jedenfalls nicht mehr aufgrund eines gegen den Schuldner (hier den Zeugen) gerichteten Vollstreckungstitels pfänden können (vgl. etwa BGH-Urteil vom 26. April 2012, IX ZR 74/11, BGHZ 193, 129). Der Eintritt der objektiven Gläubigerbenachteiligung ist isoliert mit Bezug auf die Minderung des Aktivvermögens oder die Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen. Eine Vorteilsausgleichung findet dabei grundsätzlich nicht statt; zu berücksichtigen sind lediglich solche Folgen, die an die angefochtene Rechtshandlung selbst anknüpfen. Die Feststellung der gläubigerbenachteiligenden Wirkung unterscheidet sich insoweit von der Feststellung der (Un-)Entgeltlichkeit; jedoch setzen beide keine dauerhafte Entreicherung des Schuldners oder dauerhafte Bereicherung des Anfechtungsgegners voraus (Umkehrschluss zu § 11 Abs. 2 AnfG) (BFH-Urteil vom 25. April 2017, VII R 31/15, BFH/NV 2017, 1297, m.w.N.).
41Der Beklagte ist anfechtungsberechtigter Gläubiger i.S. des § 2 AnfG. Die gegenüber dem Zeugen festgesetzten Steuerschulden sind fällig und vollstreckbar. Die Vollstreckung in das Vermögen des Zeugen ist erfolglos geblieben.
42c. Die besonderen Voraussetzungen für eine Anfechtung nach § 4 Abs. 1 AnfG sind erfüllt.
43Der Umstand, dass der Beklagte in seiner Einspruchsentscheidung nur auf § 3 AnfG abstellt, entbindet das FG nicht von der Prüfung der übrigen Anfechtungstatbestände (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 1981, VII R 49/80, BFHE 133, 501, BStBl II 1981, 751).
44Nach § 4 Abs. 1 AnfG ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners anfechtbar, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor der Anfechtung vorgenommen worden. Die Klägerin hat vom Zeugen, dem Steuerschuldner, in Gestalt von Kontogutschriften innerhalb des vierjährigen Anfechtungszeitraums in Höhe von insgesamt 8.450 EUR unentgeltliche Leistungen erhalten.
45Unentgeltlich ist eine Leistung dann, wenn der Erwerb des Empfängers in seiner Endgültigkeit vereinbarungsgemäß nicht von einer ausgleichenden Zuwendung abhängt (vgl. BGH-Urteil vom 15. Dezember 2016, IX ZR 113/15, WM 2017, 188). Es genügt für die Annahme einer unentgeltlichen Leistung, wenn diese ohne Rechtspflicht erfolgt und es an einer angemessenen Gegenleistung fehlt (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 25. Juli 2018, 5 K 239/16, EFG 2018, 1931, m.w.N.). Im Streitfall hat die Klägerin die Gutschriften auf ihren Konten durch die vom Zeugen an seine Schuldner erteilten Anweisungen, auf diese Konten zu zahlen, erlangt, ohne dass die Klägerin dafür dem Zeugen eine Gegenleistung hätte erbringen müssen noch erbracht hat. Beide, der Zeuge und die Klägerin, haben übereinstimmend und glaubhaft darlegt, dass sie die Konten als gemeinsame angesehen hätten, über die die finanziellen Angelegenheiten der Familie liefen. Es habe keine näheren Absprachen zur Nutzung der Konten gegeben. Damit ist klar, dass die Klägerin dem Zeugen keine Gegenleistung für die von seinen Kunden auf Anweisung des Zeugen auf die Konten geleisteten Zahlungen zu leisten hatte. Dass sie dies tatsächlich getan hätte, ist nicht vorgetragen worden und nach Aktenlage auch weder ersichtlich noch plausibel.
46Die unentgeltlichen Leistungen wurden, soweit sie im Jahr 2013 stattfanden, also im Umfang von 8.450 EUR, innerhalb der letzten vier Jahre vor der Anfechtung erbracht. Der maßgebliche Duldungsbescheid vom 21.1.2016 wurde der Klägerin am 26.1.2016 zugestellt. Es kann im Streitfall dahinstehen, ob der Fristbeginn nach § 7 Abs. 2 AnfG vorzuverlegen ist, weil die früheste Anhörung zur Duldung aus September 2015 datiert. Gutschriften auf den Konten der Klägerin, die auf Zahlungsanweisungen des Zeugen basieren, erfolgten weder in der zweiten Jahreshälfte 2011 noch im Jahr 2012. Zutreffend angefochten und hinreichend im Sinne des § 13 AnfG im Duldungsbescheid mit Buchungstext und Betrag bezeichnet wurden allerdings sämtliche der drei im Jahr 2013 auf dem Konto A erlangten Kontogutschriften in Höhe von insgesamt 8.450 EUR. Diese stammten nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht aus ihrer Sphäre und entstammen klar der unternehmerischen Tätigkeit des Zeugen. Zwei der Geldeingänge stammen von einer BV und beziehen sich auf konkrete Rechnungsnummern; für eine weitere verwendet der Buchungstext das Wort „Abschlag“ und die Ziffer 2.
47d. Soweit der Beklagte weitere Rechtshandlungen, gestützt auf § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG, angefochten hat, geschah dies zu Unrecht. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG liegen nicht vor. Das steht nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und der Einvernahme des Zeugen zur Überzeugung des Senats fest, § 96 FGO.
48Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor der Anfechtung mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Die Darlegung der Kenntnis des Anfechtungsgegners (des "anderen Teils") wird durch anerkannte Beweisanzeichen bzw. Indiztatsachen und Erfahrungssätze erleichtert, die § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG lediglich um einen zusätzlichen Tatbestand erweitert (BFH-Urteil vom 25. April 2017, VII R 31/15, BHF/NV 2017, 1297). Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG wird diese Kenntnis vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
49Im Streitfall fehlte der Klägerin die Kenntnis von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Zeugen; diese Kenntnis war auch nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG nicht zu vermuten.
50Zwar hatte der Zeuge den Vorsatz, seine Gläubiger dadurch zu benachteiligen, dass er die für ihn bestimmten unbaren Zahlungsflüsse per Anweisung an seine Schuldner auf die Konten der Klägerin lenkte. Für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz reicht ein bedingter Vorsatz aus; er wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Schuldner in erster Linie sich selbst oder ihm nahestehende Personen begünstigen will (BGH-Urteil vom 10. Juli 2014, IX ZR 50/12, WM 2014, 1586 m.w.N.). Diese Merkmale sind erfüllt. Der Zeuge hat, befragt zu seinen unzutreffenden Angaben im Rahmen der eidesstattlichen Versicherung, bekundet, dass er dies aus Eigenschutz getan habe; ansonsten hätte er keine finanziellen Mittel zur Verfügung gehabt. Diese ihn selbst belastende, jedoch plausible und deshalb glaubhafte Darlegung lässt den Schluss darauf zu, dass dem Zeugen zumindest seit Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Jahr 2007 klar war, dass etwaigen Vermögensgegenständen, die ihm für Dritte erkennbar unmittelbar zugeordnet waren, wie z.B. Gutschriften auf einem eigenen Konto, konkret der Vollstreckungszugriff durch seine Gläubiger drohte. D.h. ihm war klar und er billigte es auch, beabsichtigte es sogar möglicherweise, dass die Gelder, die er für seine Arbeit im Baugewerbe erhielt, indem sie unbar auf den Konten der Klägerin eingingen, für seine Gläubiger verschleiert und nur schwerlich erreichbar waren.
51Allerdings kannte die Klägerin diesen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Zeugen nicht. Das Gesetz verlangt für den Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung --Vollendung des Zuwendungsvorgangs-- eine positive Kenntnis des anderen Teils von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners; ein Annehmen oder Kennenmüssen sowie eine grob fahrlässige Unkenntnis genügen nicht. Die vorstehenden Tatbestandsvoraussetzungen hat der Anfechtende zu beweisen (BFH-Urteil vom 13. Januar 1987, VII R 10/84, BFH/NV 1987, 728).
52Die Klägerin, die über keine kaufmännische Ausbildung verfügt, hat zwar von Zahlungseingängen auf ihren Konten, die aus der beruflichen Tätigkeit des Zeugen stammten, gewusst. Sie hat selbst dargelegt, dass ihr die beruflichen Tätigkeiten ihres Lebensgefährten bekannt gewesen seien und auch der Umstand, dass er die Konten als gemeinsame genutzt habe. Es kann insofern dahinstehen, ob die Klägerin die Konten, was angesichts ihrer eigenen beruflichen Tätigkeit als Erzieherin und Durchführende von Kursen für frühkindliche Entwicklung nahegelegen hätte, sie aber im vorliegenden Verfahren verneint hat, regelmäßig eingesehen hat, schon um den Eingang der Vergütungen für ihre Arbeit zu überwachen.
53Auch vor dem Hintergrund dieses Wissens, dass Schuldner ihres Lebensgefährten auf ihre Konten zahlten, war der Klägerin jedoch nicht klar, dass der Zeuge mit dieser Art und Weise, seine finanziellen Dinge zu regeln, seine Gläubiger benachteiligen wollte. Sie hat in nachvollziehbarer Weise erklärt, dass sie über die konkrete finanzielle Situation des Zeugen im maßgeblichen Zeitraum keine Kenntnis hatte. Nach dem persönlichen Eindruck, den der Senat vom Zeugen in der Beweisaufnahme gewonnen hat, dürfte dies den Tatsachen entsprechen. Der Zeuge hat bekundet, er habe mit der Klägerin nicht über seine finanzielle Lage gesprochen. Er habe häufige Wechsel in seiner beruflichen Situation und diverse Streitigkeiten finanzieller Art mit unterschiedlichen Personen erfahren. Bei seiner Einvernahme hat er durch seine kurze, schroffe Art und auch durch den Umstand, dass er planvoll und berechnend im eigenen Interesse falsche, seine Gläubiger benachteiligende Tatsachen in der eidesstattlichen Versicherung angegeben hat, den glaubhaften Eindruck hinterlassen, dass er, nicht konfliktscheu, seine eigenen finanziellen Angelegenheiten ausschließlich selbst und vor allem auch ohne Einbeziehung seiner Lebensgefährtin geregelt hat. Die Klägerin wiederum, die sich um die familiären Angelegenheiten kümmerte und deren minderjährige Kinder, geb. 2002 und 2004, im Zeitraum ab 1.1.2009 noch einen hohen Betreuungsbedarf hatten, den sie neben ihrer eigenen Erwerbsarbeit leistete, befand sich zu dieser Zeit in einer für sie sehr arbeitsintensiven und angespannten Lebenssituation, in der sie auf die Arbeitsteilung mit dem Zeugen vertraute, nach der allein er sich um die finanziellen Belange kümmerte. Eine Zwangslage oder Schlüsselsituation, die sie konkret hätte veranlassen müssen nachzufragen, warum der Zeuge Gelder seiner Gläubiger über ihre Konten vereinnahmte, ist nicht erkennbar. Sie war beruflich in kaufmännischer Hinsicht nicht vorgebildet und empfand es als nicht unnormal, dass ein gemeinsames Zusammenleben auch mit gemeinsam genutzten Konten einherging, auch wenn diese formal ihr gehörten. Kenntnis von Vollstreckungsversuchen des Beklagten bzw. von den Angaben des Zeugen in seiner eidesstattlichen Versicherung hatte sie nach eigenem Bekunden nicht; es ist auch keine Zustellung an sie bzw. ihre Anwesenheit bei Vollstreckungsversuchen ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin dem Zeugen aktiv geholfen hätte, etwaiges sonstiges verwertbares Vermögen des Zeugen auf sie zu übertragen oder sonstige Maßnahmen ergriffen hätte, um sein Vermögen vor dem Vollstreckungszugriff von Gläubigern zu schützen, liegen ebenfalls nicht vor. Insgesamt hat der Senat den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin, anders als es die allgemeine Lebenserfahrung auf den ersten Blick nahelegen würde, tatsächlich aus Naivität, Unkenntnis und Arbeitsüberlastung dem Zeugen die Nutzung ihrer Konten gestattet und ihm im Jahr 2012 auch formal eine Vollmacht erteilt hat, ohne dabei den Schluss zu ziehen, dass der Zeuge mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelte.
54Von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des Zeugen hatte die Klägerin nach eigenem Bekunden keine Kenntnis. Das deckt sich mit der Einlassung des Zeugen, der seine finanziellen Angelegenheiten und die seiner Familie so umfassend geregelt haben will, dass es keiner näheren Absprachen über die Kontennutzung bedurft habe. Die Klägerin war in das Geschäftsgebaren des Klägers, der in einer ihr fremden Branche arbeitete, auch nicht involviert. Es sind keine Umstände ersichtlich, auf Grund derer sie aus der Kenntnis von gelegentlichen Zahlungsschwierigkeiten des Zeugen Anlass gehabt hätte, auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit zu schließen. Sie hatte keinen Überblick über die finanziellen Verhältnisse des Zeugen.
55Schließlich kann der Klägerin die Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Zeugen auch nicht analog § 166 Abs. 2 BGB zugerechnet werden. In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung wird eine solche Zurechnung im Rahmen der Anfechtungstatbestände zunehmend erwogen bzw. vorgenommen und teilweise aus besonderen Erwägungen zum Schutze Geschäftsunfähiger wieder eingegrenzt (vgl. FG Münster, Urteil vom 22. Januar 2010, 6 K 4276/06, juris, unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 22. Juni 2004, VII R 16/02, BStBl. II 2004, 923; FG Münster, Urteil vom 20. Mai 2019, 7 K 2071/18, juris; BFH-Beschluss vom 13. März 2002 VII B 42/01, BFH/NV 2002, 896).
56Eine solche Zurechnung kann jedoch von vornherein nur in Betracht kommen, wenn der Schuldner bei seiner anfechtbaren Rechtshandlung zugleich in Vertretung für den Anfechtungsgegner handelt bzw. wenn die anfechtbare Rechtshandlung zumindest in einem engen Zusammenhang mit dem Auftreten oder seiner Stellung als Vertreter des Schuldners steht. Eine generelle Wissenszurechnung des Vertreters an den Vertretenen, unabhängig vom jeweiligen Rechtsgeschäft und einer Vertretungssituation, sieht das BGB nicht vor. Sie würde letztlich das gesamte Institut der Stellvertretung ins Wanken bringen, die ja gerade auf bestimmte Rechtsgeschäfte bzw. Bereiche des Lebens begrenzt werden kann und deshalb nicht zu einer generellen Zurechnung von Vertreterwissen auf den Vertretenen führen darf, unabhängig davon, ob der Bereich des Vertretungsverhältnisses betroffen ist oder nicht. Jedenfalls würde, auf Anfechtungssituationen i.S. des AnfG bezogen, eine unbegrenzte Wissenszurechnung bzw. über die analoge Anwendung des § 166 BGB eine unbegrenzte Zurechnung von voluntativen Elementen die Gefahr einer ausufernden Inanspruchnahme des Vertretenen als Anfechtungsgegner mit sich bringen.
57Im Streitfall standen die anfechtbaren Rechtshandlungen, d.h. die Anweisungen des Zeugen an seine Schuldner, ihre Zahlungen auf Konten der Klägerin zu leisten, nicht in einem solchen engen Zusammenhang mit der Stellung des Zeugen als Vertreter der Klägerin im Hinblick auf diese Konten.
58Dabei geht der Senat davon aus, dass der Zeuge, bevor er am 1.9.2012 eine förmliche, gegenüber der Bank erklärte Kontovollmacht erhielt, bereits eine Duldungsvollmacht für diese Konten gehabt haben dürfte. Denn die Klägerin hatte ihm, wie sie und der Zeuge übereinstimmend dargelegt haben, bereits vor dem 1.9.2012 den vollständigen Zugriff auf ihr Konto inkl. PIN gewährt.
59Die Zurechnung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Zeugen an die Klägerin analog § 166 BGB scheitert jedoch daran, dass der Kläger, als er seine Schuldner anwies, auf die Konten der Klägerin zu überweisen, nicht in Ausübung einer etwaigen Vollmacht, sondern allein im eigenen Namen handelte und dieses Verhalten auch nicht in einem hinreichend engen Zusammenhang mit seiner Kontovollmacht stand. Die bloße Anweisung eines Gläubigers an Dritte, auf ein anderes Konto einzuzahlen als auf das eigene, lässt einen Gläubiger noch nicht als Vertreter des Dritten agieren. Typischerweise werden auf diese Weise Zahlungen im sog. abgekürzten Zahlungsweg abgewickelt, dem zwei Leistungsbeziehungen und gerade kein Vertretungsverhältnis zugrunde liegen. Für die zahlenden Dritten war in keiner Weise ersichtlich, dass die Konten, auf die sie einzahlten, nicht dem Zeugen gehören könnten. Das belegen die exemplarischen Rechnungen der F Ltd aus dem Jahr 2010, unter deren Namen der Kläger agierte. Sie lassen keinen Zusammenhang zwischen dem dort angegebenen Konto und der Klägerin erkennen. Da unter dem Wort „Bankverbindung“ der Nachname des Zeugen und dann erst Bankleitzahl und Kontonummer des Konto A angegeben werden, hat sich der Zeuge dort als Kontoinhaber ausgegeben. Auch im Übrigen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Schuldner des Zeugen in Kenntnis seiner Vertreterposition auf die Konten der Klägerin Geld überwiesen. Nach alledem dürfte der Zeuge seine Stellung als Kontobevollmächtigter vorrangig bei der Weiterleitung bzw. Abhebung des eingegangenen Geldes genutzt haben. Allein der Umstand, dass die Klägerin dem Zeugen Kontovollmacht erteilt hatte, rechtfertigt eine Zurechnung der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Zeugen analog § 166 BGB in Anfechtungssituationen nicht.
60e. Die Klägerin muss die Vollstreckung im Umfang von 8.450 EUR dulden.
61Gemäß § 11 Abs. 1 AnfG muss dem Gläubiger zur Verfügung gestellt werden, was durch die anfechtbare Rechtshandlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, soweit es zur Befriedigung des Gläubigers erforderlich ist. Die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, gelten entsprechend. Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung hat diese nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AnfG nur zur Verfügung zu stellen, soweit er durch sie bereichert ist. Dies gilt nach § 11 Abs. 2 Satz 2 AnfG nicht, sobald er weiß oder den Umständen nach wissen muss, dass die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt, § 11 Abs. 2 Satz 2 AnfG. Dann gelten über § 11 Abs. 1 Satz 2 AnfG die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, entsprechend. Dies bedeutet u.a., dass der Anfechtungsgegner sich nicht nach § 818 Abs. 3 BGB auf Entreicherung berufen kann, sondern nach §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB nach den allgemeinen Vorschriften des Schuldrechts haftet (vgl. Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. November 2018, 3 K 3162/15, EFG 2019, 232).
62Im Streitfall hat sich die Klägerin nicht auf Entreicherung berufen, sondern geht selbst davon aus, dass sie im Umfang von 8.450 EUR in Anspruch genommen werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass sie entreichert sein könnte, sind weder vorgetragen noch liegen sie nach Aktenlage nahe. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob ihr über den Rechtsgedanken des § 166 BGB die Kenntnis des Zeugen von seiner eigenen Gläubigerbenachteiligungsabsicht haftungsverschärfend (§ 819 Abs. 1 BGB) zugerechnet werden könnte.
63Ermessensfehler (§ 102 FGO) bezüglich der Inanspruchnahme der Klägerin sind nicht ersichtlich. Insbesondere hatte der Zeuge als Steuerschuldner kein Vermögen, aus dem sich das beklagte Finanzamt hätte befriedigen können. Andere mögliche Haftende waren nicht in Betracht zu ziehen.
642. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Satz 1 FGO.
653. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
664. Die Revision war nicht zuzulassen. Es liegt keiner der in § 115 Abs. 2 FGO abschließend aufgeführten Gründe für die Zulassung einer Revision vor.
67… … …