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Der Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 24.05.2017 betreffend die Masseverbindlichkeiten nach §§ 53, 55 InsO wird dergestalt geändert, dass die Einkommensteuer auf 2.611,86 EUR herabgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Klageverfahrens tragen der Kläger zu 90 % und der Beklagte zu 10 %. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleitung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand:
2Streitig ist, wie die Einkommensteuerschuld des Insolvenzschuldners Herrn B auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche (Insolvenzforderung, Forderung gegen die Insolvenzmasse oder Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen) zu verteilen ist.
3Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des beigeladenen Herrn B (nachfolgend: „der Insolvenzschuldner“). Die Insolvenzeröffnung erfolgte durch Beschluss des Amtsgerichts C vom ….05.2007 (Az. … IN …/06). Das Insolvenzverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Der Insolvenzschuldner ist mit Frau D verheiratet und lebt mit dieser zusammen.
4Der Insolvenzschuldner und seine Ehefrau erzielten im Streitjahr 2008 folgende Einkünfte:
5Der Insolvenzschuldner erzielte Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit als Gutachter sowie für die …klinik E. Der Gewinn belief sich auf insgesamt 13.378,00 EUR. Die Auftraggeber zahlten die Honorare auf ein vom Kläger eingerichtetes Treuhandkonto. Die Fahrtkosten, die im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit des Klägers anfielen, wurden von der Ehefrau des Insolvenzschuldners ausgelegt. Sie stellte über die Fahrtkosten regelmäßig Rechnungen an den Kläger aus, die dieser aus den von ihm vereinnahmten Honoraren beglich.
Der Insolvenzschuldner erzielte weiterhin Einnahmen in Höhe von 1.584,00 EUR aus der Vermietung einer Immobilie. Diese Einnahmen wurden in Höhe von 835,00 EUR (Miete für Januar 2008) durch den Kläger vereinnahmt. Die übrigen Einnahmen in Höhe von 749,00 EUR flossen nach Anordnung der Zwangsverwaltung über die Immobilie dem Zwangsverwalter zu.
Der Insolvenzschuldner erhielt Rentenzahlungen der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe mit Sitz in C in Höhe von 34.237,00 EUR (steuerpflichtiger Ertragsanteil: 17.101,00 EUR), die ebenfalls auf das vom Kläger eingerichtete Treuhandkonto überwiesen wurden.
Der Insolvenzschuldner erzielte Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 967,00 EUR (Einkünfte aus Kapitalvermögen 0 €).
Die Ehefrau des Insolvenzschuldners erwirtschaftete gesondert festgestellte gewerbliche Einkünfte in Höhe von insgesamt 21.400,00 EUR.
Wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung 2008 erließ der Beklagte am 06.06.2011 einen Einkommensteuerbescheid auf Schätzungsgrundlage, mit welchem der Insolvenzschuldner und seine Ehefrau gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Dieser Einkommensteuerbescheid wurde zum einen an den Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter und zum anderen an die Ehefrau des Insolvenzschuldners bekanntgegeben. Die Einkommensteuer wurde auf 7.574,00 EUR festgesetzt.
12Nach Einspruchseinlegung reichte der Kläger im Rahmen des Einspruchverfahrens am 08.07.2011 eine Einkommensteuererklärung ein. In der Einkommensteuererklärung, die allein durch den Kläger unterzeichnet war, wurde die Zusammenveranlagung beantragt. Erklärt wurden die obengenannten Einkünfte, die der Höhe nach im vorliegenden Klageverfahren unstreitig sind.
13Zur Begründung des Einspruchs führte der Kläger aus, dass eine Zusammenveranlagung mit der Ehefrau des Insolvenzschuldners erfolgen müsse; das Veranlagungswahlrecht sei durch ihn als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners auszuüben. Allerdings dürfe die Einkommensteuer nur insoweit gegenüber ihm als Insolvenzverwalter festgesetzt werden, als es sich bei der Einkommensteuer um eine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 InsO handele. Dies richte sich danach, ob die der Besteuerung zugrundliegenden Einkünfte in die Insolvenzmasse oder in das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners fließen würden. Nach Auffassung des Klägers waren die Einkünfte des Insolvenzschuldners aus selbständiger Tätigkeit und die Renteneinkünfte dem insolvenzfreien Vermögen zuzuordnen. Hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung seien lediglich die Mieteinnahmen für Januar 2008 in Höhe 835,00 EUR der Insolvenzmasse zuzuordnen. Denn auf Antrag einer Grundpfandgläubigerin habe das Amtsgericht F mit Beschluss vom ….02.2008 (Az. … L …/08) die Zwangsverwaltung des Grundstücks angeordnet, so dass die Mieten ab Februar 2008 an die Grundpfandgläubigerin gezahlt worden seien.
14Am 31.08.2011 reichte die Ehefrau des Insolvenzschuldners eine Einkommensteuererklärung ein, in der sie die getrennte Veranlagung beantragte. Hinsichtlich der Höhe der Einkünfte ergab sich keine Abweichung zur Steuererklärung des Klägers.
15Im Rahmen des Einspruchverfahrens erließ der Beklagte am 03.09.2012 einen geänderten Bescheid für 2008 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für die Eheleute B und D, adressiert an den Insolvenzverwalter und an die Ehefrau. Mit diesem Bescheid wurde eine Zusammenveranlagung vorgenommen und die Einkommensteuer auf 6.326,00 EUR herabgesetzt.
16Gegen die Zusammenveranlagung hat sich die Ehefrau des Insolvenzschuldners nachfolgend nicht mehr gewendet. Vielmehr beantragte sie mit Schreiben vom 11.09.2012 die Aufteilung der Steuerschuld gem. § 268 AO. Am 21.12.2012 erließ der Beklagte daraufhin einen Aufteilungsbescheid, mit welchem die Einkommensteuer nebst Kirchensteuer, Solidaritätszuschlag und steuerlicher Nebenleistungen zwischen dem Kläger und der Ehefrau des Insolvenzschuldners aufgeteilt wurde. Gegen diesen Aufteilungsbescheid legte der Kläger am 28.12.2012 Einspruch ein. Daraufhin erging ein geänderter Aufteilungsbescheid vom 10.01.2013.
17Während des Einspruchverfahrens am 03.04.2013 sprachen der Insolvenzschulder und seine Ehefrau beim Beklagten vor. Ausweislich des vom Beklagten erstellten Gesprächvermerks wurde die Sach- und Rechtslage erörtert; im Rahmen des Gesprächs erklärten die Kläger, dass der Insolvenzverwalter „die laufenden Einnahmen (selbst. Tätigkeit und Renteneinkünfte) fast vollständig zur Masse“ ziehe; nur ein geringer Teil für die Lebensführung würde dem Kläger überlassen (s. Aufteilungsakte, Gesprächsvermerk vom 03.04.2013). Im Nachgang zu diesem Gesprächstermin reichte der Insolvenzschuldner mit Schreiben vom 12.04.2013 diverse Unterlagen beim Beklagten ein, darunter insbesondere ein Schreiben des Klägers vom 08.05.2008 an das Insolvenzgericht, in welchem der Kläger dem Insolvenzgericht die Art und Weise der Abrechnung der Honorareinkünfte des Insolvenzschuldners erläuterte. Beigefügt waren außerdem die vom Kläger erstellten Abrechnungen für das Jahr 2007.
18Am 16.09.2013 erließ der Beklagte eine Einspruchsentscheidung, mit welcher er die auf den Kläger bzw. die Insolvenzmasse entfallende Einkommensteuer für 2008 auf 312,52 EUR festsetzte (entsprechend 4,94% der Gesamtsteuerschuld in Höhe von 6.326,00 EUR). Der auf den Kläger entfallende Anteil an der Gesamtsteuerschuld entsprach im Ergebnis dem Verhältnis, in welchem nach Ansicht des Beklagten die Einkünfte des Insolvenzschuldners auf die Insolvenzmasse und das insolvenzfreie Vermögen entfielen:
19Einkünfte Insolvenzschuldner |
||
Ins.-Masse |
Ins.-frei |
|
Einkünfte aus selbst. Arbeit |
13.378,00 |
|
Einkünfte aus VuV |
1.584,00 |
|
Renteneinkünfte (abzgl. steuerfreier Teil) |
17.101,00 |
|
Einkünfteverteilung |
1.584,00 |
30.479,00 |
Verhältnis der Einkünfte des Ehemannes |
4,94% |
95,06% |
Rechnerisch ermittelte der Beklagte das vorgenannte Ergebnis allerdings in einer anderen Art und Weise, d.h. entsprechend dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 251 Tz. 9.2.1 u.a. unter Verteilung der Einkünfte des nicht insolventen Ehegatten auf die Masse sowie auf das insolvenzfreie Vermögen entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte des insolventen Ehegatten in den insolvenzrechtlichen Vermögenssphären (mithin im Streitfall im Verhältnis von dem Massebereich zuzuordnenden Einkünften i.H.v. 2.641 EUR zu dem dem Bereich des insolvenzfreien Vermögens zuzuordnenden Einkünften i.H.v. 50.821 EUR, also im Ergebnis ebenso im obengenannten Verhältnis von 4,94 % zu 95,06 %).
21Mit Bescheiden vom 10.12.2013 und vom 29.01.2014 für das Jahr 2008 zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag betreffend die Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen (jeweils adressiert an den Empfangsbevollmächtigten des Insolvenzschuldners und im letztgenannten Bescheid unter Hinweis auf die Zusammenveranlagung) wurde u.a. die Einkommensteuer 2008 gegenüber dem Insolvenzschuldner und dessen Ehefrau auf 6.013,48 EUR festgesetzt (entsprechend 95,06% der Gesamtsteuerschuld in Höhe von 6.326,00 EUR). Nach Berücksichtigung eines Anrechnungsbetrages von 291,00 EUR verblieb (bezogen auf die Einkommensteuer) ein Zahlungsrückstand i.H.v. 5.722,48 EUR. Außerdem erging am 29.01.2014 ein geänderter Aufteilungsbescheid. Der danach auf die Ehefrau entfallende Anteil war von dieser bereits gezahlt worden. Der Insolvenzschuldner und die Ehefrau legten gegen den Aufteilungsbescheid (erneut) Einspruch ein, der Insolvenzschuldner außerdem gegen den Bescheid für 2008 betreffend das insolvenzfreie Vermögen. Die vorgenannten Einsprüche ruhen im Hinblick auf das vorliegende Verfahren.
22Im Anschluss an die obengenannte Einspruchsentscheidung vom 16.09.2013 hat der Kläger Klage erhoben.
23In der mündlichen Verhandlung am 24.05.2017 hat der Beklagte zunächst einen geänderten Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Insolvenzschuldner erlassen, mit welchem die Einkommensteuer auf 3.521,82 EUR festgesetzt wurde (entsprechend 55,67% der Gesamtsteuerschuld in Höhe von 6.326,00 EUR).
24Unmittelbar nachfolgend hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 24.05.2017 gegenüber dem Kläger einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid erlassen, mit welchem er die auf die Insolvenzmasse entfallende Einkommensteuer auf 2.804,18 EUR festsetzte (entsprechend 44,33% der Gesamtsteuerschuld in Höhe von 6.326,00 EUR). Der Beklagte vertrat nunmehr die Auffassung, dass auch die Einkünfte des Klägers aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 13.378,00 EUR der Insolvenzmasse zuzuordnen seien. Weiterhin war der Beklagte der Ansicht, dass die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von insgesamt 1.584,00 EUR zu einem Teilbetrag von 835,00 EUR der Insolvenzmasse und zu einem Teilbetrag von 749,00 EUR dem insolvenzfreien Vermögen zuzuordnen seien. Somit entfielen die Einkünfte des Insolvenzschuldners nach Auffassung des Beklagten in folgender Höhe auf die Insolvenzmasse bzw. das insolvenzfreie Vermögen:
25Einkünfte Insolvenzschuldner |
||
Ins.-Masse |
Ins.-frei |
|
Einkünfte aus selbst. Arbeit |
13.378,00 |
|
Einkünfte aus VuV |
835,00 |
749,00 |
Einkünfte aus Kapitalvermögen (sinngemäß) |
0,00 |
|
Renteneinkünfte (abzgl. steuerfreier Teil) |
17.101,00 |
|
Einkünfteverteilung |
14.213,00 |
17.850,00 |
Verhältnis der Einkünfte des Ehemannes |
44,33% |
55,67% |
Rechnerisch ermittelte der Beklagte die vorgenannten Prozentsätze allerdings wiederum unter Einbeziehung/Zuordnung der Einkünfte der Ehefrau. Insoweit wird auf die Erläuterungen in dem vorgenannten Bescheid Bezug genommen. Außerdem erfolgte die Anrechnung der Kapitalertragsteuer nunmehr beim Kläger.
27Der Kläger trägt zur Begründung der vorliegenden Klage wie folgt vor:
28Die Einkünfte des Insolvenzschuldners aus selbständiger Tätigkeit seien dem insolvenzfreien Vermögen zuzuordnen. Er, der Kläger, habe dem Insolvenzschuldner diese Tätigkeit weder gestatten noch untersagen können, sondern habe diese Tätigkeit lediglich geduldet. Auch sei die Tätigkeit nicht mit Mitteln aus der Insolvenzmasse gefördert worden. Vielmehr seien lediglich die Einnahmen auf ein Konto des Klägers überwiesen worden, der die unpfändbaren Beträge sodann an den Insolvenzschuldner ausgekehrt habe.
Die vom Beklagten vorgenommene Verteilung der Steuerschuld auf die Insolvenzmasse und das insolvenzfreie Vermögen sei auch im Übrigen rechtsfehlerhaft. Die vom Beklagten vorgenommene Berechnung führe dazu, dass die Einkommensteuerschuld auch insoweit teilweise die Insolvenzmasse belaste, als sie auf den (insolvenzfreien) Einkünften der Ehefrau beruhe. Es würden Einkünfte der Ehefrau in Höhe von nunmehr (44,33 % x 21.400,00 =) 9.486,00 EUR der Insolvenzmasse zugeordnet. Dies sei nicht gerechtfertigt, da diese Einkünfte der Ehefrau tatsächlich nicht in die Insolvenzmasse geflossen seien. Der Umstand, dass der Kläger selbst die Zusammenveranlagung beantragt habe, rechtfertige es nicht, Einkünfte der Ehefrau der Insolvenzmasse zuzuordnen. Die Ausübung des Veranlagungswahlrechts sei keine Verwaltungsmaßnahme in Bezug auf die Insolvenzmasse, die zur Entstehung einer sonstigen Masseverbindlichkeit führen könne.
Bei der Verteilung der Einkommensteuerschuld auf Insolvenzmasse und insolvenzfreies Vermögen sei der Altersentlastungsbetrag zu beachten. Aufgrund des Altersentlastungsbetrages würden die zur Insolvenzmasse gezogenen Einkünfte in geringerem Maße besteuert, was bei der Verteilung der Steuerschuld berücksichtigt werden müsse.
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Beklagte nicht zum Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheides für 2008 vom 24.05.2017 befugt gewesen sei, da die Voraussetzungen der Änderungsvorschriften des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vorlägen. Dem Beklagten sei aufgrund der eingereichten Unterlagen bekannt gewesen, dass die Einnahmen des Insolvenzschuldners aus selbständiger Tätigkeit in die Insolvenzmasse geflossen und auch die anfallenden Betriebsausgaben aus diesen Einnahmen bestritten worden seien. Zusätzlich habe der Kläger dies der zuständigen Sachbearbeiterin des Beklagten in einem Telefonat am 10.09.2013 erklärt. Nach dem Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Jahr 2013 seien die vom Beklagten angeführten Tatsachen nicht rechtserheblich gewesen; zudem liege ein Ermittlungsfehler des Beklagten vor. Auch die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO seien nicht erfüllt. Der Kläger habe nicht erkennen können, dass ein bestimmter Sachverhalt in einem anderen Steuerbescheid zu erfassen gewesen sei, denn es komme gar nicht darauf an, wie er das unpfändbare Einkommen mit dem Insolvenzschuldner abgerechnet habe. Außerdem fehle es an der Kausalität, weil der Beklagte die Sachverhaltselemente als unerheblich angesehen habe.
Nach Auffassung des Klägers ist die Einkommensteuerschuld wie folgt zu verteilen:
37Insolvenzschuldner |
Ehefrau |
||
Ins.-Masse |
Ins.-frei |
||
Einkünfte aus Gewerbebetrieb |
21.400,00 |
||
Einkünfte aus selbst. Arbeit |
13.378,00 |
||
Einkünfte aus VuV |
835,00 |
||
Einkünfte aus Kapitalvermögen |
0,00 |
||
Renteneinkünfte |
17.101,00 |
||
abzgl. Altersentlastungsbetrag |
-46,67 |
-1.701,33 |
|
Einkünfteverteilung |
788,33 |
28.777,67 |
21.400,00 |
Verhältnis der Einkünfte des Ehemannes |
1,55% |
56,46% |
41,99% |
Der Kläger beantragt (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.05.2017),
391. den geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 24.05.2017 aufzuheben,
2. den Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 06.06.2012 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 03.09.2012 und der Einspruchsentscheidung vom 16.09.2013 dergestalt zu ändern, dass die Steuerschuld der zusammenveranlagten Ehegatten zu einem Anteil von 1,55% von 6.118,00 EUR zu Lasten der Insolvenzmasse gegenüber dem Kläger festgesetzt wird und dabei die Einkünfte aus Kapitalvermögen der Insolvenzmasse zugeordnet werden,
hilfsweise, für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
44Der Beklagte beantragt,
45die Klage abzuweisen,
46hilfsweise, für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
47Der beigeladene Insolvenzschuldner hat keinen Antrag gestellt.
48Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Einkünfte des Insolvenzschuldners aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 13.378,00 EUR der Insolvenzmasse zuzuordnen seien. Dies folge aus zwischenzeitlich ergangenen Urteilen des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2015 (BFH-Urteil vom 16.04.2015 – III R 21/11, BStBl. II 2016, 29; BFH-Urteil vom 16.07.2015 – III R 32/13, BStBl. II 2016, 251). Im Übrigen liege ein massebezogenes Verwaltungshandeln in Bezug auf die Einkünfte des Insolvenzschuldners aus selbständiger Tätigkeit auch darin, dass dieser zur Massesicherung eine sog. Einkommensteuerrückstellung gebildet (also die entsprechenden Beträge nicht dem Insolvenzschuldner überlassen habe), obwohl andererseits geltend gemacht werde, dass die entsprechenden Einkünfte dem insolvenzfreien Vermögen zugeordnet werden müssten.
49Die Befugnis des Beklagten zum Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheides vom 24.05.2017 ergebe sich aus § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Erst nach Erlass der Einspruchsentscheidung – nämlich aufgrund eines Schreibens des Insolvenzschuldners vom 19.09.2016 – sei bekannt geworden, dass die Einnahmen des Insolvenzschuldners aus seiner freiberuflichen Tätigkeit auf ein Treuhandkonto des Klägers geflossen seien und dass aus diesen Einnahmen auch Betriebsausgaben beglichen worden seien. Hierbei handele es sich mithin um nachträglich bekannt gewordene Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Der Beklagte habe diese Tatsachen auch weder aus der Einkommensteuererklärung für 2008 noch aus dem Schreiben des Klägers vom 25.06.2013 erkennen können. Eine unterlassene Sachverhaltsaufklärung könne dem Beklagten nicht angelastet werden; vielmehr habe der Beklagten den Angaben des Klägers vertrauen dürfen. Diese Angaben hätten sich aus Sicht des Beklagten erst im Nachhinein als unvollständig bzw. unzutreffend herausgestellt. Hilfsweise könne die Bescheidänderung zudem auf § 174 Abs. 3 AO gestützt werden.
50Bezüglich der Frage, nach welcher Methode die Aufteilung der Gesamtsteuerschuld auf die Insolvenzmasse und das insolvenzfreie Vermögen vorzunehmen sei, ist nach Auffassung des Beklagten den Vorgaben im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) unter § 251 Tz. 9.1.2, Beispiel 3, zu folgen. Bei der Verteilung der Einkommensteuerschuld auf Insolvenzmasse und insolvenzfreies Vermögen sei der Altersentlastungsbetrag entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu beachten, da die Verteilung der Jahressteuerschuld nach der BFH-Rechtsprechung allein nach dem Verhältnis der Einkünfte zueinander erfolge.
51Der Insolvenzschuldner ist durch Beschluss vom 13.02.2017 zum vorliegenden Klageverfahren beigeladen worden. Wenngleich er keinen konkreten Antrag gestellt hat, ist er der Auffassung, dass die Einkommensteuer gegenüber der Insolvenzmasse festzusetzen ist, soweit die zugrundeliegenden Einkünfte durch den Kläger als Insolvenzverwalter zur Insolvenzmasse gezogen worden sind. Demnach sei die Einkommensteuer sowohl für die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als auch für Renteneinkünfte zu Lasten der Insolvenzmasse festzusetzen. Da die Einkünfte in die Insolvenzmasse geflossen seien, erscheine es widersinnig, wenn die aus diesen Einkünften resultierende Einkommensteuer gegenüber dem Insolvenzschuldner zu Lasten seines insolvenzfreien Vermögens festgesetzt werde. Da die Einkünfte in die Insolvenzmasse geflossen seien, verfüge er nicht über die notwendigen Mittel zur Begleichung der Steuerschuld.
52Die Akten des Insolvenzverfahrens … IN …/06 wurden zugezogen. Auf den Inhalt der dortigen Schriftsätze (vgl. insbesondere zu den Abrechnungsmodalitäten im Streitjahr 2008 das Schreiben des Klägers an das Amtsgericht C vom 22.08.2008 nebst Anlagen 17 ff.) und der gerichtlichen Entscheidungen wird Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Klageverfahren am 24.05.2017, auf deren Protokoll Bezug genommen wird, ist die Sache vertagt worden. Auf die nochmalige Durchführung einer mündlichen Verhandlung haben Kläger, Beklagter und Insolvenzschuldner gem. § 90 Abs. 2 FGO verzichtet.
53Entscheidungsgründe:
54Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
55I.
56In dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid ist – ungeachtet der isolierten Bekanntgabe des Bescheides an den Kläger – zutreffend eine Zusammenveranlagung des Insolvenzschuldners mit seiner Ehefrau vorgenommen worden. Kläger und Beklagter gehen zur Recht übereinstimmend davon aus, dass der Kläger das Wahlrecht zur Zusammenveranlagung für den Insolvenzschuldner ausüben durfte. Da das Veranlagungswahlrecht nach § 26 Abs. 2 Satz 2 EStG kein höchstpersönliches Recht darstellt, ist es in der Insolvenz eines Ehegatten als Verwaltungsrecht mit vermögensrechtlichem Bezug anzusehen und daher nach § 80 Abs. 1 InsO vom Insolvenzverwalter auszuüben (BFH-Urteil vom 15.03.2017 – III R 12/16, BFH/NV 2018, 140, m.w.N.). Zwar hat die Ehegattin des Insolvenzschuldners ursprünglich die Einzelveranlagung beantragt, dieses Begehren nach Ergehen des Aufteilungsbescheides jedoch nicht mehr weiterverfolgt.
57II.
58Die Gesamtsteuerschuld vor Aufteilung auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche beträgt – wie vom Beklagten ermittelt – 6.236,00 EUR. Konkrete Einwendungen gegen die Ermittlung der Einkommensteuer hat der Kläger nicht erhoben. Soweit der Kläger die Gesamtsteuerschuld in seinem Klageantrag auf 6.118,00 EUR beziffert, beruht dies auf der Prüfberechnung des Beklagten vom 28.07.2016 (Gerichtsakte Bl. 136f.). Diese Prüfberechnung ist allerdings unzutreffend, da hier lediglich Mieteinkünfte in Höhe von 835,00 EUR und nicht die zutreffenden Mieteinkünfte in Höhe von 1.584,00 EUR angesetzt worden sind.
59III.
60Die gegenüber dem Kläger festzusetzende Einkommensteuer beträgt 2.611,86 EUR.
61Die auf den Insolvenzschuldner entfallende Gesamtsteuerschuld in Höhe von 6.326,00 EUR ist auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche (Insolvenzforderung/Forderung gegen die Insolvenzmasse/Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen) zu verteilen. Dabei ist der auf die Insolvenzmasse entfallende Anteil der Steuerschuld, die gegenüber dem Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter festzusetzen ist, mit 41,29% der Gesamtsteuerschuld anzusetzen, woraus sich eine festzusetzende Einkommensteuer in Höhe von 2.611,86 EUR ergibt (vgl. folgende Berechnung):
62Einkünfte Insolvenzschuldner |
|||
Ins.-Masse |
Ins.-frei |
Ins.-frei |
|
Insolvenzsch. |
Insolvenzsch. oder Zwangsverw. |
||
Einkünfte aus selbst. Arbeit |
13.378,00 |
||
Einkünfte aus VuV |
835,00 |
749,00 |
|
Renteneinkünfte (abzgl. steuerfreier Teil) |
17.101,00 |
||
./. Altersentlastungsbetrag (1.748,00 EUR) |
-1.660,49 |
0,00 |
-87,51 |
Einkünfteverteilung |
12.552,51 |
17.101,00 |
749,00 |
Verhältnis der Einkünfte |
41,29% |
56,25% |
2,46% |
Steuerschuld (gesamt 6.326,00 EUR) |
2.611,86 |
3.558,29 |
155,85 |
Diese vom Senat vorgenommene Berechnung des Anteils der Steuerschuld des Klägers beruht auf folgenden Erwägungen:
641.
65Die Einkommensteuerschuld des Insolvenzschuldners für das Streitjahr 2008 ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden und zählt damit – unstreitig – nicht zu den Insolvenzforderungen, die vom Beklagten im Wege der Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend zu machen wären.
66Hinsichtlich der nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Steueransprüche ist zu differenzieren. Soweit diese als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO zu qualifizieren sind, sind sie gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festzusetzen und von diesem vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Demgegenüber sind sonstige nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Steueransprüche insolvenzfrei und gegen den Schuldner und/oder – dies kann der erkennende Senat im vorliegenden Verfahren offen lassen (vgl. dazu unter 3.) – gegen den Zwangsverwalter festzusetzen. Der gegen die Masse gerichtete Bescheid ist ein gegenständlich beschränkter Steuerbescheid, mit dem die Einkommensteuer gegenüber dem Insolvenzverwalter festgesetzt wird. Er ist – wovon auch die Verfahrensbeteiligten zu Recht ausgehen – Teil des Festsetzungsverfahrens (vgl. BFH-Urteil vom 16.07.2015 – III R 32/13, BStBl. II 2016, 251).
67Falls der Insolvenzverwalter – wie im vorliegenden Fall der Kläger – für den Insolvenzschuldner die Zusammenveranlagung beantragt, ist die Ausübung dieses Wahlrechts nach Auffassung des Senats als Verwaltungsmaßnahme i.S. des § 55 Abs. 1 InsO zu qualifizieren, die geeignet ist, eine Masseverbindlichkeit zu begründen. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt für die Begründung einer Masseverbindlichkeit nach seinem Wortlaut eine „Handlung des Insolvenzverwalters“ mit Bezug zur Insolvenzmasse voraus. Die vom Insolvenzverwalter vorgenommene Ausübung des Wahlrechts zur Zusammenveranlagung gem. § 26 Abs. 2 Satz 2 EStG kann ohne weiteres unter den Begriff der „Handlung“ subsumiert werden.
68Zwar führt die Wahl der Zusammenveranlagung für die Ehegatten zusammengenommen regelmäßig zu einer insgesamt niedrigeren Einkommensteuerschuld. Dessen ungeachtet führt die Zusammenveranlagung für den einzelnen Ehegatten aufgrund der Zusammenrechnung der Einkünfte beider Ehegatten häufig zu einer nominell höheren Einkommensteuerschuld als die Einzelveranlagung. Die (ggf. höhere) Einkommensteuer aufgrund einer Zusammenveranlagung ist eine Gesamtschuld (§ 26b EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO), die jeder der beiden Ehegatten in vollem Umfang schuldet (§ 44 Abs. 1 Satz 2 AO). Wenn der Insolvenzverwalter die Zusammenveranlagung wählt, kann eine hierdurch begründete zusätzliche Einkommensteuerschuld – da sie auf einer Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters beruht – jedenfalls anteilig, soweit sie auf den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfällt, als Masseverbindlichkeit qualifiziert und gegenüber dem Insolvenzverwalter festgesetzt werden (so auch FG Köln, Urteil vom 30.09.2015 – 14 K 2679/12, EFG 2016, 34). Eine unverhältnismäßige zusätzliche Belastung der Insolvenzmasse ergibt sich hieraus nicht, da es dem Insolvenzverwalter freisteht, die Aufteilung der Einkommensteuerschuld gem. §§ 268 ff. AO zu beantragen (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 18.05.2011 – XII ZR 67/09, NJW 2011, 2725). Diese Möglichkeit ist gegeben, weil der Insolvenzverwalter die zu Lasten der Insolvenzmasse festgesetzte Einkommensteuer gem. § 26b EStG als Gesamtschuldner gemeinsam mit dem nicht insolventen Ehegatten schuldet.
69Im Rahmen der Zusammenveranlagung gem. § 26b EStG werden die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtige behandelt. Das Einkommensteuergesetz enthält keine ausdrückliche Regelung dazu, wie bei der Zusammenveranlagung zu verfahren ist, wenn über das Vermögen eines Ehegatten das Insolvenzverfahren eröffnet und aus diesem Grund eine Aufteilung der Steuerschuld auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche notwendig ist. Die Auffassung der Finanzverwaltung, die auch vom Beklagten im vorliegenden Fall umgesetzt worden ist, ist im AEAO unter § 251 Tz. 9.1.2, Beispiel 3, dargestellt. Hiernach ist, wenn eine Zusammenveranlagung durchgeführt wird und über das Vermögens eines Ehegatten das Insolvenzverfahren eröffnet ist, wie folgt zu verfahren:
70In einem ersten Schritt sind – soweit es sich um das Jahr der Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt – die Einkünfte beider Ehegatten danach aufzuteilen, ob sie zeitlich vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefallen sind.
In einem zweiten Schritt sind jene Einkünfte beider Ehegatten, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefallen sind, den Vermögensbereichen Insolvenzmasse und insolvenzfreies Vermögen zuzuordnen. Hierzu wird zunächst festgestellt, in welchem Verhältnis die Einkünfte des insolventen Ehegatten auf die Vermögensbereiche Insolvenzmasse und insolvenzfreies Vermögen entfallen. Sodann werden die Einkünfte des nicht insolventen Ehegatten in demselben Verhältnis fiktiv auf diese Vermögensbereiche aufgeteilt.
Nach Auffassung des Senats ist diese in AEAO § 251 Tz. 9.1.2, Beispiel 3, vorgesehene Aufteilungsmethode im Grundsatz sachgerecht. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die Ehegatten im Falle der Zusammenveranlagung jeweils die volle Einkommensteuer, die sich aus den zusammengerechneten Einkünften ergibt, als Gesamtschuldner gem. § 44 Abs. 1 AO i.V.m. § 26b EStG schulden. Hieraus folgt notwendigerweise, dass die Einkommensteuerschuld auch im Fall der Insolvenz eines der Ehegatten gegenüber beiden Ehegatten in derselben Höhe bestehen muss, da anderenfalls der Grundsatz der Gesamtschuldnerschaft beider Ehegatten verletzt würde; bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Einkommensteuerschuld sowohl des Insolvenzschuldners als auch seiner Ehefrau jeweils exakt 6.326,00 EUR betragen muss. Allerdings ist die Einkommensteuerschuld des Insolvenzschuldners nach Berechnung der Gesamtsteuerschuld in einem zweiten Schritt zusätzlich auf dessen insolvenzrechtliche Vermögensbereiche (Insolvenzforderungen/Masseforderungen/insolvenzfreie Forderungen) aufzuteilen. Entgegen der Auffassung des Klägers darf die Einkommensteuerschuld des Insolvenzschuldners, soweit sie anteilig auf den Einkünften der zusammenveranlagten Ehefrau beruht, jedoch nicht einseitig dem insolvenzfreien Vermögensbereich des Insolvenzschuldners zugeordnet werden. Eine Rechtfertigung für eine solche einseitige Zuordnung zu Lasten des Insolvenzschuldners ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist es geboten, die durch die Zusammenveranlagung entstehende Mehrbelastung gleichmäßig auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche zu verteilen. Ein geeigneter Aufteilungsmaßstab – und mangels erkennbarer Alternativen nach Auffassung des Senats der einzig denkbare Aufteilungsmaßstab – liegt dabei in dem Verhältnis, in dem die Einkünfte des Insolvenzschuldners ihrerseits den insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen zuzuordnen sind.
75Die vom Kläger befürwortete Aufteilungsmethode führt zu einer nicht zu rechtfertigenden, einseitigen Belastung der insolvenzfreien Vermögenssphäre des Insolvenzschuldners. Zudem verkennt der Kläger, dass die in AEAO § 251 Tz. 9.1.2, Beispiel 3, vorgesehene Aufteilung der Einkünfte des nicht insolventen Ehegatten auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche lediglich in fiktiver Weise zur Vornahme einer quotalen Aufteilung der Steuerschuld erfolgt und nicht auf einer formal-rechtlichen Zuordnung der Einkünfte des (nicht insolventen) Ehegatten zu den insolvenzrechtlichen Vermögenssphären beruht. Wie bereits im Tatbestand dargelegt, ergeben sich hinsichtlich der prozentualen Verteilung zwischen dem Bereich der Masseforderungen und dem Bereich des insolvenzfreien Vermögens keine Unterschiede zwischen einer Aufteilung der Gesamtsteuerschuld allein nach dem Verhältnis der den jeweiligen insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen zuzuordnenden Einkünfte des Klägers oder unter Einbeziehung der nach dem gleichen Maßstab verteilten Einkünfte der Ehefrau.
76Wenn man die im Tatbestand dargestellte Berechnung des Klägers konsequent umsetzen würde, dürfte die Einkommensteuer gegenüber der Ehefrau des Insolvenzschuldners lediglich mit 41,99% der Gesamtsteuerschuld von 6.326,00 EUR angesetzt werden. Dies widerspricht jedoch der klaren gesetzlichen Regelung gem. § 44 Abs. 1 i.V.m. § 26b EStG, nach der die Ehefrau – als Gesamtschuldnerin mit ihrem Ehemann – die Gesamtsteuerschuld in Höhe von 6.326,00 EUR schuldet.
77Im Ergebnis stützt auch das BGH-Urteil vom 18.05.2011 – XII ZR 67/09 (NJW 2011, 2725) die Auffassung des erkennenden Senats. Denn dort wird ebenfalls davon ausgegangen, dass es im Fall einer Zusammenveranlagung auch dann zu einer gesamtschuldnerischen Haftung kommt, falls die Insolvenzmasse betroffen ist, und die Interessen der Masse insoweit nicht – wie der Kläger meint – bereits im Steuerfestsetzungsverfahren eine Ausklammerung der Einkünfte der Ehefrau gebieten, sondern die Interessen der Masse durch eine nachfolgende Aufteilung der Steuerschuld gem. §§ 268, 269 AO gewahrt werden können.
782.
79Die Einkünfte des Insolvenzschuldners aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 13.378,00 EUR sind der Insolvenzmasse zuzuordnen, so dass es sich bei der hierauf beruhenden Einkommensteuerschuld um eine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO handelt.
80Nach § 35 Abs. 1 InsO ist Insolvenzmasse das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO ordnet ergänzend hierzu an, dass, wenn der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ausübt oder er beabsichtigt, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären hat, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Diese Regelung des § 35 Abs. 2 InsO findet indes auf das vorliegende Insolvenzverfahren keine Anwendung, da dieses am 07.05.2007 – und mithin noch vor Inkrafttreten des § 35 Abs. 2 InsO am 01.07.2007 – eröffnet worden ist (vgl. Artikel 103c Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung). Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO solche Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss die Verbindlichkeit auf eine – wie auch immer geartete – Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen sein.
81Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs können Einkommensteuerschulden, die auf einer nach Eröffnung des Insolvenzverfahren fortgeführten einzelunternehmerischen Tätigkeit des Schuldners beruhen, auch vor der Einführung der gesetzlichen Erklärungspflicht des Insolvenzverwalters gem. § 35 Abs. 2 InsO unter bestimmten Voraussetzungen als Masseverbindlichkeiten anzusehen sein. Dies ist dann der Fall, wenn
82(1.) der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit im Interesse der Masse erlaubt,
83(2.) er die Betriebseinnahmen zur Masse zieht, soweit sie dem Schuldner nicht auf dessen Antrag nach § 850i ZPO vom Insolvenzgericht belassen werden, und
84(3.) er die Fortführung der Tätigkeit ermöglicht, indem er zur Masse gehörende Mittel einsetzt, um durch die selbständige Tätigkeit entstehende Forderungen Dritter zu begleichen.
85In einem derartigen Handeln des Insolvenzverwalters ist eine massebezogene Verwaltungsmaßnahme nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO zu sehen, die über eine bloße, keine Masseverbindlichkeit begründende Duldung der selbständigen Tätigkeit hinausgeht (vgl. BFH-Urteil vom 16.04.2015 – III R 21/11, BStBl. II 2016, 29; BFH-Urteil vom 16.07.2015 – III R 32/13, BStBl. II 2016, 251).
86Unter Zugrundelegung der vorstehenden Rechtsgrundsätze sind im Streitfall die Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit des beigeladenen Insolvenzschuldners der Insolvenzmasse zuzuordnen. Die erste der oben genannten Voraussetzungen ist erfüllt, da nach den bekannten Umständen davon auszugehen ist, dass der Kläger die selbständige Tätigkeit im Interesse der Masse erlaubt hat. Zwar liegt eine ausdrückliche schriftliche Erlaubnis des Klägers nicht vor. Jedoch hat der Kläger die Tätigkeit in konkludenter Weise erlaubt, indem er zum einen die Einnahmen des Insolvenzschuldners vereinnahmt und zum anderen die Betriebsausgaben des Klägers in Gestalt der Fahrtkostenerstattungen getragen hat.
87Dass der Kläger die selbständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners jedenfalls in konkludenter Weise erlaubt hat, wird durch die beigezogenen Akten des Insolvenzgerichts bestätigt. Aus den Schriftsätzen des Klägers an das Insolvenzgericht ist zu schließen, dass der Kläger die selbständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners nicht nur duldete, sondern ihr zustimmte und sie förderte und insbesondere die Einnahmen als Teil der Insolvenzmasse betrachtete. In dem Gutachten vom 30.04.2007 teilte der Kläger dem Insolvenzgericht mit, dass die Fortführung der selbständigen Tätigkeit des Klägers erst durch ihn – damals noch in der Funktion als vorläufiger Insolvenzverwalter – ermöglicht worden sei und die Einnahmen zur Insolvenzmasse gehören sollten („In meiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter habe ich dafür gesorgt, dass der Schuldner seine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortführen konnte. […] Entsprechend habe ich die Einkünfte des Schuldners aus seiner selbständigen Tätigkeit in voller Höhe zur Insolvenzmasse genommen“, Gutachten vom 30.04.2007, Gliederungspunkt IV. 1., Insolvenzakte Bl. 85). Weiterhin teilte der Kläger dem Insolvenzgericht mit, dass die Einkommensteuer, die aus der selbständigen Tätigkeit des Klägers resultiert, aus der Insolvenzmasse zu begleichen sei („Insoweit werden von künftigen Einnahmen des Schuldners Rückstellungen in angemessener Höhe zu bilden sein, um künftig fällig werdende Steuerzahlungen aus der Insolvenzmasse zu erbringen“, Schreiben des Klägers an das Insolvenzgericht vom 05.06.2007, Insolvenzakte Bl. 159). Durch diese Äußerungen gegenüber dem Insolvenzgericht hat der Kläger unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er die selbständige Tätigkeit des Klägers im Interesse der Mehrung der Insolvenzmasse erlaubt und nicht lediglich notgedrungen geduldet hat. Soweit der Kläger im vorliegenden Klageverfahren etwas anderes vorträgt, steht dies in klarem Widerspruch zu seinen Aussagen gegenüber dem Insolvenzgericht.
88Schließlich sind auch die weiteren oben genannten Voraussetzungen erfüllt. Denn der Kläger hat die Einnahmen des Insolvenzschuldners aus der selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gezogen. Weiterhin hat der Kläger zur Insolvenzmasse gehörende Mittel zur Förderung der selbständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners eingesetzt, indem er dem Kläger die Fahrtkosten aus der Insolvenzmasse erstattet hat.
893.
90Die Einkünfte des Insolvenzschuldners aus Vermietung und Verpachtung sind – was zwischen den Verfahrensbeteiligten zwischenzeitlich unstreitig ist – nur in Höhe eines Betrages von 835,00 EUR der Insolvenzmasse zuzuordnen.
91Der verbleibende Betrag dürfte nach Auffassung des Senats – anders als vom Beklagten vertreten – nicht dem insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners zuzuordnen sein. Vielmehr dürfte insoweit unter Zugrundelegung des BFH-Urteils vom 10.02.2015 (IX R 23/14, BStBl. II 2017, 367) eine weitere gesonderte Steuerfestsetzung gegenüber dem Zwangsverwalter notwendig sein. Eine nähere Prüfung dieses Sachverhalts ist vorliegend allerdings nicht erforderlich, da es für Zwecke der Ermittlung der anteiligen Steuerschuld des Klägers ohne Bedeutung ist, ob die weiteren Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in der Steuerfestsetzung gegenüber dem Insolvenzschuldner oder aber in einer weiteren Steuerfestsetzung gegenüber dem Zwangsverwalter zu berücksichtigen sind. Die Höhe der anteiligen Steuerschuld des Klägers bleibt von dieser Zuordnung unberührt.
924.
93Die Einkünfte aus Kapitalvermögen sind – wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist – der Insolvenzmasse zuordnen. Diese betragen zwar 0 EUR, doch ist ihre Zuordnung für Zwecke der Steueranrechnung von Bedeutung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG).
945.
95Die Rentenzahlungen der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe sind – wovon Kläger und Beklagter übereinstimmend ausgehen – nur hinsichtlich des pfändbaren Teils der Insolvenzmasse und im Übrigen (einschließlich der insgesamt auf die Rentenzahlungen entfallenden steuerlichen Belastung) dem insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners zuzuordnen.
96Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO verweist auf §§ 850, 850a, § 850c, 850e, § 850f Abs. 1, §§ 850g bis 850i, § 851c und 851d der Zivilprozessordnung (ZPO). Die entsprechende Anwendung dieser Normen hat zur Folge, dass nur der allgemein pfändbare Teil der dort genannten Bezüge zur Masse gelangt. Aus der Zugehörigkeit einer Forderung zur Masse folgt danach nicht, dass die mit dieser Forderung zusammenhängenden Verbindlichkeiten stets Masseverbindlichkeiten sind (vgl. BFH-Urteil vom 24.02.2011 – VI R 21/10, BStBl. II 2011, 520, und BFH-Urteil vom 27.07.2011 – BFH/NV 2011, 2111, dort jeweils zu Einkünften gem. § 19 EStG, die dem Lohnsteuerabzug unterlagen). Dementsprechend hat das FG Düsseldorf im Urteil vom 19.08.2011 – 11 K 4201/10 (EFG 2012, 544) die auf unpfändbare Renteneinkünfte entfallende Einkommensteuer nicht als Masseverbindlichkeit angesehen, sondern als eine Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen. Der erkennende Senat schließt sich den vorgenannten Entscheidungen an. Der Insolvenzschuldner wird dadurch nicht unangemessen benachteiligt, weil bei der Ermittlung des pfändbaren Teils der Bezüge (die zur Masse gelangen) die steuerliche Belastung bereits vorab mindernd zu berücksichtigen ist (vgl. § 850e Nr. 1, § 850f ZPO und dazu Herget in Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 850e Rz. 1b).
97Die im Streitfall in Rede stehenden Rentenzahlungen der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe unterfallen den Regelungen der §§ 850, 850e, 850f ZPO. Zum Arbeitseinkommen i.S. des § 850 Abs. 1, 2 ZPO zählen u.a. Arbeits- und Dienstlöhne, Ruhegelder und ähliche nach dem einstweiligen oder dauerhaften Ausscheiden aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis gewährte fortlaufende Einkünfte sowie sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig und zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen. Unter anderem stellen die Ansprüche eines Kassenarztes gegen die kassenärztliche Vereinigung „Arbeitseinkommen“ i.S. des § 850 Abs. 2 AO dar (BGH-Urteil vom 11.05.2010 - IX ZR 139/09, DB 2010, 1341; BGH-Urteil vom 05.12.1985 - IX ZR 9/85, BGHZ 96, 324). Der Anwendung der §§ 850 ff. ZPO steht damit nicht entgegen, dass die Rentenzahlungen wohl überwiegend auf einer selbständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners beruhten (ab 1976 bis 2001 als niedergelassener Arzt, nach schwerer Erkrankung ab März 2004 als Gutachter/Praxisvertreter, vgl. Insolvenzakte Bl. 84 f.). Von einer Anwendung der §§ 850 ff. ZPO ist auch der Kläger ausgegangen, weil er ausweislich seiner Abrechnungen den pfändbaren Teil des Einkommens gem. § 850c ZPO ermittelt hat und dabei eine „Einkommensteuerrückstellung“ zuvor mindernd berücksichtigte. Die ganz überwiegenden Teile der Rente und der Honorarvergütungen verblieben dem Insolvenzschuldner danach als unpfändbares Einkommen. Die vorgenannte Beurteilung der dem Insolvenzschuldner zustehende Rentenzahlungen entspricht im Übrigen auch dem Beschluss des Landgerichts C vom ….12.2013 … T …/13 (FG-Akte Bl. 185 ff.), wonach die Renteneinkünfte der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe den laufenden Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch i.S. des § 850e Nr. 2a ZPO gleichzustellen seien. Fiel im Streitfall dementsprechend aber nur der pfändbare Teil der Renteneinkünfte (nach vorherigem Abzug der Steuerbelastung) in die Insolvenzmasse, ist die auf die Renteneinkünfte entfallende Steuerbelastung dem insolvenzfreien Vermögen zuzuordnen.
98Der vorgenannten Beurteilung steht die Entscheidung des FG Düsseldorf vom 20.05.2015 – 7 K 1668/14 (DStRE 2015, 1267) nicht entgegen. Danach muss die Einkommensteuer als sonstige Masseverbindlichkeit von der Insolvenzmasse getragen werden, wenn sie auf Einkünften beruht, die er Insolvenzverwalter zur Masse gezogen hat. Unabhängig davon, ob der Senat dieser Rechtsansicht in vollem Umfang folgen könnte, ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass dem Insolvenzschuldner zumindest der ganz überwiegende Teil der Renten als unpfändbar verblieben ist. Ob die Berechnung der unpfändbaren Beträge in vollem Umfang zutreffend erfolgt ist, ist im Besteuerungsverfahren weder zu entscheiden noch zu berücksichtigen.
99Die hier vorgenommene Beurteilung der Rentenzahlungen steht auch nicht im Widerspruch zur obengenannten Zuordnung der Honorarvergütungen zum Bereich der Insolvenzmasse. Denn unabhängig davon, ob derartige Honorarvergütungen auch zum Arbeitseinkommen i.S. der §§ 850 ff. ZPO zählen könnten, ist insoweit entscheidend, dass der Insolvenverwalter diese Tätigkeit im Interesse der Insolvenzmasse gefördert hat (u.a. indem er die dafür erforderlichen Betriebsausgaben – Fahrtkostenerstattungen – erstattet hat) und damit wirtschaftliche Risiken für die Insolvenzmasse eingegangen ist.
1006.
101Bei Aufteilung der Gesamtsteuerschuld ist – wovon der Kläger zu Recht ausgeht – der Altersentlastungsbetrag gem. § 24a EStG zu berücksichtigen.
102Nach Auffassung der Finanzverwaltung wie auch nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung ist die Aufteilung der Gesamtsteuerschuld auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche grundsätzlich in dem Verhältnis vorzunehmen, in welchem die steuerpflichtigen Einkünfte des Insolvenzschuldners auf diese Vermögensbereiche entfallen (vgl. AEAO § 251 Tz. 9.1.2, Beispiel 3; in diesem Sinn z.B. auch: BFH-Urteil vom 16. 07.2015 – III R 32/13, BStBl. II 2016, 251, m.w.N.). Der Beklagte schließt hieraus, dass der Altersentlastungsbetrag gem. § 24a EStG im Rahmen der Aufteilung nicht berücksichtigt werden dürfe, da dieser nach § 2 Abs. 3 EStG nicht bei der Ermittlung der Einkünfte, sondern erst auf späterer Ebene bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte zu erfassen sei. Dieser formalen Sichtweise des Beklagten kann nach Auffassung des Senats jedoch nicht gefolgt werden. Zwar wird der Altersentlastungsbetrag im Einkommensermittlungssystem des § 2 EStG tatsächlich erst bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte angesetzt. Ungeachtet dessen muss jedoch festgestellt werden, dass der Altersentlastungsbetrag einkünftebezogen ist, da er z.B. nicht für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und auch nicht für die in § 24a Satz 2 EStG genannten Einkünfte gilt. Dies spricht dafür, den Altersentlastungsbetrag bei der ebenfalls einkünftebezogenen Aufteilung der Einkommensteuerschuld auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche zu berücksichtigen.
103Zudem ist zu bedenken, dass der Altersentlastungsbetrag einen Ausgleich dafür schaffen soll, dass z.B. Leibrenten i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG nur mit ihrem Ertragsanteil besteuert werden (vgl. z.B. Schmidt-Wacker, EStG, § 24a Rn. 1). Wenn im Rahmen der Aufteilung der Einkünfte die Renteneinnahmen des Insolvenzschuldners nur mit ihrem Ertragsanteil berücksichtigt werden, erscheint es folgerichtig, bei den übrigen Einkünften in korrespondierender Weise den Altersentlastungsbetrag in Abzug zu bringen. Dies ist in der vorstehend dargestellten Berechnung durch den Senat geschehen, wobei der Altersentlastungsbetrag verhältniswahrend bei den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit und aus Vermietung und Verpachtung angesetzt worden ist; ein Ansatz bei den Renteneinkünften scheidet aus, da diese gem. § 24a Satz 2 Nr. 2 EStG von der Anwendung des Alternsentlastungsbetrages ausgeschlossen sind.
104IV.
105Der Beklagte war befugt, den ursprünglich streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 03.09.2012 zu ändern. Zwar liegen die Voraussetzungen der Änderungsnorm des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vor, jedoch kann die Änderung auf § 174 Abs. 3 AO gestützt werden.
1061.
107Die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind nicht erfüllt, weil es an einer neuen Tatsache im Sinne dieser Vorschrift fehlt.
108Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kann ein bereits bestandskräftiger Steuerbescheid geändert werden, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist jeder Lebenssachverhalt, der Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 08.07.2015 – VI R 51/14, BStBl. II 2017, 13; BFH-Urteil vom 27.01.2011 – III R 90/07, BStBl. II 2011, 543). Nachträglich werden Tatsachen oder Beweismittel bekannt, wenn deren Kenntnis nach dem Zeitpunkt erlangt wird, in dem die Willensbildung über den zuvor ergangenen Steuerbescheid oder – wenn eine solche zuvor ergangen ist – die Einspruchsentscheidung abgeschlossen ist. Grundsätzlich kommt es dabei auf den Wissensstand der zur Bearbeitung des Steuerfalls berufenen Dienststelle an, wobei aktenkundige Tatsachen stets als bekannt gelten (vgl. BFH-Urteil vom 13.06.2012 – VI R 85/10, BStBl. II 2013, 5).
109Die nach Auffassung des Beklagten neuen Tatsachen liegen darin, dass der Kläger die selbständige Tätigkeit im Interesse der Insolvenzmasse erlaubt hat, er die Betriebseinnahmen zur Masse gezogen hat und er die Fortführung der Tätigkeit ermöglichte, indem er zur Masse gehörende Mittel einsetzte, um durch die selbständige Tätigkeit entstehende Forderungen Dritter zu begleichen.
110Hierbei handelt es sich nach Auffassung des Senats indes nicht um neue Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, da sie dem Beklagten bei Erlass der Einspruchsentscheidung am 16.09.2013 bereits bekannt waren. Am 03.04.2013 hatten der Insolvenzschuldner und seine Ehefrau beim Beklagten vorgesprochen und diesen informiert, dass der Insolvenzverwalter die Einnahmen des Klägers fast vollständig zur Insolvenzmasse zieht. Im Nachgang zu diesem Gespräch reichte der Insolvenzschuldner diverse Unterlagen beim Beklagten ein. Unter diesen Unterlagen befand sich insbesondere das Schreiben des Klägers an das Insolvenzgericht vom 08.05.2008, in welchem der Kläger die Art und Weise der Abrechnung der Einnahmen des Insolvenzschuldners detailliert beschreibt. Aus diesem Schreiben des Klägers an das Insolvenzgericht geht hervor, dass die Einnahmen des Insolvenzschuldners zunächst in die Insolvenzmasse gelangten und der Kläger nur den unpfändbaren Teil der Einnahmen an den Kläger auskehrte. Weiterhin lässt sich dem Schreiben entnehmen, dass die Fahrtkosten des Insolvenzschuldners als Ausgaben erfasst und durch den Kläger aus der Insolvenzmasse an die Ehefrau des Insolvenzschuldners ausgezahlt wurden. Schließlich teilte der Kläger dem Insolvenzgericht in diesem Schreiben mit – in Widerspruch zu seinen Äußerungen im vorliegenden Klageverfahren –, die auf die Einkünfte des Insolvenzschuldners entfallende Einkommensteuer werde als Masseverbindlichkeit zu berücksichtigen sein (vgl. Schreiben des Klägers vom 08.05.2008, Seite 3: „Ferner wurden für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 07.05.2007 Einkommensteuerrückstellungen mit EUR 160,00 einkommensteuermindernd berücksichtigt (…), da insoweit die Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit zu berücksichtigen sein wird“). Weiterhin hatte der Insolvenzschuldner dem Beklagten die auf dieser Grundlage erstellten Abrechnungen für das Jahr 2007 vorgelegt. Unter Würdigung dieser Unterlagen ist von einer Kenntnis des Beklagten noch vor Erlass der Einspruchsentscheidung auszugehen.
111Auch die weiteren Äußerungen des Beklagten sprechen dafür, dass er dem Einspruch des Klägers bezüglich des Streitpunkts, ob die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit der Insolvenzmasse oder dem insolvenzfreien Vermögen zuzuordnen sind, deshalb stattgegeben hat, weil er – bei voller Kenntnis der entscheidungserheblichen Tatsachen – der Rechtsauffassung des Klägers gefolgt ist. Zwar enthält die Begründung der gegenüber dem Kläger ergangenen Einspruchsentscheidung vom 16.09.2013 keine Ausführungen zu dieser Streitfrage. Jedoch hat der Beklagte im Rahmen des weiteren Einspruchverfahrens des Insolvenzschuldners diesem gegenüber Stellung genommen und hier die Rechtsauffassung vertreten, dass weder die Duldung der freiberuflichen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter noch der Einzug der hieraus resultierenden Einnahmen zur Insolvenzmasse dazu führen, dass die Einkommensteuer zu Lasten der Insolvenzmasse anfällt (vgl. Schreiben des Beklagten an den Bevollmächtigten des Insolvenzschuldners vom 27.03.2014). Diese Rechtsauffassung des Beklagten erschien nach dem damaligen Stand der BFH-Rechtsprechung zwar keineswegs zwingend, jedoch auch nicht vollständig unvertretbar. Denn die Voraussetzungen, unter denen von einer Zustimmung des Insolvenzverwalters zur selbständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners auszugehen ist, hat der Bundesfinanzhof in den oben angeführten Urteilen vom 16.04.2015 (III R 21/11, BStBl. II 2016, 29) und 16.07.2015 (III R 32/13, BStBl. II 2016, 251) konkretisiert. Auch im vorliegenden Klageverfahren stützt der Beklagte seine geänderte Auffassung bezüglich der der Zuordnung der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit maßgeblich auf diese BFH-Urteile; dies ist weiteres Indiz dafür, dass dem Änderungsbescheid vom 24.05.2017 tatsächlich nicht neue Tatsachenkenntnis, sondern vielmehr neue Rechtskenntnis aufgrund der angeführten BFH-Urteile zugrunde liegt. Dies rechtfertigt jedoch keine Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.
1122.
113Die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 3 AO sind erfüllt.
114§ 174 Abs. 3 Satz 1 AO erlaubt die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids, wenn in dem Bescheid ein bestimmter Sachverhalt erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden ist, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt. Die Vorschrift soll verhindern, dass ein steuererhöhender oder steuermindernder Vorgang bei der Besteuerung überhaupt nicht berücksichtigt wird, und erfordert deshalb einen „negativen Widerstreit“. Dieser liegt vor, wenn ein bestimmter Sachverhalt in keinem von mehreren in Betracht zu ziehenden Steuerbescheiden berücksichtigt worden ist, obwohl er in einem dieser Bescheide hätte berücksichtigt werden müssen. Voraussetzung für das Eingreifen von § 174 Abs. 3 Satz 1 AO ist, dass die (erkennbare) Annahme, ein bestimmter Sachverhalt sei nicht in dem einen, sondern in dem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen, für dessen Nichtberücksichtigung kausal geworden ist. Sachverhalt in diesem Sinne ist der einzelne Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft; dabei ist der Begriff des bestimmten Sachverhalts nicht auf einzelne steuererhebliche Tatsachen oder einzelne Merkmale beschränkt. Vielmehr erfasst er den einheitlichen für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex (BFH-Urteil vom 17.05.2017 – X R 45/16, BFH/NV 2018, 10; BFH-Urteil vom 06.09.2011 – VIII R 38/09, BStBl. II 2012, 23).
115Der Sachverhalt i.S. des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO, der im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem Kläger zunächst unberücksichtigt geblieben ist, liegt in der selbständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners und den hieraus erzielten Einkünften. Es handelt sich hierbei um einen Sachverhaltskomplex im Sinne der oben angeführten BFH-Rechtsprechung, der ebenfalls unter den Begriff des Sachverhalts gem. § 174 Abs. 3 Satz 1 AO fällt. Bezüglich dieses Sachverhaltskomplexes lag auch ein negativer Widerstreit vor, da die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit zwingend entweder in der Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem Kläger (zu Lasten der Insolvenzmasse) oder in der Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem Insolvenzschuldner (zu Lasten des insolvenzfreien Vermögens) zu berücksichtigen waren. Die ursprüngliche Annahme des Beklagten, dass die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in der Steuerfestsetzung gegenüber dem Insolvenzschuldner zu berücksichtigen seien, hat sich im Nachhinein als unzutreffend herausgestellt, nachdem der Beklagte am 24.05.2017 – in zutreffender Berufung auf die BFH-Urteile vom 16.04.2015 (III R 21/11, BStBl. II 2016, 29) und vom 16.07.2015 (III R 32/13, BStBl. II 2016, 251) – einen geänderten Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Insolvenzschuldner erlassen hat, in welchem die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit nicht mehr berücksichtigt wurden. Zwingende Folge dieser rechtlichen Würdigung ist, dass die Einkünfte nunmehr in der Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem Kläger zu Lasten der Insolvenzmasse zu berücksichtigen sind.
116Der „negative Widerstreit“ war für den Kläger erkennbar, da auch aus dessen Sicht kein Zweifel daran bestehen konnte, dass die Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners entweder in der einen oder aber der anderen Einkommensteuerfestsetzung zu berücksichtigen waren. Erkennbar ist ein Widerstreit, wenn ein verständiger Steuerpflichtiger ihn bei verständiger Würdigung des fehlerhaften Bescheids und der einschlägigen Unterlagen erkennen kann oder wenn der Zusammenhang in sonstiger Weise offenbar ist (vgl. Tipke/Kruse-Loose, AO § 174 Rn. 32f., mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der negative Widerstreit war für den Kläger aus dem gesamten Geschehensablauf, mindestens jedoch aus der Einspruchsentscheidung vom 16.09.2013 erkennbar; denn die Begründung zur Einspruchsentscheidung enthält detaillierte Ausführungen zur Aufteilung der Steuerschuld (vgl. Einspruchsentscheidung vom 16.09.2013, Anlage 2) sowie zur korrespondierenden Ermittlung der Einkommensteuer des Insolvenzschuldners (vgl. Einspruchsentscheidung vom 16.09.2013, Anlage 1).
117Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, dass der negative Widerstreit schon bei isolierter Betrachtung des ursprünglichen Steuerbescheides erkennbar sein müsse, damit § 174 Abs. 3 AO Anwendung finden könne, kann dem nicht gefolgt werden. In den BFH-Urteilen, auf die sich der Kläger in diesem Zusammenhang beruft, wird ausdrücklich die gegenteilige Rechtsauffassung vertreten (BFH-Urteil vom 21.121984 – III R 75/81, BStBl. II 1985, 283; BFH-Beschluss vom 15.10.1998 – IV B 15/98, BFH/NV 1999, 449). Im Übrigen war der Widerstreit – wie bereits vorstehend ausgeführt – ohne weiteres aus der Einspruchsentscheidung vom 16.09.2013 erkennbar.
118V.
119Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.
120Dem beigeladenen Insolvenzschuldner waren keine Kosten aufzuerlegen, da er keine Anträge gestellt hat (vgl. BFH-Urteil vom 15.06.2016 – II R 23/15, BFH/NV 2016, 1568). Etwaige außergerichtliche Kosten des Insolvenzschuldners sind nicht aus Billigkeitsgründen zu erstatten. Dieser hat keine Sachanträge gestellt oder das Verfahren anderweitig wesentlich gefördert. Zwar kann nach Auffassung des Bundesfinanzhofs unter Umständen auch in dem Verzicht auf eine mündliche Verhandlung eine wesentliche Förderung des Verfahrens gesehen werden (vgl. BFH-Urteil vom 25.06.2009 – III R 2/07, BStBl. II 2009, 968). Vorliegend hat jedoch bereits am 24.05.2017 eine mündliche Verhandlung stattgefunden, so dass durch den Verzicht auf eine weitere mündliche Verhandlung keine nennenswerte Verfahrensvereinfachung mehr eingetreten ist.
121Die Revision war gem. § 115 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen.
122Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
123… … …