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Die Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 24.08.2016 (Amtliches Kennzeichen 1, Amtliches Kennzeichen 2, Amtliches Kennzeichen 3, Amtliches Kennzeichen 1, (Amtliches Kennzeichen 6 und Amtliches Kennzeichen 7), vom 26.08.2016 (Amtliches Kennzeichen 4), vom 02.11.2016 (Amtliches Kennzeichen 8), vom 03.11.2016 (Amtliches Kennzeichen 2), vom 15.11.2016 (Amtliches Kennzeichen 8) und vom 02.05.2017 (Amtliches Kennzeichen 9) sowie die Einspruchsentscheidungen vom 25.10.2016, 28.10.2016, 04.11.2016, 07.12.2016 und 28.08.2017 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob das Halten der Fahrzeuge der Klägerin nach § 3 Nr. 5 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) steuerbefreit ist.
3Die Klägerin ist Halterin der Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen 8, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 9.
4Es handelt sich um als Mehrzweckfahrzeuge, Sonderfahrzeuge bzw. Personenkraftwagen zugelassene Fahrzeuge der Marken Volkswagen, Fiat, Citroen, Ford und Renault. Die Fahrzeuge verfügen über drei bis neun mögliche Sitzplätze einschließlich Fahrersitz und sind alle technisch dahingehend ausgerüstet, dass entweder mindestens eine Person im Rollstuhl oder eine Person liegend transportiert werden kann. Auf den in weiß gehaltenen Fahrzeugen steht im Frontbereich in großen Buchstaben „Krankenfahrdienst A“. Das Unternehmen der Klägerin hat Personenbeförderungen zum Gegenstand. Die Klägerin transportiert kranke Personen stets in einer Trage oder in einem Rollstuhl oder Tragestuhl. Die Patienten, die befördert werden, sind nicht in der Lage, selbstständig oder mit einfacher Unterstützung ihre Wohnung zu verlassen, benötigen aber keine intensivmedizinische Betreuung während der Beförderungen. Während der Fahrten werden die Patienten durch Personal begleitet, das auf Krankenbeförderungen spezialisiert ist. Die Klägerin ist im Rettungsdienstplan der Feuerwehr registriert, um im Katastrophenfall für die Feuerwehr einsetzbar zu sein. Außerhalb der genannten Krankenbeförderung werden die Fahrzeuge der Klägerin nicht genutzt.
5Ursprünglich wurden die streitrelevanten Fahrzeuge – bis auf das am 22.03.2017 erstmals zum Straßenverkehr zugelassene Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen 9 – durch die Finanzverwaltung bzw. den Beklagten von der Kraftfahrzeugsteuer befreit. Mit auf § 12 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 KraftStG gestützten Änderungsbescheiden hob der Beklagte die Steuerbefreiungen auf und setzte für die Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen 8, 1, 2, 3, 4, 5, 6 und 7 Kraftfahrzeugsteuer rückwirkend für die vorangegangenen Entrichtungszeiträume sowie für den laufenden Entrichtungszeitraum fest. Die Höhe der festgesetzten Kraftfahrzeugsteuer ist zwischen den Beteiligten jeweils unstreitig. Für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen 9 erließ der Beklagte am 02.05.2017 einen erstmaligen Kraftfahrzeugsteuerbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht.
6Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Kraftfahrzeugsteuerbescheide, die sich in den Gerichtsakten bzw. in den Akten des Beklagten befinden, Bezug genommen.
7Hiergegen legte die Klägerin Einsprüche ein, die mit Einspruchsentscheidungen vom 25.10.2016 (amtliches Kennzeichen 1), 28.10.2016 (amtliches Kennzeichen 3, amtliches Kennzeichen 4, amtliches Kennzeichen 5, amtliches Kennzeichen 6 und amtliches Kennzeichen 7), 04.11.2016 (amtliches Kennzeichen 2), 07.12.2016 (amtliches Kennzeichen 8) und 28.08.2017 (amtliches Kennzeichen 9) als unbegründet zurückgewiesen wurden.
8Zur Begründung seiner Entscheidungen führte der Beklagte jeweils im Wesentlichen aus: Eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG setze voraus, dass das Fahrzeug ausschließlich zu dringenden Soforteinsätzen verwendet werde. Es müsse sich um Soforteinsätze handeln, durch die akuten Notständen, in denen unmittelbar Gefahr für Leib oder Leben bestehe, begegnet werde. Darunter fielen insbesondere Notfallrettungen und Krankentransporte unter fachgerechter Betreuung nach den Vorschriften für die Notfallrettung, Krankentransport und Rettungsdienst. Diese Voraussetzung liege im Streitfall nicht vor. Denn die Klägerin verwende die Fahrzeuge für Fahrten kranker Menschen nach ärztlicher Verordnung im funktionalen Sinne eines Taxis. Das Fahrzeug sei weder für Notfälle ausgestattet, noch fahre geschultes Personal zur Betreuung der zu befördernden Person mit.
9Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr außergerichtliches Vorbringen. Die Klägerin ist der Ansicht, dass eine Krankenbeförderung i.S. des § 3 Nr. 5 KraftStG einen dringenden Soforteinsatz nicht erfordere. Das Erfordernis eines solchen Soforteinsatzes habe der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 22.02.1989 (Aktenzeichen VII R 9/87) auch nicht festgestellt. Ferner sei der Beklagte an die zuvor von den Finanzämtern geübte Praxis, wonach Fahrzeuge wie das der Klägerin von der Steuer befreit gewesen seien, gebunden. Es gelte der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung.
10Die Klägerin beantragt sinngemäß,
11die Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 24.08.2016 (amtliches Kennzeichen 1, amtliches Kennzeichen 2, amtliches Kennzeichen 3, amtliches Kennzeichen 5, amtliches Kennzeichen 6 und amtliches Kennzeichen 7), vom 26.08.2016 (amtliches Kennzeichen 4), vom 02.11.2016 (amtliches Kennzeichen 8), vom 03.11.2016 (amtliches Kennzeichen 2), vom 15.11.2016 (amtliches Kennzeichen 8) und vom 02.05.2017 (amtliches Kennzeichen 9) sowie die Einspruchsentscheidungen vom 25.10.2016, 28.10.2016, 04.11.2016, 07.12.2016 und 28.08.2017 aufzuheben,
12hilfsweise, die Revision zuzulassen.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen,
15Er verbleibt bei seiner Auffassung, dass eine Steuerbefreiung für die Fahrzeuge der Klägerin nicht in Betracht komme. Zur Begründung wiederholt er seine Ausführungen in den Einspruchsentscheidungen. Ergänzend trägt er vor, dass die Fahrzeuge der Klägerin nicht über Beatmungsgeräte, Güdeltuben, Infusionshalterungen, Stethoskope, Blutdruckmanschetten, Pupillenleuchten etc. gemäß des Rettungsgesetzes NRW verfügten. Somit seien die Fahrzeuge weder für Notfälle ausgestattet, noch fahre geschultes Personal zur Betreuung der zu befördernden Personen mit.
16Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten Bezug genommen.
17Mit Senatsbeschluss vom 09.04.2018 sind die Klageverfahren der Klägerin, die ursprünglich unter verschiedenen Aktenzeichen getrennt voneinander geführt wurden, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19A. Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 90 Abs. 2 FGO).
20B. Der erkennende Senat legt die zu einem Verfahren verbundenen Klagen der Klägerin als Anfechtungsklagen gegen die Kraftfahrzeugsteuerbescheide des Beklagten aus. Zwar hat der Beklagte bezüglich der streitrelevanten Fahrzeuge vor Erlass der Kraftfahrzeugsteuerbescheide gesonderte Bescheide erlassen, mit denen er die Anträge der Klägerin auf Befreiung der Fahrzeuge von der Kraftfahrzeugsteuer abgelehnt hat. Jedoch kann nach der Rechtsprechung des BFH die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer im Rahmen einer Anfechtungsklage begehrt werden. Die Befreiung ist nicht einem selbständig neben die Kraftfahrzeugsteuererhebung tretenden Steuerbefreiungsverfahren vorbehalten, sondern eine rechtlich unselbständige Vorentscheidung im Rahmen der Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung (vgl. BFH-Urteil vom 12.06.2012 II R 40/11, BFHE 238, 281, BStBl II 2012, 797 m.w.N.).
21C. Die Klage ist zulässig und begründet.
22Die angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheide und die Einspruchsentscheidungen sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
23Die Klägerin hat einen Anspruch auf Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 Satz 1, 6. Fall KraftStG für die streitrelevanten Fahrzeuge.
24I. Nach § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG ist das Halten von Fahrzeugen von der Steuer befreit, solange die Fahrzeuge ausschließlich im Feuerwehrdienst, im Katastrophenschutz, für Zwecke des zivilen Luftschutzes, bei Unglücksfällen, im Rettungsdienst oder zur Krankenbeförderung verwendet werden. Voraussetzung ist, dass die Fahrzeuge äußerlich als für diese Zwecke bestimmt erkennbar sind (§ 3 Nr. 5 Satz 2 KraftStG). Bei Fahrzeugen, die nicht für den Bund, ein Land, eine Gemeinde, einen Gemeindeverband oder einen Zweckverband zugelassen sind, ist außerdem Voraussetzung, dass sie nach ihrer Bauart und Einrichtung den bezeichneten Verwendungszwecken angepasst sind (§ 3 Nr. 5 Satz 3 KraftStG).
25II. Im Streitfall ist der – hier allein ernsthaft in Betracht kommende – Fall der Vorschrift „ausschließliche Verwendung zur Krankenbeförderung“ gegeben.
261. Es ist unter den Beteiligten unstreitig, dass die Fahrzeuge jeweils ausschließlich zur Beförderung von Kranken, nämlich von Personen verwendet werden, die derart gehbehindert sind, dass sie öffentliche Verkehrsmittel oder private Fahrzeuge ohne fremde Hilfe nicht benutzen können. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist es für eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 Satz 1, 6. Fall KraftStG nicht erforderlich, dass das Fahrzeug ausschließlich zu dringenden Soforteinsätzen verwendet wird, durch die akuten Notständen begegnet werden soll (Urteil des Finanzgerichts -FG- Münster vom 25.01.2018 6 K 159/17 Kfz, Revision anhängig unter III R 10/8, DStRK 2018, 147, UVR 2018, 175; andere Ansicht: Urteil des FG Düsseldorf vom 11.04.2002 8 K 6038/01 Verk, EFG 2002, 1058, mit Verweis auf BFH-Urteil vom 22.08.1989 VII R 9/87, BFHE 158, 132, BStBl II 1989, 936; Strodthoff in KraftStG, § 3 Rz. 48). Dies ergibt sich weder aus dem Wortlaut, der Gesetzeshistorie oder der Systematik des § 3 Nr. 5 KraftStG (dazu unter a. bis c.) noch aus der Vorschrift des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V (Krankentransport-Richtlinie -KrTransp-RL-) in der Fassung vom 16.03.2017, soweit der Beklagte hierauf Bezug nehmen sollte (dazu unter d.).
27a. Der Wortlaut der Vorschrift des § 3 Nr. 5 KraftStG sieht die ausschließliche Verwendung des Fahrzeugs zum Zwecke von Krankenbeförderungen i.S. von „sofortigen Einsätzen, durch die akuten Notständen begegnet werden soll“, nicht vor. Eine solche Voraussetzung könnte sich allenfalls als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aus dem Vergleich mit den in der Vorschrift anderen genannten Verwendungszwecken ergeben (vgl. BFH in BFHE 158, 132, BStBl II 1989, 936).
28Jedoch gebietet bereits der Vergleich der Krankenbeförderung mit den übrigen in § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG genannten Verwendungszwecken nicht das Erfordernis eines dringenden Soforteinsatzes. Hierfür spricht, dass auch Fahrzeuge im Feuerwehrdienst nicht nur zur Brandbekämpfung, sondern auch zu vorbeugenden Maßnahmen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 11.03.2004 VII R 65/02, BFHE 204, 493, BStBl II 2004, 528) und zum Zweck der Ausbildung verwendet werden können, ohne dass die Steuerbefreiung entfällt. So sind auch solche Löschfahrzeuge der Feuerwehr von der Steuer befreit, an denen das für die Brandbekämpfung bestimmte Personal durch regelmäßig stattfindende Übungen geschult wird, und zwar selbst dann, wenn das Ausmaß der Verwendung der Löschkraftfahrzeuge für Schulungszwecke vielfach gegenüber dem Ausmaß der Verwendung im Ernstfall überwiegt (vgl. BFH-Urteil vom 05.08.1953 II 70/53 U, BFHE 58, 356, BStBl III 1954, 48). Zudem legt der Umstand, dass das KraftStG in der aktuellen Fassung im Gegensatz zur ursprünglichen Formulierung in § 2 Nr. 1 KraftStG in der Fassung vom 30.06.1955 (KraftStG 1955, BGBl I 1955, 417) nicht mehr von „im Feuerlöschdienst“, sondern weiter gefasst von „im Feuerwehrdienst“ spricht, nahe, dass die Steuerbefreiung nicht nur für Fahrzeuge zu gewähren ist, die zu dringenden Soforteinsätzen verwendet werden.
29Vergleichbares dürfte für Fahrzeuge gelten, die im Katastrophenschutz oder für Zwecke des zivilen Luftschutzes verwendet werden, denn auch diese Fahrzeuge sind nach der gesetzlichen Regelung von der Kraftfahrzeugsteuer befreit, obwohl davon auszugehen ist, dass sie in weitaus überwiegendem Umfang für präventive Maßnahmen bzw. Schulungszwecke und nur selten für dringende Soforteinsätze verwendet werden.
30b. Der Senat vermag auch der Gesetzeshistorie nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Steuerbefreiung für Fahrzeuge zum Zweck der Krankenbeförderung an die Notwendigkeit eines dringenden Soforteinsatzes knüpfen wollte. Insbesondere lässt sich nach Auffassung des Senates hierfür nicht als Beleg anführen, dass die Verwendung von Fahrzeugen zur Krankenbeförderung in § 3 Nr. 5 KraftStG zusammen mit der Verwendung von Fahrzeugen im Rettungsdienst, im Feuerwehrdienst, im Katastrophenschutz, für Zwecke des zivilen Luftschutzes und bei Unglücksfällen aufgeführt ist (so aber BFH-Urteil vom 22.08.1989 VII R 9/87, BFHE 158, 132, BStBl II 1989, 936). Denn während der Steuerbefreiungstatbestand der Krankenbeförderung nach der ursprünglichen Fassung des Gesetzes zusammen mit Verwendungszwecken aufgeführt war, die keine dringenden Soforteinsätze erfordern, ist die Mehrzahl der nunmehr als Beleg für das Erfordernis dringender Soforteinsätze in § 3 Nr. 5 KraftStG aufgeführten Verwendungszwecke erst später in das KraftStG eingefügt worden.
31aa. Bereits im KraftStG 1955 war nach § 2 Nr. 1 KraftStG 1955 von der Steuer befreit das Halten von Kraftfahrzeugen, solange sie für den Bund, ein Land oder eine Gemeinde zugelassen waren und ausschließlich im Feuerwehrlöschdienst, zur Krankenbeförderung, zum Wegebau oder zur Straßenreinigung verwendet wurden. Die Steuerbefreiung für Feuerwehr- und Krankenfahrzeuge privater Eigentümer ergab sich aus § 34 der Durchführungsverordnung zum KraftStG in der Fassung vom 12.07.1955 (KraftStDV 1955, BGBl I 1955, 423). Demnach stand der Zweck „zur Krankenbeförderung“ ursprünglich auch neben solchen Verwendungen, die regelmäßig nicht durch die Notwendigkeit eines dringenden Soforteinsatzes gekennzeichnet sind, wie die Verwendungen zum Wegebau und zur Straßenreinigung. Voraussetzung für eine Steuerbefreiung bezüglich privater Kranken- und Feuerwehrfahrzeuge war nach § 34 Abs. 2 KraftStDV 1955 allerdings, dass diese Fahrzeuge nach ihrer Bauart und Einrichtung dem Verwendungszeck der Krankenbeförderung oder des Feuerwehrdienstes angepasst waren.
32bb. Mit dem KraftStG in der Fassung vom 02.02.1961 (KraftStG 1961, BGBl I 1961, 2) sind die in der Befreiungsvorschrift des § 2 Nr. 1 KraftStG 1955 genannten Verwendungszwecke „im Feuerlöschdienst“ und „zur Krankenbeförderung“ in die neu formulierte Nr. 4 des § 2 KraftStG 1961 (dort: „im Feuerwehrdienst“ anstatt „im Feuerlöschdienst“) übernommen und mit den neu aufgenommenen Verwendungszwecken „im Katastrophenschutz“, „für Zwecke des zivilen Luftschutzes“ und „bei Unglücksfällen“ zusammengefasst worden. Die Zusammenfassung sollte zugleich die in § 34 KraftStDV 1955 enthaltene Vorschrift über den Steuererlass für Feuerwehr- und Krankenfahrzeuge privater Eigentümer ersetzen (vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 13.02.1960 8-52216-5044/59 II, Bundestags-Drucksache 1621, S. 6). Die Vorschrift des § 2 Nr. 4 Satz 1 KraftStG 1961 lautete danach wie folgt: „Von der Steuer befreit ist das Halten von Fahrzeugen, solange sie ausschließlich im Feuerwehrdienst, im Katastrophenschutz, für Zwecke des zivilen Luftschutzes, bei Unglücksfällen oder zur Krankenbeförderung verwendet werden.“ Den Fahrzeugen, die ausschließlich im Feuerwehrdienst oder zur Krankenbeförderung verwendet wurden, sollten künftig die – neu aufgenommenen – ausschließlich im Katastrophenschutz, für Zwecke des zivilen Luftschutzes oder bei Unglücksfällen verwendeten Fahrzeuge gleichstehen. Als neue Voraussetzung für die Steuerbefreiung wurde geregelt, dass nunmehr sämtliche Fahrzeuge äußerlich als für die entsprechenden Zwecke bestimmt erkennbar sein mussten.
33Es ergeben sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass – abgesehen vom neu eingefügten Tatbestandsmerkmal der äußerlichen Erkennbarkeit der Verwendung – mit der Zuordnung der bisher in § 2 Nr. 1 KraftStG 1955 enthaltenen Steuerbefreiungstatbestände „im Feuerwehrdienst“ und „zur Krankenbeförderung“ zu § 2 Nr. 4 KraftStG 1961 und mit der Ergänzung von § 2 Nr. 4 KraftStG 1961 um weitere Steuerbefreiungstatbestände (Katastrophenschutz, ziviler Luftschutz, Unglücksfälle) eine Änderung des sachlichen Anwendungsbereiches der bisher schon bestehenden Steuerbefreiungstatbestände einhergehen sollte. Es ist im Gegenteil in der Gesetzesbegründung (siehe Bundestags-Drucksache 1621, S. 5 f.) ausdrücklich ausgeführt, dass die Neufassung des § 2 KraftStG sachlich im Wesentlichen dem geltenden Recht entsprechen sollte und die ehedem in § 2 Nr. 1 KraftStG enthaltenen Steuerbefreiungstatbestände in § 2 Nr. 4 KraftStG 1961 „übernommen“ werden sollten, soweit sie nicht § 2 Nr. 3 KraftStG 1961 zugewiesen worden sind. Dass die Verwendungszwecke „zum Wegebau“ und „zur Straßenreinigung“ nunmehr in § 2 Nr. 3 KraftStG 1961 und damit getrennt vom Verwendungszweck „zur Krankenbeförderung“ geregelt wurden, lag lediglich darin begründet, dass in Nr. 3 der Vorschrift Fahrzeuge von Gebietskörperschaften zusammengefasst werden sollten, während die Nr. 4 auch Fahrzeuge privater Eigentümer umfasste. Die Aufzählung der Verwendungszwecke in § 2 Nr. 4 KraftStG 1961 entspricht derjenigen in § 3 Nr. 5 KraftStG in der aktuellen Fassung, mit Ausnahme des im Jahr 1964 zusätzlich eingefügten Verwendungszwecks „im Rettungsdienst“ (dazu sogleich).
34c. Ferner kann die Notwendigkeit eines „dringenden Soforteinsatzes“ für die Verwendung zur Krankenbeförderung auch nicht systematisch aus einer Gleichstellung der Krankenbeförderung mit dem in § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG genannten Verwendungszeck „im Rettungsdienst“ hergeleitet werden. Denn die Worte „im Rettungsdienst“ hinter den Worten „bei Unglücksfällen“ wurden erst mit dem Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 17.03.1964 (KraftStG 1964, BGBl I 1964, 145) eingefügt. Auch insoweit sind Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Gesetzesänderung den Verwendungszweck „zur Krankenbeförderung“ sachlich einschränken wollte, nicht ersichtlich. Nach Ansicht des erkennenden Senats bilden Krankenfahrten gegenüber dem Verwendungszweck „im Rettungsdienst“ nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift zudem eine eigene Kategorie. Denn der Rettungsdienst umfasst gemäß § 3 Abs. 1 des Gesetzes über den Rettungsdienst sowie die Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmer Nordrhein-Westfalen (Rettungsgesetz NRW) 1. die Notfallrettung, 2. den Krankentransport und 3. die Versorgung einer größeren Anzahl Verletzter oder Kranker bei außergewöhnlichen Schadensereignissen. Für die anderen Bundesländer gelten entsprechende Gesetze über die Regelung des Rettungsdienstes. Fahrten „im Rettungsdienst“ unterliegen damit besonderen Anforderungen. Will man dem Verwendungszweck „zur Krankenbeförderung“ – wie ursprünglich im KraftStG vorgesehen – einen eigenständigen sachlichen Anwendungsbereich einräumen, kann dies nur erreicht werden, wenn damit auch Fahrten erfasst werden, die nicht bereits unter Fahrten i.S. des Rettungsdienstes fallen. Anderenfalls würde die Alternative „zur Krankenbeförderung“ weitestgehend leer laufen.
35d. Schließlich lässt sich auch den Regelungen der KrTransp-RL nicht entnehmen, dass unter Fahrten „zur Krankenbeförderung“ i.S. des § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG nur Fahrten zu verstehen sein sollen, die „dringende Soforteinsätze“ darstellen.
36aa. Die KrTransp-RL, die im Bundesanzeiger veröffentlicht ist und den Anwendungsbereich des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V (Verordnung von Krankentransporten) näher regelt, konkretisiert den Begriff der „Krankenbeförderung“. Soweit sie vom Beklagten als Auslegungshilfe herangezogen werden sollte, um den Begriff der „Krankenbeförderung“ i.S. des § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG auszulegen, kann sich dies nach Ansicht des erkennenden Senats jedoch nicht nur auf die Vorschriften der §§ 5 und 6 KrTransp-RL (betreffen Rettungsfahrten und Krankentransporte) beziehen; bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 3 Nr. 5 KraftStG sind dann vielmehr auch die Vorschriften des § 7 i.V.m. § 8 KrTransp-RL (betreffen Krankenfahrten) sowie § 4 KrTransp-RL einzubeziehen.
37bb. Aus § 4 KrTransp-RL, der mit „Auswahl des Beförderungsmittels“ überschrieben ist, ergeben sich die Mittel zur „Beförderung“ in Bezug auf die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransporten und Rettungsfahrten nach § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V für die Auswahl des Beförderungsmittels. § 4 KrTransp-RL verweist wiederum auf die §§ 5 bis 7 KrTransp-RL. „Beförderung“ ist insoweit der Oberbegriff für Rettungsfahrten (§ 5 KrTransp-RL), Krankentransporte (§ 6 KrTransp-RL) und Krankenfahrten (§ 7 KrTransp-RL). Krankenfahrten stellen demnach einen Unterfall der „Krankenbeförderung“ dar und sind nach § 7 Abs. 1 KrTransp-RL Fahrten, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln, privaten Kraftfahrzeugen, Mietwagen oder Taxen durchgeführt werden. Zu den Mietwagen zählen z.B. auch Wagen mit behindertengerechter Einrichtung zur Beförderung von Rollstuhlfahrern. Demnach setzt § 7 Abs. 1 KrTransp-RL in Bezug auf Krankenfahrten einen „dringenden Soforteinsatz“ nicht voraus.
382. Der erkennende Senat verkennt nicht, dass der Begriff der „Krankenbeförderung“ i.S. des § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG als unbestimmter Rechtsbegriff dem Wortlaut nach weit gefasst werden kann. Gleichwohl ist eine unangemessene Ausdehnung der Steuerbefreiungsvorschrift auf eine Vielzahl von Fällen, die vom Gesetzgeber so nicht gewollt wäre, nicht zu befürchten. Denn eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG für Fahrzeuge, die „zur Krankenbeförderung“ verwendet werden, unterliegt weiteren einschränkenden Voraussetzungen, die sich bereits aus dem Tatbestand der Vorschrift selbst ergeben. Insbesondere das Merkmal der „Ausschließlichkeit“ schränkt die Fälle, in denen eine Steuerbefreiung zu gewähren ist, deutlich ein. Dem Steuerpflichtigen obliegt es insoweit, eine „ausschließliche Verwendung“ seines Fahrzeugs zu den in § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG genannten Zwecken darzulegen und nachzuweisen.
39Ausschließlichkeit i.S. des § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG bedeutet, dass jede – auch nur teilweise – zweckfremde Verwendung, z.B. vorliegend die Beförderung von nicht kranken Personen, schädlich ist und zur Versagung der Steuerbefreiung führt. Gemäß § 3 Nr. 5 Satz 2 KraftStG setzt eine Steuerbefreiung weiter voraus, dass die Fahrzeuge äußerlich als für diese Zwecke bestimmt erkennbar sind. Sind die Fahrzeuge nicht äußerlich als für die genannten Zwecke bestimmt erkennbar, z.B. bei fehlenden Aufschriften, scheidet eine Steuerbefreiung ebenfalls aus. Ferner müssen nach Satz 3 der Vorschrift Fahrzeuge, die nicht für Gebietskörperschaften zugelassen sind – wie das der Klägerin – nach ihrer Bauart und Einrichtung den bezeichneten Verwendungszwecken angepasst sein.
403. Die Voraussetzungen des § 3 Nr. 5 KraftStG liegen im Streitfall vor.
41a. Die Fahrzeuge der Klägerin werden nach Überzeugung des Gerichts ausschließlich zur Krankenbeförderung verwendet. Denn nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Klägerin werden die Fahrzeuge der Klägerin ausschließlich zur Beförderung von Personen verwendet, die derart gehbehindert sind, dass diese ein öffentliches Verkehrsmittel oder privates Fahrzeug ohne Hilfe durch Begleitpersonen und ohne medizinische Hilfemittel nicht benutzen können. Sämtliche Personen, die mit den streitrelevanten Fahrzeugen befördert werden, sind kranke Personen, die nicht in der Lage sind, selbstständig oder mit einfacher Unterstützung ihre Wohnung zu verlassen. Die kranken Personen werden zu Ärzten befördert. Diese Umstände sind zwischen den Beteiligten unstreitig und bedürfen daher keiner weiteren Erörterung.
42b. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin mit ihren Krankenfahrzeugen auch gesunde Personen im Streitzeitraum befördert hat, haben sich nicht ergeben und sind vom Beklagten auch nicht behauptet worden.
43c. Schließlich sind alle streitrelevanten Fahrzeuge der Klägerin auch äußerlich als für den Verwendungszweck „zur Krankenbeförderung“ bestimmt erkennbar und nach ihrer Bauart und Einrichtung diesem Verwendungszweck angepasst. Denn die Fahrzeuge sind mit „Krankenfahrten A“ äußerlich beschriftet und für Krankenfahrten im vorgenannten Sinne entsprechend ausgerüstet. Alle streitrelevanten Fahrzeuge verfügen über die technischen Voraussetzungen, um Personen mit einem Rollstuhl, Tragestuhl oder liegend zu befördern.
44D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
45E. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
46F. Die Revision wurde zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), und weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO).