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I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 316 Abs. 1 Buchst. b Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(im Folgenden: MwStSystRL) dahingehend auszulegen, dass steuerpflichtige Wiederverkäufer die Differenzbesteuerung auch auf die Lieferung von Kunstgegenständen anwenden können, die ihnen vom Urheber oder von dessen Rechtsnachfolger, bei denen es sich nicht um Personen i.S.v. Art 314 MwStSystRL handelt, innergemeinschaftlich geliefert wurden?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Erfordert es Art. 322 Buchst. b MwStSystRL dem Wiederkäufer das Recht auf Vorsteuerabzug aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb der Kunstgegenstände zu versagen, auch wenn es keine nationale Vorschrift gibt, die eine entsprechende Regelung enthält?
Gründe:
2Streitig ist die Anwendbarkeit der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die zuvor innergemeinschaftlich erworben wurden.
3Der Kläger ist Kunsthändler. Er betreibt Galerien in mehreren Städten. Er erklärte zu Beginn des Streitjahres 2014 gegenüber dem Beklagten, dem Finanzamt J, dass er die Differenzbesteuerung auf Kunstgegenstände anwende. Im Laufe des Jahres bezog er unter anderem Lieferungen von Künstlern, die im übrigen Unionsgebiet ansässig waren. Diese Lieferungen wurden von den Künstlern in ihren Ansässigkeitsstaaten jeweils als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei behandelt. Der Kläger versteuerte die innergemeinschaftlichen Erwerbe gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 13 a UStG mit dem ermäßigten Steuersatz.
4Er begehrt die Anwendung der Differenzbesteuerung auf die Lieferungen von Gegenständen, die er selbst von den Künstlern aus dem übrigen Unionsgebiet erworben hatte. Den Vorsteuerabzug machte er dabei – bislang – nicht geltend. Verfahrensrechtlich steht ihm diese Möglichkeit aber noch zu.
5Der Beklagte verweigerte die Anwendung der Differenzbesteuerung. Insgesamt führte die von der Erklärung des Klägers abweichende Behandlung der Umsätze zu einer Erhöhung der Umsatzsteuer um xxx EUR.
6Der Kläger wendet sich nach erfolglosem Einspruch im Klagewege gegen die Umsatzsteuerfestsetzung. Er macht geltend, dass die nationale Regelung in § 25 a Abs. 7 Nr. 1 a UStG nicht unionsrechtskonform sei und beruft sich auf die unmittelbare Anwendung von Art. 316 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL.
7II.
8Die maßgeblichen Vorschriften und Bestimmungen:
91. Unionsrecht:
Artikel 314
12Die Differenzbesteuerung gilt für die Lieferungen von Gebrauchtgegenständen, Kunstgegenständen, Sammlungsstücken und Antiquitäten durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer, wenn ihm diese Gegenstände innerhalb der Gemeinschaft von einer der folgenden Personen geliefert werden:
13a) von einem Nichtsteuerpflichtigen;
14b) von einem anderen Steuerpflichtigen, sofern die Lieferungen des Gegenstands durch diesen anderen Steuerpflichtigen gemäß Artikel 136 von der Steuer befreit ist;
15c) von einem anderen Steuerpflichtigen, sofern für die Lieferung des Gegenstands durch diesen anderen Steuerpflichtigen die Steuerbefreiung für Kleinunternehmen gemäß den Artikeln 282 bis 292 gilt und es sich dabei um ein Investitionsgut handelt;
16d) von einem anderen steuerpflichtigen Wiederverkäufer, sofern die Lieferung des Gegenstands durch diesen anderen steuerpflichtigen Wiederverkäufer gemäß dieser Sonderregelung mehrwertsteuerpflichtig ist.
17Art. 316
18(1) Die Mitgliedstaaten räumen den steuerpflichtigen Wiederverkäufern das Recht ein, die Differenzbesteuerung bei der Lieferung folgender Gegenstände anzuwenden:
19[…]
20b) Kunstgegenstände, die ihnen vom Urheber oder von dessen Rechtsnachfolgern geliefert wurden;
21[…]
22Artikel 322
23Sofern die Gegenstände für Lieferungen verwendet werden, die der Differenzbesteuerung unterliegen, darf der steuerpflichtige Wiederverkäufer von seiner Steuerschuld folgende Beträge nicht abziehen:
24[…]
25b) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer auf Kunstgegenstände, die ihm vom Urheber oder von dessen Rechtsnachfolgern geliefert werden;
26[…]
272. Nationales Recht:
28Umsatzsteuergesetz (UStG)
29§ 25 a Differenzbesteuerung
30(1) Für die Lieferungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 von beweglichen körperlichen Gegenständen gilt eine Besteuerung nach Maßgabe der nachfolgenden Vorschriften (Differenzbesteuerung), wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
311. Der Unternehmer ist ein Wiederverkäufer. 2Als Wiederverkäufer gilt, wer gewerbsmäßig mit beweglichen körperlichen Gegenständen handelt oder solche Gegenstände im eigenen Namen öffentlich versteigert.
322. Die Gegenstände wurden an den Wiederverkäufer im Gemeinschaftsgebiet geliefert. 2Für diese Lieferung wurde
a) Umsatzsteuer nicht geschuldet oder nach § 19 Abs. 1 nicht erhoben oder
35b) die Differenzbesteuerung vorgenommen.
36[…]
37(2) 1Der Wiederverkäufer kann spätestens bei Abgabe der ersten Voranmeldung eines Kalenderjahres gegenüber dem Finanzamt erklären, dass er die Differenzbesteuerung von Beginn dieses Kalenderjahres an auch auf folgende Gegenstände anwendet:
38[…]
392. Kunstgegenstände, wenn die Lieferung an ihn steuerpflichtig war und nicht von einem Wiederverkäufer ausgeführt wurde.
402Die Erklärung bindet den Wiederverkäufer für mindestens zwei Kalenderjahre.
41(3) 1Der Umsatz wird nach dem Betrag bemessen, um den der Verkaufspreis den Einkaufspreis für den Gegenstand übersteigt; […] 5Im Fall des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 schließt der Einkaufspreis die Umsatzsteuer des Lieferers ein.
42[…]
43(5) 1Die Steuer ist mit dem allgemeinen Steuersatz nach § 12 Abs. 1 zu berechnen. 2Die Steuerbefreiungen, ausgenommen die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchstabe b, § 6a), bleiben unberührt. 3Abweichend von § 15 Abs. 1 ist der Wiederverkäufer in den Fällen des Absatzes 2 nicht berechtigt, die entstandene Einfuhrumsatzsteuer, die gesondert ausgewiesene Steuer oder die nach § 13b Absatz 5 geschuldete Steuer für die an ihn ausgeführte Lieferung als Vorsteuer abzuziehen.
44[…]
45(7) Es gelten folgende Besonderheiten:
461. Die Differenzbesteuerung findet keine Anwendung
47a) auf die Lieferungen eines Gegenstands, den der Wiederverkäufer innergemeinschaftlich erworben hat, wenn auf die Lieferung des Gegenstands an den Wiederverkäufer die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen im übrigen Gemeinschaftsgebiet angewendet worden ist,
48[…]
49§ 15 Vorsteuerabzug
50(1) 1Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:
511. die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.
[…]
54III.
55Der Senat setzt das Klageverfahren entsprechend § 74 FGO aus und legt dem EuGH gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV die im Tenor des Beschlusses bezeichneten Fragen zur Vorabentscheidung vor.
56Die Entscheidung im Streitfall hängt von der Beantwortung der vorgelegten Fragen ab. Sollte der Gerichtshof entscheiden, dass ein Wiederverkäufer die Differenzbesteuerung – ohne weitere Voraussetzungen – auch auf die Lieferung von Kunstgegenständen anwenden kann, die ihm zuvor vom Urheber oder von dessen Rechtsnachfolger innergemeinschaftlich geliefert worden sind, wäre die vom Kläger begehrte Differenzbesteuerung anzuwenden. Die Beantwortung der zweiten Frage ist bedeutsam für die Frage, ob dem Kläger in diesem Fall zusätzlich ein Recht auf Vorsteuerabzug zusteht. Zwar hat der Kläger den Vorsteuerabzug bislang nicht geltend gemacht. Verfahrensrechtlich steht ihm diese Möglichkeit aber noch zu.
57Sollte der Gerichtshof dagegen zu der Überzeugung gelangen, dass der Wiederverkäufer die Differenzbesteuerung nicht anwenden kann, wäre dem Kläger die Anwendung der Differenzbesteuerung zu versagen. Auf die Beantwortung der zweiten Frage käme es dann nicht mehr an.
581.
Der ersten Vorlagefrage liegen folgende Erwägungen des Senats zugrunde:
61Nach dem nationalen Recht findet die Differenzbesteuerung keine Anwendung auf die Lieferungen eines Gegenstands, den der Wiederverkäufer innergemeinschaftlich erworben hat, wenn auf die Lieferung des Gegenstands an den Wiederverkäufer die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen im übrigen Gemeinschafts-gebiet angewendet worden ist (§ 25 a Abs. 7 Nr. 1 a UStG). Diese Einschränkung enthält Art. 316 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL nicht. Hiernach räumen die Mitgliedstaaten den steuerpflichtigen Wiederverkäufern das Recht ein, die Differenzbesteuerung bei der Lieferung von Kunstgegenständen anzuwenden, die ihnen vom Urheber oder von dessen Rechtsnachfolgern geliefert wurden.
62In der deutschen Literatur wird die nationale Regelung teilweise als mit dem Unionsrecht unvereinbar angesehen. Die Regelung verursache eine Wettbewerbsverzerrung, die mit dem Neutralitätsprinzip als Fundamentalprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuer-systems unvereinbar sei (Lippross, UR 2015, 618; siehe auch: Stadie in Rau / Dürrwächter, UStG, § 25 a, Rn. 111, Stand: April 2015). Rechtsprechung zu dieser Frage liegt – soweit ersichtlich – nicht vor.
63Der Senat ist der Auffassung, dass die Vorschrift des Art. 316 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL im systematischen Zusammenhang mit Art. 314 MwStSystRL zu sehen ist. Die letztgenannte Vorschrift regelt den (grundsätzlichen) Anwendungsbereich für die Anwendbarkeit der Differenzbesteuerung, u.a. auch für die Lieferung von Kunstgegenständen. Hiernach kommt die Differenzbesteuerung zur Anwendung, wenn dem Wiederverkäufer die Kunstgegenstände zuvor von bestimmten, im Einzelnen aufgeführten Personen geliefert worden sind. Sollte der Urheber bzw. dessen Rechtsnachfolger, der die Kunstgegenstände an den Wiederverkäufer innergemeinschaftlich geliefert hat, nicht von den in Art. 314 MwStSystRL genannten Personengruppen erfasst sein, dann kommt die Vorschrift des Art. 316 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL nicht zur Anwendung mit der Folge, dass in Fällen wie dem Vorliegenden, eine Differenzbesteuerung ausscheidet.
642.
65Nur für den Fall, dass der Gerichtshof die erste Vorlagefrage bejaht, stellt sich sodann die Frage, ob dem Kläger das Recht auf Vorsteuerabzug aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb der Kunstgegenstände zu versagen ist, auch wenn es keine nationale Vorschrift gibt, die eine entsprechende Regelung enthält.
66Der vorlegende Senat ist der Auffassung, dass es erforderlich ist, den Vorsteuerabzug zu versagen, weil es sonst zu einer – systemwidrigen – doppelten Begünstigung käme (siehe auch: Lippross, UR 2015, 618). Der Kläger hätte auf der einen Seite den Vorteil der Anwendbarkeit der Differenzbesteuerung zu seinen Gunsten und auf der anderen Seite das Recht auf Vorsteuerabzug. Der Senat geht weiter davon aus, dass sich der Kläger nur unmittelbar auf das System der Differenzbesteuerung in seiner Gesamtheit und damit auf die Art. 312 bis 325 MwStSystRL zu seinem Vorteil berufen könnte. Darin eingeschlossen wäre auch die Versagung des Vorsteuerabzugs gem. Art. 322 Buchst. b MwStSystRL. Dies wäre erforderlich, um dem Unionsrecht zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen.