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Die Umsatzsteuerbescheide 2007 bis 2009, 2011 und 2012 vom 7.1.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.3.2015 werden dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer auf 3.111,59 € (2007), 3.406,27 € (2008), 2.142,47 € (2009), 2.357,08 € (2011) und 2.886,33 € (2012) festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Streitig ist die Steuerfreiheit der Tätigkeit als Kurberaterin.
3Die Klägerin, die mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wird, ist gelernte Kinderkrankenpflegerin mit Fortbildungen u.a. in den Bereichen der Frühchen-/Baby- und Kleinkindmassage, Rückbildungsgymnastik, Aromatherapie, -pflege und –kosmetik und der Aromareflexzonenmassage. Nach Beendigung ihrer Ausbildung im Sommer 1991 arbeitete die Klägerin bis 2002 zunächst auf verschiedenen Kinder- bzw. Neugeborenenstationen diverser Kliniken. Als sich ihre familiäre Situation änderte, gab sie die Tätigkeit als Kinderkrankenschwester auf. In den Jahren 1996-2009 leitete sie zudem Babymassagekurse, die einen zeitlichen Umfang von ca. ein bis anderthalb Stunden pro Woche ausmachten. Seit 1999 ist die Klägerin in der Mutter/Vater-Kind-Kurberatung für … e. V. tätig. Die Tätigkeit als Kurberaterin hatte einen zeitlichen Umfang von anfangs ca. einer Stunde pro Tag mit einer Steigerung auf ca. 2-4 Stunden täglich in 2012. Weitere Tätigkeiten beruflicher Art übte die Klägerin hierneben nicht aus. Wegen des Lebenslaufs der Klägerin wird auf den vorgelegten Lebenslauf und die vorgelegten Zeugnisse und Zertifikate Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 6 ff.).
4Ihre Tätigkeit als Kurberaterin für … e. V. bestand darin, vorwiegend Müttern, die beabsichtigen, eine Mutter-Kind-Kur durchzuführen, bei der Antragstellung und Auswahl der Kurkliniken zu beraten. Als Entgelt für diese Tätigkeit erhielt sie von den Kurkliniken für jede vermittelte Person eine Vermittlungsprovision. Für die Mütter und Väter waren ihre Tätigkeiten hingegen kostenfrei.
5Die Klägerin gab für die Streitjahre keine Umsatzsteuererklärungen ab, da sie davon ausging, dass die von ihr erzielten Erlöse umsatzsteuerfrei seien. In den Einkommensteuererklärungen erklärte sie betreffend ihre Tätigkeit als Kurberaterin Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit. In ihren Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) waren Betriebseinnahmen in Höhe von 21.766,99 € (2007), 24.518,26 € (2008), 16.024,34 € (2009), 11.754,44 € (2010), 16.995,50 € (2011) und 21.926,26 € (2012) ausgewiesen.
6Bei der Klägerin wurde eine Außenprüfung für die Streitjahre durchgeführt. Die Prüfung begann in 2013 für die Jahre 2010 bis 2012 und in 2014 für die Jahre 2007 bis 2009. Die Prüferin vertrat die Auffassung, dass die Umsätze der Klägerin als Kurberaterin umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig seien. Zudem stellte sie fest, dass die laut den vorgelegten Kontoauszügen erzielten Einnahmen der Klägerin die im Rahmen der Einkommensteuererklärungen für 2008, 2010 und 2011 erklärten Einnahmen zum Teil erheblich überstiegen. Zudem habe die Klägerin für die Jahre 2007-2009 keine Eingangs- und Ausgangsrechnungen vorgelegt, so dass wegen des Verstoßes gegen Aufzeichnungspflichten eine Schätzungsnotwendigkeit bestehe. Die Prüferin nahm deshalb Hinzuschätzungen i.H.v. 1.000,00 € jährlich für die Jahre 2007-2011 vor. In den Jahren 2007-2009 könne von der Kleinunternehmerregelung des § 19 Umsatzsteuergesetz (UStG) kein Gebrauch gemacht werden, da die Umsätze des jeweiligen Vorjahres die Grenze von 17.500 € überschritten hätten. Da 2009 aber die Einnahmen die Kleinunternehmergrenze von 17.500 € unterschritten hätten, könne für 2010 die Kleinunternehmerregelung angewendet werden. Ab 2011 würden die Umsätze wieder der Regelbesteuerung unterliegen. So würde sich Folgendes ergeben:
72007 |
2008 |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
|
Erklärte Einnahmen |
21.766,99 |
24.518,26 |
16.024,34 |
11.754,44 |
16.995,50 |
21.926,26 |
Einnahmen lt. Bp |
23.279,99 |
25.872,12 |
16.024,34 |
18.389,12 |
17.573,50 |
21.926,26 |
Hinzuschätzung |
1.000,00 |
1.000,00 |
1.000,00 |
- |
1.000,00 |
- |
Bruttoumsätze |
24.279,99 |
26.872,12 |
17.024,34 |
18.389,12 |
18.573,50 |
21.926,26 |
USt |
3.876,64 |
4.290,51 |
2.718,17 |
0,00 |
2.965,52 |
3.500,83 |
Vorsteuer |
605,38 |
724,57 |
416,04 |
448,77 |
614,50 |
|
Festzusetzende USt |
3.271,26 |
3.565,94 |
2.302,13 |
0,00 |
2.516,75 |
2.886,33 |
Es wird Bezug auf den Prüfungsbericht vom 20.11.2014 Bezug genommen.
9Im Nachgang zur Betriebsprüfung erließ der Beklagte für die Streitjahre erstmalige Umsatzsteuerbescheide vom 7.1.2015, mit denen er die Prüfungsfeststellungen umsetzte und die Umsatzsteuer auf 3.271,17 € (2007), 3.566,08 € (2008), 2.302,14 € (2009), 2.516,72 € (2011) und 2.886,25 € (2012) festsetzte.
10Hiergegen erhob die Klägerin Einsprüche. Die Umsätze seien steuerfrei, da sie Leistungen für die gesetzlichen Versicherungsträger erbringe. Die hieraus entstehenden Folgeleistungen seien ebenfalls von der Umsatzsteuer befreit, so dass ein einheitlicher Tatbestand zu sehen sei.
11Mit Einspruchsentscheidung vom 12.3.2015 wies der Beklagte die gegen die Festsetzungen eingelegten Einsprüche wegen Umsatzsteuer 2007-2009, 2011 und 2012 als unbegründet zurück. Die Umsätze der Klägerin aus der Kurberatung seien zu Recht als umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig behandelt worden. Die Befugnis zu den Hinzuschätzungen ergebe sich aus den festgestellten Aufzeichnungsmängeln. Einwendungen gegen die Höhe der Hinzuschätzungen habe die Klägerin nicht vorgetragen.
12Hierauf hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie ausführt:
13Die von ihr, der Klägerin, erbrachten Leistungen seien nach § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfrei. Die Leistungen seien nicht nur auf die Vermittlung von Mutter-Kind-Kuren und das damit verbundene Antragsverfahren beschränkt. Vielmehr erbringe sie, bevor es zu einer Empfehlung komme, heiltherapeutische Leistungen, die speziell den betroffenen Müttern und Kindern zugutekommen und in einer Empfehlung für eine Kurklinik abgeschlossen werden würden. Sie erbringe eine Beratung innerhalb der therapeutischen Kette, angefangen von telefonischen Kontakten zu Mutter oder Vater, über Beratungsgespräche und Beantragung der Kur bei den Krankenkassen bis hin zu Tätigkeiten auch während und nach der Kurmaßnahme. Wegen der Tätigkeiten im Einzelnen wird auf die Ausführungen der Klägerin Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 58 ff.). Ihre gesamten Beratungen und Tätigkeiten seien für die Mütter und Väter kostenlos. Sie führe die Tätigkeiten auch dann aus, wenn im Anschluss an die Beratung tatsächlich keine Vermittlung durch sie stattfinde.
14Außerdem führe sie ihre Kurberatungstätigkeit nicht gewinnorientiert durch. Die ihr gezahlten Pauschalen seien lediglich als angemessene Entschädigung für Zeitversäumnis anzusehen, so dass sie faktisch ehrenamtlich im Sinne von § 4 Nr. 26b UStG tätig sei. Die Pauschalen, die sie von den Kurkliniken erhalte, würden zwischen 1,00 €/Tag und Person bis max. 200,00 € pro Kur variieren. Diese Aufwandsentschädigung werde pauschal unabhängig vom jeweiligen Aufwand zur Beantragung einschließlich eines eventuell durchgeführten Widerspruchsverfahrens entrichtet. Sollte eine Kur nicht zustande kommen bzw. erfolge eine direkte Vermittlung der Krankenkasse in eine eigene Klinik, würde sie in der Regel keine Entschädigung bis auf einen Unkostenpauschalbetrag von 10,00 € durch … e. V. bei geplanter Vermittlung in eine Klinik der Arbeitsgemeinschaft Eltern-Kind-Kliniken erhalten. Bei vorzeitig beendeter Kur würde die Vermittlungspauschale entsprechend gekürzt. Sollte eine Kur über den Gesundheitsservice der BKK durchgeführt werden, betrage die Entschädigung zwischen 0,00 € und ca. der Hälfte des erwarteten Betrags. Da sie, die Klägerin, nicht gewinnorientiert arbeite, werde sie auch tätig, wenn eine Vermittlung in Häuser erfolge, die nur eine minimale Vermittlungsgebühr zahlen würden bzw. auch dann, wenn eine Vermittlung durch sie selbst gar nicht stattfinden werde.
15Die Klägerin beantragt,
16die Umsatzsteuerbescheide 2007 bis 2009, 2011 und 2012 vom 7.1.2015 und die Einspruchsentscheidung vom 12.3.2015 aufzuheben,
17hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
18Der Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Ergänzend zu den Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 12.3.2015 führt der Beklagte aus, dass keine nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfreien Leistungen vorliegen würden. Die Annahme eines einheitlichen Tatbestands und die daraus resultierende Steuerfreiheit seien zu verneinen. Die ausgeübte Tätigkeit diene ihrem Hauptzweck nach weder der Behandlung, Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit, sondern der Vermittlung an eine Kurklinik. Bei den erbrachten Leistungen der Klägerin handele es sich um steuerpflichtige Beratungsleistungen.
21Die vorgenommenen Hinzuschätzungen für die Jahre 2007-2009 und 2011 seien dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden. Aufgrund der von der Klägerin nicht erklärten Erlöse (2008: 1.353,86 €, 2010: 6.634,68 €, 2011: 578,00 €) und der festgestellten Aufzeichnungsmängel (keine Vorlage von Eingangs- und Ausgangsrechnungen 2007-2009) sei die gesetzliche Vermutung der Beweiskraft der Aufzeichnungen nicht mehr gegeben, so dass Hinzuschätzungen hätten vorgenommen werden dürfen. Es sei gerechtfertigt, bei einer Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen, insbesondere bei einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung, einen Sicherheitszuschlag vorzunehmen. Die Sicherheitszuschläge würden vorliegend durchschnittlich 4,83 % brutto betragen und somit verhältnismäßig sein. Es sei hierbei zu bedenken, dass im Rahmen der Betriebsprüfung nur das betriebliche Konto der Klägerin abgeglichen worden sei. Es sei daher ungeklärt, ob gegebenenfalls auch Scheckeinreichungen auf anderen Konten erfolgt seien.
22In der Sache hat am 9.3.2017 ein Erörterungstermin vor der damaligen Berichterstatterin, der nunmehrigen Einzelrichterin, stattgefunden. Auf das Erörterungsprotokoll wird Bezug genommen.
23Auf gerichtliche Aufforderung hat die Klägerin zu den in der Aufstellung des Prüfers zu den Zahlungseingängen auf ihrem Konto aufgeführten „Einreicherschecks“ nachgewiesen, dass zwei „Einreicherschecks“ über insgesamt 220,50 €, dem Konto der Klägerin gutgeschrieben am 16.5.2011, ein „Einreicherscheck“ über 94,50 €, dem Konto der Klägerin gutgeschrieben am 28.7.2011, und zwei „Einreicherschecks“ über insgesamt 129,00 €, dem Konto der Klägerin gutgeschrieben am 18.8.2011, Vergütungen ihrer Tätigkeit als Kurberaterin betrafen (Gerichtsakte Bl. 81R f., 103 f.).
24Mit Beschluss vom 8.6.2017 ist der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden.
25Entscheidungsgründe:
26Die Klage, über die die Einzelrichterin im Einvernehmen der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist überwiegend unbegründet.
271. Der Umsatzsteuerbescheid 2012 vom 7.1.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.3.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Umsatzsteuerbescheide 2007 bis 2009 und 2011 vom 7.1.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.3.2015 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, da der Beklagte zu Unrecht Hinzuschätzungen von jährlich 1.000,00 € brutto vorgenommen hat.
28Der Beklagte hat die Umsätze der Klägerin aus ihrer Tätigkeit als Kurberaterin zu Recht als umsatzsteuerpflichtig berücksichtigt. Es greift weder die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG noch die nach § 4 Nr. 26b UStG.
29a. Die Umsätze der Klägerin als Kurberaterin sind nicht umsatzsteuerfrei gemäß § 4 Nr. 14 UStG.
30Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG in der Fassung bis 31.12.2008 waren die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker umsatzsteuerfrei. Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG in der Fassung ab 1.1.2009 sind umsatzsteuerfrei Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden.
31Neben der beruflichen Befähigung des Leistenden muss es sich bei den streitigen Umsätzen daher um Heilbehandlungen handeln. Denn die Vorschriften des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG in der Fassung bis 31.12.2008 und des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG in der Fassung ab 1.1.2009 setzen Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) (bis Ende 2006 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG – 6. EG-Richtlinie) in nationales Recht um. Danach befreien die Mitgliedstaaten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, von der Steuer. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der 6. EG-Richtlinie und Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der MwStSystRL sind in gleicher Weise auszulegen; daher kann auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der 6. EG-Richtlinie weiterhin zur Auslegung herangezogen werden (vgl. EuGH-Urteil vom 10.6.2010 C-86/09 – Future Health Technologies –, Slg. 2010, I-5215, UR 2010, 540, Rz 26 f.; BFH-Urteile vom 1.10.2014 XI R 13/14, BFH/NV 2015, 451 und vom 5.11.2014 XI R 11/13, BFH/NV 2015, 297).
32Der Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ ist ein autonomer unionsrechtlicher Begriff (vgl. EuGH-Urteile vom 20.11.2003 C-212/01 – Unterpertinger –, Slg. 2003, I-13859, BFH/NV Beilage 2004, 111, Rz 35; vom 20.11.2003 C-307/01 – D' Ambrumenil –, Slg. 2003, I-13989, BFH/NV Beilage 2004, 115, Rz 53) und umfasst Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (EuGH-Urteil vom 8.6.2006 C-106/05 – L.u.P. –, Slg. 2006, I-5123, BFH/NV Beilage 2006, 442, Rz 27; BFH-Urteil vom 12.8.2004 V R 27/02, BFH/NV 2005, 583). Dagegen sind Leistungen, die keinem therapeutischen Ziel dienen, keine Heilbehandlungen (vgl. EuGH-Urteil vom 14.9.2000 C-384/98 – D. –, Slg. 2000, I-6795, BFH/NV Beilage 2001, 31, Rz 18 f.; BFH-Urteil vom 15.7.2004 V R 27/03, BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862). Bei der Frage, ob eine Leistung therapeutischen oder anderen Zwecken dient, geht es um die Beurteilung einer medizinischen Frage, die auf medizinischen Feststellungen beruhen muss, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind; die rein subjektive Vorstellung, die der Patient von der Leistung hat, ist als solche für die Beurteilung, ob diese einem therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich (vgl. EuGH-Urteil vom 21.3.2013 C-91/12 – PFC Clinic –, HFR 2013, 458, UR 2013, 335, Rz 34 f.; s. dazu auch BFH-Beschluss vom 19.6.2013 V S 20/13, BFH/NV 2013, 1643, Rz 17).
33Zu den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gehören hierbei zwar auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, wie vorbeugende Untersuchungen und ärztliche Maßnahmen an Personen, die an keiner Krankheit oder Gesundheitsstörung leiden, sowie Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden (vgl. BFH-Urteile vom 30.4.2009 V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679 und vom 18.8.2011 V R 27/10, BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214, jeweils m.w.N.). Jedoch fehlt es bei Leistungen zur Prävention und Selbsthilfe im Sinne des § 20 Abs. 1 SGB V an einem solcherart verstandenen therapeutischen Zweck. Leistungen zur Primärprävention haben keinen unmittelbaren Krankheitsbezug, weil sie den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen sollen (vgl. BFH-Beschluss vom 4.10.2012 XI B 46/12, BFH/NV 2013, 273 m. w. N.; BFH-Urteile vom 7.7.2005 V R 23/04, BFHE 211, 69, BStBl II 2005, 904, Leitsatz 2; vom 30.4.2009 V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679, unter II.2.a). Etwas anderes gilt aber, wenn die entsprechenden Maßnahmen im Rahmen einer medizinischen Behandlung – aufgrund ärztlicher Anordnung oder mithilfe einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme – durchgeführt werden (vgl. BFH-Urteil vom 26.8.2014 XI R 19/12, BFHE 247, 276, BStBl II 2015, 310).
34Der Steuerpflichtige, der sich auf die Steuerbefreiung beruft, trägt die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Steuerbefreiung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24.10.2011 XI B 54/11, BFH/NV 2012, 279, Rz 9 und vom 8.4.2014 V B 38/13, BFH/NV 2014, 1106, Rz 10; BFH-Urteil vom 1.10.2014 XI R 13/14, BFH/NV 2015, 451).
35Im Streitfall hat die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als Kurberaterin keine Heilbehandlungen im Sinne der Befreiungsvorschrift erbracht. In der Leistungskette bis zum Abschluss der Kurmaßnahme stellen nur diejenigen Leistungen nach § 4 Nr. 14 UStG steuerbefreite Heilbehandlungsleistungen dar, die für sich selbst gesehen unter den Begriff der Heilbehandlung zu fassen sind. Zwar liegen den Kurmaßnahmen selbst jeweils ärztliche Verordnungen zugrunde, so dass davon ausgegangen werden kann, dass diese als heilbehandelnde Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt werden. Die in Vorbereitung dieser Kurmaßnahmen erbrachten Leistungen der Klägerin dienten hingegen nicht selbst therapeutischen Zwecken, sondern der Vermittlung von Kurkliniken, die ihrerseits dann im Rahmen ärztlich angeordneter Vorsorge- oder Reha-Maßnahmen die heilbehandelnden Maßnahmen vornehmen sollten. Die Vermittlung von Kurplätzen stellt aber noch nicht die ärztlich verordnete Heilbehandlung dar; sie ist den Heilbehandlungen vielmehr vorgeschaltet und beinhaltet noch nicht die Heilbehandlung selbst. Hieran ändert auch nichts der Umstand, dass die Leistungen der Klägerin letztlich in die Durchführung einer Kurmaßnahme mündeten bzw. münden sollten. Denn die Leistungen der Klägerin selbst dienten nicht bereits der Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen, sondern dienten erst der Vermittlung eines Platzes in einer passenden Kurklinik bzw. beinhalteten weitere Hilfestellungen für die Kurwilligen. Ärztlich verordnet waren auch nicht die Leistungen der Klägerin, sondern nur die Kurmaßnahme an sich. Die Klägerin wurde nur anlässlich einer ärztlichen Verordnung, nicht aber in Erfüllung einer ärztlichen Verordnung tätig.
36b. Die Umsätze der Klägerin als Kurberaterin sind auch nicht umsatzsteuerfrei gemäß § 4 Nr. 26 Buchst. b UStG.
37Nach § 4 Nr. 26 Buchst. b UStG ist eine ehrenamtliche Tätigkeit steuerfrei, wenn das Entgelt für diese Tätigkeit nur in Auslagenersatz und einer angemessenen Entschädigung für Zeitversäumnis besteht. Vorliegend handelt es sich bereits nicht um eine ehrenamtliche Tätigkeit. § 4 Nr. 26 UStG definiert den Begriff der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht. Nach der Rechtsprechung des BFH werden ehrenamtlich jene Tätigkeiten ausgeübt, die in einem anderen Gesetz als dem UStG ausdrücklich als solche genannt werden, die man im allgemeinen Sprachgebrauch herkömmlicherweise als ehrenamtlich bezeichnet oder die vom materiellen Begriff der Ehrenamtlichkeit umfasst werden (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 17.12.2015 V R 45/14, BStBl. II 2017,658; vom 20.8.2009 V R 32/08, BStBl. II 2010, 88; vom 14.5.2008 XI R 70/07, BStBl. II 2008, 912). Die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit als Kurberaterin ist weder in einem anderen Gesetz als dem UStG ausdrücklich als ehrenamtliche genannt noch wird sie im allgemeinen Sprachgebrauch herkömmlicherweise als ehrenamtlich bezeichnet. Die Tätigkeit ist auch nicht vom materiellen Begriff der Ehrenamtlichkeit umfasst, der das Fehlen eines eigennützigen Erwerbsstrebens, die fehlende Hauptberuflichkeit und den Einsatz für eine fremdnützig bestimmte Einrichtung voraussetzt (BFH-Urteil vom 14.5.2008 XI R 70/07, BStBl II 2008, 912; vom 4.5.1994 XI R 86/92, BStBl II 1994, 773). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Kurberatungstätigkeit der Klägerin als ihre alleinige Tätigkeit mit einem zeitlichen Umfang von anfangs ca. einer Stunde pro Tag mit einer Steigerung auf ca. 2-4 Stunden täglich in 2012 bereits eine hauptberufliche Tätigkeit darstellt und damit bereits deshalb der materielle Begriff der Ehrenamtlichkeit nicht erfüllt ist. Jedenfalls fehlt es zur Überzeugung des Gerichts hier nicht an einem eigennützigen Erwerbsstreben – unabhängig davon, ob die Klägerin auch fremdnützige Ziele – verfolgte. Denn die Entgelte aus der Kurberatung machen einen erheblichen Teil des Familieneinkommens aus. Aus den Gewinnermittlungen der Klägerin gehen Gewinne aus der Tätigkeit als Kurberaterin in Höhe von 16.668,57 € (2007), 18.796,32 € (2008), 12.224,10 € (2009), 11.012,86 € (2011) und 15.808,50 € (2012) hervor, wobei nach den Feststellungen der Betriebsprüfung die Betriebseinnahmen für die Jahre 2007, 2008, 2010 und 2011 tatsächlich noch höher als erklärt waren. Bei für sich selbst erwirtschafteten Gewinnen in dieser Größenordnung kann nicht mehr von einer allein fremdnützigen Tätigkeit gesprochen werden.
38Die (enge) richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 26 UStG ist durch das Unionsrecht geboten. Die Steuerbefreiungen des § 4 UStG sind grundsätzlich eng auszulegen, weil sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (ständige Rechtsprechung, z.B. EuGH-Urteile vom 5.7.2012 C-259/11, DTZ Zadelhoff, HFR 2012, C-259/11; vom 28.7.2011 C-350/10, Nordea, HFR 2012, 1013). Außerdem sieht die Richtlinie 77/388/EWG überhaupt keine Steuerbefreiung für ehrenamtliche Tätigkeiten vor. Lediglich eine Protokollerklärung zu Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG stellt es den Mitgliedstaaten frei, ehrenamtliche Leistungen von der Steuer zu befreien. Infolgedessen ist umstritten, inwieweit § 4 Nr. 26 UStG überhaupt im Einklang mit der Richtlinie 77/388/EWG steht (zweifelnd Kulmsee in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 4 Nr. 26 Rz 11; bejahend Handzik in Offerhaus/Söhn/Lange, § 4 UStG Nr. 26 Rz 5; verneinend Oelmaier in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 4 Nr. 26 Rz 4). Vor diesem Hintergrund gibt es keine Veranlassung, eine Tätigkeit, die weder im allgemeinen Sprachgebrauch herkömmlicherweise als ehrenamtlich bezeichnet noch vom materiellen Begriff der Ehrenamtlichkeit umfasst wird, als ehrenamtlich anzusehen.
39Darüber hinaus stellen die pauschalen Vergütungen durch die Kurkliniken auch keinen reinen Auslagenersatz und keine bloße Entschädigung für Zeitversäumnis dar. Die Höhe der Vergütungspauschalen richtet sich nach den Darstellungen der Klägerin nicht nach den der Klägerin tatsächlich entstandenen Ausgaben und auch nicht nach ihrem Zeitaufwand.
40c. Der Beklagte hat aber für die Jahre 2007 bis 2009 und 2011 zu Unrecht Hinzuschätzungen von jährlich 1.000,00 € brutto vorgenommen.
41Die Finanzbehörde hat die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln kann. Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 AO ist insbesondere zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft verweigert. Nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO gilt das Gleiche, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen, die der Steuerpflichtige zu führen hat, nicht nach § 158 AO der Besteuerung zugrunde gelegt werden können. Nach § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen nur dann der Besteuerung zu Grunde zu legen, wenn sie den Vorschriften der §§ 140 - 148 AO entsprechen und soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Die Vorschrift des § 158 AO gilt grundsätzlich für alle Bücher und Aufzeichnungen einschließlich der EDV-Datenträger; es sind alle Unterlagen gemeint, die für Zwecke der Besteuerung von Bedeutung sind. Der Regelungsbereich der Vorschrift beschränkt sich daher nicht nur auf die handelsrechtliche Buchführung i.S. der §§ 238 ff. HGB und die steuerliche Buchführung nach § 141 AO, sondern umfasst auch alle Aufzeichnungspflichten nach etwaigen Einzelsteuergesetzen, z.B. § 22 UStG (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 158 AO Rz 2).
42Vorliegend konnten die Aufzeichnungen der Klägerin für die Jahre 2007 bis 2009 und 2011 zwar nicht nach § 158 AO der Besteuerung zugrunde gelegt werden, weil anhand der vorgelegten Kontoauszüge festgestellt werden konnte, dass die Betriebseinnahmen tatsächlich höher waren als von der Klägerin aufgezeichnet, und somit Anlass bestand, die sachliche Richtigkeit der Aufzeichnungen zu beanstanden. Doch besteht trotzdem kein Raum für die vorgenommenen Hinzuschätzungen. Denn § 162 Abs. 2 AO gestattet eine Schätzung nur insoweit, als die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann. Sie darf nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO nur diejenigen Besteuerungsgrundlagen schätzen, die aufklärungsbedürftig sind und die sie nicht selbst mit zumutbaren Mitteln aufklären kann. Nur unter diesen Voraussetzungen darf sie zur Schätzung schreiten, bei der sie wiederum alle ihr bekannten Umstände berücksichtigen muss (Buciek in: Beermann/Gosch, AO/FGO, § 162 AO, Rz 36, 39; Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 158 AO Rz 32). Vorliegend hat die Prüferin die tatsächlichen, von der Klägerin jedoch nicht korrekt aufgezeichneten Umsätze anhand der Geldbewegungen auf dem betrieblichen Konto der Klägerin ermittelt und neu berechnet. Es bestehen entgegen der Auffassung des Beklagten keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin Scheckeinreichungen auch auf andere Konten vorgenommen hat. Die bloße Vermutung des Beklagten kann Zweifel an der Vollständigkeit der von der Prüferin ermittelten Umsätze nicht begründen. Es bestehen zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kurkliniken ihre Provisionsverpflichtungen auch in bar und nicht nur per Überweisung oder Scheck bezahlt haben.
43d. Die festzusetzenden Umsatzsteuern stellen sich für die Streitjahre damit wie folgt dar:
442007 |
2008 |
2009 |
2011 |
2012 |
|
Bruttoumsätze |
23.279,99 |
25.872,12 |
16.024,34 |
17.573,50 |
21.926,26 |
USt-Bemessungs-grundlage |
19.563,02 |
21.741,28 |
13.465,83 |
14.767,65 |
18.425,43 |
USt |
3.716,97 |
4.130,84 |
2.558,51 |
2.805,85 |
3.500,83 |
Vorsteuer |
605,38 |
724,57 |
416,04 |
448,77 |
614,50 |
Festzusetzende USt |
3.111,59 |
3.406,27 |
2.142,47 |
2.357,08 |
2.886,33 |
e. Die Umsatzsteuer ist vorliegend auch zu erheben, weil die Umsätze der Klägerin in sämtlichen Streitjahren die sog. Kleinunternehmergrenzen nach § 19 Abs. 1 UStG überschritten haben. Auch in 2012 ist die Klägerin nicht Kleinunternehmerin, weil auch der Gesamtumsatz des Jahres 2011 die Kleinunternehmergrenze von 17.500 € übersteigt. Denn anhand der Kontobewegungen wurde von der Betriebsprüfung für 2011 ein Gesamtumsatz i.H.v. 17.573,50 € ermittelt. Für die von der Betriebsprüfung in die Umsatzermittlung insoweit ohne weitere Bezeichnung einbezogenen „Einreicherschecks“ (Wertstellungen auf dem Konto der Klägerin am 16.5.2011, 28.7.2011 und 18.8.2011) hat die Klägerin nachgewiesen, dass es sich auch insoweit um Vergütungen für die Tätigkeit der Klägerin als Kurberaterin handelt.
462. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Nach dieser Vorschrift können einem Beteiligten die Kosten des Verfahrens ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Ein Unterliegen ist regelmäßig gering im Sinne des § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO, wenn der unterliegende Beteiligte weniger als fünf Prozent der Kosten des Verfahrens zu tragen hätte und kein ungewöhnlich hoher Streitwert vorliegt (BFH, Beschluss vom 24.05.1993 V B 33/93, BFH/NV 1994, 133). Dies ist hier der Fall. Der Beklagte unterliegt hinsichtlich der Hinzuschätzung von Umsätzen von brutto 1.000,00 € für die Jahre 2007 bis 2009 und 2011 zu insgesamt 4,4 %. Angesichts des im Streitfall nicht ungewöhnlich hohen Streitwerts (14.542,41 €) ist es ermessensgerecht, der Klägerin trotz ihres teilweisen Obsiegens sämtliche Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
473. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO benannten Zulassungsgründe vorliegt.