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Der Erbschaftsteuerbescheid vom 00.00.2014 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom .12.2014 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Entscheidung wurde durch Beschluss vom 16.05.2017 berichtigt.
2Tatbestand
3Streitig ist, ob dem Erlass eines Änderungsbescheides der Eintritt der Festsetzungsfrist entgegensteht, und ob, wenn der Änderungsbescheid noch erlassen werden durfte, dieser wirksam bekanntgegeben ist, ob der Beklagte aus anderen Gründen am Erlass des Änderungsbescheides gehindert war und letztendlich, ob dem Kläger die Optionsverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG in der im Streitjahr geltenden Fassung zusteht.
4Der Vater des Klägers ist am 00.00.0000 verstorben und aufgrund notariellen Erbvertrags von 00.00.0000 (URNr. 00/0000 der Notarin T, B) vom Kläger zur Hälfte neben seiner Mutter beerbt worden Der Erblasser hatte in Ziffer 5 des Erbvertrags Testamentsvollstreckung angeordnet. Zum Testamentsvollstrecker ist Rechtsanwalt N ernannt worden.
5Aufgrund der „Teilungsanordnung, Sonderregelung“ in Ziffer 3 des Erbvertrages erwarb der Kläger aus dem Nachlass u. a. basierend auf Ziffer 3.1 a) des Erbvertrages die Gesellschaftsanteile an der E-B GmbH (GmbH; HRB 0000 Amtsgericht U) und auf Ziffer 3.1 b) des Erbvertrages die Gesellschaftsanteile an der E 2 GmbH & Co KG (KG; HRA 0000 Amtsgericht U) sowie der E 3 Verwaltungs-GmbH.
6Der Erblasser hielt an der KG und der E 3 Verwaltungs-GmbH jeweils 80 %. Beteiligte der GmbH waren seit dem 02.11.2004 neben dem Kläger (82 %) und dem Erblasser (16,4 %) auch die E 3 Stiftung mit 1,6 %. Mit notariellem Vertrag vom 02.11.2004 (URNr. 000/0000 der Notarin T, B) war das Kapital der GmbH zur Aufnahme der E 3 Stiftung erhöht worden. Der Gesellschaftsvertrag der GmbH (GmbH-Satzung) wurde in der Anlage dieser Urkunde neu gefasst. Ausweislich dieser GmbH-Satzung (Ziffer 5) bedurften Gesellschafterbeschlüsse einer Mehrheit von mehr als 75 %, wobei der E 3 Stiftung unabhängig von der Höhe ihres Geschäftsanteils 25 % der Stimmrechte zustanden. Nach Ziffer 8 der GmbH-Satzung bedurfte die Verfügung über Geschäftsanteile zu ihrer Wirksamkeit eines einstimmigen Beschlusses der Gesellschafterversammlung. Ferner war eine Verpflichtung zur Andienung der Anteile gegenüber Mitgesellschaftern geregelt. Weder die Andienungspflicht noch das Zustimmungserfordernis griffen ein, wenn die Übertragung an einen Mitgesellschafter oder dessen Abkömmling erfolgen sollte. Auf den Vertrag vom 02.11.2004 und die neu gefasste GmbH-Satzung vom 04.11.2004 wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
7Bereits mit Vertrag vom 09.05.2000, auf den verwiesen wird, hatte der Kläger mit dem Erblasser die wechselseitige Stimmbindung in Bezug auf die GmbH-Anteile vereinbart.
8Mit Schreiben vom 18.12.2008 zeigten die Prozessbevollmächtigten (L) dem Beklagten an, dass sie der Testamentsvollstrecker mit der Bearbeitung der Erbschaftsteuererklärung beauftragt habe.
9Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 29.05.2009 die Versteuerung des Erbfalls nach dem ab dem 01.01.2009 geltenden Erbschaftsteuergesetz. Im Rahmen der von den Prozessbevollmächtigten abgegebenen Erbschaftsteuererklärung vom 08.10.2009 erklärte der Testamentsvollstrecker unwiderruflich, eine Steuerbefreiung von 100 % (§ 13 a Abs. 8 ErbStG) für das nach § 13b Abs. 1 und 2 ErbStG begünstigte Vermögen in Anspruch zu nehmen.
10Der Beklagte erteilte dem Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung (Finanzamt für GKBP) am 23.03.2010 einen Prüfungsauftrag wegen des Erbfalls gegenüber dem Kläger und der Miterbin.
11Das Finanzamt D erließ am 23.12.2010 einen Bescheid zur gesonderten und einheitlichen Feststellung des Werts des Anteils am Betriebsvermögen der KG in Höhe von 569.970 Euro. Die Verwaltungsvermögensquote wurde nachrichtlich mit 47 % mitgeteilt.
12Am 21.01.2011 erließ das Finanzamt D den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Wertes hinsichtlich des GmbH-Anteils von 16,4 % in Höhe von X Euro. Die Verwaltungsvermögensquote gab es nachrichtlich mit 0 % an (unter „E. Nachrichtliche Angaben“ des Bescheids). Zur Wertermittlung enthält der Bescheid folgenden Hinweis: „Die Wertermittlung ist nicht beigefügt, da die Feststellung im Rahmen der BP abgestimmt wurde.“
13Mit Schreiben vom 25.03.2011 teilte das Finanzamt für GKBP dem Beklagten u. a. folgendes mit:
14„…wie am 18.03.11 telefonisch besprochen übersende ich die mit Herrn L abgesprochene Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer.
15Weitere Erläuterungen zur Ermittlung ergeben sich aus dem Betriebsprüfungsbericht für die Miterbin E 4. Da für Herrn E 1 keine abweichenden Grundlagen ermittelt wurden, habe ich auf eine Prüfungsanordnung gegen Herrn E 1 verzichtet.“
16Die Erbschaftsteuer setzte der Beklagten mit Bescheid vom 30.03.2011 auf X Euro unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO fest. Hierbei gewährte er für die GmbH-Anteile im Wert von X Euro die Steuerbefreiung des § 13a EStG in Höhe von 100 % (Optionsverschonung, § 13a Abs. 8 ErbStG). Den KG-Anteil berücksichtigte er in voller Höhe mit einem Wert von X Euro. Den Bescheid gab er den Prozessbevollmächtigten „als Empfangsbevollmächtigte des Testamentsvollstreckers Herrn N im Erbfall Herrn E 3 für den Erwerber E 1“ bekannt.
17Der Kläger legte, vertreten durch die Prozessbevollmächtigten, Einspruch ein und wandte sich dagegen, dass für den KG-Anteil weder die Optionsverschonung noch die Regelverschonung angewendet worden sei.
18Der Kläger beantragte in einem von ihm selbst verfassten Schreiben vom 16.09.2011 für die GmbH-Anteile die Optionsverschonung und für die KG-Anteile die Regelverschonung.
19Aufgrund ergangener Grundbesitzwertfeststellungen änderte der Beklagte die Erbschaftsteuerbescheide am 18.07.2011 sowie am 19.09.2011 und setzte die Erbschaftsteuer, weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, auf 113.164 Euro bzw. 115.862 Euro fest. Die Bescheide gab er den Prozessbevollmächtigten „als Empfangsbevollmächtigte des Testamentsvollstreckers Herrn N im Erbfall Herrn E 3 für den Erwerber E 1“ bekannt.
20Der Beklagte wies den Einspruch unter Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung als unbegründet zurück. Inhaltsadressat der Einspruchsentscheidung ist der Kläger, bekannt gegeben hat der Beklagte die Einspruchsentscheidung den Prozessbevollmächtigten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 19.10.2011 Bezug genommen.
21Der Kläger erhob Klage, die unter dem Aktenzeichen 3 K 3969/11 Erb anhängig war. Er hatte die Prozessbevollmächtigten, die Sozietät O, WP/VBP/StB, U zur uneingeschränkten Vertretung im Klageverfahren vor dem Finanzgericht Münster gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts M unter Angabe der Steuernummer vom 19.10.2011 bevollmächtigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Vollmacht vom 26.10.2011 Bezug genommen, Blatt 23 der Gerichtsakte 3 K 3969/11 Erb.
22Während des Klageverfahrens erließ der Beklagte am 02.02.2012 einen Änderungsbescheid unter Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung und setzte die Erbschaftsteuer auf X Euro herab. Den Bescheid gab er den Prozessbevollmächtigten „als Empfangsbevollmächtigte des Testamentsvollstreckers Herrn N im Erbfall Herrn E 3 für den Erwerber E 1“ bekannt.
23Am 18.03.2013 änderte der Beklagte den Bescheid unter Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung erneut, wobei es bei der Steuerfestsetzung auf X Euro blieb. Den Bescheid gab er den Prozessbevollmächtigten „als Prozessbevollmächtigte des Testamentsvollstreckers Herrn N im Erbfall Herrn E 3 für den Erwerber E 1“ bekannt.
24Am 09.12.2013 erließ der Beklagte einen weiteren Änderungsbescheid, in dem ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 AO im Hinblick auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaft- und Schenkungssteuergesetzes aufgenommen worden ist. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb weiter bestehen. Den Bescheid gab er den Prozessbevollmächtigten „als Prozessbevollmächtigte im Erbfall Herrn E 3 für den Erwerber E 1“ bekannt.
25Mit Urteil vom 09.12.2013 wies der 3. Senat des Finanzgerichts Münster die Klage in dem Klageverfahren 3 K 3969/11 ab und ließ die Revision zu. Das Urteil ist am 06.01.2014 bei den Prozessbevollmächtigten und am 09.01.2014 bei dem Beklagten eingegangen; auf die am 06.01.2014 und am 10.01.2014 beim Gericht eingegangenen Empfangsbekenntnisse wird Bezug genommen, Blatt 149 und Blatt 150 der Gerichtsakte 3 K 3969/11 Erb.
26Mit Schreiben vom 16.01.2014 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er den Erbschaftsteuerbescheid nach § 164 Abs. 2 AO ändern und die Optionsverschonung für den Erwerb der GmbH-Anteile nicht mehr gewähren werde. Da die Optionsverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG unwiderruflich beantragt und diese auch nur einheitlich ausgeübt werden könne, komme für den Erwerb der Anteile an der KG allein auch nicht die Regelverschonung zum Tragen. Hintergrund für das Schreiben des Beklagten war das Urteil des 3. Senats, in dem folgende Ausführungen gemacht werden:
27„Nicht abschließend zu entscheiden ist die Frage, ob in Bezug auf den erworbenen GmbH-Anteil in Höhe von 16,4 % überhaupt die Verschonungsvoraussetzungen erfüllt sind, da eine Verböserung der Steuerfestsetzungen im finanzgerichtlichen Verfahren aber nicht in Betracht gekommen wäre“ (wird ausgeführt).
28Mit am 23.01.2014 beim Finanzgericht und damit innerhalb der Rechtsmittelfrist eingegangenem Schreiben erklärte der Kläger den Verzicht auf die Einlegung der Revision; Blatt 153 der Gerichtsakte 3 K 3969/11 Erb. Dem Beklagten wurde dieses Schreiben vom Gericht mit Fax vom 23.01.2014 übermittelt. Den Verzicht auf Einlegung der Revision erklärte der Kläger mit am 24.01.2014 beim BFH eingegangenen Schreiben auch gegenüber dem BFH; Blatt 158 der Gerichtsakte 3 K 3969/11 Erb.
29Der Kläger erklärte seinen Verzicht auf die Einlegung der Revision auch direkt gegenüber dem Beklagten; das Schreiben ist beim Beklagten am 29.01.2014 eingegangen.
30Der Beklagte änderte den Erbschaftsteuerbescheid und setzte die Erbschaftsteuer auf X Euro fest; der Vorbehalt der Nachprüfung blieb weiter bestehen. Den Bescheid gab er den Prozessbevollmächtigten mit dem Zusatz „als Prozessbevollmächtigte für den Erwerber E 1“ bekannt. Der Zusatz lautete ursprünglich „als Empfangsbevollmächtigte des Testamentsvollstreckers Herrn N im Erbfall Herrn E 3 für den Erwerber Herrn E 1“. Das Wort „Empfangs“ in Empfangsbevollmächtigte wurde gestrichen und darüber handschriftlich „Prozess“ geschrieben, die Worte „des Testamentsvollstreckers Herrn N im Erbfall Herrn E 3“ wurden ebenfalls gestrichen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 29.01.2014 Bezug genommen.
31Der Kläger legte Einspruch ein, den er wie folgt begründete:
321. Ablauf der Festsetzungsfrist
33Bei Erlass des Änderungsbescheides vom 29.01.2014 sei die Festsetzungsfrist für den Bescheid vom 09.12.2013 bereits abgelaufen, denn das am 09.01.2014 zugestellte Urteil des Finanzgerichts sei nach der Erklärung des Verzichts auf Einlegung der Revision rechtskräftig geworden. Die Abgabe der Erbschaftsteuererklärung durch den Testamentsvollstrecker sei im Jahr 2009 erfolgt, so dass die reguläre Festsetzungsfrist zum 31.12.2013 abgelaufen sei. Durch Einspruchs- und Klageverfahren sei die Festsetzungsfrist bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils gehemmt worden.
342. Unwirksame Bekanntgabe des Erbschaftsteuerbescheides
35Der Erbschaftsteuerbescheid vom 29.01.2014 sei nicht wirksam bekannt gegeben worden. Die im Klageverfahren vorgelegte Vollmacht habe sich auf das Klageverfahren beschränkt, so dass mit Beendigung des Klageverfahrens zeitgleich auch die Vollmacht des Klägers vom 26.10.2011 an die Prozessbevollmächtigten erloschen sei. Bei Erlass des Änderungsbescheides vom 29.01.2014 sei das Klageverfahren abgeschlossen gewesen. Deswegen sei der Bescheid jedenfalls nicht den Prozessbevollmächtigten des Klägers bekannt zu geben, denn die Prozessbevollmächtigten seien weder Prozessbevollmächtigte noch Empfangsbevollmächtigte noch Bekanntgabeadressat des Klägers gewesen. Der Änderungsbescheid sei vielmehr im Veranlagungsverfahren ergangen und deswegen zwar an die Prozessbevollmächtigten des Klägers zu richten, aber nicht als dessen Vertreter sondern als Empfangsbevollmächtigte des Testamentsvollstreckers N. Für den Fall, dass im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Änderungsbescheides nach Auffassung des Gerichts die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei, hätte sich das Verfahren im Revisionsverfahren befunden. Für dieses Verfahren habe der Kläger aber gar keine Vollmacht erteilt, so dass auch in diesem Fall die Bekanntgabe des Änderungsbescheides an den Prozessbevollmächtigten des Klägers keine wirksame Bekanntgabe sei.
363. Verbindliche Zusage
37Der Beklagte habe mit dem Erlass des Änderungsbescheides vom 29.01.2014 gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen. Aufgrund einer Besprechung anlässlich einer Betriebsprüfung bei der E-B GmbH zwischen dem Leiter der Großbetriebsprüfung und den Prüfern habe das Finanzamt für GKBP in einem Vermerk vom 04.09.2008 folgendes ausgeführt:
38„Ein derartiger Fall ist im Gesetz (§ 13b ErbStG) und bzw. in Abschnitt 21 der ErbSt-Richtlinien nicht explizit geregelt. Auch in div. Literaturbeiträgen …wird eine derartige Form der Stimmrechtsbindung nicht angesprochen. Nach Auffassung der Bp ist die Intention der Gesetzgebung zu berücksichtigen, dass Familienkapitalgesellschaften anders als Publikumsgesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen in die Verschonungsregelung des § 13b ErbStG einbezogen werden sollen. Die Betriebsprüfung ist überzeugt, dass das BV bei der hier vorliegenden Fallkonstellation eindeutig zu dem begünstigten Vermögen gehört.“ (Hervorhebung hinzugefügt).
39Im Jahr 2010 sei dann im Rahmen der Betriebsprüfung für das Kalenderjahr 2009 der E-Gruppe zusammen mit den Prüfern der Wert der Anteile der E-B GmbH, soweit er auf den Erblasser entfiel, mit X Euro ermittelt worden. Die Erklärung zur Feststellung des Bedarfswerts mit diesen Zahlen sei dem Prüfer wunschgemäß persönlich zur Weitergabe an das zuständige Finanzamt D übergeben worden; am 21.01.2011 sei dann der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Werts des Anteils an der E-B GmbH auf den 28.08.2008 für Zwecke der Erbschaftsteuer erlassen worden, in dem Bescheid seien die gemeinsam ermittelten Werte übernommen worden mit dem Text: „Die Wertermittlung ist nicht beigefügt, da die Feststellung im Rahmen der Betriebsprüfung abgestimmt wurde.“
40Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 7.10.2010) bestehe der Vertrauenstatbestand in einer bestimmten Position oder einem bestimmten Verhalten des einen Teils, auf Grund dessen der andere bei objektiver Beurteilung annehmen könne, jeder werde an seiner Position oder seinem Verhalten konsequent und auf Dauer festhalten. So läge es auch im Streitfall. Auch in allen anderen Änderungsbescheiden, die der Beklagte erlassen habe, sei die rechtliche Würdigung der Betriebsprüfung ohne weiteres übernommen worden. Erst durch das obiter dictum im Urteil des FG Münster vom 09.12.2013 sei der Beklagte veranlasst worden, einen Änderungsbescheid zu erlassen, in dem die getroffene Poolvereinbarung nicht mehr anerkannt werde.
414. Grundlagenbescheid
42Dem Erlass des Änderungsbescheides vom 29.01.2014 stünden die Feststellungen im Grundlagenbescheid entgegen.
43Der Kläger habe nicht die Anwendung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 begehrt, er habe lediglich auf die BT-Drucksache 54/11 verwiesen, in der ausgeführt werde, dass die Feststellung des Werts des Verwaltungsvermögens ein Verwaltungsakt im Sinne des § 118 AO und daher der Wert gesondert festzustellen sei. Die Voraussetzungen des § 118 AO hätten aber auch bei Eintritt des Erbfalls am 28.08.2008 vorgelegen, so dass auch hier eine gesonderte Feststellung geboten sei. In dem Bescheid über die gesonderte Feststellung des Anteils an der E-B GmbH auf den 00.00.0000 für Zwecke der Erbschaftsteuer habe das Finanzamt D zwar den Wert des Verwaltungsvermögens nur unter „nachrichtlichen Angaben“ mit 0 % angegeben, jedoch unter „wichtige Hinweise“ keinen Hinweis erteilt, wie in anderen Fällen üblich, dass Einwendungen gegen die nachrichtlichen Angaben dieses Feststellungsbescheides nur im Rahmen eines Einspruchsverfahrens gegen den entsprechenden Erbschaftsteuerbescheid geltend gemacht werden könnten. Das Finanzamt D habe vielmehr unter „wichtige Hinweise“ ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die in diesem Bescheid getroffenen Feststellungen dem Erbschaftsteuerbescheid zugrunde gelegt würden und dass Einwendungen, die in diesem Feststellungsbescheid getroffene Feststellung sei unzutreffend, nur durch Einspruch gegen den Feststellungsbescheid geltend gemacht werden könnten. Daher sei die im Feststellungsbescheid getroffene Feststellung über das Verwaltungsvermögen als verbindliche Feststellung im Grundlagenbescheid anzusehen. Da der Grundlagenbescheid rechtskräftig sei, sei eine diesbezügliche Berichtigung des Folgebescheides (Erbschaftsteuerbescheid) nicht mehr möglich.
445. Optionsverschonung
45Die Optionsverschonung sei zu gewähren. Der Kläger sei der Auffassung, dass das Gericht in seinem Urteil vom 09.12.2013 und ihm nunmehr folgend der Beklagte, eine strengere Auffassung vertrete als die Finanzverwaltung in RE 13b.6 ErbStR. Nach übereinstimmender Auffassung des Klägers und des Beklagten lägen die Voraussetzungen für eine einheitliche Stimmrechtsausübung vor. Der Kläger sei der Ansicht, dass auch das Erfordernis erfüllt sei, dass der Erblasser und die weiteren Gesellschafter (hiermit könnten nur die Poolmitglieder gemeint sein) über die Anteile nur einheitlich verfügen dürfen.
46Nach den ErbStR setze eine einheitliche Verfügung nur voraus, dass in der Poolvereinbarung/dem Gesellschaftsvertrag für die Poolmitglieder die gleichen Verfügungsregeln hinsichtlich des gepoolten Anteil festgelegt seien. Daraus ergebe sich, dass die Anteile nur einem bestimmten Personenkreis übertragen werden dürften oder dass eine Übertragung der Zustimmung der Mehrheit der Poolmitglieder bedürfe. Gemäß Ziffer 8.3 des Gesellschaftsvertrags sei die Übertragung der Anteile an andere Gesellschafter oder Abkömmlinge jederzeit möglich, in allen anderen Fällen hätten rechtsgeschäftliche Verfügungen über die Gesellschaftsanteile zu ihrer Wirksamkeit eines einstimmigen Beschlusses der Gesellschafterversammlung bedurft (Ziffer 8.1 des Gesellschaftsvertrages). Da der Gesellschafterversammlung sowohl der Erblasser als auch der Kläger angehört hätten, sei ohne die Mehrheit der Poolmitglieder eine Übertragung an Dritte nicht möglich gewesen, d. h. die Poolmitglieder (Erblasser und Kläger) hätten den gleichen Verfügungsregeln unterlegen. Beide Voraussetzungen für eine einheitliche Verfügung seien kumulativ erfüllt, obwohl laut den ErbStR diese Voraussetzungen nur fakultativ vorliegen müssten.
47Der Beklagte setzte in der Einspruchsentscheidung die Erbschaftsteuer unter Änderung des Bescheids vom 29.01.2014 auf X Euro herab. Der Bescheid steht weiter unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
48Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen sei. Da der Verzicht auf Einlegung der Revision nur einseitig vom Kläger ausgesprochen worden sei, sei die Rechtskraft nicht mit Ablauf des 23.01.2014 eingetreten, sondern mit Ablauf eines Monats nach Zustellung des Urteils, so dass die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 10.02.2014 (an einem Montag) geendet habe.
49Der Einwand des Klägers, der Beklagte habe nicht auf die Revision verzichten können, da der Beklagte nur eine unzulässige Revision habe einlegen können, gehe fehl, denn im Streitfall werde tatbestandlich die Statthaftigkeit des Rechtsmittels erfüllt. Um den Eintritt der Unanfechtbarkeit des Urteils des FG durch Verzicht auf Einlegung der Revision herbeizuführen, hätte es – unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der Revision – der Verzichtserklärung aller Beteiligten bedurft.
50Der Änderungsbescheid sei auch zutreffend bekanntgegeben. Der Bescheid sei bekanntgegeben worden, bevor über die Klage unanfechtbar entschieden worden sei. Demzufolge sei der Änderungsbescheid noch den Prozessbevollmächtigten bekannt zu geben.
51Eine verbindliche Zusage, die einer Änderung des Bescheids entgegenstehe, liege im Streitfall nicht vor. Auch nach Treu und Glauben sei der Beklagte nicht gebunden. Der Bescheid sei unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen und könne deswegen bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist ohne Einschränkung jederzeit in vollem Umfang aus formellen und materiellen Gründen geändert werden, auch wenn diese Gründe dem Beklagten zum Zeitpunkt des Erlasses des Vorbehaltsbescheids schon bekannt gewesen seien. Der Vorbehalt der Nachprüfung wirke so lange, bis er ausdrücklich aufgehoben werde oder wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist entfalle. Der Beklagte habe weder eine bindende Zusage erteilt noch durch sein früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Eine Bindung durch den Grundsatz von Treu und Glauben könne nur in besonders liegenden Fällen in Betracht kommen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig sei, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssten. In diesem Zusammenhang verlange der Grundsatz von Treu und Glauben einen Vertrauenstatbestand, auf Grund dessen der Steuerpflichtige disponiert habe. Der Vertrauenstatbestand bestehe in einer bestimmten Position und oder einem bestimmten Verhalten eines Teils auf Grund dessen der andere bei objektiver Beurteilung habe annehmen können, jeder werde an seiner Position oder seinem Verhalten konsequent und auf Dauer festhalten; auf das Urteil des BFH vom 07.10.2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865 mit weiteren Nachweisen werde Bezug genommen.
52Die steuerliche Außenprüfung sei laut Prüfungsanordnung bei der Miterbin vorgenommen worden. Im Rahmen dieser Prüfung hätten die Prüfer ihre rechtliche Würdigung hinsichtlich einer Steuerbefreiung nach § 13a ErbStG für den Erwerb des Klägers und Miterben in einem Vermerk niedergelegt. Eine Bindungswirkung für das für die Erbschaftsteuerfestsetzung zuständige Finanzamt bestehe insoweit nicht.
53Das Steuervereinfachungsgesetz 2011 sei am 04.11.2011 im Bundesgesetzblatt verkündet worden. Das Erbschaftsteuer- und Schenkungssteuergesetz sei durch Artikel 8 geändert worden. Diese Neuregelungen seinen gem. § 37 Abs. 6 ErbStG auf Erwerbe anzuwenden, für die die Steuer nach dem 30.06.2011 entstanden sei. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entstehe die Erbschaftsteuer bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tode des Erblassers. Im Streitfall sei die Erbschaftsteuer am 00.00.0000 entstanden, so dass das Steuervereinfachungsgesetz 2011 keine Anwendung finde.
54Der Antrag auf Optionsverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG könne bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft des Erbschaftsteuerbescheides gestellt werden; nach Zugang beim Beklagten könne er gemäß § 13a Abs. 8 Satz 1 ErbStG nicht mehr widerrufen werden. Voraussetzung sei, dass begünstigtes Vermögen im Sinne des § 13b Abs.1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG vorliege. Es gebe zwar eine Stimmbindung zwischen dem Erblasser und dem Kläger laut Vertrag vom 09.05.2000. Darüber hinaus sei aber eine Verpflichtung des Erblassers und des Klägers erforderlich, nur einheitlich über die Anteile zu verfügen oder sie nur auf andere, derselben Verpflichtung unterliegende Anteilseigner zu übertragen. Im Gesellschaftsvertrag der GmbH fehle es an einer Verpflichtung der Anteilsinhaber, nur in bestimmter Weise über den Anteil zu verfügen. Nach der getroffenen Vereinbarung seien der Erblasser und der Kläger weder zur einheitlichen Verfügung noch zur Übertragung nur auf bestimmte Personen verpflichtet.
55Im Änderungsbescheid vom 29.01.2014 habe der Beklagte die Erbschaftsteuer ohne Ansatz einer Steuerbefreiung nach § 13a ErbStG festgesetzt. Da für den Erwerb der GmbH-Anteile die Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 8 ErbStG nicht gewährt werde, bleibe keine wirtschaftliche Einheit mehr übrig, die die Tatbestandsmerkmale des § 13a Abs. 8 ErbStG erfülle. Der Antrag des Klägers auf Optionsverschonung sei somit ins Leere gegangen, so dass für den Erwerb der Anteile an der KG die Regelverschonung zu gewähren sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 29.12.2014 Bezug genommen.
56Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und vertieft dieses.
57Die vorliegende Prozessvollmacht beziehe sich auf die Vertretung im Klageverfahren vor dem Finanzgericht Münster und sei damit eine sogenannte beschränkte Instanzvollmacht. Sie sei deshalb mit Zustellung der das finanzgerichtliche Verfahren abschließenden Entscheidung des Finanzgerichts erloschen. Sie umfasse auch nicht die Befugnis, die Revision einzulegen, auf den Beschluss des BFH vom 27.07.1983 II B 68/82, BStBl. II 1983, 644 werde hingewiesen.
58Zu dem Punkt „Verbindliche Zusage“ sei darauf zu verweisen, dass mit Schreiben vom 25.03.2011 (abgeheftet im Beihefter „Kopien aus Betriebsprüfungsakten“) das Finanzamt für GKBP an den Beklagten folgendes geschrieben habe, was ausschließlich den Kläger betreffe.
59„Wie am 18.2.2011 telefonisch besprochen, übersende ich die mit Herrn L abgesprochene Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer. Weitere Erläuterungen zur Ermittlung ergeben sich aus dem Betriebsprüfungsbericht für die Miterbin E 4. Da für Herrn E 1 keine abweichendem Grundlagen ermittelt wurden, habe ich auf eine Prüfungsanordnung gegen Herrn E 1 verzichtet.“
60Im Anschluss daran sei am 30.03.2011 erstmalig ein Erbschaftsteuerbescheid erlassen worden, und zwar unter dem Vorbehalt der Nachprüfung mit der Erläuterung, dass der Nachlass und die Verbindlichkeiten gemäß den Nachmeldungen über Herrn R (Finanzamt für GKBP) ergänzt worden seien. Der Kläger sei der Ansicht, dass der Beklagte diese irreführenden Erläuterungen bewusst gewählt habe und nicht, wie üblich „nach den Prüfungsfeststellungen“ geschrieben habe. Mit dieser Erläuterung suggeriere der Beklagte, dass es sich um Nachmeldungen des Klägers handele, die ihm lediglich über Herrn R zugestellt worden seien. Er vermeide also den Hinweis auf eine durchgeführte Betriebsprüfung. Dies sei nicht zutreffend, denn der Kläger habe nach Abgabe der Erbschaftsteuererklärung dem Beklagten keine Nachmeldungen über den Prüfer zukommen lassen; der Prüfer habe dem Beklagten lediglich eigene Prüfungsergebnisse mitgeteilt. Nach der Rechtsprechung des BFH dürfe das Finanzamt zwar auch dann von einem Vorbehalt der Nachprüfung Gebrauch machen, wenn der Fall abschließend geprüft worden sei. Die Entscheidungen des BFH beträfen aber überwiegend die unterlassene Aufhebung nach Durchführung einer Außenprüfung und würden in den Kommentierungen durchaus kritisch bewertet. In derartigen Fällen habe der Steuerpflichtige aber Kenntnis von der abschließenden Prüfung gehabt und hätte den Vorbehalt durch Antrag oder Rechtsbehelft beseitigen können. Diese Kenntnis sei im Streitfall gerade wegen des wissentlichen unterlassenen Hinweises auf eine abschließende Prüfung nicht gegeben, so dass der Kläger keinen Anlass für solche Schritte habe erkennen können.
61Zum Grundlagenbescheid wird ergänzend vorgetragen, § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG regele in Nr. 2, dass Anteile an Kapitalgesellschaften zum Verwaltungsvermögen bei einer Beteiligung von weniger als 25 v. H. gehörten, es sei denn, die Voraussetzungen des Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 ErbStG lägen vor. Das Feststellungsfinanzamt habe in seinem Bescheid vom 21.01.2011 unter Zugrundelegung der Feststellungen der Betriebsprüfung bewusst das Verwaltungsvermögen mit 0 v. H. festgestellt. Es habe damit festgestellt, dass die Anteile nicht zum Verwaltungsvermögen gehörten und somit die Steuerbefreiung gem. § 13a ErbStG zu gewähren sei.
62Der Kläger beantragt,
63den Erbschaftsteuerbescheid vom 29.01.2014 in der Fassung der Anlage zur Einspruchsentscheidung vom 29.12.2014 aufzuheben,
64hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
65Der Beklagte beantragt,
66die Klage abzuweisen,
67hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
68Er bezieht sich zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, der Änderungsbescheid sei wirksam an die Vertreter des Klägers bekannt gegeben worden. Zwar sei ein dem Gericht gegenüber erklärter Rechtmittelverzicht eine Prozesshandlung, die auch grundsätzlich unwiderruflich sei. Jedoch trete eine formelle Rechtskraft erst dann ein, wenn die Entscheidung weder im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren noch im Klageverfahren vor dem Finanzgericht oder dem Bundesfinanzhof weiter angefochten werden könne, d. h. das Urteil im Instanzenzug unabänderbar sei. Das sei aber erst nach Ablauf der Revisionsfrist der Fall. Daran ändere auch nichts, dass der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren „Herr des Verfahrens“ sei und deswegen Dispositionsbefugnis habe. Das sei bereits aus § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO bzw. § 125 Abs. 1 Satz 2 FGO abzulesen, wonach eine Klage- bzw. Revisionsrücknahme nicht einseitig, sondern in bestimmten Fällen nur mit Zustimmung des Finanzamts möglich sei. Bis zum Eintritt der im Streitfall noch nicht eingetretenen formellen Rechtskraft bestehe deshalb die Klagevollmacht fort, so dass Verwaltungsakte wirksam an den Prozessbevollmächtigten bekannt gegeben werden dürften und müssten.
69Hinsichtlich des Vortrags zum Grundlagenbescheid führt der Beklagte aus, dass die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal der Mindestbeteiligung erfüllt werde, nicht Gegenstand des Feststellungsverfahrens, sondern des Besteuerungsverfahrens sei. Folglich beinhalte der Feststellungsbescheid vom 21.01.2011 auch keine Feststellungen hinsichtlich der Beteiligung des Erblassers an der E-B GmbH. Die Quote des Verwaltungsvermögens sei für Versagung der Steuerbefreiung im Streitfall irrelevant. Der Änderung nach § 164 Abs. 2 AO stehe der bestandskräftige Feststellungsbescheid in seiner Bindungswirkung für den Folgebescheid nicht entgegen.
70Hinsichtlich der Einbeziehung des Finanzamts für GKBP liege folgender Sachverhalt vor: Der Beklagte habe mit Schreiben vom 23.03.2010 das Finanzamt für GKBP mit der Durchführung einer Außenprüfung bei dem Kläger beauftragt. Die Verfügung des Prüfungsauftrags habe sich nicht in der Erbschaftsteuerakte, sondern mit dem Original in der Prüferhandakte befunden. Der zuständige Prüfer habe den Beklagten mit Schreiben vom 25.03.2011 unterrichtet, dass er auf den Erlass einer Prüfungsanordnung gegen den Kläger verzichtet habe, da für den Kläger keine abweichenden Grundlagen zu den Feststellungen gegenüber der Miterbin ermittelt worden seien. Danach habe der Beklagte erstmals Erbschaftsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt. Dabei habe der Beklagte die vom Prüfer ermittelten Besteuerungsgrundlagen verwandt. Soweit der Kläger vorbringe, in der Erteilung des Bescheids unter dem Vorbehalt der Nachprüfung sei er in seinen Rechten verletzt worden, hätte er dies bereits mit dem Einspruch gegen diesen Bescheid rügen müssen. Verzichte der Steuerpflichtige auf die Einlegung des Rechtsbehelfs, sei es gerechtfertigt, ihn an der von ihm selbst mitverantworteten Rechtslage festzuhalten.
71Es sei auch nicht ermessensfehlerhaft gewesen, die Steuerfestsetzung unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen. Da auf die Durchführung der Außenprüfung verzichtet worden sei, sei der Besteuerung das vom Prüfer im Wege der Amtshilfe mitgeteilte Vermögen zugrunde gelegt worden. Das entspreche dem in den Bescheid aufgenommenen Erläuterungstext: „ Der Nachlass und die Verbindlichkeiten wurden gemäß den Nachmeldungen über Herrn R GK-Bp ergänzt“. Zwar verhindere ein Bescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehe, das Entstehen eines für die Bindung nach Treu und Glauben notwendigen Vertrauenstatbestandes. Eine verbindliche Zusage, auf Grund derer der Kläger auf die Endgültigkeit des Erbschaftsteuerbescheids vom 30.03.2011 hätte vertrauen können, sei jedoch nicht gegeben worden.
72Die Berichterstatterin hat die Sach- und Rechtslage 23.05.2016 mit den Beteiligten erörtert; wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll über den Erörterungstermin vom 23.05.2016 Bezug genommen.
73Mit Schreiben vom 21.06.2016 hat die Berichterstatterin beim Testamentsvollstrecker Rechtsanwalt N angefragt, ob der Bescheid vom 29.01.2014 an ihn weitergeleitet worden sei, entweder vom Kläger persönlich oder vom Prozessbevollmächtigten, der Sozietät L. Rechtsanwalt N teilte mit Schreiben vom 24.06.2016 mit, dass er von dem geänderten Erbschaftsteuerbescheid erst sehr spät erfahren habe. Er habe von dem Bescheid vom 29.01.2014 erst durch ein Schreiben des Steuerberaters L vom 12.12.2014, bei ihm eingegangen am 15.12.2014, erfahren, allerdings sei der Bescheid nur auszugsweise übersandt worden. Dem Schreiben sei ein Konvolut von Schreiben aus dem Jahr 2014 beigefügt gewesen, und darunter habe sich eine Ablichtung – lediglich – der ersten – den angeforderten Betrag ausweisenden – Seite „des Bescheids über Erbschaftsteuer“ und dessen Anlage 7 befunden. Er sei zuvor auch nicht in die Angelegenheit einbezogen gewesen und habe auch vom Kläger von der Existenz eines geänderten Erbschaftsteuerbescheids nicht gehört, da das weitere Vorgehen bereits vor Erhalt des Erbschaftsteuerbescheids zwischen allen Beteiligten besprochen gewesen sei. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf das Schreiben vom Herrn N vom 24.06.2016.
74Wegen des Vorbringens im Weiteren wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten vom 20.06.2016, 25.07.2016, 18.08.2016, 15.09.2016, 17.10.2016, 28.10.2016 und 12.01.2017.
75Der Senat hat die Gerichtsakte 3 K 3969/11 Erb zum Verfahren beigezogen.
76Der Senat hat am 09.03.2017 mündlich verhandelt; wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
77Entscheidungsgründe
78Die Klage ist begründet.
79Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid vom 29.01.2014 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 29.12.2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
80Zwar durfte der Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers einen Änderungsbescheid erlassen. Der Bescheid ist aber nicht zutreffend bekannt gegeben worden.
811. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides vom 29.01.2014 war die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen. Denn das Urteil des FG Münster vom 09.12.2013 war zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftig.
82a) Für den Verzicht auf die Einlegung der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde sind gemäß § 155 Satz 1 FGO die Bestimmungen der §§ 566, 514 der Zivilprozessordnung (ZPO) anzuwenden (vgl. von Beckerrath in Beermann/Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 50 Anm. 25).
83Ein Rechtsmittelverzicht wird erst wirksam, wenn beide Beteiligte auf Rechtsmittel verzichtet haben (vgl. Brandt in Beermann/Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 110 FGO Anm. 41; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 110 FGO Anm. 17; Stöber in Zöller, Zivilprozessordnung, Kommentar, 31.Auflage 2016, § 705 ZPO Anm. 9; Baumbach/Lauterbach, Zivilprozessordnung, Kommentar, 74. Auflage 2016, § 705 ZPO Anm. 8; Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 4. Auflage 2012, § 705 ZPO Anm. 14). Erst dann tritt formelle Rechtskraft ein.
84Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren „Herr des Verfahrens“ ist und deswegen Dispositionsbefugnis hat. Denn in bestimmten in der FGO geregelten Fällen ist die Rücknahme der Klage bzw. der Revision nicht einseitig durch den Kläger, sondern nur mit Zustimmung des Finanzamts möglich. So ist nach § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO bzw. § 125 Abs. 1 Satz 2 FGO eine Rücknahme der Klage bzw. der Revision nach Schluss der mündlichen Verhandlung, bei Verzicht auf mündliche Verhandlung und nach Ergehen eines Gerichtsbescheids nur mit Einwilligung des Beklagten möglich.
85Nach Verkündung und Zustellung des Urteils kann deswegen ein einseitiger Rechtsmittelverzicht nicht die formelle Rechtskraft des Urteils herbeiführen.
86Das Rechtsmittel der Revision war im Streitfall auch für den Beklagten statthaft. Ob das Rechtsmittel zulässig bzw. ob der Beklagte durch die Entscheidung beschwert ist, ist nicht entscheidend; ebenso OLG Karlsruhe vom 06.11.1970 (10 W 86/70, NJW 1971, 664); Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.10.1991 (7 RAr 24/89, juris mit weiteren Nachweisen).
87b) § 68 FGO kommt in diesem Zusammenhang nicht zur Anwendung. Nach § 68 FGO wird ein Änderungsbescheid, der während des Klageverfahrens ergangen ist, Gegenstand des Verfahrens. Im Streitfall ist das Klageverfahren aber unabhängig vom Eintritt der formellen Rechtskraft mit dem Erlass des Urteils beendet. Das Verfahren ist zwar nach § 66 FGO noch rechtshängig. Denn die Rechtshängigkeit endet u. a., wenn das Urteil rechtskräftig ist (vgl. Gräber, FGO, Kommentar, 8. Aufl. 2015, § 66 Anm. 2 unter Hinweis auf BFH I B 21/13, BFH/NV 2014,1216). Gleichwohl ist das Klageverfahren aber beendet, so dass ein Änderungsbescheid, der nach geschlossener mündlicher Verhandlung und nach Zustellung des Urteils an die Beteiligten ergangen ist, nicht Gegenstand des Verfahrens werden kann. Wird der Änderungsbescheid dagegen nach geschlossener mündlicher Verhandlung, aber vor Zustellung des Urteils erlassen, wird er nach § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens (BFH-Urteil vom 22.01.2013 IX R 18/12, BFH/NV 2013, 1094).
882. Der Bescheid ist aber nicht zutreffend bekannt gegeben worden und deshalb rechtswidrig.
89a) Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, kann der Verwaltungsakt nach § 122 Abs. 1 Satz 2 AO auch diesem bekannt gegeben werden. Ist jedoch ein Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter bestellt, ist nach § 32 Abs. 1 Satz 1 ErbStG der Erbschaftsteuerbescheid abweichend von § 122 Abs. 1 Satz 1 AO dem Testamentsvollstrecker oder dem Nachlassverwalter bekannt zu geben. Denn der Testamentsvollstrecker oder der Nachlassverwalter haben nach § 32 Abs. 1 Satz 2 ErbStG für die Bezahlung der Erbschaftsteuer zu sorgen.
90Nach Beendigung des Klageverfahrens, im Streitfall durch Urteil, ist unabhängig davon, ob der Prozessbevollmächtigte eine über das Klageverfahren hinausgehende Vollmacht hat oder ob die Vollmacht, wie im Streitfall, auf das Klageverfahren beschränkt ist, ein geänderter Erbschaftsteuerbescheid nicht dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bzw. dem Kläger selbst bekanntzugeben. Denn es handelt sich um eine Veranlagung im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens. Damit ist Adressat des Bescheids nach § 32 Abs. 1 Satz 1 ErbStG nicht der Kläger, sondern der Testamentsvollstrecker, im Streitfall vertreten durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers. Dass, wie der Beklagte meint, der Testamentsvollstrecker nur bei der erstmaligen Veranlagung Bekanntgabeadressat ist, ist § 32 Abs. 1 Satz 1 ErbStG nicht zu entnehmen.
91Der Senat kann im Streitfall offen lassen, ob, entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung, nicht auch die Einspruchsentscheidung dem Testamentsvollstrecker bekannt zu geben ist (vgl. FG Münster, Beschluss vom 16.09.1999 3 V 2441/99 Erb, nicht veröffentlicht, wo die Auffassung vertreten wird, dass ernstliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Bekanntgabe bestehen, wenn die Einspruchsentscheidung nicht dem Testamentsvollstrecker bekannt gegeben wird) ebenso wie die Änderungsbescheide, die während des Klageverfahrens ergehen. Die im Streitfall während des Klageverfahrens 3 K 3969/11 Erb ergangenen Bescheide sind ebenso wie die Einspruchsentscheidung nach dem rechtskräftigen Urteil vom 09.12.2013 (3 K 3969/13 Erb) bestands- bzw. rechtskräftig geworden.
92b) Der Bekanntgabemangel ist auch nicht geheilt; denn die Übersendung der ersten Seite des Bescheids sowie einer Anlage zum Bescheid an den Testamentsvollstrecker reicht für eine ordnungsgemäße Bekanntgabe bzw. deren Heilung nicht aus. Erforderlich ist mindestens die vollständige Übermittlung des Bescheids, ob die Anlagen auch dazu gehören, kann im Streitfall offen bleiben.
933. Ob der Bescheid auch deswegen rechtswidrig ist, weil der Bescheid nicht die Bezeichnung des Erblassers enthält, kann der Senat offen lassen.
944. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
95Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
96Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
973 K 258/15 Erb
98Finanzgericht Münster
99BESCHLUSS
100In dem Rechtsstreit
101[...]
102hat der 3. Senat in der Besetzung:
103...
104am 16.05.2017 beschlossen:
1051. Das Urteil vom 09.03.2017 (3 K 258/15 Erb) wird wie folgt berichtigt: Auf Seite 6 ist im 3. Absatz der 2. Satz zu streichen. An seine Stelle tritt folgender Satz: Den Bescheid gab er den Prozessbevollmächtigten "als Prozessbevollmächtigte im Erbfall Herrn E 3 für den Erwerber E 1" bekannt.
1062. Das Urteil vom 09.03.2017 (3 K 258/15 Erb) wird wie folgt ergänzt: Auf Seite 8 ist nach dem 1. Absatz folgender Satz einzufügen: Der Beklagte übersandte dem Gericht keine Abschrift des Bescheids vom 29.01.2014.
1073. Der weitergehende Antrag auf Ergänzung wird abgelehnt.
108Die Entscheidung ergeht kostenfrei.
109Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
110Gründe
111Der Antrag auf Ergänzung des Urteils, dass der Antrag auf Optionsverschonung (16.09.2011) auf Grund eines Schreibens des Beklagten (29.06.2011) gestellt worden sei, da der vom Testamentsvollstrecker mit Abgabe der Erbschaftsteuererklärung unwiderruflich gestellte Antrag auf Optionsverschonung (Seite 4 des Urteils) unwirksam gewesen sei und der Antrag nur vom Erben höchstpersönlich gestellt werden konnte, war abzulehnen.
112Zum einen ergeben sich die Gründe, weshalb der Antrag vom Erben selbst gestellt worden ist, aus den Akten, zum anderen handelt es sich um eine Begründung für diese Vorgehensweise, die für den Streitfall unerheblich ist, da sowohl die Beteiligten als auch das erkennende Gericht bei der Entscheidung im Urteil vom 09.12.2013 (3 K 3969/11 Erb) von der Maßgeblichkeit des Antrags des Erben ausgegangen sind. Zum Verfahren 3 K 258/15 Erb ist die Gerichtsakte 3 K 3969/11 Erb beigezogen worden (vgl. Urteil vom 09.03.2017 Seite 18 3. Absatz).
113Die Entscheidung ist kostenfrei. Das Berichtigungsverfahren gehört zum Hauptsacheverfahren (vgl. z. B. BFH-Beschluss vom 21.11.2012 X B 27/11, BFH/NV 2013, 734).