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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten, ob die gesetzliche Regelung zur Höhe des Steuersatzes für Erwerber der Steuerklasse II von 30 % in § 19 Abs. 1 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) in der für das Jahr 2009 gültigen Fassung verfassungsgemäß ist.
3Der am 00.00.0000 verstorbene Erblasser hatte die Kläger – seine drei noch lebenden Geschwister zu je 1/4 und die fünf Kinder seines bereits verstorbenen Bruders zu je 1/20 – testamentarisch zu seinen Erben bestimmt und den Kläger zu 2 als Testamentsvollstrecker eingesetzt.
4Nach Abgabe der Erbschaftsteuererklärung setzte der Beklagte die Erbschaftsteuer dementsprechend durch Bescheide vom 13.09.2010 auf jeweils X Euro für die Geschwister (Kläger zu 1 bis 3), auf X Euro für den Kläger zu 4 und auf jeweils X Euro für die weiteren Kinder des verstorbenen Bruders (Kläger zu 5 bis 8) fest. Dabei wandte er gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG in der für das Sterbejahr gültigen Fassung einen Steuersatz von 30 % an.
5Mit dem dagegen eingelegten Einspruch rügten die Kläger die Verfassungswidrigkeit der Regelung zu den Steuersätzen für Erwerber der Steuerklasse II in § 19 Abs. 1 ErbStG wegen Verstoßes gegen Artikel 3 und 6 Grundgesetz (GG). Zum einen werde entgegen dem Differenzierungsgebot des Artikel 3 GG wesentlich Ungleiches gleich behandelt, indem für Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge ersten Grades derselbe Steuersatz wie für entferntere Verwandte oder fremde Dritte gelte. Das entspreche weder den realen Lebensverhältnissen noch den in der Gesellschaft vorhandenen Wertungen. Denn gerade Erblasser ohne eigene Abkömmlinge hätten nach der Lebenserfahrung meistens ein engeres Verhältnis zu Geschwistern oder Nichten und Neffen als Erblasser mit Angehörigen, die zum Personenkreis der Steuerklasse I gehörten. Außerdem wollten auch Erblasser ohne eigene Angehörige regelmäßig Familienvermögen an die nächsten Generationen weitergeben. Darüber hinaus verstoße die Regelung in § 19 Abs. 1 ErbStG aber auch gegen das verfassungsrechtliche Gebot, der Familie besonderen Schutz zu gewähren. Dabei lasse sich der nach verbreiteter Ansicht vertretene „enge Familienbegriff“, nach dem Artikel 6 GG nur die aus Eltern und (minderjährigen) Kindern bestehende „Kleinfamilie“ schütze, weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte oder der Systematik des Grundgesetzes noch aus verfassungsrechtlichen Wertungen begründen.
6Die Einspruchsverfahren ruhten zunächst wegen zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuergesetzes anhängigen Verfahren beim Bundesverfassungsgericht. Die angefochtenen Bescheide wurden dann mit dem Einverständnis der Kläger durch Änderungsbescheide vom 06.11.2012 gemäß § 165 Abgabenordnung (AO) wegen der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuergesetzes in dem Verfahren beim Bundesfinanzhof II R 9/11 für vorläufig erklärt. Nach Ergehen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts am 17.12.2014 1 BvL 21/12 (BStBl. II 2015, 50) und des Bundesfinanzhofs am 20.01.2015 II R 9/11 (BFH/NV 2015, 693) erklärte der Beklagte die angefochtenen Bescheide für endgültig.
7Den dagegen erhobenen Einspruch der Kläger, mit dem sie darauf hinwiesen, dass der Bundesfinanzhof seiner Entscheidung den vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung nicht mehr vertretenen „engen Familienbegriff“ zugrunde gelegte habe, wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 12.04.2016, zugestellt am 16.04.2016, als unbegründet zurück. Er sei an das am Stichtag im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, dem Todestag des Erblassers, gültige Recht gebunden.
8Mit ihrer Klage vom 17.05.2016 (Dienstag nach Pfingstmontag) verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung eines niedrigeren Steuersatzes weiter. Unter Vertiefung ihres Vortrags aus dem Einspruchsverfahren halten sie an ihrer Auffassung fest, dass die Regelung in § 19 Abs. 1 ErbStG, die für Verwandte der Steuerklasse II einen Steuersatz von 30 % vorsehe, einen Verstoß gegen Artikel 6 GG darstelle und verfassungswidrig sei. Die Anhebung der Steuersätze für die Steuerklasse II auf das Niveau der Steuerklasse III greife in den Schutzbereich des Artikel 6 GG ein, indem eine dem Schutz familiärer Beziehungen dienende Regelung ersatzlos abgeschafft werde. Das sei von der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit nicht gedeckt. Zur Frage des Verstoßes der gesetzlichen Regelung gegen Artikel 6 GG habe das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 17.12.2014 aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht Stellung genommen. Auch das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 28.04.2016 3 K 3704/14 verhalte sich zu dieser Frage nicht. Im Übrigen könne die Weitergeltungsanordnung, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteilstenor ausgesprochen habe, allein auf die im 1. Teil des Urteilstenors festgestellte Unvereinbarkeit von Bestimmungen des Erbschaftsteuergesetzes mit Artikel 3 GG bezogen werden. Darüber hinaus beziehe sich die Weitergeltungsanordnung auf die am Entscheidungstag 17.12.2014 geltende Fassung des Erbschaftsteuergesetzes. Die Regelung in § 19 Abs. 1 ErbStG in der Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes sei jedoch durch die Regelung des § 19 Abs. 1 ErbStG in der Fassung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes abgelöst worden. Nur darauf beziehe sich die Weitergeltungsanordnung.
9Die Kläger beantragen sinngemäß,
10die Erbschaftsteuerbescheide vom 13.09.2010 in der Fassung der Bescheide vom 06.11.2012 und vom 16.11.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 12.04.2016 zu ändern und die Erbschaftsteuer für die Kläger zu 1. bis 3. auf je X Euro, für den Kläger zu 4. auf X Euro und für die Kläger zu 5. bis 8. auf je X Euro festzusetzen,
11hilfsweise, für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
12Der Beklagte beantragt sinngemäß,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung bezieht er sich auf seine Einspruchsentscheidung und das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 28.04.2016 3 K 3704/14 Erb.
15Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO).
16Entscheidungsgründe
17Die Klage ist nicht begründet.
18Die angefochtenen Bescheide und die Einspruchsentscheidungen sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
19Der Beklagte hat den Erwerb der Kläger zum Stichtag 00.00.0000 (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) zu Recht gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG in der vom 01.01. bis zum 31.12.2009 gültigen Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24.12.2008 einem Steuersatz von 30 % unterworfen. Die Vorschrift ist mangels einer Aufhebung durch den Gesetzgeber oder das Bundesverfassungsgericht geltendes Recht.
20Die Vorschrift ist auch – unabhängig ob sich aufgrund der Weitergeltungsanordnung eine dahingehende Prüfung erübrigt (vgl. BFH, Urteil vom 23.06.2015 II R 39/13, BStBl. II 2016, 225) – nicht verfassungswidrig.
21Im Hinblick auf einen etwaigen Verstoß der Regelung gegen Artikel 3 GG folgt der Senat – wie bereits im Urteil vom 28.04.2016 3 K 3704/14 Erb – der Argumentation, die der BFH in dem Verfahren II R 9/11 sowohl im Vorlagebeschluss vom 27.09.2012 (BStBl. II 2012, 899) als auch im Urteil vom 20.01.2015 (BFH/NV 2015, 693) vertreten hat.
22Die Regelung ist nach Auffassung des Senats auch nicht wegen eines Verstoßes gegen Artikel 6 GG verfassungswidrig.
23Artikel 6 Abs. 1 GG als spezieller Gleichheitssatz verbietet es im Rahmen der dem Gesetzgeber bei der Regelung des Erbschaftsteuerrechts gemäß Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG zukommenden weitreichenden Regelungsbefugnis, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen. Danach ist dem Erbschaftsteuergesetzgeber eine nur an Ehe und Familie anknüpfende steuerrechtliche Benachteiligung grundsätzlich untersagt; darüber hinaus sind die familiären Bezüge der nächsten Familienangehörigen zum Nachlass erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.10.1997 1 BvR 1644/94, BVerfGE 97, 1, und Beschluss vom 22.06.1995 2 BvR 522/91, BStBl. II 1995 671). Diesen Anforderungen entspricht § 19 Abs. 1 ErbStG auch bei Anhebung des Steuersatzes der Steuerklasse II auf das Niveau des Steuersatzes der Steuerklasse III. Denn eine Benachteiligung gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften erfolgt dadurch nicht. Darüber hinaus gebietet Artikel 6 Abs. 1 GG weder die steuerliche Besserstellung von Familienangehörigen des 2. und 3. Grades in der Seitenlinie in der von den Klägern begehrten Art und Weise noch die Beibehaltung von deren steuerlicher Besserstellung gegenüber weiter entfernten Verwandten oder fremden Dritten.
24Dem widerspricht auch nicht, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung den Schutzbereich des Artikel 6 GG für den Bereich des Vormundschaftsrechts weiter gefasst hat. Danach zielt der Schutz des Artikel 6 GG über das Eltern-Kind-Verhältnis hinaus generell auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen, wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern und auch – wenngleich regelmäßig weniger ausgeprägt – über mehrere Generationen hinweg zwischen den Mitgliedern einer Großfamilie bestehen können. Intensive Familienbindungen in Form von besonderer Zuneigung und Nähe, familiärer Verantwortlichkeit füreinander, Rücksichtnahme- und Beistandsbereitschaft können insbesondere im Verhältnis zwischen Enkeln und Großeltern, aber auch zwischen nahen Verwandten in der Seitenlinie zum Tragen kommen. Bestehen zwischen nahen Verwandten tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte innere Bindungen, sind diese vom Schutzbereich des Artikel 6 Abs. 1 GG erfasst (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.06.2014 1 BvR 2926/13, BVerfGE 136, 382, unter B. II: 1.a) cc) (1) betreffend die Auswahl von Vormündern).
25Im Vormundschaftsrecht ist jedoch der wesentliche Gehalt der durch Artikel 6 GG geschützten Eltern-Kind-Beziehung in Form der Sorge für das Kind betroffen und deshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen ein intensiver Schutz geboten. Dieser intensive Schutz ist auf den Bereich lediglich finanziell wirkender erbrechtlicher und damit zusammenhängender erbschaftsteuerlicher Regelungen nicht zu erstrecken; vielmehr ist den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Artikel 6 GG durch die weitgehende bzw. bei kleineren Vermögen vollständige Steuerfreistellung von Vermögensübergängen auf Personen der Steuerklasse I Genüge getan (BFH, Beschluss vom 27.09.2012 II R 9/11, BStBl. II 2012, 899, und Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 12.01.2011 4 K 2574/10 Erb, EFG 2011, 1079; a. A., gilt noch der enge Familienbegriff, FamRZ 2013, 585).
26Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 135 Abs. 1 FGO.
27Die Revision wird nicht zugelassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 1 Nr. 1 FGO), da lediglich ein zeitlich und personell eng begrenzter Regelungszeitraum betroffen ist. Nach der Entscheidung des BFH vom 20.01.2015 II R 9/11, BFH/NV 2015, 693 ist eine höchstrichterliche Entscheidung weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).