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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Frage, ob Einkünfte aus einer Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft dem Progressionsvorbehalt unterliegen.
3Die Klägerin ist eine Gesellschaft, die eine Wäscherei betreibt. Sie ist an mehreren ausländischen Gesellschaften beteiligt, darunter an der G. Sp.zo.o Sp.k und an der B. Sp.zo.o Sp.k. Es handelt sich dabei um Gesellschaften, die mit einer deutschen GmbH & Co. KG vergleichbar sind. Beide Gesellschaften haben ihren Sitz inPolen. Auf die Klägerin entfielen im Streitjahr 2008 die folgenden Gewinnanteile:
4B. Sp.zo.o Sp.k |
137.642,51 EUR |
G. Sp.zo.o Sp.k |
218.616,26 EUR |
Summe |
356.258,77 EUR |
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die beiden polnischen Gesellschaften gewerbliche Einkünfte erzielt haben, die auf sog. aktive Tätigkeiten im Sinne von § 2a Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beruhen. Ferner ist unstreitig, dass die polnischen Gesellschaften nicht ausschließlich oder fast ausschließlich Tätigkeiten im Sinne von § 8 Abs. 1 Nrn. 1 bis 6 des Außensteuergesetzes (AStG) ausgeübt haben.
6In ihrer Feststellungserklärung für das Streitjahr 2008 gab die Klägerin keine Einkünfte aus den polnischen Gesellschaften an. Im ursprünglichen Feststellungsbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging, berücksichtigte der Beklagte die Gewinnanteile der Klägerin an den polnischen Gesellschaften zunächst weder als Einkünfte noch im Rahmen des Progressionsvorbehalts.
7Im Rahmen einer vom Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung E-Stadt bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung gelangte der Prüfer zu der Ansicht, dass die Gewinnanteile aus den polnischen Mitunternehmerbeteiligungen dem Progressionsvorbehalt unterlägen. Die Einkünfte seien als Einkünfte aus gewerblichen Betriebsstätten anzusehen, deren Gewinne nur der Belegenheitsstaat Polen besteuern dürfe. Nach einer ab dem Streitjahr 2008 geltenden Gesetzesänderung greife die Verlustabzugsbeschränkung des § 2a EStG nicht mehr für das EU-Ausland, sondern ausschließlich für Drittstaaten ein. Dementsprechend seien sowohl der positive als auch der negative Progressionsvorbehalt für Einkünfte aus einer nicht aktiven gewerblichen Betriebsstätte ausgeschlossen, nicht jedoch für solche - wie im Streitfall - aus einer aktiven Betriebsstätte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 22.6.2010 Bezug genommen.
8Der Beklagte folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ einen entsprechend geänderten Feststellungsbescheid, in dem nach einem Doppelbesteuerungsabkommen steuerfreie laufende Einkünfte, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, in Höhe von 356.258 EUR festgestellt wurden.
9Die Klägerin legte gegen diese Feststellung Einspruch ein, den sie damit begründete, dass der positive Progressionsvorbehalt im Streitfall keine Anwendung finde. Der Verweis in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG auf § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG sei insoweit missverständlich, dass er sich nur auf den Begriff der Betriebsstätte beziehe. Eine Anwendung des positiven Progressionsvorbehalts für aktive Betriebsstättengewinne bei Ausschluss für nicht aktive Betriebsstättengewinne sei vom Gesetzgeber nicht gewollt. Die Befreiung vom Progressionsvorbehalt gelte vielmehr auch für aktive Gewinne. Vor diesem Hintergrund sei die Verweisung eigentlich überflüssig. Diese Auffassung teile auch Heinicke (in Schmidt, EStG, 29. Auflage, § 32b Rn. 34). Der Gesetzgeber habe die Neuregelung in § 2a EStG ergänzen wollen, die lediglich negative Einkünfte betreffe. Eine andere Auslegung würde zum nicht gewollten Ergebnis führen, dass bei allgemeinen gewerblichen Einkünften der Progressionsvorbehalt weiterhin gelte, während er z. B. für den Waffenhandel abgeschafft sei.
10Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, dass der Progressionsvorbehalt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut für innerhalb des EU-Raums erzielte aktive gewerbliche Einkünfte erhalten bleiben sollte. Dies entspreche auch der gesetzgeberischen Intention.
11Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt ergänzend zur Einspruchsbegründung vor, dass der Verweis in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG auf § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG zwei Zielrichtungen habe. Zum einen wolle er klarstellen, dass auch Betriebsstätten gemeint seien, in denen negative Einkünfte erzielt werden und zum anderen wolle er klarstellen, dass nur Betriebsstätten gemeint seien, die nicht in einem Drittstaatliegen. Da sich dies auch ohne den Verweis aus dem Gesetz ergeben würde, sei der Verweis überflüssig.
12Die Klägerin beantragt sinngemäß,
13den Bescheid für 2008 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 9.2.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.5.2011 insoweit aufzuheben, als keine nach DBA steuerfreien Einkünfte festgestellt werden, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Er verweist auf die Einspruchsentscheidung.
17Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
18Entscheidungsgründe:
19Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung, FGO).
20Die zulässige Klage ist unbegründet.
21Der Bescheid für 2008 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 9.2.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.5.2011 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
22Der Beklagte hat zutreffend Einkünfte in Höhe von 356.258 EUR festgestellt, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, da die unstreitig in dieser Höhe aus den Beteiligungen an den beiden polnischen Gesellschaften erzielten gewerblichen Einkünfte die Voraussetzungen für die Einbeziehung in den Progressionsvorbehalt erfüllen und keine Ausnahmevorschrift eingreift.
23Gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ist der Progressionsvorbehalt anzuwenden auf Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfrei sind. Für die streitigen Einkünfte steht nach dem zwischen Deutschland und Polen abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA Polen) nicht Deutschland, sondern Polen das Besteuerungsrecht zu. Art. 24 Abs. 1 Buchst. a) DBA Polen nimmt bei einer in Deutschland ansässigen Person von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer diejenigen Einkünfte aus Polen aus, die nach dem DBA in Polen besteuert werden können. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA Polen können Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaats nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, das Unternehmen übt seine Tätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort belegene Betriebsstätte aus. Die beiden polnischen Gesellschaften übten ihre Tätigkeiten ausschließlich in Polen aus. Anhaltspunkte für eine inländische Betriebsstätte bestehen nicht.
24Die Ausnahme nach Art. 24 Abs. 1 Buchst. c) DBA Polen greift für die streitigen Einkünfte nicht ein, da die polnischen Gesellschaften ihre Bruttoerträge nicht ausschließlich oder fast ausschließlich aus unter § 8 Abs. 1 Nrn. 1 bis 6 des deutschen Außensteuergesetzes fallenden Tätigkeiten beziehen. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
25Die Ausnahmevorschrift des § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG greift im Streitfall nicht ein. Nach dieser Regelung, die gemäß § 52 Abs. 43a Satz 2 EStG erstmals für das Streitjahr 2008 anzuwenden ist, gilt § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht für Einkünfte aus einer anderen als in einem Drittstaat belegenen gewerblichen Betriebsstätte, die nicht die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG erfüllt.
26§ 2a EStG regelt Verlustausgleichsbeschränkungen für bestimmte negative Einkünfte mit Bezug zu Drittstaaten. Als Drittstaaten sind solche Staaten anzusehen, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind (§ 2a Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 EStG). Von der Beschränkung werden auch Verluste aus einer in einem Drittstaat belegenen gewerblichen Betriebsstätte erfasst (§ 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG enthält wiederum eine Ausnahme, nach der derartige Verluste doch ausgeglichenwerden dürfen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Steuerpflichtige nachweist, dass die negativen Einkünfte aus einer gewerblichen Betriebsstätte in einem Drittstaat stammen, die ausschließlich oder fast ausschließlich die Herstellung oder Lieferung von Waren, außer Waffen, die Gewinnung von Bodenschätzen sowie die Bewirkung gewerblicher Leistungen zum Gegenstand hat, soweit diese nicht in der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen, die dem Fremdenverkehr dienen, oder in der Vermietung oder Verpachtung von Wirtschaftsgütern einschließlich der Überlassung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren, Erfahrungen und Kenntnissen bestehen (§ 2a Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz EStG, sog. Aktivitätsvorbehalt).
27Im Streitfall handelt es sich bei den Gewinnanteilen der Klägerin aus den polnischen Gesellschaften unstreitig um Einkünfte aus einer nicht in einem Drittstaat belegenen Betriebsstätte, da Polen Mitgliedstaat der Europäischen Union ist. Die Definition der Drittstaaten (§ 2a Abs. 2a Satz 1 EStG) gilt gemäß § 32b Abs. 1 Satz 3 EStG entsprechend auch für die Auslegung dieser Vorschrift. Die polnischen Gesellschaften unterhielten in Polen auch Betriebsstätten. Betriebsstätte ist jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient, insbesondere die Stätte der Geschäftsleitung (§ 12 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 der Abgabenordnung, AO). Die Gesellschaften haben in Polen unstreitig ihre Geschäftsleitungen.
28Die polnischen Betriebsstätten erfüllen auch nicht die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG. Sie haben ausschließlich oder fast ausschließlich die Bewirkung gewerblicher Leistungen zum Gegenstand, die weder in der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen, die dem Fremdenverkehr dienen, noch in der Vermietung und Verpachtung von Wirtschaftsgütern bestehen. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
29Die weitere in § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG enthaltene Formulierung, nach der der Steuerpflichtige nachweisen muss, dass die „negativen Einkünfte“ aus einer „gewerblichen Betriebsstätte in einem Drittstaat“ stammen, führt im Streitfall nicht dazu, dass die Ausnahmevorschrift des § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG eingreift. Es handelt sich zwar weder um negative Einkünfte noch um solche aus einer in einem Drittstaat belegenen Betriebsstätte. Diese Formulierung stellt jedoch keine Tatbestandsvoraussetzung des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG dar.
30Dies ergibt sich zunächst daraus, dass § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG bei unmittelbarer Anwendung eine Ausnahmevorschrift zur Grundregel des § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG darstellt. Die Grundregelung enthält bereits die (alleinigen) Tatbestandsvoraussetzungen „negative Einkünfte aus einer in einem Drittstaat belegenen gewerblichen Betriebsstätte“. Diese Voraussetzungen werden in der Ausnahmevorschrift lediglich (überflüssigerweise) wiederholt. Sie stellen keine Tatbestandsvoraussetzungen der Ausnahmevorschrift, sondern vielmehr der Grundregel dar. Voraussetzung der Ausnahme ist hingegen allein die Art der Tätigkeit (Aktivitätsvorbehalt).
31Eine gegenteilige Sichtweise würde dazu führen, dass der Verweis in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG keinen Anwendungsbereich hätte. Da diese Vorschrift ausdrücklich Einkünfte aus einer anderen als in einem Drittstaat belegenen Betriebsstätte voraussetzt, wären die Voraussetzungen der Verweisung niemals erfüllt, wenn man die Belegenheit der Betriebsstätte als Tatbestandsvoraussetzung des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG ansehen würde. Die Anwendungsbereiche der beiden Vorschriften schließen sich vielmehr gegenseitig aus. Da der Verweis bei diesem Verständnis einer inhaltsleeren Formulierung gleichkäme, kann er nur als Verweis auf die in § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG genannte Art der Tätigkeit verstanden werden (so auch Schmidt/Heinz, IStR 2009, 43, 45; Gebhardt/Quilitsch, IStR 2010, 390, 391; Kuhn/Kühner in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32b Anm. 129; Heinicke in Schmidt, 32. Auflage 2013, § 32b Rn. 34).
32Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in die durch das Jahressteuergesetz 2009 geschaffene Neuregelung einen Verweis ohne Anwendungsbereich aufnehmen wollte. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 16/10189, S. 46 und 53) ergänzt § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG die Neufassung von § 2a EStG, der mit demselben Gesetz auf Verluste aus Drittstaaten beschränkt wurde. Der Gesetzgeber reagierte damit auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH-Urteil vom 29.3.2007 C-347/04, Slg. 2007 I-2647, Rewe-Zentralfinanz), das die frühere Regelung des § 2a EStG, die alle ausländischen Verluste erfasste, teilweise für europarechtswidrig erklärt hatte sowie auf ein von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren. Gleichwohl sollten bestimmte gewerbliche Verluste aus EU-Betriebsstätten vom negativen Progressionsvorbehalt ausgenommen werden. Um europarechtlichen Bedenken hiergegen zu begegnen, sollten im Gegenzug auch entsprechende positive Einkünfte aus EU-Betriebsstätten vom Progressionsvorbehalt ausgenommen bleiben. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf positive Einkünfte aus aktiven Tätigkeiten ist demnach als vom Gesetzgeber für notwendig erachtete Folgeregelung für den Erhalt des negativen Progressionsvorbehalts für Verluste aus denselben Tätigkeiten anzusehen.
33Auf die in § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG enthaltene Formulierung „negative Einkünfte“ bezieht sich die Verweisung in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bereits nicht, da der Wortlaut ausdrücklich nur die Voraussetzungen der Betriebsstätte im Sinne dieser Vorschrift, nicht diejenigen der mit dieser Betriebsstätte erzielten Einkünfte erfasst.
34Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
35Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen, weil die Frage, wie weit die seit 2008 geltende Ausnahme vom Progressionsvorbehalt bei Einkünften aus EU-Betriebsstätten reicht, für eine Vielzahl von Fällen bedeutsam ist und bisher - soweit ersichtlich - hierzu noch keine gerichtliche Entscheidung vorliegt.