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Der Bescheid vom 14.05.2012 und die Einspruchsentscheidung vom 29.06.2012 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger ab Januar 2012 bis Dezember 2012 Kindergeld für seinen Sohn E zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob dem Kläger Kindergeld für seinen Sohn E ab Januar 2012 zusteht.
3E wurde am 28.03.1990 geboren. Er begann am 03.08.2009 eine Ausbildung zum Werkzeugmechaniker bei der Firma R GmbH in U. Es handelt sich um einen zweigleisigen Ausbildungsgang. Parallel zum Studium an der Fachhochschule D erfolgt eine technische Berufsausbildung im dualen System für die Dauer von 2,5 Jahren (Phase 1) und eine berufspraktische Tätigkeit im erlernten Beruf für weitere 2,0 Jahre (Phase 2). Die Phase 1 endet mit der Abschlussprüfung vor der Industrie- und Handelskammer zum Werkzeugmechaniker, die Phase 2 mit dem Abschluss des Prüfungsverfahrens zum „Bachelor of Engineering“ an der Fachhochschule D. Die Studienzeit beträgt insgesamt 4,5 Jahre mit Beginn am 03.08.2009 und Beendigung am 31.01.2014.
4E hat die Prüfung zum Werkzeugmechaniker bestanden und damit die technische Berufsausbildung beendet. Er befindet sich nun in der sogenannten berufspraktischen Tätigkeit für die Dauer von 2 Jahren. Nach § 4 des Vertrags mit der R GmbH wird zu diesem Zweck ein schriftlicher zweckbefristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen (§ 4 Abs. 1 des Berufsausbildungsvertrags). In § 4 Abs. 2 des Berufsausbildungsvertrags ist vereinbart, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 bis 45 Stunden betragen kann. Zum Zweck der Erfüllung der Studienverpflichtungen soll eine unbezahlte Freistellung von der Arbeit erfolgen, in der Regel an einem Freitag. Wegen der Einzelheiten wird auf den Berufsausbildungsvertrag vom 06.11.2008 Bezug genommen.
5Für 2010 und 2011 setzte die Beklagte Kindergeld fest, da die Einkommensgrenze nicht überschritten worden ist.
6Der Kläger stellte für 2012 einen Antrag auf Kindergeld für E und fügte eine Studienbescheinigung der Fachhochschule D für das Sommersemester 2012 bei (Blatt 108 ff. der Kindergeldakte). Mit Schreiben vom 23.04.2012 forderte die Beklagte den Kläger auf, noch eine Erklärung zu einer abgeschlossen Erstausbildung und Erwerbstätigkeit für E einzureichen.
7Mit Bescheid vom 14.05.2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kindergeld ab Januar 2012 für E ab. Die für die Entscheidung über den Kindergeldanspruch notwendigen Unterlagen seien nicht eingereicht worden, sodass nicht festgestellt werden könne, ob ein Anspruch auf Kindergeld bestehe.
8Der Kläger legte mit am 14.06.2012 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben vom 12.06.2012 das Prüfungszeugnis der Industrie- und Handelskammer seines Sohnes vor, mit dem bescheinigt wird, dass E in dem staatlichen anerkannten Ausbildungsberuf Werkzeugmechaniker die Abschlussprüfung mit dem Gesamtergebnis gut am 13.01.2012 bestanden hat (Blatt 120 der Kindergeldakte). Außerdem gab er eine Erklärung zu einer abgeschlossen Erstausbildung und Erwerbstätigkeit auf dem dafür vorgesehenen Formblatt ab. Unter 3. heißt es zur Angabe der Tätigkeit: „Trainee/Junior Konstrukteur“, als regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit sind 32 Stunden angegeben und die voraussichtliche Dauer bis 31.01.2014; wegen der Einzelheiten wird auf die Erklärung Bezug genommen, Blatt 114 der Kindergeldakte.
9Die Beklagte behandelte das Schreiben vom 12.06.2012 als Einspruch, den sie als unbegründet zurückwies. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums werde ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) nur berücksichtigt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch seien unschädlich. E habe seine Abschlussprüfung zum Werkzeugmechaniker bestanden und damit eine Berufsausbildung abgeschlossen. Er gehe nach den Angaben des Klägers einer Erwerbstätigkeit nach, und zwar mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von über 20 Stunden. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Einspruchsentscheidung vom 29.06.2012, Blatt 121 f. der Kindergeldakte.
10Mit der Klage trägt der Kläger vor, die Beklagte verkenne, dass es sich um eine zusammenhängende Berufsausbildung handele. E habe nicht zuerst eine Lehre absolviert und dann ein Studium angehängt, sondern eine zusammenhängende Ausbildung gewählt, bei der die technische Berufsausbildung lediglich eine Phase und damit nur einen „kleinen“ Teilaspekt der Gesamtausbildung darstelle. Nach § 2 Abs. 3 des Berufsausbildungsvertrags ende die Ausbildungszeit im Übrigen vorzeitig, wenn der Studierende das Studium aufgebe. Insofern sei die technische Berufsausbildung abhängig vom Studium und könne auch unter diesem Aspekt nicht als selbständige Berufsausbildung angesehen werden. Mit dem Studium „stehe und falle“ der Berufsausbildungsvertrag, welcher erst durch den Abschluss des Studiums beendet werde.
11Nach § 4 Abs. 4 des Berufsausbildungsvertrags passe sich die betriebliche Arbeitszeit den Belangen des Studiums an. Auch hierin zeige sich, dass das Studium der Mittel- und Schwerpunkt des Vertrages sei.
12Auf Aufforderung des Gerichts legte der Kläger im Klageverfahren eine Bescheinigung des Ausbildungsbetriebs vor. Danach bestätigt die Firma R, dass die Ausbildung untrennbar mit dem parallel stattfindenden Studium verbunden sei und die Ausbildungszeit deswegen bei vorzeitigem Ablegen des Examens oder Aufgabe des Studiums ende. Studium und Ausbildung sollten auf anspruchsvollere Tätigkeiten in der Forschung und Entwicklung vorbereiten, Sinn und Zweck der Ausbildung sei es hierbei, dem Auszubildenden die praktische Umsetzung des im Studium Erlernten beizubringen und zu ermöglichen. Dazu durchlaufe der Auszubildende verschiedene Abteilungen im Unternehmen und werde mit Tätigkeiten betraut, die sich den erlernten Kenntnissen aus dem Studium anpassten und darauf abgestimmt seien. Er werde hierbei in allen Abteilungen von erfahrenen Ingenieuren betreut.
13Weiter legte der Kläger Auszüge aus der Prüfungsordnung vor und führte dazu im Einzelnen aus, inwieweit die Verknüpfung des Studiums mit der Tätigkeit vorhanden ist. So sehe der weitere Ausbildungsverlauf nach Beendigung der Ausbildung zum Werkzeugmechaniker vor, dass die technischen Verbundstudenten die Möglichkeit bekämen, verschiedene Abteilungen bei ihrem Ausbildungsbetrieb, hier der Firma R, kennenzulernen, um ihre erworbenen Fachkenntnisse aus dem Studium anzuwenden und weiterzuentwickeln. Das seien beim Ausbildungsbetrieb die Bereiche Special Products Design, Elektronikentwicklung, Metallverarbeitung, Kunststoffverarbeitung, Forschung und Entwicklung (Konstruktion) u. a.. Im Bereich Special Products Design gehöre es zu den alltäglichen Aufgaben, Sonderleuchten für Bereiche zu entwickeln, in denen keine Standardleuchten eingesetzt werden könnten. Hierzu seien Kenntnisse der technischen Mechanik und der Elektrotechnik (Gegenstand der Fachsemester 1 bis 3) unbedingt erforderlich, da die Leuchten sowohl mechanisch als auch elektrisch konstruktiv ausgelegt sein müssten. Außerdem sei eine sinnvolle und zweckmäßige Werkstoffauswahl zu treffen, was Gegenstand des Studiums im Bereich der Werkstoffkunde I und II (Gegenstand der Fachsemester 4 und 5) sei.
14Schließlich werde der Umgang mit 3D-Zeichnungsprogrammen, was das Hauptbetätigungsfeld des Konstrukteurs sei, erlernt und zwar in dem Fach CAD (Computer Aided Design). Wegen der weiteren Ausführungen hierzu wird auf das Schreiben des Klägers vom 24.10.2012 Bezug genommen.
15Der Kläger beantragt,
16den Bescheid vom 14.05.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger ab Januar 2012 Kindergeld zu gewähren.
17Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
18Die Beklagte hat sich insbesondere auch zu den im Klageverfahren auf Anforderung des Gerichts vorgelegten Unterlagen trotz Aufforderung nicht geäußert.
19Der Senat entscheidet nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
20Entscheidungsgründe
21Die Klage ist begründet.
22Die Ablehnung der Gewährung von Kindergeld für das Jahr 2012 war rechtswidrig.
23Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG i. V. m. § 32 Abs. 4 EStG werden Kinder berücksichtigt, wenn sie noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG). Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG sind eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des 4. Buches Sozialgesetzbuch (SGB) unschädlich.
24Im Streitfall liegt ein Ausbildungsdienstverhältnis vor, sodass Kindergeld weiter zu gewähren ist, obwohl das Kind einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Zwischen dem Ausbildungsbetrieb und dem Sohn des Klägers ist ein Ausbildungsdienstverhältnis abgeschlossen worden. Es handelt sich um einen sog. dualen Studiengang, der grundsätzlich auch nach der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des EStG (DA-FamEStG) zu berücksichtigen ist; DA-FamEStG 63.4.3.2 Abs. 1 Satz 3.
25Im Streitfall ist ausweislich des Berufsausbildungsvertrags vom 06.11.2008 Gegenstand des Vertrags auch das Studium. Dies ergibt sich insbesondere aus § 1 und § 2 des Vertrags.
26Ob, wie in DA-FamEStG 63.4.3.2 Abs. 2 ausgeführt, die Annahme eines Ausbildungsdienstverhältnisses ausscheidet, wenn es bei einem berufsbegleitenden und berufsintegrierten dualen Studiengang an einer Ausrichtung der Tätigkeit für den Arbeitgeber auf den Inhalt des Studiums fehlt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn die Ausrichtung der berufspraktischen Tätigkeit hat jedenfalls der Ausbildungsbetrieb mit Bescheinigung vom 18.10.2012 bestätigt.
27Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
28Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.