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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Tatbestand:
2Streitig ist, ob der am 00.00.19xx geborene Sohn U ein berücksichtigungsfähiges Kind i.S.d. §§ 63 Abs. 1, 32 Abs. 4 Satz 1 EStG ist.
3Die Klägerin erhielt für ihren Sohn U Kindergeld. Im „Antrag auf Weiterzahlung des Kindergeldes für ein volljähriges Kind“ vom 03.11.2008 (Bl. 40 der Kindergeldakte / KgA) war angekreuzt, U suche einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Zudem war eingetragen „Hat Bluthochdruck / Untersuchungen laufen noch“. Mit Bescheid vom 05.11.2008 (Bl. 45 KgA) gab die Beklagte dem Antrag statt und setzte zugunsten der Klägerin für U ab Januar 2008 Kindergeld fest.
4U hatte nach Abschluss der Hauptschule ein Berufsgrundbildungsjahr der Fachrichtung Metalltechnik absolviert, welches in 2008 geendet hatte. Danach hatte er sich bei der Agentur für Arbeit als Bewerber um einen Ausbildungsplatz gemeldet. Als Ausbildungswunsch ist vermerkt „Maler/in und Lackierer/in – Gestaltung und Instandhaltung, Fachlagerist“.
5Der Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit C erstellte unter dem Datum 19.02.2009 ein Gutachten (Bl 61 KgA). Hierin wurde angegeben, dass U trotz der Bluthochdruckerkrankung vollschichtig (tägl. 6 Std. und mehr) arbeitsfähig sei. Auszuschließen seien: Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten mit hohem Gefahrenpotential, Nachtschicht, arbeitsmedizinisch definierte Hitzearbeit, Absturzgefahr aus großer Höhe und Tätigkeiten mit erhöhter Eigen- und Fremdgefährdung. Weiter heißt es dort wie folgt:
6„Im Mittelpunkt steht eine Bluthochdruckerkrankung, die bisher noch nicht befriedigend eingestellt ist. Hier berichtet der Patient über wiederholte Blutdruckkrisen mit Atembeschwerden und Schwindelsymptomatik, die ohne Bezug zur aktuellen Belastung mehrfach täglich aufträten. In diesem Zusammenhang sind regelmäßig hohe körperliche Belastungen und Tätigkeiten mit erhöhtem Gefahrenpotential derzeit nicht möglich. Unter Fortführung der begonnenen Therapie ist mit einer Verbesserung der Blutdruckregulierung mittelfristig zu rechnen, so dass die genannten Einschränkungen voraussichtlich abgemildert werden können. Ein genauer Zeitraum hierfür ist derzeit noch nicht absehbar.
7Der Patient wünscht sich eine Tätigkeit als Autolackierer. Hierfür besteht ausreichende Leistungsfähigkeit. Bezüglich einer Tätigkeit als Maler und Lackierer allgemein ist eine Arbeit auf hohen Gerüsten derzeit noch nicht zu empfehlen. Ob dies im mittelfristigen Verlauf möglich wird, ist aus heutiger Sicht nicht abschließend beurteilbar. Eine Tätigkeit im Lager ist aufgrund der eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit mit hohen Gewichten als ungünstig anzusehen, insbesondere das Heben großer Lasten in ungünstiger Körperhaltung ist dem Patienten derzeit nicht zuzumuten. Geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der körperlichen Belastbarkeit wurden dem Patienten benannt. Zum Leistungsbild siehe oben.“
8Zum 27.07.2009 wurde U aus der Berufsberatung abgemeldet. Als letzter Kontakt ist der 16.04.2009 vermerkt (Bl. 63 KgA).
9Mit Schreiben vom 06.09.2010 hörte die Beklagte die Klägerin in Bezug auf eine mögliche Aufhebung des Kindergeldes ab August 2009 an. Die Klägerin entgegnete mit Schreiben vom 10.09.2010 (Bl. 67 KgA) Folgendes:
10„Die Berufsberaterin meines Sohnes, Frau J , hat U aufgrund des Gutachtens des ärztlichen Dienstes aus dem Computer genommen. Sie sagte uns, dass U sich erst einmal um seine Gesundheit kümmern sollte. Auf Nachfrage, ob U Nachteile dadurch entstehen können, sagte uns Frau J nein. Dadurch habe ich nicht damit gerechnet, dass U kein Kindergeld mehr zusteht, da er von keiner Behörde Geld bezieht.
11P.S. U's Gesundheitszustand hat sich seit dem Tag des Gutachtens weiterhin verschlechtert.“
12Ungeachtet dieser Einwendungen hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für U mit Bescheid vom 13.10.2010 gem. § 70 Abs. 2 EStG ab August 2009 auf und forderte das für den Zeitraum August 2009 bis September 2010 bereits ausgezahlte Kindergeld i.H.v. 2.476 € gem. § 37 Abs. 2 AO von der Klägerin zurück (Bl. 73 KgA).
13Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren trug die Klägerin vor, sie sei zusammen mit U beim Arbeitsamt gewesen. Frau J habe ihr mitgeteilt, dass sie U aufgrund seiner Krankheit aus dem Computer des Arbeitsamts nehme, „damit wir uns darauf konzentrieren können, die Ursache seines Leidens ausfindig machen zu können und währenddessen nicht permanent vom Arbeitsamt umsonst kontaktiert werden“. Des Weiteren habe ihr Frau J , als sie sich ausdrücklich nach U's finanzieller Lage und Zukunft erkundigt habe, versichert, dass U auch weiterhin Kindergeld zustehe. Erst jetzt habe sie – die Klägerin – erfahren, dass U eigentlich Hartz IV zugestanden hätte.
14Weder sie noch U hätten Frau J aufgetragen, U aus dem Computer zu nehmen. Sie hätten nämlich angenommen, dass Frau J in der Ausführung ihres Berufes kompetent genug wäre, um nach bestem Wissen und Gewissen im Sinne von U zu handeln, was aber offensichtlich nicht der Fall gewesen sei. Es könne einfach nicht angehen, dass sie – die Klägerin – wegen inkompetenter Beratung seitens des Arbeitsamtes zur Rechenschaft gezogen werde.
15Auf Nachfrage der Beklagten teilte Frau J mit (Bl. 81 KgA), dass der alte Datensatz nicht mehr vorhanden sei und sie den Fall nur aus der Erinnerung schildern könne. Es sei schon im Juni 2008 eine Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme vorgemerkt worden, welche jedoch aus gesundheitlichen Gründen zunächst zurückgestellt bzw. verschoben worden sei. Der Jugendliche sei dann lange Zeit weiter gemeldet gewesen mit jeweiligen Anfragen durch die Berufsberatung, ob ein aktiver Ansatz wieder möglich sei. Weiter wird ausgeführt: „Die weitere Führung lief voraussichtlich bis zum Ausbildungsbeginn 2009 – da aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen weiterhin kein aktiver Ansatz über die BB erfolgen konnte, war eine weitere Führung in der BB zunächst nicht mehr zielführend und der Datensatz wurde wahrscheinlich abgemeldet. Wenn gesundheitliche Einschränkungen dazu führen, dass ein Jugendlicher nicht (mehr) in der BB geführt wird, weise ich darauf hin, diese Situation mit der Familienkasse zu besprechen.“
16Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 05.11.2010 als unbegründet zurückgewiesen.
17Im Klageverfahren verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
18Sie trägt vor, dass sich die Beklagte irre, soweit diese davon ausgehe, dass U eine vollschichtige Erwerbstätigkeit von mindestens sechs Stunden ausüben könne. U sei aufgrund seiner eingeschränkten Belastbarkeit weder damals noch heute in der Lage gewesen, die von ihm gewünschte Lehre als Autolackierer anzutreten. Aus diesem Grund habe die Berufsberaterin U geraten, beruflich ein Jahr zu pausieren, um den Blutdruck in den Griff zu bekommen. Dies habe U dann auch getan. Allerdings sei es bislang nicht gelungen, eine Verbesserung der Blutdruckregulierung zu erreichen. Die Klägerin reichte zwei Atteste des Dr. med. E vom 10.11.2010 und 29.02.2012 ein (Bl. 20, 58 der Gerichtsakte – GA).
19Aufgrund der damals vorliegenden ärztlichen Atteste seien sowohl sie – die Klägerin – als auch die Arbeitsvermittlerin davon ausgegangen, dass U keiner Arbeit nachgehen könne. Jedoch hätten weder sie noch U den Wunsch geäußert, dass U mit der Arbeitssuche pausieren solle, sondern dies sei nach Vorlage der Atteste von Frau J angeregt worden. Diese sei es auch gewesen, die erklärt habe, dass weiterhin ein Kindergeldanspruch bestehe.
20Sie – die Klägerin – fühle sich von der Agentur für Arbeit getäuscht. Die Beklagte müsse sich das Verhalten der Frau J zurechnen lassen, da die ARGE und die Beklagte als einheitliche Behörde auftreten würden. Sie – die Klägerin – habe davon ausgehen können und müssen, dass die Angaben der Sachbearbeiterin Frau J , dass U weiterhin Anspruch auf Kindergeld habe, rechtens seien. Dies müsse sich die Beklagte zurechnen lassen, zumal U sich dann auf jeden Fall bei einem für Arbeitslosengeld II zuständigen Leistungsträger habe melden können.
21Durch die Herausnahme von U aus der Datei für Bewerber um eine Ausbildungsstelle seien die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG ohne ihr– der Klägerin – Verschulden beseitigt worden. Der sozialrechtliche Wiederherstellungsanspruch gebiete es daher, sie so zu stellen, dass der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG als gegeben gelte.
22Die Klägerin beantragt sinngemäß,
23den Bescheid vom 13.10.2010 sowie die Einspruchsentscheidung vom 05.11.2010 aufzuheben.
24Die Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Sie hält den angefochtenen Bescheid weiterhin für rechtmäßig.
27Eine Berücksichtigung während einer Erkrankung setze u.a. voraus, dass festgestellt werde, wann die Ausbildung bzw. die Bemühungen um einen Ausbildungsplatz wieder aufgenommen werden können. Es müsse somit feststehen, dass das Kind in absehbarer Zeit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wieder erfülle. Vorliegend sei nach dem Ergebnis der Begutachtung nicht absehbar, wann sich die Erkrankung bessere. Gleichzeitig werde attestiert, dass trotz der Erkrankung eine vollschichtige Tätigkeit möglich sei. Eine Berücksichtigung als erkranktes Kind scheide damit aus.
28Auch die Berücksichtigung wegen einer Behinderung gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG scheide aus. Hier fehle es schon an einer Kausalität zwischen der Behinderung und der mangelnden Fähigkeit zum Selbstunterhalt, da U nach der medizinischen Begutachtung zu einer vollschichtigen Tätigkeit in der Lage sei.
29Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass ihr der weitere Bezug des Kindergeldes zugesichert worden sei. Vertrauensschutz scheide schon deshalb aus, weil etwaige entsprechende Zusagen durch die ARGE nicht der beklagten Familienkasse zuzurechnen seien.
30Der Senat hat mit Beschluss vom 18.07.2012 den Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. med. Q mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zu folgenden Beweisfragen beauftragt:
31"1. ob Herr U L im Streitzeitraum August 2009 bis November 2010 unter gesundheitlichen Einschränkungen litt und – falls ja – welche dies waren und seit wann die Einschränkungen bestanden,
322. ob und – wenn ja – in welchem Umfang die Leistungsfähigkeit des Herrn U L hierdurch in zeitlicher Hinsicht (Begrenzung der Wochenarbeitszeit) oder fachlicher Hinsicht (Begrenzung auf bestimmte Tätigkeiten) im Streitzeitraum eingeschränkt war sowie
333. ob und – wenn ja – in welcher Hinsicht Herr U L für die ihm möglichen Tätigkeiten einen besonders eingerichteten Arbeitsplatz benötigt hätte."
34Der Gutachter bestätigte in seinem Gutachten vom 21.12.2012, dass U im Streitzeitraum an einer idiopathischen Hyperhidrosis und einer arteriellen Hypertonie erkrankt sei. Aus dem Gutachten ergibt sich, dass U wegen der Hypertonie und der Hyperhidrosis vom 22.08.-02.09.2008, vom 04.-10.12.2008, vom 22.-30.09.2009 und vom 06.-09.10.2009 stationär behandelt wurde.
35Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass U trotz dieser Erkrankungen vollschichtig (täglich 6 Stunden und mehr) arbeiten könne und dass kein besonders eingerichteter Arbeitsplatz notwendig erscheine. Eine Arbeitstätigkeit sei, da sie eine Struktur im Tagesablauf gewährleisten würde, für das Krankheitsbild von U sogar „sehr förderlich“. Es seien jedoch folgende Einschränkungen zu beachten: keine Arbeiten mit erhöhter Unfallgefahr, keine schwere körperliche Arbeit, keine Tätigkeiten mit Absturzgefährdung, keine Hitzetätigkeit, kein Tragen eines Atemschutzes über 5 kg, keine Arbeit in Nachtschicht, keine Tätigkeiten im Nahrungsmittelbereich, kein intensiver Kundenkontakt (wegen Händeschütteln). Die vorgenannten Einschränkungen würden dem von U geäußerten Berufswunsch „Autolackierer“ nicht entgegen stehen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 21.12.2012, die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die Kindergeldakte verwiesen.
37Der Senat hat am 09.08.2013 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen.
38Entscheidungsgründe:
39Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
40Der Bescheid vom 13.10.2010 enthält zwei Verwaltungsakte, nämlich einerseits die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung (Aufhebungsbescheid) und andererseits die Rückforderung des Kindergeldes (Rückforderungsbescheid).
411. Der Aufhebungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
42Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bindet die Ablehnung oder Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe des Bescheides bzw. der Einspruchsentscheidung (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 02.11.2011 – III B 48/11, BFH/NV 2012, 265, m.w.N.; BFH-Urteil vom 04.08.2011 – III R 71/10, BStBl II 2013, 380 m.w.N.). Bezogen auf den Streitfall bedeutet das, dass sich die gegen den Aufhebungsbescheid gerichtete Klage auf die Monate August 2009 (Beginn der Aufhebung) bis November 2010 (Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 05.11.2010) bezieht.
43Nach § 70 Abs. 2 FGO ist die Festsetzung des Kindergeldes zu ändern, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, und zwar mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn ein volljähriges Kind die besonderen Voraussetzungen des §§ 63 Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 EStG nicht mehr erfüllt.
44Im Streitzeitraum August 2009 bis November 2010 lagen die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG nicht vor.
45a) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, 2a, 2b und 2d EStG scheiden im Streitfall offensichtlich aus. U war im Streitzeitraum nicht als Arbeitssuchender gemeldet (Nr.1), absolvierte keinen Freiwilligendienst i.S.d. Nr. 2d, wurde nicht für einen Beruf ausgebildet (Nr. 2a) und befand sich auch nicht in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten i.S.d. Nr. 2b.
46b) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG lagen ebenfalls nicht vor.
47Nach dieser Vorschrift wird ein Kind berücksichtigt, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen konnte.
48Die Berücksichtigung eines Kindes nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, dass sich das Kind ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht. Das Bemühen um einen Ausbildungsplatz ist glaubhaft zu machen. Pauschale Angaben, das Kind sei im fraglichen Zeitraum ausbildungsbereit gewesen o.ä., reichen nicht aus. Um einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Kindergeldes entgegen zu wirken, muss sich die Ausbildungsbereitschaft des Kindes durch belegbare Bemühungen um einen Ausbildungsplatz objektiviert haben (vgl. BFH, Urteil vom 19.06.2008 – III R 66/05, BStBl II 2009, 1005).
49Anhaltspunkte dafür, dass sich U im Streitzeitraum auf Ausbildungsplätze beworben hat, liegen nicht vor. Dies hat die Klägerin auch nicht behauptet. Sie stützt ihren Vortrag vielmehr darauf, dass U im Streitzeitraum so krank gewesen sei, dass er seine Ausbildungsplatzsuche habe unterbrechen müssen.
50Dazu, wie bei einer vorübergehenden Erkrankung eines Kindes zu verfahren ist, enthält § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG keine Regelungen. Für den Fall, dass ein Kind seine Ausbildung infolge einer Erkrankung oder aus anderen, nicht auf seinem Willen beruhenden Umständen vorübergehend unterbrechen muss, hat der BFH entschieden, dass das Kind seinen Status als berücksichtigungsfähiges Kind grundsätzlich behält. Der Rechtsprechung liegt der Gedanke zugrunde, dass das Kind in solchen Fällen den Willen hat, sich der Ausbildung zu unterziehen, aber aus objektiven Gründen – wie z.B. wegen Erkrankung – daran gehindert ist, weil ihm die Durchführung der Ausbildungsmaßnahme nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Hat ein Kind einen Ausbildungsplatz und ist es ausbildungswillig, aus objektiven Gründen aber zeitweise nicht in der Lage, die Ausbildung fortzusetzen, ist es ebenso zu behandeln wie ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, einen solchen aber nicht findet und deshalb nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG zu berücksichtigen ist (vgl. BFH, Urteil vom 20.07.2006 – III R 69/04, BFH/NV 2006, 2067; vom 15.07.2003 – VIII R 47/02, BStBl II 2003, 848). Das Merkmal „zeitweise“ bzw. „vorübergehend“ ist hierbei von besonderer Bedeutung. Ist nicht absehbar, dass sich der Gesundheitszustand des Kindes soweit verbessern wird, dass es seine Ausbildung in näherer Zukunft wieder aufnehmen kann, ähnelt die Konstellation nicht mehr der des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG, sondern der des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Es läge eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor, wenn ein Kind, das aufgrund seiner Behinderung / Erkrankung von vornherein gar keine Ausbildung aufnehmen konnte, nur unter den engen Voraussetzungen der Nr. 3 Kindergeld bekäme, während ein Kind, bei dem die Behinderung / Erkrankung erst während der Ausbildung eintritt, ohne Weiteres Kindergeld bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs nach Nr. 2a bekäme.
51Im Streitfall geht es ohnehin nicht darum, dass eine bereits begonnene Ausbildung unterbrochen wurde, sondern es wurde nur die Ausbildungssuche unterbrochen. Inwieweit die o.g. Rechtsprechung des BFH auf diese Fälle überhaupt übertragbar ist, ist fraglich. Zu beachten ist, dass Ausbildungen typischerweise zu bestimmten, z.T. noch mehrere Monate entfernt liegenden Terminen beginnen und nur wenige Erkrankungen derart schwer sein dürften, dass selbst eine körperlich einfache Tätigkeit wie das Schreiben von Bewerbungen als unmöglich bzw. unzumutbar erscheinen wird. Sofern das Schreiben von Bewerbungen möglich war, jedoch deshalb unterblieben ist, weil nicht absehbar war, ob das Kind bis zum anvisierten Ausbildungstermin hinreichend genesen ist, dürfte es häufig am Merkmal der nur „vorübergehenden“ bzw. „zeitweisen“ Unterbrechung fehlen.
52Die o.g. Rechtsfragen bedürfen im Streitfall jedoch keiner abschließenden Klärung. Denn es ist bereits nicht erkennbar, dass U aufgrund seiner Erkrankungen– insbesondere aufgrund der Hypertonie und der Hyperhydrosis – daran gehindert gewesen ist, eine Ausbildung zu beginnen bzw. sich um eine Ausbildungsstelle zu bemühen. Der vom Gericht beauftragte Gutachter Dr. Q ist vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass U – wenn auch mit gewissen Einschränkungen hinsichtlich der Art der Arbeit – im Streitzeitraum vollschichtig arbeitsfähig war. Eine Arbeitsaufnahme wurde sogar als „sehr förderlich“ angesehen. Selbst die von U gewünschte Ausbildung als Autolackierer wurde ausdrücklich für möglich erachtet. Der Senat hat keine Veranlassung, die Feststellungen des Gutachters anzuzweifeln.
53An dem Ergebnis, dass U nicht aufgrund einer Erkrankung daran gehindert gewesen ist, eine Ausbildung aufzunehmen bzw. sich um eine Ausbildungsstelle zu bemühen, würde sich allerdings auch dann nichts ändern, wenn U den Beruf eines Autolackierers aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben könnte bzw. dürfte. Denn ein Kind, das die Voraussetzungen für eine bestimmte Ausbildung nicht erfüllt, ist verpflichtet, sich um eine andere Ausbildung zu bemühen.
54Abgesehen davon, dass die Erkrankung nicht so schwer war, dass sie einer Ausbildung bzw. der Ausbildungssuche entgegenstand, verhilft eine analoge Anwendung der BFH-Rechtsprechung zu der krankheitsbedingten Unterbrechung von Ausbildungen der Klage auch deshalb nicht zum Erfolg, weil es sich bei der Erkrankung des Sohnes U offensichtlich nicht um einen vorübergehenden Zustand handelte. Dass bzw. aus welchen Gründen die Klägerin und ihr Sohn im Streitzeitraum trotz des Umstandes, dass die Bluthochdruckerkrankung schon seit mindestens 2008 bestand und sich nach den eigenen Angaben der Klägerin noch verschlechtert haben soll, davon ausgegangen sind, dass mit einer baldigen Besserung zu rechnen ist, ist nicht erkennbar.
55Entgegen der Auffassung der Klägerin ist U auch nicht aufgrund des „sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruchs“ so zu stellen, als ob er noch als Bewerber um einen Ausbildungsplatz gemeldet sei. Dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch im Kindergeldrecht nach den §§ 62 ff. des Einkommensteuer-gesetzes nicht gilt, hat der Bundesfinanzhof bereits mehrfach entschieden (vgl. BFH, Beschluss vom 28.02.2012 – III B 158/11, BFH/NV 2012, 943 m.w.N.)
56Ohnehin wirkt eine Meldung bei der Agentur für Arbeit als ausbildungssuchend nur für einen Zeitraum von drei Monaten und muss dann erneuert werden (vgl. BFH, Urteil vom 19.06.2008 – III R 66/05, BStBl II 2009, 1005). U hat sich nach der am 27.07.2009 erfolgten Abmeldung jedoch nicht mehr bei der Berufsberatung gemeldet.
57Die Klägerin lässt bei ihrer Argumentation zudem außer Acht, dass die Abmeldung aus der Bewerberkartei – auch wenn diese auf die Anregung der Berufsberaterin erfolgt sein mag – offensichtlich mit dem Einverständnis der Klägerin und von U erfolgt ist. Es stand U frei, sich jederzeit wieder als ausbildungssuchend zu melden bzw. – sofern tatsächlich die Absicht bestand, alsbald eine Ausbildung aufzunehmen – eigene Bewerbungsbemühungen zu entfalten und zu dokumentieren.
58Auch aus einer etwaigen Zusage der Berufsberaterin, es werde weiter Kindergeld gezahlt, kann die Klägerin keinen Kindergeldanspruch herleiten. Dabei kann dahin stehen, ob die Berufsberaterin eine solche Zusage überhaupt gemacht hat. Denn ein Kindergeldanspruch besteht grundsätzlich nur, wenn – was hier wie dargelegt in Bezug auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG nicht der Fall ist – die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Ob eine behördliche Äußerung dazu führen kann, dass auch ohne Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale Kindergeld festzusetzen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, da die Berufsberaterin für die Festsetzung von Kindergeld nicht zuständig war und Aussagen unzuständiger Behörden keine Rechtsbindungswirkung entfalten können.
59c) Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG liegen ebenfalls nicht vor.
60Nach dieser Vorschrift wird ein Kind berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahrs eingetreten ist.
61Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Unter Berücksichtigung dieser Definition könnte auch die Bluthochdruckerkrankung des Sohnes U , die zu Beginn des Streitzeitraums bereits länger als sechs Monate andauerte, eine Behinderung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG sein. Ob dies tatsächlich der Fall ist, kann dahinstehen, weil die übrigen Tatbestandsvoraussetzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG ohnehin nicht vorliegen.
62Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es nicht über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensunterhalts ausreicht. Der existentielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich typischerweise zusammen aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf), der sich an dem maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG orientiert (= 7.680 € in 2009 und 8.004 € in 2010), und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf, der mangels anderweitigen Nachweises mit den jeweils maßgeblichen Behinderten-Pauschbetrag i.S.d.§ 33b Abs. 1 bis 3 EStG angesetzt werden kann (vgl. BFH, Urteil vom 15.10.1999 – VI R 183/97, BStBl II 2000, 72). Da für U kein Grad der Behinderung festgestellt ist und auch kein behinderungsbedingter Mehrbedarf nachgewiesen ist, greift der Senat auf den für eine Behinderung von 25% vorgesehenen Pauschbetrag von 310 € zurück. Insgesamt ergibt sich damit im Streitfall ein existenzieller Lebensbedarf von 7.990 € in 2009 (entspricht 665,83 € pro Monat) und 8.314 € in 2010 (entspricht 692,83 € pro Monat).
63Dafür, dass U in den Monaten August 2009 bis November 2010 nicht im Stande gewesen ist, eine Tätigkeit mit einem Nettoverdienst von rd. 700 €/Monat aufzunehmen, und hierfür vorrangig seine Behinderung ursächlich gewesen ist, ist nichts ersichtlich, zumal U ausweislich des vom Gericht eingeholten Gutachtens im Streitzeitraum vollschichtig arbeitsfähig war. Bei der Prüfung der Ursächlichkeit ist zu beachten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BFH eine Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich nicht ursächlich ist, wenn der Grad der Behinderung weniger als 50 beträgt und keine besonderen Umstände dafür ersichtlich sind, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden kann (vgl. BFH, Urteil vom 19.11.2008 – III R 105/07, BStBl II 2010, 1057). Die Feststellungslast dafür, dass dennoch eine behinderungsbedingte Unfähigkeit zur Bestreitung des Lebensunterhalts vorlag, trägt der Kindergeld-berechtigte. Die Klägerin hat jedoch, obwohl für U kein Grad der Behinderung festgestellt worden ist, keine besondere Umstände dargelegt, aus denen sich ergibt, dass dieser tatsächlich zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht in der Lage war und hierfür eine Behinderung ursächlich war.
642) Der Rückforderungsbescheid ist ebenfalls rechtmäßig.
65Sind Steuervergütungen – zu denen gem. § 31 Satz 3 EStG auch das Kindergeld gehört – ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages. Dies gilt auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt.
66Mit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab August 2009 ist der Rechtsgrund für die Auszahlung des Kindesgeldes für die Monate August 2009 bis September 2010 nachträglich entfallen. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht die Leistungs-empfängerin war oder die Beklagte den Rückzahlungsbetrag von 2.476 € falsch beziffert hat, liegen nicht vor. Die Klägerin hat insoweit auch keine Einwände erhoben.
67Die Klägerin kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen.
68In der Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass die Weiterzahlung des Kindergeldes selbst bei Mitteilung der Umstände, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, zur Schaffung eines Vertrauenstatbestandes allein nicht ausreicht. Hinzu kommen müssen vielmehr besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungs-anspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen. Bei einem Massenverfahren wie im Kindergeldrecht ist dabei ein besonders eindeutiges Verhalten der Familienkasse zu fordern, dem zu entnehmen ist, dass sie auch nach Prüfung des Falls unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger nicht entstehen kann. Dem Verhalten der Familienkasse muss also die konkludente Zusage zu entnehmen sein, dass der Kindergeldempfänger mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen brauche (vgl. Beschluss vom 28.01.2010 – III B 37/09, BFH/NV 2010, 837 m.w.N.). Im Streitfall fehlt es an einem besonderen Verhalten der Familienkasse; diese hat nichts weiter getan, als das Kindergeld auszuzahlen.
69Auch ist es für die Rückforderung des Kindergeldes unerheblich, ob die Berufsberaterin der Klägerin bzw. U möglicherweise zugesagt hat, es werde weiter Kindergeld gezahlt. Denn nach der Rechtsprechung des BFH muss sich die Familienkasse nicht einmal Kenntnisse einer anderen Dienststelle innerhalb des Arbeitsamts bzw. der Agentur für Arbeit zurechnen lassen (vgl. (vgl. BFH, Beschluss vom 21.02.2008 – III B 103/07, BFH/NV 2008, 972). Erst recht ist die zuständige Stelle nicht an Zusagen einer unzuständigen Stelle gebunden bzw. sind ihr deren Äußerungen als eigene zuzurechnen. So verhält es sich auch hier. Dass es sich bei der Familienkasse und der Berufsberatung um Stellen mit unterschiedlicher sachlicher Zuständigkeit handelt, ist offensichtlich und hätte sich auch der Klägerin aufdrängen müssen.
703. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.