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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Tatbestand:
2Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Prüfungserweiterung, die sich z.T. auf einen bereits geprüften Zeitraum bezieht (sog. Zweitprüfung).
3Der Kläger betreibt eine Kfz-Werkstatt sowie den Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen und erzielt hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
4Mit Bescheid vom 12.07.2007 wurde für die Jahre 2004 bis 2006 eine Außenprüfung betreffend Einkommensteuer (ESt), Umsatzsteuer (USt) und Gewerbesteuer (GewSt) angeordnet. Ausweislich der Tz. 2.1 des Betriebsprüfungs(Bp)-Berichts vom 24.10.2007 wurden Feststellungen, die gegen eine Ordnungsmäßigkeit der Buchführung sprechen, nur in geringem Umfang getroffen. Die vorgelegten Unterlagen zur Kassenführung seien mit Mängeln behaftet. In Tz. 2.2 des Bp-Berichts heißt es sodann, dass die vorgelegten Aufzeichnungen zur Einnahmeerfassung einzelne Mängel aufweisen würden und zur Sicherstellung der Vollständigkeit der Einnahmen am 10.10.2007 eine tatsächliche Verständigung (tV) über die Höhe einer Hinzuschätzung zu den bislang erklärten Einnahmen getroffen worden sei. Hiernach sei der Gewinn 2004 um X € zu erhöhen, der Gewinn 2006 um X €, die USt 2004 um X € und die USt 2006 um X €.
5Mit Bescheid vom 19.10.2010 wurde eine Anschlussprüfung für die Jahre 2007 bis 2009 betreffend ESt, USt und GewSt angeordnet. Aufgrund der während dieser Prüfung getroffenen Feststellungen - vgl. Verdachtsprüfungsvermerk vom 17.12.2010 - wurde ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Verkürzung von ESt und GewSt 2007 bis 2009 und USt 2007 bis Oktober 2010 eingeleitet, in dessen Rahmen es am 13.01.2011 zu einer Durchsuchung der Betriebs- und Geschäftsräume des Klägers kam. Das Steuerstrafverfahren wurde am 08.03.2011 auf die ESt und GewSt 2004 bis 2006 sowie USt 2005 und 2006 erweitert; zudem sollten die ESt und GewSt 2003 sowie die USt 2003 und 2004 nach § 208 Abs. 1 Nr. 2 AO geprüft werden. Zur Begründung heißt es in dem "Vermerk über die Erweiterung des Steuerstrafverfahrens" vom 08.03.2011 u.a. wie folgt:
6Der Kläger führe sein Kassenbuch unter Verwendung des Programms Excel, ohne die Kassenuraufzeichnungen aufzubewahren. Allerdings hätten während der Durchsuchung vom 13.01.2011 noch die Uraufzeichnungen für Oktober 2010 sichergestellt werden können. Aus diesen ergebe sich, dass es sich sowohl bei den im Kassenbuch erfassten Einnahmen als auch bei den vom Kläger gefertigten Ausgangsrechnungen um reine Phantasieprodukte handele. Im Oktober 2010 seien nur 46,66 % der tatsächlichen Erlöse in das Excel-Kassenbuch übertragen worden. Allein schon die vorstehenden Feststellungen würden den Verdacht begründen, dass der Beschuldigte auch in den Jahren vor 2007 Steuern verkürzt habe, denn es wäre lebensfremd und widerspräche jeglichen kriminalistischen Erfahrungswerten, wenn der Beschuldigte seine Steuerverkürzungen genau mit Beginn des Prüfungszeitraums begonnen hätte. Zudem würden diverse Einzelfeststellungen, die unmittelbar die Jahre 2003 bis 2004 beträfen, den Verdacht der Steuerverkürzung stützen (wird näher ausgeführt, u.a. Mahnungen an Kunden ohne zugehörige Rechnung). Außerdem habe der Kläger einen Teil des Kellers seines Hauses A-Straße 1, 1a ohne Baugenehmigung zu Barräumen umgebaut. Die erste Feier in dem Keller sei am 31.12.2004 gewesen. Die Finanzierung der Kosten für den Kellerausbau sei ungeklärt. Es sei davon auszugehen, dass die mit der Erstellung der Gewerke zusammenhängenden Zahlungen bar aus der Schwarzgeldkasse erfolgt seien.
7Mit Bescheid vom 09.03.2011 wurde auch die Außenprüfung erweitert, und zwar auf die Jahre 2003 bis 2006. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid wie folgt:
8"Die Erweiterung des Prüfungszeitraumes/-umfangs ist nach § 4 Abs. 3 BpO aus folgenden Gründen erforderlich:
9Es ist mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen.
10Es besteht der Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit.
11Begründung:
12vgl. Verdachtsprüfungsvermerk vom 17.12.2010"
13Die Prüfungserweiterungsanordnung wurde dem Kläger am 09.03.2011 persönlich ausgehändigt. Zugleich wurde ihm ein Exemplar der vom Beklagten erstellten "Zusammenstellung der Besprechungspunkte / Rückfragen" vom 09.03.2011 betreffend die Jahre 2007 bis 2009 ausgehändigt. Hierin werden u.a. die Mängel im Kassenbuch, die aufgrund der aufgefundenen Uraufzeichnungen für den Monat Oktober 2010 festgestellt werden konnten, näher beschrieben. So seien z.B. sämtliche Erlöse in Zusammenhang mit "Reifen" (X €) sowie acht Erlöse aus Autoverkäufen (X €) nicht in das Kassenbuch übernommen worden und damit gänzlich unversteuert geblieben. Auch die von Kunden vereinnahmten TÜV- und AU-Gebühren (X €) seien nicht im Kassenbuch erfasst worden, die vom Kläger gezahlten TÜV- und AU-Gebühren hingegen schon. Zudem seien allein schon in dem kurzen Zeitraum, für den Echtaufzeichnungen vorliegen würden, 37 Ausgangsrechnungen festgestellt worden, deren Rechnungsbetrag niedriger sei als in den Echtaufzeichnungen. Die Minderung habe sich allein für Oktober 2010 auf X € belaufen. Insgesamt würden die Erlöse des "Excel"-Kassenbuchs und damit des Sachkontos 1000 der Buchführung für den Monat Oktober X € betragen. In den Echtaufzeichnungen des Monats Oktober 2010 seien jedoch Einnahmen in Höhe von X € dokumentiert. Das bedeute, dass weniger als 50 % der tatsächlich erzielten Erlöse, nämlich 46,66 %, überhaupt der Versteuerung zugeführt worden seien und dass sowohl die Eintragungen im Kassenbuch als auch die erteilten Ausgangsrechnungen Phantasieprodukte seien.
14Der Kläger legte gegen die Prüfungserweiterungsanordnung Einspruch ein. Er verwies darauf, dass die Steuerbescheide der bereits geprüften Jahre 2004 bis 2006 der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO unterliegen würden. Im Übrigen seien Handlungen des Steuerpflichtigen im Oktober 2010 keine neuen Tatsachen im Sinne des § 173 AO für den Zeitraum 2003 bis 2006. Zu beachten sei auch, dass die formellen Mängel in der Buchführung Gegenstand einer tV gewesen seien und durch die vorgenommenen Zuschätzungen bereits abgegolten seien.
15Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 27.10.2011 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er u.a. Folgendes aus: Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei die Anordnung einer Außenprüfung für einen bereits geprüften Zeitraum grundsätzlich zulässig (Verweis auf BFH, Urteil vom 24.01.1989 – VII R 35/86, BStBl II 1989, 440). Insbesondere stehe § 173 Abs. 2 AO einer Zweitprüfung nicht entgegen. Das Gleiche gelte für die frühere tV, da diese keine Bindungswirkung entfalte. Die Bindungswirkung einer tV entfalle, wenn diese zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führe, weil der bei der tV angenommene Grundsachverhalt sich nicht als zutreffend erweise. Habe der Steuerpflichtige falsche Angaben gemacht, entfalte die tV nach dem Urteil des BGH vom 26.10.1998 - 5 StR 746/97 (wistra 1999, 103) weder für das Finanzamt noch für den Steuerpflichtigen eine Bindungswirkung. So verhalte es sich auch im Streitfall. Die am 10.10.2007 abgeschlossene tV sei zur abschließenden steuerlichen Behandlung von Einlagen erfolgt, bei denen die Herkunft der Mittel nicht habe geklärt werden können. Aus diesem Grund seien seinerzeit Umsatzerhöhungen von X € (2004) und X € (2006) vorgenommen worden. Die Feststellungen der Steuerfahndung für den Zeitraum 2007 bis Oktober 2010 hätten jedoch den Verdacht von Steuerverkürzungen bestätigt. Dieser Verdacht erstrecke sich auch auf die Jahre vor 2007, da es lebensfremd sei, dass der Kläger seine Steuerverkürzungen genau mit Beginn des Prüfungszeitraums (2007) begonnen habe. Zudem werde der Verdacht der Steuerverkürzung auch durch verschiedene Einzelfeststellungen gestützt (wird näher ausgeführt). Nach den aktuellen Feststellungen hätten die in der damaligen tV vorgenommenen Erlöszuschätzungen bei weitem nicht ausgereicht, um die tatsächlichen Erlöse des Klägers zu erfassen. Dem Kläger sei im Zeitpunkt des Abschlusses der tV auch bewusst gewesen, dass die Erlöszuschätzungen zu einem unzutreffenden Besteuerungsergebnis führen würden. Denn ihm habe klar sein müssen, dass die Einnahmen im Bereich Kfz-Werkstatt nicht vollumfänglich erfasst worden seien und darüber hinaus auch der Kellerausbau aus nichtversteuerten Geldmitteln erfolgt sei. Der Kläger habe den Sachverhalt bei dessen Erörterung im Rahmen der tV bewusst verschleiert und für die Besteuerung wesentliche Tatsachen verschwiegen. Deshalb habe die am 10.10.2007 geschlossene tV keinen Bestand.
16Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung der Prüfungserweiterungsanordnung.
17Er ist der Auffassung, dass eine Erweiterung des Prüfungszeitraums auf die Veranlagungszeiträume 2003 bis 2006 nicht möglich sei. Für das Jahr 2003 könne schon deshalb keine Prüfungsanordnung mehr erlassen werden, weil die vierjährige Festsetzungsfrist für diesen Veranlagungszeitraum bereits abgelaufen sei. Der Erweiterung der Prüfung auf die Veranlagungszeiträume 2004 bis 2006 stehe die erhöhte Bestandskraft aus § 173 Abs. 2 AO entgegen. Die Vorschrift regele, dass Steuerbescheide, soweit sie aufgrund einer Außenprüfung ergangen seien, nur aufgehoben oder geändert werden können, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliege. Selbst wenn das Finanzamt meine, in den Veranlagungszeiträumen 2007 bis 2009 Steuerhinterziehungen aufgedeckt zu haben, so reiche das nicht aus, um die Behauptung aufzustellen, dass es auch in den Veranlagungszeiträumen 2003 bis 2006 Steuerhinterziehungen gegeben habe.
18Abgesehen davon würden in dem angefochtenen Verwaltungsakt keinerlei Tatsachen vorgetragen, aus denen sich der Verdacht einer Steuerstraftat für die Veranlagungszeiträume 2003 bis 2006 ergebe. Den in der Prüfungserweiterungsanordnung in Bezug genommenen Verdachtsprüfungsvermerk vom 17.12.2010 habe das Finanzamt ihm – dem Kläger – nicht zur Verfügung gestellt. Folglich könne dieser Vermerk auch nicht als Grundlage für einen belastenden Verwaltungsakt herangezogen werden.
19Gründe, aus denen sich die Vermutung ergeben könnte, dass für die Veranlagungszeiträume 2003 bis 2006 nicht unerhebliche Steuerforderungen zu erwarten seien, habe der Beklagte in dem angefochtenen Verwaltungsakt ebenfalls nicht vorgetragen. Überhaupt könne sich das Finanzamt nicht auf die Vorstellung stützen, es sei in den Veranlagungszeiträumen 2003 bis 2006 mit erheblichen Steuernachforderungen zu rechnen. Denn erhebliche Steuernachforderungen seien nicht Tatbestandsmerkmal von § 173 Abs. 2 AO.
20Die Annahme fehlerhafter Ermessensausübung werde außerdem durch eine Äußerung gestützt, die Frau D, die Sachgebietsleiterin der Betriebsprüfungsstelle, gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gemacht habe. Frau D habe sinngemäß erklärt, es komme ihr darauf an, ihn – den Kläger – vom Markt verschwinden zu lassen; auf Steuern komme es ihr dabei nicht an.
21Der Kläger beantragt,
22die Prüfungserweiterungsanordnung vom 09.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.10.2011 aufzuheben.
23Der Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Er hält die Prüfungserweiterungsanordnung für hinreichend begründet und verweist darauf, dass der Kläger von dem Inhalt des in Bezug genommenen Verdachtsprüfungsvermerks vom 17.12.2010 allerspätestens am 09.08.2011 im Rahmen einer Akteneinsicht Kenntnis erlangt habe. Zudem sei dem Kläger zusammen mit der Prüfungserweiterungsanordnung eine Zusammenstellung der klärungsbedürftigen Sachverhalte der Jahre 2007 bis 2009 übergegeben worden, welche ebenfalls Rückschlüsse auf die Vorjahre zulasse. Nicht zuletzt habe er – der Beklagte - auch in seiner Einspruchsentscheidung dargelegt, aus welchen Gründen die Erweiterung des Prüfungszeitraums erforderlich sei. Die Ermessenserwägungen seien damit hinreichend konkretisiert.
26Dass mit nicht unerheblichen Steuerforderungen zu rechnen sei, ergebe sich schon daraus, dass am 26.04.2011 Änderungsbescheide zur ESt und USt 2007 bis 2009 mit Mehrsteuern von rd. X € ergangenen seien. Hinzu komme noch ein Mehrergebnis an Gewerbesteuer von rd. X €.
27Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die im vorliegenden Verfahren sowie in dem Aussetzungsverfahren eingereichten Schriftsätze der Beteiligten, die vorgelegten Finanzamtsakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
28Entscheidungsgründe:
29Die Prüfungserweiterungsanordnung vom 09.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.10.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
30Nach § 193 Abs. 1 AO ist eine Außenprüfung bei Steuerpflichtigen, die wie der Kläger im Prüfungszeitraum gewerblich tätig waren, ohne weitere Voraussetzungen zulässig (st. Rspr, vgl. BFH, Urteil vom 21.06.1994 - VIII R 54/92, BStBl II 1994, 678 m.w.N.). Ob die Finanzbehörde eine Prüfung anordnet und auf welche Veranlagungszeiträume sich diese erstreckt, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen (BFH-Urteil vom 28.04.1983 - IV R 255/82, BStBl II 1983, 621, m.w.N.). Ihre Entschließung kann vom Gericht nur darauf überprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 102 FGO). Im Rahmen der Überprüfung der pflichtgemäßen Ausübung des behördlichen Ermessens ist auch die Betriebsprüfungsordnung (-BpO- vom 15.03.2000, BStBl I 2000, 368) zu beachten, die als ermessensleitende Verwaltungsvorschrift für die Finanzbehörde bindend ist (BFH, Urteil vom 19.08.1998 - XI R 37/97, BStBl II 1999, 7 m.w.N.).
311. Hinsichtlich des Umfangs des Prüfungszeitraums regelt § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO, dass dieser bei anderen Betrieben als bei Großbetrieben in der Regel nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen soll. Eine Erweiterung des Prüfungszeitraums ist gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO möglich, insbesondere dann, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder der Verdacht einer Steuerstraftat bzw. Steuerordnungswidrigkeit besteht. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung; sie müssen die Prognose wahrscheinlich machen, dass sich nicht unerhebliche Nachforderungen ergeben werden und/oder eine Verkürzung der Steuer vorliegt. Die Anordnung einer Prüfungserweiterung bleibt auch dann rechtmäßig, wenn sich nach Erlass der Einspruchsentscheidung herausstellt, dass sich im Prüfungszeitraum bzw. in den Jahren der Prüfungserweiterung tatsächlich keine erheblichen Mehrsteuern ergeben oder tatsächlich keine Steuerverkürzung vorliegt.
32Der Beklagte stützt die Erweiterung der Prüfungsanordnung insbesondere darauf, dass der Verdacht einer Steuerstraftat gegeben sei. Diese Einschätzung des Sachverhalts ist nicht zu beanstanden. Denn aufgrund der massiven Manipulationen der Ausgangsrechnungen und des Kassenbuchs, die für den Monat Oktober 2010 festgestellt worden sind, besteht hinreichender Grund für die Annahme, dass der Kläger seine Einnahmen auch schon zu früheren Zeitpunkten nicht zutreffend erfasst hat und es infolgedessen zu Steuerstraftaten gekommen sein könnte. Bei den festgestellten Mängeln in der Buchführung handelt es sich nicht bloß um solche, die auf einem Versehen oder Übersehen beruhen und bei jeder Buchführung vereinzelt vorkommen können, sondern unter Zugrundelegung der Feststellungen der Steuerfahndung sieht es vielmehr so aus, dass der Kläger seine Einnahmen vorsätzlich und systematisch verkürzt hat. Allein schon der Umstand, dass für einen einzigen Monat 37 Ausgangsrechnungen aufgefunden worden sind, deren Rechnungsbeträge hinter den in den Uraufzeichnungen verzeichneten Einnahmen zurückbleiben, spricht für ein planvolles Vorgehen. Angesichts der erheblichen kriminellen Energie, die für eine systematische Manipulation der Buchführung erforderlich ist, widerspricht es der Lebenserfahrung, dass es sich bei den für den Monat Oktober 2010 festgestellten Buchführungsmängeln um ein ausschließlich auf diesen Monat begrenztes Phänomen handelt. Da keine objektiven Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger die Art seiner Buchführung geändert hat, sind die Verdachtsmomente deshalb nicht nur auf das Jahr 2010 begrenzt, sondern erstrecken sich auf sämtliche Jahre seiner gewerblichen Tätigkeit. Unterstützt wird diese Annahme zusätzlich durch Einzelfeststellungen des Beklagten, die unmittelbar die Streitjahre betrafen, wie beispielsweise der Umstand, dass eine Mahnung ohne zugehörige Rechnung aufgefunden wurde. Hinsichtlich der Einzelheiten zu den unmittelbar die Streitjahre betreffenden Unstimmigkeiten in der Buchführung des Klägers wird auf Seite 8 bis 10 der Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
33Dem Beklagten ist auch dahingehend zuzustimmen, dass die Feststellungen der Steuerfahndung hinreichenden Grund für die Annahme bieten, dass es in den Jahren 2003 bis 2006 zu nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen kommen könnte. Ob der Kläger mit seinem Einwand Recht hat, dass sich das Finanzamt auf diese Variante des § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO im Streitfall gar nicht stützen kann, weil eine Änderung der Steuerfestsetzungen der Jahre 2004 bis 2006 nur unter den engen Voraussetzungen des § 173 Abs. 2 AO erfolgen könne und hierfür der bloße Umstand, dass möglicherweise erhebliche Mehrsteuern festgestellt würden, nicht ausreiche, kann dahinstehen. Zwar ist der Umstand, ob die für den Prüfungszeitraum ergangenen Steuerbescheide überhaupt (noch) änderbar sind, durchaus ein Gesichtspunkt, der bei der Abwägung, ob eine Außenprüfung angeordnet oder erweitert werden soll, zu berücksichtigen ist. Im Streitfall bestand allerdings schon deshalb eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine spätere Änderbarkeit der Steuerbescheide, weil der Beklagte zugleich auch den Prüfungserweiterungsgrund "Verdacht von Steuerstraftaten" bejaht hat und eine Änderung deshalb gerade nicht nach § 173 Abs. 2 AO von vornherein ausgeschlossen war. Die auf den Prüfungserweiterungsgrund "Verdacht von Steuerstraftaten" gestützten Ermessenswägungen halten – wie nachfolgend ausgeführt wird – der gerichtlichen Prüfung stand und werden nicht allein dadurch rechtswidrig, dass sich der Beklagte auch auf den anderen von § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO ausdrücklich genannten Prüfungserweiterungsgrund berufen hat.
342. Anhaltspunkte für ein unverhältnismäßiges, sachwidriges oder willkürliches Verhalten des Beklagten liegen nicht vor. Auch sind keine sonstigen Ermessensfehler ersichtlich.
35Zwar mag sich die Prüfungserweiterung auch auf Veranlagungszeiträume erstrecken, für die die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist. Dieser Umstand hat nach ständiger Rechtsprechung des BFH jedoch nicht zur Folge, dass schon deshalb auf die Prüfung zu verzichten wäre. Vielmehr ist eine Außenprüfung nach dieser Rechtsprechung, der der Senat folgt, auch dann zulässig, wenn festgestellt werden soll, ob Steuern hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden sind und daher eine verlängerte Festsetzungsfrist greift (vgl. BFH, Beschluss vom 13.01.2010 - X B 113/09, BFH/NV 2010, 600 m.w.N.). Denn die Frage der Verjährung lässt sich vielfach erst nach der Klärung des Sachverhalts durch eine Außenprüfung zuverlässig beantworten. Anders verhält es sich nur, wenn der Eintritt der Festsetzungsfrist auf der Hand liegt, weil es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Festsetzungsfrist ausnahmsweise noch nicht abgelaufen sein könnte. Maßgeblich ist mithin, ob die Außenprüfung etwas zur Klärung des Verjährungseintritts beitragen kann (vgl. BFH, Urteil vom 10.04.2003 - IV R 30/01, BStBl II 2003, 827). So verhält es sich auch im Streitfall. Dass eine Steuerhinterziehung nicht von vornherein ausscheidet, zeigt sich schon daran, dass für die Streitjahre 2003 bis 2006 ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger eingeleitet worden ist bzw. die Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Nr. 2 AO ermittelt.
36Der Beklagte musste auch nicht bereits deshalb von der Prüfungserweiterung absehen, weil für die Jahre 2004 bis 2006 bereits eine Außenprüfung durchgeführt worden ist. Die Anordnung einer Außenprüfung für einen bereits geprüften Zeitraum ist grundsätzlich zulässig (sog. Zweitprüfung, vgl. BFH, Urteil vom 24.01.1989 - VII R 35/86, BStBl II 1989, 440). Soweit der Kläger auf die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO verweist, verkennt er, dass die Frage, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind – ob also eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt – typischerweise erst nach Abschluss der Zweitprüfung abschließend beantwortet werden kann. Einer Zweitprüfung entgegen stehen könnte § 173 Abs. 2 AO - ebenso wie der Umstand, dass die reguläre Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist (s.o.) - allenfalls dann, wenn auf der Hand liegt, dass es zu keiner Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung gekommen ist. So verhält es sich im Streitfall - wie bereits dargelegt - jedoch nicht.
37Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Beklagte durch sein Verhalten beim Kläger den Anschein erweckt hat, er werde die schon durchgeführte Prüfung keinesfalls wiederholen. Der Kläger hat sich im Übrigen nicht auf Vertrauensschutz oder den Grundsatz von Treu und Glauben berufen.
38Der Umstand, dass die Erlöse und Umsätze der Jahre 2004 und 2006 bereits Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung gewesen sind, hindert das Finanzamt ebenfalls nicht, die Jahre 2004 und 2006 nochmals einer Prüfung zu unterziehen. Zwar ist eine tV grundsätzlich bindend und der von ihr erfasste Sachverhalt einer einseitigen abweichenden Regelung entzogen. Dies gilt allerdings nur, wenn die tV auch wirksam war. Hat der Steuerpflichtige oder sein Vertreter bei den zugrundeliegenden Erörterungen bewusst den Sachverhalt verfälscht oder verschleiert oder für die Besteuerung wesentliche Tatsachen gegenüber der Finanzverwaltung verschwiegen, kann die tatsächliche Verständigung keine Bindungswirkung entfalten (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.1998 - 5 StR 746/97, HFR 1999, 578). Bezogen auf den Streitfall bedeutet das, dass die tV hinfällig ist, wenn dem Kläger nachgewiesen werden kann, dass ihm bei Abschluss der tV bekannt war, dass die in seiner Buchführung ausgewiesenen Gewinne/Umsätze auch noch aus weiteren, vom Finanzamt nicht entdeckten Gründen unzutreffend sind und es sich bei den Hinzuschätzungsbeträgen von X € (2004) und X € (2006) nur um einen Bruchteil der fehlenden Erlöse und Umsätze handelt. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann erst durch die Zweitprüfung abschließend ermittelt werden.
39Ob Frau D, die Sachgebietsleiterin der Betriebsprüfungsstelle, gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers tatsächlich geäußert hat, es komme ihr nicht auf Steuern an, sondern darauf, den Kläger vom Markt verschwinden zu lassen, kann dahinstehen. Denn Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist der angefochtene Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung erfahren hat. Auch hinsichtlich der Frage, ob die Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, ist auf den Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung abzustellen (vgl. BFH, Beschluss vom 27.03.2002 – XI B 49/00, BFH/NV 2002, 1013). Bezogen auf den Streitfall bedeutet das, dass es unerheblich ist, ob die Ausgangsentscheidung möglicherweise aufgrund sachfremder Erwägungen rechtswidrig ist. Denn jedenfalls in Bezug auf die bei Erlass der Einspruchsentscheidung getroffene Ermessensentscheidung sind keine Ermessenfehler i.S.d. § 102 FGO ersichtlich. Frau D war am Einspruchsverfahren nicht beteiligt und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Entscheidungsträger in der Rechtsbehelfsstelle von etwaigen unsachgemäßen Beweggründen der Frau D Kenntnis hatten bzw. selbst solche Beweggründe verfolgten.
403. Die Prüfungserweiterungsanordnung ist auch in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Insbesondere ist sie hinreichend begründet. i.S.d. § 121 AO. Dabei kann dahinstehen, ob bereits die in der Anlage zum Bescheid vom 09.03.2011 enthaltene Begründung ausreichend war. Denn ein etwaiger Begründungsmangel ist spätestens in der Einspruchsentscheidung geheilt worden (vgl. § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO).
41Eine Verpflichtung des Finanzamts, seine Ermessenserwägungen vollumfänglich darzulegen, bestand nicht. Die Abgabenordnung geht davon aus, dass Außenprüfungen bei Gewerbetreibenden grundsätzlich ermessensgerecht sind. Einer über den Verweis auf § 193 Abs. 1 AO hinausgehenden Begründung der Prüfungsanordnung bedarf es daher regelmäßig nicht. Eine Ausnahme gilt für Prüfungserweiterungen. Will das Finanzamt den Prüfungszeitraum über den nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO vorgesehenen Dreijahreszeitraum hinaus verlängern, so muss die Anordnung so begründet werden, dass das Finanzgericht in der Lage ist, seiner gerichtlichen Ermessenskontrolle (vgl. § 102 FGO) nachzukommen. Das Finanzamt muss deshalb die Tatsachen darlegen, aus denen es die Erwartung nicht unerheblicher Steuernachforderungen oder den Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit ableitet. Einer Darstellung der konkreten Ermessenserwägungen bedarf es dagegen auch in diesem Fall nicht (vgl. BFH, Urteil vom 02.09.2008 – X R 9/08, BFH/NV 2009, 3).
42Die in der Einspruchsentscheidung gegebene Begründung erfüllt die o.g. Anforderungen. Insbesondere wurde konkret dargelegt, aus welchen Gründen der Beklagte von Steuerverkürzungen ausgeht. Es wird in der Einspruchsentscheidung nicht nur detailliert vorgetragen, welche Manipulationen des Kassenbuchs für den Monat Oktober 2010 aufgedeckt worden sind und warum das Finanzamt davon ausgeht, dass diese Manipulationen auch schon in den Vorjahren vorgenommen worden sein könnten, sondern darüber hinaus werden sogar konkrete Verdachtsmomente aus den Jahren 2003 bis 2005 benannt.
434. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.