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Unter Änderung des Abrechnungsbescheids vom 12.01.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.01.2011 wird festgestellt, dass für die Umsatzsteuer für das III. Quartal 2010 keine Säumniszuschläge entstanden sind.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge.
3Die Klägerin ist als Rechtsanwä
4ltin selbständig tätig. Für das III. Quartal 2010 meldete sie Umsatzsteuer (USt) i.H.v. xxx,xx € an, welche am 10.11.2010 fällig war. Über den Betrag schrieb sie einen Scheck aus, der am 08.11.2010 beim Finanzamt einging und am 10.11.2010 einem Konto der Finanzverwaltung gutgeschrieben wurde.
5Nachdem die Klägerin eine Mahnung über einen Säumniszuschlag von x,xx € erhalten hatte, beantragte sie den Erlass eines Abrechnungsbescheids.
6Der Beklagte erließ diesen Bescheid am 12.01.2011. Er stellte hierin fest, dass Säumniszuschläge i.H.v. (1 % von xxx € =) x,xx € entstanden seien. Zur Begründung verwies der Beklagte auf § 224 Abs. 2 Nr. 1 AO, wonach eine Zahlung bei der Hingabe oder Übersendung von Schecks erst drei Tage nach dem Scheckeingang beim Finanzamt als entrichtet gelte. Im Streitfall sei der Scheck am 08.11.2010 beim Finanzamt eingegangen, weshalb die Zahlung als am 11.11.2010 entrichtet gelte. Da die USt bis zum 10.11.2010 zu zahlen gewesen sei und für Scheckzahlungen gem. § 240 Abs. 3 Satz 2 AO keine Schonfrist gelte, seien Säumniszuschläge für einen Monat entstanden.
7Hiergegen hat die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 27.01.2011) Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass eine Säumnis nie bestanden habe und deshalb auch keine Säumniszuschläge angefallen seien. Die USt für das III. Quartal 2010 sei am 10.11.2010 fällig gewesen und der entsprechende Geldbetrag sei auch an diesem Tag auf den Konten der Finanzverwaltung eingegangen.
8§ 224 Abs. 1 Nr. 1 AO könne nicht so verstanden werden, dass entgegen nachgewiesener Gutschrift und damit Tilgung eine "Nichttilgung" fingiert werden solle. Der Gesetzgeber habe bestimmt keine Säumnis fingieren wollen, wo keine gegeben sei. Falls doch, sei die Vorschrift wohl verfassungswidrig, es sei denn, man ließe den Nachweis eines früheren Zahlungseingangs zu, z.B. indem die Wortwahl "drei Tage" als "spätestens drei Tage" ausgelegt werde. Diese Auslegung werde auch durch § 47 AO gestützt, wonach eine Steuerschuld bei Zahlung durch Scheck durch die Einlösung des Schecks erlösche. Die Einlösung und endgültige Gutschrift seien bis zum 10.11.2010 erfolgt und die Steuerschuld sei mithin bereits am 10.11.2010 erloschen.
9Die Klägerin beantragt,
10unter Änderung des Abrechnungsbescheids vom 12.01.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.01.2011 festzustellen, dass für die USt für das III. Quartal 2010 keine Säumniszuschläge entstanden sind.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Er trägt vor, dass der Eingang des Schecks am 08.11.2011 edv-mäßig erfasst worden sei und der Scheckbetrag von xxx,xx € programmgesteuert zum 11.11.2010 zum Soll gestellt worden sei.
14Für die Frage, ob Säumniszuschläge angefallen seien, komme es allein auf den durch die gesetzliche Fiktion des § 224 Abs. 2 Nr. 1 AO bestimmten Zahlungszeitpunkt an. § 224 Abs. 2 AO definiere bestimmte Zahlungszeitpunkte, um insbesondere die Berechnung von Zinsen und Säumniszuschlägen zu ermöglichen. Dabei werde ausdrücklich zwischen den einzelnen Zahlungswegen unterschieden und definiert, wann die jeweilige Zahlung "als entrichtet" gelte. Für Schecks sei Zahlungstag der dritte Tag nach Hingabe oder Übersendung des Schecks. Der Zeitpunkt der tatsächlichen Gutschrift des Scheckbetrags sei unerheblich.
15Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Finanzamtsakte Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Die Entscheidung erfolgt mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
18Die Klage ist zulässig und begründet.
19Der Abrechnungsbescheid vom 12.01.2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte hat zu Unrecht festgestellt, dass Säumniszuschläge entstanden seien.
201. Bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen entscheidet ein Abrechnungsbescheid i.S.d. § 218 Abs. 2 AO nicht nur über den Fortbestand der Zahlungsverpflichtung, sondern auch darüber, ob Säumniszuschläge überhaupt und ggf. in welcher Höhe entstanden sind. Damit wird ein zusätzliches Regelungsbedürfnis hinsichtlich des Entstehens von Säumniszuschlägen anerkannt, soweit es einer Überprüfung des Entstehens dieser Säumniszuschläge nach Grund und Höhe bedarf. Das betrifft insbesondere die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Entstehung von Säumniszuschlägen nach § 240 AO erfüllt sind.
21Nach § 240 Abs. 1 AO ist in den Fällen, in denen eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des auf den nächsten durch 50 € teilbaren abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten. § 240 Abs. 3 AO gewährt eine Schonfrist, wonach ein Säumniszuschlag - mit Ausnahme für Zahlungen nach § 224 Abs. 2 Nr. 1 AO - bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben wird.
22Wann eine Zahlung als entrichtet gilt, wird grundsätzlich durch § 224 Abs. 2 AO bestimmt. Nach dessen Nr. 1 gilt eine wirksam geleistete Zahlung bei Übergabe oder Übersendung von Zahlungsmitteln am Tag des Eingangs als entrichtet, bei Hingabe oder Übersendung von Schecks jedoch drei Tage nach dem Tag des Eingangs. Der die Scheckzahlung betreffende Nachsatz wurde mit dem Jahressteuergesetz 2007 vom 13.12.2006 eingeführt; zuvor galten auch Schecks am Tag ihrer Hingabe als Entrichtung der Zahlung. Die Gesetzesänderung wurde in den Gesetzesmaterialien wie folgt begründet (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksache 16/27212 vom 25.09.2006, dort unter Artikel 10 Nr. 12 (S. 81)):
23"Auf Grund der Weiterentwicklung moderner Zahlungsverfahren (3-Tages-Frist bei Überweisungen, Online-Banking, optimierter Lastschrifteinzug) hat der Scheck seine Bedeutung als Zahlungsmittel an Bedeutung verloren. Steuerpflichtige, die sich zur Entrichtung von Steuern eines Schecks bedienen, verfügen immer über ein Girokonto, von dem Steuerzahlungen überwiesen werden können oder von dem das Finanzamt zum Einzug von Steuerforderungen ermächtigt werden kann.
24Die Zahlung per Scheck verschafft dem Zahlungspflichtigen erhebliche Zinsvorteile dadurch, dass nach § 224 AO bereits mit der Hinreichung des Schecks die Zahlung als bewirkt gilt, während die tatsächliche Gutschrift auf Konten des Bundes und der Länder in der Regel erst Tage später, also nach Fälligkeit stattfindet. Zu Lasten des Bundes und der Länder verbleiben Zinsnachteile aber auch hoher Verwaltungsaufwand, der in der Bearbeitung der Schecks liegt (Transport zur nächsten Filiale der Bundesbank etc.). Die Kosten, die für alternative moderne Zahlungswege entstehen, sind dagegen unbedeutend.
25Vor diesem Hintergrund ist die rechtliche Bevorzugung der Scheckzahlungen und entsprechender Zinsvorteile seitens der Steuerpflichtigen nicht vertretbar."
262. Unter Berücksichtigung der o.g. Gesetzesbegründung ist von einer Gesetzeslücke auszugehen, die es gebietet, die Drei-Tages-Fiktion des § 224 Abs. 2 Nr. 1 2. HS AO in Bezug auf Säumniszuschläge in dem Sinn von "spätestens drei Tage" auszulegen, so dass kein Säumniszuschlag anfällt, wenn die tatsächliche Gutschrift des Scheckbetrags noch vor dem oder an dem Fälligkeitstag erfolgt. Der Gesetzgeber hat diesen Fall offensichtlich nicht bedacht. Zudem ist eine Auslegung im vorgenannten Sinne auch deshalb geboten, weil die Vorschrift ansonsten wegen einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung verfassungswidrig wäre.
27Die Gesetzesbegründung zeigt, dass es dem Gesetzgeber um die Beseitigung der Zinsvorteile ging, in deren Genuss der Steuerpflichtige nach der bisherigen Regelung (Zahlung schon mit Scheckhingabe) kam. Dabei wurde vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, dass es in den Fällen, in denen der Scheckbetrag tatsächlich schon vor Ablauf von drei Tagen auf Konten der Finanzverwaltung gutgeschrieben wird, zu einem Zinsnachteil beim Steuerpflichtigen und einem Zinsvorteil bei der Finanzverwaltung kommt. Dies wurde für sachgerecht gehalten, da bei der Finanzverwaltung durch die Scheckzahlungen ein hoher Verwaltungsaufwand entstehe und es der Steuerpflichtige in der Hand habe, auf andere "modernere" Zahlungswege auszuweichen.
28Dass der Gesetzgeber bei dieser Neuregelung auch die Wechselwirkung des § 224 AO zu § 240 AO bedacht hat, ist nicht ansatzweise erkennbar. Die vom Gesetzgeber angeführten Argumente lassen sich auch nicht analog auf Säumniszuschläge übertragen. Denn während die Neuregelung im Hinblick auf die Zinsberechnung sämtliche Scheckzahlungen gleichermaßen erfasst, wirkt sie sich in Bezug auf Säumniszuschläge nur für einen ganz geringen Teil aller Scheckzahlungen aus. Nicht erfasst sind sämtliche Schecks, die in einer Zeitspanne von einem Tag nach Ablauf eines Fälligkeitsstichtags (Tag der ursprünglichen Fälligkeit sowie die Tage, an denen ein neuer Fälligkeitsmonat beginnt) bis zu drei Tage vor dem nächsten Stichtag beim Finanzamt eingehen. Denn in den Fällen, in denen der Scheck spätestens am dritten Tag vor dem jeweiligen Stichtag eingegangen ist, erfolgt die Zahlung auch nach der neuen gesetzlichen Fiktion rechtzeitig, so dass keine (weiteren) Säumniszuschläge anfallen, und in den Fällen, in denen der Scheck erst nach dem jeweiligen Stichtag eingeht, erfolgte die Zahlung auf jeden Fall zu spät, so dass unabhängig von der Neuregelung (weitere) Säumniszuschläge anfallen.
29Aber auch hinsichtlich der Schecks, die genau in dem engen Zeitfenster eingehen, das zwei Tage vor einem Stichtag beginnt und mit dessen Ablauf endet, ist zu unterscheiden, nämlich danach, ob der Scheckbetrag noch vor Ablauf des Stichtags oder erst danach auf den Konten der Finanzverwaltung gutgeschrieben wird. Geht er erst später ein, wird der Steuerpflichtige durch die gesetzliche Fiktion des § 224 Abs. 2 Nr. 1 2. HS AO gegenüber der früheren Regelung zwar benachteiligt. Jedoch ist diese Benachteiligung gerechtfertigt, weil die Steuerschuld bei Ablauf des Stichtags mangels tatsächlichen Zahlungseingangs noch nicht erloschen ist – also eine tatsächliche Säumnis vorliegt – und der Steuerpflichtige eine Zahlungsmethode gewählt hat, bei der der Zahlungserfolg typischerweise erst zeitlich versetzt eintritt. Lässt der Steuerpflichtige der Finanzverwaltung einen Scheck erst kurz vor dem Fälligkeitsstichtag zukommen, nimmt er billigend in Kauf, dass der Scheckbetrag erst nach dem Fälligkeitsstichtag bei ihm abgebucht und einem Konto der Finanzverwaltung gutgeschrieben werden könnte. Tritt genau dieser Fall ein, ist der Steuerpflichtige nicht schutzwürdig und die Erhebung eines Säumniszuschlags wegen verspäteter Zahlung geboten.
30Anders verhält es sich dagegen, wenn der Scheckbetrag trotz der kurzfristigen Scheckhingabe noch vor Ablauf des Fälligkeitsstichtags beim Finanzamt eingeht. Eine Steuerschuld erlischt i.S.d. § 47 AO in dem Zeitpunkt, in dem der Leistungserfolg eintritt. Bei Schecks, die erfüllungshalber hingegeben werden, ist dies der Zeitpunkt, an dem der Scheckbetrag dem Empfänger – hier dem Finanzamt – auf dessen Konto gutgeschrieben wird bzw. bei Barschecks der Zeitpunkt der Barauszahlung. § 224 AO ist für die Bestimmung des Zeitpunkts des tatsächlichen Erlöschens der Steuerschuld ohne Bedeutung (vgl. BFH, Urteil vom 10.11.1987 - VII R 171/84, BStBl II 1988, 41; FG Hamburg, Urteil vom 24.01.2006 - II 226/04, EFG 2006, 1125). Bezogen auf den Streitfall bedeutet das, dass die USt-Schuld für das III. Quartal 2010 mit der Gutschrift des Scheckbetrags über xxx,xx € auf einem Konto des Beklagten am 10.11.2010 - und damit vor Ablauf des Fälligkeitstags - erloschen ist. Es bestand mithin zu keinem Zeitpunkt eine tatsächliche Säumnis.
31Die Säumnis wird vielmehr allein über § 224 Abs. 2 Nr. 1 2. HS AO fingiert. Für diese gesetzliche Regelung zum Nachteil des Steuerpflichtigen bedarf es einer hinreichenden Rechtfertigung, welche sich allerdings nicht aus der Gesetzesbegründung ergibt und auch nicht anderweitig erkennbar ist. Insbesondere kann der von der Gesetzesbegründung angeführte Gesichtspunkt des hohen Verwaltungsaufwands, der nach Auffassung des Gesetzgebers für die Finanzverwaltung durch die Scheckzahlung entsteht, nicht zur Rechtfertigung eines Säumniszuschlags wegen rein fiktiver Säumnis angeführt werden. Denn dieser Verwaltungsaufwand fällt bei sämtlichen Scheckzahlungen an und müsste - sofern der Gesetzgeber eine Kompensation der Verwaltungskosten sucht - zur Einhaltung des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf alle Scheckzahlungen gleichermaßen umgelegt werden. Einen Steuerpflichtigen, der eine Steuerschuld nach Ablauf des Fälligkeitsstichtags und bis zu drei Tagen vor dem nächsten Fälligkeitsstichtag per Scheck bezahlt, treffen jedoch in Bezug auf Säumniszuschläge keine anderen Folgen als einen Steuerpflichtigen, der seine Steuerschuld in bar bezahlt; die Höhe der Säumniszuschläge ist in beiden Fällen exakt gleich. Lediglich dem Steuerpflichtigen, dessen Scheckzahlung trotz rechtzeitigen Geldeingangs über § 224 Abs. 2 Nr. 1 2. HS AO als fiktiv verspätet gilt, wird eine zusätzliche Sonderleistung in Form eines Säumniszuschlags abverlangt.
32Diese Ungleichbehandlung, die durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, kann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 224 Abs. 2 Nr. 1 2. HS AO vermieden werden. Die Formulierung des § 224 Abs. 2 Nr. 1 2. HS AO "drei Tage" ist nur für Zwecke der Zinsberechnung als "erst drei Tage später" zu verstehen, in Bezug auf Säumniszuschläge dagegen als "spätestens drei Tage später" auszulegen.
33Bezogen auf den Streitfall bedeutet das, dass mangels tatsächlicher Säumnis auch keine Säumniszuschläge entstanden sind.
343. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
35Die Revision wurde zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).