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Unter Änderung des Duldungsbescheids vom 20.10.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.07.2008 wird die Höhe des von der Klägerin zu leistenden Wertersatzes auf 4.156,69 EUR begrenzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 15 % und der Beklagte zu 85 %.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
2Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Duldungsbescheids.
3Die Klägerin ist die Ehefrau des Herrn S. L. (im Folgenden SL). SL ist mit Haftungsbescheid vom 13.02.2006 für Steuerschulden der S. L. GmbH i.H.v. 26.913,27 EUR in Haftung genommen worden. Es handelt sich hierbei um Lohnsteuer- und Umsatzsteuerschulden des Jahres 2005 i.H.v. 26.147,27 EUR zuzüglich 766 EUR Säumniszuschläge. Vollstreckungsmaßnahmen gegen SL blieben erfolglos. Nach den Angaben des Beklagten hat SL eine eidesstattliche Versicherung abgegeben. Zudem soll ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen abgelehnt worden sein.
4Nach den Feststellungen des Beklagten sind auf dem Girokonto Nr. 0000000001, das die Klägerin am 12.01.1996 bei der Volksbank T. eröffnet hatte, Zahlungen eingegangen, die SL zuzurechnen sein sollen. Der Beklagte nahm dies zum Anlass, mit Duldungsbescheid vom 20.10.2006 insgesamt 29 Zahlungseingänge aus dem Zeitraum 28.01.2003 bis 23.06.2006 i.H.v. 61.490,38 EUR unter Berufung auf § 4 AnfG anzufechten und die Klägerin zur Leistung von Wertersatz i.H.v. 26.913,27 EUR aufzufordern. Dem Bescheid war eine Anlage beigefügt, in der die angefochtenen Gutschriften nach Eingangsdatum, Zahlungsart (Einzahlung, Scheck etc.) und Betrag einzeln aufgelistet sind. Darunter befinden sich u.a. zehn Überweisungen der E. Versicherungs AG. Wegen der Einzelheiten wird auf den Duldungsbescheid vom 20.10.2006 Bezug genommen.
5Zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 4 AnfG führte der Beklagte im Duldungsbescheid u.a. Folgendes aus: Dadurch, dass SL Gelder auf das Konto der Klägerin eingezahlt habe, habe er eine unentgeltliche Leistung an die Klägerin erbracht, bei der es sich nicht um ein übliches Gelegenheitsgeschenk handele und durch die die Geldmittel dem Vollstreckungszugriff durch das Finanzamt entzogen worden seien. Auf § 11 Abs. 2 AnfG, wonach der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung diese nur zur Verfügung zu stellen habe, soweit er durch sie noch bereichert sei, könne sich die Klägerin nicht berufen. Denn zumindest hinsichtlich der Zahlungen des E.s sei die Klägerin noch bereichert, da diese Gelder in die Finanzierung des von der Klägerin angeschafften Gebäudes I.-straße x in P. eingeflossen seien. Zudem könne sich die Klägerin auch schon deshalb nicht auf Entreicherung berufen, weil sie bösgläubig gewesen sei. Als im gleichen Haushalt wohnende Ehefrau sei ihr die wirtschaftliche Lage ihres Ehemanns bekannt gewesen, zumal die Ehegatten gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt worden seien.
6Die Klägerin legte gegen den Duldungsbescheid Einspruch ein. Mit Schreiben vom 25.01.2007 nahm sie zur Veranlassung jeder einzelnen angefochtenen Einzahlung Stellung. Während sie hinsichtlich einiger Einzahlungen vortrug, dass diese ihr selbst zuzurechnen seien, räumte sie hinsichtlich anderer Einzahlungen ausdrücklich ein, dass die Geldmittel von SL stammen würden. Bei den Zahlungen des E.s vom 17.02.2004 (9.760,46 EUR) und 26.02.2004 (12.373,36 EUR und 24.073,83 EUR) handele es sich um Zahlungen aus Lebensversicherungen des SL, die SL ihr - der Klägerin - als sog. "unbenannte Zuwendung" habe zukommen lassen. Die Zahlung habe letztlich dem Zugewinnausgleich dienen sollen. Anzumerken sei, dass sie - die Klägerin - zeitnah zu den Zahlungen auf ihr Konto das Grundstück I.-straße x in P. erworben habe und sie und ihr Ehemann sich einig gewesen seien, dass ihr die Lebensversicherungszahlungen als Beitrag zur Finanzierung des Kaufpreises zugewendet werden sollten. Die weitere Zahlung des E.s vom 05.02.2004 über 3.460,27 EUR entfalle auf eine von ihr, der Klägerin abgeschlossene Lebensversicherung und bei den übrigen Zahlungen des E.s vom 06.05.2003, 19.07.2004, 20.07.2004, 30.08.2004, 21.09.2004 und 07.01.2005 handele es sich um Rückerstattungen aus einer Krankenversicherung, die auf den Namen des SL abgeschlossen sei.
7Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 28.07.2008 zurückgewiesen. Der Beklagte führte aus, dass jedenfalls hinsichtlich der Auszahlungen des E.s eindeutig unentgeltliche Zuwendungen des SL an die Klägerin vorlägen. Sowohl die Leistungen aus den Lebensversicherungen als auch die Leistungen aus der Krankenversicherung stünden SL als Versicherungsnehmer zu. Bereits aufgrund der Auszahlungen der "E. Versicherungsgesellschaft", die sich auf insgesamt 51.199,85 EUR belaufen würden, sei die Zahlungsaufforderung im Duldungsbescheid über 26.913,27 EUR gedeckt.
8Der Einspruchsentscheidung wurde eine aktuelle Rückstandsaufstellung beigefügt. Hieraus ergibt sich, dass von den Steuerschulden der GmbH, für die SL in Haftung genommen worden ist, nur noch 3.567,69 EUR zuzüglich Säumniszuschläge offen waren.
9Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung des Duldungsbescheids.
10Letztlich verbleibe nach der Einspruchsentscheidung, dass die E. Lebensversicherungs AG drei Guthabenbeträge aus Lebensversicherungsverträgen des SL auf ihr Konto überwiesen habe, und zwar 9.760,46 EUR am 17.02.2004, 12.373,36 EUR am 26.02.2004 und 24.073,83 EUR am 26.02.2004. Zur Rückzahlung dieser Beträge sei sie - die Klägerin - schon deshalb nicht verpflichtet, weil ihr diese Beträge mehr als zwei Jahre vor Erlass des Duldungsbescheids zugeflossen seien. Auch habe sich SL bzw. die von ihm als Geschäftsführer geführte Firma L. GmbH zum Zeitpunkt der Überweisungen im Februar 2004 nicht in Vermögensverfall befunden, so dass die Zahlungen an sie - die Klägerin - nicht mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht erfolgt seien. Wie bereits vorgetragen sei zwischen den Ehegatten vereinbart gewesen, dass die aus den Lebensversicherungen gezahlten Beträge zur Erfüllung einer Teilkaufpreisforderung im Zusammenhang mit dem Grundstückserwerb verwendet werden sollten. Sie - die Klägerin - habe das besagte Grundstück für 243.501,68 EUR von einer Frau B. Q. erworben; einschließlich Erwerbsnebenkosten habe sie für den Erwerb etwa 265.000 EUR aufwenden müssen. Zur Finanzierung dieses Betrags habe sie ein Darlehen bei der Sparkasse J. über 225.000 EUR aufgenommen und der Restbetrag sei aus den Lebensversicherungen gedeckt worden. Sie - die Klägerin - sei folglich nicht mehr bereichert. Das erworbene Hausgrundstück I.-straße xa in P. sei im Übrigen zwischen dem Kauf im Februar 2004 und der Anfechtung im Oktober 2006 erheblich im Wert gefallen und sei jetzt allenfalls noch 190.000 EUR wert.
11Die Klägerin beantragt,
12den Duldungsbescheid vom 20.10.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.07.2008 aufzuheben.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Er verweist darauf, dass eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht für eine Anfechtung nach § 4 AnfG nicht erforderlich sei. Es reiche aus, dass der Anfechtungsgegner einen Gegenstand aus dem Vermögen des Schuldners erlangt habe, ohne eine angemessene Gegenleistung zu leisten.
16Auf Entreicherung könne sich die Klägerin schon deshalb nicht berufen, weil sie durch die Verwendung des Geldes Aufwendungen erspart habe, die sie notwendigerweise auch sonst gehabt hätte bzw. von denen anzunehmen sei, dass sie sie ansonsten aus anderen Mitteln getätigt hätte.
17Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Steuerakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Klage ist teilweise begründet.
20Der Duldungsbescheid vom 20.10.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung am 28.07.2008 ist nur teilweise rechtmäßig. Zwar war der Beklagte dem Grunde nach zur Anfechtung berechtigt. Er hat es in der Einspruchsentscheidung jedoch versäumt, die Höhe des von der Klägerin geschuldeten Wertersatzes den aktuellen Umständen anzupassen.
211. Nach § 191 Abs. 1 AO kann derjenige, der kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Dazu zählen auch die Fälle, in denen einem Gläubiger zur Befriedigung seiner Forderungen das zur Verfügung gestellt werden muss, was durch anfechtbare Rechtshandlungen aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist. Gleiches gilt, wenn der Anfechtungsgegner den in anfechtbarer Weise aus dem Schuldnervermögens ausgeschiedenen Gegenstand nicht in Natur zurückgewähren kann und wenn er deshalb verpflichtet ist, Wertersatz zu leisten (§ 11 Abs. 1 AnfG).
22Die Entscheidung über die Inanspruchnahme nach § 191 Abs. 1 AO ist zweigliedrig (st. Rspr. des BFH, vgl. u.a. Urteil vom 13.06.1997 - VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es durch Duldungsbescheid in Anspruch nehmen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung erfüllt sind. Hierbei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung - vgl. § 5 AO - des Finanzamts an, ob und ggf. wen es als Duldungsverpflichteten in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensfehlgebrauch bzw. Ermessensüberschreitung) überprüfbar (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 11.03.2004 - VII R 52/02, BStBl. II 2004, 579 unter II 1a m.w.N.).
23Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin vor.
24a) Der Beklagte ist anfechtungsberechtigter Gläubiger i.S.d. § 2 AnfG, da die Haftungsschulden des SL vollstreckbar sind und die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des SL nicht zu einer vollständigen Befriedigung geführt hat.
25b) Das Anfechtungsgesetz gilt gemäß § 1 Abs. 1 für Rechtshandlungen eines Schuldners, die dessen Gläubiger benachteiligen. Rechtshandlung im Sinne des Anfechtungsgesetzes ist jedes - rechtliche oder tatsächliche - Handeln oder Unterlassen des Schuldners, das "rechtliche" Folgen hat. Entscheidend ist, ob der Schuldner durch sein Handeln (jedenfalls) dazu beigetragen hat, dass ein Vermögensgegenstand einem Dritten zugewandt worden ist (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 13. September 2001, 8 U 108/00, ZInsO 2001, 1102; Huber AnfG § 1 Rn 5 ff.). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall zumindest hinsichtlich der drei Zahlungen der E. Lebensversicherungs AG vom 17.02.2004 und 26.02.2004 über 9.760,46 EUR, 12.373,36 EUR und 24.073,83 EUR erfüllt. Die Auszahlungsansprüche standen SL als Versicherungsnehmer zu. Dadurch, dass diese Lebensversicherungsbeträge auf Veranlassung des SL auf ein Konto der Klägerin überwiesen wurden, wurde das Vermögen des SL gemindert und das Vermögen der Klägerin vermehrt. Denn die Forderungen des SL gegen die Versicherungsgesellschaft sind mit der Auszahlung erloschen und der entsprechende Gegenwert wurde der Klägerin zugewendet. Diese hat als Kontoinhaberin einen Auszahlungsanspruch gegenüber der Bank erlangt.
26Ob auch alle übrigen angefochtenen Zahlungseingänge auf Rechtshandlungen des SL beruhen, ist zweifelhaft, kann letztlich aber offen bleiben. Denn der vom Beklagten geforderte Wertersatz von ursprünglich 26.913,27 EUR ist allein schon durch die drei o.g. Zahlungen der E. Lebensversicherungs AG, die sich in der Summe auf 46.207,65 EUR belaufen, gedeckt. Selbst wenn hinsichtlich der übrigen 26 angefochtenen Zahlungseingänge die Anfechtungsvoraussetzungen nicht vorliegen würden und der Duldungsbescheid insoweit aufzuheben wäre, käme es im Ergebnis nicht zu einer Besserstellung der Klägerin.
27c) Die den Zahlungseingängen vom 17.02.2004 und 26.02.2004 zugrunde liegenden Rechtshandlungen führten auch zu einer Benachteiligung der Gläubiger. Eine objektive Benachteiligung liegt vor, wenn ohne die angefochtene Rechtshandlung eine bessere oder schnellere Befriedigungsmöglichkeit bestanden hätte. Dies ist vom Standpunkt des einzelnen Gläubigers aus zu beurteilen (Huber AnfG § 1 Rn 33). Es genügt der Wegfall oder die Erschwerung der Zugriffsmöglichkeiten für den anfechtenden Gläubiger. Dies ist im Streitfall anzunehmen, denn auf die Konten der Klägerin konnte der Beklagte mit seinen gegen SL gerichteten Vollstreckungstiteln nicht ohne Weiteres zugreifen.
28Dass die Haftungsschuld erst später entstanden ist und SL im Zeitpunkt der Zuwendungen möglicherweise noch gar keine Gläubiger hatte, die benachteiligt werden konnten, ist ohne Bedeutung. Denn es ist nicht das Ziel des AnfG, Handlungsunrecht zu sanktionieren, sondern die Anfechtung dient allein dazu, objektiv gläubigerbenachteiligende Rechtswirkungen auszugleichen. Die unentgeltliche Übertragung von (vollstreckbaren und nicht wertausschöpfend belasteten) Vermögensgegenständen ist grundsätzlich gläubigerbenachteiligend, denn schließlich wird das Vermögen des Übertragenden hierdurch gemindert, d.h. es steht weniger Vermögensmasse für Vollstreckungen zur Verfügung. Unentgeltliche Vermögensübertragungen sind daher grundsätzlich - egal aus welchen Gründen bzw. unter welchen Begleitumständen die Übertragung erfolgt ist - vier Jahre lang der Gefahr ausgesetzt, dass ein Gläubiger die Anfechtung erklärt, und zwar auch dann, wenn im Zeitpunkt der Rechtshandlung überhaupt keine Gläubiger vorhanden waren. Die Anfechtungsmöglichkeit ist auch dann eröffnet, wenn der anfechtende Gläubiger seine Forderung erst später erwirbt.
29d) Auch die besonderen Anfechtungsvoraussetzungen des § 4 AnfG sind erfüllt. Hiernach ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners anfechtbar, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor der Anfechtung vorgenommen worden. Richtet sich die Leistung auf ein gebräuchliches Gelegenheitsgeschenk geringen Werts, so ist sie nicht anfechtbar.
30Die Klägerin trägt selbst vor, dass SL ihr die am 17.02.2004 und 26.02.2004 auf ihrem Konto eingegangenen Lebensversicherungsbeträge dauerhaft - nämlich zwecks Erwerbs des Grundstücks I.-straße xa in P. - habe zuwenden wollen und dass sie weder zur Rückzahlung der Beträge verpflichtet war noch eine Gegenleistung zu erbringen hatte. Zwar hat die Klägerin im Einspruchsverfahren u.a. behauptet, die Zahlungen hätten der Abgeltung von Zugewinnausgleichsansprüchen gedient. Es erscheint jedoch ausgeschlossen, dass mit den Zuwendungen Zugewinnausgleichansprüche zum Erlöschen gebracht worden sind. Denn solche Ansprüche entstehen grundsätzlich erst mit Beendigung der Ehe bzw. ehevertraglicher Veränderung des Güterstandes und derartige Sachverhalte lagen im Streitfall nicht vor. Damit steht fest, dass die Leistungen des SL unentgeltlich erfolgt sind.
31Die Zuwendungen, bei denen es sich bereits der Höhe nach um kein gebräuchliches Gelegenheitsgeschenk geringen Werts handelte, wurden auch innerhalb der Vierjahresfrist des § 4 AnfG getätigt. Die von der Klägerin herangezogene Zweijahresfrist gilt nur für Anfechtungen nach § 3 Abs. 2 AnfG. Auf diese Vorschrift, wonach unter bestimmten Umständen ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person geschlossener entgeltlicher Vertrag anfechtbar ist, beruft sich der Beklagte jedoch nicht.
32e) Die Voraussetzungen für eine Anfechtung liegen damit dem Grunde nach vor. Hinsichtlich der Rechtsfolgen gilt Folgendes:
33Gemäß § 11 Abs. 1 AnfG muss das, was durch anfechtbare Rechtshandlung aus dem Vermögen des Schuldners weggegeben wurde, dem Gläubiger zur Verfügung gestellt werden, soweit es zu dessen Befriedigung erforderlich ist. Die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, gelten entsprechend. Dies bedeutet insbesondere, dass der Empfänger bei Unmöglichkeit der Herausgabe Wertersatz zu leisten hat, ohne sich auf Entreicherung berufen zu können (§§ 818 Abs. 2 und 3, 819 Abs. 1 BGB). § 11 Abs. 2 AnfG macht hiervon eine Ausnahme für den Empfänger unentgeltlicher Leistungen, welcher diese nur zur Verfügung zu stellen hat, soweit er durch sie bereichert ist. Dies gilt allerdings nicht, sobald er weiß oder den Umständen nach wissen muss, dass die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt.
34Weggegeben aus dem Vermögen des SL wurden dessen Ansprüche gegen die E. Versicherungs AG. Diese sind mit der Auszahlung untergegangen und können von der Klägerin nicht mehr zur Verfügung gestellt werden. Die Klägerin hat deshalb grundsätzlich bis zur Höhe des Wertes der untergegangenen Forderungen Wertersatz zu leisten. Auf Entreicherung kann sie sich nicht berufen, wobei es letztlich offen bleiben kann, ob die Klägerin die Leistung überhaupt in gutem Glauben empfangen hat und auch im Zeitpunkt der Anfechtung noch gutgläubig war. Denn auf Entreicherung kann sie sich schon deshalb nicht berufen, weil sie nicht entreichert ist. Der Empfänger einer Leistung ist nur dann nicht mehr bereichert, wenn das Erlangte ersatzlos weggefallen ist. Das ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn das Erlangte vom Leistungsempfänger dazu benutzt worden ist, sich andere, in seinem Vermögen noch vorhandene Werte oder Vorteile zu verschaffen. Zu den weiterhin vorhandenen Vermögensvorteilen, die einem Wegfall der Bereicherung grundsätzlich entgegen stehen, zählt insbesondere die infolge der Tilgung eigener Schulden eingetretene Befreiung von Verbindlichkeiten (vgl. OLG München, Urteil vom 05.10.2010 - 5 U 4438/09, ZInsO 2011, 135). So verhält es sich auch im Streitfall. Die Klägerin hat die ihr von SL zugewendeten Lebensversicherungsbeträge dazu verwendet, ihre eigene Kaufpreisverbindlichkeit gegenüber Frau Q. zum Erlöschen zu bringen. In Form der Befreiung von dieser Verbindlichkeit ist sie folglich noch bereichert. Dass das erworbene Grundstück inzwischen möglicherweise an Wert verloren hat, ändert daran nichts. Denn aus dem Vermögen des SL wurde nicht das Eigentum an dem Grundstück weggeben, sondern weggegeben wurden dessen Auszahlungsansprüche gegen die E. Versicherungs AG. Allein letztere sind von der Anfechtung betroffen und allein ihr Wert ist für die Höhe des Wertersatzes maßgebend.
35f) Bezogen auf den Zeitpunkt, als der Duldungsbescheid erlassen wurde, war die Höhe des Wertersatzes nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat zutreffend erkannt, dass die Höhe des Wertersatzes nicht nur durch den Wert des anfechtbar Weggegebenen, sondern auch durch die Höhe der Steuerschulden des SL begrenzt wurde. Dies waren hier die im Haftungsbescheid genannten und bei Erlass des Duldungsbescheids noch offenen 26.913,27 EUR.
36Bei der gerichtlichen Überprüfung eines Verwaltungsakt ist allerdings auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen, d.h. hier auf die Verhältnisse, die bei Erlass der Einspruchsentscheidung vom 28.07.2008 gegeben waren. Zu diesem Zeitpunkt waren von den Haftungsschulden des SL, hinsichtlich derer die Klägerin in Anspruch genommen worden ist, nur noch 3.567,69 EUR zzgl. Säumniszuschläge offen. Der Beklagte, der die Sache im Einspruchsverfahren gem. § 367 Abs. 2 AO in vollem Umfang erneut zu prüfen hatte, hätte daher die Höhe des zu leistenden Wertersatzes anpassen müssen. Dies hat er jedoch nicht getan. Er hat zwar der Einspruchsentscheidung eine Aufstellung der aktuell noch offenen Steuerforderungen beigefügt, jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, dass er von der Klägerin nicht länger Wertersatz i.H.v. 26.913,27 EUR erwartet, sondern nur noch Wertersatz in Höhe der noch offenen Steuerschulden.
37Bei der Berechnung dieses Betrags ist zu beachten, dass die Anfechtung nur hinsichtlich der in der Anlage zum Duldungsbescheid näher bezeichneten Steuerschulden erklärt wurde. Die erst nach Erlass des Duldungsbescheids entstandenen Säumniszuschläge gehören nicht dazu. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wird die Höhe des von der Klägerin zu leistenden Wertersatzes durch die Höhe der bei Erlass der Einspruchsentscheidung noch bestehenden Steuerschulden des SL wie folgt begrenzt:
Säumniszuschlag zur/zum | |
Lohnsteuer Mai 2005 | 39,00 EUR |
SolZ zur Lohnsteuer Mai 2005 | 1,50 EUR |
Lohnsteuer Mai 2005 | 77,50 EUR |
SolZ zur Lohnsteuer Juni 2005 | 2,50 EUR |
Lohnsteuer Juli 2005 | 40,00 EUR |
Lohnsteuer Aug 2005 | 35,00 EUR |
Lohnsteuer Aug 2005 | 28,00 EUR |
Lohnsteuer Sept. 2005 | 22,00 EUR |
USt Dez. 2004 | 43,50 EUR |
USt Jan. 2005 | 30,00 EUR |
USt Febr. 2005 | 30,00 EUR |
USt März 2005 | 30,00 EUR |
USt April 2005 | 30,00 EUR |
USt Mai 2005 | 30,00 EUR |
USt Juni 2005 | 30,00 EUR |
USt Juli 2005 | 30,00 EUR |
USt Aug. 2005 | 30,00 EUR |
USt Sept. 2005 | 30,00 EUR |
USt Okt. 2005 | 30,00 EUR |
zzgl. Umsatzsteuer und Lohnsteuerschulden 2005 lt. Anlage 1 zur EE | 3.567,69 EUR |
Summe | 4.156,69 EUR |
g) Die Ermessensentscheidung des Beklagten, die Klägerin überhaupt durch Duldungsbescheid in Anspruch zu nehmen, ist nicht zu beanstanden. Das Vermögen des SL als Vollstreckungsschuldner war für eine vollständige Befriedigung der Forderungen des Finanzamts unzulänglich. Das reicht grundsätzlich aus, um einen Anfechtungs- und Duldungsbescheid zu erlassen (vgl. BFH, Beschluss vom 28.05 2003 - VII B 106/03, BFH/NV 2003, 1146). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
40h) Der Bekl. hat die materielle Anfechtung auch formell ordnungsgemäß durch Duldungsbescheid i.S. des § 191 Abs. 1 AO geltend gemacht. Aus dem Duldungsbescheid vom 20.10.2006 lassen sich eindeutig Duldungspflichtiger und Steuerschuldner sowie die einzelnen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, für die eine Duldungspflicht besteht, gegliedert nach Art, Zeitraum und Höhe erkennen.
412. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.