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Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 24.06.2008 und der Einspruchsentscheidung vom 15.10.2008 wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die Kinder X. und Y. Kindergeld für die Zeit von Januar 1996 bis Mai 2000 in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zur Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
2Streitig ist, ob durch die Auszahlung von Kindergeld für den Zeitraum vor der Auszahlung ein Kindergeldanspruch bestandskräftig abgelehnt worden ist.
3Mit Antrag vom 07.07.2000, bei der Beklagten eingegangen am 13.07.2000, beantragte der Kläger für seine am 04.03.1986 und 06.09.1999 geborenen Kinder X. und Y. Kindergeld bei der Familienkasse des Arbeitsamtes T.. Der Kläger gab dabei an, dass er Vietnamese sei und über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland verfüge. Mit Kassenanordnung vom 19.07.2000 verfügte die Familienkasse des Arbeitsamtes T. die Kindergeldzahlung ab Juni 2000. Ein besonderer Bescheid erging nicht.
4Mit Schreiben vom 03.06.2008, bei der Beklagten eingegangen am 05.06.2008, beantragte der Kläger aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2004 eine Nachzahlung des Kindergeldes für den Zeitraum, in dem er nur über eine Aufenthaltsbefugnis verfügt hatte. Mit Bescheid vom 24.06.2008 lehnte die Beklagte die Gewährung von Kindergeld für diesen Zeitraum ab und führte zur Begründung die abgelaufene Festsetzungsfrist an.
5Der Kläger hat mit Schreiben vom 02.07.2008 hiergegen Einspruch eingelegt. Den Einspruch hat die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15.10.2008 als unbegründet zurückgewiesen und zur Begründung erneut auf die Verjährungsfristen verwiesen.
6Mit seiner am 12.11.2008 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung führt er aus, dass er schon im Jahre 2000 einen Antrag auf Kindergeld gestellt habe und ab Juni 2000 Kindergeld bewilligt worden sei.
7Der Kläger beantragt,
8den Bescheid der Beklagten vom 24.06.2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 15.10.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger gegenüber rückwirkend Kindergeld von Januar 1996 bis Mai 2000 festzusetzen,
9hilfsweise, die Revision zuzulassen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung führt sie aus, dass die Ansprüche des Klägers verjährt seien. Soweit der Kläger auf seinen Antrag aus dem Jahre 2000 abstelle, sei durch die Auszahlung des Kindergeldes ab Juni 2000 für den Zeitraum davor eine Festsetzung bestandskräftig abgelehnt worden. Der Kläger habe seinerzeit keinen Einspruch eingelegt.
13Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten am 22.04.2009 die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert; auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
14Der Senat hat am 05. November 2009 in der Sache mündlich verhandelt; auf die Sitzungsniederschrift wird ebenfalls Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe
16Die zulässige Klage führt auch in der Sache zum Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte hat zu Unrecht die Festsetzung von Kindergeld für die beiden Kinder des Klägers für den Zeitraum Januar 1996 bis Mai 2000 abgelehnt.
17I.
18Sieht die Familienkasse in den Fällen des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG von einer schriftlichen Bescheiderteilung ab, so setzt sie das Kindergeld - in der Regel - in anderer Weise (d.h. formlos) fest. Zahlt die Familienkasse das Kindergeld tatsächlich aus, so ist in der ersten Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes und der Bekanntgabe des Auszahlungsbetrages die Festsetzung zu sehen. Der Verwaltungsakt ergeht durch konkludentes Verhalten, indem Entscheidung der Familienkasse und Ausführung zusammenfallen. Die Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes ist dabei nicht bloßer Realakt, sondern sie bringt zugleich konkludent gegenüber dem Empfänger die Entscheidung über das Bestehen des Anspruchs auf das beantragte Kindergeld (die Steuervergütung) als der sachlogischen Voraussetzung für die Auszahlung der beantragten Geldleistung zum Ausdruck. Denn der objektivierte Erklärungsinhalt einer Auszahlung als Kindergeld ist die Erklärung der Behörde, dass das Kindergeld in jener Höhe gewährt wird (vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24. April 1998 4 K 1755/97, JurisDok).
20Anders verhält es sich jedoch im vorliegenden Rechtsstreit. Nach den dargestellten Grundsätzen hat die Beklagte zwar für den (hier nicht streitigen) Zeitraum ab Juni 2000 das Kindergeld "in anderer Weise" festgesetzt. Für den streitbefangenen Zeitraum liegt aber keine Willensäußerung der Beklagten vor, auch nicht in konkludenter Form (ebs. FG Rheinland-Pfalz Urteil vom 10. Juni 2009 2 K 1807/08 JurisDok.)
21Die Festsetzungsfrist für Steuervergütungen beträgt 4 Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch auf die Steuervergütung entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Das Kindergeld wird auf Antrag (§ 67 Satz 1 EStG) vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen weggefallen sind (§ 66 Abs. 2 EStG). Der Anspruch auf das Kindergeld entsteht somit für jeden Monat, in dem die Anspruchsvoraussetzungen zu irgendeinem Zeitpunkt vorgelegen haben. Die Festsetzungsfrist für das in den einzelnen Monaten des jeweiligen Kalenderjahres gezahlte Kindergeld beginnt daher mit Ablauf dieses Kalenderjahres. Die Festsetzungsfrist für das in den Kalenderjahren 1996 - 2000 zu zahlende Kindergeld war somit grundsätzlich mit Ablauf der Jahre 2000 - 2004 abgelaufen.
23Ein fristgerecht gestellter Antrag auf Zahlung von Kindergeld löst jedoch nach § 171 Abs. 3 AO eine Ablaufhemmung aus. Ob und in welchem Umfang Kindergeld beantragt wird, ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Im Streitfall hat der Kläger mit am 13. Juli 2000 bei der Beklagten eingegangenem Formularvordruck Kindergeld beantragt und diesem die Kopie einer Bescheinigung über die Aufenthaltserlaubnis vom 12. Mai 2000 beigefügt.
24Im Formularvordruck ist keine Rubrik für die Frage der zeitlichen Ausdehnung des beantragten Kindergeldes vorgesehen. Der Senat hatte vor diesem Hintergrund den Kindergeldantrag auszulegen. Im Interesse des Antragstellers ist der Kindergeldantrag (und im Übrigen auch der Klageantrag bei Gericht) ohne ausdrückliche zeitliche Beschränkung von der Behörde und dem Gericht subjektiv und objektiv dahin auszulegen, dass damit die maximale Festsetzung von Kindergeld, insbesondere auch für die Vergangenheit, erstrebt wird. Der zeitlich nicht beschränkte Kindergeldantrag beinhaltet also keine Beschränkung des Begehrens auf Festsetzung von Kindergeld nur für die Zukunft respektive ab Antragseingang (FG Hamburg 30.11.2007 1 K 266/06, EFG 2008, 315; dazu auch Hildesheim in Bordewin/Brandt, EStG, § 67 Rz. 22a).
25Der Senat sieht keine Veranlassung, hiervon im Streitfall abzuweichen, zumal zu berücksichtigen ist, dass die Rechtslage zu § 62 EStG nicht so klar ist bzw. war, dass daraus eine restriktive Antragsauslegung stattfinden könnte, wie sie die Beklagte nunmehr vornimmt.
26Der Antrag auf Kindergeld vom 13. Juli 2000 hat die Festsetzungsfrist für die streitbefangenen Kindergeldzeiträume unterbrochen, so dass der beantragten Kindergeldfestsetzung auch der Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht entgegensteht.
27II.
28Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
29Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (gegenteilige Verwaltungsanweisungen der Beklagten) und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (s. gegenteilige Entscheidungen des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz Urteile vom 14. Juli 2009 5 K 1302/08 und vom 28. August 2008 5 K 1301/08 beide n.v.).