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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Klägers, einen Antrag nach § 14c Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der für die Streitjahre (2014 bis 2016) gültigen Fassung beim Beklagten zu stellen.
3Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Beigeladenen. Die Beigeladene war Unternehmerin. Gegenstand ihres Unternehmens war der Handel mit ... . Sie versteuerte ihre Einnahmen nach vereinbarten Entgelten.
4Die Beigeladene hatte im Jahr 2011 Rechnungen mit unberechtigtem Umsatzsteuerausweis in Höhe von ... € an den Empfänger Z erstellt. Diese Umsatzsteuer schuldete die Beigeladene nach § 14c Abs. 2 Satz 2 i.V. mit Abs. 2 Satz 1 UStG. Der Beklagte erließ daher am 9. Oktober 2012 einen Umsatzsteuerbescheid für 2011, in dem diese Umsatzsteuer in Höhe von ... € festgesetzt wurde.
5Über das Vermögen der Beigeladenen wurde am 00.00.2014 unter dem Aktenzeichen ... das Insolvenzverfahren vor dem Amtsgericht Y als Insolvenzgericht eröffnet.
6Mit Schreiben vom 00.00.2014 erklärte der Kläger gemäß § 35 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO), dass das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit der Beigeladenen – mit Wirkung ab dem 00.00.2014, 9:50 Uhr – nicht zur Insolvenzmasse gehört und dass Ansprüche aus der selbständigen Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Freigabeerklärung wurde am 00.00.2014 durch einfachen Brief an die Beigeladene übersandt und lag der Beigeladenen bei Eröffnung eines Geschäftskontos am 00.00.2014 vor.
7Am 00.00.2014 stellte die Beigeladene ihren Betrieb ein.
8Mit Beschluss vom 00.00.2020 hob das Amtsgericht Y das Insolvenzverfahren (Az. ...) über das Vermögen der Beigeladenen mangels zu verteilender Masse ohne Schlussverteilung auf, § 200 InsO. Hinsichtlich etwaiger Umsatzsteuererstattungen für die Jahre 2014 bis einschließlich 2016 aus dem hiesigen Klageverfahren und für etwaige Umsatzsteuererstattungsansprüche für die Jahre 2019 und 2020 anteilig bis zur Verfahrensaufhebung am 00.00.2020 wurde die Nachtragsverteilung angeordnet, § 203 Abs. 1 InsO. Des Weiteren wurde das Recht des Insolvenzverwalters (Klägers) auf Antragstellung nach § 14c UStG für die Korrektur der Umsatzsteuern für die Jahre 2017 bis 2020 aufrechterhalten.
9Der sofortigen Beschwerde des Beklagten vom 00.00.2020 gegen den Beschluss vom 00.00.2020 über die Anordnung der Nachtragsverteilung wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Y vom 00.00.2020 nicht abgeholfen. Mit Beschluss des Landgerichts Y vom 00.00.2020 (Az. ...) wurde die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Y vom 00.00.2020 als unzulässig verworfen.
10Auf die Erinnerung des Beklagten vom 00.00.2020 wurde der Beschluss über die Anordnung der Nachtragverwaltung vom 00.00.2020 mit Beschluss des Amtsgerichts Y als Insolvenzgericht vom 00.00.2021 (Az. ...) teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
11„Hinsichtlich etwaiger Umsatzsteuererstattungen für die Jahre 2014 bis einschließlich 2016 aus dem Klageverfahren vor dem Finanzgericht Köln“ ... „gegen das Finanzamt X und für etwaige Umsatzsteuererstattungsansprüche für die Jahre 2019 und 2020 anteilig bis zum Ablauf der Abtretungsfrist am 00.00.2020 wird die Nachtragsverteilung angeordnet (§ 203 Abs. 1 InsO). Des Weiteren wird insoweit das Recht des Insolvenzverwalters auf Antragstellung nach § 14c UStG für die Korrektur der Umsatzsteuern für die Jahre 2017 bis 2020 aufrechterhalten.“
12Im Übrigen wies das Amtsgericht Y die Erinnerung des Beklagten zurück.
13Der Kläger reichte Umsatzsteuererklärungen zur Insolvenzmasse der Beigeladenen für die Jahre 2014 bis 2016 ein. Die Werte der Umsatzsteuererklärungen wurden bis auf eine geringe Abweichung bei den Vorsteuerbeträgen 2016 vom Beklagten antragsgemäß übernommen.
14Mit Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2014 vom 2. September 2016 änderte der Beklagte die bisherige Umsatzsteuerfestsetzung für dieses Jahr und setzte die Umsatzsteuer gegenüber dem Kläger mit -... € fest.
15Mit Antrag vom 9. August 2017 beantragte der Kläger unter Übersendung zweier Schreiben des Finanzamts W und Bezugnahme auf Blatt 1 bis 4 des Kontoauszuges, entsprechend der Zahlungen des Herrn Z, um Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages zur Umsatzsteuer des Jahres 2011 gemäß § 14c Abs. 2 UStG und bat um Übersendung geänderter Umsatzsteuerbescheide für die Kalenderjahre 2014 bis einschließlich 2016.
16Mit Verwaltungsakt vom 14. August 2017 lehnte der Beklagte die vom Kläger begehrten Änderungen ab. Diesbezüglich führte er aus, dass aufgrund der Freigabe der selbständigen Tätigkeit der Beigeladenen nur diese einen Antrag nach § 14c Abs. 2 UStG stellen könne. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt das Schreiben nicht.
17Hiergegen legte der Kläger am 15. Mai 2018 Einspruch ein, zu dessen Begründung er im Wesentlichen ausführte, dass die Beigeladene ihre selbständige Tätigkeit eingestellt habe und er (der Kläger) als Insolvenzverwalter daher antragsberechtigt sei. Der Einspruch sei zulässig und innerhalb der Einspruchsfrist eingegangen, weil das Ablehnungsschreiben vom 14. August 2017 keine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten habe. Er sei antragsberechtigt, da mit der Erklärung gemäß § 35 Abs. 2 InsO ausschließlich die Tätigkeit der Beigeladenen als Insolvenzschuldnerin aus der Insolvenzmasse ausgegliedert worden sei. Diese Erklärung habe keinerlei Einfluss auf sonstige Vermögensgegenstände der Beigeladenen, welche weiterhin massebehaftet blieben. Mit Schriftsatz vom 12. August 2019 führte er aus, dass der Insolvenzbeschlag nur insoweit aufgehoben werde, als dies zur Freigabe der Tätigkeit erforderlich sei. Die Freigabe wirke nicht auf Forderungen und Verbindlichkeiten zurück, soweit diese vor Wirksamwerden der Erklärung entstanden seien.
18Habe der Insolvenzschuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Rechnung mit zu hohem Steuerausweis nach § 14c UStG erteilt und die zu hoch ausgewiesene Steuer an das Finanzamt abgeführt und werde die Rechnung von Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens berichtigt, so gehöre der Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse. Entsprechendes gelte nach Verwaltungsauffassung (Oberfinanzdirektion – OFD – Frankfurt, Verfügung vom 4. November 2009 – S 7340 A NWB YAAAD-40458) auch für Rechnungsberichtigungen nach § 14c Abs. 2 UStG.
19Mit Einspruchsentscheidung vom 13. September 2019 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Hierzu führte er im Wesentlichen aus, übe ein Schuldner als natürliche Person eine selbständige Tätigkeit aus, könne der Insolvenzverwalter gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erklären, dass das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehöre und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten. Der Gesetzgeber trüge mit dieser Regelung dem Interesse des Schuldners Rechnung, sich durch eine gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit eine neue wirtschaftliche Existenz zu schaffen (BT-Drucks. 16/3227, S. 17). Zu diesem Zweck solle dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet werden, außerhalb des Insolvenzverfahrens einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen. Es handele sich um eine Art Freigabe des Vermögens, welches der gewerblichen Tätigkeit gewidmet sei, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse.
20Das gesetzliche Regelungsmodell gehe dahin, einerseits die aus seiner fortgesetzten gewerblichen Tätigkeit erzielten Einkünfte des Schuldners den Gläubigern, die nach Verfahrenseröffnung mit dem Schuldner Beziehungen eingegangen seien, als selbständige Haftungsmasse zur Verfügung zu stellen und andererseits die Masse des bereits eröffneten Verfahrens von Verbindlichkeiten des Schuldners aus seiner weiteren gewerblichen Tätigkeit freizustellen.
21Die Bestimmung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO solle dem Schuldner nach der Vorstellung des Gesetzgebers ermöglichen, im Einverständnis mit dem Insolvenzverwalter eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen oder fortzusetzen. Die Freigabe erstrecke sich folgerichtig auf das Vermögen des Schuldners, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet sei.
22Die freigabeähnliche Erklärung nach der oben genannten Bestimmung betreffe demnach im Unterschied zu der in § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO als zulässig vorausgesetzten echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten. Die Freigabe verwirkliche sich ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Erklärungen bereits mit dem Zugang der Freigabeerklärung beim Schuldner. Allein diese Erklärung „zerschneide“ das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit. Sie leite den, der selbständigen Tätigkeit dienenden oder mit einer ehemaligen freigegebenen selbständigen Tätigkeit in Zusammenhang stehenden, Sachverhalt von der Masse auf die Person des Schuldners über.
23Der Insolvenzverwalter verzichte hinsichtlich des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Dieser Verzicht könne später nicht widerrufen werden. Sei die freigegebene Tätigkeit zwar zwischenzeitlich vom Schuldner aufgegeben, beruhten aber die Sachverhalte und die daraus resultierenden steuerrechtlichen Konsequenzen auf der vormals ausgeübten selbständigen Tätigkeit, verbliebe die Zugehörigkeit weiterhin zum freigegebenen Vermögen und nicht zur Insolvenzmasse. Der Verzicht auf die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis sei unwiderruflich.
24Die Berichtigung der Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 Sätze 3 bis 5 UStG stehe in unmittelbaren Zusammenhang mit der Tätigkeit der Beigeladenen, die mit Schreiben vom 00.00.2014 endgültig aus der Insolvenzmasse freigegeben worden sei. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG seien erst nach dem 00.00.2014 eingetreten. Auch die Aufgabe der selbständigen Tätigkeit ändere nichts an der weiterhin bestehenden Freigabe aus der Insolvenzmasse.
25Eine andere rechtliche Beurteilung ergebe sich auch nicht aus dem vom Kläger zitierten Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. November 2016 – VII R 34/15 (BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496). In dem dort zu verhandelnden Sachverhalt sei der Betrieb vom Insolvenzverwalter nicht nach § 35 Abs. 2 InsO freigegeben worden. Wäre keine Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO erfolgt, so stünde das Guthaben entsprechend dem zitierten Urteil unstrittig der Masse zu. Aufgrund der Freigabeerklärung ergebe sich jedoch eine andere rechtliche Beurteilung.
26Auch der Verfügung der OFD Frankfurt vom 4. November 2009 – S 7340 NWB YAAAD-40458 könne nicht entnommen werden, dass Guthaben aus Rechnungskorrekturen nach Freigabe eines Betriebes der Masse zustünden.
27Soweit der Kläger vortrage, dass die Freigabe nicht auf Forderungen und Verbindlichkeiten zurückwirke, soweit diese vor Wirksamwerden der Erklärung entstanden seien, so sei dem zu entgegnen, dass die Forderungen nach § 14c UStG erst mit der Rechnungsberichtigung und somit nach Abgabe der Freigabeerklärung entstanden seien.
28Der Antrag des Klägers auf Änderung sei daher zutreffend abgelehnt worden.
29Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben. Zu deren Begründung führt er im Wesentlichen aus, der Klageantrag sei eindeutig und lasse keine Auslegung, wie sie der Beklagte darstelle, zu. Genauso, wie der Beklagte seinen (des Klägers) ursprünglicher Antrag vom 9. August 2017,„Ich beantrage, entsprechend diesen Zahlungen des Herrn Z, die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages zur Umsatzsteuer 2011 gemäß § 14c Abs. 2 UStG. Bitte übersenden Sie geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Kalenderjahre 2014 bis 2016“, zutreffend dahingehend ausgelegt habe, dass damit und mit den identischen Folgeanträgen für 2015 und 2016 eine Berichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG für den insolvenzrechtlichen Unternehmensteil „Masse“ begehrt werde, sei der mit der Klage vom 8. Oktober 2019 wortgleich weiter verfolgte Antrag,
30„1. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Änderungsantrag nach § 14c Abs. 2 UStG des Klägers vom 09.08.2017 stattzugeben“,
31dahingehend auszulegen, dass damit weiterhin das gleiche Rechtsschutzziel „Berichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG für den insolvenzrechtlichen Unternehmensanteil Masse“ verfolgt werde.
32Diese Vorgehensweise bei der Bestimmung des Klageziels entspreche im Übrigen auch der gefestigten Rechtsprechung des BFH, dass das mit der Klage Begehrte unter Berücksichtigung der Einspruchsentscheidung, der Klagebegründung und des Klageantrags auszulegen sei (vgl. z.B. Urteil vom 19. Mai 1992 – VIII R 87/90, BFH/NV 1993, 31, wo eine aus Sicht des BFH „förmelnde“ Finanzgerichtsentscheidung ohne Weiteres aufgehoben worden sei, weil sich das Klageziel bei Berücksichtigung der Klagebegründung ergeben habe).
33Neben dem eindeutigen Klageantrag ergebe sich sein Rechtsschutzziel auch aus einer Reihe weiterer, bei der Auslegung heranzuziehender Gesichtspunkte.
34In diesem Zusammenhang sei zunächst der von ihm angegebene vorläufige Streitwert von ... € zu nennen, der die Umsatzsteuerkorrektur für den gesamten Zeitraum bis 2016 umfasse und sich aus dem in der Anlage K4 beigefügten Schreiben des Finanzamts W an die Beigeladene vom 21. Juni 2016 sowie aus der Antwort des Finanzamtes W auf die Anfrage der Beigeladenen vom 22. März 2017 Anlage K4 ergebe.
35Wie die Aufstellung des Beklagten auf Seite 3 der Klageerwiderung vom 13. November 2019 zeige, stehe für den Zeitraum 1. Januar 2014 bis 00.00.2014 nur eine Umsatzsteuerberichtigung i.H. von ... € im Streit und für den Zeitraum 00.00.2014 bis 31. Dezember 2014 lasse sich die streitige Umsatzsteuer auf ... € beziffern. Die beiden Beträge ergäben addiert bei Weitem nicht den von ihm benannten Streitwert. Dieser Streitwert ergebe sich vielmehr vorläufig und nach dem damaligen Kenntnisstand für den gesamten in der genannten Einspruchsentscheidung benannten und angegriffenen Zeitraum von 2014 bis 2016. Die entsprechenden Bescheide bzw. Erklärungen fügte er bei (Bl. 60 bis 68 der Gerichtsakte).
36Darüber hinaus seien Anträge bzw. der Streitgegenstand im Zweifel so zu interpretieren, wie es insbesondere unter Berücksichtigung des Akteninhalts und dem Willen eines verständigen Klägers entspräche. Die gesamte Argumentation im Vorverfahren und in seiner Klagebegründung ziele auf die insolvenzrechtlich zutreffende Behandlung der Freigabe durch ihn nach § 35 Abs. 2 InsO während des Massezeitraums ab. Warum er sich ausschließlich hierzu äußern solle, wenn er, wie der Beklagte suggerieren möchte, sich eigentlich gegen den Umsatzsteuerbescheid für den vorinsolvenzrechtlichen Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis 00.00.2014 wenden wolle, bliebe unklar. Die ganze Argumentation der Klagebegründung, die sich ausschließlich auf die Freigabe aus der Masse bezöge, hätte vielmehr überhaupt keinen Sinn, wenn er um die Behandlung der Umsatzsteuerberichtigung für diesen Zeitraum streiten wolle. Zumal für diesen Zeitraum eine Umsatzsteuerberichtigung gewährt worden sei und man allenfalls noch darum hätte streiten können, ob diese Berichtigungen zugunsten der Masse zu erfolgen hätten. Ernsthaft annehmen könne man aber selbst das nicht, denn die diesbezügliche Rechtslage sei seit Jahren geklärt, so dass hierum niemand mehr streiten würde.
37Ebenfalls bliebe unklar, warum er informatorisch die Berichtigungsanträge nach § 14c Abs. 2 UStG für die Jahre 2017 bis 2019 der Klage (Anlage K8) beigefügt habe. Die Beifügung dieser Anträge mache überhaupt nur dann Sinn, wenn er – wie vernünftiger Weise auch gar nicht anders zu erwarten – eine Klärung dieses Sachverhalts für den gesamten Massezeitraum herbeiführen wolle.
38Auch wäre nicht verständlich, warum er, nachdem er nunmehr jahrelang konsequent ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren für den Massezeitraum durchgeführt habe, nun ohne erkennbaren äußeren Anlass auf ein, für die Masse praktisch wenig bedeutsames, Rechtsschutzziel umschwenken solle, für welches kein Vorverfahren durchgeführt worden sei.
39Der Beklagte stütze seine abseitige Auslegung des Klageantrages – soweit ersichtlich – ausschließlich darauf, dass im ersten Entwurf der Klageschrift „ff.“ vergessen worden und dann als Folge hiervon ein unzutreffender Bescheid als Anlage zusortiert und im Text benannt worden sei. Hierbei handele es sich um einen offensichtlichen, den Fällen des § 129 der Abgabenordnung (AO) vergleichbaren, Tippfehler.
40In diesem Zusammenhang sei der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Verwaltungsakt nur bei einer Anfechtungsklage, nicht aber bei der hier statthaften Verpflichtungsklage Muss-Inhalt der Klage sei. Er (der Kläger) müsse lediglich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsverletzung – die Richtigkeit der Behauptung unterstellt – ergebe, schlüssig behaupten; damit bezeichne er zugleich den Streitgegenstand.
41Die Umsatzsteuerbescheide für die Insolvenzmasse der Beigeladenen seien zu ändern, weil dort zunächst Umsatzsteuer aufgrund unzutreffenden Ausweises in den Rechnungen festgesetzt worden sei, nunmehr der Rechnungsempfänger aber Vorsteuer i.H. von ... € zurückgezahlt habe, sodass insoweit eine Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens beseitigt worden sei.
42Die Begründung des Beklagten fuße auf einem unzutreffenden Verständnis des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 251 Nr. 4.2. „Stellung und steuerliche Pflichten des Insolvenzverwalters“.
43Entscheidend sei, wie weit seine (des Klägers) Verfügungsbefugnis in seiner Funktion als Insolvenzverwalter im Streitfall reiche.
44Im vorliegenden Fall habe weder eine echte noch eine unechte Freigabe stattgefunden. Vielmehr handele es sich hier lediglich um eine „Freigabe der selbständigen Tätigkeit“. Gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO habe der Insolvenzverwalter nämlich auch - wie vorliegend - über die Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners zu entscheiden. Das beruhe darauf, dass es in der Insolvenz einer natürlichen Person wegen Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht möglich sei, dem Insolvenzschuldner eine selbständige Tätigkeit zu untersagen. Zwar falle daraus generierter Neuerwerb grundsätzlich in die Insolvenzmasse; für die Insolvenzmasse könnten sich daraus aber auch finanzielle Nachteile ergeben (insbesondere aufgrund von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO wegen der in der Duldung der selbständigen Tätigkeit liegenden Verwalterhandlung). Vor diesem Hintergrund habe der Insolvenzverwalter insoweit ein Wahlrecht zwischen zwei Optionen, der Positiverklärung bzw. Einbeziehungserklärung oder der Negativerklärung bzw. Freigabe. Während die Positiverklärung rein deklaratorisch wirke, weil der Neuerwerb bereits gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Insolvenzmasse gehöre und Masseverbindlichkeiten infolge der Duldung der selbständigen Tätigkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entstünden, wirke die Freigabe konstitutiv, indem sie diese Wirkung abwende (Bork/Hölzle in: Handbuch des Insolvenzrechts, Stand: 01/2014, Kapitel 6, §§ 35-37 InsO, Rz. 36, 37).
45Das heiße, § 35 Abs. 2 InsO diene lediglich der haftungsmäßigen Zuordnung des Neuerwerbs und der Regelung der Haftung für Neuverbindlichkeiten. Die „Freigabe“ umfasse daher nicht (gegenwärtige) Gegenstände der Insolvenzmasse, die der Schuldner zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit benötige. Ihre Massezugehörigkeit bestimme sich vielmehr – nach wie vor – nach den allgemeinen Regeln, also danach ob sie gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO i.V. mit § 811 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) unpfändbar (Bundesarbeitsgericht – BAG – Urteil vom 10. April 2008 – 6 AZR 368/07, BAGE 126, 229, ZIP 2008, 1346, 1348) oder ggf. dem Schuldner im Wege der „echten“ Freigabe zur Verfügung gestellt worden seien (Berger, ZInsO 2008, 1101, 1104 und 1106; Uhlenbruck in: Insolvenzordnung Kommentar, 13. Auflage, § 35 Rz. 100). Weil Folge der „Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO“ nicht die Freigabe von Vermögenswerten im eigentlichen Sinne sei, sei die Formulierung „Freigabe des Geschäftsbetriebes“ auch lediglich umgangssprachlicher Natur, dessen ungeachtet aber weit verbreitet. Vielmehr sei es so, dass nur die für die freigegebene Erwerbstätigkeit und die zur Ausübung der Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände freigegeben würden. Diese sollten so korrekt wie möglich bezeichnet werden, damit eine Bestimmung möglich sei, welche Vermögenswerte aus dem Insolvenzbeschlag entlassen würden. Auf nicht ausdrücklich aufgeführte Gegenstände erstrecke sich eine Freigabeerklärung gemäß § 35 Abs. 2InsO nur, wenn sie eine untergeordnete Funktion für die Erwerbstätigkeit des Schuldners hätten (Braun in: Insolvenzordnung Kommentar, 5. Auflage, § 35 Rz. 72). Die Wirkung der Freigabe beschränke sich daher ausschließlich auf das vom Schuldner auf Grundlage der freigegebenen Tätigkeit erwirtschaftete Vermögen (Gerhlein, ZInsO 2016, 825, 827). Gegenstände der Insolvenzmasse würden durch die Erklärung somit auflösend bedingt unpfändbar i.S. des § 811 Abs. 1 ZPO. Stelle der Schuldner die Selbständigkeit während des eröffneten Insolvenzverfahrens wieder ein, habe der Verwalter die Gegenstände folglich zu verwerten (Bork/Hölzle in: Handbuch Insolvenzrecht, Stand: 01/2014, Kapitel 5 Rz. 367).
46Daraus folge im Umkehrschluss, sei der Berichtigungsanspruch nach § 14c Abs. 2 UStG nicht ausdrücklich freigegeben – wie dies vorliegend eben nicht geschehen sei – dann unterliege er auch noch dem Insolvenzbeschlag. Dies gelte erst recht, wenn – wie hier – der Schuldner (die Beigeladene) seine freigegebene Tätigkeit wieder eingestellt habe.
47Dieses Ergebnis entspreche auch dem Sinn und Zweck des § 35 Abs. 2 InsO. Um die Insolvenzmasse an dem Erfolg der Tätigkeit des Insolvenzschuldners im Rahmen seiner insolvenzfreien Vermögenssphäre partizipieren zu lassen, habe der Gesetzgeber nämlich in § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO angeordnet, dass § 295 Abs. 2 InsO entsprechend Anwendung fände. Angesichts dessen obliege es dem Schuldner im Fall der Fortsetzung seiner selbständigen Tätigkeit, die Masse wirtschaftlich so zu stellen wie diese stünde, wenn er stattdessen in ein – seinen Fähigkeiten angemessenes – Dienstverhältnis eingetreten wäre (Pape/Uhländer in: NWB Kommentar zum Insolvenzrecht, § 35 Rz. 26). Der Insolvenzschuldner solle also nur wie ein Angestellter stehen und nicht wie der Unternehmer selbst, deshalb entspreche es auch dieser Wertung, dass der Berichtigungsanspruch bei der Masse und damit bei dem verbleibenden Unternehmen bliebe.
48Genau dies ergebe sich aus der im Zusammenhang mit der Einspruchsbegründung vorgetragenen Gesetzesbegründung und Rechtsprechung. Auch hieraus werde deutlich, dass der Insolvenzbeschlag nur insoweit aufgehoben werde – Schaffung einer insolvenzfreien Sondermasse –, als es zur Freigabe der „Tätigkeit“ erforderlich sei (BT-Drucks. 16/3227 S. 17; Bundesgerichtshof – BGH – Beschluss vom 25. Januar 2018 – IX ZA 19/17, ZInsO 2018, 671). Die Freigabe erfasse kein Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners, das dem Schuldner bei Wirksamwerden der Freigabeerklärung bereits gehöre (arg. § 35 Abs. 1 Fall 1 InsO; BGH-Urteil vom 21. Februar 2019 – IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212, ZInsO 2019, 678). Solches Vermögen stehe vielmehr der Masse zu, was insbesondere für Forderungen aus der vor der Freigabeerklärung ausgeübten selbständigen Tätigkeit des Schuldners gelte (BGH-Urteil in BGHZ 221, 212, ZInsO 2019, 678). Die Freigabe wirke nicht auf Forderungen und Verbindlichkeiten zurück, soweit diese vor Wirksamwerden der Erklärung entstanden seien (BGH-Urteil in BGHZ 221, 212, ZInsO 2019, 678).
49Für die Abgrenzung, ob eine Forderung dem Zeitraum vor oder nach dem Wirksamwerden der Freigabe zuzuordnen sei, sei dementsprechend auf ähnliche Erwägungen abzustellen, wie bei der Abgrenzung von Insolvenz- und Masseforderungen im Sinne der § 38 InsO, § 39 InsO bzw. § 55 InsO. Eine Forderung stehe demnach der Masse und nicht dem Schuldner zu, wenn zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Freigabe von ihrem Entstehungstatbestand bereits so viele Erfordernisse erfüllt seien, dass „die Vollendung nicht mehr von einem willensgesteuerten Verhalten des Schuldners abhänge“ (BGH-Urteil in BGHZ 221, 212, ZInsO 2019, 678). Unerheblich sei, ob die Forderung zum Zeitpunkt der Freigabe bereits entstanden oder fällig sei. Aufschiebend bedingte Forderungen gehörten auch dann zur Masse, wenn die Bedingung erst nach Wirksamwerden der Freigabe eintrete. Diese Voraussetzungen seien erfüllt, weil die Beigeladene in keiner Weise willensgesteuert in den Berichtigungsprozess nach § 14c Abs. 2 UStG eingegriffen habe oder hätte eingreifen können (so im Übrigen auch Harder: Reichweite und Wirkungen der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO, NJW-Spezial 2019, 277).
50Im Ergebnis lasse sich daher festhalten: Der hier geltend gemachte Berichtigungsanspruch sei von der Freigabeerklärung nicht umfasst. Vielmehr gelte: Habe der Insolvenzschuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Rechnung mit zu hohem Steuerausweis i.S. des § 14c Abs. 1 UStG erteilt, die zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt und werde die Rechnung vom Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens berichtigt, gehöre der Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse. Entsprechendes gelte nach der Verwaltungsauffassung für die zulässige Berichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG (vgl. Verfügung der OFD Frankfurt vom 4. November 2009 – S 7340 A NWB YAAD-40458). Auch nach Ansicht des Bundesfinanzhofs handele es sich bei dem Anspruch aus der Berichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG um eine Masseforderung (vgl. Urteil vom 8. November 2016 – VII R 34/15, BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496).
51Unabhängig davon, dass der Umsatzsteuerberichtigungsanspruch nach § 14c Abs. 2 UStG von der Rückzahlung der zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuer abhängig sei, bestehe der gesetzliche Berichtigungsanspruch bereits vor der Freigabeerklärung und sei damit auch weiterhin vom Insolvenzbeschlag erfasst.
52Der Beklagte verkenne Regel und Ausnahme betreffend den Freigabeumfang, indem er davon ausgehe, dass eine Freigabe i.S. des § 35 Abs. 2 InsO ohne besondere ausdrückliche Einschränkung, wie sie hier vorliege „das Vermögen aus Ihrer selbständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört“,
53ohne Weiteres auch den Umsatzsteuerberichtigungsanspruch umfasse. Begründet werde dies u.a. damit, dass sich die Freigabe auf das gesamte der gewerblichen Tätigkeit „gewidmete“ Vermögen erstrecke.
54Dies überzeuge nicht. Allgemein schon deshalb nicht, weil die Freigabe i.S. des § 35 Abs. 2 InsO eine einfachgesetzliche Ausprägung von Art. 12 GG sei. Dem Insolvenzschuldner müsse qua grundgesetzlicher Wertung auch während der Insolvenz die Möglichkeit gegeben werden, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit zu sichern. Keinesfalls aber solle damit eine Bereicherung des Insolvenzschuldners – wie das hier ansonsten wohl der Fall wäre – erreicht werden. Vielmehr bliebe es bei dem obersten Grundsatz des Insolvenzrechts, wonach eine bestmögliche und gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger im Wege der Gesamtvollstreckung erreicht werden solle. Dementsprechend gelte als Regel, dass im Zweifel alles, was nicht ausdrücklich freigegeben worden sei, weiter dem Insolvenzbeschlag unterliege und zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehe. Da der Umsatzsteuerberichtigungsanspruch für den Massezeitraum nicht ausdrücklich freigegeben worden sei, unterliege er nach wie vor dem Insolvenzbeschlag (so z.B. Braun in: Insolvenzordnung Kommentar, 5. Auflage, § 35 Rz. 72).
55Vorliegend überzeuge die Argumentation konkret auch deshalb nicht, weil der Umsatzsteuerberichtigungsanspruch zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit nicht erforderlich sei. Deshalb handele es sich schon um kein der Erwerbstätigkeit gewidmetes Vermögen und deshalb sei es auch nicht freigegeben worden. Dies erkenne der Beklagte an. Bezeichnenderweise allerdings nur soweit es ihm nütze, um gegen den Rückfall des Umsatzsteuerberichtigungsanspruchs mit Aufgabe der freigegebenen Tätigkeit durch die Beigeladene zu argumentieren. Bei der ursprünglichen Freigabe habe der Beklagte keinen Zweifel, dass der Umsatzsteuerberichtigungsanspruch nach § 14c Abs. 2 UStG von der Freigabe umfasst sei, weil es sich um einen zwingenden Bestandteil des der Erwerbstätigkeit gewidmeten Vermögens handele. Bei dem Rückfall der freigegebenen Vermögensgegenstände aufgrund der Einstellung des Betriebes durch die Beigeladene handele es sich dann plötzlich um für die Fortsetzung der Erwerbstätigkeit „offensichtlich“ nicht erforderliche Ansprüche, die entsprechend nicht gemäß § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbar seien und dementsprechend auch nicht wieder zurück in die Insolvenzmasse fielen. Wenn hier etwas „offensichtlich“ sei, dann der Wertungswiderspruch in der Argumentation des Beklagten.
56Auch bei einer Betrachtung nach dem Sinn und Zweck des Insolvenzrechts überzeuge die Argumentation des Beklagten nicht. Entweder behalte der Fiskus die Umsatzsteuer, was auf eine nicht gewollte Gläubigerbegünstigung hinausliefe; hier sogar auf eine doppelte, weil der Fiskus „seine zu Unrecht geltend gemachte Vorsteuer“ zurückbekommen habe. Oder die Beigeladene als Insolvenzschuldnerin bekomme eine sechsstellige Umsatzsteuererstattung, während die Insolvenzgläubiger leer ausgingen.
57Dem Urteil des FG Münster vom 20. Februar 2018 – 15 K 1514/15 U, S, EFG 2018, 697, welches der Beklagte benenne, liege ein anderer Sachverhalt zugrunde. Ebenso sei das Urteil des FG Sachsen-Anhalt vom 19. November 2013 – 5 K 957/08, EFG 2014, 782, welches der Beklagte ins Felde führe nicht vergleichbar, da ein umsatzsteuerlicher Berichtigungsanspruch nicht Gegenstand der dort erteilten Freigabe gewesen sei.
58Nach alledem sei der geltend gemachte Umsatzsteuerberichtigungsanspruch nach § 14c Abs. 2 UStG für den Zeitraum 2014 bis 2106 in vollem Umfang begründet.
59Der Kläger beantragt,
60den Beklagten zu verpflichten, dem Änderungsantrag nach § 14c Abs. 2 UStG vom 9. August 2017 stattzugeben;
61hilfsweise, die Revision zuzulassen.
62Der Beklagte beantragt,
63die Klage abzuweisen;
64hilfsweise, die Revision zuzulassen.
65Er gehe davon aus, dass sich die Klage ausschließlich auf die Umsatzsteuer für das Jahr 2014 beziehe, denn der Kläger nehme Bezug auf den Antrag auf Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2014 vom 2. September 2016 und habe der Klageschrift den Steuerbescheid für das Jahr 2014 beigefügt. Der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2014 vom 2. September 2016 sei jedoch unter der Steuernummer ... zum vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil ergangen.
66Da mit dem Antrag vom 9. August 2017 nicht nur die Änderung von Bescheiden zur Insolvenzmasse, sondern auch die Änderung der Steuerfestsetzung für den vorinsolvenzrechtlichen Zeitraum 2011 beantragt worden sei, könne die Bezugnahme auf den Antrag vom 9. August 2017 zu keiner vom Wortlaut der Klageschrift abweichenden Auslegung des Klagebegehrens führen. Insbesondere sei auch aus dem Antrag vom 9. August 2017 nicht ersichtlich, ob für das Jahr 2014 eine Änderung des Bescheides für den vorinsolvenzrechtlichen Zeitraum und/oder den Bescheid für die Insolvenzmasse begehrt werde.
67Falls sich die Klage tatsächlich gegen die Bescheide hinsichtlich der Insolvenzmasse für die Jahre 2014 bis 2016 gerichtet haben solle, so sei unverständlich, warum der Klageschrift nicht die streitgegenständlichen Bescheide, sondern nur der Bescheid des Jahres 2014 für den vorinsolvenzrechtlichen Zeitraum beigefügt worden sei.
68Soweit sich der Kläger für seine Begründung auf den von ihm genannten Streitwert bezöge, so erfasse dieser Vorsteuerkorrekturen, die materiell-rechtlich nach seiner (des Beklagten) Auffassung den vorinsolvenzrechtlichen und den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung beträfen. Somit wäre der genannte Streitwert auch unzutreffend, wenn der Kläger – wie er nunmehr vortrage – nur eine Änderung der Bescheide zur Insolvenzmasse begehre. Der Streitwert wäre jedoch zutreffend, wenn der Kläger die gesamte Vorsteuer in einem geänderten Bescheid des Jahres 2014 für den vorinsolvenzrechtlichen Zeitraum berücksichtigt haben möge.
69Würde sich die Klage gegen die Bescheide der Jahre 2014 bis 2016 richten, so wäre im Übrigen zu erwarten gewesen, dass der Kläger in seiner Klageschrift benenne, in welchem Umfang er eine Änderung des jeweiligen Bescheides begehre. Auch dies sei dem bisherigen Antrag des Klägers nicht zu entnehmen.
70Soweit der Kläger vortrage, dass er bei ihm (dem Beklagten) Anträge und Einsprüche zur Änderung der Steuerbescheide zur Insolvenzmasse beantragt habe, werde dies nicht bestritten. Es könnten jedoch gleichzeitig eine Klage gegen eine Einspruchsentscheidung zu einem Bescheid für vorinsolvenzrechtliche Zeiträume erhoben werden, während daneben Verfahren hinsichtlich der Bescheide zur Insolvenzmasse liefen. Wenn ein Klageantrag – wie vorliegend – nach seinem Wortlaut eindeutig gegen einen bestimmten Steuerbescheid gerichtet sei, so könne dieser nicht aufgrund anderer laufender Verfahren beim Finanzamt als eine Klage gegen andere Bescheide umgedeutet werden.
71Ein vom Wortlaut der Klageschrift abweichendes Klagebegehren würde sich somit im Wesentlichen darauf stützen, dass sich der Kläger in seiner Klageschrift nicht ausdrücklich auf die Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2014 vom 2. September 2016 bezogen hätte. Aufgrund der Ausführungen in der Klageschrift würde die Annahme einer Klage gegen die Bescheide 2014 bis 2016 für die Insolvenzmasse jedoch voraussetzen, dass der Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung eine höhere Aussagekraft zugesprochen werde, als dem in der Klageschrift ausdrücklich gestellten Antrag. Dem vermöge er (der Beklagte) nicht zuzustimmen, denn bei rechtskundigen Personen, wie z.B. Rechtsanwälten und Steuerberatern, komme eine Auslegung oder Umdeutung von Verfahrenserklärungen regelmäßig nicht in Betracht. Es sei ein Gebot der Rechtssicherheit, Rechtskundige mit ihren Verfahrenserklärungen beim Wort zu nehmen (BFH-Urteil vom 26. April 2006 – II R 35/06, BFH/NV 2006, 1800). Denn bei Angehörigen der genannten Berufsgruppen müsse davon ausgegangen werden, dass sie sich über die rechtliche Tragweite des von ihnen Erklärten im Klaren seien und das Erklärte auch tatsächlich gewollt hätten (BFH-Urteil vom 14. Juni 2016 – IX R 11/15, BFH/NV 2016, 1676). Infolgedessen komme es maßgeblich auf die Verkörperung des Willens in der prozessualen Erklärung an (BFH-Urteil vom 1. April 1981 – II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532).
72Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beigeladenen komme es zur Aufspaltung des Unternehmens in drei Unternehmensteile (vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil, Insolvenzmasse und insolvenzfreies Vermögen), zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden könnten (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996).
73Aus dieser Rechtsprechung folge, dass die einzelnen insolvenzrechtlichen Unternehmensteile eine verfahrensrechtliche Verselbständigung bzw. Trennung erführen (für den Bereich der Einkommensteuer vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 24. Februar 2015 – VII R 27/14, BFHE 248, 518, BStBl II 2015, 993). Denn es seien für den jeweiligen Unternehmensteil gesonderte Steuerfestsetzungen/-berechnungen durchzuführen (BFH-Urteil vom 18. Mai 2010 – X R 60/08, BFHE 229, 62, BStBl II 2011, 429), die sich an verschiedene Bekanntgabeadressaten (Insolvenzverwalter bzw. Insolvenzschuldner) richteten.
74Die Entscheidung, ob der umsatzsteuerlich relevante Sachverhalt dem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil oder der Masse bzw. dem insolvenzfreien Vermögen zuzuordnen sei, richte sich im ersten Schritt nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründetheit (§ 38 InsO). Die Begründung einer Forderung sei nicht mit deren Entstehung gleichzusetzen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. Oktober 1977 – III R 111/75, BFHE 124, 122, BStBl II 1978, 204; Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts – OVG – vom 27. September 2006 – 4 EO 1283/04, ThürVBl 2007, 61, ZIP 2007, 44). Für die insolvenzrechtliche Zuordnung des Steueranspruchs komme es also weder auf dessen steuerliche Entstehung noch dessen Fälligkeit an (BFH-Beschluss vom 7. Juni 2006 – VII B 329/05, BFHE 212, 436, BStBl II 2006, 461; Hefermehl in: MünchKomm, InsO, § 55 Rn. 71).
75Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und nach der Insolvenzeröffnung begründeten Ansprüchen richte sich vielmehr danach, wann der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden sei. Der Rechtsgrund für einen Steueranspruch sei gelegt, wenn der gesetzliche Besteuerungstatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen sei. Ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit insolvenzrechtlich begründet sei, richte sich auch im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ausschließlich nach steuerrechtlichen Gesichtspunkten (vgl. BFH-Urteil vom 16. Mai 2013 – IV R 23/11, BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759; BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2014 – X B 89/14, BFH/NV 2015, 470, ZIP 2015, 389). Komme es zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor der Verfahrenseröffnung, handele es sich um eine Insolvenzforderung, erfolge die vollständige Tatbestandsverwirklichung hingegen erst nach der Verfahrenseröffnung, liege eine Masseverbindlichkeit oder eine Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen vor (vgl. hierzu auch die BFH-Urteile vom 11. November 1993 – XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477; vom 29. Januar 2009 – V R 64/07, BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682; vom 18. Mai 2010 – X R 60/08, BFHE 229, 62, BStBl II 2011, 429, und vom 9. Februar 2011 – XI R 35/09, BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000).
76Dieser Rechtsprechung liege die Überlegung zu Grunde, dass sich die insolvenzrechtliche Zuordnungsentscheidung erst an die steuerrechtliche Ermittlung der Steuerschuld anschließe. Diese Zuordnungsentscheidung könne nicht dazu führen, dass die Steuerforderung in einen Zeitraum verschoben werde, in dem sie steuerrechtlich noch gar nicht entstanden sei (vgl. hierzu Niedersächsisches FG-Urteil vom 28. Oktober 2008 – 13 K 457/07, EFG 2009, 486, ZIP 2009, 772; FG Düsseldorf-Gerichtsbescheid vom 19. August 2011 – 11 K 4201/10 E, EFG 2012, 544, ZIP 2011, 2070).
77Ausgehend von diesen Grundsätzen gelte für die insolvenzrechtliche Begründetheit des Berichtigungsanspruchs nach § 14c Abs. 2 UStG folgendes:
78§ 14c Abs. 2 UStG gewähre – ebenso wie § 17 Abs. 2 UStG (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2012 – VII R 29/11, BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36) – einen eigenständigen Berichtigungsanspruch (BFH-Urteil in BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496).Nach § 14c Abs. 2 Satz 4 UStG sei die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer an die Finanzbehörde zurückgezahlt worden sei. Dies sei in dem Sinne zu verstehen, dass endgültig feststehen müsse, dass jedwede Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen sei (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union – EuGH – vom 19. September 2000 – Rs. C-454/98 Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel, Slg. 2000 I-6973; BFH-Urteil vom 22. Februar 2001 – V R 5/99, BFHE 194, 506, BStBl II 2004, 143).
79Infolge dessen werde der Berichtigungsanspruch nach § 14c Abs. 2 UStG jeweils erst zu dem Zeitpunkt im insolvenzrechtlichen Sinne begründet, in dem die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt werde (BFH-Beschluss vom 8. November 2016 – VII R 18/16, BFH/NV 2018, 1289).
80Im Streitfall habe der Empfänger der von der Beigeladenen im Jahr 2011 erteilten Rechnungen – zwischen den Beteiligten unstreitig – folgende Zahlungen (Rückzahlungen auf Grund des unberechtigten Vorsteuerabzugs) an das für ihn zuständige Finanzamt W geleistet:
81Zeitraum |
Betrag |
1. Januar bis 00.00.2014 |
... € |
00.00. bis 31. Dezember 2014 |
... € |
1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2016 |
... € |
Den zuvor dargestellten Grundsätzen folgend sei daher ein Berichtigungsanspruch nach § 14c Abs. 2 UStG in Höhe von ... € begründet worden, der dem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil zuzuordnen sei.
83Entsprechend habe er am 2. September 2016 unter der Insolvenzsteuernummer (sog. erste Steuernummer) an den Kläger eine Umsatzsteuerfestsetzung für den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil bekannt gegeben (zur Zulässigkeit einer Steuerfestsetzung für vorinsolvenzrechtliche Besteuerungszeiträume, vgl. BFH-Urteil vom 13. Mai 2019 – XI R 63/07, BFHE 225, 278, BStBl II 2010, 11) und dabei den vorgenannten Berichtigungsbetrag berücksichtigt.
84Aus der Klagebegründung vom 8. Oktober 2019 ergebe sich, dass der Kläger eine Änderung des für den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil bekannt gegebenen Steuerbescheides vom 2. September 2016 in der Weise begehre, dass weitere Berichtigungsansprüche nach § 14c Abs. 2 UStG berücksichtigt werden sollten. Mit dem Begehren könne der Kläger jedoch bereits aus verfahrens- sowie insolvenzrechtlichen Gründen nicht durchdringen. Denn der ursprüngliche Antrag vom 9. August 2017 enthalte – anders als die Klagebegründung – keinen konkreten Bezugsverwaltungsakt. Vielmehr sei ohne nähere Angaben unter anderem eine Änderung der Umsatzsteuer für das Jahr 2014 nach § 14c Abs. 2 UStG auf Grund der Zahlungen des Rechnungsempfängers beantragt worden.
85Er (der Beklagte) habe diesen ursprünglichen Antrag – insbesondere auf Grund des Zeitpunkts der Zahlungen durch den Rechnungsempfänger – so verstehen müssen, dass eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 2014 für den insolvenzrechtlichen Unternehmensteil Masse begehrt werde. Dies gelte umso mehr, als im identischen Antrag auch die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen der Jahre 2015 und 2016 angestrebt worden sei, die in jedem Fall nur den Unternehmensteil Masse habe betreffen können. Entsprechend dieser gebotenen Auslegung seien auch der Ablehnungsbescheid vom 14. August 2017 unter der sog. Massesteuernummer (zweite Steuernummer) bekannt gegeben worden. Hiergegen seien vom Kläger im nachfolgenden Rechtsbehelfsverfahren keine Einwendungen erhoben worden, so dass auch die Einspruchsentscheidung unter dieser Massesteuernummer und damit für den insolvenzrechtlichen Unternehmensteil Masse ergangen sei.
86Soweit der Kläger nunmehr erstmalig eine Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2014 vom 2. September 2016 für den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil begehre, sei die Klage demzufolge unzulässig, da es an der Durchführung eines nach § 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderlichen Vorverfahrens für diesen Unternehmensteil fehle.
87Ungeachtet dessen könne der Änderungsantrag für den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil aber auch in der Sache keinen Erfolg haben. Denn die o.g weiteren Berichtigungsansprüche i.S. von § 14c Abs. 2 UStG seinen, dem BFH-Urteil in BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496 folgend, allesamt erst nach der Insolvenzeröffnung am 00.00.2014 begründet worden, da der Rechnungsempfänger erst während des Insolvenzzeitraums durch seine weiteren Zahlungen die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt habe. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Ansprüche dürften jedoch auf Grund der strikten verfahrensrechtlichen Trennung der einzelnen insolvenzrechtlichen Unternehmensteile nicht im Rahmen einer (geänderten) Veranlagung für den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil berücksichtigt werden.
88Selbst wenn das Begehren des Klägers – abweichend vom klaren Wortlaut der Klageschrift – dahin auszulegen sei, dass sich die Klage gegen die Bescheide der Jahre 2014 bis 2016 für die Insolvenzmasse richte, so sei sie jedenfalls unbegründet.
89Der Kläger vertrete die Auffassung, dass alles, was nicht ausdrücklich freigegeben worden sei, dem Insolvenzbeschlag unterliege. Diese Auffassung widerspreche jedoch den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen (so FG Sachsen-Anhalt-Urteil – 5 K 957/08, EFG 2014, 782, bestätigt durch BFH-Beschluss vom 18.07.2014 – VII B 227/13, nv).
90Denn der Kläger habe mit Schreiben vom 00.00.2014 und mit Wirkung ab dem 00.00.2014 gegenüber der Insolvenzschuldnerin (der Beigeladenen) gemäß § 35 Abs. 2 InsO erklärt, dass das Vermögen aus ihrer selbständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehöre.
91Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 21. Februar 1991 – IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212) erstrecke sich die Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO auf das gesamte Vermögen des Insolvenzschuldners, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet sei. Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betreffe im Unterschied zu der in § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO als zulässig vorausgesetzten echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten (BT-Drucks. 16/3227, S. 26 f.). Diese schieden aus der Insolvenzmasse aus und unterlägen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners (BGH-Urteil vom 18. April 2013 – IX ZR 165/12, ZIP 2013, 1181).
92Zu diesen Vermögensgegenständen rechneten auch alle durch die gewerbliche Tätigkeit erworbenen Umsatzsteuererstattungsansprüche (BFH-Beschlüsse vom 1. September 2010 – VII R 35/08, BFHE 230, 490, BStBl II 2011, 336, und vom 23. August 2011 – VII B 8/11, BFH/NV 2011, 2115; FG Köln-Urteil vom 21. April 2011 – 6 K 1598/07, EFG 2011, 1844; so auch zur Einkommensteuer BFH-Urteil vom 26. November 2014 – VII R 32/13, BFHE 247, 494, BStBl II 2015, 561, und BFH-Beschluss vom 6. März 2014 – VII S 47/13 (PKH), BFH/NV 2014, 1013; FG Münster-Urteil vom 27. September 2013 – 14 K 1917/12 AO, EFG 2014, 66). Denn infolge der Freigabeerklärung aus dem Insolvenzbeschlag träfen die umsatzsteuerlichen Folgen ab dem Zeitpunkt der Freigabe ausschließlich das insolvenzfreie Vermögen (FG Baden-Württemberg-Urteil vom 15. Juli 2015 – 1 K 732/14, EFG 2015, 1779).
93Entsprechend dieser Grundsätze führe das FG Sachsen-Anhalt im Urteil vom 19. November 2013 – 5 K 957/08, EFG 2014, 782, bestätigt durch BFH-Beschluss vom 18.07.2014 – VII B 227/13, nv , zutreffend folgendes aus (in juris Rn. 33):
94„Der Begriff des Vermögens umfasst die Gesamtheit der Rechte, Forderungen und Rechtsverhältnisse, die entweder auf Geld gehen oder einen geldwerten, d.h. in Geld schätzbaren Inhalt haben [Creifelds, Rechtswörterbuch, 20. Auflage, München 2011, Stichwort „Vermögen"]. Dieses Verständnis liegt – soweit es den streitgegenständlichen Zusammenhang betrifft – auch dem § 35 InsO zugrunde, denn nach dieser Vorschrift fallen auch Forderungsrechte des Schuldners in die Insolvenzmasse, soweit sie pfändbar sind [Eickmann, in: Kreft (Hrsg.), lnsO, 5. Auflage, Heidelberg 2008, § 35 InsO RdNr. 13; Graf-Schlicker/Kexel, in: Graf-Schlicker (Hrsg.), lnsO, 3. Auflage, Köln 2012, § 35 InsO RdNr. 7; Leithaus, in: Andres/Leithaus, InsO, 2. Auflage, München 2011, § 35 InsO RdNr. 7]. Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als dass der Umsatzsteuererstattungsanspruch des lnsolvenzschuldners, den dieser während des Insolvenzverfahrens erwirbt, Teil des Vermögens – auch im insolvenzrechtlichen Sinne – ist und daher grundsätzlich dem Insolvenzbeschlag unterliegen kann (und wird). Weitere Folge ist indes, dass auch der von einem Insolvenzverwalter im Rahmen einer Freigabeerklärung verwendete Vermögensbegriff nicht anders ausgelegt werden kann, solange nicht der Inhalt der Freigabeerklärung entsprechende Einschränkungen oder Ausgrenzungen enthält. Der Empfänger der Freigabeerklärung kann (und muss) vielmehr davon ausgehen, dass der Vermögensbegriff von dem Insolvenzverwalter nicht anders verstanden und verwendet wird, als er im § 35 InsO verwendet wird."
95Diesem Urteil folgend unterlägen im Fall der Abgabe einer Freigabeerklärung selbst solche Umsatzsteuervergütungsansprüche nicht mehr dem Insolvenzbeschlag, die vor der Freigabe entstanden, aber erst danach festgesetzt worden sind (vgl. hierzu den ersten Orientierungssatz der Entscheidung).
96Insbesondere das FG Sachsen-Anhalt habe keine Unterscheidung zwischen der für die Fortsetzung der Erwerbstätigkeit erforderlichen und des übrigen Vermögens getroffen. Ergänzend werde auf das BFH-Urteil vom 18. Dezember 2019 – XI R 10/19, BFHE 267, 217, BStBl II 2020, 480 verwiesen.
97Dem zuvor dargestellten Ergebnis stünden auch die in § 35 Abs. 2 Satz 2 i.V. mit § 295 Abs. 2 InsO normierten Abführungspflichten nicht entgegen (Sächsisches FG-Urteil vom 21. September 2010 – 3 K 1110/07, juris, Rn. 25).
98Nach alledem stelle der Berichtigungsanspruch nach § 14c Abs. 2 UStG einen Vermögenswert aus der selbständigen (unternehmerischen) Tätigkeit der Beigeladenen dar, der von der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters umfasst sei, auch wenn er darin nicht explizit genannt worden sei. Dies gelte umso mehr, als dieser Berichtigungsanspruch – wie die Ausführungen oben zeigten – erst nach der Freigabeerklärung im insolvenzrechtlichen Sinne begründet worden sei.
99Dieser Betrachtung könne der Kläger auch nicht erfolgreich entgegenhalten, dass Gegenstände infolge der Freigabe auflösend bedingt unpfändbar i.S.d. § 811 Abs. 1 ZPO würden und im Falle der Betriebseinstellung wieder der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterlägen. Denn mit der Freigabeerklärung habe der Insolvenzverwalter unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er auf das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit – und damit auch auf den hier streitigen Umsatzsteuervergütungsanspruch – endgültig und dauerhaft verzichte (vgl. BGH-Urteil vom 7. Dezember 2006 – IX ZR 161/04, ZIP 2007, 194; BFH-Urteil vom 15. Dezember 2009 – VII R 18/09, BFHE 228, 6, BStBl II 2010, 758; FG Düsseldorf-Urteil vom 21. Juli 2016 – 11 K 423/15 F, juris). Dieser dauerhafte Verzicht ende nicht dadurch, dass der Insolvenzschuldner nachfolgend die selbständige Tätigkeit einstelle. Denn die einmal erfolgte Entlassung eines Vermögensgegenstandes aus dem Insolvenzbeschlag sei unumkehrbar.
100Andernfalls müsse dies konsequenterweise auch für die aus der freigegebenen Tätigkeit resultierenden Verbindlichkeiten gelten, die nachträglich wieder zu Masseverbindlichkeiten umqualifiziert werden müssten. Dies widerspreche jedoch offenkundig dem Sinn und Zweck des § 35 Abs. 2 InsO, nach dem die Insolvenzmasse durch die Freigabe von Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit der ausgeübten selbständigen Tätigkeit geschützt werden solle. Entscheidend für den fehlenden Insolvenzbeschlag sei daher, dass der Berichtigungsanspruch nach § 14c UStG erst nach der Freigabeerklärung im insolvenzrechtlichen Sinne begründet worden sei.
101In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen heiße es dann auch im BFH-Urteil vom 26. November 2014 – VII R 32/13 (BFHE 247, 494, BStBl II 2015, 561):
102„Denn Mittel, die einmal zum freigegebenen Vermögen gehört haben, können nicht nachträglich der Insolvenzmasse zugeordnet werden.“
103Im Übrigen überzeugten die Ausführungen des Klägers auch deshalb nicht, weil Umsatzsteuervergütungsansprüche niemals unter die von ihm genannte Pfändungsschutzvorschrift fallen könnten. Denn nach § 811 Abs. 1 ZPO seien nur solche Sachen nicht der Pfändung unterworfen, die zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit erforderlich seien. Hierzu gehörten Steuererstattungsansprüche offensichtlich nicht.
104Darüber hinaus sei die Betriebseinstellung für die insolvenzrechtliche Beurteilung auch deshalb ohne Bedeutung, weil der vorliegende Rechtsstreit einen Umsatzsteuervergütungsanspruch betreffe. Die Unternehmereigenschaft ende erst mit dem letzten Tätigwerden. Der Zeitpunkt der Einstellung oder Abmeldung eines Gewerbebetriebs sei hierfür unbeachtlich. Unternehmen und Unternehmereigenschaft erlöschen erst, wenn der Unternehmer alle Rechtsbeziehungen abgewickelt habe, die mit dem (aufgegebenen) Betrieb in Zusammenhang stünden (BFH-Urteil vom 21. April 1993 – XI R 50/90, BFHE 171, 129, BStBl II 1993, 696; Abschn. 2.6 Umsatzsteuer-Anwendungserlass –UStAE –). Zu diesen abzuwickelnden Rechtsbeziehungen gehöre auch das Rechtsverhältnis zwischen dem Unternehmer und dem Finanzamt (BFH-Urteil vom 21. Mai 1971 – V R 117/67, BFHE 102, 174, BStBl II 1971, 540). Infolgedessen sei die Beigeladene über den 00.00.2014 hinaus als Unternehmerin anzusehen, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt die abgegebene Freigabeerklärung weiterhin beachtlich sei.
105Zudem verkenne der Kläger, dass der Berichtigungsanspruch nach § 14c UStG erst nach der Freigabeerklärung im insolvenzrechtlichen Sinne begründet worden sei. Es handele sich insbesondere auch nicht um eine aufschiebend bedingte Forderung, weil die Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens ein eigenes Tatbestandsmerkmal des § 14c UStG darstelle.
106Soweit der Rechnungsempfänger die Vorsteuerbeträge erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Freigabe des Betriebes zurückgezahlt habe, sei die Gefährdung des Steueraufkommens auch erst nach diesem Zeitpunkt beseitigt worden. Damit sei der Umsatzsteuererstattungsanspruch erst ab dem 00.00.2014 insolvenzrechtlich begründet, jedoch dem insolvenzfreien Vermögen zuzurechnen. Denn mit der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters scheide die Gesamtheit der im Zusammenhang mit der selbständigen Tätigkeit (= einheitliches Unternehmen) stehenden Gegenstände und Werte – einschließlich aller nach der Freigabe begründeten Steuererstattungsansprüche – aus der Insolvenzmasse aus. (z.B. Schulze in: Wäger, UStG, 1. Auflage 2020, Umsatzsteuer und Insolvenz, Anhang zu § 18 Rz. 96; Stadie in: Rau/Dürrwächter, UStG, 191. Lieferung 01.2021, Anhang 2 – Umsatzsteuer und Insolvenz, Rz. 361; Jatzke in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 261. Lieferung 02.2021, § 251 AO, Rz. 328; Schmittmann in: Vallender et al., Praxis des Insolvenzrechts, 2. Auflage 2017, § 14 Steuerrecht in der Insolvenz, Rz. 80; Graw, EFG 2014, 68-69; Becker in: Juris Lexikon Steuerrecht, Neuerwerb, Rz. 11).
107Ungeachtet der Tatsache, dass die geltend gemachten Umsatzsteuererstattungsansprüche infolge der erklärten Freigabe nicht massezughörig seien, lägen im Übrigen bereits die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Korrektur nach § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG nicht vor. Denn das FG Münster habe im Urteil vom 20. Februar 2018 – 15 K 1514/15 U,S (EFG 2018, 697) in Bezug auf § 17 UStG entschieden, dass eine im Rahmen des Insolvenzverfahrens erklärte Vorsteuervergütung davon abhänge, dass hinsichtlich der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärten Vorsteuerbeträge in Höhe des auf den Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens festgestellten Forderungsausfalls eine Vorsteuerkürzung angemeldet und der auf Grund der angemeldeten Vorsteuerkürzung entstandene Berichtigungsbetrag eingezogen worden sei. Infolgedessen dürfe – zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Bereicherung des Unternehmers – eine Berichtigung der Vorsteuer zu Gunsten des Klägers nur insoweit erfolgen, als die abgezogene Vorsteuer auf Grund der Uneinbringlichkeit der ihr zu Grunde liegenden Forderung berichtigt und an die Finanzbehörde ausgekehrt worden sei. Andernfalls trete eine nicht gerechtfertigte Privilegierung der Insolvenzmasse ein.
108Diese Grundsätze seien auch auf § 14c Abs. 2 UStG anzuwenden, da die Norm explizit die analoge Anwendung des § 17 UStG anordne.
109Demzufolge könne aus materiellen Gründen kein korrespondierender Erstattungsanspruch geltend gemacht werden, wenn und soweit die Steuerbeträge nach § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG nicht gezahlt worden seien. Der Sinn und Zweck des § 14c UStG bestehe darin, einen Steuerschaden aufgrund fehlerhafter Rechnungen zu verhindern. Deshalb dürfe eine Korrektur nach § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG nicht dazu führen, dass er (der Beklagte) Erstattungen auskehren müsse, obwohl diesem Guthaben eine entsprechende Entrichtung der Steuer nach § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG nicht vorausgegangen sei.
110Im Streitfall habe er die Steuer i.S. von § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 2011 gegenüber der Beigeladenen geltend gemacht. Von dem festgesetzten Betrag seien derzeit ... € rückständig.
111An dieser Stelle sei zusätzlich noch zu berücksichtigten, dass er die streitbefangenen Umsatzsteuerguthaben für die Jahre 2014 bis 2016 auf Grund der vom Kläger erklärten Freigabe der selbständigen Tätigkeit gegenüber dem insolvenzfreien Unternehmsteil und damit gegenüber der Beigeladenen persönlich festgesetzt habe. Dieses Guthaben von ... € sei mit der Umsatzsteuerschuld für das Jahr 2011 verrechnet worden und habe daher zu einer Minderung der rückständigen Beträge auf die zuvor genannte Summe geführt.
112Die Umbuchungen dürften jedoch bei der Ermittlung des materiellen Korrekturpotentials nach § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG nicht einbezogen werden. Denn sie beruhten auf Umsatzsteuerbescheiden im insolvenzfreien Unternehmensteil, die jedenfalls nach Ansicht des Klägers rechtswidrig seien. Würde der Kläger aber mit seiner insolvenzrechtlichen Auffassung durchdringen, wären die entsprechenden Bescheide gegenüber der Beigeladenen aufzuheben bzw. zu ändern. Dies wiederum hätte die rückwirkende Unwirksamkeit der Aufrechnung zur Folge (vgl. Rozek in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 247. Lieferung 04.2018, § 2265 AO Rz. 118; BFH-Urteil vom 6. Februar 1990 – VII R 86/88, BFHE 160, 08, BStBl II 1990, 523, Rn. 34). Damit würden dann aber – mangels entsprechender Entrichtung der Umsatzsteuer i.S. von § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG – auch insoweit die materiellen Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG entfallen.
113Letztlich komme es auf die vorangegangenen Überlegungen zu § 14c UStG aber nicht an, da die entsprechenden Erstattungsansprüche ohnehin wirksam aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben worden seien und daher vom Kläger nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden könnten.
114Nach alledem erweise sich die Ablehnung der begehrten (geänderten) Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 2014 als rechtmäßig, so dass die Klage abzuweisen sei.
115Ob Umsatzsteuererstattungsansprüche bestünden und ob diese der Insolvenzmasse oder dem insolvenzfreien Vermögen zuzuordnen seien, sei in dem vor dem FG Köln geführten Klageverfahren betreffend die Ablehnung von Umsatzsteuerfestsetzungen zu klären (vgl. FG Köln vom 21. April 2011 – 6 K 1598/07, EFG 2011, 1844; allgemein BFH-Urteil vom 16. Juli 2015 – III R 32/13, BFHE 251, 102, BStBl II 2016, 251).
116Mit Beschluss vom 15. September 2020 hat das Gericht die Insolvenzschuldnerin nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO zum Verfahren beigeladen. Mit Beschluss vom 23. September 2020 wurde dieser Beschluss hinsichtlich der Anschrift der Beigeladenen abgeändert.
117Entscheidungsgründe
118I. Die Klage ist zulässig.
1191. Der Kläger hat sein Klagebegehren i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ausreichend bezeichnet.
120Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klage u.a. den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Eine ausreichende Bezeichnung erfordert zumindest die substantiierte und schlüssige Darlegung, was der Kläger begehrt und worin er eine Rechtsverletzung sieht. Dadurch soll das Gericht in die Lage versetzt werden, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis zu bestimmen, § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 13. März 2014 – X B 158/13, BFH/NV 2014, 892).
121a) Wie weit ein Klagebegehren zu substantiierten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsakts, der Steuerart und der Klageart. Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird, zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 2002 – VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306; in BFH/NV 2014, 892).
122b) Handelt es sich – wie im Streitfall – um eine Verpflichtungsklage, muss sich diese dagegen wenden, dass ein Verwaltungsakt noch nicht ergangen ist, entweder, weil der Erlass eines bestimmten Verwaltungsaktes durch Verwaltungsakt abgelehnt worden ist – Verpflichtungsklage im engeren Sinne – oder die Finanzbehörde überhaupt noch nicht tätig geworden ist – Verpflichtungsklage im weiteren Sinne – (Gräber/Teller, FGO, § 40 Rn. 22 ff.).
123Bei der Auslegung des Klagebegehrens darf das Finanzgericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Maßgeblich ist das erkennbare Klageziel (BFH-Urteile vom 9. Januar 2019 – VI R 27/16, BFHE 263, 438, BStBl II 2020, 11, Rz. 22, und vom 15. Mai 2024 – IV R 23/21, BFH/NV 2004, 1136).
124Im Streitfall ist das Klageziel des Klägers erkennbar auf die Zustimmung des Beklagten zur Berichtigung der Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2014 bis 2016 nach § 14c Abs. 2 UStG aufgrund der geleisteten Zahlung des Rechnungsempfängers Z gerichtet. So ist das erkennbare Ziel des Klägers unter Berücksichtigung seines Antrags in der Klageschrift, „der Beklagte wird verpflichtet, dem Änderungsantrag nach § 14c Abs. 2 UStG des Klägers vom 09.08.2017 stattzugeben“ zu verstehen. Daran hat das Gericht trotz der Formulierung des durch den Kläger beim Beklagten gestellten Antrags vom 9. August 2017, den geschuldeten Steuerbetrag zur Umsatzsteuer 2011 gemäß § 14c Abs. 2 UStG zu berichtigen, keinen Zweifel, da der Kläger im darauffolgenden Satz die Übersendung geänderter Umsatzsteuerbescheide für die Kalenderjahre 2014 bis einschließlich 2016 begehrt. Dem Antrag ist zudem ein Kontoauszug zur Steuernummer ... beigefügt, aus dem sich Zahlungen des Rechnungsempfängers ab dem 5. Februar 2012 bis zum 29. März 2016 ergeben.
125Der Antrag des Klägers wurde auch so vom Beklagten verstanden, da dieser in seinem ablehnenden Bescheid vom 14. August 2017 im Betreff „Umsatzsteuer 2014 bis 2016“ aufführt und seine Ablehnung damit begründet hat, dass vom Kläger die selbständige Tätigkeit der Beigeladenen mit Wirkung vom 00.00.2014 aus der Insolvenzmasse freigegeben worden sei und die steuerlichen Rechte und Pflichten insoweit der Beigeladenen oblägen. Gegen diesen Ablehnungsbescheid hat der Kläger sodann fristgerecht mit der Begründung Einspruch eingelegt, dass die Beigeladene ihre selbständige Tätigkeit eingestellt habe. In seinem weiteren Erörterungsschreiben vom 25. September 2018 lautet der Betreff des Beklagten „Einsprüche gegen die Ablehnungsbescheide zur Umsatzsteuer 2014 bis 2016“. Ebenso bezeichnet die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 2. Mai 2019 den Streitgegenstand als „Ablehnung der Änderung der Umsatzsteuer 2014 bis 2016 zur Insolvenzmasse" und führt den Antrag des Klägers, geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2014 bis 2016 zur Insolvenzmasse zu erlassen, auch in den Gründen der Einspruchsentscheidung auf.
126Keineswegs kann daher der Klageantrag dahingehend verstanden werden, dass dieser sich ausschließlich auf die Umsatzsteuer für das Jahr 2014 beziehe und vor dem Hintergrund, dass der Kläger als Insolvenzverwalter klagt und den Betrag nach § 14c Abs. 2 UStG als der Insolvenzmasse i.S. des § 35 Abs. 1 InsO zugehörig ansieht, dieser Antrag zudem einen vorinsolvenzrechtlichen Vorgang betreffen solle. Die Übersendung eines Umsatzsteuerbescheides für das Jahr 2014 zu einem vorinsolvenzrechtlichen Zeitraum führt nicht dazu, dass das Klagebegehren, so wie der Beklagte es verstanden wissen will, auszulegen ist. Denn der Kläger hat eine Verpflichtungsklage auf die Zustimmung des Beklagten zur Berichtigung der Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2014 bis 2016 nach § 14c Abs. 2 UStG erhoben. Ein bereits ergangener Umsatzsteuerbescheid ist damit nicht Gegenstand des Verpflichtungsbegehrens.
127Nach alldem betrifft die Klage die Streitjahre 2014 bis 2016 und nur solche Zeiträume die auch den insolvenzrechtlichen Vorgang ab Wirkung der Freigabeerklärung betreffen.
1282. Die Klage ist auch als Verpflichtungsklage zulässig.
129a) Die vom Kläger erstrebte Zustimmung nach § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG, ist ein eigenständiger Verwaltungsakt (BFH-Urteile vom 8. November 2006 – VII R 34/15, BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496, Rz. 20; vom 26. Juni 2029 – XI R 5/18, BFHE 266, 67, BStBl II 2023, 521, Rz. 20; vom 25. September 2024 – XI R 19/22, BFHE nn, BFH/NV 2025, 241), auch wenn es sich nicht um einen Grundlagenbescheid handelt (vgl. BFH- Beschlüsse vom 27. Juli 2021 – V R 43/19, BFHE 274, 175, BStBl II 2024, 237, Rz. 28 ff.; vom 26. August 2021 – V R 38/20, BFH/NV 2022, 146; BFH-Urteil in BFH/NV 2025, 241).
130b) Die beantragte Zustimmung könnte der Beklagte zwar auch stillschweigend durch Erlass eines Änderungsbescheides erteilen (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 274, 175, BStBl II 2024, 237, Rz. 35, und in BFH/NV 2020, 146). Dies hat der Beklagte indes im Streitfall gerade nicht getan, sondern eine Zustimmung ausdrücklich abgelehnt.
1313. Der Kläger ist auch weiterhin klagebefugt gemäß § 40 Abs. 2 FGO.
132Dem steht der Umstand nicht entgegen, dass das Amtsgericht Y als Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren der Beigeladenen mangels zu verteilender Masse ohne Schlussverteilung mit Beschluss vom 00.00.2020 aufgehoben hat. Denn das Amtsgericht hat gleichzeitig die Nachtragsverteilung nach § 203 InsO unter anderem für etwaige Umsatzsteuererstattungsansprüche 2014 bis 2016 angeordnet. Wird die Nachtragsverteilung angeordnet, so besteht die Insolvenzbeschlagname i.S. des § 80 Abs. 1 InsO fort mit der Folge, dass insoweit die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis weiterhin beim (früheren) Insolvenzverwalter – dem Kläger – liegt (vgl. BFH-Urteil vom 28. Februar 2012 – VII R 36/11, BFHE 236, 202, BStBl II 2012, 451, Rz. 12). Die Anordnung der Nachtragsverteilung hat daher u.a. zur Folge, dass der Insolvenzverwalter auch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens ausnahmsweise befugt bleibt, einen anhängigen Prozess fortzusetzen, mit dem die, der Nachtragsverteilung vorbehaltenen, Masseaktiva realisiert werden sollen (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 2021 – VI R 41/18, BFHE 275, 194, BStBl II 2022, 321; FG Münster Urteil vom 20. Februar 2018 – 15 K 1514/15 U, S, EFG 2018, 697, ZIP 2018, 845).
133II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
134Die Verweigerung der Zustimmung zur Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages für den Insolvenzzeitraum der Jahre 2014 bis 2016 durch den Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 101 Satz 1 FGO im Umkehrschluss.
1351. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zustimmung zur Berichtigung der die Insolvenz betreffenden Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2014 bis 2016 nach § 14c Abs. 2 UStG.
136a) Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis) schuldet den ausgewiesenen Betrag. Das Gleiche gilt, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt. Der nach den Sätzen 1 und 2 geschuldete Steuerbetrag kann berichtigt werden, soweit die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. Die Gefährdung des Steueraufkommens ist beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer an die Finanzbehörde zurückgezahlt worden ist. Die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags ist beim Finanzamt gesondert schriftlich zu beantragen und nach dessen Zustimmung in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Voraussetzungen des Satzes 4 eingetreten sind, § 14 Abs. 2 Sätze 1 bis 5 UStG.
137Nach der amtlichen Gesetzesbegründung hierzu soll das Finanzamt aufgrund der Prüfung des bei ihm gestellten Antrags mitteilen, ob und für welchen Besteuerungszeitraum und ggf. in welcher Höhe der Antragsteller den unberechtigt ausgewiesenen Steuerbetrag berichtigen darf. Dieses Verfahren soll zur Vermeidung von Missbrauch führen und damit das Steueraufkommen sichern (BR-Drucks. 630/03, S. 85 zum Steueränderungsgesetz 2003).
138Unionsrechtliche Grundlage hierfür ist Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSyStRL), wonach die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet wird, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist. Hierzu hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, das Verfahren festzulegen, in dem zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, wobei diese Berichtigung nicht im Ermessen der Finanzverwaltung stehen darf (EuGH-Urteil Schmeink & Cofreth und Strobel vom 19. September 2000 – C-454/98, EU:C:2000:469, Rz. 70).
139b) Hat der Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug geltend gemacht, ist der aufgrund des unberechtigten Steuerausweis geschuldete Steuerbetrag für den Zeitraum zu berichtigen, in dem der Rechnungsempfänger die Vorsteuer an das Finanzamt zurückzahlt (BFH-Urteil vom 27. Juli 2021 – V R 43/19, BFHE 274, 175, BStBl II 2024, 237).
140aa) Die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages ist gemäß § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG unter den dort weiter bezeichneten Bedingungen für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. Hierfür verweist diese Vorschrift auf die Voraussetzungen des § 14c Abs. 2 Satz 4 UStG und damit darauf, dass ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer an die Finanzbehörde zurückgezahlt wurde (BFH-Urteil in BFHE 274,175, BStBl II 2024, 237; BFH-Beschluss vom 26. August 2021 – V R 38/20, BFH/NV 2022, 146).
141Hat der unberechtigte Steuerausweis – wie im Streitfall – als Vorsteuerabzug Eingang in eine für den Rechnungsempfänger vorliegende Steuerfestsetzung (§ 168 AO) gefunden, ist die Berichtigung des sich aus dem unberechtigten Steuerausweis ergebenden Steuerbetrages danach für den Zeitraum der Rückzahlung der Vorsteuer durch den Rechnungsempfänger an sein Finanzamt vorzunehmen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 274, 175, BStBl II 2024, 237).
142bb) Abweichendes folgt nicht aus der von § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG angeordneten entsprechenden Anwendung von § 17 Abs. 1 UStG. Diese Anordnung dient dazu, bei der Steuerberechnung durch Vor- und Steueranmeldung nach § 18 Abs. 1 und 3 UStG i.V. mit § 16 Abs. 1 und 2 UStG und § 17 UStG auch die Berichtigung des Steuerbetrages nach § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG berücksichtigen zu können. Da diese Vorschriften nur auf § 17 UStG, nicht aber auch auf § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG verweisen, findet die Steuerberichtigung beim unberechtigten Steuerausweis aufgrund der dort angeordneten entsprechenden Anwendung von § 17 Abs. 1 UStG Eingang in die Steuerberechnung.
143cc) Danach ist der Anspruch auf die Berichtigung des sich aus dem unberechtigten Steuerausweis ergebenden Steuerbetrages im Streitfall sukzessive mit der jeweiligen Zahlung durch den Rechnungsempfänger entstanden.
144Ausweislich der vom Kläger übersandten Anschreiben und Kontoauszügen des Finanzamts W wurden durch den Rechnungsempfänger auf die Umsatzsteuer des Jahres 2011 bis zum 16. Juni 2016 insgesamt ... € gezahlt.
145Die Zahlungen des Rechnungsempfängers Z an das Finanzamt W für den Zeitraum vom 5. Februar 2012 bis zum 18. Februar 2014 fallen in Besteuerungszeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 00.00.2014 (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 1. September 2010 – VII R 35/08, BFHE 230, 490, BStBl II 2011, 336) und sind nicht Gegenstand der Klage. Für diese Zeiträume hat der Beklagte bereits geänderte Bescheide erlassen, da sie den Zeitraum vor der Insolvenzeröffnung und vor der Freigabe betreffen, und an den Insolvenzverwalter bekannt gegeben.
146(1.) Zwar gilt auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Grundsatz der Unternehmenseinheit, das Unternehmen besteht jedoch nach Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen (vgl. BFH-Urteil vom 1. September 2010 – VII R 35/08, BFHE 230, 490, unter II.2.), zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers kommt es zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile, bei denen es sich z.B. um die Insolvenzmasse und das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen handeln kann. So sind z.B. weitere Vorsteuerbeträge, die sich für die Insolvenzmasse ergeben, nicht nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG von der Steuer, die sich aus Leistungen für den insolvenzfreien Unternehmensteil ergeben, abzusetzen und können daher trotz einer Steuerschuld für den insolvenzfreien Unternehmensteil zu einem Vorsteuerüberschuss und damit zu einer Umsatzsteuervergütung für die dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters unterliegende Insolvenzmasse führen. Zur Wahrung des Grundsatzes der Unternehmenseinheit reicht es aus, dass die Summe der für alle Unternehmensteile insgesamt festgesetzten oder angemeldeten Umsatzsteuern der Umsatzsteuer für das gesamte Unternehmen entspricht (BFH-Urteil vom 28. Juni 2000 – V R 87/99, BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639, unter II.1. und 5.).
147Neben der Insolvenzmasse und dem vom Insolvenzverwalter freigegebenen Vermögen besteht auch ein vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil. Die diesen Unternehmensteil betreffenden Umsatzsteueransprüche können nur zur Tabelle (§§ 174 ff. InsO) angemeldet, nicht aber wie z.B. Masseverbindlichkeiten durch Steuerbescheid gegen den Insolvenzverwalter festgesetzt werden. Dementsprechend kann auch hier z.B. ein Vorsteueranspruch des massezugehörigen Unternehmensteils nicht gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG mit einem Steueranspruch gegen den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil verrechnet werden (vgl. §§ 95, 96 InsO).
148(2.) Ist im Insolvenzfall trotz Fortbestehens eines Gesamtunternehmens von mehreren eigenständigen Unternehmensteilen auszugehen, werden die bei Verfahrenseröffnung noch nicht vereinnahmten Entgelte aus vor Verfahrenseröffnung erbrachten Leistungen im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil aus Rechtsgründen uneinbringlich, da der Entgeltanspruch ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr durch diesen Unternehmensteil vereinnahmt werden kann. Denn mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht nach § 80 Abs. 1 InsO die Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, welche auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erbracht werden, auf den Insolvenzverwalter über (BGH-Urteil vom 16. Juli 2009 – IX ZR 118/08, BGHZ 182, 85, unter II.1. m.w.N.). Der Unternehmer ist somit aus rechtlichen Gründen nicht mehr in der Lage, rechtswirksam Entgeltforderungen in seinem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil selbst zu vereinnahmen, da diese in die Insolvenzmasse zu leisten sind. Damit korrespondiert auch, dass dieser Unternehmensteil rechtlich nicht mehr befugt ist „öffentliche Gelder“ entsprechend der Rechtsprechung des EuGH als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“ zu vereinnahmen (Urteile vom 20. Oktober 1993 – C-10/92, Slg. 1993, I-5105, Rn. 25, und vom 21. Februar 2008 – C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. 2008, I-771, Rn. 21).
149(3.) Wird demnach eine Entgeltforderung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens uneinbringlich, begründet die spätere Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzverwalter eine erneute Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG. Diese Berichtigung ist nach § 17 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1 Satz 7 UStG erst im Zeitpunkt der Vereinnahmung vorzunehmen. Die erste Steuerberichtigung aufgrund der Vereinnahmung führt somit zu einer zutreffenden Besteuerung des Gesamtunternehmens.
150Die aufgrund der Vereinnahmung entstehende Steuerberichtigung begründet eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Steueranspruch ist erst mit der Vereinnahmung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen (BFH-Urteil in BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, unter II.1., zur Istbesteuerung).
151(4.) Etwas anderes gilt jedoch für die Rückzahlung des vom Rechnungsempfänger in Anspruch genommenen Vorsteueranspruchs ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Freigabeerklärung des Klägers bei der Beigeladenen, spätestens am 00.00.2014, gemäß § 35 Abs. 2 InsO. Dabei kann im Streitfall dahinstehen, ob der Zugang nach dem 00.00.2014 jedoch vor dem 00.00.2014 erfolgte, da der Rechnungsempfänger in diesem Zeitraum ausweislich des Kontoauszugs des Finanzamts W keine Zahlungen geleistet hat.
152(a.) Nach § 35 Abs. 2 InsO kann der Insolvenzverwalter erklären, dass das Vermögen aus einer ausgeübten oder beabsichtigten selbständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Es handelt sich um eine Art Freigabe des Vermögens, welches der gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse (BT-Drucks. 16/3337, S. 17, BGH-Urteil vom 21. Februar 2019 – IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212, DB 2019, 659, m.w.N.). Der Neuerwerb aus dieser selbständigen Tätigkeit haftet während des eröffneten Verfahrens nur den Neugläubigern, nicht den Insolvenzgläubigern an (vgl. BGH-Beschluss vom 9. Juni 2011 – IX ZB 175/10, WM 2011, 1344, Rn. 13 m.w.N.).
153Die Freigabe erstreckt sich auf das Vermögen des Schuldners, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse (BT-Drucks. 16/3227, S. 17; BGH-Beschluss in WM 2011, 1344, Rn. 7). Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betrifft danach im Unterschied zu der in § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO als zulässig vorausgesetzten echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten (BT-Drucks. 16/3227, S. 26 f.). Diese scheiden aus der Insolvenzmasse aus und unterliegen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners (BGH-Urteile vom 18. April 2013 – IX ZR 165/12, ZIP 2013, 1181, Rn. 22 m.w.N.; in BGHZ 221, 212, DB 2019, 659).
154(b.) Die Freigabe erfasst hingegen kein Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners, das dem Schuldner bei Wirksamwerden der Freigabeerklärung bereits gehörte, arg. § 35 Abs. 1 Fall 1 InsO. Solches Vermögen steht vielmehr der Masse zu. Dies gilt insbesondere für Forderungen aus der vor der Freigabeerklärung ausgeübten selbständigen Tätigkeit des Schuldners. Die Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO wirkt nicht auf Forderungen und Verbindlichkeiten zurück, soweit diese vor Wirksamwerden der Erklärung entstanden sind (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 221, 212, DB 2019, 659).
155§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erlaubt dem Insolvenzverwalter zu erklären, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Dies soll einen einheitlichen Übergang des der selbständigen Tätigkeit dienenden Vermögens einschließlich der darauf bezogenen Vertragsverhältnisse von der Masse auf den Schuldner bewirken. Die Anknüpfung an den Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner gestattet insoweit eine eindeutige zeitliche Differenzierung (BGH-Urteile vom 9. Februar 2012 – IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322, Rn. 29 ff., in BGHZ 221, 212, DB 2019, 659, Rn. 22; BAG-Urteil vom 21. November 2013 – 6 AZR 979/11, BAGE 146, 295; ZIP 2014, 339, Rn. 13). Die Wirkung tritt also ex nunc mit dem Zugang der Freigabeerklärung beim Schuldner ein (Müller in: Jaeger, Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Auflage 2023, § 35 InsO Rn. 149). Über die Folgen einer Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO kann der Insolvenzverwalter nicht disponieren, sie treten kraft Gesetzes ein. Insbesondere kann er die mit dem Zugang der Erklärung ex nunc eintretende Wirksamkeit nicht vorverlagern (BGH in BGHZ 221, 212, DB 2019, 659, Rn. 23; BAG-Urteil vom 16.5.2013 – 6 AZR 556/11, BAGE 145, 163, Rn. 51; Müller a.a.O., Rn. 155).
156(c.) Im Streitfall entfallen die Zahlungen des Leistungsempfängers, Herrn Z, an das Finanzamt W, die dieser ab dem 23. Mai 2014 bis zum 29. März 2016 geleistet hat, in den Zeitraum, für den der Kläger die Freigabe der gewerblichen Tätigkeit gegenüber der Beigeladenen erklärt hat.
157Da der Anspruch auf die Berichtigung des sich aus dem unberechtigten Steuerausweis ergebenden Steuerbetrages nach § 14c Abs. 2 UStG im Streitfall sukzessive mit der jeweiligen Zahlung durch den Rechnungsempfänger entstanden ist (dazu s.o. unter II.1.b), ist der Kläger nicht Berechtigter des Antrags nach § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG, sondern die Beigeladene. Der Beklagte hat daher den Antrag des Klägers auf Berichtigung nach § 14c Abs. 5 Satz 5 UStG zu Recht abgelehnt.
158(5.) Entgegen der Ansicht des Klägers ändert sich an diesem Ergebnis nichts dadurch, dass die Beigeladene ihren Betrieb am 00.00.2014 eingestellt hat.
159Der Kläger hat gegenüber der Beigeladenen die Freigabe ihres Gewerbetriebs mit Zugang der Freigabeerklärung bei der Beigeladenen spätestens am 00.00.2014 erklärt. Über die mit der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO verbundenen Folgen kann der Kläger nicht disponieren; sie treten kraft Gesetzes ein (BGH-Urteile vom 7. Dezember 2006 – IX ZR 161/04, ZIP 2007, 194, ZinsO 2007, 94; in BGHZ 221, 212, DB 2019 659, Rn. 23; FG Düsseldorf-Urteil vom 21. Juli 2016 – 11 K 423/15 F, juris, zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13. April 2007). Mit der Freigabeerklärung hat der Kläger – wie auch der Beklagte zutreffend ausführt – gegenüber der Beigeladenen zum Ausdruck gebracht, dass er das Vermögen aus der gewerblichen Tätigkeit der Beigeladenen freigegeben hat. Hierzu gehört auch der Anspruch auf Berichtigung des nach § 14c Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStG geschuldeten Steuerbetrags gemäß § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG, da der Anspruch erst sukzessiv mit der jeweiligen Zahlung durch den Leistungsempfänger entsteht (dazu oben unter II.1.b). Forderungen die einmal zum freigegebenen Vermögen gehören, können nicht nachträglich wieder der Insolvenzmasse zugeordnet werden (vgl. BFH-Urteil vom 26. November 2014 – VII R 32/13, BFHE 247, 494, BStBl II 2015, 561).
160Die Wirkung der Freigabe endet nicht durch die Abmeldung bzw. Einstellung des Gewerbes durch die Beigeladene. Die Abmeldung eines Gewerbebetriebes ist unbeachtlich, denn Unternehmen und Unternehmereigenschaft erlöschen erst, wenn der Unternehmer alle Rechtsbeziehungen abgewickelt hat, die mit dem – aufgegebenen – Betrieb in Zusammenhang stehen (vgl. BH-Urteil vom 21. April 1993 – XI R 50/90, BFHE 171, 129, BStBl II 1993, 696 m.w.N.; ebenso die Finanzverwaltung in Abschn. 2.6. Abs. 6 UStAE).
161III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die außergerichtlichen Kosten hat die Beigeladene gemäß § 139 Abs. 4 FGO selbst zu tragen, da sie weder förmliche Sachanträge gestellt hat, die sie einem Kostenrisiko nach § 135 Abs. 3 FGO ausgesetzt hätten (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Februar 2000 – X B 3/99, BFH/NV 2000, 1473 m.w.N.) noch das Klageverfahren sonst durch ihren Sachvortrag oder Rechtsausführungen wesentlich gefördert hat (vgl. Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Auflage 2019, § 139 Rn. 160 m.w.N.).
162IV. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.