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Der Bescheid über Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 2017 bis 2019 sowie zum Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2017 bis 2019 vom 07.01.2025 wird bis einen Monat nach Entscheidung über den anhängigen Einspruch i.H.v. ... € von der Vollziehung ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Die Beschwerde wird zugelassen.
I.
2Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung (AdV) von Aussetzungszinsen.
3Die Antragsteller hatten sich mit Einsprüchen gegen aufgrund einer Betriebsprüfung ergangene Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 2017 bis 2019 (Bescheide vom 03.01.2023) gewandt. Zudem hatten sie beim Antragsgegner AdV beantragt, die dieser zunächst mit Verfügungen vom 01.02.2023 abgelehnt hatte. Nachdem die Antragsteller hinsichtlich der Einkommensteuer 2017 bis 2019 einen gerichtlichen Antrag auf AdV gestellt hatten, welcher beim beschließenden Gericht unter dem Az. 4 V …/23 geführt wurde, verständigten sich die Beteiligten schlussendlich auf eine AdV der Einkommensteuer 2017 bis 2019 und des zugehörigen Solidaritätszuschlags (gegen Sicherheitsleistung).
4Hinsichtlich der Einkommensteuer 2017 bis 2019 wurde eine tatsächliche Verständigung erzielt, auf deren Grundlage am 14.10.2024 Änderungsbescheide durch den Antragsgegner erlassen wurden. Die danach zu zahlenden Steuerbeträge wurden Mitte November 2024 beglichen.
5Mit Bescheid vom 07.01.2025 setzte der Antragsgegner für den Zeitraum 06.02.2023 bis Mitte November 2024 (= 21 Monate) Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer und dem zugehörigen Solidaritätszuschlag 2017 bis 2019 in einer Gesamthöhe von ... € fest, wobei er einen Zinssatz in Höhe von 0,5 % für jeden Monat zu Grunde legte.
6Die Antragsteller legten hiergegen form- und fristgerecht Einspruch ein und wandten sich gegen die Höhe der Aussetzungszinsen. Zudem wurde das Ruhen des Verfahrens gemäß § 363 Abs. 2 Satz 1 AO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 08.05.2024 Vlll R 9/23 angeregt. Gleichzeitig beantragten sie eine AdV der Aussetzungszinsen i.H.v. ... €. Mit Verweis auf den o.a. Vorlagebeschluss berechneten die Antragsteller für Aussetzungszwecke Aussetzungszinsen mit einem Zinssatz in Höhe von 0,15 % pro Monat. Der so von ihnen errechnete Betrag i.H.v. ... € wurde durch die Antragsteller gezahlt.
7Der Antragsgegner erwiderte mit Schreiben vom 24.02.2025, dass sich die Vorlage des BFH an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nur auf den Zeitraum 01.01.2019 bis 15.04.2021 erstrecke, der Verzinsungszeitraum im vorliegenden Fall aber erst am 06.02.2023 begonnen habe. Zudem sei spätestens nach dem 31.12.2022 aufgrund des ansteigenden Zinsniveaus nicht mehr von einer Niedrigzinsphase auszugehen (Verweis auf BFH, Vorlagebeschluss vom 08.05.2024 VIII R 9/23, Rn. 108, juris). Der Antrag, das Einspruchsverfahren ruhen zu lassen, wurde abgelehnt, ebenso der Antrag auf AdV.
8Mit dem vorliegenden Antrag begehren die Antragsteller weiterhin eine AdV der Aussetzungszinsen i.H.v. ... €.
9Die Antragsteller sind der Ansicht, dass der Antragsgegner verkenne, dass der BFH in seinem Vorlagebeschluss nicht alleine auf die Niedrigzinsphase abgestellt, sondern auch und insbesondere auf die Zinssatzspreizung zwischen den Aussetzungs- und den Nachzahlungszinsen hingewiesen habe. Letztere gälten nach § 233a AO uneingeschränkt ab dem 01.01.2019 und damit auch für den streitgegenständlichen Zeitraum. Es sei daher zu erwarten, dass das BVerfG im Hinblick auf die ansonsten gegebene Ungleichbehandlung, den Zinssatz für Aussetzungszinsen entsprechend dem Zeitraum in § 233a AO für verfassungswidrig erkläre. Darüber hinaus habe der BFH in seinem Beschluss vom 24.10.2024 Vl B 35/24 (AdV) die AdV vom 01.01.2019 bis zum Ende des in dem Verfahren streitigen Zinszeitraums (dort 27.03.2023) gewährt (Hinweis auf Rn. 24 des veröffentlichten Beschlusses). Damit sei AdV über den 31.12.2022 hinaus gewährt worden und somit für einen Zeitraum, der sich mit demjenigen aus dem hiesigen Verfahren überschneide.
10In der Entscheidung des BFH sei zudem Bezug genommen worden auf den Beschluss des BFH, mit dem der BFH dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt habe, ob § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO hinsichtlich der Zinshöhe mit dem Grundgesetz vereinbar sei (BFH-Beschluss vom 08.05.2024, Vlll R 9/23). Es sei betont worden, dass die vom BFH angeführten Argumente im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe (Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO in Höhe von nur noch 0,15 % pro Monat) zeitlich über die Zinsfestsetzung bis zum 15.04.2021 hinausziele und zwar auch unabhängig von der Frage, zu welchem Zeitpunkt genau die Niedrigzinsphase geendet habe (Verweis auf Rn. 24 des Beschlusses).
11Zwischenzeitlich hätten diverse Finanzgerichte – u.a. das FG München, Beschluss vom 24.06.2024 7 V 11/24 – ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen geäußert. Auch der 10. Senat des Finanzgerichts Köln habe in einem Parallelverfahren die Vollziehung des Bescheids über die Aussetzungszinsen ohne Sicherheitsleistung insoweit ausgesetzt, als Zinsen über den Zinssatz von 0,15 % pro Monat hinaus festgesetzt wurden (Verweis auf rechtskräftigen Beschluss vom 10.03.2025, 10 V …/25, nicht veröffentlicht).
12Die Antragsteller beantragen,
13die Vollziehung des Bescheids über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom 07.01.2025 in Höhe von ... € auszusetzen.
14Der Antragsgegner beantragt,
15den Antrag abzulehnen.
16Der Antragsgegner verweist auf seine vorgerichtlichen Ausführungen. Nach der Verwaltungsauffassung sei davon auszugehen, dass auch unter Berücksichtigung der Grundsätze des BFH-Beschlusses vom 24.10.2024 VI B 35/24 für nach dem 31.12.2022 beginnende Zinszeiträume keine AdV zu gewähren sei, weil keine Niedrigzinsphase mehr bestanden habe.
17Das Gericht hat unter Hinweis darauf, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung die ernstlichen Zweifel nicht überwiegen müssen, beim Antragsgegner angefragt, ob vor diesem Hintergrund AdV durch das FA gewährt werde. Dieser hat mitgeteilt, dass weiterhin nach der Verwaltungsauffassung keine AdV für Zinszeiträume nach dem 31.12.2022 zu gewähren sei.
18II.
19Der Antrag ist begründet.
20Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Finanzgericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – seit dem Beschluss vom 10.02.1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm sein. Zur Gewährung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen. Für die Bejahung ernstlicher Zweifel reicht es vielmehr aus, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und (z.B. im Schrifttum, in der Rechtsprechung der Finanzgerichte und von der Finanzverwaltung) unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (BFH-Beschluss vom 16.05.2019 XI B 13/19, BFHE 264, 521, BStBl II 2021, 950, Rn. 15 mit Verweis auf BFH-Beschlüsse vom 29.07.2009 XI B 24/09, BFHE 226, 449, BFH/NV 2009, 1567, Rz 22; vom 26.04.2010 V B 3/10, BFH/NV 2010, 1664, Rz 20).
21Bei Zugrundelegung dieser vom beschließenden Senat in ständiger Rechtsprechung zur Anwendung gebrachten Grundsätze bestehen im Streitfall bei summarischer Prüfung für Aussetzungszwecke hinreichende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide über Aussetzungszinsen, soweit diese ... € (0,15 % pro Monat für 21 Monate = 3,15 %) überschreiten. Diese erstrecken sich auf den der Berechnung der festgesetzten Aussetzungszinsen (§ 237 der Abgabenordnung – AO) im streitgegenständlichen Bescheid vom 07.01.2025 zugrunde gelegten Zinssatz von 0,5 % je Verzinsungsmonat (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO).
221. Gemäß § 233a Satz 1 i.V.m. § 237 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein geschuldeter Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, u.a. dann zu verzinsen, soweit ein Einspruch gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat. Aussetzungszinsen werden erhoben ab dem Tag, an dem die Wirkung der AdV beginnt (§ 237 Abs. 2 Satz 2 AO) bis zum Tag, an dem die AdV endet (§ 237 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Zinsen betragen gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für jeden Monat 0,5 %. Abweichend hiervon betragen die Zinsen in den Fällen des § 233a AO ab dem 01.01.2019 0,15 % mtl., bzw. 1,8 % jährlich (§ 238 Abs. 1a AO eingefügt durch das Zweite Gesetz zur Änderung der AO und des Einführungsgesetzes zur AO vom 12.07.2022, BGBl I 2022, 1142; zu Anwendbarkeit vgl. Art. 97 § 15 Abs. 14 AO-Einführungsgesetz – EGAO).
232. Vorliegend ist im Zusammenhang mit der AdV der Einkommensteuer 2017 bis 2019 und des zugehörigen Solidaritätszuschlags der Tatbestand des § 237 Abs. 1 Satz 1 AO unstreitig erfüllt. Hiergegen werden von den Antragstellern auch keine Einwendungen geltend gemacht. Bei summarischer Prüfung ist auch die Berechnung des festzusetzenden Zinsbetrags im angefochtenen Zinsbescheid zutreffend durch den Antragsgegner erfolgt. Nach der geltenden Rechtslage wurde der Berechnung der Zinsen nach § 237 AO der in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO bestimmte Zinssatz von 0,5 % pro Monat zugrunde gelegt, wie dies vom Wortlaut der Vorschrift vorgesehen ist.
24Gegen den Ansatz eines Zinssatzes von 0,5 % pro Monat bestehen jedoch bei summarischer Prüfung unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen und finanzgerichtlichen Rechtsprechung sowie des Vorbringens der Beteiligten hinreichende ernstliche Zweifel.
25a. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282) ist § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO nicht mehr mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wurde. Nachdem das BVerfG dennoch die Fortgeltung des bisherigen Rechts bis einschließlich in das Jahr 2018 fallender Verzinsungszeiträume angeordnet hatte, traf der Gesetzgeber für den Verzinsungstatbestand des § 233a AO in § 238 Abs. 1a AO ab 01.01.2019 eine Neuregelung. Zinsen betragen abweichend von § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ab diesem Zeitpunkt für eine Verzinsung nach § 233a AO 0,15 % für jeden Monat, das heißt 1,8 % für jedes Jahr.
26Der VIII. Senat des BFH hat dem BVerfG mit Beschluss vom 08.05.2024 VIII R 9/23 die Frage in der Folge zur Entscheidung vorgelegt, ob § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO seit dem 01.01.2019 bis zum 15.04.2021 insoweit mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist, als der Zinsberechnung für die Zinsen bei AdV ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat zugrunde gelegt wird. Dabei hat der VIII. Senat des BFH ausgeführt, dass seit dem 01.01.2019 Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden, weil sie die Steuer nach AdV des Verwaltungsakts nicht bezahlt haben, und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, weil ihre Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag (§ 233a Abs. 3 AO) geführt hat und sie die materiell-rechtlich von Anfang an geschuldete Steuer deshalb erst später zahlen müssen, ungleich behandelt würden. Die Zinsen bei AdV betrügen 0,5 % pro Monat. Nachzahlungszinsen würden dagegen seit dem 01.01.2019 mit einem Zinssatz von lediglich 0,15 % für jeden Monat berechnet. Der BFH hat die Ansicht vertreten, dass diese Ungleichbehandlung (Zinssatzspreizung) verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt sei (BFH, Vorlagebeschluss vom 08.05.2024 VIII R 9/23, juris Rn. 70). In der Folge hat der VI. Senat des BFH in einem Beschwerdeverfahren unter Bezugnahme auf den vorgenannten Vorlagebeschluss AdV im Umfang der Differenz zwischen den Zinssätzen bei AdV-Zinsen und Nachzahlungszinsen und damit in Höhe von 0,35 % für jeden Monat gewährt (BFH-Beschluss vom 24.10.2024 VI B 35/24(AdV), BFH/NV 2025, 139 Rn. 24). Der BFH hat in dem vorgenannten Beschluss ausgeführt, dass die vom VIII. Senat des BFH angeführten Argumente betreffend die Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe im Hinblick auf die gesetzliche Spreizung der Zinssätze bei AdV-Zinsen und Nachzahlungszinsen (unabhängig von der Frage, zu welchem Zeitpunkt genau die Niedrigzinsphase geendet habe) zeitlich über den dort maßgeblichen Zeitraum der Zinsfestsetzung bis zum 15.04.2021 hinaus gelten. Er hat im dortigen Verfahren AdV vom 01.01.2019 bis zum Ende des streitigen Zinszeitraums (27.03.2023) – und damit auch AdV für den Zeitraum Januar bis März 2023 gewährt, der nach dem vom FA angenommenen Ende der Niedrigzinsphase (01.01.2023) liegt. Nach seiner Auffassung bestehe bei der seit dem 01.01.2019 geltenden Änderung des § 238 Abs. 2 AO und des damit geltenden Zinssatzes von 0,15 % pro Monat bei Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) und der fortbestehenden Zinshöhe bei AdV-Zinsen (§ 237 AO) von 0,5 % pro Monat (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO) die vom VIII. Senat des BFH festgestellte verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Umfang des Differenzbetrags unabhängig vom Bestehen einer Niedrigzinsphase fort. Ebenso hat das FG München mit Beschluss vom 24.06.2024 7 V 11/24, juris, für den dort streitigen Zinszeitraum von Januar 2019 bis April 2023 AdV gewährt.
27Beide Gerichte haben dabei ausdrücklich nicht nur auf eine bestehende Niedrigzinsphase abgestellt, sondern führen insbesondere aus, dass das ab 2019 geltende System der Verzinsung von ausgesetzten Steueransprüchen (§ 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) im Vergleich zur Verzinsung von Erstattungsansprüchen (§ 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1a AO) zu Verwerfungen führe, die bei summarischer Prüfung eine verfassungsrechtliche Dimension im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG beinhalten. Der mangelnde Gleichlauf sowie der Abstand des Zinssatzes von 1,8 % p.a. zu 6 % p.a. erscheine in verfassungsrechtlich relevanter Weise fragwürdig (FG München, Beschluss vom 24.06.2024 7 V 11/24, Rn. 71, juris mit Verweis auf BVerfG-Beschluss vom 03.09.2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115, Rn. 23).
28b. Demgegenüber ist die Finanzverwaltung nach den Darstellungen des Antragsgegners angewiesen, mit Hinweis auf die ab 01.01.2023 anzunehmende Niedrigzinsphase Anträge auf AdV abzulehnen.
293. Im Streitfall bestehen bereits deshalb für Aussetzungszwecke hinreichende Zweifel an der festgesetzten Höhe der angefochtenen Zinsen im ausgesetzten Umfang, weil der BFH – als höchstes Finanzgericht – eine von der Ansicht der Finanzverwaltung divergierende Auffassung vertritt. Dass sich die Zinsentwicklung inzwischen wieder gegenläufig darstellt, ließe nach den vorstehenden Ausführungen des BFH und des FG München allein nicht den Schluss zu, dass im Verzinsungszeitraum ab Januar 2023 der Zinssatz zur Ermittlung von Aussetzungszinsen wieder gänzlich frei von Zweifeln den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Vielmehr war nach den vorstehend zitierten finanzgerichtlichen Entscheidungen der mangelnde Gleichlauf der Verzinsung ab 2019 der Grund dafür, der den Zinssatz für Aussetzungen nach § 237 AO verfassungsrechtlich „nicht ohne Zweifel“ erscheinen lasse (FG München, Beschluss vom 24.06.2024 7 V 11/24, Rn. 71, juris). Denn im Fall der Zahlung und nachfolgendem Erfolg des Rechtsbehelfs erhielte der Steuerpflichtige seine Erstattung nur nach Ablauf einer Anlaufzeit von 15 Monaten und mit 1,8 % jährlich verzinst, während er im Fall einer gewährten Aussetzung der Vollziehung – die die Bejahung ernstlicher Zweifel voraussetzt – und nachfolgendem Obliegen für die Zeit der Aussetzung einen Zinssatz von 6 % zahlen muss. Schließlich könnte auch zu berücksichtigen sein, dass der Gesetzgeber die – vom Antragsgegner angeführte – Veränderung des Marktniveaus ab Januar 2023 nicht zum Anlass genommen hat, den Zinssatz für Nachzahlungszinsen wieder zu erhöhen. Die Bejahung hinreichender ernstlicher Zweifel für Aussetzungszwecke betrifft nach Ansicht des erkennenden Senats zumindest Fälle wie den vorliegenden, in denen um Aussetzungszinsen im Einspruchsverfahren gestritten wird. Denn in dieser Konstellation findet auch kein Ausgleich z.B. über den Anspruch auf Prozesszinsen während eines Klageverfahrens statt.
304. Bei der Ermittlung der nach Maßgabe der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auszusetzenden Zinsen nach § 237 AO für den Zeitraum Februar 2023 bis November 2024 legt der Senat – den Antragstellern folgend – den ab 01.01.2019 für Zinsen nach § 233a AO anwendbaren Zinssatz von 0,15 % je Monat (§ 238 Abs. 1a AO) zugrunde, da auch bei einer etwaigen Neuregelung der Verzinsung in Aussetzungsfällen nicht davon ausgegangen werden kann, dass von einer Verzinsung nach § 237 AO vollständig Abstand genommen werden würde, sondern (wie nach alter Rechtslage ein Gleichlauf bzw.) eine Angleichung an den Zinssatz nach § 238 Abs. 1a AO naheliegend ist (vgl. ebenso FG München, Beschluss vom 24.06.2024 7 V 11/24, Rn. 82, juris). Die insoweit von den Antragstellern angestellte Berechnung ist der Höhe nach nicht zu beanstanden. Auch der Antragsgegner hat insoweit keine Einwände geltend gemacht.
315. Der begehrten AdV steht auch nicht entgegen, dass bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes AdV grundsätzlich nur gewährt werden kann, wenn der Antragsteller hieran ein besonderes berechtigtes (Aussetzungs‑)Interesse hat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 10.02.1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454; vom 01.04.2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 09.03.2012 VII B 171/11, BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418 sowie vom 15.04.2014 II B 71/13). Denn das Vorliegen eines solchen wird insbesondere bejaht, wenn – wie vorliegend – der BFH die vom Antragsteller als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat (vgl. ebenso BFH-Beschluss vom 24.10.2024 VI B 35/24 (AdV), BStBl II 2025, 70, Rn. 25 mit Verweis auf BFH-Beschluss vom 01.04.2010 II B 168/09; BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, Rz. 10, m.w.N.).
326. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
337. Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 Satz 2 FGO in Verbindung mit § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.