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Der Ablehnungsbescheid vom 10.03.2022 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 03.08.2022 werden aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, Erstattungszinsen gemäß § 233a AO aus einem Erstattungsbetrag i.H.v. ... € aus dem Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 26.10.2021 ab dem 01.04.2019 sowie aus einem Erstattungsbetrag i.H.v. ... € aus dem Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26.10.2021 ab dem 01.04.2019 festzusetzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu 92 % und der Beklagte zu 8 % zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist die Anwendung des Art. 97 § 9 Abs. 5 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO) sowie die sich hieraus ergebende Verzinsungspflicht streitig.
3Die Kläger haben am ....2006 vor dem Magistrat der Stadt Z in Hessen die Erklärungen nach § 1 Abs. 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG) zur Begründung einer Lebenspartnerschaft abgegeben.
4Für die Streitjahre 2007 und 2010 wurden die Kläger zunächst getrennt veranlagt.
5Die im Rahmen dieser Einzelveranlagungen ergangenen Steuerbescheide wiesen für die Kläger jeweils Einkommensteuererstattungsbeträge aus, und zwar im Veranlagungszeitraum 2007 für den Kläger zu 1) i.H.v. ... € und für den Kläger zu 2) i.H.v. ... € (insgesamt mithin ... €), im Veranlagungszeitraum 2010 für den Kläger zu 1) i.H.v. ... € und für den Kläger zu 2) i.H.v. ...€ (insgesamt mithin ... €).
6Am ....2017 schlossen die Kläger vor dem Standesamt Z in Hessen die Ehe. Es handelte sich um eine Eheschließung nach § 17a Personenstandsgesetz (PStG) bei bestehender Lebenspartnerschaft.
7Am 20.03.2020 beantragten die Kläger die Zusammenveranlagung u.a. für die Veranlagungszeiträume 2007 und 2010 gemäß § 26b EStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO.
8Dabei wiesen sie darauf hin, dass nach Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO Eheleute, die ihre Lebenspartnerschaft gemäß § 20a des LPartG bis zum 31.12.2019 in eine Ehe umgewandelt hätten, eine Änderung oder Aufhebung eines Steuerbescheides nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beantragen könnten.
9Die Kläger hätten im Dezember 2017 standesamtlich geheiratet, sodass die Voraussetzungen erfüllt seien. Bei der Umwandlung einer Lebenspartnerschaft nach § 20a Lebenspartnerschaftsgesetzes in eine Ehe handele sich um ein rückwirkendes Ereignis, und Ehegatten, die ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umgewandelt hätten, könnten die Zusammenveranlagung auch für bereits bestandskräftig einzelveranlagte Jahre verlangen.
10Mit Bescheiden vom 26.10.2021 nahm der Beklagte eine Zusammenveranlagung der Kläger für die Streitjahre 2007 und 2010 vor.
11Dabei wiesen die Bescheide jeweils Einkommensteuererstattungsbeträge aus und zwar für den Veranlagungszeitraum 2007 i.H.v. ... € und für den Veranlagungszeitraum 2010 i.H.v. ... €.
12Am 30.11.2021 beantragten die Kläger die Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a Abs. 2a i.V.m. § 175 Abs. 1 Nr. AO für die Veranlagungszeiträume 2007 und 2010 durch Erlass eines Zinsbescheids.
13Dabei machten sie geltend, dass es sich gemäß Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO bei der Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe im Sinne des § 20a LPartG um ein rückwirkendes Ereignis handele, das die Anwendung des § 233a AO ermögliche, sofern der Antrag auf nachträgliche Zusammenveranlagung bis spätestens 31.12.2020 gestellt worden sei.
14Aufgrund der Umwandlung der Lebenspartnerschaft der Kläger in eine Ehe am ....2017 und ihrer Antragstellung auf Zusammenveranlagung vor dem 31.12.2020 seien die Voraussetzungen des Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO zur Anwendung des § 233a AO erfüllt.
15Der Zeitpunkt des rückwirkenden Ereignisses, das für die Bestimmung des Beginns des Zinslaufs maßgeblich sei, liege hierbei im Zeitpunkt der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe, mithin am ....2017.
16Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO. Zudem stelle ein rückwirkendes Ereignis immer ein Ereignis dar, das einen Sachverhalt dermaßen beeinflusse und dadurch Wirkung für die Vergangenheit habe, dass die Steuerfestsetzung nachträglich zu ändern sei. Die steuerliche Wirkung ergäbe sich aus der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in die Ehe. Dieser Vorgang stelle die Grundlage für die nachträgliche Zusammenveranlagung dar und sei deshalb auch maßgeblich für die Bestimmung des Zinslaufs gemäß § 233a Abs. 2 AO. Der Zinslauf habe dementsprechend ab April 2019 begonnen.
17Mit Bescheid vom 10.03.2022 lehnte der Beklagte die Anträge auf Festsetzung der Zinsen gemäß § 233a AO für die Veranlagungszeiträume 2007 und 2010 ab.
18Zur Begründung führte er aus, dass gemäß § 233a Abs. 2a AO der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres beginne, in dem der Antrag auf Zusammenveranlagung nach Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO gestellt worden sei. Dies sei nach Aktenlage der 23.03.2020 gewesen. Der Zinslauf beginne somit am 01.04.2022.
19Gegen diese Ablehnung der Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO legten die Kläger am 28.03.2022 fristgerecht Einspruch ein.
20Dabei machten sie geltend, dass im Streitfall nicht der Antrag auf Zusammenveranlagung vom 23.03.2020 das rückwirkende Ereignis darstelle, sondern vielmehr die Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe am ....2017.
21Die Kläger nahmen insoweit Bezug auf ein Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 11.07.2018 (Az.: 1 K 92/18). Diesem Urteil sei zu entnehmen, dass der Zeitpunkt der Antragstellung unerheblich sei für die Bestimmung des Zinslaufs. Bedeutsam sei lediglich der Zeitpunkt der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe. Diese sei im Jahre 2017 erfolgt, sodass mithin der Zinslauf am 01.04.2019 beginne.
22Für die Kläger sei nicht nachvollziehbar, dass sich aus Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO ergebe, dass die Antragstellung auf Zusammenveranlagung, das rückwirkende Ereignis bilde. Die vorgenannte Regelung bestimme vielmehr, dass für die Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe gemäß § 20a LPartG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sowie § 233a Abs. 2a AO anzuwenden seien. Des Weiteren werde für die Anwendung der vorgenannten Rechtsnormen die doppelte Ausschlussfrist hinsichtlich der Umwandlung und der Antragstellung auferlegt. Dass die Antragstellung das rückwirkende Ereignis bzw. das Ereignis darstelle, das wie ein rückwirkendes Ereignis zu behandeln sei, sei in Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO nicht geregelt.
23Im Übrigen heiße es in Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO ausdrücklich: „Werde eine Lebenspartnerschaft bis zum 31.12.2019 gemäß § 20a LPartG in eine Ehe umgewandelt, seien § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sowie § 233a Abs. 2a AO entsprechend anzuwenden.“
24Der Gesetzeswortlaut lasse somit schon darauf schließen, dass die Umwandlung das für die Anwendung des § 233a Abs. 2a AO maßgebliche Ereignis darstelle. Die Ergänzung, „soweit die Ehegatten bis zum 31.12.2020 den Erlass, die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zur nachträglichen Berücksichtigung der an eine Ehe anknüpfenden und bislang nicht berücksichtigten Rechtsfolgen beantragt hätten“, stelle lediglich eine weitere Einschränkung für diese Vereinfachungsvorschrift dar.
25Mit Einspruchsentscheidung vom 03.08.2022 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Dabei stellte der Beklagte im Wesentlichen darauf ab, dass sich aus Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO ergebe, dass der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres beginne, in dem der Antrag nach Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO gestellt worden sei. Da im Streitfall der Antrag auf Zusammenveranlagung im Jahre 2020 gestellt worden sei, habe der Zinslauf erst am 01.04.2022 begonnen. Da jedoch die Einkommensteuerbescheide 2007 und 2010 bereits am 26.10.2021 erlassen worden seien, seien für die betreffenden Jahre auf der Grundlage des Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO zu Recht keine Zinsen nach § 233a AO festgesetzt worden.
26Im Rahmen ihrer hiergegen fristgerecht erhobenen Klage machen die Kläger geltend, dass der Beklagte aufgrund des Antrags der Kläger vom 20.03.2020 zwar ihre Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer mit Einkommensteuerbescheiden vom 26.10.2021 für die Streitjahre durchgeführt habe, jedoch keine Erstattungszinsen festgesetzt habe, obwohl die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre 2007 und 2010 zu Steuererstattungen geführt hätten.
27Sie vertreten den Standpunkt, dass die Rechtsauffassung des Beklagten, wonach die Umwandlung der Lebenspartnerschaft der Kläger in eine Ehe kein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstelle, sondern lediglich wie ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung zu behandeln sei und daher für den Zinsbeginn gemäß § 233a Abs. 2a AO nicht relevant sei, unzutreffend sei und die Kläger in ihren Rechten verletze.
28Die Kläger hätten ihre am ....2006 begründete eingetragene Lebenspartnerschaft am ....2017 durch Erklärung gemäß § 20a LPartG in eine Ehe umgewandelt. Gemäß § 20a Abs. 5 LPartG würden die Kläger daher als seit dem ....2006 verheiratet gelten, und zwar mit allen Rechten und Pflichten von Ehegatten. Die Kläger seien also nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung so zu behandeln, als ob sie am ....2006 geheiratet hätten.
29In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/6665) heiße es hierzu, dass die Lebenspartnerinnen und Lebenspartner nach der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe die gleichen Rechten hätten, als ob sie am Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft geheiratet hätten, um die vom EuGH und vom BVerfG als europarechts- und verfassungswidrig bewertete Ungleichbehandlung rückwirkend zu beseitigen. Ausdrücklich werde dort ausgeführt, dass bestimmte steuerrechtliche Entscheidungen neu getroffen werden müssten.
30Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintrete, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit habe (rückwirkendes Ereignis). Der Bundesfinanzhof habe die Voraussetzungen für die Annahme eines rückwirkenden Ereignisses näher bestimmt. Danach müsse nach dem Erlass des aufzuhebenden oder zu ändernden Bescheids ein rechtlich bedeutsamer Vorgang eingetreten sein, der den Sachverhalt verändere und dadurch derart in die Vergangenheit zurückwirke, dass ein Bedürfnis bestehe, eine schon endgültige Regelung i.S.v. §§ 118, 155 AO an die Sachverhaltsveränderung anzupassen.
31Ein solches Ereignis könne auch durch den Erlass einer außersteuerlichen Gesetzesnorm eintreten, wenn dies zur Folge habe, dass ein steuerrechtlich bestandskräftig geregelter Sachverhalt nachträglich umgestaltet werde. Sowohl das Finanzgericht Hamburg in seinem Urteil vom 31.07.2018 (Az.: 1 K 92/18) als auch das Fachschrifttum sähen die Umwandlung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft in eine Ehe gemäß § 20a LPartG als rückwirkendes Ereignis an.
32Der Argumentation des Beklagten, aus Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO sei abzuleiten, dass die Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe lediglich wie ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung zu behandeln sei und sich aus dem Verweis auf § 233a Abs. 2a AO ergebe, dass der Zinslauf erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem der Antrag nach Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO gestellt werde, sei nicht zu folgen. Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO stelle eine zusätzliche Rechtsgrundlage für die Änderung bereits materiell bestandskräftiger Steuerfestsetzungen dar, die neben die allgemeine gesetzliche Regelung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO getreten sei, diese aber weder geändert noch eingeschränkt habe. Die Regelung in Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO könne daher die rechtliche Einordnung der Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe als rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht ändern. Hierzu hätte es vielmehr einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft, die der Gesetzgeber wohl bewusst nicht getroffen habe.
33Dementsprechend sei für die Berechnung des Zinslaufs entsprechend der vom EuGH und vom BVerfG zur Vermeidung der europarechts- und verfassungswidrigen Ungleichbehandlung geforderten und der vom Gesetzgeber in § 20 Abs. 5 LPartG angeordneten rückwirkenden Behandlung der Kläger als Ehegatten der Zeitpunkt der Begründung ihrer Lebenspartnerschaft, mithin der ....2006 entscheidend.
34Ziel des Eheöffnungsgesetzes sei es gewesen, die europarechts- und verfassungswidrige Rechtslage wegen der Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften und Eheleuten zu beseitigen und zwar ausdrücklich mit Rückwirkung, sodass Lebenspartner nach der Umwandlung ihrer Lebenspartnerschaft in eine Ehe dieselben Rechte und Pflichten hätten, als ob sie diese am Tage der Begründung der Lebenspartnerschaft geschlossen hätten.
35Soweit der Beklagte auf eine Entscheidung des FG Köln vom 13.10.2022 zum Az. 14 K 642/21 (EFG 2023, 464) hinweise, wonach es sich bei einer Änderung der Wahlrechtsausübung hinsichtlich der Veranlagungsart um ein rückwirkendes Ereignis handele, sei diese Entscheidung nicht einschlägig. Denn den Klägern hätte vor Inkrafttreten des Eheöffnungsgesetzes ein solches Wahlrecht gerade nicht zur Verfügung gestanden.
36Der Senat hat die Kläger mit Hinweisschreiben vom 05.01.2024 darauf hingewiesen, dass sie – unabhängig von der eigentlichen rechtlichen Streitfrage – eine Verzinsung der jeweiligen Erstattungsbeträge aus den Zusammenveranlagungsbescheiden vom 26.10.2021 nicht in voller Höhe beanspruchen könnten, sondern nur unter Berücksichtigung derjenigen Erstattungsbeträge, die sie bereits im Rahmen der ursprünglichen Einzelveranlagungen erhalten hätten.
37So hätten die Kläger im Veranlagungszeitraum 2007 in den Jahren 2008 und 2009 Erstattungen i.H.v. ... € und ... €, mithin i.H.v. ... €, erhalten, während sich hingegen aus dem Zusammenveranlagungsbescheid vom 26.10.2021 eine Erstattung i.H.v. ... € ergebe. Unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Erstattungen wäre somit noch über den Zeitpunkt des Beginns einer Verzinsung für den verbleibenden Differenzbetrag i.H.v. ... € zu entscheiden.
38Für das Streitjahr 2010 erfolgten in den Jahren 2011 und 2012 Erstattungen i.H.v. ... € und ... €, mithin i.H.v. ... €, während sich hingegen aus dem Zusammenveranlagungsbescheid vom 26.10.2021 eine Erstattung i.H.v. ... € ergebe. Unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Erstattungen wäre somit noch über den Zeitpunkt des Beginns einer Verzinsung für den verbleibenden Differenzbetrag i.H.v. ... € zu entscheiden.
39Unter Berücksichtigung dieses Hinweises haben die Kläger schriftlich beantragt,
40den Bescheid über die Ablehnung der Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO für die Veranlagungszeiträume 2007 und 2010 vom 10.03.2022 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 03.08.2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten,
41für den Veranlagungszeitraum 2007 Erstattungszinsen gemäß § 233a AO ab dem 01.04.2009 aus einem Einkommensteuererstattungsbetrag i.H.v. ... € und für den Veranlagungszeitraum 2010 Erstattungszinsen gemäß § 233a AO ab dem 01.04.2012 aus einem Einkommensteuererstattungsbetrag i.H.v. ... € festzusetzen,
42die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären
43sowie hilfsweise die Revision zuzulassen.
44Der Beklagte beantragt sinngemäß,
45die Klage abzuweisen.
46Er hält weiterhin daran fest, dass im Streitfall zu Recht keine Erstattungszinsen nach Maßgabe des § 233a AO festgesetzt worden seien, da der Zinslauf für die am 26.10.2021 zur Post gegebenen Einkommenssteuerbescheide für die Streitjahre 2007 und 2010 erst am 01.04.2022 begonnen habe. Er verweist zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf die Einspruchsentscheidung vom 03.08.2022.
47Ergänzend weist er auf ein Urteil des Finanzgerichts Köln vom 13.10.2022 zum Az. 14 K 642/21 hin. Dort stelle das Gericht klar, dass im Falle des Wechsels von der Zusammenveranlagung nach § 26b EStG zur getrennten- bzw. Einzelveranlagung nach § 26a EStG für die Berechnung des Zinszeitraums der Zeitpunkt des gestellten Antrags maßgeblich sei. Erst durch die Wahlrechtsausübung sei nach Auffassung des Gerichts die Voraussetzungen für die Entstehung der Einkommensteuer in neuer Höhe entstanden und ergäben sich andere – für die Zinsberechnung maßgebliche – tatsächliche Liquiditätsvorteile. Diese Rechtsprechungsgrundsätze gälten auch im Streitfall, da auch hier erst infolge der am 20.03.2020 gestellten Anträge auf Zusammenveranlagung die in den Einkommensteuerbescheiden für 2007 und 2010 ausgewiesenen Steuererstattungsansprüche bzw. Liquiditätsvorteile entstanden seien.
48Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
49Entscheidungsgründe
50Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
51Die Klage ist nur zum Teil begründet.
52Nur soweit der Beklagte es abgelehnt hat, Erstattungszinsen auf die streitbefangenen Erstattungsbeträge der Veranlagungszeiträume 2007 und 2010 ab dem 01.04.2019 festzusetzen, ist die Klage begründet.
53Soweit die Kläger hingegen eine solche Verzinsung bereits ab dem 01.04.2009 – für den Erstattungsbetrag des Jahres 2007 – bzw. ab dem 01.04.2012 – für den Erstattungsbetrag des Jahres 2010 – begehren, ist die Klage hingegen nicht begründet, ist der angegriffene Bescheid über die Ablehnung der Festsetzung von Zinsen mithin rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten i.S.v. § 101 Satz 1 FGO.
54I. Im Streitfall braucht der Senat nicht zu entscheiden, inwieweit es sich bei der Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe gemäß § 20a des LPartG um ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO handelt.
55Denn mit dem zum 15.12.2018 in Kraft getretenen Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (UStAVermG, BGBl. I 2018, 2338) hat der Gesetzgeber die Vorschrift des Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO eingeführt, wonach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 233a Abs. 2a AO entsprechend anzuwenden sind, wenn eine Lebenspartnerschaft bis zum 31. Dezember 2019 gemäß § 20a LPartG in eine Ehe umgewandelt worden ist und soweit die Ehegatten bis zum 31. Dezember 2020 den Erlass, die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zur nachträglichen Berücksichtigung an eine Ehe anknüpfender und bislang nicht berücksichtigter Rechtsfolgen beantragt haben (zu Hintergrund und Wirkungen dieser gesetzlichen Regelung Kanzler, FR 2019, 457 sowie Rüsch, DStR 2021, 1211).
56Da die Kläger bereits am ....2017 ihre am ....2006 begründeten Lebenspartnerschaft in eine Ehe gemäß § 20a LPartG umgewandelt und am 20.03.2020 ihre Zusammenveranlagung u.a. auch für die Streitjahre beantragt haben, lagen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine nachträgliche Änderung der bereits bestandskräftig einzelveranlagten Veranlagungszeiträume 2007 und 2010 und mithin für eine Zusammenveranlagung der Kläger vor. Dem ist der Beklagte auch im Rahmen der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 und 2010 vom 26.10.2021, mit denen eine Zusammenveranlagung der Kläger vorgenommen wurde, nachgekommen.
57Angesichts dieser Rechtslage kann der Senat es dahingestellt sein lassen, inwieweit der Entscheidung des FG Hamburg (Urteil vom 31.07.2018 1 K 92/18, EFG 2018, 1518), die einen Fall der Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe vor Inkrafttreten des Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO betraf oder der des Sächsischen Finanzgerichts (Urteil vom 13.06.2023 2 K 209/23, EFG 2024, 137; Rev. eingelegt: III R 18/23), die einen Fall der Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe nach dem 31.12.2019 betraf, zu folgen ist. Beide Entscheidungen gelangten zu dem Ergebnis, dass die Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe ein rückwirkendes Ereignis darstellten und mithin § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO unmittelbar anzuwenden sei, sodass auch für bereits bestandkräftig einzelveranlagte Jahre eine nachträgliche Zusammenveranlagung möglich sei. Aufgrund der im Streitfall einschlägigen Regelung des Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO, durch die die entsprechende Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf die Umwandlung von Lebenspartnerschaften in eine Ehe, die in den in der Vorschrift genannten Zeitgrenzen erfolgen, angeordnet wird, stellt sich für den Senat nicht mehr die Frage, inwieweit in diesen Fällen die Bestimmung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auch unmittelbar anwendbar ist, also auch ohne eine Anwendungsregelung wie die des Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO.
58II. Wie vorstehend bereits dargelegt ist mit Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO allerdings nicht nur die entsprechende Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, sondern zugleich auch die des § 233a Abs. 2a AO angeordnet worden. Damit besteht für die Finanzverwaltung auch die Verpflichtung, Erstattungsbeträge, die sich aufgrund der nachträglichen, rückwirkenden Zusammenveranlagung der vormaligen Lebenspartner und jetzigen Ehepartner ergeben, nach Maßgabe des § 233a Abs. 2a AO zu verzinsen (1.).
59Entgegen des von den Klägern vertretenen Rechtsstandpunktes setzt dieser Zinslauf allerdings nicht bereits gemäß § 233a Abs. 1 und 2 AO 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erstattungsanspruch entstanden ist – also am 01.04.2009 bzw. am 01.04.2012 – ein (2.). Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten ist insoweit auch nicht auf den Antrag auf Zusammenveranlagung als maßgebliches rückwirkendes Ereignis abzustellen, sodass der Zinslauf im Streitfall auch nicht unter Berücksichtigung der Karenzzeit des § 233a Abs. 2a AO erst am 01.04.2022 begonnen hat (3.). Der Senat vertritt vielmehr die Rechtsansicht, dass in Fällen der vorliegenden Art die Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe den maßgeblichen Zeitpunkt und damit dasjenige rückwirkende Ereignis darstellt, nach dem sich der Beginn des Zinslaufs nach § 233a Abs. 2a AO bemisst (4.).
601. Nach § 233a Abs. 2a AO beginnt der Zinslauf, soweit die Steuerfestsetzung auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beruht, abweichend von § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist. Die Frage, ob der nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich in § 233a Abs. 2a AO, nicht anders als in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht. Die Bezugnahme auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in dem in § 233a Abs. 2a AO enthaltenen Klammerzusatz beschränkt sich insoweit auf die Voraussetzung des rückwirkenden Ereignisses. Sie bedeutet nicht, dass auch die verfahrensrechtlichen Erfordernisse dieser Vorschriften erfüllt sein müssen. Maßgeblich ist somit der materielle Grund, nicht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine verfahrensmäßige Umsetzung dieses materiellen Grundes.
61Dafür spricht nicht nur der Wortlaut, der von der Berücksichtigung des rückwirkenden Ereignisses spricht und nicht auf die Anwendung einer bestimmten Korrekturvorschrift abhebt. Für die angesprochene Auslegung spricht vielmehr auch der Sinn und Zweck des § 233a Abs. 2a AO. Der unterschiedliche Beginn des Zinslaufs in § 233a Abs. 2 AO einerseits und in § 233a Abs. 2a AO andererseits beruht auf dem Gedanken, dass ein rückwirkendes Ereignis zu Gunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung noch nicht berücksichtigt werden konnte und daher weder der Steuerpflichtige noch das Finanzamt vor Eintritt des rückwirkenden Ereignisses einen Liquiditätsvor- oder -nachteil erlitten haben, dessen Ausgleich das Ziel des § 233a AO ist. Der Gesetzgeber wollte mit der Neuschaffung von § 233a Abs. 2a und Abs. 7 AO insoweit lediglich gewissen Regelungsungenauigkeiten und Gerechtigkeitslücken begegnen, die die bisherige, gröber typisierende Regelung mit sich gebracht hatte. Es erscheint daher nicht gerechtfertigt, einen Nachzahlungs- oder Erstattungsanspruch, soweit er auf dem rückwirkenden Ereignis beruht, schon für den Zeitraum vor Eintritt des rückwirkenden Ereignisses zu verzinsen.
62Der Begriff des Ereignisses umfasst alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge. Dazu rechnen nicht nur solche mit ausschließlich rechtlichem Bezug, sondern auch tatsächliche Lebensvorgänge. Ein solches Ereignis wirkt steuerlich in die Vergangenheit, wenn anstelle des zuvor verwirklichten nunmehr der veränderte Sachverhalt der Besteuerung zu unterwerfen ist. Ein nachträgliches Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung muss demgemäß zu einer Änderung des Sachverhalts führen, den die Finanzbehörde bei der Steuerfestsetzung zugrunde gelegt hat und nicht nur zu einer veränderten rechtlichen Beurteilung des nämlichen Sachverhalts. Nach diesen Maßstäben ist in der bloßen rückwirkenden Änderung steuerrechtlicher Vorschriften bereits deshalb kein rückwirkendes Ereignis zu sehen, weil sich dadurch der dem Steuertatbestand zugrundeliegende Lebenssachverhalt nicht ändert. Eine rückwirkende Änderung steuerrechtlicher Vorschriften gestaltet nicht den bereits bestandskräftig geregelten Einzelfall im Sinne der §§ 118 Satz 1, 155 AO (den Sachverhalt), sondern wirkt lediglich auf die rechtlichen Grundlagen eines solchen Steuerverwaltungsakts ein (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 17.02.2010 I R 52/09, BStBl. II 2011, 340, vom 12.07.2017 I R 86/15, BStBl. II 2018, 138 und vom 23.07.2019 IX R 25/18, BFH/NV 2020, 1).
632. Auf der Grundlage dieser Regelungswirkung des § 233a Abs. 2a AO, wonach der Zinslauf erst nach einer Karenzzeit von 15 Monaten nach Ablauf desjenigen Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist, beginnt, kann der Rechtsauffassung der Kläger, die Verzinsung habe ab dem 01.04.2009 bzw. ab dem 01.04.2012 zu beginnen, nicht gefolgt werden.
64a) Denn in den Jahren 2007 und 2010 hat kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung stattgefunden, das nach Ablauf einer Karenzzeit von 15 Monaten zu einem Beginn des Zinslauf ab dem 01.04.2009 bzw. 01.04.2012 führen könnte. Vielmehr liegt das maßgebliche Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung in der Umwandlung ihrer Lebenspartnerschaft in eine Ehe im Jahre 2017, sodass ein Zinslauf danach unter Beachtung der Karenzzeit erst am 01.04.2019 eingesetzt haben kann.
65b) Soweit die Kläger demgegenüber den Rechtsstandpunkt vertreten, aus der Zielsetzung des Gesetzgebers, die Partner einer Lebenspartnerschaft nach Umwandlung ihrer Partnerschaft in eine Ehe so zu stellen, als ob sie am Tag der Begründung ihrer Lebenspartnerschaft geheiratet hätten, so ergibt sich hieraus nicht zwingend, dass damit auch die Verzinsung ihrer sich aus einer nachträglichen Zusammenveranlagung ergebenden Erstattungen nach § 233a Abs. 2 und statt nach § 233a Abs. 2a AO zu erfolgen hat. Insbesondere erachtet der Senat dies auch nicht für verfassungsrechtlich geboten.
66So ist es zwar grundsätzlich zutreffend, dass der Gesetzgeber in Art. 3 Abs. 2 des Eheöffnungsgesetzes vom 20.06.2017 (BGBl. I 2017, 2787) geregelt hat, das für die Rechte und Pflichten der Lebenspartner nach der Umwandlung ihrer Lebenspartnerschaft in eine Ehe der Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft weiterhin maßgebend bleibt. Auch in der Begründung zu diesem Gesetzentwurf hat der Gesetzgeber ausdrücklich hervorgehoben, dass nach der Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe die Lebenspartner die gleichen Rechte und Pflichten haben, als hätten sie am Tag der Begründung ihrer Lebenspartnerschaft geheiratet, was bedeute, dass bestimmte sozial- und steuerrechtliche Entscheidungen neu getroffen werden müssten (vgl. BT-Drucks. 18/6665, S. 10). Dies könnte – im Sinne der Kläger – in der Tat zu der Annahme führen, dass dann ja auch im Wege einer Fiktion davon ausgegangen werden müsste, dass mit der Begründung der Lebenspartnerschaft, die nunmehr so zu behandeln wäre, als wäre zu diesem Zeitpunkt die Ehe geschlossen worden, die Zusammenveranlagung gewählt worden wäre, sodass die sich daraus ergebenden Steuererstattungen der Lebenspartner nach § 233a Abs. 2 AO, mithin 15 Monate nach dem jeweiligen Veranlagungszeitraum, zu verzinsen wären.
67Diese Regelung hat der Gesetzgeber in Art. 97 § 9 Abs. 5 AO aber gerade nicht getroffen, sondern er hat statt der entsprechenden Anwendung des § 233a Abs. 2 AO diejenige des § 233a Abs. 2a AO angeordnet. Er war aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) oder anderweitiger verfassungsrechtliche Gesichtspunkte auch nicht dazu verpflichtet, statt der Verzinsungsregelung des § 233a Abs. 2a AO die des § 233a Abs. 2 AO anzuordnen.
68Insoweit ist für den Senat ausschlaggebend, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner maßgeblichen Entscheidung zur Frage der verfassungswidrigen steuerlichen Benachteiligung der Lebenspartnerschaften gegenüber den Ehepartnern vom 07.05.2013 (2 BvR 909/06, 1981/06 und 288/07, BVerfGE 133, 377, dort Rn. 113) entschieden hat, dass die für mit der Verfassung nicht vereinbar erklärten Vorschriften der §§ 26, 26b, 32a Abs. 5 EStG bis zum Inkrafttreten einer – unverzüglich zu treffenden – Neuregelung weiterhin anwendbar sind. Sie sind danach mit der Maßgabe anzuwenden, dass auch eingetragene Lebenspartner „bei noch ausstehender Bestandskraft der steuerlichen Veranlagung“ mit Wirkung ab dem 01.08.2001 unter den für Ehegatten geltende Voraussetzungen eine Zusammenveranlagung und die Anwendung des Splittingtarifs beanspruchen können.
69Dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Folge leistend hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 15.07.2013 (BGBl. I 2013, 2397) § 2 Abs. 8 EStG eingeführt, mit dem Lebenspartner und Lebenspartnerschaften – rückwirkend für alle noch offenen Fälle (§ 52 Abs. 2a EStG) – den Ehegatten und Ehen im Einkommenssteuergesetz gleichgestellt wurden.
70Entscheidend ist insoweit aus Sicht des Senats, dass das Bundesverfassungsgericht es gerade nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen für erforderlich erachtet hat, dass Lebenspartnern und Lebenspartnerschaften, deren getrennte bzw. Einzelveranlagungen bereits bestandskräftig geworden sind, die verfahrensrechtliche Möglichkeit eröffnet wird, eine Änderung ihrer bestandskräftigen Einzelveranlagungen durch entsprechende Anträge auf Zusammenveranlagung zu erreichen.
71Damit ist der Gesetzgeber aber im Rahmen der Regelung des Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinausgegangen (Kanzler vermutet, der Gesetzgeber habe insoweit seine jahrelange Untätigkeit überkompensieren wollen, FR 2019, 457, 459/461) und hat auch den bereits bestandskräftig einzelveranlagten Lebenspartner die rechtliche Möglichkeit eröffnet, für diese bestandskräftig einzelveranlagten Veranlagungszeiträume eine Änderung herbeizuführen und nachträglich eine Zusammenveranlagung zu erreichen, wenn die Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe bis zum 31.12.2019 erfolgt ist und der Antrag Zusammenveranlagung bis zum 31.12.2020 gestellt worden ist.
72Dies bedeutet aber zugleich auch, dass ausweislich der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Gesetzgeber jedenfalls nicht von Verfassungswegen dazu verpflichtet gewesen ist, bestandkräftig einzelveranlagten Lebenspartnern nachträglich eine verfahrensrechtliche Möglichkeit zu eröffnen, eine Änderung dieser „geschlossenen“ Veranlagungszeiträume zu erreichen und eine nachträgliche Zusammenveranlagung herbeizuführen.
73Wenn der Gesetzgeber aber schon im Bereich der eigentlichen Besteuerung nicht zu einer solch rückwirkenden Maßnahme aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet gewesen ist, so kann er dies auch nicht oder sogar noch viel weniger im Bereich der steuerlichen Nebenleistungen i.S.v. § 3 Abs. 4 Nr. 4 AO gewesen sein.
74Von daher ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Lebenspartnern im Rahmen des Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO zwar die Möglichkeit eröffnet hat, bestandskräftige Einzelveranlagungen bis zurück zum Jahr der Begründung der Lebenspartnerschaft ändern zu lassen und einer Zusammenveranlagung zuzuführen. Der Gesetzgeber war aber nicht daran gehindert, für den Zinslauf auf den Zeitpunkt des rückwirkenden Ereignisses, das die nachträgliche Zusammenveranlagung ermöglicht und bewirkt, nämlich die Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe, abzustellen, mithin die Regelung des § 233a Abs. 2a AO anzuordnen, und nicht auf den Veranlagungszeitraum, in dem die Steuererstattung entstanden ist i.S.v. § 233a Abs. 2 AO.
75In diesem Sinne führt auch Kanzler (FR 2019, 457 (459)) aus, dass über die entsprechende Anwendung des § 233a Abs. 2a AO für die Verzinsung etwaiger Steuererstattungen sichergestellt sei, dass die Karenzfrist für den Beginn des Zinslaufs nicht mehr an die erstmalige Steuerfestsetzung, sondern an den Eintritt des rückwirkenden Ereignisses anknüpft.
763. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten ist jedoch auch nicht in dem Antrag auf Zusammenveranlagung dasjenige rückwirkende Ereignis zu sehen, an das § 233a Abs. 2a AO die Verzinsungspflicht zeitlich anknüpft. Vielmehr vertritt der Senat den Rechtsstandpunkt, dass das rückwirkende Ereignis, um das es insoweit allein gehen kann, die nachträgliche Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe und damit die Schaffung der Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung ist.
77a) Insoweit geht der Senat zunächst einmal mit den Klägern davon aus, dass die Regelung des Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO für die entsprechende Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Nr. 2 sowie des § 233a Abs. 2a AO maßgeblich darauf abstellt, dass es vor dem 31.12.2019 zu einer Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe gekommen ist. Die sich daran anschließende zeitliche Voraussetzung, dass zudem ein Antrag auf entsprechende Zusammenveranlagung bis zum 31.12.2020 gestellt werden muss, soll vielmehr nach der Gesetzesbegründung dafür sorgen, dass mit Ablauf dieser genannten Fristen Rechtsfrieden eintreten soll. Dies soll nicht zuletzt deshalb geboten sein, weil die Finanzbehörden die Steuerakten nach Ablauf einer angemessenen Aufbewahrungsfrist vernichten und die Anpassung der früheren Bescheide damit faktisch häufig nicht mehr sachgerecht möglich ist (vgl. BT-Drucks. 19/5595, S. 81).
78Aus diesen gesetzgeberischen Motiven wird für den Senat ersichtlich, dass die Frist zur Beantragung einer Zusammenveranlagung zum 31.12.2020 vom Gesetzgeber nicht als Bestandteil eines zweiaktigen rückwirkenden Ereignisses – nämlich der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe zuzüglich eines Antrags auf Zusammenveranlagung – gesehen wird, sondern vielmehr aus verwaltungsökonomischen Gründen sowie aus Gründen der Erhaltung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden in das Gesetz aufgenommen worden ist.
79b) Soweit der Beklagte demgegenüber auf das Urteil des FG Köln vom 13.10.2022 zum Az. 14 K 642/21 (EFG 2023, 464) verweist, wonach die Änderung der gewählten Veranlagungsart verfahrensrechtlich als ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf die Höhe der entstehenden Steuerschuld anzusehen ist (im Übrigen so auch die Rspr. des BFH, vgl. z.B. Urteil vom 14.06.2018, III R 20/17, BStBl. II 2019, 694, Rn. 18/19), so erachtet der Senat diese Entscheidung bzw. diese Rechtsprechung für den Streitfall als nicht einschlägig. Zwar ändert sich durch die zulässige Änderung der Wahlrechtsausübung der der Besteuerung zugrundeliegende Sachverhalt in der Weise, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der zunächst gewählten Veranlagungsart entfallen und nunmehr die Merkmale der neu gewählten Veranlagungsart vorliegen.
80Mit Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO hat der Gesetzgeber jedoch einen Spezialtatbestand geregelt, der sich der herkömmlichen Betrachtungsweise zur Änderung der Wahlrechtsausübung durch Eheleute im Rahmen der Veranlagungsarten entzieht. Denn die Lebenspartner hatten zunächst einmal kein Wahlrecht zur Zusammenveranlagung, sondern wurden als Einzelsteuerpflichtige entsprechend der bestehenden Gesetzeslage einzelveranlagt. Mit den genannten nachträglich eingeführten gesetzlichen Regelungen in Gestalt des § 2 Abs. 8 EStG, dem Eheöffnungsgesetz, der Änderung des Lebenspartnerschaftsgesetzes sowie des Art. 97 § 9 Abs. 5 AO wurde ihnen vielmehr erstmalig die rechtliche Möglichkeit eingeräumt, eine Zusammenveranlagung zu beantragen. Von daher erscheint es insoweit nicht folgerichtig oder sachgerecht, davon auszugehen, dass sie nach der ursprünglich alternativlosen Einzelveranlagung nunmehr ihr Wahlrecht anderweitig ausgeübt – „geändert“ – hätten und zur Zusammenveranlagung übergegangen seien. Die Tatsache, dass zuvor überhaupt kein Wahlrecht bestand, führt vielmehr zu der Feststellung, dass mit der Beantragung der Zusammenveranlagung keine Änderung eines Wahlrechts vorgenommen wird. Dieses wird vielmehr, nachdem die Möglichkeit einer Zusammenveranlagung eröffnet worden ist, erstmalig ausgeübt. Dies bildet nach Auffassung des Senats den sachlichen Grund dafür, die Lebenspartner nicht wie zwei verschiedengeschlechtliche Ehepartner anzusehen, denen von vornherein ein Wahlrecht hinsichtlich der Veranlagungsarten zugestanden hat und die dessen Ausübung jedenfalls bis zur Bestandskraft ihrer Veranlagungen noch ändern können.
81Angesichts dieser Gesichtspunkte sowie des Umstands, dass die Umwandlung einer bestehenden Lebenspartnerschaft in eine Ehe das eigentliche und maßgebliche auslösende Moment dafür darstellt, damit es zu einer Zusammenveranlagung der Lebenspartner kommt, der entsprechende Antrag vielmehr eine nachgeordnete verfahrensrechtliche Voraussetzung für die notwendige Änderung der Einzelveranlagungen darstellt, jedenfalls nicht als Änderung einer Wahlrechtsausübung qualifiziert werden kann, ist das für den Zinslauf nach § 233a Abs. 2a AO maßgebliche rückwirkende Ereignis mithin nicht in dem Antrag auf Zusammenveranlagung zu sehen.
824. Aus dem vorstehend Gesagten ergibt sich insofern, dass im Streitfall der Beginn des Zinslaufs nach § 233a Abs. 2a AO i.V.m. Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Kläger die Umwandlung ihrer Lebenspartnerschaft in eine Ehe im Jahre 2017 vorgenommen haben, ab dem 01.04.2019 einsetzt.
83Bemerkenswert erscheint dem Senat in diesem Zusammenhang vielleicht noch, dass die Kläger im Einspruchsverfahren selbst noch die Auffassung vertreten haben, der Zinslauf beginne zum 01.04.2019, und erst im Klageverfahren von dieser Rechtansicht abgerückt sind.
84Damit ergibt sich, dass der Zinslauf für die zu verzinsenden Einkommensteuererstattungen (i.H.v. ... € für 2007 und i.H.v. ... € für 2010 – gemäß § 238 Abs. 2 AO ist der zu verzinsende Betrag auf den nächsten durch 50 EURO teilbare Betrag abzurunden) unter Berücksichtigung der Regelung des § 233a Abs. 2a AO am 01.04.2019 beginnt und gemäß § 233a Abs. 2a i.V.m. § 233a Abs. 2 Satz 3 am 30.09.2021 – (gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 AO sind Zinsen nur für volle Monate zu zahlen) endet.
85Der Beklagte hat einen dementsprechenden Zinsbescheid zu erlassen.
86III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Bei der Kostenquotierung war zu berücksichtigen, dass die Kläger mit dem von ihnen geltend gemachten Zinsbeginn für den Erstattungsbetrag für 2007 am 01.04.2009 sowie für den Erstattungsbetrag für 2010 am 01.04.2012 die Festsetzung von Zinsen i.H.v. insgesamt ... € geltend gemacht haben, nach der Entscheidung des Senats ihnen jedoch für die Erstattungsansprüche beider Jahre nur Zinsen ab dem 01.04.2019 zustehen, mithin ein Zinsanspruch i.H.v. insgesamt ... €. Damit unterliegen die Kläger mit ihrer Klage i.H.v. ca. 92 %.
87IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
88V. Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ergibt sich aus § 139 Abs. Satz 3 FGO.
89VI. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da bislang eine höchstrichterliche Entscheidung zum Beginn des Zinslaufs bei Steuererstattungen, die sich in Fällen der Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe und sich daran anschließender Zusammenveranlagung ergeben, noch nicht vorliegt.