Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Die Vollziehung der Steueranmeldung vom 27. Mai 2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. August 2024 wird in voller Höhe aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
2I.
3Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Frage, ob die Erhebung des EU-Krisenbeitrags mit europarechtlichen Normen bzw. dem deutschen Verfassungsrecht vereinbar ist.
4Die Antragstellerin ist in der Energie… und … tätig. Sie erzielt Umsätze aus der Veräußerung von ....
5Für das Jahr 2022 meldete die Antragstellerin nach § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Einführung eines EU‑Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU‑Energiekrisenbeitragsgesetz, EU-EnergieKBG) am 27. Mai 2024 – ausgehend von einer Bemessungsgrundlage gemäß § 4 Abs. 1 EU-EnergieKBG von ... EUR sowie einem Steuersatz gemäß § 4 Abs. 3 EU-EnergieKBG von 33 %, – einen EU-Energiekrisenbeitrag i.H.v. ... EUR an. Der Ermittlung der Bemessungsgrundlage liegen von der Antragstellerin erzielte steuerliche Gewinne einerseits für den Besteuerungszeitraum nach § 3 Abs. 2 EU-EnergieKBG – hier das Jahr 2022 – i.H.v. ... EUR und andererseits für den Vergleichszeitraum 2018 bis 2021 i.H.v. ‑... EUR (2018), -... EUR (2019), -... (2020) und ... EUR (2021) zugrunde.
6Der angemeldete Betrag i.H.v. ... EUR wurde in der Folge an den Antragsgegner entrichtet.
7Am 29. Mai 2024 wandte sich die Antragstellerin gegen die nach § 168 AO als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Steueranmeldung mit einem Einspruch und begehrte zugleich die Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung. Sie vertrat die Auffassung, dass die der Steueranmeldung zugrundeliegenden Regelungen weder mit dem Europarecht noch dem nationalen Verfassungsrecht vereinbar seien.
8Den Einspruch wies der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 6. August 2024 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass das EU‑Energiekrisenbeitragsgesetz auf der unmittelbar und für die Mitgliedstaaten verbindlich geltenden Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates vom 6. Oktober 2022 beruhe. Diese sei als Reaktion auf gestiegene Energiepreise erlassen worden. Hierin seien Notfallmaßnahmen zeitlich begrenzt geregelt worden. Enthalten gewesen sei ein befristeter obligatorischer Solidaritätsbeitrag, bei dem Übergewinne von im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätigen Unternehmen abgeschöpft werden sollten.
9Der nationale Gesetzgeber sei zur Umsetzung dieser Verordnung verpflichtet gewesen und dem im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2022 nachgekommen. Wegen des Anwendungsvorrangs der Verordnung sei im Bereich der unionsrechtlichen Determinierung die Maßstabsfunktion des Grundgesetzes gesperrt. Die Gesetzgebungskompetenz habe auf Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG i.V.m. Art. 105 Abs. 2 S. 2 GG gestützt werden können. Der Krisenbeitrag sei klar als Abgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG zu qualifizieren. Die Auffassung, die Vorschrift erfasse nur Abgaben, die an die EU weiterzuleiten seien und daher für den Bund lediglich den Charakter eines durchlaufenden Postens hätten, fände keine Stütze im Wortlaut der Vorschrift.
10Der Gesetzgeber habe mit der Entscheidung, den Energiekrisenbeitrag in den Jahren 2022 und 2023 zu erheben, eine Entscheidung innerhalb des ihm zustehenden Umsetzungsspielraums getroffen. Das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz wahre die Grenzen zulässiger Rückwirkung. Die europäische Verordnung sei bereits im Jahr 2022 für das Jahr 2022 und das Jahr 2023 zeitnah nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, welcher Grund für die Energiekrise gewesen sei, geschaffen worden. Besondere Momente der Schutzwürdigkeit oder Dispositionen der Antragstellerin seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
11Die Aufhebung der Vollziehung der Steueranmeldung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 6. August 2024 unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung ab.
12Gegen die Steueranmeldung in Gestalt der Einspruchsentscheidung wandte sich die Antragstellerin mit Klage vom 29. August 2024. Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen 2 K 1595/24 anhängig.
13Am selben Tag stellte die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Aufhebung der Vollziehung im Hinblick auf die Steueranmeldung in einer Gesamthöhe von ... EUR.
14Zur Begründung trägt die Antragstellerin vor, dass die Rechtsgrundlage für die Abgabe der Steueranmeldung, § 7 Abs. 1 EU-EnergieKBG, formell und materiell verfassungswidrig und darüber hinaus mit dem Unionsrecht nicht vereinbar sei.
15Bei der Antragstellerin sei nach dem Gesetzeswortlaut der gesamte Gewinn des Wirtschaftsjahres 2022 als „Übergewinn“ im Sinne der Vorschrift zu qualifizieren. Die Gewinne seien jedoch – entgegen der typisierten Annahme des Gesetzgebers – nicht Folge von Ergebnissen aus dem operativen Betrieb von ..., sondern Folge umfassender kostspieliger Restrukturierungs- und Erweiterungsmaßnahmen der Antragstellerin. Die erhöhten Gewinne im Vergleich zu den Vorjahren beruhten auch nicht allein auf der Marktpreisentwicklung, so dass ein Übergewinn nicht vorläge. Jedoch lasse § 7 Abs. 1 EU-EnergieKBG eine abweichende Festsetzung des EU‑Energiekrisenbeitrags für diesen Fall nicht zu.
16Bei der Antragstellerin seien im Referenzzeitraum umfassende Restrukturierungsmaßnahmen erfolgt....
17Der Gewinn des Jahres 2022 sei in großen Teilen nicht Ausfluss der Marktpreisentwicklung, sondern der langfristigen Investments der Vorjahre gewesen. Schon im Jahr 2021 hätten die Strukturmaßnahmen erste Auswirkungen gezeigt. Die Antragstellerin hätte in den Jahren 2022 und 2023 ... erzielt.
18Darüber hinaus habe es auch weitere gewinnwirksame Sondereffekte im Jahr 2022 gegeben, die nicht auf die Marktpreisentwicklung zurückzuführen seien. Beispielsweise habe ... werden können.
19Es bestünden erhebliche Zweifel, dass die dem EU-Energiekrisenbeitragsgesetz zugrundeliegende Verordnung überhaupt europarechtskonform sei. Es bestünden Zweifel, dass die Verordnung auf Art. 122 AEUV habe gestützt werden können. Ein kompetenzwidrig erlassener Unionsrechtsakt verstoße gegen Art. 5 Abs. 2 AEUV. Die Vereinbarkeit der Verordnung mit dem europäischen Primärrecht sei Gegenstand von Verfahren vor dem Europäischen Gericht Erster Instanz (Az. EuG T-759/22; T-775/22; T-802/22; T-803/22). Art. 122 Abs. 1 AEUV stelle keine hinreichende Rechtsgrundlage für die Verordnung zur Einführung eines Energiekrisenbeitrags dar. Die Kompetenznorm sei subsidiär zu anderen Ermächtigungen, insbesondere Art. 126 AEUV. Es sei schon zweifelhaft, dass Art. 122 Abs. 1 AEUV überhaupt steuerliche Sachverhalte erfasse. Die Norm müsse jedenfalls eng ausgelegt werden, um eine Umgehung des abgewogenen Ermächtigungskonzeptes des Primärrechts und das im Steuerrecht geltende Einstimmigkeitsgebot, welches bei Art. 122 AEUV nicht gelte, zu verhindern. Auf Art. 122 Abs. 1 AEUV gestützt könne der Rat nur tätig werden, wenn eine Krise eingetreten sei oder unmittelbar bevorstehe. Die Vorschrift ermächtige also nur zu Maßnahmen, die eine Krise abmilderten oder zu einer Milderung aus einer ex ante Perspektive beitragen könnten. Bei der Übergewinnsteuer bestünden erhebliche Zweifel an dieser Wirkung. Durch die Abschöpfung eines Gewinns aus dem bereits im großen Teil abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022 habe kein den Marktpreis lenkender Effekt folgen können. Für das Ziel der Drosselung einer weiteren Preisschraube hätte eine Besteuerung ab einem späteren Zeitpunkt ohne tatbestandliche Rückanknüpfung genügt. Die bloße Erhebung von Mitteln und spätere Verwendung für energiepolitische Zwecke habe keinen hinreichenden Konnex zu einer akuten Krisensituation, die den Anwendungsbereich von Art. 122 Abs. 1 AEUV eröffne. Auch Art. 194, Art. 115 und Art. 113 AEUV kämen als Rechtsgrundlagen für den Erlass der Verordnung nicht in Betracht. Diese Auffassung teile der belgische Verfassungsgerichtshof, weshalb ein Vorlageverfahren beim EuGH unter dem Aktenzeichen C-358/24 anhängig sei.
20Darüber hinaus bestünden Bedenken gegen die Rechtsverordnung im Hinblick auf den Verstoß gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta). Aus Art. 20 der Grundrechtscharta sei das Leistungsfähigkeitsprinzip – ebenso wie aus Art. 3 Abs. 1 GG – abzuleiten. Der streitgegenständliche Energiekrisenbeitrag sei mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip unvereinbar. Die Verordnung wähle willkürlich und ohne detaillierte empirische Analyse vermeintliche Krisengewinner als Belastete aus. Der Vergleich der Förderer und Vertreiber von fossilen Energien mit der Zulieferungsindustrie zeige, dass die nicht belasteten Zulieferer eine ähnliche Sonderkonjunktur erfahren hätten, die sich in steigenden Aktienkursen niedergeschlagen habe. Auch sei der Aufschwung der Rüstungsindustrie nicht durch eine Steuer belastet worden. Der Energiekrisenbeitrag sei nicht zielgenau wirksam gewesen. Die Abgrenzung zur Zulieferindustrie sei willkürlich gewesen. Darüber hinaus verstoße die Verordnung gegen das europarechtliche Rückwirkungsverbot.
21Die fehlende Vereinbarkeit der Verordnung mit europarechtlichem Primärrecht führe dazu, dass ein vorläufiger Rechtsschutz gegen die nationalen Umsetzungsnormen zu gewähren sei. Im Streitfall sei die Aufhebung der Vollziehung dringlich, da ohne Aufhebung ein nicht wiedergutzumachender Schaden drohe. …. Betriebsplanzulassungen würden gemäß § 56 Abs. 2 Bundesberggesetz nur noch unter der Auflage ausreichender Sicherheiten für spätere Rückbauverpflichtungen erlassen. Gerade im Hinblick auf das Bundesland P steige die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung kontinuierlich bis zum Jahr 2035. Nach aktuellem Stand müsse die Antragstellerin bis zum Jahr 2030 Sicherheiten von über ... EUR stellen. Die zusätzliche Belastung von über ... EUR durch den Energiekrisenbeitrag bis zum endgültigen Abschluss eines gegebenenfalls mehrinstanzlichen finanzgerichtlichen Verfahrens …. Eine Berücksichtigung der Interessen der Europäischen Union stehe der Aufhebung der Vollziehung nicht entgegen.
22Weiterhin bestünden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des EU‑Energiekrisenbeitragsgesetzes. Das Gesetz sei formell verfassungswidrig. Der Krisenbeitrag sei keiner der in Art. 106 GG abschließend aufgezählten Steuerarten zuzuordnen. Außerhalb von Art. 106 GG bestünde keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes oder der Länder. Außerhalb der Kompetenztitel bestehe kein Steuererfindungsrecht. Der Gesetzgeber habe das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz auf Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG gestützt. Dieser Kompetenztitel erfasse aber nur solche Abgaben, die an die Europäische Union weiterzuleiten seien und daher für den Bund lediglich den Charakter eines durchlaufenden Postens hätten. Die Mittel aus der Erhebung der Energiekrisenbeiträge verblieben jedoch unmittelbar beim Bund. Auch die durch die europäische Verordnung vorgeschriebene Verwendung der Mittel könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass es an einer Weiterleitung mangele. Im Übrigen seien die in Art. 17 der Verordnung angegebenen Verwendungszwecke so breit angelegt, dass die Erhebung des Krisenbeitrags im Grunde nur allgemeine Ausgaben des Mitgliedstaats ohne Bezug zur Europäischen Union decke. Bei dem EU‑Energiekrisenbeitragsgesetz handele es sich auch nicht um eine ergänzende Tarifnorm zum Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerrecht, sodass auch Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG nicht als Kompetenztitel in Betracht komme. Das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz belaste nur eine branchenspezifische Tätigkeit und trete neben die übrigen Ertragsteuern. Das EU‑Energiekrisenbeitragsgesetz stelle auch keine Ergänzungsabgabe gemäß Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG dar. Es fehle bereits an einem Nachweis eines akuten Finanzbedarfs des Bundes, der anderweitig nicht behoben werden könne. Im Übrigen stehe der Energiekrisenbeitrag in keinem angemessenen Verhältnis zu Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer.
23Darüber hinaus sei das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz auch materiell verfassungswidrig. Es verstoße gegen das Rückwirkungsverbot, da zum Zeitpunkt des Erlasses das Wirtschaftsjahr 2022 vieler betroffener Unternehmen bereits zu über 90 % abgelaufen gewesen sei. Dies gelte auch für die Antragstellerin. Eine steuerwirksame Geschäftsanpassung sei fast nicht mehr möglich gewesen. Im Übrigen erscheine die Abschöpfung von Sondergewinnen aus einem bereits weitgehend abgelaufenen Zeitraum in besonderem Maße begründungsbedürftig. Die unechte Rückwirkung des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes sei somit in die Nähe einer echten Rückwirkung gerückt und das Vertrauen der Antragstellerin in besonderem Maße erschüttert. Dem Gesetzgeber sei im Übrigen auch die Umsetzung der Verordnung für einen vollständig in der Zukunft liegenden Zeitraum möglich gewesen. Die Antragstellerin habe die Belastung durch den Krisenbeitrag auch nicht kommen sehen müssen, da die Umsetzung erst im Dezember 2022 erfolgt sei und der Umsetzung zahlreiche intensive Diskussionen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit vorausgegangen seien.
24Weiterhin verstoße das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz gegen das allgemeine Gleichheitsgebot, Art. 3 Abs. 1 GG, da die Auswahl der Steuerpflichtigen durch die Verordnung willkürlich sei. Dieser Strukturfehler setze sich auch im deutschen Umsetzungsgesetz fort. Der Gesetzgeber habe das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz nicht folgerichtig in das nationale Steuerrecht eingebettet. Die konsequente Ungleichbehandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften werde dem Ziel einer rechtsformneutralen Besteuerung nicht gerecht. Die Regelungen zu Rumpfwirtschaftsjahren und Umwandlungsfällen seien so ausgestaltet worden, dass Gestaltungsanreize geschaffen worden seien.
25Die Rechtsverordnung sei in Form einer hinkenden Verordnung erlassen worden, sodass der nationale Gesetzgeber Umsetzungsspielräume gehabt habe. Eine Umsetzungsverpflichtung habe nicht bestanden. Für die Wirtschaftsjahre 2022 bzw. 2023 stelle die Erhebung des EU-Energiekrisenbeitrags eine unabhängige Entscheidung des nationalen Gesetzgebers dar, die vollständig außerhalb einer Umsetzungsverpflichtung von Unionssekundärrecht stehe. Somit bestehe für diese Zeiträume eine volle Überprüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts.
26Im Hinblick auf den Geltungsanspruch eines formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes bestehe ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers darzulegen, dass seine Interessen im Rahmen einer Interessenabwägung die konkrete Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung überwögen. Diese Grundsätze könnten für den EU-Energiekrisenbeitrag nicht uneingeschränkt gelten. Während bei üblichen Normen des materiellen Steuerrechts regelmäßig eine unüberschaubare Zahl von Steuerpflichtigen betroffen seien und hierdurch die Aussetzung der Vollziehung in ihren finanziellen Auswirkungen wegen der Breitenwirkung für den Haushalt nicht berechenbar sei, könne im Streitfall hiervon nicht ausgegangen werden. Aufgrund der vorherigen Diskussion habe die Finanzverwaltung von Anfang an wissen müssen, dass der EU-Energiekrisenbeitrag möglicherweise durch den EuGH oder das Bundesverfassungsgericht seiner Wirkung beraubt werde. Die Regelungen beträfen nur eine abschließende und überschaubare Anzahl von wenigen Steuerpflichtigen für einen kurzen Erhebungszeitraum von zwei Jahren. Entgegenstehende Haushaltsinteressen seien insoweit als nicht so gewichtig einzustufen, dass sie die Aussetzungsinteressen überwögen. Auf die Antragstellerin entfielen für die Streitjahre 2022 und 2023 voraussichtlich Belastungen von insgesamt ... EUR. ….
27Letztlich käme auch eine Aufhebung der Vollziehung wegen unbilliger Härte in Betracht, da die aktuelle Langfristplanung ohne die Rückzahlung der eingezogenen Beträge gefährdet sei …. Die Belastung durch den EU-Energiekrisenbeitrag (oder die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung) würde ….
28Im Hinblick auf die Ausführungen des Antragsgegners im Aussetzungsverfahren vertritt die Antragstellerin die Auffassung, dass der Antragsgegner grundlegend die Reichweite und die Folgen des Grundsatzes der Gültigkeit des Unionsrechts verkenne. Der BFH gehe bei der Prüfung der Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gerade nicht von einer Gültigkeit des Sekundärrechts aus (Verweis auf BFH vom 11. Juli 1989, VII B 183/88).
29Im Übrigen könne Art. 122 Abs. 1 AUEV nicht als Rechtsgrundlage der Rechtsverordnung herangezogen werden, da es an einer Notfallsituation gefehlt habe. Es habe kein Versorgungsengpass vorgelegen, sondern eine bloße Marktpreisgestaltung. Selbst wenn man eine Preiskrise als Notfallsituation einstufen wolle, sei der Energiekrisenbeitrag nicht geeignet gewesen, der Krise entgegenzuwirken. Die Verordnung sei nach dem Anschlag auf die Nordstream-Pipelines beschlossen worden. Die Maßnahme sei aber keine „Sofortmaßnahme“, die einer Angebotsverknappung entgegenwirken könne. Es seien lediglich Gewinne abgeschöpft worden.
30Anders als der Antragsgegner behaupte, differenziere der AEUV weniger zwischen dem Begriff der Abgabe und dem Begriff der Steuer. Der Hinweis des Antragsgegners auf Art. 114 Abs. 2 AEUV gehe fehl. Die Mitgliedstaaten hätten die Kompetenz für die Regelung von Steuern und Abgaben gerade nicht auf die EU übertragen.
31Im Hinblick auf Art. 17 der Grundrechtscharta sei darauf hinzuweisen, dass der EuGH anerkannt habe, dass der Vertrauensschutz auf eine Rechtslage ein wohlerworbenes Recht darstelle, welches die Nutzung von Eigentum ermögliche. Eine im Ergebnis eingetretene Gesamtsteuerbelastung von mehr als 50 % könne mit Blick auf das Eigentumsgrundrecht nicht zu rechtfertigen sein.
32Das unionsrechtliche Rückwirkungsverbot greife im Streitfall, da bereits ein weiter Teil des Wirtschaftsjahres 2022 bei Erlass der Verordnung abgeschlossen gewesen sei. Der Energiemarkt sei weniger krisenstabil, als der Antragsgegner meine. Tatsächlich führten Veränderungen der politischen Situation immer wieder zu erheblichen Preisanpassungen.
33Hinsichtlich der Prüfung des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes am Maßstab des Grundgesetzes gebe es keine Beschränkung. Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG enthalte keine Entwicklungsoffenheit. Vielmehr sei der Gesetzgeber an die Typusbegriffe der Steuerarten gebunden. Auch die Annahme einer Kompetenz aus der Natur der Sache sei mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Schutzfunktion der Kompetenznormen der Finanzverfassung unvereinbar. Im Hinblick auf die Bestimmung der Bemessungsgrundlage der Übergewinnsteuer sei darauf hinzuweisen, dass der Antragsgegner die branchenspezifischen Besonderheiten des Energiesektors ausblende. Der Referenzzeitraum von lediglich vier Jahren sei zu kurz gewählt, um in einer zyklischen Branche ein hinreichendes Bild des Normalgewinns zu vermitteln. Gerade im Jahr 2022 hätten sich die Restrukturierungsbemühungen der Antragstellerin gewinnerhöhend ausgewirkt, während im Referenzzeitraum ein ganz erheblicher Restrukturierungsprozess durchlaufen worden sei.
34Die Interessenabwägung zwischen den Vollzugsinteressen des Fiskus und dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin fiele zugunsten der Antragstellerin aus. Im Streitfall seien bei der Antragstellerin in erheblichem Umfang Gewinne besteuert worden, die eine Folge von Investitionen in der Vergangenheit gewesen seien und keine Verbindung zu besonderen Ausschlägen der Preise am Energiemarkt gehabt hätten. Insoweit sei die Antragstellerin gegebenenfalls nicht mit anderen Steuerpflichtigen vergleichbar. Im Übrigen sei der Vortrag des Antragsgegners widersprüchlich, da er den streitigen Steuerbetrag als erheblich und haushaltswirksam einstufe und zugleich davon ausgehe, dass der Betrag für die Antragstellerin einen geringen Eingriff darstelle.
35Die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung würde die Antragstellerin nicht in eine existenzgefährdende Lage bringen. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die Antragstellerin Geschäftsfeldausweitungen einstellen oder reduzieren würde. Aus den Ausführungen der Antragstellerin sei nicht zu folgen, dass eine mittelfristige Existenzgefährdung anzunehmen sei, die die Notwendigkeit einer Sicherheitsleistung begründen würde.
36Die Antragstellerin beantragt,
37die Vollziehung der Steueranmeldung vom 27. Mai 2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. August 2024 in voller Höhe aufzuheben,
38hilfsweise die Beschwerde zuzulassen.
39Der Antragsgegner beantragt,
40den Antrag abzulehnen,
41hilfsweise die Beschwerde zuzulassen.
42Der Antragsgegner führt aus, dass keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestünden.
43Es bestünden keine Zweifel an der Unionsrechtmäßigkeit der Verordnung EU 2022/1854. Die Verordnung sei für die Bundesrepublik Deutschland entsprechend Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV verbindlich. Das Unionsrecht genieße eine Gültigkeitsvermutung (Verweis auf EuGH vom 15.06.1994, C-137/92 P, Rn. 48). Der im Kapitel III der Verordnung geregelte Solidaritätsbeitrag (in Deutschland als Energiekrisenbeitrag umgesetzt) sei zulässigerweise auf Art. 122 Abs. 1 AEUV gestützt worden. Bei der Vorschrift handele es sich um ein Instrument der Krisenvorsorge oder ‑abwehr. Ziel der Verordnung sei es gewesen, eine akute Notfallsituation zu regeln. Hintergrund sei die Energiekrise aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und dem damit verbundenen Rückgang von Gaslieferungen sowie die hierdurch ausgelösten Preisreaktionen gewesen. Der Solidaritätsbeitrag sei erhoben worden, um die hohen Energiepreise für Haushalte und Unternehmen abzudämpfen. Im Hinblick auf dieses Ziel weise der Solidaritätsbeitrag auch einen hinreichenden Konnex auf, da die Einnahmen nach Art. 17 der Verordnung zweckgebunden für Maßnahmen zu verwenden seien, welche direkt oder indirekt der Unterstützung von Energie-Endkunden dienten. Der Solidaritätsbeitrag sei eine Umverteilungsmaßnahme gewesen, um Energieunternehmen, deren Gewinne in der Krise deutlich angestiegen seien, ohne dass sich ihre Kostenstruktur wesentlich verändert habe, proportional zur Bewältigung der Energiekrise heranzuziehen. Der Solidaritätsbeitrag könne auch inflationsmindernd wirken und einer weiteren Fragmentierung des Binnenmarktes entgegenwirken. Die Einführung des Beitrags auf Rechtsgrundlage von Art. 122 Abs. 1 AEUV stelle keine Umgehung des grundsätzlichen Einstimmigkeitserfordernisses im Rat für Steuern dar. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift fasse den Handlungsspielraum des Rates möglichst weit, um auf Krisen angemessen reagieren zu können. Steuern stellten in diesem Sinne auch wirtschaftspolitische Instrumente dar. Das Unionsrecht selbst gebe keine abschließende Definition des Begriffs „Steuer“ vor, unter den der Solidaritätsbeitrag fallen könne. Aus dem Gesamtkontext ergebe sich, dass die Rechtsverordnung schwerpunktmäßig der Krisenabwehr gedient habe. Art. 122 Abs. 2 AEUV entfalte insoweit keine Sperrwirkung hinsichtlich der Erhebung von Krisenbeiträgen in den Mitgliedstaaten.
44Ein Verstoß gegen die Charta der Europäischen Union liege nicht vor. Art. 17 Abs. 1 der Charta schütze nicht das Vermögen als solches, weswegen Geldzahlungspflichten und Abgaben schon keinen Eingriff darstellten. …. Art. 17 Abs. 1 der Charta schütze auch nicht rein kaufmännische Interessen oder Aussichten. Der Solidaritätsbeitrag verstoße auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 20 der Charta. In der Vorschrift werde vom EuGH kein Prinzip anerkannt, welches dem im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG in Deutschland entwickelten Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechen würde. Im Übrigen befänden sich die Zulieferindustrie der fossilen Energiewirtschaft bzw. die Rüstungsindustrie nicht in einer vergleichbaren Situation wie die fossilen Energieunternehmen. Die Gewinne der fossilen Energieunternehmen seien in der Krise deutlich angestiegen, ohne dass sich ihre Kostenstruktur wesentlich verändert habe oder Realinvestitionen erhöht worden wären. Die Überschussgewinne infolge der Energiekrise hätten die Unternehmen unter normalen Umständen nicht erzielen können. Der Solidaritätsbeitrag verfolge im Übrigen ein legitimes Ziel im Rahmen einer verhältnismäßigen Maßnahme.
45Es liege auch kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor. Bei Inkrafttreten der zuvor öffentlichkeitswirksam politisch verhandelten Verordnung sei das Haushaltsjahr 2022 noch nicht abgeschlossen gewesen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH seien neue Rechtsvorschriften auf Sachverhalte anwendbar, die bei ihrem Inkrafttreten noch nicht abgeschlossen gewesen seien (Verweis auf EuGH vom 11. Dezember 2008, C‑334/07 P, Rn. 43; vom 12. Mai 2011, C-107/10, Rn. 39). Selbst wenn eine Rückwirkung vorgelegen hätte, sei diese zulässig gewesen, da das Vertrauen der Betroffenen hinreichend berücksichtigt worden sei. Die Verordnung sei im Jahr des Angriffs Russlands auf die Ukraine und nur zwei Wochen nach dem Anschlag auf die Nordstream-Pipelines erfolgt. Insoweit hätten die Betroffenen kein schutzwürdiges Vertrauen aufbauen können, dass ihre außergewöhnliche wirtschaftliche Situation aufgrund der Energiekrise anhalten würde.
46Darüber hinaus bestünden keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des EU‑Energiekrisenbeitragsgesetzes. Das Gesetz beruhe auf rechtlich bindendem europäischen Recht. Eine etwaige Verfassungswidrigkeit würde durch die vorrangige Geltung von Unionsrecht überlagert und zöge keine Konsequenzen nach sich. Soweit danach überhaupt eine nationale Gesetzgebungskompetenz erforderlich sei, könne diese auf Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG i.V.m. Art. 105 Abs. 2 Satz 2 GG gestützt werden (Verweis auf Valta in StuW 2023, 72). Der Energiekrisenbeitrag sei klar als Abgabe im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG zu qualifizieren. Die Vorschrift verlange nicht, dass die Abgabe lediglich den Charakter eines durchlaufenden Postens haben müsse. Darüber hinaus habe der Bund zur Umsetzung der europäischen Rechtsverordnung eine Gesetzgebungskompetenz aus der Natur der Sache. Es stehe außer Zweifel, dass eine Umsetzung durch die Länder im damaligen Krisenkontext keine sachgerechte Lösung gewesen wäre.
47Materiell sei das Gesetz ebenfalls verfassungskonform. Eine Überprüfung des Unionsrechts anhand nationaler Grundrechte komme ohnehin nur dort in Betracht, wo Umsetzungsspielräume bestünden (Verweis auf BVerfG vom 29. September 2022, 1 BvR 2380/21). Deutschland habe lediglich mit der Entscheidung, den Energiekrisenbeitrag in den Jahren 2022 und 2023 und nicht nur in einem der beiden Jahre zu erheben, eine Entscheidung innerhalb des Umsetzungsspielraums getroffen. Dies entspreche dem weiten Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei wirtschaftslenkenden Sachverhalten.
48Im Übrigen wahre das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz die Grenzen zulässiger unechter Rückwirkung. Das Gesetz sei mit Wirkung für die Jahre 2022 und 2023 nur ca. sieben Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukrainer in Kraft getreten. Der Angriffskrieg habe eine Dringlichkeit der Maßnahmen begründet. Die zeitliche Befristung auf zwei Jahre bewege sich im Rahmen des Zumutbaren.
49Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liege nicht vor. Im Streitfall seien die betroffenen Gewinne infolge der europäischen Wirtschaftssanktionen gegen Russland gestiegen. Ohne die Kriegsereignisse wären die Gewinne der Antragstellerin mutmaßlich geringer ausgefallen. Die Erhebung des Beitrags sei somit sachlich begründet. Die Auswahl der Steuerpflichtigen sei nicht willkürlich.
50Ein Verstoß gegen Art. 12 GG sei nicht gegeben. Selbst wenn eine berufsregelnde Tendenz der Maßnahme anzunehmen sei, sei diese jedenfalls gerechtfertigt, da insoweit vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls ausreichten.
51Ein Verstoß gegen Art. 14 GG liege nicht vor, … jedenfalls bei einer Gewinnbesteuerung zu 33 % derjenigen Gewinne, die um mehr als 20 % über den durchschnittlichen Gewinnen lägen, nicht anzunehmen. Art. 14 GG enthalte nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG darüber hinaus keine allgemeinverbindliche, absolute Belastungsobergrenze in der Nähe der hälftigen Teilung.
52Im Übrigen sei die Erhebung des Energiekrisenbeitrags nach grundrechtlichen Anforderungen gerechtfertigt. Der Beitrag diene der Reaktion auf massiv steigende Energiepreise infolge des russischen Angriffskrieges. Die in Rede stehenden Gewinne beruhten nicht auf eigener Anstrengung der Antragstellerin, sondern seien eine Folge des Krieges. Die teilweise Abschöpfung versetze die Mitgliedstaaten in die Lage, gemeinschaftlich reagieren zu können.
53Soweit Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Verordnung EU 2022/1854 oder des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes bestünden, bedürfe es für die Begründetheit des Aussetzungsbegehrens zusätzlich einer besonderen Interessenabwägung. Das berechtigte Aussetzungsinteresse der Antragstellerin müsse gegenüber den öffentlichen Belangen abgewogen werden. Betroffen wäre hier insbesondere die Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung. Die individuellen Interessen der Antragstellerin seien gegenüber diesen öffentlichen Interessen nachrangig. Im Falle der Aufhebung der Vollziehung käme es im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes. Die Antragstellerin habe keine überzeugenden Gründe vorgetragen, die ein berechtigtes Interesse an der Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes rechtfertigten. Es sei anzunehmen, dass der Eingriff bei der Antragstellerin als gering einzustufen sei. Die Antragstellerin habe im Referenzzeitraum 2018 bis 2021 einen Übergewinn von ca. ... EUR erwirtschaftet, dem zu zahlenden Energiekrisenbeitrag stehe also ein zusätzlicher, zuvor nicht einzukalkulierender Gewinn gegenüber. Dieser Gewinn sei lediglich in begrenzten Maß verringert worden. Die Antragstellerin habe keine Angaben dazu gemacht, dass hierdurch ihre Existenz gefährdet würde. Es sei davon auszugehen, dass die Zahlung der Steuer aus den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln ohne weiteres geleistet worden sei. ….
54Den Ausführungen der Antragstellerin, es handele sich um eine überschaubare Anzahl von Steuerpflichtigen und die finanziellen Auswirkungen seien in Ermangelung einer Breitenwirkung für den Haushalt nicht berechenbar, könne nicht gefolgt werden. Das Steuersubstrat, dass auf die einzelnen Steuerpflichtigen entfiele, sei erheblich und haushaltswirksam. Die Energiekrise habe einen außerordentlichen Finanzbedarf begründet.
55Eine Aufhebung der Vollziehung wegen unbilliger Härte komme nicht in Betracht, da entsprechende Voraussetzungen nicht glaubhaft gemacht worden seien.
56Soweit eine Aufhebung der Vollziehung in Betracht käme, sei die Anforderung einer Sicherheitsleistung in Betracht zu ziehen. Die Antragstellerin selbst habe ausgeführt, dass die Belastung durch den Energiekrisenbeitrag …. Darüber hinaus sei die Stellung einer Sicherheitsleistung geboten, um nicht die Ziele der europäischen Rechtsverordnung zu unterlaufen (Verweis auf EuGH vom 21. Februar 1991, C-143/88 und C‑92/88, Rn. 32).
57II.
58Der Antrag ist begründet.
591. Die Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung vom 27. Mai 2024 ist aufzuheben.
60a. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Finanzgericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ist der Verwaltungsakt bereits vollzogen worden, so kann gemäß § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO ganz oder teilweise die Vollziehung, auch gegen Sicherheitsleistung, aufgehoben werden. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des BFH seit Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BStBl. III 1967, 182; vgl. BFH-Beschluss vom 15. Juli 1998 I B 134/97, BFH/NV 1999, 372).
61b. Nach diesen Grundsätzen bestehen im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anmeldung des EU‑Energiekrisenbeitrags, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der europarechtlichen Rechtsgrundlage und damit am Vorliegen einer tauglichen Rechtsgrundlage für das EU‑Energiekrisenbeitragsgesetz und in der Folge an der Existenz einer verfassungsrechtlichen Kompetenzgrundlage für die Erhebung des EU‑Energiekrisenbeitrags bestehen.
62(1) Im Streitfall hat die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Einführung eines EU‑Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU‑Energiekrisenbeitragsgesetz) vom 16. Dezember 2022 (verabschiedet als Art. 40 des Jahressteuergesetzes 2022, BGBl. I 2022, 2294, 2325) für das Wirtschaftsjahr 2022 eine Steueranmeldung abgegeben. Diese Steueranmeldung steht gemäß § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
63Der angemeldete und gezahlte EU-Energiekrisenbeitrag i.H.v. ... EUR entspricht den gesetzlichen Regelungen. Die Bemessungsgrundlage für den EU‑Energiekrisenbeitrag bildet gemäß § 4 Abs. 1 EU-EnergieKBG die positive Differenz zwischen dem nach den einkommen- oder körperschaftsteuerlichen Vorschriften ermittelten steuerlichen Gewinn für den Besteuerungszeitraum nach § 3 Abs. 2 EU‑EnergieKBG – hier das Jahr 2022 – und dem um 20 Prozent erhöhten Durchschnitt des steuerlichen Gewinns des Vergleichszeitraums, d.h. der Wirtschaftsjahre 2018 bis 2021. Für den Vergleichszeitraum ergibt sich gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 EU-EnergieKBG ein durchschnittlicher steuerlicher Gewinn von … EUR, mithin beträgt die Differenz gemäß § 4 Abs. 1 EU-EnergieKBG ... EUR. Der hierauf anzuwendende Steuersatz beträgt gemäß § 4 Abs. 3 EU-EnergieKBG 33 %.
64(2) Rechtsgrundlage des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes ist die Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise vom 06. Oktober 2022 (ABl. L 261I vom 7. Oktober 2022, S. 1), gültig ab 1. Dezember 2022 (Verordnung (EU) 2022/1854). Diese Verordnung ist gestützt auf Art. 122 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Hintergrund der Verordnung ist ausweislich der Erwägungsgründe der Umstand, dass seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine seit Februar 2022 ein Rückgang der Gaslieferungen zu verzeichnen gewesen sei und darüber hinaus eine Verunsicherung im Hinblick auf die Versorgung mit Steinkohle und Erdöl dazu geführt habe, dass es zu erheblichen Strompreissteigerungen gekommen sei (Erwägungsgrund 1). In der Folge habe der Preisanstieg an den Stromgroßhandelsmärkten zu einem drastischen Anstieg der Endkundenstrompreise geführt (Erwägungsgrund 4). Der starke Anstieg der Energiepreise trage wesentlich zur allgemeinen Inflation im Euro-Währungsgebiet bei und bremse das Wirtschaftswachstum in der Union (Erwägungsgrund 5). Es bedürfe daher einer raschen und koordinierten Reaktion auf Unionsebene. Mithilfe der Festlegung von Notfallmaßnahmen könne vorübergehend das Risiko von höheren Stromkosten für Endkunden sowie unkoordinierten nationalen Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die die Versorgungssicherheit auf Unionsebene gefährden und die Industrie und die Verbraucher in der Union zusätzlich belasten könnten, gemindert werden (Erwägungsgrund 6). Den Störungen am Energiemarkt, der die durch eine hybride Kriegsführung hervorgerufenen Krisensituation und deren untragbaren Auswirkungen auf Verbraucher und Unternehmen müsse durch dringende, befristete und außerordentliche Wirtschaftsmaßnahmen begegnet werden (Erwägungsgrund 8). Angesichts des extremen Anstiegs der Endkundenpreise für Gas und Strom komme staatlichen und öffentlichen Interventionen zum Schutz der Verbraucher eine besondere Bedeutung zu. Durch eine einheitliche Verpflichtung zur Weitergabe von Überschusserlösen an die Verbraucher könnten diese gestützt und zugleich die Inflationsrate gedämpft werden (Erwägungsgrund 12). Daher sei es angemessen, auf Unionsebene einen Solidaritätsbeitrag für im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätige Unternehmen und Betriebsstätten der Union einzuführen, um die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen der rasant ansteigenden Energiepreise auf die Endkunden zu mindern (Erwägungsgrund 13). Der Solidaritätsbeitrag sei ein geeignetes Mittel, um Überschussgewinne im Falle unvorhergesehener Umstände abzuschöpfen. Bei den Gewinnen handele es sich um solche Gewinne, die unter normalen Umständen nicht hätten erzielt oder erwartet werden können. Die Einführung eines Solidaritätsbeitrags stelle eine gemeinsame und koordinierte Maßnahme dar, mit der im Geiste der Solidarität die Schaffung zusätzlicher Einnahmen für die nationalen Behörden möglich gemacht würde, um durch die rasant ansteigenden Energiepreise stark betroffene Haushalte und Unternehmen finanziell zu unterstützen und zugleich in der gesamten Union gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten (Erwägungsgrund 14). Darüber hinaus sei die Verordnung gerichtet auf Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs (Erwägungsgrund 19). Schließlich stellt der Verordnungsgeber darauf ab, dass aufgrund der plötzlichen und unvorhersehbaren Umstände des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, des geringeren Energieangebots und der steigenden Nachfrage durch die Rekordtemperaturen die Gewinne der Unternehmen und Betriebsstätten der Union, die mindestens 75 % ihres Umsatzes im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich erzielen, deutlich angestiegen seien, ohne dass diese ihre Kostenstruktur wesentlich verändert oder ihre Investitionen erhöht hätten (Erwägungsgrund 50). Vor diesem Hintergrund diene der befristete Solidaritätsbeitrag als Umverteilungsmaßnahme dazu sicherzustellen, dass die betreffenden Unternehmen, die infolge der unerwarteten Umstände Überschussgewinne erzielt hätten, proportional zur Bewältigung der Energiekrise auf dem Binnenmarkt beitrügen (Erwägungsgrund 51).
65Die Verordnung (EU) 2022/1854 bedarf als sog. hinkende Verordnung einer Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber, dem dabei ein gewisser Umsetzungsspielraum zur Verfügung steht.
66(3) Derzeit ist beim EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen des belgischen Grondwettelijk Hof (Verfassungsgerichtshof) vom 16. Mai 2024 in der Sache Varo Energy Belgium NV, EG Retail (Belgium) BV, Gilops Group NV, Van Raak Trading NV, Kuwait Petroleum (Belgium) NV gegen Ministerraad (Eerste Minister) unter dem Aktenzeichen C-358/24 anhängig.
67Gegenstand des Vorlageverfahrens ist die Frage, ob die Verordnung (EU) 2022/1854 mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Mit der ersten Vorlagefrage möchte das Gericht wissen, ob die Verordnung auf Art. 122 Abs. 1 AEUV gestützt werden durfte. Mit der Vorlagefrage 3 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 14 der Verordnung (Unterstützung von Endkunden durch einen befristeten Solidaritätsbeitrag) gegen Art. 20 und 21 Grundrechtecharta verstößt, weil die Verordnung nur für bestimmte Marktteilnehmer des Energiesektors gilt. Mit der Vorlagefrage 6 möchte das Gericht wissen, ob Art. 107 Abs. 1 und 108 Abs. 3 AEUV in dem Sinne auszulegen seien, dass eine Maßnahme entsprechend dem belgischen Umsetzungsgesetz zur Verordnung eine staatliche Beihilfe darstelle, die der europäischen Kommission habe gemeldet werden müssen. Mit der Vorlagefrage 7 möchte das Gericht wissen, ob Art. 14 der Verordnung mit den Artikeln 15, 16 und 17 Grundrechtecharta vereinbar ist, weil die Regelungen keinen Mechanismus enthielten, die eine Rückzahlung einer Überzahlung vorsähen. Mit der Vorlagefrage 8 wirft das Gericht die Frage auf, ob Art. 14 und 15 der Verordnung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und Nichtrückwirkung von Gesetzen vereinbar sei. Mit der Vorlagefrage 9 möchte das Gericht schließlich wissen, ob im Falle des Verstoßes der Verordnung gegen Europarecht das nationale Umsetzungsgesetz gleichwohl aufrechterhalten werden müsse, um Haushaltsschwierigkeiten des belgischen Staates zu vermeiden und dem Ziel des Solidaritätsbeitrags zu entsprechen.
68(4) Die Frage, ob die dem EU-Energiekrisenbeitragsgesetz zugrunde liegende Verordnung überhaupt auf einer hinreichenden Kompetenzgrundlage fußt, wird auch im Schrifttum kritisch diskutiert (vgl. z. B. Valta, StuW 2023, 72, der die außerordentliche Kompetenzgrundlage des Art. 122 AEUV als Achillesverse des Solidaritätsbeitrags bezeichnet; Lüdicke, DB 2022, Heft 51-52, M4-M5; Hackemann/Weiler, ISR 2023, 70; Ellersbusch/Nonnenmacher/Thoß, DB 2023, 344; Gosch, Thesen anlässlich der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss, https://www.bundestag.de/resource/blob/923652/94910992322372784c96a6915c6a850f/06-Gosch-data.pdf; Schumacher, Ubg 2023, 79; Keuper/Zeck, DStR 2023, 1297).
69Die offenbar einhellige Auffassung im Schrifttum ist, dass die vom europäischen Verordnungsgeber herangezogene Kompetenzgrundlage zum Erlass der Rechtsverordnung nicht geeignet ist. In der Folge wird die Frage aufgeworfen, ob die hieraus folgende formelle Unionsrechtswidrigkeit der Verordnung automatisch zu einer Rechtswidrigkeit des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes führt. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass das deutsche Gesetz eine vollständige nationale Regelung sei, sodass die Unionsrechtswidrigkeit der europäischen Verordnung nicht automatisch zur Unionsrechtswidrigkeit des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes führe, allerdings vor diesem Hintergrund möglicherweise eine formelle Verfassungswidrigkeit anzunehmen sei, weil in einem solchen Fall das Grundgesetz möglicherweise keine Gesetzgebungskompetenz für eine rein nationale Regelung vorsehe (vgl. Schumacher, Ubg 2023, 79; Keuper/Zeck, DStR 2023, 1297).
70Unabhängig von der Frage, ob die dem EU-Energiekrisenbeitragsgesetz zugrundeliegende Verordnung unionsrechtskonform ist, wird darüber hinaus in der Literatur bezweifelt, ob das Gesetz mit der Verfassung vereinbar ist. § 1 Abs. 3 Satz 2 EU-Energiekrisenbeitragsgesetz regele, dass der EU Energiekrisenbeitrag eine Steuer im Sinne der Abgabenordnung sei. Vor dem Hintergrund, dass bei dem Energiekrisenbeitrag die Einnahme einer staatlichen Leistung nicht in einem unmittelbaren Leistungsverhältnis gegenüberstehe, wird davon ausgegangen, dass es sich um eine Zwecksteuer handele, die kompetenzrechtlich an Art. 105 f. GG zu messen sei (vgl. Keuper/Zeck, DStR 2023, 1297). Käme man mit der herrschenden Auffassung in der Literatur und auf Basis des Vorlagebeschlusses des belgischen Verfassungsgerichtshofs zu dem Ergebnis, dass die europäische Rechtsverordnung in Ermangelung einer hinreichenden Kompetenzgrundlage unionsrechtswidrig wäre, käme ein Berufen auf Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG als Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes von vornherein nicht mehr in Betracht. In der Literatur wird in der Folge bestritten, dass Art. 106 Abs. 3, Art. 105 Abs. 2 Satz 2 GG als Kompetenzgrundlage in Betracht kämen, da Einkommen- und Körperschaftsteuer Gemeinschaftssteuern seien, der Energiekrisenbeitrag jedoch allein dem Bund zustehe (vgl. Schumacher, Ubg 2023, 79; Valta, StuW 2023, 72). Auch könne nicht von einer Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG ausgegangen werden, weil der Energiekrisenbeitrag nicht durch die Länder gemäß Art. 108 Abs. 2 GG verwaltet werde (vgl. Keuper/Zeck, DStR 2023, 1297; Valta, StuW 2023, 72).
71(5) Soweit das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz in Ermangelung einer Grundlage in Form der Verordnung nicht europarechtlich determiniert ist, stellt sich darüber hinaus die Frage nach der Vereinbarkeit des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes mit der Verfassung im Übrigen. Hier wird in der Literatur bezweifelt, dass die zusätzliche Steuerbelastung ausgewählter Unternehmen mit dem Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei, weil nur bestimmte Unternehmen mit dem Energiekrisenbeitrag belastet würden. Hier wird insbesondere ausgeführt, dass nicht nur Energieunternehmen von der Energiekrise profitiert hätten, sondern auch andere Unternehmen, z.B. Unternehmen aus der Logistikbranche, die nicht zusätzlich in Anspruch genommen würden (vgl. Meyering/Hegemann, FR 2023, 433, die allerdings im Ergebnis die notwendige Gleichbehandlung als gewahrt ansehen). Darüber hinaus wird die Frage aufgeworfen, ob die Kumulation des Energiekrisenbeitrags mit Ertragsteuern in der Summe eine Erdrosselungswirkung hat, die die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Schumacher, Ubg 2023, 97).
72(6) Vor diesem Hintergrund hat das Gericht Zweifel an der Rechtmäßigkeit des in der Hauptsache angefochtenen Verwaltungsakts in Form der Steueranmeldung vom 27. Mai 2024.
73α) Angesichts des Wortlauts von Art. 122 Abs. 1 AEUV, wonach der Rat auf Vorschlag der Kommission unbeschadet der sonstigen in den Verträgen vorgesehenen Verfahren im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen beschließen kann, insbesondere falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren, vor allem im Energiebereich, auftreten, bestehen Zweifel daran, dass diese Norm eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Verordnung zur Einführung eines Energiekrisenbeitrags darstellt. Fraglich erscheint insbesondere, wie Art. 122 Abs. 1 AEUV im Verhältnis zu anderen Kompetenzregelungen bzgl. der Erlangung von Haushalts- bzw. Finanzierungsmitteln auszulegen ist. So ermächtigt Art. 122 Abs. 2 AEUV – auf Vorschlag der Kommission – den Rat, zur Unterstützung einzelner Mitgliedstaaten, die aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht sind, diesen einen finanziellen Beistand der Union zu gewähren. Gemäß Art. 113 AEUV erlässt der Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses einstimmig die Bestimmungen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern, die Verbrauchsabgaben und sonstige indirekte Steuern, soweit diese Harmonisierung für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts und die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen notwendig ist. Gemäß Art. 115 AEUV erlässt der Rat unbeschadet des Art. 114 gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken. Des Weiteren regelt Art. 194 AEUV die Energiepolitik der Union insbesondere im Hinblick auf Sicherstellung des Funktionierens des Energiemarkts und Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union (vgl. Art. 194 Abs. 1 Buchst. a) und b) AEUV). Gemäß Art. 194 Abs. 3 AEUV bedarf eine Maßnahme der Energiepolitik, die überwiegend steuerlicher Art ist, der Einstimmigkeit im Rat.
74Auch der belgische Verfassungsgerichtshof hat in seiner Vorlagefrage in dem derzeit unter dem Aktenzeichen C-358/24 anhängigen Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH unter anderem die Frage aufgeworfen, ob die Verordnung (EU) 2022/1854 auf die Rechtsgrundlage des Art. 122 Abs. 1 AEUV gestützt werden durfte. Die in der Vorlagefrage deutlich werdenden Zweifel an der Tauglichkeit der Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der streitgegenständlichen Verordnung und damit die Vereinbarkeit der Verordnung mit dem Unionsrecht werden in der Literatur, wie dargestellt, geteilt. Es ist nicht offenkundig, dass die aufgeworfene Rechtsfrage ausschließlich dergestalt beantwortet werden müsste, dass die in Bezug genommene Rechtsgrundlage die europäische Verordnung trägt. Vor diesem Hintergrund ist im Aussetzungsverfahren die Rechtslage als zweifelhaft anzusehen. Der insoweit zur Entscheidung berufene EuGH hat die an ihn gerichtete Frage noch nicht beantwortet.
75β) Die Finanzverfassung (vgl. Art. 104a ff. GG) bildet eine in sich geschlossene Rahmen- und Verfahrensordnung und ist auf Formenklarheit und Formenbindung angelegt. Der strikten Beachtung der finanzverfassungsrechtlichen Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern kommt eine überragende Bedeutung für die Stabilität der bundesstaatlichen Verfassung zu. Unsicherheiten in der Ertragszuordnung würden zu erheblichen Verwerfungen im Bereich der Befriedungsfunktion der Finanzverfassung führen. Über ihre Ordnungsfunktion hinaus entfaltet die Finanzverfassung eine Schutz- und Begrenzungsfunktion, die auch im Verhältnis zum Bürger wirkt (BVerfG vom 13. April 2017, 2 BvL 6/13, BGBl. I 2017, S. 1877, BVerfGE 145, 171).
76Da zweifelhaft ist, ob die Verordnung (EU) 2022/1854 unionsrechtskonform ist, ist somit auch finanzverfassungsrechtlich zweifelhaft, ob das hierauf basierende EU‑Energiekrisenbeitragsgesetz eine taugliche Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme der Antragstellerin ist. Der Gesetzgeber hat sich ausweislich der Gesetzesbegründung zum Erlass des Gesetzes auf die verfassungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage von Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG berufen. Er ordnet den Energiekrisenbeitrag somit als Abgabe „im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften“ (heute: der Europäischen Union) ein und stellt ausdrücklich darauf ab, dass Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG in allen Fällen gelten soll, in denen die Europäischen Gemeinschaften Abgaben neu einführen können, die innerstaatlich zu erheben seien (vgl. BT-Drucks. 20/4729, S. 158). Ist allerdings bereits wie im vorliegenden Fall zweifelhaft, ob die unionsrechtliche Verordnung ihrerseits mit dem Unionsrecht vereinbar ist, so schlagen diese Zweifel auch auf die Frage durch, ob das nationale Gesetz, das zur Umsetzung einer europäischen Verordnung erlassen wurde, vom Kompetenztitel des Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG getragen wird. Wäre die Verordnung (EU) 2022/1854 nicht mit dem Europarecht vereinbar, könnte verfassungsrechtlich ein hierauf gestütztes nationales Gesetz nicht als Abgabe „im Rahmen der europäischen Gemeinschaften“ qualifiziert werden. Die Zweifel an der Unionsrechtmäßigkeit der Verordnung (EU) 2022/1854 führen insoweit zu Zweifeln an der formellen Verfassungsmäßigkeit des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes, weil zweifelhaft ist, ob die vom Gesetzgeber herangezogene Ermächtigungsnorm überhaupt eingreift.
77γ) Ob das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz unabhängig von Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG im Falle der Unionsrechtswidrigkeit der Verordnung EU 2022/1854 isoliert formell verfassungsmäßig wäre, weil es auf einen anderen verfassungsrechtlichen Kompetenztitel gestützt werden könnte, ist indes ebenfalls zweifelhaft. In Betracht käme insoweit allenfalls die Qualifikation des Energiekrisenbeitrags als Ergänzungsabgabe im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG.
78Dafür spricht zwar auch, dass nach der Intention des Gesetzgebers im Anschluss an die Erwägungen des Rates der EU bei Verabschiedung der Verordnung (EU) 2022/1854 und angesichts der Energiekrise und der damit verbundenen Preisanstiege, die zu deutlich angestiegenen Gewinnen des Energiesektors geführt haben, ohne dass sich dessen Kostenstruktur wesentlich verändert oder Investitionen erhöht hätten, die Abschöpfung und anschließende Umverteilung der Versorgungssicherheit im Energiesektor dienen soll. Allerdings wird der Energiekrisenbeitrag durch den Bund verwaltet, was – ausgehend von dem Standpunkt des Gesetzgebers – insoweit folgerichtig ist, weil davon ausgegangen wurde, dass es sich um Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften handelt. Soweit aufgrund einer möglicherweise bestehenden Unvereinbarkeit der europäischen Rechtsverordnung mit dem Unionsrecht in der Folge nicht von einer Qualifikation des Energiekrisenbeitrags als eine entsprechende Abgabe im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften auszugehen ist, sondern von einer Ergänzungsabgabe, müsste diese gemäß Art. 108 Abs. 2 GG durch die Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz sieht eine solche Verwaltung durch die Landesbehörden jedoch nicht vor, weshalb – unabhängig von der Qualifikation des EU-Energiekrisenbeitrags als Steuer i.S. der Abgabenordnung (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 EU-EnergieKBG) – jedenfalls zweifelhaft ist, ob das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz als Ergänzungsabgabe im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG qualifiziert werden kann.
79c. Ob eine weitergehende Abwägung erforderlich ist, ob trotz Zweifels an der Rechtmäßigkeit des in der Hauptsache angefochtenen Verwaltungsaktes gleichwohl eine Aufhebung der Vollziehung nicht stattzufinden hat, weil schwerwiegende Nachteile für den Staat und eine geordnete Haushaltsführung zu befürchten sind, kann offenbleiben.
80Einer entsprechenden Interessenabwägung bedarf es bei der Aufhebung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Vereinbarkeit einer Norm mit dem Unionsrecht nicht (vgl. BFH vom 31. März 2016, XI B 13/16, BFH/NV 2016, 1187; Stapperfend in Gräber, § 69 FGO Rn. 190).
81In der Vergangenheit hat der BFH darüber hinaus bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer einen Verwaltungsakt tragenden Norm im Hinblick auf die Aussetzung von der Vollziehung ein besonderes Aussetzungsinteresse verlangt, um schwerwiegende Nachteile für den Staat zu vermeiden. Bei der Abwägung soll es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkung einer Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung ankommen. Ob der BFH auch in Zukunft an dem Erfordernis der Interessenabwägung bei verfassungsrechtlichen Zweifeln festhalten wird, ist fraglich. Mehrere Senate des BFH haben sich bereits kritisch zu der Interessenabwägung geäußert (vgl. zum gesamten Streitstand FG Münster, Beschluss vom 29. Oktober 2024, 3 V 1270/24 Ew,F, juris). In der Literatur wird die Notwendigkeit eines besonderen Aussetzungsinteresses kritisiert. Es könne vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG nicht richtig sein, dass vorläufiger Rechtsschutz bei vom zuständigen Gericht angenommenen ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des im konkreten Fall einschlägigen Gesetzes nur in Ausnahmefällen gewährt werde. Durch die Verplanung bzw. Verausgabung (möglicherweise) verfassungswidriger Steuern eintretende Risiken für die öffentliche Haushaltswirtschaft würden in diesen Fällen durch Gewährung der Vollziehungsaussetzung geradezu vermieden. Im Übrigen entspreche die Gewährung der Aussetzung dem Gebot der Beachtung der verfassungsmäßigen Ordnung durch den Staat. Es könne nicht richtig sein, dass ein Haushaltsvorbehalt jeden legislativen Verfassungsverstoß rechtfertige, sofern er nur eine genügende finanzielle Breitenwirkung habe (vgl. Stapperfend in Gräber, § 69 FGO Rn. 190).
82Im Streitfall führt eine Abwägung auch der besonderen Interessen des Staates an einer geordneten Haushaltsführung jedenfalls nicht dazu, dass die Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Streitfall trotz Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu unterbleiben hätte. Die Antragstellerin weist insoweit zu Recht darauf hin, dass der streitgegenständliche Energiekrisenbeitrag nur für einen von vornherein abgrenzbaren Zeitraum von einer offenkundig sehr überschaubaren Anzahl von Verpflichteten geschuldet wird. Dass die in diesem Zusammenhang beigetriebenen bzw. beizutreibenden Abgaben einen signifikanten Anteil an den Gesamtsteuereinnahmen des Staates ausmachen, hat der Antragsgegner lediglich unsubstantiiert behauptet und ist angesichts der fehlenden Breitenwirkung des Energiekrisenbeitrags nicht offensichtlich erkennbar. Es ist offenkundig, dass der in der Hauptsache streitige Betrag von ca. ... EUR für die Antragstellerin eine erhebliche finanzielle Bedeutung hat, während der entsprechende Betrag – auch unter Berücksichtigung weiterer Abgabeverpflichteter – für den öffentlichen Haushalt keine überragende Bedeutung hat. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes summierten sich im Jahr 2023 die Steuereinnahmen sämtlicher Gebietskörperschaften auf ca. 916 Milliarden EUR. Auf den Bund entfielen hiervon ca. 356 Milliarden EUR (https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Steuereinnahmen/steuereinnahmen.html). Demgegenüber wurden die Steuermehreinnahmen aus dem EU‑Energiekrisenbeitrag für die Jahre 2022 und 2023 von der Bundesregierung auf „insgesamt ein bis drei Milliarden EUR geschätzt“ (https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/eu-energiekrisenbeitrag-2145638; vgl. auch BT-Drucks. 20 4729, S. 119).
83d. Eine Sicherheitsleistung ist im Streitfall nicht geboten.
84Die Aufhebung der Vollziehung kann gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1, 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Eine Sicherheitsleistung ist nur dann geboten, wenn nach summarischer Prüfung die Realisierung des streitigen Steueranspruchs gerade durch die Aufhebung der Vollziehung gefährdet oder ernstlich erschwert wird. Dies kann der Fall sein, wenn die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen die Steuerforderung als gefährdet erscheinen lässt. Sind keine konkreten Anhaltspunkte für eine Gefährdung oder Erschwerung der Vollstreckung vorhanden, ist die Vollziehung des Verwaltungsaktes regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen bzw. aufzuheben. Es ist Sache der Finanzbehörde, die für die Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vorzutragen und glaubhaft zu machen (vgl. Stapperfend in Gräber, § 69 FGO Rn. 233 ff.).
85Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Festsetzung einer Sicherheitsleistung nicht vor. Die finanzielle Situation der Antragstellerin hat es in der Vergangenheit bereits erlaubt, die in der Hauptsache streitigen Steuerforderungen vollständig zu begleichen. Aus dem Gesamtvortrag der Beteiligten ist nicht ersichtlich, dass nach einer Aufhebung der Vollziehung in Zukunft bei einem endgültigen Unterliegen der Antragstellerin in der Hauptsache eine erneute Begleichung der Steuerforderungen nicht mehr möglich wäre. …. Das gesamte Vorbringen der Antragstellerin zur finanziellen Bedeutung des geleisteten Energiekrisenbeitrags versteht das Gericht dahingehend, dass die im Streit stehenden finanziellen Mittel für die betriebliche Fortentwicklung des Geschäftsmodells benötigt würden. ….
862. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
873. Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.