Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Kläger begehren die Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2015.
3Die Kläger reichten am 05. Januar 2017 eine Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 2015 zur unbeschränkten Steuerpflicht ein. Mit Bescheid vom 27. April 2017 lehnte der Beklagte die Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht ab. Er begründete die Entscheidung damit, dass mangels Vorliegens eines inländischen Wohnsitzes weder die Voraussetzungen zur unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG vorlägen, noch eine unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG in Betracht komme. Eine Veranlagung zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG scheitere endlich an der nicht vorgelegten Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde am Wohnsitzort (Bescheinigung EU/EWR) bzw. der deutschen Auslandsvertretung. Gegen den Bescheid über die Ablehnung der Veranlagung vom 27. April 2017 legten die Kläger verspätet Einspruch ein. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lehnte der Beklagte ab und verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 29. August 2017 als unzulässig. Die Entscheidung wurde bestandskräftig.
4Mit Datum vom 16. Juni 2017 setzte der Beklagte eine Nachforderung zur Lohnsteuer 2015 gegen den Kläger fest; dagegen führte dieser ein Verfahren vor dem Finanzgericht Köln, Az. 1 K 2387/17. Hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und der dem hierzu ergangenen Urteil vom 21. März 2019 zugrundeliegenden Rechtserwägungen wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe desselben verwiesen. Der erkennende Senat führte u.a. aus:
5„Der Kläger ist in Deutschland nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Er hatte im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt und war daher nicht nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Da der Kläger dauerhaft in Brasilien ansässig war und da es ein - möglicherweise andere Regelungen treffendes - Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Brasilien und Deutschland nicht gibt, ist er in Brasilien unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (vgl. Klotzek u.a., Besteuerung von Mitarbeiterentsendungen nach Brasilien, PIStB Praxis Internationale Steuerberatung 2011, 247, abzurufen über https://www.iww.de/pistb/archiv/2011/9). Wegen der unbeschränkten Steuerpflicht in Brasilien scheidet auch eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG aus (§ 1 Abs. 2 Satz 2 EStG). Eine unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG kommt schon aufgrund der fehlenden Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde nach § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG nicht in Betracht.
6[...] Der Kläger unterliegt mit seinen inländischen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (vom Bundesverwaltungsamt gezahlter Arbeitslohn für die Auslandstätigkeit) gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 b) EStG in den Streitjahren der beschränkten Einkommensteuerpflicht.“
7Die gegen dieses Urteil erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 10. Oktober 2019 (Az. VI B 50/19) als unzulässig verworfen.
8Unterdessen veranlagte der Beklagte die Kläger im Rahmen der Einkommensteuer 2015 sodann getrennt als beschränkt Steuerpflichtige. Gegen die Bescheide vom 18. Oktober 2018 legten die Kläger gemeinsam am 23. Oktober 2018 Einspruch ein und beantragten die Zusammenveranlagung. Die Einsprüche wurden ruhend gestellt, um den Ausgang des o.g. finanzgerichtlichen Verfahrens (Az. 1 K 2387/17) abzuwarten. Mit Schreiben vom 04. Februar 2020 erörterte der Beklagte das Ergebnis des Klageverfahrens und führte aus, das Gericht habe festgestellt, dass die Lohnsteuernachforderung rechtmäßig gewesen sei und der Ablehnungsbescheid vom 27. April 2017 lediglich die Ablehnung des Antrags auf Veranlagung nach der unbeschränkten Steuerpflicht betroffen habe. Ein solcher stünde einer Veranlagung zur beschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG aber gerade nicht entgegen.
9Gegenstand dieses Einspruchsverfahrens war außerdem der Ort der Ausübung der selbständigen Tätigkeit der Klägerin als … und die Höhe der Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung.
10Am 19. Mai 2020 (Kläger) bzw. 20. Mai 2020 (Klägerin) erließ der Beklagte sodann ablehnende Einspruchsentscheidungen. Daraufhin stellten die Kläger einen Änderungsantrag gem. § 172 Abs. 1 Satz 2 AO, den der Beklagte wiederum mit Bescheid vom 30. Juni 2020 abgelehnte.
11Dem hier streitigen Verfahren liegt der mit Schreiben vom 05. November 2020 erneut gestellte Antrag der Kläger auf Veranlagung zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht für das Jahr 2015 zugrunde. Dem Antrag war eine Ersatzbescheinigung des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Z (Brasilien) vom 20. Juni 2016 sowie der Vordruck EU/EWR beigefügt. Der Vordruck enthielt - über die Unterschriften der Kläger hinaus – keine Eintragungen.
12Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom 09. November 2020 ab. Zur Begründung führte er aus, dass ein Antrag auf unbeschränkte Steuerpflicht bereits in 2017 gestellt und bestandskräftig abgelehnt worden sei (Bescheid vom 27. April 2017; Einspruchsentscheidung vom 29. August 2017), ein neuer Antrag sei somit nicht möglich.
13Hiergegen legten die Kläger mit Schreiben vom 17. November 2020 Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 01. Juli 2021 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Hierzu führte er aus, nach einem bestandskräftigen Ablehnungsbescheid könne nicht erneut die Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht beantragt werden. Im Besonderen könne die Bestandskraft der Entscheidung nicht dadurch umgangen werden, dass jederzeit zu dem Begehren ein neuer, aber gleichlautender Antrag gestellt werden könne. Nachdem die Ablehnung der Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht in Bestandskraft erwachsen sei, bedürfe es zur Änderung des Regelungsgehalts einer einschlägigen Korrekturnorm. Eine solche läge aber nicht vor. Der Beklagte habe nicht nur die Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht abgelehnt, sondern daraufhin auch die Veranlagung zur beschränkten Steuerpflicht mit Bescheiden vom 18. Oktober 2018 durchgeführt. Die nämlichen Veranlagungen zur beschränkten Steuerpflicht seien ebenfalls bestandskräftig. Die Einsprüche vom 23. Oktober 2018 seien durch die Einspruchsentscheidungen vom 19. Mai 2020 (Kläger) und 20. Mai 2020 (Klägerin) abgewiesen worden. Hiergegen sei auch kein weiteres Rechtsmittel eingelegt worden. Weder die Abgabenordnung noch § 1 Abs. 3 EStG eröffneten in diesem Fall eine Änderungsmöglichkeit.
14Die Kläger haben am 04. August 2021 die vorliegende Klage erhoben.
15Sie verweisen zur Begründung vollumfänglich auf das finanzgerichtliche Verfahren mit dem Az. 1 K 2387/17 und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 01. Juli 2021. Der Grund dieser Entscheidung sei das Urteil zum benannten Verfahren. Die Ablehnung des Antrags auf unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG beziehe sich stets nur auf den jeweils gestellten Antrag und stelle keine generelle Ablehnung dar, daher könne jederzeit innerhalb der Festsetzungsfrist ein neuer Antrag gestellt werden.
16Die Kläger haben keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.
17Sinngemäß beantragen sie,
18unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide des Beklagten vom 09. November 2020 und vom 27. April 2017 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen den Beklagten zu verpflichten, unter Änderung der Einkommensteuerbescheide vom 18. Oktober 2008 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 19. und 20. Mai 2020 sie als fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtige zur Einkommensteuer 2015 zu veranlagen.
19Der Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Er verweist zur Begründung auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung.
22Mit Schreiben vom 12. Juli 2024 regten die Kläger an, das Verfahren an einen anderen Senat abzugeben, mit weiterem Schreiben vom 16. Juli 2024 schlugen sie sodann die Übertragung auf den Einzelrichter vor. Der Beklagte hat sich im Schriftsatz vom 17. Juli 2024 gegen eine Übertragung auf den Einzelrichter ausgesprochen.
23In der mündlichen Verhandlung sind weder die Kläger noch ihr Prozessbevollmächtigter erschienen. Es wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2024 und den Vermerk des Vorsitzenden vom 17. Juli 2024, ausweislich dessen der Prozessbevollmächtigte der Kläger telefonisch angekündigt hatte, in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2024 nicht erscheinen zu wollen.
24Die Gerichtsakte zum Az. 1 K 2387/17 (Beiakte) wurde beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Beiakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Steuerakten) Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe
26I. Die Kläger haben weder im schriftlichen Vorverfahren noch in der mündlichen Verhandlung Anträge formuliert. Ihr Klagebegehren ist daher anhand des schriftsätzlichen Vortrags und der eingereichten Dokumente auszulegen.
27Der Senat versteht das Vorbringen der Kläger entsprechend ihrem Antrag vom 05. November 2020 dahin, dass sie im Ergebnis die Veranlagung zur Einkommensteuer 2015 nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt Steuerpflichtige begehren. Dies entspricht ihren wiederholten Anträgen. Zur Erreichung dieses Klageziels bedarf es neben der Aufhebung der Ablehnungsbescheide des Beklagten vom 9. November 2020 und vom 27. April 2017 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen zusätzlich der Änderung der bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheide vom 18. Oktober 2018 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen. Entsprechend war der sinngemäß gestellte Antrag der Kläger laut Tatbestand zu formulieren.
28II. Die Klage der Klägerin ist zulässig aber unbegründet (dazu folgend zu 1.)
29Die Klage des Klägers ist bereits unzulässig und im Übrigen auch unbegründet (dazu folgend zu 2.).
301. Die Klage der Klägerin ist unbegründet.
31Sie hat keinen Anspruch auf die Durchführung einer Veranlagung zur (fiktiven) unbeschränkten Steuerpflicht im Rahmen der Einkommensteuer 2015 unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 09. November 2020 und 27. April 2017 und Änderung des Steuerbescheids vom 18. Oktober 2018 (§ 100 Abs. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
32Der hierauf gerichtete Antrag wurde zurecht von dem Beklagten abgelehnt. Dem vorgebrachten Antragsbegehren steht die (formelle und materielle) Bestandskraft des vorherigen Ablehnungsbescheids vom 27. April 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. August 2017 des Beklagten entgegen (dazu folgend unter a.). Im Übrigen steht dem Begehren die formelle Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids vom 18. Oktober 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2020 entgegen (dazu folgend unter b.). Eine Durchbrechung der Bestandskraft kommt mangels vorliegender Korrekturvorschriften nicht in Betracht (dazu folgend unter c.).
33a. Nach dem Eintritt der formellen und materiellen Bestandskraft des Ablehnungsbescheids zur Veranlagung im Rahmen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht konnten die Kläger das Wahlrecht aus § 1 Abs. 3 des im Streitjahr geltenden Einkommensteuergesetzes – EStG – nicht in einem weiteren Antrag erneut geltend machen.
34Die Ablehnung des Antrags auf Veranlagung gilt nach § 155 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordung – AO – als Steuerfestsetzung. Das trifft nach Auffassung des erkennenden Senats auch auf die Ablehnung des Antrags auf Veranlagung im Rahmen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 3 EStG zu. Denn in der Ablehnung des Antrags auf Veranlagung zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG liegt eine (negative) Entscheidung über die Steuerfestsetzung:
35Stellt der Steuerpflichtige einen Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG, wird bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Veranlagung (zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht) durchgeführt (§ 46 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b oder Nr. 8 EStG). Liegen die Voraussetzungen dementgegen nicht vor, wird keine Veranlagung (zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht) durchgeführt. Die Ablehnung dieser besonderen Veranlagungsform nach § 1 Abs. 3 EStG hat auch nicht automatisch eine Veranlagung zur beschränkten Steuerpflicht zur Folge. Für nach § 1 Abs. 4 EStG beschränkt Steuerpflichtige ist eine Veranlagung zur Einkommensteuer nämlich nur unter bestimmten Umständen durchzuführen. Die Durchführung der Veranlagung zur beschränkten Steuerpflicht erfordert mithin eine eigenständige Verwaltungsentscheidung, sie ist der Ablehnung der Veranlagung zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nicht immanent. Deswegen wirkt die Ablehnung eines Antrags gemäß § 1 Abs. 3 EStG im Ergebnis wie eine Ablehnung des Antrags auf Veranlagung i.S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO.
36Die Kläger hatten bereits am 05. Januar 2017 mit der Einreichung der Einkommensteuererklärung 2017 einen Antrag gem. § 1 Abs. 3 EStG auf Veranlagung zur fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht für den Zeitraum 2015 gestellt. Über diesen Antrag hat der Beklagte auch bestandskräftig entschieden. Denn die Klägerin hatte den Bescheid vom 27. April 2017 zwar mittels Einspruch angefochten. Gegen die daraufhin ergangene Einspruchsentscheidung vom 29. August 2017 haben die Kläger jedoch keine Klage erhoben. Der Ablehnungsbescheid ist damit in Bestandskraft erwachsen.
37Die eingetretene Bestandskraft steht einer erneuten Ausübung des Wahlrechts aus § 1 Abs. 3 EStG entgegen. Der Zweck der Bestandskraft würde ad absurdum geführt, wäre es dem Steuerpflichtigen dennoch möglich, Anträge wiederholend zur Entscheidung durch die Finanzbehörde zu stellen. Des Weiteren bestünde in diesem Fall die Gefahr widersprüchlicher, aber rechtskräftiger Entscheidungen. Insofern wäre eine unbeschränkte Wiederholbarkeit des Antrags nach § 1 Abs. 3 EStG mit dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit unvereinbar.
38Der Senat sieht sich mit dieser Auffassung im Einklang mit der Entscheidung des BFH im Beschluss vom 30.04.2019 (V B 43/17, BFH/NV 2019, 847). Auch in dem dort entschiedenen Fall stand eine bestandskräftige Ablehnung eines Antrags auf Vorsteuervergütung einem erneuten nämlichen Antrag entgegen. Die in der Entscheidung zum Ausdruck kommenden Erwägungen sind im Kern auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn wie in dem Urteilsfall des BFH beschränkt sich auch hier der Regelungsinhalt der Antragsablehnung nicht lediglich auf eine Verweigerung bzw. Nichtdurchführung des begehrten Verwaltungshandelns. Vielmehr hat der Beklagte den Antrag auf Veranlagung nach der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht durch Bescheid nach § 155 Abs. 1 Satz 3 AO (s.o.) abgelehnt. Dieser Bescheid erwächst in formelle und materielle Bestandskraft.
39b. Dem Antragsbegehren vom 05. November 2020 steht zusätzlich die bestandskräftige Veranlagung zur Einkommensteuer 2015 im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht gem. §§ 1 Abs. 4 i.V.m. 49 ff. EStG entgegen.
40Das nach § 1 Abs. 3 EStG eingeräumte Wahlrecht kann zeitlich nur bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids ausgeübt werden (vgl. Stöber in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, EStG, § 1, Rn. 301; Rauch in Brandis/Heuermann, EStG, § 1, Rn. 261; Tiede in Hermann/Heuer/Raupach, EStG, § 1, Rn. 255 mit Verweis auf BFH, Urteile v. 19.10.2010 - I R 109/09 BStBl. II 2011, 443; v. 13.08.1997 – I R 65/95, BStBl. II 1998, 21). Sowohl die Antragstellung als auch der Widerruf des Antrags können grundsätzlich auch noch nach Erlass eines Einkommensteuerbescheids erfolgen; dies jedoch nur so lange der Bescheid nicht formell bestandskräftig geworden ist oder er gem. § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht (vgl. Stöber in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, EStG, § 1, Rn. 301; Rauch in Brandis/Heuermann, EStG, § 1, Rn. 261; Tiede in Hermann/Heuer/Raupach, EStG, § 1, Rn. 255). Ist bereits ein Einkommensteuerbescheid ergangen, muss der Steuerpflichtige den Antrag innerhalb der einmonatigen Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 AO stellen. Auch im finanzgerichtlichen Verfahren kann die Antragstellung grundsätzlich noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung der ersten Instanz nachgeholt werden (BFH, Urteil v. 19.10.2010 – I R 109/09, BStBl. II 2011, 443). Nach Eintritt der formellen Bestandskraft eines nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheids ist die Stellung des Antrags aber unbeachtlich.
41Im vorliegenden Fall war zum Zeitpunkt der erneuten Antragstellung am 5. November 2020 die Einkommensteuerfestsetzung 2015 bereits in formelle Bestandskraft erwachsen. Denn die Festsetzung der Einkommensteuer 2015 war hier bereits durch Bescheid vom 18. Oktober 2018 erfolgt. Zwar wurde auch dieser Bescheid mittels eines Einspruchs angefochten, auf die Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2020 hin wurde jedoch wiederum keine Klage erhoben. Insoweit ist die Einkommensteuerveranlagung 2015 in Bestandskraft erwachsen.
42c. Ausgehend von den obigen Ausführungen ist ein Klageerfolg der Klägerin nur denkbar, wenn eine Durchbrechung der Bestandskraft in Betracht käme. Das setzte das Vorliegen der Voraussetzungen einer Änderungsnorm voraus (BFH, Urteil v. 20.04.2023 – III R 25/22, DB 2023, 1581). Das ist hier indes nicht der Fall:
43aa. Der Einkommensteuerbescheid 2015 vom 18. Oktober 2018 stand nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Deswegen kommt eine Änderung gemäß § 164 AO nicht in Betracht.
44bb. Der Bescheid kann auch nicht gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werden. Eine Änderung nach dieser Vorschrift kommt in Betracht, wenn und soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Unter Ereignis ist dabei jede Begebenheit zu verstehen, die den Sachverhalt oder einen Teil des Sachverhaltes ausfüllt, der den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, d.h. alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge (BFH, Urteil v. 06.03.2003 - XI R 13/02, BStBl. II 2003, 554).
45(1) Ein Antrag, der selbst Merkmal des gesetzlichen Tatbestands ist und insofern unmittelbar rechtsgestaltend einwirkt, kann grundsätzlich ein Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sein (von Wedelstädt in Gosch, AO, § 175 Rn. 50). Kein Ereignis in diesem Sinne ist hingegen ein nachträglich erstmals ausgeübtes oder geändertes Wahlrecht, das aus verfahrensrechtlichen Gründen Voraussetzung für eine von mehreren steuerlichen Folgen für einen bestimmten Tatbestand ist (BFH, Urteile v. 20.04.2023 - III R 25/22, BStBl. II 2023, 823; v. 27.10.2015 - X R 44/13, BStBl. II 2016, 278; v. 17.09.2008 - IX R 72/06, BStBl. II 2009, 639). Die Wiederholung des Antrags nach § 1 Abs. 3 EStG stellt daher kein rückwirkendes Ereignis dar.
46(2) Eine Korrektur kann auch nicht auf die erstmalige Vorlage der mit dem Antrag vom 05. November 2020 eingereichten Ersatzbescheinigung des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt werden.
47Auf die gegenständliche Bescheinigung gem. § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG könnte § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zwar grundsätzlich Anwendung finden. Denn bei der Bescheinigung nach § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG handelt es sich nicht um ein Beweismittel, sondern um einen sog. konstitutiven Verwaltungsakt (vgl. FG Niedersachsen, Urteil v. 28.02.2007 – 2 K 381/05). Die Bescheinigung dient damit nicht lediglich als Beweismittel, sondern stellt höchst selbst eine materielle Voraussetzung der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG dar (BFH, Urteil v. 08.09.2010 - I R 80/09, BStBl. II 2011, 447). Einer Berücksichtigung als rückwirkendes Ereignis steht aber der eindeutige Wortlaut des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO entgegen. Danach gilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung explizit nicht als rückwirkendes Ereignis. Eine Differenzierung der Rechtsfolge nach der Wirkung einer Bescheinigung (Nachweis oder konstitutiver Verwaltungsakt) ist dem eindeutigen Wortlaut und auch der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen.
48(3) Unabhängig davon kommt keine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in Betracht, weil die Bescheinigung des Generalkonsulats in der vorgelegten Form jedenfalls keine steuerliche Wirkung für die Vergangenheit entfaltet. Denn sie genügt nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG.
49Danach ist Voraussetzung für die Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht, dass die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird. Hinreichend sind dabei amtliche, ausländische Dokumente und Ersatzbescheinigungen, aus denen die Höhe der im Ausland steuerpflichtigen Einkünfte hervorgeht. Die hier vorliegende Ersatzbescheinigung des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland, Z (Brasilien), trifft in diesem Fall aber selbst in der Zusammenschau mit dem gleichsam eingereichten amtlichen Vordruck EU/EWR keine Aussagen über die Höhe der ausländischen Einkünfte. Denn sie enthält über die Namen der Kläger und deren Unterschriften hinaus keinerlei Eintragungen.
50Die Bescheinigung dient der Information der deutschen Steuerbehörden, in welcher Höhe der Steuerpflichtige Einkünfte im Ausland erzielt hat. Diese Maßgabe ist erforderlich, damit vonseiten der inländischen Steuerbehörde ermittelt werden kann, ob die Einkünfte des Antragstellers gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG mindestens zu 90% der deutschen Einkommensteuer unterlegen haben. Dazu ist es aber wesentlich, dass die Höhe der ausländischen Einkünfte aus der Bescheinigung hervorgeht.
51Zum Nachweis müssen nicht notwendigerweise die inländischen amtlichen Vordrucke verwendet werden; Schreiben oder Bestätigungen einer ausländischen Finanzbehörde können ausreichen, wenn sich aus diesen die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte ergibt (BFH, Urteil v. 08.09.2010 - I R 80/09, BStBl. II 2011, 447). Ausweislicher Zweck der Bescheinigung ist nach der Gesetzesbegründung, die Inanspruchnahme ungerechtfertigter Steuervorteile zu verhindern und die Anwendung der Regelung durch die Finanzverwaltung zu erleichtern (BT-Drs. 13/1558, S. 408). Die Ersatzbescheinigung gibt im vorliegenden Fall aber keinerlei Auskunft über die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte. Ihrem Wortlaut nach erklärt das Generalkonsulat, dass ihm nichts bekannt sei, was in Widerspruch zu den Angaben [der Kläger] stehe. Die Kläger werden dazu möglicherweise Angaben gemacht und Unterlagen der deutschen …, also des Arbeitgebers des Klägers, vorgelegt haben, welche dem hier zu beurteilenden Antrag aber nicht beigefügt waren. Entsprechend ist ein Rückschluss auf die Höhe der Einkünfte nicht möglich.
52Aus der Tatsache der mangelnden Eintragungen kann auch nicht darauf geschlossen werden, dass keine ausländischen Einkünfte vorgelegen hätten. Der Vorlage der Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde bedarf es nämlich grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige vorträgt, keine meldepflichtigen Einkünfte erzielt zu haben (sog. Nullbescheinigung; vgl. BFH, Urteil v. 08.09.2010 – I R 80/09, BStBl. II 2011, 447). Anders ist es, wenn zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der Steuerpflichtige nur im Inland Einkünfte erzielt hat (FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 17.08.2005 – 4 K 1467/01, EFG 05, 1706). Das Vorliegen und die Höhe ausländischer Einkünfte war im Streitfall jedoch durchaus streitig, wie sich weiterhin aus dem Einspruchsverfahren zu Veranlagungen im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht (Einspruch mit Datum vom 23. Oktober 2018) zu den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung sowie der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit als … ergibt. Die Kläger haben im Rahmen des Verwaltungsverfahrens widersprüchliche Angaben dazu gemacht, in welchem Staat die Klägerin Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielt hat. Ursprünglich war dazu Spanien angegeben worden, später änderten sie die Eintragung auf Z (Brasilien). Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann der unvollständigen Bescheinigung hier nach Auffassung des erkennenden Senates keine einer Nullbescheinigung entsprechende Erklärungswirkung zugesprochen werden.
53Auf Grundlage der fehlenden Eintragungen kann damit nicht auf eine konkludente Erklärung geschlossen werden, die Kläger hätten keine meldepflichtigen Einkünfte erzielt. Das ist vor dem Hintergrund der Tatbestandswirkung der Bescheinigung bereits grundsätzlich zweifelhaft. Für die Unterstellung einer solchen Erklärungswirkung wurde auch seitens der Kläger nichts vorgetragen. Insofern wäre jedenfalls die Abgabe einer sog. Nullbescheinigung – also einer Bescheinigung mit dem Ausweis der Einkünfte in Höhe von „Null“ – erforderlich gewesen.
54cc. Auch eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt vorliegend nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
55Der Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO steht im vorliegenden Fall das grobe Verschulden der Kläger am nachträglichen Bekanntwerden der Ersatzbescheinigung nach § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG entgegen.
56Grobes Verschulden umfasst Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Vorsätzlich handelt, wer seine Erklärungs- und Mitwirkungspflichten kennt und ihre Verletzung will, kennt oder billigend in Kauf nimmt. Grob fahrlässig handelt, wer die ihm nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten zuzumutende Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (vgl. BFH, Urteil v. 18.05.1988 − X R 57/82, BStBl. II 1988, 713; v. 03.02.1983 - IV R 153/80, BStBl. II 1983, 324; v. 26.08.1987 - I R 144/86, BStBl. II 1988, 109, jeweils mit Nachweisen).
57Die Kläger haben ihre steuerlichen Mitwirkungspflichten bei der Antragstellung nach § 1 Abs. 3 EStG grob fahrlässig verletzt. Denn die Kläger sind ihren steuerlichen Mitwirkungspflichten zur Vorlage der Bescheinigung nach § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG weder bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft des Ablehnungsbescheids, noch des späteren Steuerbescheids nachgekommen.
58Die Kläger haben die Ersatzbescheinigung des Generalkonsulats weder im Rahmen der Antragstellung 2017 noch für Zwecke der Veranlagung 2015 im Rahmen der jeweiligen Verwaltungsverfahren bei dem Beklagten vorgelegt. Die Vorlage der Bescheinigung ist aber, wie bereits festgestellt, konstitutives Tatbestandsmerkmal für das Wahlrecht zu fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht.
59Insoweit Steuerpflichtige das Wahlrecht des § 1 Abs. 3 EStG für ihre Veranlagung in Anspruch nehmen möchten, sind sie gleichsam verpflichtet, die erforderlichen Voraussetzungen darzulegen. Hierzu gehört im Fall von § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG die Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde. Die Erforderlichkeit der Vorlage muss den Klägern bzw. ihrem Bevollmächtigten spätestens nach Ergehen des Ablehnungsbescheids vom 27. April 2017 ersichtlich gewesen sein. Im Rahmen der Begründung des ablehnenden Verwaltungsaktes hat die Beklagte nämlich dargelegt, dass eine Veranlagung im Rahmen der begehrten unbeschränkten Steuerpflicht mangels Vorlage der Bescheinigung nicht erfolgen konnte. Spätestens im Rahmen des folgenden Einspruchsverfahrens wäre die Vorlage deshalb nachzuholen gewesen.
60Die Bescheinigung hat den Klägern auch zur Vorlage zur Verfügung gestanden. Das Ausstellungsdatum der Bescheinigung lautet auf den 20. Juni 2016. Die Bescheinigung nimmt auch Bezug auf Angaben durch die Kläger selbst, so dass davon auszugehen ist, dass sie von der Existenz der Bescheinigung gewusst haben. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Kläger entschuldbar daran gehindert gewesen sein sollen, die Bescheinigung rechtzeitig einzureichen. Es entspricht zudem der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine auf Antrag ausgestellte Bescheinigung den Inhabern auch zur Verfügung gestellt wird.
61Etwas Gegenteiliges wurde weder von den Klägern vorgetragen, noch ergeben sich hierzu anderweitige Hinweise aus dem Sachverhalt. In Anbetracht der Umstände kann beispielsweise auch ein entschuldbares Vergessen nicht unterstellt werden. Zwar beruhen Fehler, die üblicherweise durch Vergessen, bloße Nachlässigkeit oder Rechtsirrtümer auftreten, nicht auf grober Fahrlässigkeit (BFH, Urteil v. 10.02.2015 − IX R 18/14, BFH/NV 2015). Dies gilt in der Regel insbesondere für unbewusste, mechanische Fehler, die auch bei sorgfältigster Arbeit nicht zu vermeiden sind.
62Auch hier ist aber anzuführen, dass das Fehlen der Bescheinigung bereits im ursprünglichen Antragsverfahren aus dem Jahr 2017, also frühestmöglich vonseiten der Beklagten moniert wurde, sodass – im Falle eines Vergessens – - ab diesem Zeitpunkt eine Nachholung zu erwarten gewesen wäre. Auch im Rahmen des Einspruchsverfahrens zur Veranlagung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht wurde die Bescheinigung aber weder vorgelegt, noch auf besondere Hinderungsgründe hinsichtlich derselben verwiesen. Die Kläger haben sich auch nicht dazu eingelassen, weshalb die Einreichung der Bescheinigung erst mit dem hier gegenständlichen Antrag vom 05. November 2020 erfolgte, obwohl die Bescheinigung zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre alt war.
632. Die Klage des Klägers ist wegen entgegenstehender Rechtskraft unzulässig.
64Gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Für den Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ist der Begriff des Streitgegenstands in§ 110 Abs. 1 Satz 1 FGO im Sinne von „Entscheidungsgegenstand“ zu verstehen. Dies ist die Teilmenge aller mit dem angefochtenen Verwaltungsakt erfassten Besteuerungsgrundlagen, über die das Gericht entschieden hat. Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ergibt sich in erster Linie aus der Urteilsformel. Zu deren Auslegung sind erforderlichenfalls Tatbestand und Entscheidungsgründe heranzuziehen, ohne dass die Begründung eines Urteils als solche bzw. die Urteilselemente rechtskraftfähig wären (vgl. BFH, Urteil v. 19.12.2006 - VI R 63/02, BFH/NV 2007, 924, Beschlüsse v. 25.10.2012 - XI B 48/12, BFH/NV 2013, 230; v. 27.08.2014 - XI B 32/14, BFH/NV 2014, 1897, jeweils m.w.N.).
65a. Hiernach steht der Sachentscheidung das rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts Köln vom 21.03.2019, Az. 1 K 2387/17, entgegen.
66Über die Frage, ob der Kläger im Veranlagungszeitraum 2015 in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig zur Einkommensteuer zu veranlagen war, ist im Verfahren 1 K 2387/17 mit Urteil vom 21. März 2019 rechtskräftig entschieden worden. Die angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesfinanzhof wurde ebenfalls als unzulässig verworfen. Insoweit ist die formelle Rechtskraft des Urteils eingetreten.
67Die Bindungswirkung nach § 110 Abs. 1 FGO hat einen unterschiedlichen Umfang, je nachdem, über welche Art der Klage ein Sachurteil ergangen ist. Bei der Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 1. Alt. FGO) ist Streitgegenstand die Rechtsbehauptung des Klägers, der angefochtene Verwaltungsakt sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten (vgl.§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
68Der Streitgegenstand eines finanzgerichtlichen Verfahrens wird durch den Klageantrag und den Klagegrund bestimmt (Brandt in Beermann/Gosch, FGO, § 110, Rn. 96). Die Bindungswirkung eines Urteils gem. § 110 FGO umfasst dann den der Entscheidung tatsächlich zu Grunde gelegten Sachverhalt und die hierzu angestellten, die Entscheidung tragenden rechtlichen Erwägungen, wie sie sich aus den Urteilsgründen ergeben (Brandt, a. a. O., Rn. 100). Zwar erstreckt sich die Rechtskraft grundsätzlich nicht auf die Begründung eines Urteils als solche (BFH, Urteil v. 27.09.2016 - VIII R 16/14, BFH/NV 2017, 595; v. 11.02.2021 - VI R 37/18, BFH/NV 2021, 1085). Allerdings wird bei Abweisung einer Anfechtungsklage aus materiellen Gründen - wie sich aus § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO ergibt - durch das Urteil entschieden, dass der angefochtene Verwaltungsakt nicht rechtswidrig war. Die abweisende Entscheidung über eine Anfechtungsklage umfasst mithin die in den Entscheidungsgründen konkretisierte Feststellung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes und damit auch die Feststellung, dass die Voraussetzungen für seinen rechtmäßigen Erlass vorliegen (vgl. Rauda in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO, § 110, Rn. 62 mit Verweis auf: BFH, Beschluss v. 27.08.2014 – XI B 32/14, BFH/NV 2014, 1897).
69Entscheidungsgegenstand des Verfahrens zu 1 K 2387/17 war die Rechtsmäßigkeit des Nachforderungsbescheids zur Lohnsteuer für den Veranlagungszeitraum 2015. Das Urteil vom 21. März 2019 stellt dazu fest, dass der angefochtene Nachforderungsbescheid nicht rechtswidrig war und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzte. Der Urteilsspruch impliziert damit umgekehrt die Feststellung, dass der Nachforderungsbescheid rechtmäßig war.
70Der Nachforderungsbescheid zur Lohnsteuer ist auf Grundlage der § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. § 39 Abs. 7 EStG erlassen worden. Voraussetzung für die Nachforderung der Lohnsteuer ist demnach, dass nachträglich festgestellt wird, dass die Voraussetzungen einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht im Sinne des § 1 Abs. 2 oder Absatz 3 oder des § 1a EStG nicht vorgelegen haben. Denn nur in diesem Fall entfällt die abgeltende Wirkung der bisherigen Abgeltungssteuer, hier des Lohnsteuereinbehalts.
71Das Urteil des entscheidenden Senats, der Verwaltungsakt „Lohnsteuernachforderung 2015“ sei rechtmäßig, impliziert damit auch die Entscheidung darüber, dass die benannten Voraussetzungen der Nachforderung – im Besonderen nämlich die nachträgliche Feststellung, dass die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG nicht vorlagen – bestanden haben. Insoweit ist über die Natur der Steuerpflicht des Klägers für den Veranlagungszeitraum 2015 mit dem Urteil zum Az. 1 K 2387/17 bereits rechtskräftig entschieden worden. Diese Entscheidung bindet den erkennenden Senat dieses Verfahrens. Sie steht deswegen dem hier vom Kläger geltend gemachten Klagebegehren entgegen, nunmehr dennoch bei der Einkommensteuer 2015 als unbeschränkt Steuerpflichtiger behandelt zu werden.
72b. Unabhängig von den obigen Ausführungen zu II. 2. a. ist die Klage auch unbegründet. Dies ergibt sich aus den gleichen sachlichen Gründen, die bereits hinsichtlich der Klage der Klägerin dargelegt wurden. Insoweit wird auf diese Ausführungen verwiesen.
73c. Insoweit der erneute Antrag des Klägers auf Veranlagung im Rahmen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ausgelegt werden könnte, führt auch dies nicht zum Klageerfolg.
74Nach § 134 FGO i.V.m. § 580 Nr. 7 Buchst. b Zivilprozessordnung - ZPO - findet die Restitutionsklage u.a. dann statt, wenn eine Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.
75Im Rahmen des Antrags vom 05. November 2020 haben die Kläger zwar erstmals die o.g. Ersatzbescheinigung des Generalkonsulats vorgelegt. Das Fehlen ebendieser Bescheinigung hatte im vorangehenden Verwaltungsverfahren zur Versagung der Veranlagung zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht und in der Folge auch zur Klageabweisung im gerichtlichen Verfahren Az. 1 K 2387/17 geführt. Die Bescheinigung stellt auch eine Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO dar.
76Ein Antrag auf Wiederaufnahme ist nach den hier getroffenen Feststellungen jedoch bereits unzulässig, als ein Wiederaufnahmegrund durch die Kläger nicht schlüssig dargelegt worden ist.
77Der jeweilige Wiederaufnahmegrund im Sinne der §§ 579 bzw. 580 ZPO muss nach der Rechtsprechung des BFH (BFH, Beschlüsse v. 29.01.2016 - IX K 1/15, BFH/NV 2016, 586; v. 2.1.2009 - V K 1/07, BFH/NV 2009, 1125; v. 27.10.2015 - I B 27/14, BFH/NV 2016, 749) – der sich der Senat hier anschließt – entsprechend § 40 Abs. 2 FGO geltend gemacht und schlüssig dargelegt werden; andernfalls ist die Wiederaufnahmeklage unzulässig (§ 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Tatsachen, aus denen sich der Wiederaufnahmegrund ergeben soll, müssen zwar nicht schon während der Klagefrist vorgetragen werden; sie können in einem späteren Schriftsatz und grundsätzlich bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung nachgeschoben werden.
78Der Kläger hat jedoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung einen Wiederaufnahmegrund nicht schlüssig vorgetragen.
79Schlüssig ist der Vortrag, wenn die vorgebrachten Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - den behaupteten Wiederaufnahmegrund ergeben. Zur schlüssigen Darlegung gehören auch Ausführungen, dass der Wiederaufnahmekläger ohne sein Verschulden außer Stande war, den Wiederaufnahmegrund in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§§ 579 Abs. 2, 582 ZPO) und dass die Geltendmachung zu einer für ihn günstigeren Entscheidung geführt hätte.
80Der Kläger hat sich darauf beschränkt, den Antrag auf Veranlagung zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht unter erstmaliger Vorlage der Ersatzbescheinigung erneut zu stellen und im Rahmen des schriftlichen Vorverfahrens darauf hinzuweisen, dass das Urteil vom 21. März 2019 Teil seiner Beschwer sei. Ein Vortrag dazu, dass er die betreffende Urkunde – hier die Bescheinigung vom 20. Juni 2016 – verspätet, also nach Beendigung des Verfahrens aufgefunden hat, ist nicht erfolgt. Er hat auch nicht dazu vorgetragen, weshalb es ihm unmöglich gewesen wäre, die Urkunde rechtzeitig beizubringen.
81Nach § 582 ZPO ist die Restitutionsklage außerdem nur zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Einspruch oder Berufung oder mittels Anschließung an eine Berufung, geltend zu machen. Insoweit der Kläger gegen das Urteil vom 21. März 2019 Nichtzulassungsbeschwerde bei dem BFH erhoben hat, ist auch in diesem Zusammenhang kein Vortrag dazu erfolgt, weshalb die Bescheinigung nunmehr vorgelegt werden konnte.
82Die in Rede stehende Bescheinigung datiert vom 20. Juni 2016. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Kläger ohne Verschulden daran gehindert gewesen sein sollte, dieselbe bereits im vorangegangenen Verfahren geltend zu machen. Dazu hat er auch nicht vorgetragen.
83III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
84IV. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 FGO zur Klärung der Frage der Rechtskrafterstreckung bei Anfechtungsklagen zuzulassen.