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Die Gewerbesteuermessbescheide 1993 bis 1995 vom 30.9.1999 in Form der Einspruchsentscheidung vom 5.6.2001 bzw. der letzten Änderung vom 29.8.2017 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beteiligung einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft wegen deren abfärbender Wirkung zu einer Gewerbesteuerpflicht der erstgenannten Gesellschaft führt.
3Die Klägerin wurde 1989 unter der Bezeichnung „Z“ durch die Herren Y und X gegründet. Im Jahr 2006 ist sie in eine GmbH & Co KG umgewandelt worden. Laut Handelsregisterauszug des Amtsgerichts W vom 00.00.2024 firmiert sie zuletzt unter „Z1 GmbH & Co. KG“. Als persönlich haftende Gesellschafterin wird dort die Z1 GmbH, W, und als Kommanditist nur noch Herr X aufgeführt.
4Geschäftsgegenstand der Klägerin war in den Streitjahren die gemeinsame Nutzung der zwischen 1989 und 1991 zu Gesamthandseigentum erworbenen Teileigentumseinheiten im „V“, einem …zentrum in U. Der Gesamtkomplex „V“ ist nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) in 10.000 Miteigentumsanteile aufgeteilt, verbunden mit dem Sondereigentum an zahlreichen Laden-, Büro- und Wohneinheiten sowie … Tiefgaragenstellplätzen. Das Grundstück hat eine Größe von insgesamt … qm. Der Klägerin gehörten … Miteigentumsanteile, bestehend aus … Läden mit einer Nutzfläche von … qm (… ME-Anteile), … Büroeinheiten mit einer Nutzfläche von … qm (… ME-Anteile) sowie … Tiefgaragenstellplätzen (… ME-Anteile). Weitere Eigentümer waren die (gesellschafteridentische) T GmbH & Co KG (T-KG) mit … Miteigentumsanteilen, außerdem Einzelpersonen, deren Einheiten nach den Streitjahren an die T-KG veräußert wurden. Die Hausverwaltung oblag aufgrund eines Beschlusses der Eigentümerversammlung aus 00.00.00 der S AG (S), deren Gesellschafter wiederum mit den Gesellschaftern der Klägerin teilweise identisch waren. Der S oblag die Geschäftsführung und Vertretung für das Sonder- und Gemeinschaftseigentum sowie die Geschäftsführung der S GbR.
5Die im Untergeschoss des V befindlichen Tiefgaragenstellplätze wurden in den Streitjahren als öffentliches „Parkhaus V“ betrieben, die Parkplätze der unteren Ebene Dauermietern, die Plätze auf der oberen Tiefgaragenebene stundenweise Kurzzeitparkern überlassen. Die einheitliche Verwaltung erfolgte gemäß einem Beschluss der Eigentümerversammlung aus 00.00.00 durch die S. Die Stellplatzeigentümer zahlten an die S über das Wohngeld monatlich die mit dem Sondereigentum zusammenhängenden Kosten. Im Gegenzug überwies die S vierteljährlich die aus der einheitlichen Verwaltung der Tiefgarage erzielten anteiligen Erlöse und zwar nach Maßgabe der Anzahl der im jeweiligen Sondereigentum befindlichen Stellplätze. In den Streitjahren wurden der Klägerin lt. den Abrechnungen der S (vgl. Bl. 637 ff der Akte 5 K …) Erlöse von … DM in 1993, … DM in 1994 und … DM in 1995 zugewiesen. Die Klägerin behandelte diese Erlöse – ebenso wie die Einnahmen aus der Vermietung der Laden- und Büroeinheiten – als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
6Im Anschluss an eine Betriebsprüfung gelangte der Beklagte zu dem Ergebnis, dass die Vermietung von Stellplätzen an Kurzzeitparker eine gewerbliche Betätigung sei. Zudem vertrat er die Auffassung, dass die Klägerin auch eine gewerbliche Werbetätigkeit ausgeübt habe. Nach den mit den Ladenmietern abgeschlossenen Mietverträgen waren die jeweiligen Ladenmieter verpflichtet, einen festgelegten Betrag zur freien Verwendung für Gemeinschaftswerbemaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Die Durchführung von Werbeveranstaltungen sei – so die Prüferin – als gewerblich zu qualifizieren. Da die Klägerin als GbR mit der Überlassung von Parkplätzen an Kurzzeitparker und mit der Werbung für die Ladeninhaber Einkünfte aus Gewerbebetrieb erziele, gelte ihre Betätigung gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG in vollem Umfang als Gewerbebetrieb. Für die Streitjahre ermittelte die Prüferin nach Bilanzierungsgrundsätzen unter Vornahme der im Betriebsprüfungsbericht (BP-Bericht) vom 16.9.1999 erläuterter Korrekturen (u.a. Aktivierung eines in 1995 entrichteten Damnums, Korrektur der AfA wegen eines höheren Grund- und Bodenanteils) Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von … DM (1993), ./. … DM (1994) bzw. … DM (1995). Wegen der Einzelheiten wird auf Tz. 27 ff und die Anlage 3 des BP-Berichtes Bezug genommen.
7Erstmals unter dem 30.9.1999 erließ der Beklagte Bescheide für die Streitjahre 1993-1995 über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag. Diese wurden auf den BP-Bericht vom 16.9.1999 gestützt, in dem die Prüferin u.a. die Auffassung vertrat, dass die Vermietung von Stellplätzen als öffentliche Parkplätze zu gewerblichen Einkünften führe, die die Vermietungseinkünfte der Klägerin gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG infiziere.
8Im Einspruchsverfahren gegen die Gewerbesteuermessbescheide wies die Klägerin darauf hin, dass es eine selbständige GbR R gebe und das BMF-Schreiben vom 13.5.1996 zu beachten sei.
9Gegen die Zurückweisung des Einspruchs mit Einspruchsentscheidung vom 5.6.2001 wandte sich die Klägerin mit ihrer Klage vom 5.7.2001 (5 K …). Sie vertiefte darin ihre Argumentation, dass neben der Klägerin eine Eigentümergemeinschaft V bestanden habe, die die Tiefgarage bewirtschaftet habe.
10Das FG hat die Klage in seinem Teil-Urteil vom 26.10.2007 hinsichtlich des Hauptantrags, die Einkünfte der Klägerin als solche aus Vermietung und Verpachtung zu behandeln, abgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der BFH das Urteil vom 26.10.2017 mit Beschluss vom 20.11.2008 (Az. …) aufgehoben mit der Begründung, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Teil-Urteils nicht gegeben seien. Für den zweiten Rechtsgang wies der BFH darauf hin, dass die vorinstanzliche Entscheidung keine Erwägungen dazu enthalte, ob nicht die Klägerin und die anderen Mitglieder der Eigentümergemeinschaft V in mitunternehmerischer Verbundenheit die Tiefgaragenplätze vermietet hätten und somit eine separate Mitunternehmerschaft bestanden habe. Wie der BFH im Urteil vom 10.04.1997 IV R 73/94, BStBl II 1997, 569 entschieden habe, lasse sich aus der Möglichkeit, Gebrauchsregeln im Sinne des § 15 WEG zu treffen, herleiten, dass die Mitglieder einer Eigentümergemeinschaft gemeinschaftlich unternehmerisch tätig sein könnten. Es bedürfe keines Zusammenschlusses zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Hinsichtlich der Werbetätigkeit erhalte die Klägerin Gelegenheit, nachzuweisen, dass sie – wie behauptet – Geld für Werbemaßnahmen lediglich weitergeleitet habe.
11Nach Zurückweisung der Streitsache an das Finanzgericht (5. Senat) führte die Klägerin im Verfahren 5 K … aus, es habe zweifelsfrei eine Mitunternehmerschaft der Stellplatzeigentümer gegeben, die die Einkünfte aus dem Parkhaus V erzielt habe. Das Fehlen eines Gesellschaftsvertrages sei unbeachtlich. Auf die Existenz einer Nutzergemeinschaft sei bereits im Verwaltungsverfahren hingewiesen worden. Die vom Finanzamt angeführte Werbetätigkeit habe nicht sie selbst, sondern die Gemeinschaft der Mieter ausgeübt. Insoweit werde auf die übersandten Werbekostenaufstellungen und Kostenbelege verwiesen. Einzahlungen der Mieter seien von den jeweiligen Eigentümern weitergeleitet, Ausfälle von den Eigentümern übernommen worden. Die Annahme einer gewerblichen Mitunternehmerschaft „öffentliches Parkhaus“ und die Beteiligung der Klägerin an dieser Mitunternehmerschaft berechtige entgegen der Rechtsansicht des Beklagten nicht dazu, insgesamt von gewerblichen Einkünften auszugehen. Auch habe sie keine für die Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung steuerschädlichen Werbeleistungen erbracht. Die vereinnahmten Gelder seien der Werbegemeinschaft der Ladeninhaber überlassen und verbraucht worden.
12Der Beklagte schloss sich nach einem Erörterungstermin in der Streitsache 5 K … der Auffassung der Klägerin über das Bestehen separater Mitunternehmerschaften an. Zugleich vertrat er die Rechtsansicht, dass dies für die Abfärbewirkung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG unbeachtlich sei, da bereits die Beteiligung an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft zur Folge habe, dass insgesamt gewerbliche Einkünften vorlägen. Mit Schreiben vom 08.02.2010 kündigte der Beklagte den Erlass von Feststellungsbescheiden für die Parkhausgemeinschaft und die Werbegemeinschaft an.
13Im weiteren Verfahren hat der Beklagte Feststellungsbescheide für die Jahre 1993 bis 1995 gegenüber der Parkhausgemeinschaft V erlassen. Nach dem Einspruch der Klägerin gegen diese Bescheide wurde das Klageverfahren 5 K … zunächst ausgesetzt bis zur Bestandskraft der Feststellungsbescheide. Die gegen die Feststellungsbescheide erhobene Klage (12 K …) führte zu einer teilweisen Klagestattgabe. Abgewiesen wurde die Klage mit Urteil vom 14.12.2015 indes insoweit, als dass die Einkünfte für das Betreiben eines öffentlichen Parkhauses als solche aus Gewerbebetrieb zu beurteilen seien. Der Betrieb eines öffentlichen Parkhauses stelle einen typischen Gewerbebetrieb dar (vgl. BFH-Urteil vom 9.4.2003 X R 21/00, BStBl II 2003, 520). Mit den angefochtenen Feststellungsbescheiden sei der Beklagte der Einschätzung der Klägerin gefolgt, wonach eine gesonderte Mitunternehmerschaft der Stellplatzeigentümer bestanden hat. Hierüber gebe es zwischen den Beteiligten keinen Streit mehr. Das Urteil wurde rechtskräftig.
14Gegen die Bescheide betreffend die Werbegemeinschaft wandte die Klägerin ein, dass insoweit keine gewerbliche Mitunternehmerschaft bestanden habe. Diese Bescheide hat der Beklagte im anschließenden Klageverfahren (12 K …) wegen fehlender Gewinnerzielungsabsicht wieder aufgehoben.
15In Umsetzung des Urteils betreffend die Parkhausgemeinschaft hat der Beklagte unter dem 29.8.2017 gegenüber der Klägerin geänderte Feststellungsbescheide und Gewerbesteuermessbescheide für 1993-1995 erlassen.
16Mit Urteil vom 17.7.2019 hat der 5. Senat des FG Köln die Klage gegen die Gewerbesteuermessbescheide schließlich abgewiesen. Die Bescheide seien rechtmäßig ergangen. § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. EStG führe vorliegend dazu, dass die Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt habe, die der Gewerbesteuer unterlägen. Die Klägerin sei nach den rechtskräftigen Feststellungen des 12. Senats des FG Köln in seinem Urteil vom 14.12.2015, 12 K … Mitunternehmerin der gewerblich tätigen Parkhausgemeinschaft gewesen. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf das Urteil des 5. Senats verwiesen.
17Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hin hob der BFH das vorgenannte Urteil mit Beschluss vom 21.07.2020, …, auf und verwies das Verfahren betreffend Gewerbesteuermessbescheide 1993-1995 an das FG zurück. Das FG sei von den vom BFH im Urteil vom 6.6.2019, IV R 30/16, aufgestellten Grundsätzen abgewichen. Es habe zwar zutreffend angenommen, dass bei Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. EStG keine Geringfügigkeitsgrenze greife, habe aber die verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG unterlassen.
18Nach Zurückverweisung an das FG vertritt die Klägerin die Auffassung, der Bundesfinanzhof habe mit seiner geänderten Rechtsprechung die hier vorliegende Rechtsfrage eindeutig geklärt, wonach die Gesellschaft im einkommensteuerlichen Sinne gewerbliche Einkünfte erziele, die jedoch nicht der Gewerbesteuer unterliegen würden.
19Der Sachverhalt sei zwischen den Beteiligten geklärt. Das Verfahren sei entscheidungsreif, eines weiteren Ruhens des Verfahrens bedürfe es nicht.
20Die Klägerin beantragt,
21die Gewerbesteuermessbescheide 1993 bis 1995 vom 30.9.1999 in Form der Einspruchsentscheidung vom 5.6.2001 bzw. der letzten Änderung vom 29.8.2017 aufzuheben,
22hilfsweise die Revision zuzulassen.
23Der Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen,
25hilfsweise die Revision zuzulassen.
26Die Gewerbesteuermessbescheide seien rechtmäßig.
27Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliege der Gewerbesteuer jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Nach Satz 2 der Regelung sei unter Gewerbebetrieb ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG zu verstehen. Mithin würden die allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Grundsätze für das Vorliegen eines Gewerbebetriebs gelten (Franke in: Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, GewStG, 1. Aufl. 2019, § 2 Rn. 20). Diese Verweisung dokumentiere den Willen des Gesetzgebers einen Gleichlauf zwischen EStG und GewStG jedenfalls im Hinblick auf die Gewerblichkeit herzustellen.
28§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG führe in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht dazu, dass alle Einkünfte einer solchen Personengesellschaft als Einkünfte aus Gewerbebetrieb behandelt werden und habe in gewerbesteuerrechtlicher Hinsicht zur Folge, dass die von der Personengesellschaft danach insgesamt erzielten Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach Maßgabe der Bestimmungen über die Ermittlung des Gewerbeertrags – §§ 7 ff GewStG – der Gewerbesteuer unterfielen.
29Nach früherer Rechtsprechung des BFH habe auch das Halten einer Beteiligung (Mitunternehmeranteils) an einer gewerblichen (Innen-) Personengesellschaft nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG a.F. zu einer Abfärbung geführt (vgl. BFH, Urteil v. 18.04.2000 — VIII R 68/98, BStBl II 2001, 359). An dieser Rechtsauffassung habe der BFH auch weiterhin festgehalten, sofern die Obergesellschaft eigene Gewinneinkünfte, nicht jedoch für den Fall, dass die Obergesellschaft eigene Überschusseinkünfte erzielte (BFH-Urteil v. 6.10.2004 – IX R 53/01, BStBl II 2005, 383; BFH, Beschluss v. 6.11.2003 – IV ER -S- 3/03, BStBl II 2005, 376). Durch § 15 Abs. 3 Nr. 1, 2. Alternative EStG 2007, der gem. § 52 Abs. 32a EStG 2007 auch auf alle Veranlagungszeitraume vor 2006 anzuwenden sei, sei die Regelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG a.F. daraufhin durch die Anfügung des Halbsatzes „oder gewerbliche Einkünfte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 bezieht" ergänzt worden. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollte mit der Einfügung des § 15 Abs. 3 Nr. 1, 2. Alternative EStG 2007 die bis zur Rechtsprechungsänderung (BFH, Urteil v. 6.10.2004 – IX R 53/01, BStBl. II 2005, 383) geltende Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung (R 15.8 Abs. 5 Satz 4 der Einkommensteuer-Richtlinien 2005) wiederhergestellt und gesetzlich abgesichert werden, wonach eine land- und forstwirtschaftlich, freiberuflich oder vermögensverwaltend tätige Personen-gesellschaft, zu deren Gesamthandvermögen eine Beteiligung an einer gewerblich tätigen Gesellschaft gehört, in vollem Umfang gewerbliche Einkünfte beziehe (BT-Drucks. 16/2712, S. 44). Auch die Beteiligung an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft stelle eine Beteiligung an einem gewerblichen Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 1 (Satz 1) Nr. 1 EStG dar; § 15 Abs. 1 (Satz 1) Nr. 2 EStG habe insoweit nur deklaratorische Bedeutung.
30Die Ausführungen des BFH in seinem Urteil vom 6.6.2019, IV R 30/16, stellten ein obiter dictum dar. Insbesondere seien sie nicht vom Willen des Gesetzgebers getragen. Insoweit sei der Wortlaut des § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alternative EStG 2007 eindeutig und werde durch die Gesetzesbegründung gestützt (BT-Drucks. 16/2712, S. 44 f.). Nach zutreffender Auffassung des BVerfG werden der – auch verfassungskonformen – Auslegung einer Regelung durch ihren Wortlaut, ihre Entstehungsgeschichte sowie ihren Sinn und Zweck Grenzen gesetzt. Es müsse insoweit also grundsätzlich überhaupt „Raum für eine verfassungskonforme Auslegung" vorhanden sein (BVerfG, Beschluss v. 11.01.2005 – 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164 = BFH/NV 2005, Beil. 3, 260).
31Methodisch überzeuge es zudem nicht, eine für erforderlich gehaltene Beschränkung der Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alternative EStG 2007 durch eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG herbeiführen zu wollen (so aber BFH, Urteil vom 06.06.2019, IV R 30/16, BFHE 265, 157 = BFH/NV 2019, 994; kritisch Wacker in: Schmidt EStG, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn. 188). Eine Regelung des GewStG könne nicht einschränkend ausgelegt werden, um eine ansonsten – vermeintlich – verfassungswidrige Regelung des EStG verfassungskonform zu erhalten. Der Begriff des Gewerbebetriebs werde im EStG legal definiert. Das GewStG verweise ausdrücklich auf eben diesen dort definierten Begriff. Danach scheide eine bewusst abweichende Auslegung desselben Begriffs für den Bereich der Gewerbesteuer aus, da so die Einheit der Rechtsordnung durchbrochen würde. Vor allem zwischen dem EStG und dem GewStG bestehe insbesondere aufgrund der §§ 2 Abs. 1 Satz 2 und 7 Abs. 1 Satz 1 GewStG eine derart sinnhafte Beziehung, dass ein unterschiedliches Verständnis des aufeinander bezogenen Begriffs des Gewerbebetriebs nicht gerechtfertigt sei.
32Auch nach Ergehen der Entscheidung des BFH im Verfahren IV R 24/20, 5.9.2023, vermöge der Beklagte nicht, dem Klagebegehren abzuhelfen. Vielmehr werde das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf das Revisionsverfahren VIII R 1/22 beantragt.
33Mit Beschluss vom 3.8.2023 ist das Klageverfahren ruhend gestellt worden bis zum Ergehen einer die Instanz abschließenden Entscheidung des Bundesfinanzhofs in dem Verfahren IV R 24/20. Dem weiteren Ruhensantrag des Beklagten bzgl. des Verfahrens VIII R 1/22 hat die Klägerin nicht zugestimmt.
34Mit Schriftsatz vom 11.3.2024 hat der Bevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass der Kommanditist der Klägerin, Herr X, am 00.00.2023 verstorben ist. Gemäß notarieller Urkunde vom 00.00.2023 haben seine Abkömmlinge das Erbe ausgeschlagen. Der Bevollmächtigte hat keinen Antrag auf Unterbrechung nach § 246 ZPO gestellt.
35Entscheidungsgründe
36Die Klage ist begründet.
371. Die Gewerbesteuermessbescheide für 1993-1995 vom 30.9.1999 in Form der Einspruchsentscheidung vom 5.6.2001 bzw. der letzten Änderung vom 29.8.2017 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat für die Einkünfte der Klägerin zu Unrecht Gewerbesteuer festgesetzt.
38a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird, der Gewerbesteuer. Als Gewerbebetrieb definiert § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG. Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG gilt als Gewerbebetrieb in vollem Umfang die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer Personengesellschaft, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit im Sinne des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ausübt (Alternative 1) oder gewerbliche Einkünfte im Sinne des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bezieht (Alternative 2). Danach führt einkommensteuerrechtlich jede Beteiligung, aus der die Gesellschaft gewerbliche Einkünfte bezieht, zu einer Umqualifizierung aller weiteren Einkünfte dieser Gesellschaft in solche aus Gewerbebetrieb. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG ist auch ohne Berücksichtigung einer Geringfügigkeitsgrenze, bis zu deren Erreichen die gewerblichen (Beteiligungs-) Einkünfte nicht auf die übrigen Einkünfte der Gesellschaft abfärben, verfassungsgemäß (BFH, Urteil vom 6. Juni 2019, IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994).
39b) Im Streitfall stellen sich die gegenüber der Klägerin ergangenen Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 1993-1995 als rechtswidrig dar, da die Klägerin bei verfassungskonformer Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG auch dann keinen der Gewerbesteuer unterliegenden Gewerbebetrieb unterhielte, wenn sie als gewerbliches Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. EStG anzusehen wäre. Der erkennende Senat folgt insoweit dem Urteil des BFH vom 06. Juni 2019 – IV R 30/16 –, BFHE 265, 157, nach dem eine verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG dahin geboten ist, dass eine vermögensverwaltende Personengesellschaft, die lediglich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt und nur kraft der Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. EStG als Gewerbebetrieb gilt, weil sie an einer gewerblich tätigen anderen Personengesellschaft beteiligt ist, mit ihren – nach Kürzung um die gewerblichen Beteiligungseinkünfte gemäß § 9 Nr. 2 GewStG – verbleibenden originär nicht gewerblichen Einkünfte nicht der Gewerbesteuer unterliegt.
40Wie der BFH in dem vorgenannten Urteil ausführt, würde die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ohne entsprechende verfassungskonforme Auslegung dazu führen, dass infolge der Umqualifizierung sämtlicher Einkünfte der Gesellschaft in solche aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. EStG der von der Personengesellschaft insgesamt erzielte Gewinn nach Maßgabe der Bestimmung über die Ermittlung des Gewerbeertrags (§§ 7 ff. GewStG) der Gewerbesteuer unterfällt. Auf diese Weise würden auch an sich nicht gewerbliche Einkünfte mit Gewerbesteuer belastet. Darin liegt eine Ungleichbehandlung (Schlechterstellung) der Personengesellschaft gegenüber dem Einzelunternehmer, der gleichzeitig mehrere verschiedene Einkunftsarten verwirklichen kann, mit der Folge, dass bei ihm nur die originär gewerbliche Tätigkeit der Gewerbesteuer unterfällt. Für die durch die Abfärberegelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. EStG ausgelösten gewerbesteuerrechtlichen Folgen gibt es indessen – anders als im Fall des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG (vgl. dazu BVerfG-Beschluss vom 15. Januar 2008 - 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Rz 117 ff.) – keine hinreichend gewichtigen Gründe, die die erhebliche Schlechterstellung von Personengesellschaften gegenüber Einzelunternehmern rechtfertigen könnten. Hinsichtlich der zu diesem Ergebnis führenden weiteren Begründungserwägungen, denen der Senat sich anschließt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Urteil des BFH vom 06. Juni 2019, a.a.O., verwiesen (vgl. so auch FG Köln, Urteil vom 26. Juni 2020 – 4 K 3437/11, bestätigt durch BFH, Urteil vom 5. September 2023 – IV R 24/20, und entsprechend zu Einkünften aus selbständiger Tätigkeit FG Hamburg, Urteil vom 25. Februar 2021 – 3 K 139/20, Revision anhängig unter VIII R 1/22).
41c) Nach den gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 1. Oktober 2020 (BStBl I 2020, 1032) sollen die in dem Urteil des BFH vom 6. Juni 2019 (IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994), in dem über eine Anfechtungsklage gegen einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zu entscheiden war, zum Ausdruck kommenden gewerbesteuerlichen Grundsätze nicht allgemein anzuwenden sein und sind dementsprechend im Streitfall vom Beklagten auch nicht angewandt worden.
42Der Beklagte hat jedoch keine überzeugenden Argumente dafür vorgebracht, dass und warum es gerechtfertigt sein sollte, dass die Beteiligungseinkünfte, die nach § 9 Nr. 2 Satz 1 GewStG selbst nicht Teil des Gewerbeertrages sind, für sämtliche übrigen Einkünfte der Klägerin eine Gewerbesteuerbarkeit begründen sollten, obwohl diese Einkünfte ihrer Natur nach solche aus Vermietung und Verpachtung sind.
43Soweit vorgetragen wird, die vorgenommene Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG stehe im Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers (so auch Pohl, Ubg 2019, 533), ist zu beachten, dass Folge dieser Auffassung wäre, dass die Regelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG als verfassungswidrig zu beurteilen und im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle dem BVerfG vorzulegen wäre (so auch Krumm in Kirchhof, EStG, 19. Aufl. 2020, § 15 Rn. 150). Dass die gewerbesteuerliche Infektionswirkung von Beteiligungseinkünften sachlich gerechtfertigt wäre, wird, soweit ersichtlich, mit über das oben genannte Argument hinausgehenden Gründen nicht vertreten (so bereits FG Hamburg, Urteil vom 25. Februar 2021 – 3 K 139/20). In seinem Urteil vom 5.9.2023, IV R 24/20, ist der BFH den von der Finanzverwaltung vorgetragenen Einwendungen entgegengetreten. Auf die Ausführungen dort, denen sich der Senat anschließt, wird verwiesen.
442. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
45Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. § 709 der Zivilprozessordnung.
46Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Die hier allein entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG verfassungskonform einschränkend auszulegen ist, hat der BFH inzwischen mehrfach entschieden (vgl. auch BFH-Urteil vom 5.9.2023 – IV R 24/20). Zwar war Gegenstand des BFH-Urteils vom 6. Juni 2019 (IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994) nicht ein Gewerbesteuermessbescheid, sondern ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Bei den Ausführungen des BFH zur einschränkenden Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG handelt es sich entgegen der Auffassung des Beklagten aber nicht um ein sog. obiter dictum, also um bei Gelegenheit der Entscheidung gemachte Rechtsausführungen, die außerhalb des Begründungszusammenhangs stehen, sondern um entscheidungstragende Rechtssätze, weil sie nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele (vgl. zu dieser Differenzierung BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2006, 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97). Denn der BFH sah die dort entscheidungserhebliche Regelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG ohne Bagatellgrenze nur auf der Grundlage der einschränkenden Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG als verfassungsrechtlich gerechtfertigt an.