Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
1. Der Bescheid für 2018 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 24. Januar 2020 in Gestalt des Bescheids vom 7. Juni 2021 wird dahingehend geändert, dass bei der Ermittlung des Gewinns aus freiberuflicher Tätigkeit die anzusetzenden Betriebsausgaben um den Betrag von 1.903 € erhöht werden.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über den Ansatz der am 10. Januar 2018 angemeldeten Umsatzsteuervorauszahlung für November 2017 als Betriebsausgabe im Jahr 2018.
3Die Kläger werden als Eheleute beim Beklagten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Er ermittelte seinen Gewinn durch Einnahme-Überschuss-Rechnung (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Bei der Gewinnermittlung berücksichtigte er als Betriebsausgaben des Streitjahres Zinsen (106 €) und Säumniszuschläge (1.090 €) zur Umsatzsteuer 2016 sowie die Umsatzsteuervorauszahlung für den Voranmeldungszeitraum November 2017 in Höhe von 1.903,71 €, die er am 10. Januar 2018 angemeldet hatte. Für die Umsatzsteuervorauszahlungen lag dem Beklagten eine Einziehungsermächtigung vor. Die Belastung des Kontos hinsichtlich der betreffenden Umsatzsteuervorauszahlung erfolgte am 16. Januar 2018. Für das Streitjahr 2018 ermittelte der Kläger einen Gewinn in Höhe von ... €.
4Im Bescheid für 2018 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 21. November 2019, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging, kürzte der Beklagte die Betriebsausgaben um die Zinsen und Verspätungszuschläge für die Umsatzsteuer 2016 sowie um die Umsatzsteuervorauszahlung für November 2017 (1.903 €). Den Vorbehalt der Nachprüfung hob er ohne Anpassung der Besteuerungsgrundlagen mit Bescheid vom 24. Januar 2020 auf.
5Den hiergegen eingelegten und nicht näher begründeten Einspruch der Kläger, eingegangen beim Beklagten am 27. Februar 2020, wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 19. August 2020 als unbegründet zurück.
6Mit der am 24. September 2020 erhobenen Klage machen die Kläger geltend, dass der Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit wie erklärt zu berücksichtigen sei.
7Die am 10. Januar 2018 angemeldete Umsatzsteuervorauszahlung für November 2017 falle nicht in den Anwendungsbereich von § 11 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG, da diese nicht – wie von der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verlangt – innerhalb der kurzen Zeit im Sinne dieser Vorschrift fällig geworden sei. Vielmehr sei die Vorauszahlung für November 2018 gemäß der gesetzlichen Anordnung in § 18 Abs. 1 Satz 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) am 10. Dezember 2017 als zehntem Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig geworden. Hieran ändere die spätere Voranmeldung am 10. Januar 2018 nichts. Maßgeblich sei insofern die gesetzliche Fälligkeit.
8Durch den Bescheid für 2018 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 7. Juni 2021 hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid im Klageverfahren geändert und dabei die Verspätungszuschläge sowie Zinsen zur Umsatzsteuer 2016 als Betriebsausgaben berücksichtigt.
9Die Kläger beantragen,
10den Bescheid für 2018 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 24. Januar 2020 in Gestalt des Bescheids vom 7. Juni 2021 dahingehend zu ändern, dass bei der Ermittlung des Gewinns aus freiberuflicher Tätigkeit die anzusetzenden Betriebsausgaben um den Betrag von 1.903 € erhöht werden.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen und
13die Revision zuzulassen.
14Die Zahlung der Umsatzsteuervorauszahlung sei im Kalenderjahr 2017 als Betriebsausgabe zu berücksichtigen, da diese aufgrund der verspätet eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung erst am 10. Januar 2018 fällig geworden sei und im gleichen Zeitpunkt als entrichtet gelte. Damit lägen Fälligkeit und Abfluss der Zahlung innerhalb des kurzen Zeitraums im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 EStG.
15Entscheidungsgründe
16I. Der Bescheid für 2018 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 7. Juni 2021 ist gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens geworden.
17II. Die hiergegen gerichtete Klage ist begründet.
18Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
19Der Beklagte hat die am 10. Januar 2018 angemeldete und am 16. Januar 2018 eingezogene Umsatzsteuervorauszahlung für den Voranmeldungszeitraum November 2017 zu Unrecht nicht zum Betriebsausgabenabzug im Streitjahr zugelassen, obwohl diese im Jahr 2018 geleistet worden ist (1.). Die Ausnahme vom Zufluss-Abfluss-Prinzip nach § 11 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 EStG liegt nicht vor (2.).
201. Die am 10. Januar 2018 angemeldete Umsatzsteuervorauszahlung für November 2017 war im Streitjahr 2018 anzusetzen, da sie in diesem Jahr geleistet worden ist.
21a) Nach der für die Gewinnermittlung durch Einnahme-Überschuss-Rechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) maßgeblichen Vorschrift des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG sind Ausgaben für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Geleistet sind Ausgaben, wenn der Steuerpflichtige die Verfügungsgewalt über die verwendeten Mittel endgültig verloren hat (vgl. BFH, Urteil vom 14. Januar 1986 IX R 51/80, BStBl II 1986, 453).
22Dies war spätestens mit der Einziehung der Vorauszahlung am 16. Januar 2018 und damit im Streitjahr der Fall.
23b) Zu einer Verschiebung des Abflusses in das Vorjahr führt im Streitfall auch nicht die Zahlungsfiktion des § 224 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO).
24Hiernach gilt im Falle der Erteilung einer Einziehungsermächtigung die Zahlung als am Fälligkeitstermin geleistet. Unbeschadet der tatsächlichen Fälligkeit der streitbefangenen Umsatzsteuervorauszahlung (siehe hierzu 2.) setzt die Anwendbarkeit der Vorschrift jedenfalls die Anmeldung der Vorauszahlung voraus. Erst die Anmeldung – also die Mitteilung der vom Steuerpflichtigen selbst berechneten Steuerschuld – versetzt den Beklagten in die Lage, den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zu verwirklichen (vgl. § 218 Abs. 1 Satz 2 AO).
25Wenngleich der Wortlaut von § 224 Abs. 2 Nr. 3 AO für die Fiktion der Zahlung am Fälligkeitstag eine Anmeldung nicht voraussetzt, sondern lediglich eine aufgrund der Einziehungsermächtigung erfolgte (spätere) Zahlung verlangt, ergibt sich die Notwendigkeit der Anmeldung aus der Systematik des Erhebungsverfahrens und dem Zweck der Zahlungsfiktion. Voraussetzung der Erhebung einer Steuer sind deren Ermittlung (Berechnung) und Festsetzung (Titulierung). Wird – wie bei der Umsatzsteuer – kein Veranlagungsverfahren durchgeführt und kein Steuerbescheid erlassen, fehlt es an einer Erhebungsvoraussetzung. Diese schafft erst die Steueranmeldung, gegebenenfalls eine Festsetzung durch Vorauszahlungsbescheid.
26Vor diesem Hintergrund erschöpft sich der Zweck der Zahlungsfiktion des § 224 Abs. 2 Nr. 3 AO darin, dem eine Einziehungsermächtigung erteilenden Steuerpflichtigen nicht den Nachteil einer durch die Finanzbehörde zu vertretenden, späteren Inanspruchnahme der Einziehungsermächtigung aufzubürden. Diesen Vorteil können auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der sich der erkennende Senat anschließt, nur diejenigen Steuerpflichtigen für sich in Anspruch nehmen, die alle Voraussetzung für eine Einziehung geschaffen haben (vgl. BFH, Beschluss vom 8. März 2016 VIII B 58/15, BFH/NV 2016, 1008).
27Dies war im Streitfall erst mit der eingereichten Anmeldung am 10. Januar 2018 und damit im Streitjahr der Fall.
282. Der Abfluss der Zahlung wird nicht gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 EStG in das Jahr 2017 vorverlegt. Denn die streitgegenständliche Vorauszahlung ist bereits am 10. Dezember 2017 und damit nicht – wie von der Rechtsprechung verlangt – innerhalb der kurzen Frist des § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG fällig geworden.
29a) Als Ausnahme vom Zu- und Abflussprinzip gelten gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 EStG regelmäßig wiederkehrende Ausgaben, die vom Steuerpflichtigen kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, geleistet worden sind, als in diesem Kalenderjahr abgeflossen.
30Diese Ausnahme greift nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs jedoch nur dann, wenn die dem Abfluss zugrundeliegende Forderung auch innerhalb dieser kurzen Frist fällig geworden ist (vgl. ausführlich: BFH, Urteil vom 16. Februar 2022 X R 2/21, BStBl II 2022, 448, dieser Auffassung folgend: BFH, Urteile vom 13. Dezember 2022 VIII R 1/20, BFH/NV 2023, 375; vom 21. Juni 2022 VIII R 25/20, BStBl II 2023, 154). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat – trotz der hiergegen erhobenen Bedenken (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 9. Dezember 2019 3 K 2040/18 E, EFG 2020, 271; FG Sachsen, Urteil vom 22. November 2016 3 K 1092/16, EFG 2017, 1081; FG Köln, Urteil vom 24. September 2015 15 K 3676/13, EFG 2016, 230; ausführlich dazu: Wendt, DStR 2018, 2071, der die Abschaffung von § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG fordert) im Ergebnis an.
31So ergibt sich das Erfordernis des Fälligwerdens innerhalb der kurzen Zeit zwar nicht aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG, der allein auf den Abfluss der jeweiligen Ausgabe abstellt. Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter dieser Vorschrift auf das sonst geltende, der Vereinfachung der Gewinnermittlung dienende Zu- und Abflussprinzip aber verlangt der Bundesfinanzhof zutreffend eine einschränkende Auslegung der Vorschrift, um lediglich unerwünschte Zufallsergebnisse um den Jahreswechsel korrigieren zu können.
32Die Regelung in § 11 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 1 Satz 2 EStG ist im Kontext einer Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG Ausdruck einer nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bestimmenden periodengerechten Zuordnung von Betriebseinnahmen und -ausgaben, sofern es sich um solche handelt, die regelmäßig wiederkehren. Jene Betriebseinnahmen bzw. ‑ausgaben sollen dem Jahr zugeordnet werden, zu dem sie wirtschaftlich gehören, ohne dass es allerdings – wie auch bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG) – darauf ankommt, ob die Einnahmen bzw. Ausgaben auch in dem Jahr fällig geworden sind, zu dem sie wirtschaftlich gehören.
33Der Anwendungsbereich dieser Sonderregelung (vgl. zu diesem Begriff bereits BFH, Urteil vom 10.10.1957 IV 98/56 U, BStBl III 1958, 23) ist beschränkt auf solche regelmäßig wiederkehrenden Einnahmen bzw. Ausgaben, die rund um die Jahreswende zugeflossen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 EStG) bzw. geleistet worden sind (Abs. 2 Satz 2). Hierdurch sollen Zufälligkeiten vermieden werden, die bei strikter Anwendung des für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG grundsätzlich beherrschenden Zu- und Abflussprinzips entstünden, würde man die Zahlung mal in dem einen oder mal in dem anderen Jahr berücksichtigen. Nur für den im Gesetz genannten Zeitraum ist der wirtschaftlichen Zuordnung der Zahlungen Vorrang einzuräumen.
34Der Gesetzeszweck, die genannten Zufälligkeiten zu vermeiden, zwingt zu der Folgerung, dass nicht nur die Zahlung innerhalb des Zehn-Tages-Zeitraums erfolgen muss, sondern diese auch innerhalb desselben Zeitraums zahlbar, d.h. fällig ist. Denn bei typisierender Betrachtung der Gepflogenheiten des Rechts- und Geschäftsverkehrs werden Zahlungen weder klar im Voraus noch deutlich nach Ablauf des vertraglich oder gesetzlich festgelegten Zahlungsziels erbracht. Üblicherweise erfolgt die Zahlung in zeitlicher Nähe zum Fälligkeitstag. Nur in einer solchen Situation kann es von besteuerungsirrelevanten Zufälligkeiten abhängen, ob beispielsweise eine Ausgabe, die wirtschaftlich zum Jahr 01 gehört, noch als Betriebsausgabe eben jenes Jahres (Zahlung am 31.12.01) oder erst des Folgejahres (Zahlung am 01.01.02) zu behandeln wäre. Je weiter der Zahlungstermin allerdings vom Jahresende entfernt liegt, desto weniger Gefahr besteht, den Besteuerungszeitpunkt zufällig zuzuordnen.
35Würde man auf das Fälligkeitskriterium verzichten, führten Nachzahlungen für längst fällig gewordene Verpflichtungen zu einem vom Zeitpunkt der Verausgabung unabhängigen Betriebsausgabenabzug, sofern die Zahlung nur innerhalb von bis zu zehn Tagen des nachfolgenden Kalenderjahres geleistet würde. Diese Handhabung entspräche insofern bereits den Grundsätzen des Betriebsvermögensvergleichs (vgl. BFH, Urteil vom 9. Mai 1974 VI R 161/72, BStBl II 1974, 547). § 11 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 1 Satz 2 EStG erhielten einen über den Gesetzeszweck hinausgehenden Anwendungsbereich, wenn sie auch Zahlungen mit weiter entfernt liegender Fälligkeit erfassten (vgl. BFH, Urteil vom 16. Februar 2022 X R 2/21, BStBl II 2022, 448).
36b) Bei der streitgegenständlichen Umsatzsteuervorauszahlung für November 2017 handelt es sich um eine regelmäßig wiederkehrende Ausgabe (aa)). Diese ist jedoch nicht innerhalb der kurzen Zeit fällig geworden (bb)).
37aa) Umsatzsteuervorauszahlungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der sich der erkennende Senat anschließt, grundsätzlich regelmäßig wiederkehrende Ausgaben (vgl. BFH, Urteil vom 16. Februar 2022 X R 2/21, BStBl II 2022, 448). Ob dies auch dann gilt, wenn Steuerpflichtige bewusst die Voranmeldung außerhalb der Frist gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG einreichen, ist zwar aus Sicht des erkennenden Senats zweifelhaft. Denn im Hinblick auf den Ausnahmecharakter des § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG könnte die nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs erforderliche Einschränkung der Anwendbarkeit jedenfalls in der Konstellation des Streitfalls auch über dieses Tatbestandmerkmal erfolgen. Dies kann jedoch hier dahinstehen.
38bb) Denn die streitgegenständliche Umsatzsteuervoranmeldung für November 2017 ist aufgrund der umsatzsteuerrechtlichen Fälligkeitsbestimmung des § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG bereits am 10. Dezember 2017 und damit nicht innerhalb der kurzen Zeit des § 11 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 EStG fällig geworden.
39Die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis richtet sich nach den Vorschriften der Steuergesetze, § 220 Abs. 1 AO, im Streitfall nach § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG.
40Danach wird eine Umsatzsteuervorauszahlung am zehnten Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig und ist bis dahin vom Unternehmer zu entrichten. Umsatzsteuervorauszahlung im Sinne dieser Vorschrift ist nach § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG die vom Steuerpflichtigen bis zum zehnten Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums zu berechnende Steuer für den Voranmeldungszeitraum, die mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entstanden ist (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Voranmeldungszeitraum ist das Kalendervierteljahr bzw. der Kalendermonat, wenn die Umsatzsteuer im vorangegangenen Kalenderjahr mehr als 7.500 € betragen hat, § 18 Abs. 2 Satz 1 u. 2 UStG.
41Die Fälligkeitsbestimmung des § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG gilt entgegen der wohl überwiegenden Meinung in der Kommentarliteratur auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – keine Steueranmeldung eingereicht und auch kein Schätzungsbescheid erlassen wurde (so wohl auch BFH, Urteil vom 15. Juni 1999 VII R 3/97, BStBl II 2000, 46, wenngleich im dortigen Fall ein Vorauszahlungsbescheid des Finanzamts vorlag, Brandl, in Bunjes, Umsatzsteuergesetz, 22. Aufl. 2023, § 18 Rn. 26; a. A.: Alber in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO § 220 Rn. 24; Hildesheim in: Offerhaus/ Söhn/Lange, Umsatzsteuer, § 18 Rn. 92a; Schindler in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 220 AO 1977 Rn. 18.1; Stadie in: Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 18 Rn. 171; offengelassen: BFH, Urteil vom 4. Mai 2004 VII R 45/03, BStBl II 2004, 815).
42Weder der Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG noch die gesetzliche Systematik verlangen, dass die Fälligkeit einer Steuerforderung von dessen Festsetzung bzw. Anmeldung abhängt. Vielmehr spricht die gesonderte Regelung der Fälligkeit für eine Entkopplung der Fälligkeit von einer Festsetzung bzw. Anmeldung. Dementsprechend erschöpft sich der Zweck des § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG nicht allein darin, die eigentlich sofortige Fälligkeit der zwischen Ablauf des Voranmeldungszeitraums und dem zehnten Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums eingereichten Steuervoranmeldung zugunsten der Steuerpflichtigen auf den zehnten Tag hinauszuschieben. Dem widerspricht auch nicht der vom Gesetzgeber in § 18 Abs. 1 UStG vorausgesetzte Normalfall, wonach Steuerpflichtige in der Regel vor dem (gesetzlichen) Fälligkeitstermin die erforderliche Anmeldung beim Finanzamt einreichen.
43Dafür, dass es eine Fälligkeit der Steuer unabhängig von einer Festsetzung bzw. Anmeldung derselben geben kann (und muss), spricht – neben dem klaren Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG – auch die Vorschrift des § 240 Abs. 1 Satz 1 und 3 AO. Danach fällt – so Satz 1 – grundsätzlich dann, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags entrichtet wird, ein Säumniszuschlag an. Dies gilt – so Satz 3 – jedoch solange nicht, bis die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist. Würde die Fälligkeit stets erst mit der Festsetzung bzw. Anmeldung eintreten, hätte es dieser Vorschrift gerade nicht bedurft, da mangels Fälligkeit keine Säumniszuschläge entstehen könnten. Der Gesetzgeber hat durch die Schaffung des § 240 Abs. 1 Satz 3 AO deutlich gemacht, dass er erkannt hat, dass es von der Festsetzung unabhängige Fälligkeiten gibt.
44Diesem Verständnis entspricht auch das Wesen der Fälligkeit als materielle Voraussetzung des Erhebungsverfahrens. Eine Steuer entsteht vorbehaltlich einer gesetzlichen Regelung grundsätzlich mit der Verwirklichung des zeitlich betrachtet letzten Tatbestandsmerkmals eines Steuertatbestands (vgl. § 3 Abs. 1 AO). Ausgehend hiervon setzt die Durchsetzung des Steueranspruchs nach § 218 AO die Festsetzung des Anspruchs durch den bekanntzugebenden Steuerbescheid oder durch Steueranmeldung voraus. Dieses sind die formellen Vollstreckungs- bzw. Erhebungsvoraussetzungen. Neben diesen formellen Voraussetzungen bedarf die Durchsetzung eines Anspruchs aus dem Steuerverhältnis neben der Entstehung des Anspruchs auch der Fälligkeit des Anspruchs als materielle Vollstreckungsvoraussetzung, die ausdrücklich im materiellen Steuerrecht geregelt werden soll.
45Dass ein Steueranspruch angemeldet, also festgesetzt, sein kann, aber noch nicht fällig geworden sein muss, zeigt auch die Entscheidung des BFH vom 13. Dezember 2022 zur Wirkung einer Dauerfristverlängerung im Zusammenhang mit § 11 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 EStG (BFH, Urteil vom 13. Dezember 2022 VIII R 1/20, BFH/NV 2023, 375-377). In dieser Entscheidung macht der BFH deutlich, dass eine vorzeitige Anmeldung keine Vorverlegung des gesetzlich bestimmten bzw. dauerhaft verlängerten Fälligkeitstermins bewirkt. Insoweit fallen – wenn auch in einer zum Streitfall umgedrehten Konstellation – Anmeldung und Fälligkeit auseinander. Dem entspricht auch das Fälligkeitsverständnis des bürgerlichen Rechts. Aus § 286 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ergibt sich nämlich, dass die Fälligkeit nicht von der Rechnungstellung abhängt, sondern dass beide ihrerseits und unabhängig voneinander Voraussetzungen für den Verzug sind. Würde die Fälligkeit die Rechnungstellung voraussetzen, hätte der Gesetzgeber allein auf die Rechnungstellung als Verzugsvoraussetzung abstellen können.
46Würde schließlich die Fälligkeit der Umsatzsteuervorauszahlung von der Anmeldung durch den Steuerpflichtigen abhängen, wäre die gesetzliche Fälligkeitsbestimmung in § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG obsolet.
47III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1 und 137 Satz 1 FGO.
48IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
49V. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Ziffer 2 FGO zuzulassen, da die streiterhebliche Frage des Fälligkeitszeitpunktes einer Umsatzsteuervorauszahlung bei verspäteter Anmeldung durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs noch nicht geklärt ist.