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Der Umsatzsteuerbescheid für 2019 vom 17.05.2021 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17.11.2022 dahingehend geändert, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um ... € gemindert wird.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob für die im Jahr 2019 angeschaffte Photovoltaikanlage ein Vorsteuerabzug zu gewähren ist.
3Der Kläger erwarb im Streitjahr 2019 eine Photovoltaikanlage zu einem Preis von ... € zzgl. Umsatzsteuer in Höhe von ... €. Er schloss mit der Z AG einen Einspeisevertrag ab. Auf dem in diesem Zusammenhang im April 2019 ausgefüllten Kundendaten- und Inbetriebnahmeblatt Photovoltaik (vgl. Bl. 91 ff. d.A.) wurde unter Tz. 1.3 „Angaben zu der vom Anlagenbetreiber zu zahlenden Umsatzsteuer“ angekreuzt, dass die Einspeisevergütung des Klägers ohne Umsatzsteuer ausgezahlt werden solle. Dementsprechend hat die Z AG ausweislich einer vorliegenden Abrechnung vom 12.03.2020 für den Zeitraum vom 16.04.2019 bis zum 31.12.2019 (vgl. Bl. 53 f. d.A.) den vom Kläger gelieferten Strom ohne den Ansatz von Umsatzsteuern berechnet und an den Kläger eine Abschlagszahlung in Höhe von ... € (ebenfalls ohne den Ausweis von Umsatzsteuer) ausgezahlt. Aus der Abrechnung ist ferner ersichtlich, dass der Kläger in dem Zeitraum vom 16.04.2019 bis zum 31.12.2019 15.423 kWh erzeugt und hiervon 66,33 % in das Netz eingespeist hat.
4Umsatzsteuer-Voranmeldungen gab der Kläger für das Jahr 2019 nicht ab.
5Am 11.03.2021 reichte der steuerlich beratene Kläger betreffend die Photovoltaikanlage eine Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2019 ein. Hierdurch erfuhr der Beklagte erstmals von dem Sachverhalt „Photovoltaikanlage“. In der Steuererklärung machte der Kläger Umsatzsteuer aus der Rechnung über die Anschaffung der Photovoltaikanlage in Höhe von ... € als Vorsteuern geltend und erklärte einen zu 19 % steuerpflichtigen Umsatz in Höhe von ... €.
6Der Beklagte erließ am 17.05.2021 den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2019, in dem er die Vorsteuern aus der Anschaffung der Photovoltaikanlage nicht anerkannte. Dies begründete er dahingehend, dass der Kläger die Zuordnungsentscheidung zu seinem Unternehmen nicht rechtzeitig getroffen habe. Dies hätte nach Abschnitt 15.2c Abs. 16 Sätze 3-6 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) spätestens bis zum 31.07. des Folgejahres (gesetzliche Regelabgabefrist) erfolgen müssen. Fristverlängerungen für die Abgabe von Steuererklärungen hätten darauf keinen Einfluss.
7Dagegen erhob der Kläger form- und fristgerecht Einspruch. Zur Begründung trug er vor, dass für die auf die Anschaffung der Photovoltaikanlage entfallende Umsatzsteuer ein Vorsteuerabzug zu gewähren sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs könne die Zuordnungsentscheidung spätestens in einer zeitnah erstellten Umsatzsteuererklärung nach außen hin dokumentiert werden. Er habe durch die unternehmerische Nutzung der Photovoltaikanlage sowie durch den Abschluss des Einspeisevertrags ausreichende Indizien für eine unternehmerische Zuordnung geschaffen.
8Der Beklagte wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 17.11.2022 zurück. Zur Begründung führte er aus, dass ein Vorsteuerabzug für die Umsatzsteuer aus dem Erwerb der Photovoltaikanlage ausscheide. Es fehle an einer zeitnahen Entscheidung des Klägers, die Photovoltaikanlage dem Unternehmensvermögen zuzuordnen. Diese könne spätestens bis zur gesetzlichen Regelabgabefrist für Steuererklärungen (31.07. des Folgejahres, § 149 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO)) dokumentiert werden. Fristverlängerungen für die Abgabe der Steuererklärungen hätten darauf keinen Einfluss (vgl. BFH, Urteil v. 07.07.2011 – V R 42/09, BFHE 234, 519, BStBl. II 2014, 76; BFH, Urteil v. 07.07.2011 – V R 21/10, BFHE 234, 531, BStBl. II 2014, 81). In der jüngeren Rechtsprechung (BFH, Urteil v. 04.05.2022 – XI R 29/21, BFHE 276, 418) habe der Bundesfinanzhof für Recht erkannt, dass eine Zuordnung zum Unternehmensvermögen bereits dann ausreichend dokumentiert sei, wenn der Steuerpflichtige in einer im Streitjahr abgeschlossenen Einspeisevereinbarung angegeben habe, dass seine Stromlieferungen umsatzsteuerpflichtig erfolgen sollten, so dass bereits beim Erwerb der Photovoltaikanlage objektiv erkennbar die Absicht bestanden habe, diese als Unternehmer für eine wirtschaftliche Tätigkeit verwenden zu wollen.
9Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall nicht vor. Denn der Kläger habe im Einspeisevertrag nicht bereits vereinbart, den Strom umsatzsteuerpflichtig liefern zu wollen. Der bloße Abschluss des Einspeisevertrags bewirke entgegen der Auffassung des Klägers noch keine Zuordnung zum Unternehmensvermögen. Fehle es aber – wie hier – an früheren Anhaltspunkten für eine vollständige oder teilweise Zuordnung der bezogenen Leistung zum Unternehmen, müsse die Zuordnung spätestens bis zum 31.07. des Folgejahres vorgenommen werden, um einen Vorsteuerabzug zu erreichen. Vorliegend hätte die Zuordnung damit bis zum 31.07.2020 erfolgen müssen. Da die Steuererklärung aber erst am 11.03.2021 eingereicht worden sei und auch keine andere frühere Zuordnungsentscheidung erkennbar sei, müsse der Vorsteuerabzug versagt bleiben.
10Dagegen wendet sich der Kläger mit der Klage. Zu deren Begründung trägt er vor, dass spätestens mit Abgabe der Umsatzsteuererklärung eine Zuordnungsentscheidung der Photovoltaikanlage zum Unternehmensvermögen dokumentiert worden sei. Der Bundesfinanzhof habe mit dem Urteil vom 04.05.2022 (XI R 29/21, BFHE 276, 418) entschieden, dass eine Zuordnung zum Unternehmensvermögen durch eine durch Beweisanzeichen gestützte Zuordnungsentscheidung des Unternehmers zum Zeitpunkt der Anschaffung erforderlich sei. Dabei sei stets auf die Begleitumstände des Einzelfalls abzustellen, unter denen der Erwerb und die Nutzung des betreffenden Gegenstands erfolgten. Unter diesem Aspekt komme beispielsweise die bilanzielle bzw. ertragsteuerliche Behandlung des Gegenstands als weiteres Indiz für die Zuordnung in Betracht. Unstreitig erziele er – der Kläger – aus der Lieferung des Stroms an den Energieversorger Einkünfte gemäß § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Insofern sei die Photovoltaikanlage notwendiges Betriebsvermögen. Darüber hinaus stelle der Bundesfinanzhof klar, dass die Zuordnung eines gemischt genutzten Gegenstands zum Unternehmen dadurch zum Ausdruck komme, dass der Steuerpflichtige beim Erwerb des Gegenstands ganz oder teilweise als Unternehmer handele. Im Streitfall habe er – der Kläger – die Photovoltaikanlage bereits ab Erwerb als Unternehmer für eine wirtschaftliche Tätigkeit verwenden wollen. Aus der Abrechnung der Z AG vom 12.03.2020 ergebe sich, dass im Jahr 2019 nur ein Anteil von 33,67 % der insgesamt erzeugten Strommenge privat verwendet worden sei.
11Der Kläger beantragt,
12den Umsatzsteuerbescheid 2019 vom 17.05.2021 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17.11.2022 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um ... € gemindert wird und
13die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Zur Begründung nimmt er Bezug auf seine Ausführungen im außergerichtlichen Verfahren. Ergänzend trägt er vor, dass der Vorsteuerabzug ausscheide, da die Photovoltaikanlage nicht dem Unternehmensvermögen zugeordnet bzw. eine etwaige Zuordnungsentscheidung nicht rechtzeitig nach außen dokumentiert worden sei. Zunächst habe der Kläger gegenüber dem Versorgungsunternehmen keine Vereinbarung über umsatzsteuerpflichtige Stromlieferungen getroffen. Allein der Abschluss des Einspeisevertrags bewirke keine Zuordnung zum Unternehmensvermögen. Da der Kläger keine Umsatzsteuervoranmeldungen und die Umsatzsteuererklärung 2019 erst am 11.03.2021 eingereicht habe, mangele es an einer zeitnahen Dokumentation der Zuordnungsentscheidung.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe
19I. Die Klage ist begründet. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)). Der Beklagte hat zu Unrecht den Vorsteuerabzug für die Umsatzsteuer aus dem Erwerb der Photovoltaikanlage versagt.
201. Die Beteiligten sind im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger ein Zuordnungswahlrecht zusteht.
21a. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Die nach § 15 UStG abziehbaren Vorsteuerbeträge sind für den Besteuerungszeitraum abzusetzen, in den sie fallen (§ 16 Abs. 2 Satz 1 UStG).
22Dies beruht auf Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach ist der Steuerpflichtige berechtigt, die geschuldete und entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen abzuziehen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden. Gemäß Art. 167 MwStSystRL entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Dabei handelt es sich um materielle Voraussetzungen für das Entstehen des Rechts auf Vorsteuerabzug (vgl. EuGH, Urteil v. 14.10.2021 – C-45/20 und C-46/20, ECLI:EU:C:2021:852, Finanzamt N und Finanzamt G, DStR 2021, 2404). Dies ist eine Frage des Sachverhalts und muss vom zuständigen nationalen Gericht auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte und infolge einer Prüfung der Gesamtumstände des Rechtsstreits festgestellt werden (vgl. EuGH, Urteil v. 14.02.1985 – C-268/83, ECLI:EU:C:1985:74, Rompelman, Slg 1985, 655; EuGH, Urteil v. 25.07.2018 – C-140/17, ECLI:EU:C:2018:595, Gmina Ryjewo, UR 2018, 687; EuGH, Urteil v. 14.10.2021 – C-45/20 und C-46/20, ECLI:EU:C:2021:852, Finanzamt N und Finanzamt G, DStR 2021, 2404).
23Bei Bezug eines einheitlichen Gegenstands, der gemischt verwendet wird oder werden soll, steht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesfinanzhofs dem Unternehmer ein Zuordnungswahlrecht zu: Er kann den Gegenstand insgesamt seinem Unternehmen zuordnen oder in vollem Umfang in seinem Privatvermögen belassen oder den Gegenstand entsprechend dem – geschätzten – unternehmerischen Nutzungsanteil seinem Unternehmen zuordnen (vgl. EuGH, Urteil v. 11.07.1991 – C-97/90, ECLI:EU:C:1991:315, Lennartz, Slg 1991, I-3795; EuGH, Urteil v. 04.10.1995 – C-291/92, ECLI:EU:C:1995:304, Armbrecht, BStBl. II 1996, 392; EuGH, Urteil v. 08.03.2001 – C-415/98, ECLI:EU:C:2001:136, Bakcsi, UR 2001, 149; EuGH, Urteil v. 14.10.2021 – C-45/20 und C-46/20, ECLI:EU:C:2021:852, Finanzamt N und Finanzamt G, DStR 2021, 2404).
24b. Im Streitfall bestand danach, wovon die Beteiligten zutreffend ausgegangen sind, ein solches Zuordnungswahlrecht des Klägers, da er den von der Photovoltaikanlage erzeugten Strom teilweise steuerpflichtig an die Z AG geliefert und teilweise für private Zwecke verbraucht hat (vgl. BFH, Urteil v. 04.05.2022 – XI R 29/21 (XI R 7/19), BFHE 276, 418; BFH, Urteil v. 11.04.2008 – V R 10/07, BFHE 221, 456, BStBl. II 2009, 741).
252. Der Beklagte hat zu Unrecht angenommen, dass eine zeitnahe Dokumentation der Entscheidung des Klägers, die Photovoltaikanlage seinem Unternehmensvermögen zuzuordnen, nicht vorliegt.
26a. Die durch objektive Anhaltspunkte gestützte Zuordnungsentscheidung des Unternehmers ist grundsätzlich bei Anschaffung, Herstellung oder Einlage des Gegenstands zu treffen (vgl. nur BFH, Urteil v. 04.05.2022 – XI R 29/21 (XI R 7/19), BFHE 276, 418 m.w.N.). Die Beurteilung, ob eine Zuordnung erfolgt ist, hat unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten des Sachverhalts zu erfolgen, zu denen die Art der betreffenden Gegenstände und der zwischen dem Erwerb der Gegenstände und ihrer Verwendung für Zwecke der wirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen liegende Zeitraum gehören (EuGH, Urteil v. 08.03.2001 – C-415/98, ECLI:EU:C:2001:136, Bakcsi, UR 2001, 149; EuGH, Urteil v. 14.10.2021 – C-45/20 und C-46/20, ECLI:EU:C:2021:852, Finanzamt N und Finanzamt G, DStR 2021, 2404; BFH, Urteil v. 04.05.2022 – XI R 29/21 (XI R 7/19), BFHE 276, 418; BFH, Urteil v. 31.01.2002 – V R 61/96, BFHE 197, 372, BStBl. II 2003, 813). Eine entsprechende Absicht muss nicht ausdrücklich mitgeteilt werden (EuGH, Urteil v. 14.10.2021 – C-45/20 und C-46/20, ECLI:EU:C:2021:852, Finanzamt N und Finanzamt G, DStR 2021, 2404), sondern kann auch „implizit“ (konkludent) zum Ausdruck kommen (vgl. EuGH, Urteil v. 25.07.2018 – C-140/17, ECLI:EU:C:2018:595, Gmina Ryjewo, UR 2018, 687; EuGH, Urteil v. 14.10.2021 – C-45/20 und C-46/20, ECLI:EU:C:2021:852, Finanzamt N und Finanzamt G, DStR 2021, 2404). Objektiver Anhaltspunkt für eine ausdrückliche oder konkludente Zuordnung zum Unternehmen kann insbesondere die Geltendmachung oder Nichtgeltendmachung des Vorsteuerabzugs (vgl. BFH, Urteil v. 04.05.2022 – XI R 29/21 (XI R 7/19), BFHE 276, 418; BFH, Beschluss v. 18.09.2019 – XI R 7/19, BFHE 266, 472, BStBl. II 2021, 118, m.w.N.; EuGH, Urteil v. 14.10.2021 – C-45/20 und C-46/20, ECLI:EU:C:2021:852, Finanzamt N und Finanzamt G, DStR 2021, 2404) sein.
27b. Nach diesen Maßstäben, denen sich der erkennende Senat anschließt, hat der Kläger seine Entscheidung, die Photovoltaikanlage dem Unternehmensvermögen zuzuordnen, durch die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs in seiner am 11.03.2021 eingereichten Umsatzsteuererklärung hinreichend dokumentiert. Die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs ist ein gewichtiges – und nach Auffassung des Senats auch ausreichendes Indiz – für die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmensvermögen. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger keine Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht hat (vgl. BFH, Urteil v. 07.07.2011 – V R 42/09, BFHE 234, 519, BStBl. II 2014, 76 m.w.N.; EuGH, Urteil v. 14.10.2021 – X-45/20 und C-46/20, ECLI:EU:C:2021:852, Finanzamt N und Finanzamt G, DStR 2021, 2404).
28c. Die Dokumentation der Zuordnungsentscheidung des Klägers durch Geltendmachung des Vorsteuerabzugs durch die am 11.03.2021 eingereichte Umsatzsteuererklärung erfolgte nach Auffassung des Senats auch „zeitnah“. Unzutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass eine zeitnahe Dokumentation der Zuordnungsentscheidung des Klägers nur dann vorgelegen hätte, wenn diese bis zum 31.07.2020 dem Beklagten gegenüber erfolgt wäre.
29aa. Eine „zeitnahe“ Dokumentation der Zuordnungsentscheidung liegt vielmehr vor, wenn diese bis zur gesetzlichen Abgabefrist für Steuererklärungen erfolgt ist.
30So hat der Bundesfinanzhof bereits mit Urteilen vom 07.07.2011 (V R 42/09, BFHE 234, 519, BStBl. II 2014, 76) und vom 11.07.2012 (XI R 17/09, BFH/NV 2013, 266) entschieden, dass er es für zulässig erachte, auf die allgemeine Abgabefrist für Jahressteuererklärungen abzustellen. Soweit die Steuergesetze nichts anderes bestimmten, waren Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr oder einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt beziehen, spätestens fünf Monate danach abzugeben (§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO a.F.). Wollte der Unternehmer gemischt genutzte Gegenstände seinem Unternehmensvermögen zuordnen, hatte er dies somit spätestens bis zum 31.05. des Folgejahres zu dokumentieren. Darüber hinaus – so der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 07.07.2011 (V R 42/09, BFHE 234/ 519, BStBl. II 2014, 76) – hatten die für die Abgabe von Steuererklärungen gewährten Fristverlängerungen – insbesondere die für Steuerberater geltenden Fristverlängerungen – nicht zur Folge, dass auch die Frist zur Dokumentation der Zuordnungsentscheidung verlängert wurde. Diese Fristverlängerungen für Steuererklärungen waren nicht rechtssicher aus dem Gesetz ersichtlich, sondern auf der Grundlage des § 109 Abs. 1 AO in gleichlautenden Verwaltungsvorschriften der obersten Finanzbehörden der Länder erst zu Beginn des dem jeweiligen Veranlagungszeitraum folgenden Kalenderjahres geregelt.
31§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO ab der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens (StModernG) vom 18.07.2016 (BGBl. I 2016, 1679), der für die Abgabe der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2018 erstmals gilt (vgl. Art. 97 § 10a Absatz 4 Satz 1 Einführungsgesetz zur Abgabenordnung (EGAO) i. d. F. StModernG), sieht eine Abgabefrist bis zum 31.07. des Folgejahres vor. Dementsprechend sieht die Finanzverwaltung nunmehr im Einklang mit der verlängerten Regelabgabefrist für Steuererklärungen eine zeitnahe gesonderte Dokumentation der Zuordnungsentscheidung als gegeben an, wenn sie bis zur gesetzlichen Regelabgabefrist für Steuererklärungen (31.07. des Folgejahres, § 149 Abs. 2 Satz 1 AO) vorliegt, vgl. Abschnitt 15.2c Abs. 16 Satz 5 UStAE.
32Weiter sieht die für das Streitjahr geltende Gesetzesfassung für beratene Steuerpflichtige gemäß § 149 Abs. 3 Nr. 4 AO vor, dass die Umsatzsteuererklärungen für das Kalenderjahr nach § 18 Abs. 3 UStG – vorbehaltlich einer Vorweganforderung nach § 149 Abs. 4 AO – spätestens bis zum letzten Tag des Monats Februar des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres abzugeben sind. Für den Besteuerungszeitraum 2019 ist § 149 Abs. 3 AO gemäß Art. 97 § 36 Abs. 1 EGAO mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des letzten Tages des Monats Februar 2021 der 31.08.2021 tritt.
33bb. Danach hat der Kläger seine Zuordnungsentscheidung zeitnah dokumentiert. Er – als beratener Steuerpflichtiger – hat seine Umsatzsteuererklärung am 11.03.2021 und damit innerhalb der Abgabefrist des § 149 Abs. 3 Nr. 4 AO i.V.m. Art. 97 § 36 Abs. 1 EGAO (Ablauf 31.08.2021) eingereicht.
34Diese für beratene Steuerpflichtige maßgebende Abgabefrist ist nach Auffassung des erkennenden Senats auch für die Dokumentation der Zuordnungsentscheidung maßgebend (so auch Oelmaier in: Sölch/Ringleb, UStG, § 15 Rn. 285; a.A. Abschnitt 15.2c Abs. 16 UStAE).
35Diese Auffassung entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. In seiner Entscheidung vom 14.10.2021 (C-45/20 und C-46/20, ECLI:EU:C:2021:852, Finanzamt N und Finanzamt G, DStR 2021, 2404) hat dieser entschieden, dass eine Ausschlussfrist, deren Ablauf den nicht hinreichend sorgfältigen Steuerpflichtigen, der den Vorsteuerabzug nicht geltend gemacht hat, mit dem Verlust des Abzugsrechts bestraft, nicht mit der von der MwStSystRL errichteten Regelung unvereinbar ist, sofern diese Frist zum einen für die entsprechenden auf innerstaatlichem Recht beruhenden steuerlichen Rechte wie für die auf Unionsrecht beruhenden Rechte gleichermaßen gilt (Äquivalenzgrundsatz) und sie zum anderen die Ausübung des Abzugsrechts nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert (Effektivitätsgrundsatz). Zudem müssen sich die Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit solcher Mittel bedienen, die es zwar erlauben, das von der nationalen Regelung verfolgte Ziel wirksam zu erreichen, die jedoch die Grundsätze des Unionsrechts – wie das fundamentale Prinzip des Rechts auf Vorsteuerabzug – möglichst wenig beeinträchtigen.
36Der Kläger hat seine Umsatzsteuererklärung innerhalb der gesetzlichen Erklärungsfrist eingereicht und dadurch seine Zuordnungsentscheidung dokumentiert. Bei ihm handelt es sich nicht, wie es der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 14.10.2021 (C-45/20 und C-46/20, ECLI:EU:C:2021:852, Finanzamt N und Finanzamt G, DStR 2021, 2404) ausführt, um einen „nicht hinreichend sorgfältigen Steuerpflichtigen“, sondern um einen solchen, der die für ihn maßgebenden Erklärungsfristen beachtet hat. Dem widerspräche es, die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs in der Umsatzsteuererklärung als erhebliches Indiz für die Zuordnung zum Unternehmensvermögen zu werten und auf der anderen Seite die Erklärungsfrist und die Dokumentationsfrist dergestalt auseinanderfallen zu lassen, dass bei Einhaltung der steuerlichen Erklärungsfristen – vorbehaltlich fehlender anderweitiger objektiver Anhaltspunkte – ein Vorsteuerabzug aufgrund Nichteinhaltens einer gesetzlich nicht ausdrücklich normierten Zuordnungsfrist zu versagen wäre. Für diese Auffassung des Senats spricht auch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 04.05.2022 (XI R 29/21, BFHE 276, 418). Dort hat er ausgeführt, dass es keiner Entscheidung bedürfe, ob aus Gründen der Gleichbehandlung bei allen Steuerpflichtigen die Zuordnungsfrist erst zu dem in § 149 Abs. 3 AO genannten Zeitpunkt ablaufe. Dies lässt den Rückschluss zu, dass der Bundesfinanzhof – wie auch der erkennende Senat – davon ausgeht, dass jedenfalls für die steuerlich beratenen Steuerpflichtigen ein Gleichlauf von Dokumentationsfrist und gesetzlicher Steuererklärungsfrist besteht.
37Diesem Ergebnis stehen auch nicht die Ausführungen des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil vom 07.07.2011 entgegen. Anders als noch in dem von dem Bundesfinanzhof mit Urteil vom 07.07.2011 (V R 42/09, BFHE 234, 519, BStBl. II 2014, 76) entschiedenen Fall ist nunmehr die verlängerte Abgabefrist für Steuererklärungen beratener Steuerpflichtiger nicht mehr als Fristverlängerung i.S.d. § 109 Abs. 1 AO ausgestaltet, sondern als eigenständige Erklärungsfrist in § 149 Abs. 3 AO normiert und daher rechtssicher aus dem Gesetz erkennbar.
38II. Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
39III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 Satz 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).