Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21.4.2021 und der Einspruchsentscheidung vom 15.6.2021 verpflichtet, die mit Bescheid vom 10.10.2018 für den Zeitraum Januar 2014 bis einschließlich Juli 2018 fest-gesetzte Kindergeld-Rückforderung in Höhe eines Betrags von 8.328 € zu erlas-sen (10.406 € abzgl. des seitens der B mit 7 x 194 € im Jahr 2018 sowie 4 x 180 € in den Jahren 2014 bis 2017 bereits gewährten Familienleistungsausgleichs).
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob im Streitfall die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Billigkeitserlass einer Kindergeld-Rückforderung gegeben sind.
3Der Kläger ist der Vater des am ...2000 in Z geb. Kindes A und als Beamter (Volljurist, elektronische Gerichtsakte – GA – Bl. 34) bei der C in Y tätig. Im gemeinsamen Haushalt lebt auch die Kindesmutter, eine X Staatsangehörige.
4Zunächst hatte die Kindesmutter das Kindergeld für A anlässlich des Umzugs der Familie von Z nach Y beantragt. Im Mai 2006 beantragte der Kläger die Auszahlung des Kindergeldes für Angehörige des öffentlichen Dienstes (Berechtigtenwechsel). Aufgrund Bewilligungsbescheides vom 13.6.2006 erhielt der Kläger das Kindergeld ab Juni 2006 vom seinerzeit zuständigen ... - Bundesfamilienkasse gemeinsam mit seinen Beamtenbezügen ausgezahlt (Kg-Akte Bl. 8, 12). Diese wandte sich auch mit Schreiben vom 29.8.2006 an den Kläger mit der Bitte um Bestätigung (§ 68 EStG), dass A nach wie vor in seinem Haushalt lebe und sich an der Berechtigtenbestimmung nichts geändert habe (Kg-Akte Bl. 15).
5Seit Dezember 2006 ist die Kindesmutter als Mitarbeiterin bei den B im B1beschäftigt (GA G Bl. 60). Aus einem vom Kläger vorgelegten Fragebogen ergibt sich weiter, dass die Kindesmutter am 25.2.2008 gegenüber den B und auch in den Folgejahren (Kg-Akte Bl. 77 ff.) "Dependency Benefits" für den gemeinsamen Sohn geltend gemacht hat. Dies war allerdings angesichts des Kindergeldbezugs durch den Kläger nicht erfolgreich (B-Bestätigungen vom 14.8.2018, Kg-Akte Bl. 47, vom 24.9.2018, Kg-Akte Bl. 54 und vom 24.10.2018, Kg-Akte Bl. 80, GA Bl. 167), wie der Kläger mit unbestrittenen Angaben per E-Mail vom 15.12.2018 erklärt hat (Kg-Akte Bl. 71).
6Mit weiterem Schreiben des ... - Bundesfamilienkasse vom 13.10.2008 (GA G Bl. 31) wurde der Kläger über eine "Änderung bei der Kindergeldauszahlung" informiert. Nach Änderung des § 72 EStG sei auch den öffentlich-rechtlichen Familienkassen die Auszahlung des Kindergeldes unabhängig von der Zahlung der Bezüge möglich. Die Bundesfamilienkasse werde das Kindergeld daher ab Dezember 2008 mit gesonderter Überweisung zahlen, fortan also nicht mehr gemeinsam mit den Beamtenbezügen, sondern gesondert durch das ... als Familienkasse. Bei rechtzeitiger Anzeige von Veränderungen (etwa einem Haushaltswechsel) könne die Kindergeldzahlung zeitnah eingestellt und damit eine spätere Rückzahlung vermieden bzw. verringert werden. Über einen modernen Datenaustausch gewährleiste die Bundesfamilienkasse den Informationsfluss zur Dienststelle, damit dort über die an den Kindergeldanspruch gekoppelten Leistungen zeitnah entschieden werden könne.
7In der Folgezeit wurde der Kläger vom ... als Bezügestelle angeschrieben (Prüfung der Anspruchsberechtigung für die Zahlung des Familienzuschlags vom 21.05.2010) und auch vom ... als Bundesfamilienkasse (Überprüfung der Haushaltszugehörigkeit vom 4.6.2012; Rückantwort des Klägers vom 9.10.2012 mit Bestätigung der Haushaltszugehörigkeit, Kg-Akte Bl. 13, 37 ff.). Außerdem bezieht sich der Kläger auf seine der Klage im Verfahren ...K .../19 als Anl. K6 beigefügte und über die Hauspost an die Bezügestelle gereichte Erklärung vom 13.6.2010 (GA G Bl. 39), ausweislich derer er im Verfahren betreffend den Familienzuschlag bereits im Jahr 2010 gegenüber der Bezügestelle die Tätigkeit seiner Ehefrau gegenüber den B angegeben hat, und sein auf dieser Anlage dokumentiertes Telefonat mit Herrn D vom ..., in welchem erörtert wurde, warum er in dem Formular das Kreuz auf die Frage, ob es sich bei der Tätigkeit seiner Ehefrau um eine solche im öffentlichen Dienst handle, bei "Nein" gesetzt habe. Herrn D von der Bezüge-Stelle des ... habe erklärt, die Frage ggf. durch Nachfrage bei den B klären zu wollen, was nach Aktenlage dann aber nicht geschah.
8Im September 2014 zeigte der Kläger gegenüber der Familienkasse an, dass der seinerzeit 14-jährige A ein Schuljahr in X verbringen werde. A werde für die Zeit des Auslandsaufenthaltes in einem Internat (X1) leben und danach wieder in den Haushalt des Klägers zurückkehren (Kg-Akte Bl. 19, 20). Auf weitere Anfrage des ... als Bundesfamilienkasse vom 20.1.2016 (Kg-Akte Bl. 22) zeigte der Kläger mit E-Mail an die Bundesfamilienkasse Y) an, dass A wieder im elterlichen Haushalt lebe und das E-Gymnasium in Y besuche (Kg-Akte Bl. 23).
9Auf weitere Anfrage der Bezügestelle des Klägers vom 10.10.2016 (Prüfung der Anspruchsberechtigung für die Zahlung des Familienzuschlags) erklärte der Kläger mit E-Mail vom 15.11.2016 zur Person seiner ... 1959 geborenen Ehefrau erneut, dass diese als Angestellte im Beschäftigungsverhältnis bei den B in Y stehe und dort im B1 vollzeitbeschäftigt sei (GA G Bl. 42, 48). Die Frage, ob es sich bei der Tätigkeit um eine solche im öffentlichen Dienst handle, beantwortete der Kläger - entsprechend dem im Juni 2010 mit Herrn D geführten Telefonat und der insoweit nach wie vor bestehenden Unklarheit - mit "nicht bekannt" (Kg-Akte Bl. 74 R, GA G Bl. 44). Darüber hinaus wurde die Vollzeitbeschäftigung der Ehefrau im B1 unstreitig in jeder Einkommensteuererklärung angegeben.
10In der Folgezeit ging die Kindergeldzuständigkeit vom ... - Bundesfamilienkasse über auf das Bundesverwaltungsamt (BVA) - Bundesfamilienkasse als die jetzige Beklagte. Die Beklagte teilt dazu mit, dass die Bundesfamilienkasse im Dezember 2000 zunächst unter dem Dach des Bundesamtes für Finanzen (BfF) gegründet worden sei. Im Januar 2006 sei der Übergang zum ... erfolgt, wobei das vor Ort tätige Personal unverändert übernommen worden sei. Am 1.7.2017 sei die Bundesfamilienkasse dann dem BVA beigetreten, als dessen Untereinheit sie bis heute tätig sei (Beklagten-Schreiben vom 25.2.2021, Kg-Akte Erlassverfahren, Bl. 23).
11Dort beantragte der Kläger im Januar 2018 im Hinblick auf die bevorstehende Vollendung des 18. Lebensjahres von A erneut Kindergeld (Kg-Akte 27 ff.). Die Frage unter Punkt 5 der Anlage "Kind", ob für den Kläger oder eine andere Person in den letzten fünf Jahren vor Antragstellung ein Anspruch auf eine kindbezogene Geldleistung von einer Stelle außerhalb Deutschlands oder von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung bestand, wurde vom Kläger im Hinblick auf die seitens der B wiederholt erklärte Ablehnung, Zahlungen des Familienleistungsausgleichs an die Kindesmutter erbringen zu wollen, mit "nein" angekreuzt (Kg-Akte Bl. 27 ff., 30). Unter dem 29.1.2018 erging daraufhin eine bis 31.7.2018 befristete Kindergeldfestsetzung auf der Grundlage von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG.
12Mit E-Mail vom 19.7.2018 übersandte der Kläger auf Anfrage der Beklagten zum Ausbildungsende von A einen erneuten Kindergeldantrag vom 16.7.2018. Die Frage zu Punkt 5 der Anlage "Kind" war erneut mit "nein" angekreuzt (Kg-Akte Bl. 35, 40). Mit ergänzender E-Mail vom 19.7.2018 erklärte der Kläger, dass seine bei den B in Y beschäftigte Ehefrau dort grundsätzlich einen Anspruch auf Kindergeld i.H.v. 198 € habe, der jedoch nicht bestehe bzw. nicht zur Auszahlung komme, soweit er - der Kläger - das Kindergeld für A beziehe. Seine Ehefrau erhalte lediglich einen geringen Differenzbetrag mit ihrem Gehalt ausgezahlt (Kg-Akte Bl. 35, 46, 47; GA G Bl. 51).
13Unter dem 9.8.2018 bat die Beklagte unter Hinweis auf das mit der erneuten Antragstellung erfolgte Bekanntwerden des der Kindesmutter grundsätzlich zustehenden Kindergeldanspruchs darum, eine Arbeitgeberbescheinigung für die Überprüfung der Anspruchsberechtigung bei Leistungen zwischen- oder überstaatlicher Einrichtungen einzureichen, aus der hervorgehe, in welchem Zeitraum, in welcher Höhe und welche Art von Leistungen die Kindesmutter bezogen habe. Außerdem bat die Beklagte um die Mitteilung eines Ansprechpartners der Personalstelle (Kg-Akte Bl. 45). Mit E-Mail vom 27.8.2018 übermittelte der Kläger eine Arbeitgeberbescheinigung vom 14.8.2018 über die Beschäftigung der Kindesmutter nebst Bestätigung, dass diese seit dem 1.10.2010 eine monatliche Zuzahlung zum deutschen Kindergeld in Höhe von 7 € erhalte (Kg-Akte Bl. 46 ff., 54), ferner die Kontaktdaten einer Ansprechperson bei den B (Frau F, Kg-Akte Bl. 49) sowie eine Entgeltabrechnung, die für Dezember 2016 unter der Position "Dependency Allowance (child)" einen Betrag i.H.v. 199 € ausweist, für die allerdings unter der Position Abzüge ein "Gov't Assistance f Child" i.H.v. 184 € zum Abzug gebracht wurde (Kg-Akte Bl. 48 und Bl. 48 R entsprechend 180 € für das gesamte Jahr 2016).
14Mit Anhörungsschreiben vom 17.9.2018 (Kg-Akte Bl. 51) führte die Beklagte unter Hinweis auf § 65 Abs. 1 Satz 1 EStG aus, dass Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt werde, für das dem Kindergeld vergleichbare Leistungen von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährt würden, etwa "dependent child benefit" oder "dependent child allowance". In den eingereichten Unterlagen sei von den B unter dem 14.8.2018 bestätigt worden, dass die Kindesmutter grundsätzlich Anspruch auf Kindergeld habe, wenn auch seit Oktober 2010 nur monatlich 7 € "Zuzahlung" gewährt worden seien. Danach müsse die Kindergeldfestsetzung jedenfalls seit Januar 2014 bis einschließlich Juli 2018 aufgehoben und das zu Unrecht an den Kläger gezahlte Kindergeld i.H.v. 10.406 € zurückgefordert werden. Daraufhin wandte sich der Kläger mit E-Mail vom 23.9.2018 an die B und bat um Mitteilung, ob ein "Kindergeldanspruch" seiner Frau gegenüber den B für die Zukunft bzw. im Falle der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung rückwirkend für die Zeit ab Januar 2014 bestehe (Kg-Akte Bl. 55), woraufhin die erneute Bescheinigung der B vom 24.9.2018 erging (Kg-Akte Bl. 54), nach der seit Oktober 2010 monatlich nur 7 € "Zuzahlung" zum Kindergeld zur Auszahlung kämen, da die Kindesmutter ihren Arbeitgeber davon in Kenntnis gesetzt habe, dass das (deutsche) Kindergeld für den gemeinsamen Sohn A an den Kläger ausgezahlt werde. Der Kläger informierte die Beklagte mit Schreiben vom 7.10.2018 (Kg-Akte Bl. 53). Das volle Kindergeld für A ("Dependency Allowance") für die Monate ab Januar 2018 erhält nunmehr auf erneute Antragstellung bei den B die Kindesmutter von den B, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist (GA G Bl. 203 ff.; GA Bl. 15, Kg-Akte Erlassverfahren, Bl. 6 bzw. Bl. 17).
15Mit Bescheid vom 10.10.2018, streitgegenständlich in dem beim FG Köln anhängigen Verfahren ...K .../19, hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für A für die Monate Januar 2014 bis einschließlich Juli 2018 auf der Grundlage von § 70 Abs. 2 EStG auf; gleichzeitig forderte sie das nach ihrer Auffassung für diesen Zeitraum überzahlte Kindergeld i.H.v. 10.406 € zurück. Zur Begründung verwies die Beklagte auf die Anstellung der Ehefrau bei den B und den ihr zustehenden Anspruch auf "dependent child allowance", der eine dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistung gemäßA 28.3 DA-KG 2018 sei. Zur Frage der Festsetzung von Hinterziehungszinsen stellte die Beklagte per Aktenvermerk fest, dass mangels Ordnungswidrigkeit keine Hinterziehungszinsen festzusetzen seien, weil im Hinblick auf die Verrechnung durch die B keine Bereicherung beim Kläger stattgefunden habe (Kg-Akte Bl. 56, 60).
16Mit dem Einspruch machte der Kläger, der den Rückforderungsbetrag zur Vermeidung von Rechtsnachteilen zwischenzeitlich entrichtet hat (Abrechnungsbescheid vom 30.11.2018, Kg-Akte Bl. 66), geltend, dass bei rückwirkender Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Jahre 2014 bis 2017 dem ihm und seiner Frau zustehenden Familienleistungsausgleich im Nachhinein mangels Heilungsmöglichkeit für diese Jahre die Grundlage entzogen sei.
17In der Folgezeit stellten sich bei der Bearbeiterin der Beklagten Zweifel ein, ob die Rückforderung im Streitfall, der durch seinen besonderen Ausnahmecharakter geprägt sei, dem Zweck des Familienleistungsausgleichs entspreche. Daher schaltete die Beklagte mit Schreiben vom 30.1.2019 das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) ein (Kg-Akte Bl. 85), welches Ende Februar 2019 mitteilte, den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig zu halten. Das Kindergeld sei gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht für ein Kind zu zahlen, für das - bei entsprechender Antragstellung - vergleichbare Leistungen von zwischen- oder überstaatlichen Einrichtungen gewährt würden. GemäßA 28.3 Abs. 3, 3. Spiegelstrich DA-KG 2018 stelle die von der B gewährte "Dependency Allowance" eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung dar, sodass § 65 EStG einer Zahlung deutschen Kindergeldes entgegenstehe (A 29 Abs. 2 Satz 1 DA-KG 2018, Kg-Akte Bl. 88). Der Einspruch wurde sodann mit Einspruchsentscheidung vom 19.3.2019, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, als unbegründet zurückgewiesen. Unbehelflich sei auch der Vortrag des Klägers, dass lediglich eine Differenzzahlung an die Kindesmutter durch die B erfolgt sei, denn § 65 EStG schließe die Kindergeldzahlung bereits bei Bestehen eines bloßen Anspruchs aus.
18Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung im Rahmen der wegen Rückforderung anhängigen Anfechtungsklage ...K .../19 wies das Gericht den Bevollmächtigten auf Bedenken gegen die Erfolgsaussichten der Klage in der Festsetzungssache hin, da der Kläger seiner aus § 68 EStG resultierenden umfassenden Informations- und Mitwirkungspflicht – wenn auch aus Unwissenheit – letztlich erst im Juli 2018 in der gebotenen Weise entsprochen und die Tätigkeit seiner Ehefrau bei den B gegenüber der Familienkasse angezeigt habe. Darauf habe die Beklagte dann auch sogleich reagiert, sodass von Verwirkung keine Rede sein könne. Nach der gesetzlichen Regelung sei das deutsche Kindergeld subsidiär gegenüber den von überstaatlichen Einrichtungen gezahlten Leistungen für Kinder. Vor diesem Hintergrund könne das Anstoßen eines Billigkeitsverfahrens empfehlenswert sein (GA ...K .../19 Bl. 146). In der mündlichen Verhandlung der Sache ...K .../19 vom 27.1.2021 bezog sich der Kläger dann auf den Erlassantrag vom 26.1.2021 (GA ...K .../19 Bl. 147 ff.), ferner auf die Erklärung der Kindesmutter im Fragebogen gegenüber der B, in welchem diese bereits im Februar 2008 – erfolglos – "Dependency Benefits" für A geltend gemacht hatte, sowie auf E-Mail-Korrespondenz vom 27.3.2019 mit dem B-Arbeitgeber,der gegenüber der Kindesmutter ausgeführt hatte, dass die Kindergeld-Nachzahlung durch die B ausschließlich für die Monate ab Januar 2018 möglich sei. Nachdem das Gericht die Beteiligten außerdem vor dem Hintergrund u.a. des BFH-Urteils v. 19.11.2008 - III R 108/06 (BFH/NV 2009, 357) auf gute Erfolgsaussichten für das anstehende Erlassverfahren hingewiesen hatte, wurde das Klageverfahren ...K .../19 entsprechend den übereinstimmenden Anträgen der Beteiligten auf der Grundlage von §§ 155 FGO, 251 ZPO bis zur abschließenden Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Billigkeitserlass ruhend gestellt (GA ...K .../19 Bl. 149).
19Mit seinem am 28.1.2021 bei der Beklagten registrierten Antrag vom 26.1.2021 begehrte der Kläger den Erlass der Kindergeld-Rückforderung für die Monate Januar 2014 bis einschließlich Dezember 2017. Der Kläger habe die Tätigkeit seiner Ehefrau bei den B auf diverse Abfragen bereits seit 2010 und zuletzt im November 2016 mitgeteilt. Er sei dabei davon ausgegangen, alle notwendigen Informationen – insbesondere auch hinsichtlich des Kindergeldes – an richtiger Stelle gegeben zu haben. Das ..., welches ab 2008 in gespaltener Zuständigkeit für familienbezogene Leistungen und das Kindergeld zuständig gewesen sei, habe die ihm mitgeteilten Informationen entgegen der Anzeige gegenüber dem Kläger im Jahr 2008 nicht mit der seit Juli 2017 nunmehr unter dem Dach des BVA zuständig gewordenen Bundesfamilienkasse ausgetauscht. Der Kläger habe über Jahre keine Hinweise gehabt, dass die Angaben nicht ausreichend bzw. nicht an der richtigen Stelle angekommen seien. Der Kläger sei zwar Volljurist, aber weder Spezialist für Steuerrecht/Kindergeld noch für die Leistungen der B. Auch eine Kontaktaufnahme seitens des ... oder der dort als Familienkasse zuständigen Einheit mit den B, die ggf. zu einer abweichenden Einschätzung hätte führen können, sei nicht erfolgt.
20Die Bewertung des Falls durch die Beklagte führe zum vollständigen Ausschluss der Familie des Klägers vom Familienleistungsausgleich für die Jahre 2014 bis 2017. Die in erheblicher Höhe festgesetzte Rückforderung habe der Kläger zur Vermeidung von Rechtsnachteilen unter großen Belastungen erstattet, sodass das Existenzminimum des Kindes im Streitfall entgegen dem Regelungszweck für die Jahre 2014 bis einschließlich 2017 nicht freigestellt sei. Der in § 65 EStG zum Ausdruck kommende Gedanke eines Kumulierungsverbotes trage im Streitfall nicht, da mit der Regelung kein kategorischer Kindergeldausschluss um seiner selbst willen bezweckt sei. Es könne auch nicht die Intention des Gesetzgebers gewesen sein, einen Ausschluss vom Familienleistungsausgleich aufgrund von nachträglichen Anspruchsausfällen dauerhaft beim Steuerpflichtigen zu realisieren. Der ungewollte Gesetzesüberhang ergebe sich daraus, dass es aufgrund der Wechselwirkungen der Ansprüche und deren nachträglicher Realisierbarkeit zu einem vollständigen Ausschluss vom Familienleistungsausgleich kommen könne. Dies sei jedenfalls in den Fällen unbillig, in denen sich der Steuerpflichtige – wie im Streitfall – um ordnungsgemäße Information der zuständigen Stellen bemüht habe.
21Mit vorliegend streitgegenständlichem Bescheid vom 21.4.2021 lehnte die Beklagte den Erlassantrag des Klägers nach Einholung einer neuerlichen Stellungnahme des BZSt ab. Zur Begründung führte die Beklagte im Ablehnungsbescheid und in der Vorkorrespondenz (Beklagten-Schreiben vom 25.2.2021, Bl. 19 ff. der Kg-Akte Erlassverfahren) aus: Ein Erlassanspruch aus Gründen sachlicher Billigkeit sei auch dann nicht gegeben, wenn eine nachträgliche Korrektur der seitens der B gewährten Familienleistungen für den Streitzeitraum nicht möglich sei. Allein der Umstand, dass das Kindergeld bei der Auszahlung von Familienleistungen einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung angerechnet worden und bei einer Rückforderung des Kindergeldes eine nachträgliche Korrektur der Familienleistung bei der zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung in Höhe des Kindergeldes nicht möglich sei, widerspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers und stelle für sich allein keinen sachlichen Billigkeitsgrund dar. Der Kläger sei seinen Mitwirkungspflichten gemäß §§ 90 AO, 68 EStG nicht ordnungsgemäß nachgekommen, da er der zuständigen Familienkasse die Tätigkeit seiner Ehefrau bei den B erst im Juli 2018 mitgeteilt habe. Noch im Antrag vom 15.1.2018 habe er die entsprechende Anfrage nach einem Anspruch seiner Ehefrau in Frage 5 verneint. Die Anzeige gegenüber der Bezügestelle des Klägers könne – trotz Mitteilung der Bundesfamilienkasse im Schreiben vom 13.10.2008 (GA G Bl. 31) über "einen modernen Datenaustausch" – nicht schuldmindernd berücksichtigt werden, da ein Datenaustausch zwischen diesen Stellen schon aus Datenschutzgründen nicht vorgesehen sei. Aus der unveränderten Zuständigkeit der Bearbeiter habe der Kläger trotz Zuständigkeitswechsel auf die Unterscheidung zwischen der Bundesfamilienkasse und seiner Bezügestelle schließen können. Jedenfalls sei ihm diese Kenntnis aufgrund seiner Vorbildung und Tätigkeit als Beamter der C zuzumuten.
22Der Kläger sei trotz des Zuständigkeitswechsels seit seiner Antragstellung mit Posteingang vom 26.5.2006 als Kindergeldberechtigter geführt worden, was aus der 2006 vergebenen und danach unverändert fortgeführten Kindergeldnummer "1" ohne weiteres erkennbar sei. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass das Informationsschreiben "Info neuer Zahlungsweg" vom 13.10.2008 nicht in der Kg-Akte enthalten sei. Ein Schreiben des Klägers mit einem Hinweis auf die Tätigkeit seiner Ehefrau bei den B sei in der Zeit von Mai 2006 bis Juli 2018 nicht bei der Bundesfamilienkasse eingegangen. Wenn in dem Schreiben vom 13.10.2008 von "Informationsaustausch" die Rede sei, sei damit gemeint, dass die ehemalige Auszahlung des Kindergeldes mit den Bezügen "nur programmtechnisch hinsichtlich des Auszahlungsbetrags über Datenübertragung per Schnittstelle zwischen den verschiedenen Programmen" erfolgt sei. So habe etwa der Kindergeldantrag vom 24.5.2006 im Kopf den Hinweis enthalten "Bundesamt für Finanzen - Bundesfamilienkasse". Demgegenüber sei aus dem Bescheid vom 13.6.2006 klar zu erkennen gewesen, dass das Kindergeld von der Bundesfamilienkasse unter dem Dach des ... festgesetzt worden sei. Daraus ergebe sich, dass die Bundesfamilienkasse, die aufgrund ihrer Stellung innerhalb der Finanzverwaltung der AO und den Steuergesetzen unterliege, niemals Bestandteil der Besoldungsstelle gewesen sei. Von daher werde ein Austausch der Daten zwischen den Bereichen innerhalb des Bundesverwaltungsamtes bereits durch Gründe des Datenschutzes ausgeschlossen. Demnach sei festzustellen, dass unabhängig davon, ob sich die die Bundesfamilienkasse beheimatende Behörde BfF, ... oder BVA genannt habe, aus den weiteren Adresszeilen der Anschrift erkennbar gewesen sei, welche Organisationseinheit (Bundesfamilienkasse, Besoldung, Beihilfe usw.) sich an den Kläger gewandt habe. Vor diesem Hintergrund laufe der Einwand des Klägers, dass die ursprünglich in Kindergeldsachen tätige Stelle des ... bereits im Juni 2010 Kenntnis von der Tätigkeit der Ehefrau des Klägers bei den B gehabt habe, ebenso ins Leere wie der Vorwurf, dass keine Weitergabe von Informationen zwischen BVA und ... erfolgt sei(Beklagten-Schreiben vom 25.2.2021, Kg-Akte Erlassverfahren, Bl. 23 ff.).
23Mit dem Einspruch hielt der Kläger daran fest, dass der Ausschluss seiner Familie vom Familienleistungsausgleich für vier Jahre zu einem nicht gewollten Gesetzesüberhang führe. Die Kürzung des Kindergeldes durch die B sei dem Kläger folgerichtig erschienen. Es greife zu kurz, die Ablehnungsentscheidung abstrakt auf Mitwirkungspflichtverletzungen zu stützen, die besonderen Umstände des Einzelfalls dabei jedoch nicht mit dem gebotenen Gewicht einzubeziehen.
24Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 15.6.2021). Entgegen der Auffassung des Klägers lägen im Streitfall keine sachlichen Billigkeitsgründe vor. Die Vorschriften der §§ 31 und 65 EStG hätten zwar möglicherweise unterschiedliche Zielrichtungen, ließen allerdings erkennen, dass der Steuervorteil Kindergeld nicht in jedem Fall gewährt werde. Allein der Umstand, dass das Kindergeld bei der Auszahlung von Familienleistungen einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung angerechnet wurde und bei einer Rückforderung des Kindergeldes eine nachträgliche Korrektur der Familienleistung bei der zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung in Höhe des Kindergeldes nicht möglich sei, widerspreche daher nicht dem Willen des Gesetzgebers und stelle für sich allein keinen sachlichen Billigkeitsgrund dar.
25Im Streitfall komme hinzu, dass die Rückforderung durch das Verhalten des Klägers aufgrund der von ihm verletzten Mitwirkungspflicht (§ 68 EStG) schuldhaft verursacht sei. Er habe die Beklagte nicht zeitnah über den Anspruch seiner Ehefrau gegenüber ihrem Arbeitgeber unterrichtet und überdies in seinem Antrag von 15.1.2018 unzutreffende Angaben gemacht. Das Verhalten des Klägers habe dazu beigetragen, dass auch eine nachträgliche Korrektur des Zuschusses der B zum Gehalt der Kindesmutter nicht mehr möglich sei. Zahle die Familienkasse das Kindergeld zu Unrecht aus, weil der Kindergeldempfänger es entgegen seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 68 EStG unterlasse, die Familienkasse über bedeutsame tatsächliche Verhältnisse zu informieren, scheide ein Erlass aus Billigkeitsgründen regelmäßig aus, wenn kein überwiegendes behördliches Mitverschulden vorliege. Den besonderen Umständen des Einzelfalls und den Einwendungen des Klägers habe die Beklagte dadurch Rechnung getragen, dass sie das Kindergeld nicht für den gesamten Zeitraum des unrechtmäßigen Leistungsbezugs zurückgefordert habe, sondern erst ab 2014. Darüber hinaus erhalte die Ehefrau seit Januar 2018 das volle Kindergeld der B.
26Der Kläger hält die Ablehnung seines Erlassantrags für rechtswidrig, da für A letztlich keine dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistungen i.S. d. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG gewährt worden seien. Das Bestehen einer Mitwirkungspflicht werde zwar nicht infrage gestellt, es müsse allerdings einbezogen werden, dass die von der Beklagten geforderte Mitteilung einer "Transferleistung" und eigener, weiterer Erkundigungen bedurft hätte, die jedenfalls in der vorliegenden Konstellation nicht naheliegend gewesen seien. Hätte der Kläger Kenntnis von der Problematik des § 65 EStG und dem sich aus dieser Vorschrift ergebenden Vorrang der B-Leistungen gehabt, hätte er selbstverständlich entsprechende Mitteilungen gemacht, zumal er offensichtlich um ordnungsgemäße Information über die Tätigkeit seiner Ehefrau bei den B bemüht gewesen sei. Der Rechtsfehler habe vielmehr bei den B gelegen, die trotz primärer Leistungspflicht erklärt hätten, im Hinblick auf das vom Kläger bezogene Kindergeld nicht leistungspflichtig zu sein. Der Kläger und seine Familie hätten sich nicht bereichert, weil es nicht zu einem doppelten Bezug von Familienleistungen gekommen sei. Der Gesetzeszweck des § 65 EStG, der in der Vermeidung doppelter Leistungen liege, sei im Streitfall gewahrt. Der Gesetzgeber habe bei Fassung des § 65 EStG nicht antizipiert, dass es aufgrund von Wechselwirkungen zu einem beidseitigen Ausfall der parallelen Ansprüche kommen könne. Zwar habe der Gesetzgeber in § 65 Abs. 1 Nr. 3 EStG für den Ausschluss vom deutschen Kindergeld einen antragsbezogenen Anspruch ausreichen lassen, im Streitfall komme jedoch hinzu, dass die von der Ehefrau des Klägers beantragte Zahlung von den B rechtsfehlerhaft verweigert worden sei. Dieser Auffassung entspreche die Wertung in der Entscheidung des BFH v. 19.11.2008 - III R 108/16 (BFH/NV 2009, 357), die ebenfalls die Möglichkeit eines Erlassanspruchs gesehen habe, wenn eine nachträgliche Korrektur der zu Unrecht verweigerten Leistung nicht möglich sei. Vor diesem Hintergrund sei die Kindergeld-Rückforderung im späteren Verfassungsbeschwerde-Verfahren dann auch erlassen worden (Mitteilung des BVerfG vom 21.4.2009, BVerfG - 1 BvR 292/09).
27Der Kläger beantragt,
28die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21.4.2021 und der Einspruchsentscheidung vom 15.6.2021 zu verpflichten, die mit Bescheid vom 10.10.2018 für den Zeitraum Januar 2014 bis einschließlich Juli 2018 festgesetzte Kindergeld-Rückforderung in Höhe eines Betrags von 8.328 € zu erlassen (10.406 € abzgl. des seitens der B mit 7 x 194 € im Jahr 2018 sowie 4 x 180 € in den Jahren 2014 bis 2017 bereits gewährten Familienleistungsausgleichs),
29hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen,
32hilfsweise die Zulassung der Revision.
33Die Beklagte hält die Ablehnung der begehrten Billigkeitsentscheidung unter Hinweis auf ihre Erwägungen im Vorverfahren für rechtmäßig. Die Bundesfamilienkasse sei eine eigenständige Finanzbehörde (vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 6 AO i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 11 FVG), die durch entsprechende Verwaltungsvereinbarungen zunächst beim ... und jetzt beim BVA angesiedelt sei, was den Kopfbögen der schriftlichen Korrespondenz eindeutig zu entnehmen sei. Die Erklärungen zum Familienzuschlag aus Mai 2010 und Juni 2016, in denen der Kläger u.a. die Beschäftigung seiner Ehefrau bei den B (B1) angegeben habe, seien gegenüber der Besoldungsstelle des Klägers erfolgt; die beklagte Bundesfamilienkasse habe hiervon keine Kenntnis gehabt. Die Vorschrift des § 68 Abs. 4 EStG regele lediglich, dass die Familienkassen den Bezügestellen im öffentlichen Dienst den für die jeweilige Kindergeldzahlung maßgebenden Sachverhalt durch automatisierte Abrufverfahren bereitstellen oder Auskunft über diesen Sachverhalt erteilen dürfe.
34Auch im Streitfall gebiete die fehlende Kommunikation zwischen Besoldungsstelle und Familienkasse keinen Billigkeitserlass. Die Mitteilung der notwendigen Informationen habe allein dem Kläger als Kindergeldempfänger oblegen. Der Kläger habe die Tätigkeit seiner Ehefrau der Familienkasse nicht mitgeteilt und die Frage zu Nr. 5 unzutreffend beantwortet. Soweit der Kläger auf die BFH-Entscheidung III R 108/06 verweise, sei dort festgestellt, dass das Fehlen einer gesetzlichen Regelung zur systemübergreifenden Rückabwicklung von zu Unrecht gewährtem Kindergeld (Anrechnung auf Sozialleistungen) für sich kein Grund sei, einen Billigkeitserlass als zwingend anzusehen. Im Streitfall komme hinzu, dass es durch die Nichtgewährung des Kindergeldes wegen des guten Verdienstes des Klägers und seiner Ehefrau – anders als regelmäßig in Fällen der Anrechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe – nicht zu einer Gefährdung des Existenzminimums gekommen sei. Ebenfalls nicht vorgesehen sei die vom Gericht in der mündlichen Verhandlung erwogene Differenzierung nach der Art der Mitwirkungspflichtverletzung.
35Entscheidungsgründe
36Die Klage ist begründet. Die Ablehnung des vom Kläger im Streitfall begehrten Erlasses war in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang rechtswidrig, da die Einziehung der dahingehenden Kindergeldrückforderung aus sachlichen Gründen unbillig war und den Kläger deshalb in seinen Rechten verletzte. Das Ermessen der Beklagten hinsichtlich der vom Kläger begehrten Erlassentscheidung war auf Null reduziert, sodass keine Bescheidung auszusprechen war, sondern das Gericht die Beklagte zum Erlass der Rückforderung verpflichten konnte.
371. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis – ganz oder zum Teil – erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.
382. Die Entscheidung über den Erlass von Steuerforderungen auf der Grundlage von § 227 AO ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, der das erkennende Gericht folgt, eine Ermessensentscheidung der Behörde (grundlegend: Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 - GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603).
39a) Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen gemäß § 5 AO entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Das Gericht darf Ermessensentscheidungen der Verwaltung im finanzgerichtlichen Verfahren nach § 102 Satz 1 FGO nur darauf überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind (sog. Ermessensüberschreitung), ob die Finanzbehörde von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der (Ermessens-)Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (sog. Ermessensfehlgebrauch) oder ein ihr zustehendes Ermessen nicht ausgeübt hat (sog. Ermessensunterschreitung); darüber hinaus prüft das Gericht, ob die Behörde die verfassungsrechtlichen Schranken der Ermessensbetätigung wie insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet hat (BFH v. 28.8.2012 - I R 10/12, BFHE 239, 1, BStBl II 2013, 266; ferner BFH v. 13.9.2018 - III R 48/17, BFHE 2019, 488, BStBl II 2019, 189 u. III R 19/17, BFHE 2019, 483, BStBl II 2019, 187; ferner BFH v. 8.11.2018 - III R 31/17, HFR 2019, 455, BFH/NV 2019, 557 und v. 27.5.2020 - III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283: Anrechnung des Kindergeldes auf Sozialleistungen, sowie BFH v. 17.7.2019 - III R 64/18, HFR 2020, 99, BFH/NV 2020, 7 für den Erlass aus Gründen persönlicher Billigkeit).
40b) Stellt das FG einen solchen Ermessensfehler fest, so muss es die angefochtene Ermessensentscheidung aufheben, ist also grundsätzlich auf die Kassation der Verwaltungsentscheidung beschränkt. Eine Ausnahme von der gerichtlichen Beschränkung auf eine Kassation der finanzbehördlichen Ermessensentscheidung gilt im Fall der sog. Ermessensreduzierung auf Null. Sie tritt ein, wenn durch die Sachlage des Einzelfalls die Ermessensgrenzen ausnahmsweise so eingeengt sind, dass nur eine bestimmte Entscheidung (etwa der begehrte Billigkeitserweis) ermessensgerecht ist, während jede andere notwendig zu einem Ermessensfehler führte, mit der Folge, dass das Gericht in einem solchen Fall sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Behörde zu setzen und die versagte Billigkeitsmaßnahme selbst zu gewähren hat (BFH v. 27.9.2001 - X R 134/98, BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176, v. 10.10.2001 - XI R 52/00, BFHE 196, 572, BStBl II 2002, 201, v. 4.7.1972 - VII R 103/69, BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806, v. 11.10.2017 - IX R 2/17, BFH/NV 2018, 322; vgl. ferner BFH v. 17.2.2004 - VIII R 58/03, BFHE 206, 1, BStBl II 2006, 130 sowie v. 25.9.2008 - III R 16/06, BFH/NV 2009, 164, jeweils für die Abzweigung des Kindergeldes zu Gunsten des Sozialhilfeträgers; BFH v. 24.3.1998 - I R 20/94, BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272: Zustimmung zur Bilanzänderung; vgl. auch GmS-OGB v. 19.10.1971 - GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603 [606, 609 f.]; ferner Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 5 AO Tz. 75 ff.).
41c) Die gerichtliche Nachprüfung von Ermessensentscheidungen muss grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung als der letzten Verwaltungsentscheidung abstellen (BFH v. 28.9.2011 - VIII R 8/09, BFHE 235, 298, BStBl II 2012, 395, v. 27.9.2001 - X R 134/98, BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176), während es im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null bei der Verpflichtungsklage auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des FG ankommt. Denn eine Verpflichtung der Behörde kann nur ausgesprochen werden, wenn zu dem Zeitpunkt, in dem die gerichtliche Entscheidung ergeht, ein Anspruch auf die erstrebte Verpflichtung des FA besteht (BFH v. 11.10.2017 - IX R 2/17, HFR 2018, 272, BFH/NV 2018, 322; ferner BFH v. 14.3.2012 - XI R 33/09, BFHE 236, 283, BStBl II 2012, 477: Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen in Papierform; ferner Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 5 AO Tz. 77)
423. Als Erlassgrund für die seitens der Beklagten festgesetzte Kindergeldrückforderung kommen unstreitig allein sachliche Billigkeitsgründe in Betracht.
43a) Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen i.S. des § 227 AO ist anzunehmen, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist oder dessen Wertungen zuwiderläuft (sog. ungewollter Gesetzesüberhang, BFH v. 27.5.2020 - III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283, v. 8.11.2018 - III R 31/17, HFR 2019, 455, BFH/NV 2019, 557, v. 13.9.2018 - III R 19/17, BFHE 262, 483, BStBl II 2019, 187 bzw. III R 48/17, BFHE 262, 488, BStBl II 2019, 189, jeweils m.w.N.).
44b) Der BFH hat mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Billigkeitserlass nach § 227 AO gerechtfertigt sein kann, wenn Kindergeld zurückgefordert wird, das bei der Berechnung der Höhe von Sozialleistungen als Einkommen angesetzt wurde, aber eine nachträgliche Korrektur der Leistungen zugunsten des Steuerpflichtigen nicht möglich ist (vgl. nur BFH v. 8.11.2018 - III R 31/17, HFR 2019, 455, BFH/NV 2019, 557, v. 13.9.2018 - III R 48/17, BFHE 2019, 488, BStBl II 2019, 189 u. III R 19/17, BFHE 2019, 483, BStBl II 2019, 187, jeweils unter Hinweis auf u.a. BFH v. 19.11.2008 - III R 108/06, BFH/NV 2009, 357). Allerdings verpflichtet allein der Umstand, dass das Kindergeld auf vom Steuerpflichtigen bezogene Sozialleistungen angerechnet wurde, die Familienkasse nicht zu einem Billigkeitserlass, auch wenn die Anrechnung nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte nicht rückabgewickelt werden kann, weil es allein auf den tatsächlichen Zufluss des Kindergeldes beim Hilfeempfänger ankommt und die nachträgliche Gewährung von Sozialleistungen ausgeschlossen ist. Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung zur systemübergreifenden Rückabwicklung von zu Unrecht gewährtem und in der Folge auf Sozialleistungen angerechnetem Kindergeld in dem Dreiecksverhältnis zwischen Familienkasse, Sozialleistungsträger und dem Kindergeldberechtigten/Hilfeempfänger zwingt die Familienkasse nach Auffassung des BFH nicht zu einem Billigkeitserlass, zumal sozialrechtliche Regelungen des Vertrauensschutzes bei der Rückforderung von Kindergeld nicht anwendbar sind (BFH v. 8.11.2018 - III R 31/17, HFR 2019, 455, BFH/NV 2019, 557, v. 13.9.2018 - III R 48/17, BFHE 2019, 488, BStBl II 2019, 189 u. III R 19/17, BFHE 2019, 483, BStBl II 2019, 187, jeweils m.w.N.; ferner v. 27.5.2020 - III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283; vgl. ferner BFH v. 19.11.2008 - III R 108/06, BFH/NV 2009, 357). Allerdings hat das BVerfG zwischenzeitlich die Erledigung des bei ihm unter dem Az. 1 BvR 292/09 anhängigen Verfassungsbeschwerde-Verfahrens gegen die BFH-Entscheidung im Verfahren III R 108/06 dadurch mitgeteilt, dass die Kindergeldrückforderung seitens der Behörde erlassen wurde (Juris-Mitteilung des BVerfG v. 21.4.2009 - 1 BvR 292/09 zur BFH-Entscheidung v. 19.11.2008 - III R 108/06, BFH/NV 2009, 357).
45c) Bei der Wertentscheidung, ob der Empfänger von zu Unrecht gewährtem Kindergeld das Risiko zu tragen hat, dass für die Vergangenheit keine Korrekturmöglichkeit besteht und er deshalb – rückwirkend – vom Familienleistungsausgleich ausgeschlossen wird, stellt die höchstrichterliche Rechtsprechung in inzwischen ständiger Rechtsprechung insbesondere darauf ab, ob der Kindergeldempfänger seinen besonderen Mitwirkungspflichten im Kindergeldverfahren gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG entsprochen hat, nach der der Kindergeldberechtigte Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen hat. Diese Mitwirkungspflicht beginnt mit der Antragstellung und dauert an bis zur Aufhebung der Kindergeldfestsetzung, und auch der Umstand, dass das Verfahren der Familienkassen regelmäßige Überprüfungen vorsieht, entbindet nicht von der Pflicht zur Veränderungsanzeige. Denn die im Einzelfall vorgesehenen Überprüfungsintervalle dienen nicht dazu, den Kindergeldberechtigten von Konsequenzen einer Mitwirkungspflichtverletzung freizustellen, die ihre Ursache allein in dessen Risiko- und Verantwortungssphäre hat (BFH v. 27.5.2020 - III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283, v. 13.9.2018 - III R 48/17, BFHE 2019, 488, BStBl II 2019, 189 u. III R 19/17, BFHE 2019, 483, BStBl II 2019, 187; vgl. ferner BFH v. 8.11.2018 - III R 31/17, HFR 2019, 455, BFH/NV 2019, 557, v. 17.7.2019 - III R 64/18, HFR 2020, 99, BFH/NV 2020, 7: Kein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen bei fehlender Erlasswürdigkeit wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten).
46Danach scheidet ein Erlass aus Billigkeitsgründen regelmäßig aus, wenn der Berechtigte seinen sich aus § 68 Abs. 1 EStG ergebenden Mitwirkungspflichten, auf die – auch zur Vermeidung späterer Rückforderungen – regelmäßig hingewiesen wird, nicht nachgekommen ist und kein überwiegendes behördliches Mitverschulden in der Weise vorliegt, dass der Grund für die Überzahlung in einer überwiegenden behördlichen Verantwortung liegt. Zahlt die Familienkasse das Kindergeld zu Unrecht aus, weil der Kindergeldempfänger es unterlassen hat, die Familienkasse über tatsächliche Verhältnisse zu informieren, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, ist der Familienkasse kein Fehlverhalten vorzuwerfen, sodass kein Gesetzesüberhang vorliegt, der einen Billigkeitserlass gebietet (BFH v. 27.5.2020 - III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283: Anrechnung des Kindergeldes auf Sozialleistungen, wenn der Kindergeldberechtigte die Behörde nicht über fehlende Ausbildungsbemühungen in Kenntnis gesetzt hat; ferner BFH v. 8.11.2018 - III R 31/17, BFH/NV 2019, 557, v. 13.9.2018 - III R 19/17, BFHE 262, 483, BStBl II 2019, 187 bzw. III R 48/17, BFHE 262, 488, BStBl II 2019, 189; zu Überzahlungen aus Gründen einer überwiegenden behördlichen Mitverantwortung auch BVerwG v. 21.2.2019 - 2 C 24/17, Informationsdienst Öffentliches Dienstrecht 2019, 134, Rz 19 f.).
474. Danach war die Ablehnung der vom Kläger begehrten Billigkeitsmaßnahme in der Ausnahmekonstellation des Streitfalls rechtswidrig, weil die Einziehung der vorliegend seitens der Beklagten festgesetzten Kindergeldrückforderung sachlich unbillig und die Ablehnung des Erlassantrags deshalb ermessensfehlerhaft war.
48a) Ein überwiegendes behördliches Mitverschulden etwa durch ein über Gebühr langes Zuwarten mit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung (vgl. etwa BFH v. 27.5.2020 - III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283 unter Hinweis auf die Beispiele in V 26.2 Abs. 2 DA-KG 2019, BStBl I 2019, 654) ist im Streitfall nicht erkennbar. Dabei kann offenbleiben, ob die Überzahlung im Falle einer zeitnäheren Überprüfung durch die Familienkasse vermeidbar gewesen wäre. Denn auch dies würde nicht dazu führen, dass die Mitwirkungspflichten des Kindergeldberechtigten suspendiert werden (BFH v. 27.5.2020 - III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283).
49b) Der Kläger hat seine Mitwirkungspflicht objektiv dadurch verletzt, dass er der Beklagten die Tätigkeit der Kindesmutter bei den B erst im Juli 2018 angegeben und im Kindergeldantrag die Frage zu Nr. 5, ob ein Anspruch auf eine kindbezogene Geldleistung gegenüber einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung bestand, objektiv unzutreffend beantwortet hat. Gleichwohl ist die Rückforderung im Streitfall wegen seiner besonderen Umstände nach Überzeugung des erkennenden Senats das Ergebnis eines nicht gewollten Gesetzesüberhangs. Denn die Beklagte hat den mehrfachen Wechsel der Bundesfamilienkasse als der für das Kindergeld zuständigen Außenstelle unter das Dach einer anderen Behörde und ebenso die mit diesem Wechsel einhergehende Mitteilung an den Kläger vom 13.10.2008 über den zwischen Familienkasse und Bezügestelle vorgesehenen Informationsaustausch, nach der der Informationsfluss zur Vermeidung "späterer Rückzahlungen" betreffend das Kindergeld und die an das Kindergeld gekoppelten Leistungen "über einen modernen Datenaustausch" gewährleistet werden, nicht mit dem gebotenen Gewicht in die Billigkeitsentscheidung einbezogen. Zur Begründung für den ankündigungswidrig tatsächlich nicht vorgenommenen Datenaustausch seitens der Bezügestelle des Klägers, die über die Tätigkeit der Kindesmutter bei den B wiederholt in Kenntnis gesetzt worden ist, hat die Beklagte im Nachhinein auf Datenschutzgründe und auf das Bestehen von unterschiedlichen Organisationseinheiten für Bezüge und Familienleistungsausgleich innerhalb der Bundesoberbehörden verwiesen, was jedenfalls mit dem an den Kläger gerichteten Informationsschreiben vom 13.10.2008 nicht in Einklang zu bringen ist. Unabhängig von der Schlüssigkeit der Erklärung der Beklagten im Schreiben vom 25.2.2021 dazu, wie die Erklärung des ... über den künftig beabsichtigten "modernen Datenaustausch" möglicherweise gemeint war, ist es nach Überzeugung des Gerichts geboten, auf den Empfängerhorizont abzustellen und zu fragen, wie diese Erklärung vom Bürger verstanden werden durfte, der mit dem ... bzw. der dort angesiedelten Bundesfamilienkasse im Austausch stand.
50Ebenfalls unzureichend berücksichtigt ist das Bemühen des Klägers um zutreffende Information, welches auch in dem vom Kläger mit Herrn D vom ... im Juni 2010 geführten Telefonat (GA ...K .../19 Bl. 39) zum Ausdruck kommt. Daher kann nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls keine Rede davon sein, dass der Kläger die Information der zuständigen Bundesfamilienkasse über die Tätigkeit seiner Frau bei den B bewusst "unterlassen" hat. Auch aus der unzutreffenden Beantwortung der Frage zu Nr. 5 des Kindergeldantrags, ob ein Anspruch auf eine kindbezogene Geldleistung gegenüber einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung bestand, ist keine bewusste Mitwirkungspflichtverletzung durch den Kläger zu entnehmen, weil der Kläger – ausgehend von der Fehlinformation seitens der B – subjektiv davon ausging, die Frage zutreffend beantwortet zu haben. Überdies ergibt sich im Streitfall auch der vom BFH betonte "regelmäßige Hinweis" seitens der Familienkassen, Änderungen in den Verhältnissen zur Vermeidung späterer Rückforderungen auch gegenüber der Familienkasse anzeigen zu müssen, jedenfalls nicht aus der Akte der beklagten Bundesfamilienkasse.
51Nach alledem wertet das Gericht die unstreitig vorhandene Mitwirkungspflichtverletzung des Klägers durch die Angabe der Tätigkeit der Kindesmutter bei den B gegenüber der Beklagten als der zuständigen Familienkasse erst im Juli 2018 und die unzutreffende Beantwortung der Frage zu Nr. 5 in den Kindergeldanträgen von Januar 2018 und vom 16.7.2018 als nur einfach fahrlässige Mitwirkungspflichtverletzung. Dabei berücksichtigt das Gericht auch, dass sich der Kläger erkennbar um zutreffende Information der Behörden bemüht hat, dann aber an der Sonderzuständigkeit der im Rahmen der jeweiligen Organisationseinheiten als Untereinheit eingerichteten Familienkasse gescheitert ist, zumal die vom Kläger übermittelten Informationen – möglicherweise auch aufgrund der mehrfachen Zuständigkeitsverlagerung – entgegen der Mitteilung vom 13.10.2008 tatsächlich nicht ausgetauscht wurden. Die von der Beklagten zur Begründung für den unterbliebenen Informationsaustausch vorgebrachten "Datenschutzgründe" sieht das Gericht nicht als überzeugend und nicht geeignet an, das von der Beklagten intendierte Ergebnis zu stützen, den Kläger letztlich für einen Zeitraum von vier Jahren vom Familienleistungsausgleich auszuschließen. Auch die Ausbildung des Klägers als Volljurist ändert nichts an der Bewertung seines Verhaltens als einfach fahrlässige Mitwirkungspflichtverletzung. Denn der Kläger mag zwar als Jurist bei der C angestellt sein, war aber in seiner beruflichen Tätigkeit unstreitig nicht mit Kindergeldangelegenheiten befasst.
52c) Bei seiner Abwägung kommt das Gericht entgegen der Auffassung der Beklagten vielmehr zu der Überzeugung, dass nicht jede Mitwirkungspflichtverletzung unabhängig von ihrem Gewicht einen Ausschluss des Kindergeldempfängers vom Familienleistungsausgleich rechtfertigt. Hierbei berücksichtigt das Gericht auch, dass es sich beim Kindergeld nicht um eine bloße behördliche Transferleistung handelt, sondern dass es – im Rahmen seiner Doppelfunktion – der verfassungsrechtlich gebotenen Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den Eltern von der Einkommensteuer dient, um der kindesbedingten Minderung der Leistungsfähigkeit Rechnung zu tragen (BVerfG v. 10.11.1998 - 2 BvL 42/93, BVerfGE 1999, 246, BStBl II 1999, 174, v. 10.11.1998 - 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BStBl II 1999, 182 unter B.I.3., v. 11.1.2005 - 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164; v. 8.6.2004 - 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412; ferner BFH v. 25.7.2019 - III R 34/18, BFH/NV 2020, 134 unter Hinweis auf § 31 EStG m.w.N.). Ferner ist in die Abwägung einzubeziehen, dass der Kläger seine Mitwirkungspflicht nicht willentlich übergangen und die Frage nach Ansprüchen gegenüber einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung nicht bewusst falsch beantwortet hat, sondern die Frage im Hinblick auf die seitens der B wiederholt – rechtlich unzutreffend – erklärte Ablehnung verneint hat, Zahlungen des Familienleistungsausgleichs an die Kindesmutter erbringen zu wollen und somit zumindest subjektiv um wahrheitsgemäße und vollständige Angaben bemüht war.
53Soweit man dem Kläger hier vorwerfen wollte, es sich bei der Beantwortung zu der Frage unter Nr. 5 des Kindergeldantrags durch die Akzeptanz der unzutreffenden Information seitens der B zu einfach gemacht zu haben, ist das Gericht der Auffassung, dass keine überspannten Anforderungen an die Rechtsverfolgung durch die Kindesmutter gegenüber den B gestellt werden dürfen. Der Kläger ist zwar Volljurist, war aber unstreitig nicht mit Fragen von Steuer- bzw. des Kindergeldrecht befasst. Deshalb wird die Akzeptanz der fehlerhaften Information seitens der B im Streitfall aufgewogen durch das erkennbare Bemühen des Klägers und seiner Ehefrau, die jeweiligen Stellen zutreffend zu informieren. Letztlich hat die einfach fahrlässige Mitwirkungspflichtverletzung durch den Kläger jedenfalls in der besonderen Situation des Streitfalls unter zusätzlicher Berücksichtigung des Zuständigkeitswechsels kein solches Gewicht, dass ein nahezu vollständiger Ausschluss des Klägers und seiner Familie vom Familienleistungsausgleich für das Kind A über einen Zeitraum von vier Jahren gerechtfertigt wäre, zumal sich der Kläger im Streitfall nicht mit ihm nicht zustehenden Leistungen bereichert, sondern im Ergebnis nur den ihm und seiner Familie zustehenden Familienleistungsausgleich erhalten hat. Wenn man vorliegend Fehlverhalten bzw. Fehldeutungen gewichten wollte, dann läge der Hauptfehler im Streitfall vor allem bei den B, die die Klägerin rechtlich unzutreffend nicht über die Vorrangigkeit der eigenen Familienleistungen informiert und sich nach Erkennen des Fehlers auf die Unmöglichkeit einer rückwirkenden Korrektur über das Jahr 2018 hinaus zurückgezogen haben. Schließlich hat auch die Beklagte selbst im Rahmen ihrer Einschaltung des BZSt betont, dass der Streitfall durch seinen besonderen Ausnahmecharakter geprägt sei.
545. Die Beklagte war trotz des ihr eingeräumten Ermessens und trotz der nach Maßgabe des § 102 FGO nur begrenzten Überprüfungsmöglichkeit des Gerichts zu der tenorierten Billigkeitsentscheidung zu verpflichten, da im Streitfall eine Einengung des Ermessens bzw. eine Ermessensreduktion auf Null dahingehend bestand, dass nur der begehrte Erlass das einzig mögliche Ergebnis der Ermessensausübung sein konnte, während jede andere Entscheidung notwendig zu einem Ermessensfehler führte (vgl. oben die Fundstellen unter 2 b) und außerdem BFH v. 27.5.2020 - III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283). So ist das Ermessen der Behörde auch durch das Übermaßverbot bzw. den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt, nach dem das eingesetzte Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks nicht nur erforderlich und geeignet, sondern hierzu auch in einem angemessenen, d.h. für den Betroffenen zumutbaren Verhältnis stehen muss. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genießt Verfassungsrang und ist deshalb stets auch bei der Auslegung und Anwendung von Normen des einfachen Rechts - mithin auch bei der Ermessensausübung durch die Finanzämter - zu beachten (BFH v. 28.8.2012 - I R 10/12, BFHE 239, 1, BStBl II 2013, 266 unter Hinweis auf BVerfG vom 9.11.1976 - 2 BvL 1/76, BVerfGE 43, 101, 106 sowie auf BT-Drucks. 16/10189, S. 81). Auch bei der Überprüfung, ob die Verpflichtung zum Erlass einer Billigkeitsentscheidung im Rahmen des § 227 AO besteht, muss deshalb die Frage beantwortet werden, ob die Versagung der begehrten Billigkeitsmaßnahme mit Rücksicht auf die Umstände der zu beurteilenden Pflichtverletzung/en angemessen ist (vgl. dazu auch BFH v. 18.9.1981 - VI R 44/77, BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801 für die Versagung der Inanspruchnahme als Haftungsschuldner im Falle eines entschuldbaren Rechtsirrtums).
55Im Streitfall steht insoweit der nur einfach fahrlässigen Mitwirkungspflichtverletzung durch den Kläger ein unverhältnismäßig schwerer wiegender Ausschluss vom Familienleistungsausgleich über vier Jahre gegenüber, der bei einer Orientierung am Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 GG i.V.m. § 85 AO; vgl. dazu auch BFH v. 11.10.2017 - IX R 2/17, HFR 2018, 272, BFH/NV 2018, 322: Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung im Rahmen der Auslegung des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO), nach welchem grundsätzlich kein Kindergeldberechtigter ohne schwerwiegenden Grund über eine derart lange Zeit vom Familienleistungsausgleich ausgeschlossen werden kann, als übermäßig erscheint. Dabei fällt auch der Verfassungsrang des Kindergeldanspruchs ins Gewicht, bei dem es sich entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebrachten Auffassung eben nicht um eine reine behördliche Transferleistung handelt, deren Versagung gut verdienende Personen weniger belastet. Vielmehr dient das Kindergeld – im Rahmen seiner Doppelfunktion – der verfassungsrechtlich gebotenen Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den Eltern von der Einkommensteuer, um der kindesbedingten Minderung der Leistungsfähigkeit Rechnung zu tragen (BVerfG v. 10.11.1998 - 2 BvL 42/93, BVerfGE 1999, 246, BStBl II 1999, 174, v. 10.11.1998 - 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BStBl II 1999, 182 unter B.I.3., v. 11.1.2005 - 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164; v. 8.6.2004 - 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412; ferner BFH v. 25.7.2019 - III R 34/18, BFH/NV 2020, 134 unter Hinweis auf § 31 EStG m.w.N.). Daher werden nach Überzeugung des erkennenden Senates alle Kindergeldberechtigten durch die Versagung des Kindergeldes – unabhängig von ihrer Einkommenshöhe – in gleicher Weise in ihren verfassungsmäßigen Rechten eingeschränkt.
56Überdies fließt in die Bewertung des Gerichts der Ausgang des beim BVerfG unter dem Az. 1 BvR 292/09 geführten Verfassungsbeschwerde-Verfahrens gegen die BFH-Entscheidung im Verfahren III R 108/06 durch Hauptsacheerledigung ein, nach der die Kindergeldrückforderung beim BVerfG seitens der Behörde schließlich doch erlassen wurde (Juris-Mitteilung des BVerfG v. 21.4.2009 - 1 BvR 292/09 zur BFH-Entscheidung v. 19.11.2008 - III R 108/06, BFH/NV 2009, 357).
576. Die Verpflichtung der Behörde zum Erlass der festgesetzten Kindergeldrückforderung gebietet im Streitfall die Erstattung eines Betrages i.H.v. 8.328 € an den Kläger, weil der Kläger den von der Behörde ursprünglich zurückgeforderten Betrag i.H.v. 10.406 € bereits entrichtet hat. Denn gemäß § 227 Satz 2 AO können unter den Voraussetzungen der Unbilligkeit bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Der Kläger hat entsprechend dem Hinweis des Gerichts den Billigkeitserlass nur insoweit beantragt, als seitens der B kein Familienleistungsausgleich gewährt worden ist, sodass die Rückforderung durch die Beklagte in Höhe des seitens der B mit 7 x 194 € im Jahr 2018 sowie 4 x 180 € in den Jahren 2014 bis 2017 bereits gewährten Familienleistungsausgleichs nicht unbillig war.
587. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
598. Die Revision wird im Hinblick auf die Frage zugelassen, ob das erkennende Gericht mit der Verpflichtung der Beklagten zum Erlass der begehrten Billigkeitsentscheidung im Streitfall von den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere den Entscheidungen des BFH v. 19.11.2008 - III R 108/06 (BFH/NV 2009, 357), v. 13.9.2018 - III R 19/17 (BFHE 262, 483, BStBl II 2019, 187) bzw. III R 48/17 (BFHE 262, 488, BStBl II 2019, 189), v. 8.11.2018 - III R 31/17 (HFR 2019, 455, BFH/NV 2019, 557), v. 17.7.2019 - III R 64/18 (HFR 2020, 99, BFH/NV 2020, 7) und v. 27.5.2020 - III R 45/19 (BFH/NV 2020, 1283) abweicht.