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Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 15. September 2021 wird der Vergütungsbescheid vom 19. Mai 2021 dergestalt geändert, dass die Vergütung von Vorsteuern für den Zeitraum Januar bis Dezember 2020 auf insgesamt 448,20 € festgesetzt wird.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Der Streitwert wird auf 396 € festgesetzt.
Tatbestand
2Streitig ist, ob der Klägerin für den Zeitraum Januar bis Dezember 2020 ein Anspruch auf Vorsteuervergütung zusteht, und hierbei insbesondere die Frage, ob der entsprechende Vergütungsantrag hinsichtlich der Angaben zu einzelnen Rechnungen ordnungsgemäß gestellt worden ist.
3Die Klägerin ist ein in der Tschechischen Republik ansässiges Unternehmen im Bereich des Handels mit landwirtschaftlichen Produkten. Am 1. März 2021 stellte sie über das elektronische Portal einen Antrag auf Vorsteuervergütung im besonderen Verfahren gemäß § 18 Abs. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.V.m. §§ 59 ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) in Höhe von 448,20 € für den Zeitraum Januar bis Dezember 2020.
4Gegenstand dieses Antrags waren insgesamt acht Rechnungen der inländischen Z in Y, in denen über landwirtschaftliche Erzeugnisse im Sinne des § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG unter Ausweis eines Steuersatzes von 10,7 % abgerechnet wurde. In sämtlichen dem Antrag beigefügten Rechnungen waren die inländische Steuernummer sowie die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (UStIDNr) des Rechnungsausstellers angegeben. Keine von beiden Nummern wurde in die Anlage zum Vergütungsantrag in das dafür vorgesehene Feld übernommen. Bei den Rechnungspositionen Nr. 5 bis 8 der Anlage zum Antrag handelte es sich um Kleinbetragsrechnungen gemäß § 33 UStDV.
5Mit Schreiben vom 10. März 2021 forderte der Beklagte die Klägerin auf, einen korrigierten bzw. neuen Antrag über das elektronische tschechische Portal zu stellen und hierbei hinsichtlich der Rechnungspositionen 1 bis 4 die Steuernummer oder die UStIDNr des leistenden Unternehmers einzusetzen.
6In ihrer E-Mail vom 12. März 2021 wies die Klägerin darauf hin, dass die UStIDNr des leistenden Unternehmers in allen acht Rechnungen die gleiche sei und es sich jeweils um die Nummer DE 1a handele. Es sei nicht nachvollziehbar, warum Ergänzungen für die Rechnungspositionen 1 bis 4 erforderlich seien, nicht jedoch für die Rechnungspositionen 5 bis 8.
7Infolge des Fehlens eines korrigierten oder erneut gestellten elektronischen Antrags vergütete der Beklagte mit Bescheid vom 19. Mai 2021 einen Betrag i.H.v. 52,62 € bezüglich der Rechnungspositionen 5 bis 8. Hinsichtlich der Rechnungen zu den Positionen 1 bis 4 lehnte er die beantragte Vergütung mit der Begründung ab, dass die Klägerin trotz schriftlicher Aufforderung keine vollständige Anlage vorgelegt habe, in der auch die Steuernummer oder die UStIDNr der Z als leistendem Unternehmen aufgeführt sei (Bearbeitungsvermerk 496).
8Im Laufe des nachfolgenden Einspruchsverfahrens forderte der Beklagte die Klägerin erneut auf, hinsichtlich der Rechnungspositionen 1 bis 4 die Steuer- bzw. UStIDNr des leistenden Unternehmers im Rahmen eines entsprechend korrigierten bzw. eines neuen Antrags über das elektronische Portal zu übermitteln.
9Nachdem die Klägerin in der Folge mitgeteilt hatte, dass ein korrigierter bzw. erneuter Antrag über das tschechische Portal technisch nicht möglich sei, sich jedoch die fraglichen Nummern aus den dem Antrag beigefügten Rechnungen ergäben und es sich zudem sowohl bei den Rechnungspositionen 5 bis 8, die bereits anerkannt worden seien, als auch bei den Rechnungspositionen 1 bis 4, die noch im Streit stünden, um dieselbe UStIDNr handele, die dem Beklagten überdies im Laufe des Verfahrens mehrfach mitgeteilt worden sei, wies der Beklagte den Einspruch mit Entscheidung vom 15. September 2021 als unbegründet zurück.
10Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden, am 14. Oktober 2021 bei Gericht eingegangenen Klage, mit der sie ihr Begehren auf antragsgemäße Festsetzung einer Vorsteuervergütung aus den Antragspositionen 1 bis 4 und damit die Festsetzung eines zusätzlichen Vergütungsbetrags in Höhe von 395,58 EUR weiter verfolgt.
11Sie trägt hierzu vor, dass sich ihre Eintragungen hinsichtlich der Rechnungspositionen 5 bis 8 nicht von denjenigen unterschieden, die sie hinsichtlich der Rechnungspositionen 1 bis 4 vorgenommen habe und ihr infolgedessen auch die Vorsteuervergütung für diese zustehe. Im Übrigen verfüge der Beklagte über sämtliche Informationen und Unterlagen, die er für die Antragsgewährung benötige.
12Die Klägerin beantragt sinngemäß,
13unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 15. September 2021 den Vergütungsbescheid vom 19. Mai 2021 dergestalt zu ändern, dass die Vergütung von Vorsteuern für den Zeitraum Januar bis Dezember 2020 auf insgesamt 448,20 € festgesetzt wird.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen,
16hilfsweise, die Revision zuzulassen.
17Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass der Antrag der Klägerin bei richtlinienkonformer Auslegung von § 18 Abs. 9 UStG sowie § 61 UStDV nicht als wirksam gestellt anzusehen sei. Denn ein fristgerecht eingegangener Antrag auf Vergütung von Vorsteuern gelte gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 2 der 11. Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (nachfolgend kurz: Richtlinie 2008/9/EG) nur dann als wirksam gestellt, wenn er alle in den Artikeln 8, 9 und 11 der Richtlinie 2008/9/EG geforderten Angaben enthalte. Die Antragsfrist werde nur durch einen vollständigen, den gesetzlichen Vorgaben in allen Einzelheiten entsprechenden Antrag eingehalten (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999, V R 76/98; BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2012, XI B 111/11). Hierzu gehöre auch die als Anlage zum Antrag einzureichende Einzelaufstellung der zu Grunde liegenden Rechnungen. Für jede Rechnung seien alle gemäß Art. 8 Abs. 2 und Art. 9 der Richtlinie 2008/9/EG erforderlichen Angaben korrekt und vollständig einzutragen, wozu auch die Steuernummer oder UStIDNr des leistenden Unternehmers gehöre.
18Die geforderten Daten seien auf der Grundlage amtlich vorgeschriebener Datensätze über das Portal des jeweiligen Ansässigkeitsstaats zu übermitteln (vgl. Art. 7 der Richtlinie 2008/9/EG und § 61 Abs. 1 UStDV). Eine Übermittlung der Daten per E-Mail sei nicht möglich, auch nicht in einer separaten E-Mail ergänzend zu dem über das elektronische Portal eingereichten Vergütungsantrag.
19Eine Ausnahme bestehe bei sogenannten Kleinbetragsrechnungen, d. h. bei Rechnungen, deren Gesamtbetrag 250 € nicht übersteige, § 33 UStDV. Gem. § 35 UStDV könne ein Unternehmer den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen, indem er den Rechnungsbetrag in Entgelt und Steuerbetrag aufteile. Kleinbetragsrechnungen müssten grundsätzlich keine Angaben zur Steuernummer bzw. UStIDNr des Rechnungsausstellers enthalten. Daher könnten insoweit in der Regel auch keine Angaben in der Anlage zum Antrag erfasst werden. Dies berücksichtigend habe der Beklagte die Rechnungspositionen 5 bis 8, bei denen es sich um solche Kleinbetragsrechnungen handele, im Vergütungsbescheid vom 19. Mai 2021 einer Erstattung zu Grunde gelegt. Entgelt und Steuerbetrag seien in der Anlage enthalten gewesen.
20Bei den Rechnungen zu den Rechnungspositionen 1 bis 4 der Anlage zum Antrag habe es sich hingegen nicht um solche Kleinbetragsrechnungen gehandelt. Insoweit sei der Antrag abzulehnen gewesen. Er sei diesbezüglich bis zum heutigen Tage unwirksam, da er nicht alle erforderlichen Angaben enthalte. Die Klägerin habe es versäumt, die nach Art. 8 Abs. 2 b) der Richtlinie 2008/9/EG geforderte Steuernummer bzw. UStIDNr vollständig in die Anlage zum Antrag einzutragen.
21Nach der Rechtsprechung des FG Köln sei auch die Antragsanlage Gegenstand des amtlich vorgeschriebenen Datensatzes im Sinne des § 61 Abs. 1 UStDV, weshalb dort die Rechnungen mit allen geforderten Angaben im Einzelnen aufzulisten seien (Hinweis auf das Urteil vom 29. Januar 2014, 2 K 317/11).
22Diese Anlage sei Teil des Antrags und müsse daher auch über das elektronische Portal vollständig ausgefüllt eingereicht werden. Die Übermittlung mittels einer separaten E‑Mail reiche hierfür nach der Rechtsprechung des FG Köln nicht aus (Hinweis auf die Urteile vom 20. Mai 2020, 2 K 1716/18 und 2 K 1949/18).
23Die fehlerhaften Angaben der Klägerin im Antrag müssten insoweit insgesamt als nicht erfolgt angesehen werden, da nicht alle gesetzlich erforderlichen Angaben in der Anlage zum Vergütungsantrag vorgenommen worden seien.
24Schließlich ergebe sich auch bei Berücksichtigung der EuGH-Urteile vom 18. November 2020 in der Rechtssache C-371/19 und vom 17. Dezember 2020 in der Rechtssache C‑346/19 kein anderes Ergebnis.
25Den Ausführungen des EuGH in der Rechtssache C-371/19 habe der Beklagte dadurch Genüge getan, dass er die Klägerin nach Antragseingang mit Hinweisschreiben vom 10. März 2021 sowie zuletzt mit Erörterungsschreiben vom 8. Juni 2021 im Rahmen des Einspruchsverfahrens auf die vorgenannten fehlenden Angaben in der Anlage zum Antrag hingewiesen und um Einreichung eines korrigierten oder erneut gestellten Antrags über das elektronische Portal aufgefordert habe. Soweit die Klägerin im Einspruchsverfahren behauptet habe, ein Nachreichen über das tschechische Portal sei technisch nicht möglich gewesen, fehle es an einer substantiierten Darlegung.
26Auch aus dem EuGH-Urteil vom 17. Dezember 2020 (C-346/19) entstehe der Klägerin kein Vorteil. Denn in diesem Urteil habe sich der EuGH primär auf die fehlende Rechnungsnummer im Sinne des Art. 8 Abs. 2 d) der Richtlinie 2008/9/EG bezogen. In dem der dortigen Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt habe der Antragsteller teilweise fehlerhafte Angaben zu Rechnungsnummern gemacht, indem er Referenznummern der Rechnungen eingefügt habe. Bei Berücksichtigung dieser Referenznummern sei eine Zuordnung der Rechnungen zur Anlage möglich gewesen. Die Klägerin habe hingegen die Angabe der konkret geforderten Steuer- bzw. UStIDNr vollständig unterlassen.
27Außerdem folge die Notwendigkeit der Eintragung von Steuernummer oder UStIDNr unmittelbar aus der Richtlinie selbst; es lägen keine von der Verwaltung zusätzlich festgelegten Antragsanforderungen vor.
28Da der Antrag selbst und die Anlage mit den Rechnungseinzelaufstellungen als Einheit den Vergütungsantrag darstellten, der Antrag jedoch hinsichtlich der strittigen Rechnungspositionen 1 bis 4 unvollständig eingereicht worden sei, sei er hinsichtlich dieser Rechnungspositionen als unwirksam zu betrachten.
29Das Gericht hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2022 stattgegeben. Daraufhin hat der Beklagte die mündliche Verhandlung beantragt.
30Ergänzend trug er unter Bezugnahme auf die Begründung im Gerichtsbescheid vor, dass die vom erkennenden Senat herangezogene Entscheidung des EuGH vom 21. Oktober 2021 in der Rechtssache C-396/20 nicht auf den Streitfall übertragbar sei. Während es im vom EuGH zu beurteilenden Fall Differenzen zwischen beantragter Vorsteuervergütung und in der Rechnung höher ausgewiesener Umsatzsteuer gegeben habe, fehlten vorliegend in der Antragsanlage sämtliche Angaben zur UStIDNr bzw. zur Steuernummer. Weiterhin stehe zwar außer Zweifel, dass die Klägerin im Streitfall sämtliche gemäß Art. 8 Abs. 2 Buchst. a) sowie Buchst. c) ff. und Art. 9 der 11. RL erforderlichen Angaben in der Anlage zum Vergütungsantrag eingetragen und die zu Grunde liegenden Rechnungen elektronisch eingereicht habe. Der Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 der 11. RL verlange indes alle erforderlichen Angaben, mithin auch diejenigen nach Art. 8 Abs. 2 Buchstabe b) der 11. RL zur UStIdNr. oder zur Steuernummer, die vorliegend unstreitig in der Anlage fehlten.
31In seinem vom erkennenden Senat im Gerichtsbescheid herangezogenen Urteil vom 17. Dezember 2020 in der Rechtssache C-346/19 habe der EuGH zudem lediglich entschieden, dass die Angabe einer Referenznummer als alternative Angabe zur eigentlich geforderten Rechnungsnummer eine Zuordenbarkeit der jeweiligen Rechnung zuließe. Auch dies sei mit dem gänzlichen Fehlen eines Nummerneintrags in der Anlage nicht vergleichbar. Entgegen der Auffassung des erkennenden Senats könne daher aus der Rechtsprechung des EuGH nicht automatisch geschlossen werden, dass die Finanzverwaltung bei unzureichenden Angaben in einem Vorsteuervergütungsantrag die fehlenden Informationen aus den ihr vorliegenden Rechnungen zu entnehmen habe. Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer dürfe nicht zu einer Aushöhlung der im Rahmen der Antragstellung geforderten und in einem Massenverfahren benötigten formellen Antragsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 und 9 der 11. RL und des § 61 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UStDV führen. Auch nach der Historie und dem Sinn und Zweck der Regelung sei eine Auslegung, wonach einer Vorsteuervergütung nichts entgegen stehe, obwohl entgegen den Vorgaben des Art. 8 Abs. 2 der 11. RL in der Anlage zum Vergütungsantrag in mindestens einem Fall überhaupt keine Angaben vorgenommen worden seien, äußerst fraglich.
32Schließlich habe die Frage der Auslegung des § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV unter Berücksichtigung des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 der 11. RL in Bezug auf die erforderlichen Angaben in der Anlage zum Vergütungsantrag über den vorliegenden Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung, da eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle betroffen seien. Schließlich sei die Einhaltung der formalen Antrags-Voraussetzungen auch für die Standardisierung und Automatisierung des Verfahrens und für die Einhaltung der Vorgaben des EU-Richtliniengebers unabdingbar.
33Entscheidungsgründe
34I. Die zulässige Klage ist begründet.
35Der angefochtene Vergütungsbescheid vom 19. Mai 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 101 Satz 1 FGO), soweit der Vergütungsantrag der Klägerin abgelehnt wurde. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die begehrte (weitere) Vorsteuervergütung i.H.v. 395,58 € für den Zeitraum Januar bis Dezember 2020 zu.
361. Die Klägerin ist berechtigt, für den Streitzeitraum die Vergütung von Vorsteuer in Höhe von insgesamt 448,20 € im besonderen Verfahren gemäß § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV und damit auch die Vorsteuervergütung hinsichtlich der vorliegend noch streitigen Antragspositionen 1 bis 4 die Rechnungen der Z betreffend zu verlangen. Die Klägerin hat auch insoweit einen wirksamen Antrag eingereicht.
37a) Gemäß § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG kann das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrats die Vergütung der Vorsteuerbeträge an im Ausland ansässige Unternehmer abweichend von § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 UStG durch Rechtsverordnung in einem besonderen Verfahren regeln. Von dieser Ermächtigung hat der Verordnungsgeber in §§ 59 ff. UStDV Gebrauch gemacht.
38b) Das in § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV geregelte Vorsteuervergütungsverfahren beruht dabei auf der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (ABl 44 vom 20. Februar 2008, S. 23), die durch die Richtlinie 2010/66/EU (ABl L 275 vom 20. Oktober 2010, S. 1) geändert worden ist (nachfolgend: Richtlinie 2008/9/EG).
39Gemäß Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2008/9/EG sind in dem Erstattungsantrag für jede Rechnung bestimmte Angaben zu machen. Hierzu gehören u.a.: Name und vollständige Anschrift des Lieferers oder Dienstleistungserbringers (Buchst. a), Steuernummer oder UStIDNr des leistenden Unternehmers (Buchst. b), Datum und Nummer der Rechnung (Buchst. d), Steuerbemessungsgrundlage und Mehrwertsteuerbetrag (Buchst. e), Art der erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen aufgeschlüsselt nach den Kennziffern gemäß Artikel 9 (Buchst. h).
40c) Der deutsche Gesetzgeber hat diese gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG und § 61 Abs. 1 UStDV umgesetzt und dort geregelt, dass der im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer – wie im Streitfall die Klägerin – den Vergütungsantrag nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung über das in dem Mitgliedstaat, in dem der Unternehmer ansässig ist, eingerichtete elektronische Portal dem Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln hat.
412. Nach diesen Vorgaben hat die Klägerin bezogen auf den geltend gemachten Vergütungsanspruch für den Zeitraum Januar bis Dezember 2020 innerhalb der hierfür gemäß § 18 Abs. 9 Satz 2 Nr. 2 UStG i.V.m. § 61 Abs. 2 Satz 1 UStDV am 30. September 2021 abgelaufenen Antragsfrist einen ordnungsgemäßen Vergütungsantrag gestellt.
42a) Gegenstand des amtlich vorgeschriebenen Datensatzes, auf den § 61 Abs. 1 UStDV Bezug nimmt, ist u.a. eine Antragsanlage. In dieser Anlage sind die Rechnungen, für die die Vorsteuervergütung begehrt wird, im Einzelnen aufzulisten.
43b) Dem ist die Klägerin mit dem streitgegenständlichen Vergütungsantrag nachgekommen und hat nicht nur sämtliche gemäß Art. 8 Abs. 2 Buchst. a) sowie Buchst. c) ff. und Art. 9 der Richtlinie 2008/9/EG erforderlichen Details eingetragen, sondern auch die zu Grunde liegenden Rechnungen elektronisch miteingereicht.
44Die gemäß Art. 8 Abs. 2 Buchst. b) der Richtlinie 2008/9/EG erforderlichen Angaben zur Steuernummer oder zur UStIDNr des leistenden Unternehmers, die in sämtlichen die Antragspositionen 1 bis 4 betreffenden Rechnungen enthalten waren, hat die Klägerin zwar nicht aus den beigefügten Rechnungen in die dafür vorgesehenen Felder der Anlage übertragen und damit, worauf der Beklagte im Ausgangspunkt zutreffend abstellt, insoweit nicht den besonderen Formalien des Vergütungsverfahrens genügt. Im Lichte der europarechtlichen Vorgaben durch die Richtlinie 2008/9/EG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH steht dies jedoch, anders als der Beklagte meint, einer Vergütung der in Rechnung gestellten Steuer nicht entgegen.
45aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH verlangt das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Voraussetzungen nicht genügt hat. In solchen Fällen darf die Steuerverwaltung hinsichtlich des Rechts eines Steuerpflichtigen auf Ausübung des Vorsteuerabzugs keine zusätzlichen Voraussetzungen aufstellen, die die Ausübung des Rechts vereiteln könnten. Dies hat der EuGH auch bezogen auf das Vorsteuervergütungsverfahren bestätigt und entschieden, dass formal fehlerhafte Rechnungen auch noch nach Ablauf der Antragsfrist korrigiert werden und damit zum Vorsteuerabzug berechtigen können (vgl. EuGH‑Urteil vom 15. September 2016, C-516/14, HFR 2016, 1031).
46Des Weiteren wurde vom EuGH die Verwaltungspraxis des Beklagten beanstandet, wonach Vorsteuervergütungsanträge unmittelbar und allein mit der Begründung einer unvollständigen Antragstellung abgelehnt werden, ohne von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, gemäß Art. 20 der Richtlinie 2008/9/EG bei den Antragstellern fehlende Belege oder Angaben nachzufordern (vgl. EuGH-Urteile vom 18. November 2020, C‑371/19, HFR 2021, 112, und vom 17. Dezember 2020, C‑346/19, HFR 2021, 221).
47Schließlich hat der EuGH wiederholt, jüngst mit Urteil vom 21. Oktober 2021 (C‑396/20), ausgesprochen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug bzw. Mehrwertsteuererstattung als integraler Bestandteil des Mehrwertsteuersystems der EU grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann. Der Vorsteuerabzug ist auch dann zu gewähren, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat (vgl. EuGH-Urteile vom 18. November 2020, C‑371/19, HFR 2021, 112; vom 17. Dezember 2020, C‑346/19, HFR 2021, 221 und vom 21. Oktober 2021, C-396/20, DStRE 2021, 1516). Anders ist dies nur, wenn der Verstoß gegen formelle Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen auf einen Vorsteuervergütungsanspruch erfüllt wurden (vgl. EuGH-Urteil vom 18. November 2020, C‑371/19, HFR 2021, 112).
48Wenn die Verwaltung über Angaben verfügt, die für die Feststellungen erforderlich sind, dass der Steuerpflichtige die Mehrwertsteuer schuldet, darf sie keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug vereiteln können (vgl. EuGH-Urteil vom 18. November 2020, C‑371/19, HFR 2021, 112). Dies ist der Fall, wenn von der in Art. 10 der Richtlinie 2008/9/EG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, mit der Antragstellung die Übersendung von Rechnungskopien zu verlangen, wie dies in Deutschland geschehen ist, und wenn der Antragsteller die Rechnungen eingereicht hat (vgl. EuGH-Urteil vom 18. November 2020, C‑371/19, HFR 2021, 112).
49bb) Aus der dargestellten Rechtsprechung des EuGH folgt, dass die Finanzverwaltung bei unzureichenden Angaben in einem Vorsteuervergütungsantrag die fehlenden Informationen aus den ihr vorliegenden Rechnungen zu entnehmen hat. Die in der Antragsanlage fehlenden UStIDNr oder Steuernummern waren daher vom Beklagten unter Einbeziehung der mit dem Antrag eingereichten Rechnungen, die diese Nummern unstreitig enthielten, zu ermitteln.
50Dem Beklagten lagen damit – worauf der EuGH maßgeblich abstellt – jedenfalls unter ergänzender Einbeziehung der vorgelegten Rechnungen alle Informationen vor, um eine Entscheidung darüber treffen zu können, ob die materiellen Anforderungen für einen Vorsteuerabzug bzw. eine Mehrwertsteuererstattung gegeben sind.
51Dass die den maßgeblichen Entscheidungen des EuGH zu Grunde liegenden Sachverhalte nicht mit dem vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt übereinstimmen, ist, entgegen der Auffassung des Beklagten, die dieser zur Begründung seines Antrags auf mündliche Verhandlung nach Ergehen des Gerichtsbescheids vertiefend dargestellt hat, unschädlich. Denn die vom EuGH bekräftigten Grundprinzipien und festgestellten Grundsätze sind unabhängig von den konkreten Details zu berücksichtigen, bei denen formellen Anforderungen nicht genügt wurde.
52Aufgrund des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer können die vorliegend von der Klägerin nicht beachteten Anforderungen im Hinblick auf die Angaben im Vergütungsantrag den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Der Verstoß gegen diese formellen Erfordernisse verhindert nicht den sicheren Nachweis, dass die materiellen Anforderungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind. Nur wenn dies der Fall wäre, ist nach der Rechtsprechung des EuGH aufgrund eines Verstoßes gegen formelle Anforderungen – trotz des maßgeblichen Neutralitätsprinzips – ein Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht gegeben, da dem Beklagten alle erforderlichen Rechnungsunterlagen im Hinblick auf die abgerechneten Umsätze vorlagen und schließlich auch keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Geltendmachung des Vorsteuerabzugs erkennbar sind.
53Durch die unterbliebene Angabe der UStIDNr bzw. Steuernummer in der Antragsanlage wurde vorliegend die Arbeit des Beklagten auch nicht unzumutbar erschwert. Die jeweiligen Rechnungen waren unschwer und sicher anhand der in der Anlage angegebenen Rechnungsnummern, des jeweiligen Rechnungsdatums und der genannten Umsatzsteuerbeträge zu identifizieren und den Angaben in der Antragsanlage zuzuordnen. Unbeachtet kann mithin bleiben, dass der Erstattungsantrag sich lediglich auf insgesamt acht Einzelrechnungen bezieht.
54II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
55III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
56IV. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.
57V. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 63 GKG.