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Der Abrechnungsbescheid für Einkommensteuer 1985 vom 13. Dezember 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2017 wird dahingehend geändert, dass die bislang per 7. Dezember 2016 (Fälligkeitsdatum) ausgewiesenen Beträge
- von 5.474,21 € (resultierend aus dem Bescheid vom 19. März 1996) mit Ablauf des 31. Dezember 2001 und
- von 15.260,53 € (resultierend aus dem Bescheid vom 28. März 2000) mit Ablauf des 31. Dezember 2005
jeweils durch Zahlungsverjährung erloschen sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 75 v.H. und der Beklagte zu25 v.H.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leisten.
Beschränkt auf die Entscheidung hinsichtlich des Abrechnungsbescheides zur Einkommensteuer 1985 wird die Revision zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Steuerfestsetzungen und-nachforderungen betreffend Einkommensteuer 1983 bis 1985 sowie einen auf § 218 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) gestützten Abrechnungsbescheid für die Einkommensteuer 1983 und 1985.
3Der 1958 geborene Kläger ist Rechtsanwalt sowie Fachanwalt für Steuerrecht. Er war in den sehr weit zurückliegenden Streitjahren neben anderen Familienmitgliedern an der mittlerweile liquidierten „A“ (nachfolgend „KG“) als Kommanditist beteiligt. Die Einkünfte wurden gesondert und einheitlich festgestellt. Der Kläger wurde in den Streitjahren 1983 bis 1985 einzeln zur Einkommensteuer veranlagt.
41. Ausgangsachverhalt im Feststellungsverfahren und AdV im Feststellungsverfahren:
5Nach Aktenlage kam es nach Abgabe der Einkommensteuererklärungen 1983 bis 1985 aufgrund von Rechtsbehelfsverfahren bei der KG (d.h. im Feststellungsverfahren zu den hier streitigen Jahren) zu diversen Aussetzungs- sowie Stundungsanträgen bei der Einkommensteuer (als Folgebescheiden zu den Feststellungsbescheiden) des Klägers. Die Einkommensteuerakte des Streitjahres 1983 enthält ab Ende der 1980er-Jahre, insbesondere im Zeitraum zwischen 1990 und 1995, diverse Einspruchsschreiben, die Beantragung von Aussetzung der Vollziehung (AdV), Beantragung von Stundungen oder Vollstreckungsaufschub sowie weiteren Schriftverkehr (bspw. eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Mahnungen). Die auf Ebene der KG festgestellten Besteuerungsgrundlagen blieben nach einer Betriebsprüfung (Bp) streitig, Ab dem 7. März 1996 kam es deshalb ausweislich des Prozessregisters und der Steuerakten – zwischen den Beteiligten in tatsächlicher Hinsicht unstreitig – zu einem Klageverfahren beim 12. Senat des Finanzgerichts (FG) Köln wegen gesonderter und einheitlicher Feststellung von Einkünften der KG (diese nunmehr wegen Insolvenz neben anderen Klägern erhoben/fortgeführt durch den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes) für die Jahre 1983 bis 1985 unter dem Aktenzeichen 12 K .../96. Der Kläger war nach Aktenlage an diesem Verfahren als Kläger (neben dem Insolvenzverwalter sowie anderen ehemaligen Kommanditisten) beteiligt. Wegen des vorprozessualen Klageablaufs wird auf die Schilderung im Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 1. Dezember 2016 (Blatt – Bl. – 24 f. der beigezogenen AdV-Akte 15 V 3177/16) verwiesen.
6In einem dem Klageverfahren vorangegangenen Einspruchsverfahren der KG teilte das Finanzamt (FA) E mit Schreiben vom 14. Juni 1995 (siehe Rechtsbehelfsakte „Abrechnungsbescheid“, Rechtsbehelfsstelle 5 – Herr B) der Kanzlei C GmbH für das „Rechtsbehelfsverfahren D GmbH i.K., ehemalige A“ für die nachfolgend genannten Mandanten, auch den Kläger, mit, dass nach bestandskräftiger Hinzuziehung die Vollziehung der Feststellungsbescheide 1983 und 1985 vom 2. März 1993 (in der Fassung der Berichtigungsbescheide vom 4. Juni 1993) ausgesetzt wird, „soweit sie die jeweils anteiligen Feststellungen der Einkünfte in den vorangegangenen Bescheiden vom 4.12.1989 (für 1983), 12.05.1987 (für 1984) und vom 18.02.1987 (für 1985) übersteigen, nunmehr auch für die Kommanditisten bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Rechtsbehelf [...].“
72. Weiterer Ablauf bzgl. Einkommensteuer 1983:
8Ferner kam es – nach diversen vorherigen Aussetzungsverfügungen – zu einer Aussetzungsverfügung des FA E (seinerzeit auch für die Einkommensteuer des Klägers zuständiges Wohnsitzfinanzamt) vom 29. Juni 1995 (siehe Bl. 87 der elektronischen Fassung der Gerichtsakte – eGA – 15 K 3317/17), welche an „F“, seinerzeit wohnhaft in G, gerichtet war und eine Einkommensteuer 1983 vom 14. September 1993 i.H.v. 1.266.345 DM sowie eine Kirchensteuer 1983 i.H.v. 113.971 DM gem. § 361 AO von der Vollziehung aussetzte (AdV). Die AdV galt laut Verfügung „ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Rechtsbehelf [bezogen auf das Einspruchsverfahren der KG, Anm. des Gerichts]. Gleiches gilt bei anderweitiger Beendigung des Verfahrens.“ Die Aussetzungsverfügung ist ausweislich eines „zPA-Vermerks“ am 29. Juni 1995 versandt worden.
9Die Klägerseite bestreitet den Zugang dieser Aussetzungsverfügung und erhebt hilfsweise weitere Einwendungen hiergegen (siehe näher unten). In der Erhebungsakte befindet sich der Einkommensteuerbescheid 1983 des Klägers vom 14. September 1993, der auf Basis des Feststellungsbescheids vom 4. Juni 1983 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert worden ist (siehe Erläuterungen im Bescheid). In jenem Bescheid werden ein Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. 2.365.697 DM und ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn von 51.440 DM angesetzt. Die festgesetzte Einkommensteuer 1983 betrug in dem Bescheid 1.301.020 DM, die zu zahlende Einkommensteuer 1983 (ohne Säumniszuschläge) betrug 1.266.304 DM. In der Aussetzungsverfügung vom 29. Juni 1995 („Folge-Aussetzung Einkommensteuerebene“) wurde damit letztlich (weiterhin) die vollständige Einkommensteuer von der Vollziehung ausgesetzt. Bereits zuvor war die Steuer nach Aktenlage von der Vollziehung ausgesetzt. Für die Kirchensteuer 1983 gilt dies entsprechend.
103. Weiterer Ablauf bzgl. Einkommensteuer 1984:
11Durch die Bp war nach Aktenlage die Einkommensteuer 1984 unverändert auf 0 DM festgesetzt gewesen, weil die gewerblichen Einkünfte durch einen Verlustrücktrag aus 1986 (kein Streitjahr des hiesigen Verfahrens) auf 0 DM vermindert wurden. Die geänderten festgestellten Einkünfte 1984 waren Gegenstand des Einspruchs- und Klageverfahrens der KG (hier: FG Köln 12 K .../96), einer AdV auf Einkommensteuerebene bedurfte es aufgrund der Nullfestsetzung nicht.
124. Weiterer Ablauf bzgl. Einkommensteuer 1985:
13Eine Aussetzungsverfügung zur Einkommensteuer 1985 ist in den Akten nicht auffindbar. Der Beklagte gesteht dies ein, verweist aber auf in der Erhebungsakte befindliche, nach maschinellen Daten erzeugte und ausgedruckte Erhebungskontoauszüge (als Grundlage zum Abrechnungsbescheid – siehe unten). Laut einem Kontoauszug vom 19. September 2017 (siehe Bl. 200 ff. der beigezogenen AdV-Akte 15 V 3177/16) sei am 22. April 1996 eine Festsetzung über (umgerechnet) 86.196,65 € fällig gewesen und dann ausgesetzt worden. Am 2. November 2016 werden 80.569,91 € (ohne nähere Erläuterung) und 152,53 € „Zubuchung von Kirchensteuer rk“ als gezahlte Steuern zugebucht, wodurch ein Saldo von – 5.474,21 € (= Rückstand) bei einer am 20.12.2016 angemahnten Steuer (Vollziehung sei bis zum 7. Dezember 2016 ausgesetzt gewesen) verblieb.
14Per 2. Mai 2000 wird ferner eine fällige, aber von der Vollziehung ausgesetzte Einkommensteuer 1985 von (umgerechnet) 15.260,53 € ausgewiesen, die nach angegebener Beendigung der AdV (per 7. Dezember 2016) ebenso am 20. Dezember 2016 angemahnt worden sei. Der Gesamtrückstand zur Einkommensteuer 1985 habe demnach 20.734,74 € (Summe aus 5.474,21 € und 15.260,53 €) betragen. Für die Kirchensteuer 1985 gilt dies mit den entsprechenden Festsetzungen entsprechend (siehe i.E. Erhebungskontoauszug).
15Eine vom Beklagten angelegte „Akte für AdV-Zwecke“ zeigt eine 2006 verwaltungsintern veranlasste Prüfung bzgl. der ausgesetzten Beträge. Zur Einkommensteuer 1985 wird u.a. eine ausgesetzte per 2. Mai 2000 fällige Steuer von 15.260,53 € angeführt. Eine genaue Verifikation der Vorgänge konnte beim FA E nicht erfolgen, da dort Akten nicht mehr vorhanden waren (so der Aktenvermerk innerhalb der Finanzbehörde).
165. Weitere Abläufe im Klageverfahren zur Feststellung von Besteuerungsgrundlagen der KG in den Jahren 1983 bis 1985 (FG Köln 12 K .../96):
17Am 29. November 2006 wurde das Klageverfahren 12 K .../96 bzgl. der Feststellungen 1983 bis 1985 im zweiten Rechtsgang durch eine Hauptsacheerledigung beendet, indem sich der Beklagte zugunsten der KG zur Aufhebung von Änderungsbescheiden der KG (ausweislich der Akte: datierend vom 2. März 1993 und 4. Juni 1993; so Protokoll des Erörterungstermins siehe Bl. 21 f. der beigezogenen AdV-Akte 15 V 3177/16) verpflichtete.
18Erst am 7. September 2015, d.h. fast neun Jahre nach dem Erörterungstermin im Verfahren 12 K .../96 vom 29. November 2006, erließ das Feststellungsfinanzamt (FA E) geänderte Feststellungsbescheide sowie an das nun für den Kläger zuständige Wohnsitzfinanzamt eine „ESt4B-Mitteilung“ über geänderte Beteiligungseinkünfte. Einwendungen gegen den Feststellungsbescheid sind nicht aktenkundig. An den Kläger erging an diesem Tag auch eine Mitteilung (siehe Schreiben der RBST 5 des FA E vom 7. September 2015, Bl. 23 der beigezogenen AdV-Akte 15 V 3177/16).
196. Umsetzung der geänderten Feststellungsbescheide im Einkommensteuerverfahren des Klägers:
20Die Mitteilung setzte der nun für den Kläger zuständige Beklagte mit auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Bescheiden vom 2. November 2016 und Hinweis auf geänderte/aufgehobene Feststellungsbescheide vom 7. September 2015 um.
211983:
22Im geänderten Einkommensteuerbescheid 1983 wurden die Beteiligungseinkünfte 1983 (ohne Veräußerungsgewinne) nach § 15 Einkommensteuergesetz (EStG) mit 300.646 DM angesetzt, ein Veräußerungsgewinn von 51.440 DM blieb steuerfrei, die per 7. Dezember 2016 zu zahlende Einkommensteuer beträgt 48.930,63 € und die Kirchensteuer 4.404,12 €. Der Bescheid enthielt den Hinweis: „Die Aussetzung der Vollziehung endet zum 07.12.16.“ Der Bescheid änderte den Einkommensteuerbescheid vom 10. Dezember 2000 (ausweislich der Erläuterungen). Ausweislich des in der ESt-Akte abgehefteten Bescheids (Proberechnung der vorherigen Festsetzung; verifiziert auch durch Ausdruck der Speicher-/Veränderungsdaten der vorherigen Veranlagung) betrug die Einkommensteuer zuvor 665.200 €, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb betrugen (einschl. eines Veräußerungsgewinns von 51.440 DM) 2.417.137 DM.
231984:
24Die Einkommensteuer 1984 wurde weiterhin mit 0 € festgesetzt. Laut Bescheid führte dies zu einer Erstattung von 46.032,12 €, die laut Abrechnungsteil aber „bereits erstattet“ wurde. Als Einkünfte aus Gewerbebetrieb wurden 198.930 DM angegeben, auf Seite 2 des Bescheids wurde nach Abzug von Sonderausgaben ein Verlustrücktrag aus 1986 von 184.063 DM (Verlustrücktrag aus 1986 zuvor: 546.196 DM) angesetzt, was zu einem zu versteuernden Einkommen (zvE) von 0 DM führte. Geändert wurde laut Bescheid der Einkommensteuerbescheid vom 10. Dezember 2000, der jedoch auch bereits eine Einkommensteuer von 0 € festgesetzt hatte; dies resultierte aus einem Verlustrücktrag aus 1986 (genaue Werte s.u. in Tabelle).
251985:
26Im geänderten Einkommensteuerbescheid 1985 (Bl. 48 ff. eGA 15 K 3317/17) wurden die Beteiligungseinkünfte 1985 mit 3.663.157 DM angesetzt (Betrag enthält einen Veräußerungsgewinn von 3.850.000 DM, in Einspruchsentscheidung fehlerhaft in € angegeben) sowie negative laufende Einkünfte von 101.501 DM und 85.342 DM, die per 7. Dezember 2016 zu zahlende Einkommensteuer betrug 20.734,74 € (festgesetzte Einkommensteuer: 448.978,69 € = 878.126 DM; Kirchensteuer keine Veränderung). Aus 1986 wurde ein Verlustrücktrag von 480.665 DM vorgenommen. Jener Verlustrücktrag war bereits im vorherigen Bescheid (vom 28. März 2000) vorgenommen worden. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass aufgrund der verminderten Besteuerungsgrundlagen 1984 und eines dortigen geringeren „Verlustverbrauchs“ nach damaliger Rechtslage (§ 10d EStG in der für den VZ 1985 geltenden Fassung) ein um 362.133 DM erhöhter Verlustrücktrag aus 1986 nach 1985 hätte vorgenommen werden müssen.
27Der Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 1985 vom 2. November 2016 enthielt den Hinweis auf die zum 7. Dezember 2016 endende Aussetzung der Vollziehung. Als vorangegangener Bescheid wurde ein Bescheid vom 28. März 2000 angeführt. Jener Bescheid befindet sich in Kopie in der Erhebungsakte, dort waren Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit 2.578.752 DM angesetzt, die festgesetzte Einkommensteuer betrug 1.153.243 DM (in €: 589.643,78). Die „Zahllast sofort“ wurde mit 252.621,95 DM und die „Zahllast per 02.05.00“ wurde mit 29.847 DM (umgerechnet in €: 15.260,53 = Wert gem. späterem Abrechnungsbescheid) angegeben. Der Bescheid vom 28. März 2000 enthielt, ebenso wie der Bescheid vom 2. November 2016, keine anrechenbaren Steuern gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Beide Bescheide enthielten jeweils einen Abrechnungsteil mit der Berücksichtigung von Steuerzahlungen. Die Beteiligungseinkünfte waren die einzigen bei der Summe/Gesamtbetrag der Einkünfte beim Kläger erfassten Einkünfte, weitere Einkünfte bestanden nicht.
28Die verminderte Einkommensteuer 1985 trotz höherer gewerblicher Einkünfte beruhte darauf, dass im Unterschied zum Bescheid vom 28. März 2000 im Bescheid vom 2. November 2016 ein Veräußerungsgewinn erfasst wurde, der gem. § 34 Abs. 2 EStG einer Tarifermäßigung unterworfen wurde (siehe i.E. Berechnung der tariflichen Einkommensteuer im Bescheid).
29Zusammenfassend ergaben sich folgende Änderungen zwischen der Einkommensteuerfestsetzung nach der Bp und nach den Abhilfeentscheidungen infolge der Hauptsacheerledigung in dem Verfahren des 12. Senats:
301983nach Bp (10.12.00) |
1983 nach 1. KlageV (2.11.16) |
1984nach Bp (10.12.00) |
1984 nach 1. KlageV (2.11.16) |
1985nach Bp (28.3.00) |
1985nach 1. KlageV (2.11.16) |
|
Festgesetzte ESt |
665.200 € (1.301.020 DM gerundet) |
66.659 € |
0 € |
0 € |
589.664 € (1.153.243 DM) |
448.978,69 € |
Zu zahlende ESt nachAnrechnung undAbrechnung |
649.288 € |
***48.930 € |
– 46.032 € (damals – 90.031 DM) |
0 € |
144.424 € (282.469 DM) |
***20.734,74 € |
Einkünfte§ 15 |
2.417.137 DM (lfd. und Veräuß.-Gewinn) |
300.646 DM |
550.063 DM |
187.930 DM |
2.578.752 DM |
3.663.157 DM (überwiegend begünstigt besteuert) |
Verlustabzug |
270 DM (Vortrag aus 81/82) |
38.399 DM (Vortrag aus 81/82) |
546.196 DM (Rücktrag aus 86) |
184.063 DM (Rücktrag aus 86) |
480.665 DM (Rücktrag aus 86) |
480.665 DM (Rücktrag aus 86) |
*** = im Abrechnungsbescheidverfahren streitiger Betrag
327. Abrechnungsbescheid-Verfahren:
33Unter dem 13. Dezember 2016 erließ der Beklagte einen Abrechnungsbescheid (Bl. 11 ff. eGA 15 K 3317/17) nach § 218 Abs. 2 AO zur Einkommensteuer 1983 und 1985.
34Der Abrechnungsbescheid führt eine offene/fällige Einkommensteuer 1983 per 7. Dezember 2016 i.H.v. 48.930,63 € an sowie eine offene Kirchensteuer 1983 per 7. Dezember 2016 i.H.v. 4.404,12 € (Werte wie Abrechnungsteil Bescheid vom 2. November 2016).
35Nach der Entwicklung der Erhebungskonten sei bereits am 11. Oktober 1993 eine Steuer von 649.288,54 € fällig gewesen, die aber nach geringfügiger Zahlung (1.816,62 €) in Höhe von 647.471,92 € unbefristet ausgesetzt worden sei. Die Aussetzungsverfügung ist in der Einkommensteuerakte mit dem vorgenannten Wert vorhanden. Sie nimmt Bezug auf den Einkommensteuerbescheid vom 14. September 1993. Der ausgesetzte Wert ist identisch mit der (späteren) Aussetzungsverfügung vom 29. Juni 1995 zu Beginn des Klageverfahrens.
36Nach einer Änderung mit dem Bescheid vom 2. November 2016 (Verringerung Einkommensteuer um 598.541,29 €) sei der Restbetrag von 48.930,63 € noch verblieben. Bei der Kirchensteuer als Annexsteuer sei bei einem ähnlichen Vorgang eine Steuer von 4.404,12 € verblieben.
37Ferner führt der Abrechnungsbescheid eine offene/fällige Einkommensteuer 1985 von 20.734,74 € (= wie im Bescheid vom 2. November 2016 angegeben) auf. Nach der Entwicklung der Erhebungskonten sei am 22. April 1996 eine Einkommensteuer 1985 von 86.196,65 € (per Bescheid vom 19. März 1996) fällig gewesen, die nach Teilzubuchung i.H.v. 5.626,74 € ausgesetzt worden sei und nach Zubuchung einer Kirchensteuer in Höhe von 5.474,21 € nach Verfahrensabschluss verblieben sei. Ferner sei eine Einkommensteuer 1985 i.H.v. 15.260,53 € am 2. Mai 2000 (per Bescheid vom 28. März 2000) fällig gewesen, die ausgesetzt worden sei und zuletzt fällig geworden sei. Aus der Summe von 15.260,53 € und 5.474,21 € habe sich dann der Betrag von 20.734,74 € ergeben. Offene Kirchensteuer verblieb nicht (siehe Bl. 202 der beigezogenen AdV-Akte 15 V 3177/16).
388. Einsprüche gegen geänderte Festsetzungen 1983 bis 1985 sowie den Abrechnungsbescheid; gerichtliches AdV-Verfahren:
39Gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 1983 bis 1985 vom 2. November 2016 legte der Kläger am 17. November 2016 Einsprüche ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 27. November 2017 (Bl. 18 ff. eGA 15 K 3317/17) wies der Beklagte die Einsprüche wegen Einkommensteuer 1983 und 1985 als unbegründet zurück, den Einspruch wegen Einkommensteuer 1984 verwarf er als unzulässig. Im Übrigen wird hinsichtlich der Schilderung des Verfahrensgangs, der klägerischen Einwendungen, der Stellungnahmen des Beklagten im Einspruchsverfahren und zur Begründung der Verwerfung des Einspruches 1984 mangels Beschwer und der Einsprüche 1983 und 1985 mangels Begründetheit vollumfänglich auf die Einspruchsentscheidung verwiesen. Die Frage eines fehlerhaft zu niedrigen Verlustrücktrags aus 1986 nach 1985 aufgrund der in 1984 vorgenommenen Änderung von Besteuerungsgrundlagen war nach Aktenlage kein Gegenstand im Einspruchsverfahren. Das Einspruchsverfahren beschäftigte sich ausschließlich mit der Anfechtung der Änderungsfestsetzungen.
40Ebenso legte der Kläger gegen den Abrechnungsbescheid vom 13. Dezember 2016 am 19. Dezember 2016 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 27. November 2017 (Bl. 28 ff. eGA 15 K 3317/17) als unbegründet zurückwies.
41Über eine während des Einspruchsverfahrens abgelehnte Aussetzung der Vollziehung der Einkommen- und Kirchensteuer 1983 und 1985 führten die Beteiligen unter dem Aktenzeichen FG Köln 15 V 3177/16 ein Verfahren; die Akte ist zum hiesigen Verfahren beigezogen worden. Mit Beschluss vom 25. Oktober 2017 wurde eine vollumfängliche AdV nach summarischer Prüfung auf Basis der präsenten Beweismittel gewährt. Der Senat stellte dabei darauf ab, dass näher zu klären sei, ob die Bescheide ununterbrochen von der Vollziehung ausgesetzt gewesen seien, ebenso müsse im Hauptsacheverfahren näher eine Verwirkung geprüft werden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss verwiesen.
429. Abläufe im Klageverfahren:
43Gegen die Einspruchsentscheidungen vom 27. November 2017 wendet sich der Kläger mit der hiesigen Klage. Er führt – zusammengefasst – an, dass die Steuernachforderungen verfahrensrechtlich nicht rechtmäßig seien. Es sei Festsetzungs- oder Zahlungsverjährung, jedenfalls aber Verwirkung eingetreten. Für eine ununterbrochene Aussetzung der hier streitigen Beträge trage der Beklagte die Darlegungs- und Feststellungslast. Umfang und Dauer der Aussetzung seien anhand der Steuerakten nicht hinreichend erkennbar. Für 1985 gestehe dies auch der Beklagte ein. Die Aussetzungsverfügung des Feststellungsfinanzamts zu den Einkünften 1983 vom 14. Juni 1995 sei auf die angefochtenen – und später aufgehobenen erhöhten – Besteuerungsgrundlagen beschränkt gewesen. Der Zugang der Aussetzungsverfügung zur Einkommensteuer 1983 vom 29. Juni 1995 werde bestritten, die Verfügung liege dem Kläger nicht im Original vor.
44Jedenfalls sei die Verfügung wegen Adressierungsmängeln nichtig, weil sie auch an die Ehefrau des Klägers gerichtet gewesen sei. Im Streitjahr 1983 habe aber noch keine Ehe bestanden, diese sei erst 1987 geschlossen worden. Zu Fragen der Adressierung sei seinerzeit auch im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde eine Stellungnahme der Oberfinanzdirektion erfolgt, welche die klägerische Auffassung stütze. Die Aussetzungsverfügung sei auch nicht wie üblich an den damaligen Steuerberater, sondern den Kläger selbst adressiert worden.
45Sofern durch sie möglicherweise über die „Grundlagen-AdV“ hinausgehende Beträge ausgesetzt sein sollten, wäre dies nach § 361 AO unzulässig. Zu betonen sei aber, dass die Höhe der Aussetzung für den Kläger rechnerisch nicht nachvollziehbar sei, was zu Unbestimmtheit und Nichtigkeit der Verfügung führe, und auch eine überschießende Aussetzung der Einkommensteuerbescheide gegenüber der im Feststellungsverfahren gewährten Aussetzung nicht nachweisbar sei. Das Steuerkonto habe sich durch spätere Zahlungsvorgänge oder Zubuchungen zudem noch verändert. Unabhängig von der mangels nachweisbarer Aussetzung in beiden Jahren nach Klägerauffassung eingetretenen Zahlungsverjährung seien die Ansprüche jedenfalls verwirkt. Das aus Treu und Glauben hergeleitete Rechtsinstitut der Verwirkung beinhalte ein Zeitelement, welches evident bei einer Dauer von über dreißig Jahren erfüllt sei. Richtigerweise sei wegen der langen Zeitdauer keine besondere vertrauensbedingte Disposition als Vertrauenstatbestand erforderlich. Jedenfalls träten hier als weitere Umstände hinzu, dass der Kläger keine Veranlassung zu der Annahme gehabt habe, dass Zahlungspflichten neben den wegen des Feststellungsverfahrens ausgesetzten Beträgen bestanden hätten. Der Kläger könne keine „Vollaussetzung“ feststellen. Das seinerzeitige Klageverfahren beim 12. Senat hindere keine Verwirkung, weil dort nur (später aufgehobene) Mehrgewinne von der Vollziehung ausgesetzt worden seien. Er – der Kläger – habe zudem damals auch keine Kenntnis von noch offenen Beträgen gehabt. Ergänzend wird angeführt, dass in einem ähnlich gelagerten Verfahren einer Mitgesellschafterin das dort zuständige Finanzamt H eine Zahlungsverjährung anerkannt habe. Der Einspruch zur Einkommensteuer 1984 sei zu Unrecht als unzulässig verworfen worden, aufgrund der Frage von Verlustvorträgen und -rückträgen könne das Jahr 1984 auch wegen zu beachtender Folgefragen angefochten werden. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Klagebegründung nebst diversen Repliken verwiesen.
46Der Kläger beantragt,
471. die Änderungsbescheide über Einkommensteuer 1983 und 1985 vom 2. November 2016 nebst Einspruchsentscheidung vom 27. November 2017 aufzuheben,
482. die Einspruchsentscheidung vom 27. November 2017 (betreffend eines vom Beklagten als unzulässig verworfenen Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid 1984 vom 2. November 2016) aufzuheben,
493. den Abrechnungsbescheid für Einkommensteuer 1983 und 1985 vom 13. Dezember 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2017 dahingehend zu ändern, dass sämtliche Steuerforderungen jeweils in voller Höhe getilgt oder sonst wie erloschen sind und somit keine fälligen Steuerforderungen mehr bestehen,
504. hilfsweise das Verfahren auszusetzen und die Sache dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen überlanger Verfahrensdauer vorzulegen und
515. im Falle des vollständigen oder teilweisen Unterliegens die Revision zuzulassen.
52Der Beklagte beantragt,
53die Klage abzuweisen,
54hilfsweise im Falle des Unterliegens die Revision zuzulassen.
55Er führt – zusammengefasst – unter Verweis auf die Einspruchsentscheidungen und den Abrechnungsbescheid an, dass die geänderten Einkommensteuerfestsetzungen 1983 und 1985 die geänderten Feststellungsbescheide fristgerecht und formell rechtmäßig nach §§ 171 Abs. 10, 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO umgesetzt hätten. Insbesondere sei die zweijährige Umsetzungsfrist auf Folgebescheidebene eingehalten worden. Etwaige Einwendungen gegen den Feststellungsbescheid seien gemäß § 351 Abs. 2 AO unbeachtlich. Über die Zahlungsverjährung sei im Erhebungsverfahren (hier: Abrechnungsbescheid) zu entscheiden.
56Der Einspruch zur Einkommensteuer 1984 sei zu Recht als unzulässig verworfen worden, eine Beschwer sei nicht erkennbar.
57Im Verfahren gegen den Abrechnungsbescheid betreffend Einkommensteuer 1983 und 1985 führt der Beklagte zum Streitjahr 1983 an, dass in der Steuerakte diverse Aussetzungsverfügungen, zuletzt auch eine Aussetzungsverfügung vom 29. Juni 1995, dokumentiert seien. Die Höhe der Aussetzung und die spätere Nachforderung lassen vermuten, dass möglicherweise Beträge oberhalb der durch die Bp auf Feststellungsebene hinausgehenden Mehrergebnisse ausgesetzt worden seien. Die Aussetzung sei aber bestandskräftig geworden, eine Aufteilung in einen „vermeintlich rechtmäßigen“ und einen „vermeintlich rechtswidrigen“ Teil komme verfahrensrechtlich nicht in Betracht. Die Adressierung auch an die Ehefrau des Klägers hätte von dieser angefochten werden können, mache aber die Aussetzungsverfügung nicht nichtig. Gleiches gelte für die Adressierung an den Kläger, im Übrigen habe auch der seinerzeitige steuerliche Vertreter diverse Mitteilungen erhalten. Bereits mit Einkommensteuerbescheid 1983 vom 14. September 1993 sei eine Einkommensteuer von 1.301.020 DM bei verbleibender Zahllast von 1.269.898 DM festgesetzt worden. Nach Schriftverkehr mit dem steuerlichen Berater sei bereits mit einer an den steuerlichen Berater gerichteten Verfügung (im Oktober 1993) eine Aussetzung verfügt worden. Bereits diese Aussetzung habe eine Verjährungsunterbrechung gem. § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 AO bewirkt.
58Eine Verwirkung bestehe nicht, da neben der langen Verfahrensdauer (Zeitmoment) – auch hier im Streitfall – ein weiteres Verhalten (Vertrauensmoment) hinzutreten müsse. Die wiederholten Aussetzungen seien auf Klägerveranlassung erfolgt und sprächen dafür, dass der Kläger keine Veranlassung gehabt haben könne, davon auszugehen, dass bislang festgesetzte und nicht gezahlte Beträge nicht mehr erhoben werden würden. Ein schützenswertes Vertrauen des Klägers sei nicht erkennbar, er hätte vielmehr dann die offenen Beträge zahlen müssen. Die steuerliche Behandlung bei anderen Gesellschaftern mit ähnlicher Problematik sei rechtlich unbeachtlich.
59Zum Streitjahr 1985 seien laut Erhebungskontoauszug alle Nachforderungsbeträge im Einkommensteuerbescheid vom 28. März 2000 in vollem Umfang ausgesetzt worden.
60Letztlich führt der Beklagte an, dass sowohl für 1983 als auch für 1985 die Frage der ununterbrochenen Aussetzung und der Zahlungsverjährung letztlich dahinstehen könne. Nach seiner Auffassung sei durch die BFH-Entscheidungen VII R 68/11 und VII R 18/18 hinreichend höchstrichterlich geklärt, dass durch Änderungsbescheide eine neue Zahlungsverjährungsfrist (§ 228 AO) beginne und hierbei keine Teilverjährung von einzelnen Beträgen eintrete. Der unteilbare Steueranspruch sei bei Erlass eines Änderungsbescheids daraufhin überprüfbar, welche Beträge nach An- und Abrechnung noch offen seien. Dies seien hier die im Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Beträge.
61Das Gericht hat mit Schreiben vom 4. August 2020 (Bl. 223 ff. eGA 3317/17) einen Verständigungsvorschlag gemacht, der von den Beteiligten abgelehnt worden ist.
62Die Beteiligten haben einen materiell-rechtlich unstreitigen Fehler bei der Berücksichtigung des Verlustrücktrags aus 1986 nach 1985 thematisiert. Nach gerichtlichem Hinweis zu verfahrensrechtlichen Hindernissen verfolgt die Klägerseite das Begehren nicht in dem vorliegenden gerichtlichen Verfahren.
63Zum 1. Januar 2022 hat ein Berichterstatterwechsel stattgefunden. Der neue Berichterstatter des Verfahrens hat mit Schreiben vom 15. Februar 2022 Hinweise zur Sach- und Rechtslage erteilt. Das Gericht hat angesichts der Einwendungen beider Beteiligten gegen den Verständigungsvorschlag vom 4. August 2020 eine umfängliche Beurteilung (auch unter Berücksichtigung der vom Beklagten benannten BFH-Rechtsprechung) ohne präjudizielle Bindungen an den AdV-Beschluss sowie den Verständigungsvorschlag angekündigt.
64Den Beteiligten ist die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung per Videokonferenz gem. § 91a Finanzgerichtsordnung (FGO) gestattet worden, der Kläger und der Klägerbevollmächtigte haben per Videokonferenz teilgenommen. Das ursprünglich unter gesondertem Aktenzeichen (15 K 3338/17) geführte Verfahren wegen Einkommensteuer 1984 (Verwerfung eines Einspruchs durch den Beklagten als unzulässig) ist mit dem Verfahren 15 K 3317/17 verbunden worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Verhandlungsprotokoll verwiesen.
65Entscheidungsgründe
66I. Die Klage hat nur teilweise – im tenorierten Umfang – Erfolg. Die Anfechtung der geänderten Festsetzungen zur Einkommensteuer 1983 und 1985 ist unzulässig und jedenfalls unbegründet (hierzu nachfolgend 1.). Die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung zur Festsetzung der Einkommensteuer 1984, in welcher ein Einspruch als unzulässig verworfen wurde, ist unbegründet (hierzu nachfolgend 2.). Die zulässige Klage gegen den Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO zur Einkommensteuer 1983 ist unbegründet (hierzu nachfolgend 3.). Die zulässige Klage gegen den Abrechnungsbescheid zur Einkommensteuer 1985 ist begründet (hierzu nachfolgend 4.).
671. Die Klage bzgl. der Festsetzung der Einkommensteuer 1983 und 1985 ist bereits unzulässig, jedenfalls ist sie unbegründet.
68a. Die Klage ist unzulässig, da ihr in Höhe der angefochtenen Änderung die erforderliche Beschwer fehlt und weitergehende Änderungen im Anfechtungswege nicht zulässig sind.
69Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage gem. § 40 Abs. 2 FGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein.
70Der erkennende Senat kann für die hier gegen die Änderungsbescheide erhobenen Anfechtungsklagen (in Form der „Aufhebungsklagen“) keine Beschwer erkennen, diese ist auch – bezogen auf die Änderungsfestsetzung – nicht näher dargelegt. Die angefochtenen Änderungsbescheide vom 2. November 2016 haben die festgesetzte Einkommensteuer 1983 zugunsten des Klägers von 665.200 € auf 66.659,68 € und die festgesetzte Einkommensteuer 1985 von umgerechnet 589.644 € auf 448.978,69 € herabgesetzt. Die Änderungsbescheide wirken dadurch nicht belastend. Soweit den Kläger die mit den Änderungsbescheiden verbundenen Auswirkungen im Erhebungsverfahren beschweren, sind diese Auswirkungen im Abrechnungsbescheidverfahren (siehe hierzu nachfolgend Nr. 3 und 4) zu beurteilen. Wegen der Trennung von Festsetzungs- und Erhebungsverfahren dürfen Auswirkungen aus dem Erhebungsverfahren nicht bei der Zulässigkeitsprüfung auf Ebene der Festsetzung berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne BFH-Urteil vom 14. Dezember 2021, VIII R 16/20, BFH/NV 2022, 364 zur Ehegattenveranlagung; dort unter Rn. 33 der in Juris veröffentlichten Entscheidungsgründe; Vorinstanz Senatsurteil vom 23. April 2020, 15 K 1151/19, EFG 2020, 1576).
71Soweit der Kläger im Klageverfahren eine weitergehende Reduktion der Einkommensteuer 1985 wegen eines zu niedrigen Verlustrücktrags bemängelt, können diese Einwendungen wegen der Anfechtungsbeschränkung nach § 42 FGO, § 351 Abs. 1 AO im hiesigen Verfahren nicht berücksichtigt werden. Ein Verstoß gegen § 42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 1 AO macht die Klage unzulässig (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Oktober 2003, X B 53/03, BFH/NV 2004, 156).
72Für eine eigenständige zulässige Verpflichtungsklage fehlt es – wie im Berichterstatter-Schreiben vom 15. Februar 2022 und im Verhandlungstermin am 19. Mai 2022 erläutert – derzeit an den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen (Antrag, Ablehnung des Antrags, Einspruch, Einspruchsentscheidung, Erhebung einer Verpflichtungsklage), so dass diese auch nicht im Wege der Klageerweiterung verfolgt werden kann.
73b. Auch wenn man die Klage als zulässig ansähe, wäre sie unbegründet. Einwendungen gegen die geänderten Feststellungsbescheide (als Grundlagenbescheide i.S.d. § 351 Abs. 2 AO) hätten in einem – nach Aktenlage nicht erhobenen – Einspruchs- oder Klageverfahren gegen jene Bescheide vorgebracht werden müssen. Die auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheide zur Einkommensteuer sind formell rechtmäßig. Die zweijährige Umsetzungsfrist nach § 171 Abs. 10 AO wurde eingehalten (geänderte Feststellungbescheide vom 7. September 2015; Einkommensteuerbescheide datieren vom 2. November 2016).
742. Die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung zur Festsetzung der Einkommensteuer 1984 ist unbegründet. Die Einspruchsentscheidung, in welcher der klägerische Einspruch als unzulässig verworfen wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Beklagte hat den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen.
75Befugt, Einspruch einzulegen, ist nach § 350 AO nur, wer geltend macht, durch einen Verwaltungsakt oder dessen Unterlassung beschwert zu sein. Die festgesetzte Einkommensteuer betrug in den Bescheiden vom 10. Dezember 2000 und 2. November 2016 jeweils 0 €, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind von 550.063 DM auf 187.930 € vermindert worden. Soweit die Klägerseite ohne nähere Darlegung auf „Folgefragen“ wegen Verlustvorträgen und -rückträgen verweist, stellt dies keine hinreichende Darlegung einer spezifischen in der Einkommensteuerfestsetzung 1984 liegenden Beschwer dar. Für das Streitjahr 1984 ist nicht dargelegt oder anderweitig ersichtlich, dass Besteuerungsgrundlagen oder die festgesetzte Steuer fehlerhaft vom Beklagten angesetzt wurden. Im Übrigen würden die – vom Kläger thematisierten – Folgewirkungen zu Änderungen in anderen Veranlagungszeiträumen führen, so dass auch hieraus keine Beschwer für das Jahr 1984 erkennbar ist.
763. Die gegen den Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO zur Einkommensteuer 1983 erhobene Klage ist unbegründet; der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
77a. Die im Abrechnungsbescheid fällige Einkommensteuer 1983 (nebst Kirchensteuer 1983 als Annexsteuer) war und ist nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in der Zahlungsverjährung unterbrochen.
78Die Verjährung eines Anspruchs (vgl. § 228 AO) wird gem. § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO u.a. unterbrochen durch Zahlungsaufschub, Stundung, Aussetzung der Vollziehung oder Vollstreckungsaufschub.
79Im Streitfall ist anhand der Steuerakten feststellbar, dass zu Beginn der 1990er-Jahre auf Betreiben des Klägers – unter mehrfach erhobenen Einwendungen gegen Mahnungen sowie vom Kläger eingeleiteten dienstaufsichtsrechtlichen Maßnahmen –Stundungen, Zahlungsaufschübe (durch Speicherung einer „Kontobearbeitungssperre“) und Aussetzungen der Vollziehungen (AdV) stattfanden. Anhand der Aktenauswertung ist erkennbar, dass bereits 1993 eine Einkommensteuerfestsetzung mit 1.301.020 DM (in €: 665.200) erfolgte, die nach geringfügiger Zahlung fast vollständig, nämlich i.H.v. 1.266.345 DM (in €: 647.472,92) von der Vollziehung ausgesetzt worden ist. Die unter dem 29. Juni 1995 erlassene Aussetzungsverfügung setzte den identischen Betrag von der Vollziehung aus. Hieran änderte auch ein späterer Änderungsbescheid vom 10. Dezember 2000 (während des auf KG-Ebene geführten Klageverfahrens) nichts. Erst mit dem Einkommensteuer-Änderungsbescheid vom 2. November 2016 wurde die festgesetzte Steuer um 598.541 € (festgesetzte Einkommensteuer vorher: 665.200 €; festgesetzte Einkommensteuer nachher: 66.659 €) gemindert. Erst mit diesem Bescheid endete zunächst die auf Einkommensteuerebene gewährte AdV; im Einspruchsverfahren sowie im hiesigen Klageverfahren ist dann – nun für die verbleibende Zahllast von 48.930 € – erneut AdV mit der Wirkung der Verjährungsunterbrechung gewährt worden. Da der ausgesetzte Betrag (647.472 €) jedoch höher als der Einkommensteuerminderungsbetrag (598.541 €) war, verblieb die hier im Abrechnungsbescheid ausgewiesene Zahllast (von ca. 48.900 €). Der Einspruch war damit – rechnerisch betrachtet bezogen auf die ausgesetzte Steuer – nicht vollumfänglich erfolgreich. Die im Abrechnungsbescheid dargelegten Festsetzungen und Zahlungen sind für den Senat rechnerisch und sachlich nachvollziehbar. Der Abrechnungsbescheid ist dadurch nicht zu beanstanden.
80Der Senat ist anhand der in den Steuerakten erkennbaren Abläufe davon überzeugt, dass auch die „wiederholende“ Aussetzungsverfügung vom 29. Juni 1995 tatsächlich gegenüber dem Kläger erlassen und wirksam geworden ist. Soweit der Kläger, der seinerzeit selbst bereits Rechtsanwalt war und Korrespondenz selbst mit dem Beklagten geführt hat, auf die Bevollmächtigung eines Steuerberaters verweist, kann der Senat keine zu Unwirksamkeit der Bekanntgabe beim Kläger vorliegende anderweitige Vollmacht ohne tatsächliche Kenntnis des Klägers feststellen.
81Soweit der Kläger eine Adressierung an die Ehefrau bemängelt, ist entgegenzuhalten, dass die rechtlich fehlerhafte Bekanntgabe an einen nicht betroffenen Ehegatten keine Nichtigkeit beim inhaltlich betroffenen Ehegatten bewirkt. Die Ehefrau des Klägers hätte sich wohl – da sie im Streitjahr mit dem Kläger noch nicht verheiratet war – mit einem Einspruch gegen die formelle Beschwer wehren können. Der Kläger blieb indes Bekanntgabe- und Inhaltsadressat einer erkennbar auch an ihn gerichteten Aussetzungsverfügung.
82Soweit der Kläger anführt, bei einer auf die in der Aussetzungsverfügung des Grundlagenbescheids beschränkten Folge-Aussetzung hätte sich bei Verfahrensabschluss keine Zahllast mehr ergeben, ist dies betragsmäßig nicht nachvollziehbar und rechtlich unerheblich. Betragsmäßig nachvollziehbar ist für den Senat nur, dass es auch nach Änderung der Feststellungen 1983 bis 1985 zugunsten des Klägers noch bei einer Zahllast verblieb. Auch wenn man unterstellt, dass die Folgeaussetzung bei der Einkommensteuer einen „überobligatorischen Betrag“ ausgesetzt habe und es bei „passgenauer Aussetzung“ nicht zu der nun streitigen offenen Steuer gekommen wäre, entfalten die seit den 1990er-Jahren ergangenen Aussetzungsverfügungen auf Einkommensteuerebene in Höhe des – oben dargelegten – ausgesetzten Betrags (vgl. § 231 Abs. 4 AO) eine Verjährungsunterbrechung. Eine AdV ist nicht antragsbedürftig, sie kann auch nach § 361 Abs. 2 Satz 1 AO von Amts wegen durch die Finanzbehörde erfolgen. Auch etwaige „rechtswidrige“, „überschießende“ oder „aufgedrängte“ Aussetzungen sind wirksam (vgl. zum Rechtsschutz und Handlungsmöglichkeiten gegen aufgedrängte Aussetzungen Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 361 AO Rn. 3-5 m.w.N., 164. Lfg. 2/2021).
83b. Die zur Einkommensteuer (und Kirchensteuer) 1983 streitigen Beträge sind auch nicht durch Verwirkung erloschen.
84Die zeitliche Grenze für die Geltendmachung eines Steueranspruches wird grundsätzlich durch die Vorschriften über die Verjährung gezogen; eine Verwirkung kann nur unter besonderen Umständen angenommen werden (BFH-Urteil vom 14. Februar 1967, II 15/64, HFR 1967, 347). Das Rechtsinstitut der Verwirkung gilt als Ausfluss der die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsätze von Treu und Glauben auch im Steuerrecht (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Urteile vom 14. September 1977, II R 74/76, BStBl II 1978, 168; vom 30. Juni 1972, III R 133/71, BStBl II 1972, 779; vom 16. September 1965, V 91/63 U, BStBl III 1965, 657; vom 14. Februar 1967, II 15/64, BFHE 88, 42; vom 7. Februar 1962, II 137/60 U, BStBl III 1962, 496). Als Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Tuns (venire contra factum proprium) greift Verwirkung ein, wenn ein Anspruchsberechtigter durch sein Verhalten beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen hat, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Anspruchs als illoyale Rechtsausübung empfunden werden muss (vgl. z.B. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 27. Juni 1957, II ZR 15/56, BGHE 25, 47). Es handelt sich dann um einen Rechtsmissbrauch (vgl. auch Urteil des BGH vom 20. Dezember 1968, V ZR 97/65, Der Betrieb 1969 S. 302 - DB 1969, 302 -, und des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 9. Juli 1958, 2 AZR 438/56, BAGE 6, 165). Der Tatbestand der Verwirkung enthält hiernach ein Zeitmoment (längere Untätigkeit des Anspruchsberechtigten) und ein Umstandsmoment (bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten und hierdurch ausgelöster Vertrauenstatbestand beim Verpflichteten); hierbei ist das Zeitmoment jedoch in der Regel von untergeordneter Bedeutung, da die zeitliche Begrenzung von Ansprüchen in erster Linie durch die Verjährung bestimmt wird (BFH-Urteil II 15/64). Entscheidend ist das Umstandsmoment, wobei neben dem Verhalten des Berechtigten auch das Verhalten des Verpflichteten von Bedeutung ist (BGH-Entscheidung II ZR 15/56; BAG-Entscheidung 2 AZR 438/56; vgl. zum Ganzen etwa BFH-Urteil vom 14. September 1978, IV R 89/74, BStBl II 1979, 121).
85Vorliegend kann der erkennende Senat keine (nur ausnahmsweise zu bejahende) Verwirkung feststellen, weil ein Umstandselement (Vertrauenselement) nicht hinreichend erkennbar ist. Die fortwährend bewirkte AdV verhinderte gerade das Entstehen eines Vertrauens in die Nichterhebung oder Nichtgeltendmachung des ausgesetzten Steueranspruchs.
86Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die Zeitdauer des Verfahrens ganz erheblich ist (Zeit zwischen Veranlagungszeiträumen und Beginn Klageverfahren 12. Senat ca. 10-12 Jahre, Dauer Klageverfahren 12. Senat in zwei Rechtsgängen ca. 10 Jahre, Umsetzung der Verständigung im Feststellungsverfahren durch geänderte Feststellungsbescheide ca. 9 Jahre; Umsetzung bei der Einkommensteuer ca. 1 Jahr; seitdem weitere Verfahrenslaufzeiten durch Einspruchs- und AdV-Verfahren sowie Klageverfahren gegen die Änderungsbescheide zur Einkommensteuer sowie das Abrechnungsbescheidverfahren). Der Senat kann insbesondere die extreme zeitliche Zäsur zwischen der Beendigung des Klageverfahrens beim 12. Senat (Hauptsacheerledigung am 29. November 2006) und dessen Umsetzung (geänderter Feststellungsbescheid erst am 7. September 2015) nicht nachvollziehen. Eine „illoyale Rechtsausübung“ kann der Senat aber nicht erkennen, da die Änderungsbescheide zugunsten (!) der Steuerpflichtigen ergangen sind. Ob sich der Kläger (und andere Feststellungsbeteiligte) für eine zügigere Umsetzung des Ergebnisses hätten einsetzen können und müssen, aus welchen Gründen die Umsetzung „aus dem Blick geraten ist“ und ob die geänderten Feststellungsbescheide möglicherweise festsetzungsverjährt oder jedenfalls ihrerseits wegen Verwirkung nicht mehr hätten erlassen werden dürfen, kann und darf der hiesige Senat indes wegen der in §§ 171 Abs. 10, 182 Abs. 1, 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 351 Abs. 2 AO normierten verfahrensrechtlichen Trennung von Feststellungsverfahren (Grundlagenbescheid) und Einkommensteuerverfahren (Folgebescheid) nicht beurteilen. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des (zugunsten des Klägers und wohl auch der anderen Feststellungsbeteiligten) erlassenen Feststellungsbescheids sind nicht näher vorgetragen oder anderweitig ersichtlich.
87c. Ob – unabhängig von den Ausführungen unter a. und b. – aufgrund der BFH-Urteile VII R 68/11 und VII R 18/18 jedenfalls durch den Änderungsbescheid vom 2. November 2016 eine neue Zahlungsverjährung zu laufen begann, kann hier (bei der Abrechnung zur Einkommensteuer 1983) dahinstehen.
884. Die gegen den Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO zur Einkommensteuer 1985 erhobene Klage ist begründet; jener Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
89a. In Abgrenzung zu den vorgenannten Ausführungen zur Einkommensteuer 1983 kann der Senat in den Steuerakten des Jahres 1985 keine Aussetzungsverfügung auffinden. Alleine ein später erzeugter Ausdruck aus einem (wohl erst später maschinell/elektronisch geführten) Steuererhebungskonto bewirkt keine volle gerichtliche Überzeugung über eine Aussetzung. Der Beklagte muss sich insoweit die von ihm geschaffene Beweisnot entgegenhalten lassen. Da der Senat keine Unterbrechung der Verjährung feststellen kann, ist ein im Erhebungskonto durch Bescheid vom 19. März 1996 ausgewiesener Teilbetrag von 5.474,21 € nach Ablauf einer fünfjährigen Zahlungsverjährungsfrist zum Ablauf des Jahres 2001 und ein durch Bescheid vom 28. März 2000 ausgewiesener Teilbetrag von 15.260,53 € zum Ablauf des Jahres 2005 jeweils zahlungsverjährt.
90b. Da die streitigen Ansprüche bereits zahlungsverjährt sind, kann die Frage der Verwirkung dahinstehen.
91c. Entgegen der Auffassung des Beklagten bewirkte der geänderte Einkommensteuerbescheid vom 2. November 2016 auch keinen Neubeginn der Zahlungsverjährung für den dort (im Abrechnungsteil) ausgewiesenen Restbetrag.
92aa. Mit Urteil vom 29. Oktober 2013 (VII R 68/11, BStBl II 2016, 115; dortiges Streitjahr: Einkommensteuer 2008) hat der BFH entschieden, dass eine geänderte Festsetzung der Einkommensteuer mit einer Änderung von auf die Einkommensteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG a.F. (heute § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG – „die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer“) anzurechnenden Beiträgen dazu führt, dass durch die neuerliche – mit dem Steuerbescheid verbundene – Anrechnungsverfügung oder einen Abrechnungsbescheid eine neue fünfjährige Zahlungsfrist beginnt. Hierbei hat der BFH nach dem Verständnis des erkennenden Senats entschieden, dass eine geänderte Festsetzung durch die in § 36 Abs. 2 EStG angeordnete Verknüpfung eine Änderung der Anrechnungsverfügung bewirken kann und dies wiederum zu einem Neubeginn der Zahlungsverjährung führt. Mit Urteil vom 18. September 2018 (VII R 18/18, BFH/NV 2019, 107; dortige Streitjahre: Einkommensteuer 2001 bis 2003) hat der BFH entschieden, dass im Umfang einer solchen Änderung auch die mit dem Änderungsbescheid verbundene Anrechnungsverfügung anzupassen sei, ohne dass bis dahin ggf. abgelaufene Zahlungsverjährungsfristen bezüglich früher entstandener Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entgegenstünden. Eine Teil-Zahlungsverjährung sich aus früheren Steuerbescheiden ergebender Abschlusszahlungen trete in solchen Fällen nicht ein. Zur Begründung verweist der BFH erneut auf die durch § 36 Abs. 2 EStG hergestellte Verknüpfung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren. Eine Teilverjährung „der wegen des Steueränderungsbescheids nunmehr angepassten Abschlusszahlung in dem Sinne, dass ein Steueranspruch nur auf Entrichtung eines über die frühere Abschlusszahlung hinausgehenden Betrags besteht“, komme laut BFH nicht in Betracht. In Abgrenzung zu in der Kommentarliteratur (mit Verweis auf § 231 Abs. 4 AO) abweichenden Auffassungen führt der BFH aus, dass mit der aufgrund der geänderten Steuerfestsetzung angepassten Anrechnungsverfügung ein Betrag der Abschlusszahlung oder der Erstattung im Ganzen neu ausgewiesen werde, nicht etwa nur ein über die geänderte Anrechnungsverfügung hinausgehender Betrag.
93bb. Die vorgenannte Rechtsprechung ist nach Überzeugung des Senats bereits auf den Streitfall nicht übertragbar. Während die BFH-Urteile VII R 68/11 und VII R 18/18 Fälle geänderter Festsetzungen mit Auswirkungen auf nach § 36 Abs. 2 EStG anzurechnende Steuerabzugsbeträge betreffen, liegt im hiesigen Streitfall keine geänderte Anrechnungsverfügung (z. B. durch geänderte Anrechnung von Lohnsteuer oder Kapitalertragsteuer) vor. Es ist nach Überzeugung des Senats auch nicht systemgerecht, alleine durch Änderung der Steuerfestsetzung einen betragsmäßig unbeschränkten (d.h. den gesamten Steueranspruch des Streitjahres betreffenden) Neubeginn der Zahlungsverjährung anzunehmen. Eine solche Handhabung würde bei einem Einspruchs- oder Antragsverfahren mit einer Änderung der Steuer zugunsten des Steuerpflichtigen dazu führen, dass auch frühere, mittlerweile zahlungsverjährte, Ansprüche wieder aufleben würden. Dies steht nach Überzeugung des Senats aber im Widerspruch zu der in § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 AO auf die Höhe des ausgesetzten Betrags beschränkten Verjährungsunterbrechung. Da der Senat – wie unter a. ausgeführt – bezüglich der Einkommensteuer 1985 keine AdV und damit keine Unterbrechungshandlung und -wirkung feststellen kann, erscheint es nicht überzeugend, dass dann ein (Teil-)Obsiegen des Steuerpflichtigen ohne erkennbare gesetzliche Grundlage zum Neubeginn der Verjährung führen soll. Die vom BFH angeführte verfahrensrechtliche Verknüpfung zwischen Festsetzungs- und Erhebungsverfahren ist im hiesigen Fall nicht einschlägig und stellt damit gerade keine gesetzliche Grundlage dar. Eine anderweitige gesetzliche, d.h. in der AO oder Einzelsteuergesetzen geregelte, Rechtsgrundlage ist für den Senat nicht ersichtlich.
94II. Das Verfahren ist nicht zwecks Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auszusetzen. Eine Rechtsgrundlage für ein Aussetzungs- und Vorlageverfahren während eines finanzgerichtlichen Verfahrens ist nicht erkennbar.
95III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Bei der Berechnung der (gerundeten) Kostenquote sind die Festsetzungen zur Einkommensteuer 1983 bis 1985 mit dem Auffangstreitwert und die im Erhebungsverfahren eingeforderten Beträge zu berücksichtigen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
96IV. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO beschränkt auf den Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO zur Einkommensteuer 1985 zugelassen (siehe hierzu allgemein Ratschow in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 115 Rn. 70 m.w.N.). Der Senat weicht mit seiner Entscheidung entweder von den BFH-Entscheidungen VII R 68/11 und VII R 18/18 (zum betragsmäßig unbeschränkten Neubeginn der Zahlungsverjährung) ab, oder die hiesige Problematik fällt nicht unter die vorgenannte Rechtsprechung, hat aber grundsätzliche Bedeutung (siehe Ausführungen unter I.4.c). Im Übrigen erfolgt keine Revisionszulassung, da Zulassungsgründe nicht näher vorgetragen oder anderweitig ersichtlich sind. Insbesondere beruht die Entscheidung zur Abrechnung der Einkommensteuer 1983 auf der Würdigung eines Einzelfalls.