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Es wird festgestellt, dass der Beklagte im Bescheid vom 30. März 2015 und in der Einspruchsentscheidung vom 16. August 2018 einen Veräußerungsgewinn nach § 23 EStG dem Grunde nach zu Recht der Besteuerung zugrunde gelegt hat.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer 2007 im Wesentlichen über die formelle Rechtmäßigkeit von Änderungsbescheiden, in welchen ein Veräußerungsgewinn nach § 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei einer Beteiligung an einer KG erfasst worden ist. Nachrangig wird über die Höhe des Veräußerungsgewinns gestritten.
3Die einzeln zur Einkommensteuer veranlagte Klägerin war bis zum Streitjahr an der Q GmbH & Co. KG – nachfolgend KG genannt – beteiligt. Daneben erzielte sie Einkünfte aus weiteren (gewerblichen) Beteiligungen und Kapitalvermögen.
4Die Klägerin war nach Aktenlage zunächst Komplementärin der in 2000 gegründeten vorgenannten KG. Kommanditist war laut Handelsregister Herr B, später Herr H. Am 21. Juni 2007 wurde vom Amtsgericht (AG T, „HRA01“) eingetragen, dass die Klägerin nicht mehr persönlich haftender Gesellschafter, sondern nach „Beteiligungsumwandlung“ nunmehr Kommanditist sei. Daneben wurde die „R Ltd.“ mit Sitz in Irland eine Kommanditistin der Gesellschaft. Persönlich haftender Gesellschafter wurde die V GmbH mit Sitz in T. Die Klägerin war keine Geschäftsführerin oder Prokuristin der GmbH. Nach Aktenlage trat die GmbH als neue alleinige Komplementärin mit Wirkung zum 1. Januar 2007 in die KG ein, die Klägerin veräußerte in diesem Zuge auch (bis auf einen Rest von 6 %) den ihr zivilrechtlich und wirtschaftlich zustehenden Gesellschaftsanteil. Nach dem vom hiesigen Bevollmächtigten im März 2015 an den Beklagten übersandten Schriftsatz nebst beigefügten Notarvertrag war die Klägerin seit dem Jahre 2000 bis Ende 2006 zu einem Anteil von 300.000 DM von 1.000.000 DM (= 30 %) am Gesellschaftskapital der KG als Komplementärin beteiligt. Daneben wurde sie durch Erbfolge seit 2005 zu weiteren 350.000 DM Beteiligte als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Vaters Herr H1. Außerdem wurde sie wirtschaftliche Berechtigte zu weiteren 350.000 DM für einen vom Vater an ihren Bruder Herrn H übertragenen Anteil.
5Ein Anteilsverkaufsvertrag vom 22. Dezember 2006 (UR-Nr. „01 für 2006 A“ des Notars Herrn A aus T) führt in § 1 Ziffer 1 aus, dass die Klägerin einen Teilanteil von 300.000,00 € veräußere und mit einem Anteil von 6 % (30.000,00 €) Gesellschafterin bleibe. Herr H verkaufe ebenfalls seine Beteiligung (i.H.v. 170.000,00 €). Die Veräußerung erfolge zum 1. Januar 2007 (§ 1 Ziffer 4). Als Gesamtkaufpreis (für die Veräußerungen durch die Klägerin und Herrn H) wird in § 5 Ziffer 1 des Vertrags ein Betrag von 35.000.000 € (in Worten: fünfunddreißig Millionen Euro) vereinbart, der teilweise zur Tilgung von Verbindlichkeiten und teilweise durch Zahlung an die Veräußerer zu bewirken ist (siehe i.E. § 6 des Vertrags)
6Die Abläufe im Feststellungsverfahren der KG stellen sich zunächst wie folgt dar:
7Ausweislich der beigezogenen Feststellungsakte der KG gab diese zunächst keine Feststellungserklärung ab, im März 2009 wurde vom zuständigen Finanzamt W ein Zwangsgeld angedroht.
8Für die KG bestellte sich die „X Steuerberatungsgesellschaft“ aus W und reichte im August 2011 u.a. die Feststellungserklärung 2007 ein. In der Erklärung wurde eine Beteiligung der Klägerin an der KG mit 6/100 und einem Eintrittsdatum zum 1.1.2007 erklärt. Ein Veräußerungsgewinn wurde nicht erklärt. Mit Schreiben vom 12. September 2011 gegenüber dem Berater der KG teilte das FA W u.a. mit:
9„Die Gesellschafter H und H2 haben ihren Gesellschaftsanteil ganz bzw. teilweise veräußert. Nach den vorliegenden Unterlagen erfolgte der Erwerb der Immobilie innerhalb von 10 Jahren, sodass ein priv. Veräußerungsgeschäft gem. § 23 Abs. 1 Satz 4 anzunehmen ist.“.
10Nach Zwangsgeldandrohung erwiderte die Steuerberatung X mit Schreiben vom 28. November 2011:
11„Die Gesellschafter H und H2 werden von uns nicht steuerlich vertreten. Wir können Ihnen daher keine Auskünfte zu privaten Veräußerungsgeschäften dieser Gesellschafter erteilen.“.
12Zu anderen Rückfragen wurden Auskünfte erteilt und Unterlagen übersandt.
13Im September 2013 teilte das Finanzamt W mit, man bitte die späte Bearbeitung zu entschuldigen und stellte erneut die Frage nach den Veräußerungsgewinnen. Für die Klägerin berechnete das Finanzamt einen Veräußerungsgewinn von 2.100.000,00 € (59/94 des Gesamtgewinns; 35/94 = 1.200.000,00 € wurden Herrn H zugerechnet; Gesamtgewinn laut Schreiben des FA W vom 30. September 2013 an die Steuerberatung X: 3.300.000,00 €). Am 16. September 2013 ging beim FA W eine geänderte/berichtigte Feststellungserklärung ein, in welcher die Klägerin als Feststellungsbeteiligte mit Eintrittsdatum 1. Januar 2007 und Austrittsdatum 21. Juni 2007 angegeben wird. Ein Veräußerungsgewinn (nach § 23 EStG oder auch nach anderen Vorschriften) wird erneut nicht erklärt.
14Im Dezember 2013 rügte die Steuerberatung X die Berechnung des Finanzamtes zum Veräußerungsgewinn, weil sie auf einem „Asset Deal“ basiere und hier ein Anteilsverkauf (Share Deal) vorliege. Ein weiteres Jahr später, am 29. Dezember 2014, erging nach einem erhobenen Untätigkeitseinspruch, gegenüber der KG (bekanntgegeben an den Bevollmächtigten: X GmbH Steuerberatungsgesellschaft, W) ein erster Feststellungsbescheid des FA W für das Jahr 2007. Hierin wurden Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG i.H.v. insgesamt 3.300.000,00 € ausgewiesen und zu 2.100.000,00 € der Klägerin zugerechnet. Die Angabe des Veräußerungsgewinns ist nicht mit Zusätzen (z. B. „nachrichtlich“) versehen und ist im Feststellungsteil des Bescheids enthalten. Unter dem 29. Dezember 2014 wurde auch eine Mitteilung über die Beteiligungseinkünfte an das seinerzeit für die Einkommensteuer der Klägerin zuständige Finanzamt M übersandt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid und die sog. ESt4B-Mitteilung verwiesen.
15Am 2. Februar 2015 ging beim Finanzamt W ein von der Kanzlei E & F für die Klägerin erhobener Einspruch gegen den Feststellungsbescheid ein. Außerdem gingen weitere Einsprüche gegen den Feststellungsbescheid (durch einen Bevollmächtigten der KG sowie einen Bevollmächtigten von Herrn H) ein. Zur Einspruchsbegründung führte die Kanzlei X im April 2015 an, der Veräußerungsgewinn nach § 23 EStG sei nicht im Feststellungsbescheid, sondern im Einkommensteuerbescheid dem Grunde und der Höhe nach anzusetzen. Die von Herrn H beauftragte Kanzlei gab an, dass Herr H (steuerlich) zu keinem Zeitpunkt an der KG und an den festgestellten Einkünften beteiligt gewesen sei.
16Die Abläufe im Einkommensteuerverfahren stellen sich wie folgt dar:
17Nach Aktenlage erging vom seinerzeit zuständigen Finanzamt M unter dem 2. Dezember 2009 ein erster – unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender – Einkommensteuerbescheid 2007, mit einer Einkommensteuerfestsetzung von 50.000 €, in welchem die Besteuerungsgrundlagen mangels Erklärungsabgabe geschätzt worden waren. Im Anschluss ergingen Änderungsbescheide wegen Beteiligungseinkünften. Nach einer Erklärungsabgabe (durch die K Steuerberatungsgesellschaft mbH im Juli 2011; Steuererklärung von der Klägerin eigenhändig am 22. Juni 2011 unterschrieben) ergingen weitere Änderungsbescheide des Finanzamts M; der Vorbehalt der Nachprüfung blieb weiterhin bestehen.
18Eine Anlage „SO“ für sonstige Einkünfte wurde nicht abgegeben. Ausweislich Seite 2 des Mantelbogens, Zeile 37 wurde erklärt, dass private Veräußerungsgeschäfte nicht getätigt worden seien. In der Folgezeit erging unter dem 19. Juli 2012 ein geänderter Bescheid des FA M (mit Aufrechterhaltung des Vorbehalts) und einer Einkommensteuer von 30.000,00 €. Nachdem der Beklagte wegen eines Umzugs der Klägerin nach T für die Einkommensteuerfestsetzung zuständig geworden war, erging durch diesen unter dem 18. Juli 2013 ein erneuter Änderungsbescheid mit einer Einkommensteuer von 0 € aufgrund von gesondert festgestellten negativen Beteiligungseinkünften. Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG wurden in keinem Bescheid angesetzt. Bis Ende 2014 sind in der Einkommensteuerakte (Trennblatt zum Streitjahr 2007) keine ausdrücklichen Mitteilungen o.ä. zum o.g. Veräußerungsvorgang enthalten. Ein Aktenvermerk des Hauptsachgebietsleiters AO vom 3. Juni 2015 (siehe RB-Akte – Hefter „Stellungnahme HSG AO v. 3.6.15“) führt an, dass der Veräußerungsvorgang im Rahmen eines Einspruchs- und Klageverfahrens wegen ESt 2006 und 2007 angesprochen war, verbunden mit der Frage, ob hier ggf. ein gewerblicher Grundstückshandel vorliege. Verwaltungsintern wurde für die mit KG-Beteiligung erzielten Einkünfte auf die Zuständigkeit des FA W hingewiesen und man ging auf Einkommensteuerebene davon aus, insoweit keine Ermittlungskompetenz zu besitzen. Für das Vorjahr 2006 wurde seinerzeit bzgl. der Frage eines gewerblichen Grundstückshandels eine Vorläufigkeit im Bescheid aufgenommen, im Streitjahr 2007 fehlt diese.
19Nachdem Ende Dezember 2014 der Feststellungsbescheid (siehe Schilderung oben) ergangen war, änderte der Beklagte, das Finanzamt T, die Einkommensteuerfestsetzung 2007 der Klägerin mit Bescheid vom 30. März 2015 dahingehend, dass nunmehr bei einem – identisch zum Feststellungsbescheid – angesetzten Veräußerungsgewinn von 2.100.000,00 € eine Einkommensteuer von 290.000,00 € (aufgrund von Verlustverrechnungen) angesetzt worden war. Die Änderung wurde auf § 164 Abs. 2 AO mit angeblichem weiter bestehendem Vorbehalt gestützt. Tatsächlich meinte der Beklagte nach Aktenlage erkannt zu haben, dass die Anpassung an einen Feststellungsbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO erfolgen müsse und der Vorbehalt der Nachprüfung bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2014 dadurch entfallen war, indem die reguläre Festsetzungsfrist nach dreijähriger Anlaufhemmung mit Ablauf des 31. Dezember 2010 begonnen hatte und mit Ablauf des 31. Dezember 2014 endete. Zur Begründung der Höhe der Steuer verwies der Beklagte auf den Feststellungsbescheid. Gegen diesen Änderungsbescheid legte die Klägerin (vertreten durch die Kanzlei E & F) vorsorglich (wegen der unklaren rechtlichen Einordnung als möglicher „Folgebescheid“) fristgerecht Einspruch ein.
20Kurze Zeit nach Erlass des Feststellungsbescheids (Bescheiddatum 29. Dezember 2014) und des dort erhobenen Einspruchs (für die Klägerin von der Kanzlei E & F; für die KG insgesamt durch die Kanzlei X; für Herrn H durch die Rechtsanwaltsgesellschaft Z) ging am 3. März 2015 – noch vor Erlass des Änderungsbescheids vom 30. März 2015 – eine durch die Kanzlei U, die hiesige Prozessbevollmächtigte, namens und im Auftrag der Klägerin bezeichnete „Berichtigungserklärung“ beim Beklagten ein, in welcher erklärt wurde, dass die Klägerin im Jahre 2007 einen privaten Veräußerungsgewinn gem. § 23 EStG erzielt habe, der nicht in ihrer Einkommensteuererklärung enthalten sei. Der Veräußerungsgewinn wird mit 3.300.000,00 € angegeben, verbunden mit dem Hinweis, dass die Höhe nicht überprüft sei und man sich eine Prüfung vorbehalte. Unter Beifügung des Notarvertrags schilderte die Klägerin die vertraglichen und wirtschaftlichen Abläufe und räumte ein, alleine (d.h. nicht zusammen mit Herrn H) den Veräußerungsgewinn erzielt zu haben. Die Klägerin sei überrascht, dass diese Einkünfte – so sei zu vermuten – bisher nicht in der persönlichen Einkommensteuererklärung 2007 erklärt worden sei. Sie – die Klägerin – könne dies zurzeit nicht überprüfen. Der Klägerin und der Kanzlei U liege die Erklärung nicht vor. Im Einzelnen werde auf die Steuerakten des FA W verwiesen, die beigezogen werden könnten. In rechtlicher Hinsicht wird die Ansicht vertreten, dass Festsetzungsverjährung eingetreten sei, da nicht ersichtlich sei, dass die Voraussetzungen einer Ablaufhemmung vorlägen und der angefochtene Feststellungsbescheid hinsichtlich der Einkünfte aus § 23 EStG keine Bindungswirkung habe, weil nach Verwaltungsansicht über die Tatbestandsverwirklichung der Einkünfteerzielung nach § 23 EStG bei einem Ausscheiden eines Beteiligten nicht auf der Ebene der Gesellschaft, sondern bei dem Beteiligten zu entscheiden sei. In der Folgezeit wurde der Feststellungsbescheid hinsichtlich der Einkünfte nach § 23 EStG von der Vollziehung ausgesetzt.
21Zwischenzeitlich erging unter dem 22. April 2015 ein weiterer (verbösernder) Änderungsbescheid über Einkommensteuer gegenüber der Klägerin, in dem nun anstatt von 2.100.000,00 € bei dieser ein Veräußerungsgewinn von 5.400.000,00 € (Erhöhungsbetrag ggü. vorheriger Festsetzung: 3.500.000,00 €; fehlerhafter Ansatz, weil der Beklagte den Gesamtgewinn erneut hinzurechnete, richtigerweise aber wohl nur den auf Herrn H entfallenden Gewinnanteil erfassen wollte; diese Doppelerfassung wurde von der Klägerin auch in einem Schreiben des Bevollmächtigten vom 29. April 2015 gerügt) erfasst worden war und die Einkommensteuer mit 890.000,00 € festgesetzt wurde. Zur Begründung wurde auf ein Schreiben vom 2. März 2015 verwiesen, Hintergrund war eine von Herrn H angeführte fehlende Gesellschafterstellung. Die Änderung wurde erneut laut Angabe der Vorschrift oberhalb des Festsetzungsteils auf § 164 Abs. 2 AO gestützt und angegeben, dass der Vorbehalt nun aufgehoben werde. Hinsichtlich der Festsetzungsfrist wurde angegeben, dass diese gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre betrage, so dass eine Änderung möglich sei. Aus Vermerken ist ersichtlich, dass der Beklagte nicht mehr von einem wirksamen Vorbehalt ausging und die Änderung auf andere Vorschriften stützen wollte.
22Mit einem Bescheid sowie Schreiben an den Beklagten vom 30. November 2017(= während des Einspruchsverfahrens zur Einkommensteuer) teilte das für die Besteuerung der KG zuständig gewordene Finanzamt S mit, dass die Einkünfte der Klägerin verändert seien und die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht mehr Gegenstand der Feststellung seien. Sie seien bei der Einkommensteuer zu ermitteln und zu erfassen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
23Hintergrund der vorgenannten Abläufe im Einspruchsverfahren waren in den Akten befindliche umfangreiche Aktenvermerke und Abstimmungen zwischen den Finanzbehörden. Zusammengefasst erkannte das neu zuständig gewordene Feststellungsfinanzamt, dass über den Veräußerungsgewinn nicht auf Ebene des Feststellungsbescheids zu entscheiden sei. Neben weiteren Fragen zur Qualifikation der KG als vermögensverwaltende Gesellschaft (bis zum Eintritt der GmbH), zur Zuständigkeit, zur Beteiligtenstellung von Herrn H und zu den genauen gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Abläufen der Anteilsveräußerung der Klägerin wurden insbesondere die Abläufe beim Finanzamt W und die Deklarationslage betrachtet. Man sah es als Versäumnis des FA W an, über ein dort bekannt gewordenes Veräußerungsgeschäft innerhalb eines 10‑Jahres-Zeitraums nach § 23 EStG nicht informiert zu haben. Zugleich thematisierte der Beklagte, das Finanzamt T, intern die Frage der Festsetzungsfrist der Einkommensteuer 2007, einer Verlängerung wegen leichtfertiger Steuerverkürzung oder Steuerhinterziehung und einer Bindungswirkung durch den Feststellungsbescheid. In Reaktion auf das klägerische Schreiben vom 3. März 2015 („Berichtigungsanzeige“) kam der Beklagte zu der Einschätzung, dass der Feststellungsbescheid (vom 29. Dezember 2014) Bindungswirkung entfalte und bei einer zukünftigen Änderung des Grundlagenbescheides sich ggf. eine zusätzliche Änderungsmöglichkeit des Einkommensteuerbescheids in Bezug auf den dann ggf. noch nicht erfassten Veräußerungsgewinn nach § 23 EStG eröffne (Verweis auf BFH IX R 57/88). Außerdem wird die Berichtigungserklärung (aus März 2015) als Anlass für die auf Einkommensteuerebene vorgenommene Änderung und auch spätere Anpassungen angesehen.
24Letztlich wies der Beklagte den Einspruch in der Einspruchsentscheidung vom 16. August 2018 dem Grunde nach als unbegründet zurück und setzte die Einkommensteuer nun auf 490.000,00 € bei einem berechneten Veräußerungsgewinn von 3.200.000,00 € fest. Zur Begründung wird nach Sachverhaltsschilderung insbesondere auf das Schreiben von März 2015 abgestellt, in welchem die Klägerin einen Veräußerungsgewinn nach § 23 EStG i.H.v. 3.300.000,00 € nacherklärt habe. Der Veräußerungsgewinn wird in der Einspruchsentscheidung neu berechnet, indem vom Kaufpreis von 35.000.000 € Herstellungskosten (für das Gebäude) und Anschaffungskosten (für den Grund und Boden) – jeweils i.H.d. Anteils von 94 % – abgezogen werden.
25Gegen die Änderungsbescheide nebst Einspruchsentscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage und führt – zusammengefasst – an, es mangele an einer Korrekturnorm, außerdem sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Eine Änderung sei nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO möglich. Die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns nach § 23 EStG sei dem Grunde und der Höhe nach – wie auch aus Verwaltungsanweisungen ersichtlich sei – nicht auf Feststellungsebene (Gesellschaft), sondern auf Einkommensteuerebene (Gesellschafter) zu entscheiden. Der Feststellungsbescheid entfalte sowohl nach materieller (qualitativer) Beurteilung als auch nach dem Tenor keine Bindungswirkung i.S.d. § 182 AO. Vom Finanzamt angeführte BFH-Rechtsprechung (insbesondere IX R 57/88, X R 34/90, IX R 53/14) greife nicht. Auch greife die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nicht ein, so dass Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Hilfsweise wurde zur Höhe des Veräußerungsgewinns vorgetragen, dass dieser 2.300.000,00 € betrage (siehe Bl. 73 der elektronischen Gerichtsakte; anderweitige Anschaffungskosten und Aufteilung zwischen Gebäudeherstellungskosten und Grund und Boden). Vertiefend wurde sodann angeführt, dass die Änderungsbescheide auch gegen Treu und Glauben verstoßen würden, hier gegen das Prinzip der Verwirkung und das Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Im Einzelnen legt die Klägerin in Auseinandersetzung mit der genommenen Akteneinsicht und Sichtung diverser verwaltungsinterner Vermerke dar, dass der Beklagte nach ihrer Auffassung bei der Einkommensteuer 2007 der rechtlichen Einordnung von Grundstücksveräußerungsgewinnen keine hinreichende Beachtung geschenkt habe und jahrelang untätig geblieben sei. Unter Beifügung eines Schreibens des steuerlichen Beraters D aus November 2007 (siehe Anlage K1 zur Klagebegründung, Bl. 41 der elektronischen Gerichtsakte) wird argumentiert, der Finanzverwaltung sei der Veräußerungsvorgang bekannt gewesen. Die Finanzverwaltung sei nicht schutzwürdig. Schriftsätzlich und insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung wurde besonders auf die steuerliche Vertretung der Klägerin durch Steuerberater hingewiesen, eine leichtfertige Steuerverkürzung oder Steuerhinterziehung mit verlängerten Festsetzungsfristen habe nicht vorgelegen. Wegen der weiteren Argumentation wird auf die Klagebegründung verwiesen.
26Die Klägerin beantragt,
27die Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 2007 vom 30. März 2015 und 22. April 2015 nebst Einspruchsentscheidung vom 16. August 2018 aufzuheben,
28hilfsweise die Einkommensteuerfestsetzung mit der Maßgabe zu ändern, dass ein Veräußerungsgewinn i.H.v. 2.300.000,00 € der Besteuerung unterworfen wird.
29Der Beklagte beantragt,
30die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass bei der Klägerin ein Veräußerungsgewinn i.H.v. 3.100.000,00 € anzusetzen ist.
31Zur Begründung nimmt er vollinhaltlich Bezug auf seine Ausführungen im außergerichtlichen Verfahren. Ergänzend trägt er vor, der Feststellungsbescheid vom 29. Dezember 2014 stelle einen Veräußerungsgewinn nach § 23 EStG fest und habe dadurch Bindungswirkung entfaltet. Dies gelte losgelöst von der Frage der Rechtmäßigkeit, da keine Nichtigkeit/Unwirksamkeit vorgelegen habe. Mit geändertem Feststellungsbescheid vom 30. November 2017 sei die Feststellung entfallen, der Beklagte habe den Veräußerungsgewinn dann aber auf Grundlage der BFH-Rechtsprechung in eigener Zuständigkeit weiterhin ansetzen dürfen. Insgesamt sei die Änderung des Einkommensteuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO möglich gewesen und es habe auch die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO gegriffen.
32Zur Höhe des Veräußerungsgewinns (laut EE: 3.200.000,00 €; laut klägerischer Berechnung: 2.300.000,00 €) wendet der Beklagte ein, dass die von der Klägerin angegebenen abweichenden Anschaffungskosten des Grund und Bodens (GruBo) nicht nachvollzogen werden könnten. Bei der Berechnung in der Einspruchsentscheidung seien die im Feststellungsverfahren angesetzten Werte berücksichtigt worden; eine abweichende Höhe (hier: höhere Anschaffungskosten „laut Buchhaltung“) habe die Klägerin im Lauf des Einspruchsverfahrens trotz Aufforderung nicht dargelegt. Bezüglich des Abzugs der AfA des Jahres 2007 sei die Berechnung aber in der Tat zu korrigieren, die Herstellungskosten seien zu Unrecht um einen Wert von 100.000,00 € (Auswirkung bei einer 94%-Veräußerung: 100.000,00 €) gekürzt worden.
33Entscheidungsgründe
34I. Das Gericht entscheidet über die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Änderungsbescheids vom 30. März 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. August 2018 durch Zwischenurteil gem. § 99 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es erscheint angesichts der streitigen und noch aufklärungsbedürftigen Höhe der Anschaffungskosten sachgerecht, zunächst über die Frage der Änderungsbefugnis (Korrekturvorschrift, Festsetzungsfrist) zu entscheiden. Gegenstand der hiesigen Anfechtungsklage ist dabei gem. § 44 Abs. 2 FGO der ursprünglich angefochtene Einkommensteuerbescheid vom 30. März 2015 in seiner durch die Einspruchsentscheidung veränderten Gestalt. Ob oder inwieweit im zwischenzeitlich erlassenen Änderungsbescheid vom 22. April 2015 eine Erhöhung der Einkommensteuer vorgenommen werden durfte, bedarf deshalb keiner Entscheidung.
35II. Der Änderungsbescheid vom 30. März 2015 sowie die Einspruchsentscheidung vom 16. August 2018 sind formell rechtmäßig. Der Beklagte durfte im Bescheid vom 30. März 2015 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die Einkommensteuer dahingehend erhöhen, dass die im Feststellungsbescheid gegenüber der KG vom 29. Dezember 2014 festgestellten Einkünfte angesetzt werden (hierzu nachfolgend 1.). Nach der Änderung der Feststellung mit Bescheid vom 30. November 2017 durfte der Beklagte überdies – in Ausübung eigener Ermittlungskompetenz und ohne betragsmäßige Änderungsbeschränkung – einen Veräußerungsgewinn nach § 23 EStG eigenständig ermitteln und der Besteuerung zugrunde legen (hierzu nachfolgend 2.). Einer Prüfung anderer Korrekturvorschriften und verlängerter Festsetzungsfristen bedarf es dadurch nicht (hierzu nachfolgend 3.).
361. Der Änderungsbescheid vom 30. März 2015 ist formell rechtmäßig. Der Beklagte war nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zur Änderung befugt (hierzu a.). Der Bescheid ist innerhalb einer durch Ablaufhemmung verlängerten Festsetzungsfrist ergangen (hierzu b.). Eine Änderungssperre aus Treu und Glauben oder anderen Gründen besteht nicht (hierzu c.).
37a. Die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind erfüllt.
38Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird.
39Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen der KG vom 29. Dezember 2014 stellt einen Grundlagenbescheid dar. Dieser Bescheid hatte auch – entgegen der Auffassung der Kläger – Bindungswirkung nach § 182 Abs. 1 AO hinsichtlich der Feststellung eines durch die Klägerin erzielten Veräußerungsgewinns.
40aa. Ein Grundlagenbescheid ist für einen Folgebescheid gem. § 182 Abs. 1 AO bindend, soweit er rechtswirksam ist und die darin getroffenen Feststellungen für den Folgebescheid von Bedeutung sind (v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 261. Lfg. 2/2021, § 175 AO Rn. 141; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 261. Lfg. 2/2021, § 182 AO Rn. 21). Rechtmäßigkeit ist für die Bindungswirkung ebenso wenig wie eine Bestandskraft erforderlich. Da der Feststellungsbescheid als Verwaltungsakt den allgemeinen Regeln unterliegt, kann auch ein fehlerhafter und rechtswidriger Bescheid bindend sein. Nur ein nichtiger Feststellungsbescheid ist unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO) und ohne Bindungswirkung für Folgebescheide (vgl. zum Ganzen Söhn, a.a.O., § 182 AO Rn. 24 ff. m.w.N.).
41Nach der Rechtsprechung des BFH und nach wohl herrschender Ansicht in der Kommentarliteratur kann ein rechtswidriger, aber wirksamer Grundlagenbescheid auch dann eine Bindungswirkung auslösen, wenn er unter Verstoß gegen die gesetzlichen Zuständigkeiten Gegenstände regelt, für die ein Feststellungsverfahren nicht durchzuführen ist, insbesondere wenn Besteuerungsgrundlagen über den gesetzlich vorgeschriebenen Umfang hinaus durch Grundlagenbescheid festgestellt worden sind (vgl. aus der Rspr. etwa BFH-Beschluss vom 9. Juni 2000, X B 104/99, BFH/NV 2001, 1; BFH-Urteil vom 13. Dezember 2006, VIII R 48/04, BFH/NV 2007, 863; BFH-Urteil vom 31. Oktober 1991, X R 126/90, BFH/NV 1992, 363, Rn. 14 der in Juris abdedruckten Enscheidungsgründe, m.w.N.; aus der Kommentarliteratur siehe Söhn, a.a.O., § 182 AO Rn. 25a m.w.N.; anders – wie von der Klägerseite in der Klagebegründung benannt – Frotscher in Schwarz, AO, § 182 Rn. 5).
42Gleichwohl hat auch die höchstrichterliche Rechtsprechung Fallgruppen einer fehlenden Bindung definiert. Die Bindungswirkung wird zum Ersten durch den Feststellungsbereich begrenzt. Bei der Auslegung des Feststellungsbereichs (Regelungsgehalts) ist entsprechend § 133 BGB darauf abzustellen, wie ein verständiger Empfänger nach den ihm bekannten Umständen den Bescheid unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste (vgl. etwa BFH-Urteil vom 8. November 2005, VIII R 11/02, BStBl II 2006, 253, Rn. 30 der in Juris abgedruckten Entscheidungsgründe, m.w.N.; Söhn, a.a.O., § 182 AO Rn. 39 m.w.N. aus der Rspr.). Neben dem Tenor kann bei Zweifeln auch auf die Gründe des Feststellungsbescheids abzustellen sein.
43Aus der allgemeinen Verwaltungsaktdogmatik folgt zum Zweiten, dass der Feststellungsbescheid (bzw. dessen konkret zu untersuchender Inhalt) nicht gem. § 124 Abs. 3 AO, § 125 AO unwirksam sein darf. Ein Verwaltungsakt ist nach § 125 Abs. 1 AO nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Dies ist insbesondere bei gravierender inhaltlicher Lückenhaftigkeit oder Unbestimmtheit der Fall, auch bei schwerwiegenden Fehlern, wenn unter keinen vertretbaren Umständen eine gesetzliche Grundlage oder Begründung für die Regelung gefunden werden kann. Zuständigkeitsfehler sowie Verfahrens- und Formfehler führen dagegen in der Regel nicht zur Nichtigkeit (vgl. zum Ganzen Seer in Tipke/Kruse, AO/FO, 164. Lfg. 2/2021, § 125 AO Rn. 7 ff. m.w.N.).
44Zum Dritten hat der BFH die Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden im Hinblick auf die Einkünftezuordnung eingegrenzt (vgl. hierzu insbesondere das von der Klägerin angeführte BFH-Urteil vom 11. Dezember 1997, III R 14/96, BStBl II 1999, 401). Einerseits wird dem Feststellungsfinanzamt eine Kompetenz für die verbindliche Entscheidung über die Einkünfteermittlung zugesprochen (vgl. Rn. 27 der in Juris veröffentlichten Entscheidungsgründe). Bezüglich der Zuordnung zu einer Einkunftsart nach § 2 Abs. 1 EStG sieht der BFH hingegen die auf Gesellschafterebene (Ebene des Einkommensteuerbescheids) getroffenen Feststellungen für maßgeblich, weil sich diese nach persönlichen Merkmalen der einzelnen Gesellschafter richtet.
45bb. Überträgt man die vorgenannten Grundsätze auf den Streitfall, ist durch den Feststellungsbescheid vom 29. Dezember 2014 nach Überzeugung des Senats klar erkennbar, dass ein Veräußerungsgewinn der Klägerin nach § 23 EStG festgestellt werden sollte und auch mit Verwaltungsaktqualität festgestellt worden ist. Der Veräußerungsgewinn wird im Feststellungsbescheid im Tenor aufgeführt und ist nicht mit einschränkenden Zusätzen versehen. Der Wille zur Erfassung war zudem durch die Rückfragen des seinerzeit zuständigen Finanzamts W ersichtlich. Der maßgebliche Bescheidtenor des Feststellungsbescheids war eindeutig und konnte auch für die Klägerseite nur dahingehend verstanden werden, dass ein privates Veräußerungsgeschäft bei der Klägerin (und seinerzeit noch bei ihrem Bruder) erfasst werden sollte.
46Jene Feststellung war zwar rechtswidrig (und ist deshalb später auch aufgehoben worden), aber nicht nichtig. Einen besonders schweren und bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundigen Mangel vermag der Senat nicht zu erkennen. Dies ist einerseits daraus ersichtlich, dass die Frage, in welchem Verfahren über einen Veräußerungsgewinn nach § 23 EStG bei grundstücksverwaltenden Gesellschaften verbindlich zu entscheiden ist, lange Zeit streitig und rechtlich komplex war. Im konkreten Fall kommt hinzu, dass die Klägerin weder im Feststellungsverfahren noch im Einkommensteuerverfahren einen Veräußerungsgewinn nach § 23 EStG erklärt hatte und hierdurch ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen war. Sofern man zugunsten der Klägerin annimmt, dass diese nicht mit einem Steuerhinterziehungsvorsatz oder in leichtfertiger Weise eine Erfassung der Einkünfte sowohl im Feststellungsbescheid wie auch im Einkommensteuerbescheid verhindern wollte, muss konstatiert werden, dass auch die Klägerin und die von ihr seinerzeit bevollmächtigten steuerlichen Vertreter unsicher in der verfahrensrechtlichen Umsetzung waren. Während die grunderwerbsteuerliche Konzeption (Übertragung von weniger als 95 % der Gesellschaftsanteile zur Vermeidung einer Steuerbarkeit) anscheinend eingehend betrachtet wurde, scheint dem Steuerverfahrensrecht weniger Aufmerksamkeit gewidmet worden zu sein. Wie im Tatbestand geschildert, ist weder im Feststellungsverfahren (bei der KG) noch im Veranlagungsverfahren (bei der Klägerin) klägerseits ein Veräußerungsgewinn erklärt worden. Der als Anlage K1 zur Klageschrift beigefügte Auszug eines Schreibens des steuerlichen Beraters D an das Finanzamt T, in welcher eine Veräußerung der Gesellschaftsanteile bis auf einen Anteil von 6 % erwähnt wird, stellt keine hinreichende Erfüllung von Erklärungs- und Mitwirkungspflichten i.S.d. §§ 90, 149 ff. AO dar. Erforderlich wäre hierfür vielmehr die Angabe konkreter Besteuerungsgrundlagen auf den dazu vorgeschriebenen Vordrucken oder elektronischen Übermittlungen und ggf. die Beifügung von Unterlagen gewesen. Unsicherheit bestand auf Seiten der Finanzbehörde – wie an Rückfragen ersichtlich – nach seinerzeitiger Aktenlage auch in der Frage, ob nur die Klägerin oder ob die Klägerin gemeinschaftlich mit ihrem Bruder einen Veräußerungsgewinn erzielt hatte. Auch hierzu äußerten sich die Klägerin und ihr Bruder erst im gegen den Feststellungsbescheid geführten Einspruchsverfahren sowie im Einspruchsverfahren gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid. Es fehlt damit im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids, der unter Berücksichtigung der Regelung in § 169 Abs. 1 Satz 3 AO gerade noch rechtzeitig vor Ablauf der – durch dreijährige Anlaufhemmung auf den Ablauf des 31. Dezember 2014 verlängerten – Feststellungsfrist versandt worden war, jedenfalls an der von § 125 Abs. 1 AO geforderten „Offenkundigkeit“.
47Soweit die Klägerseite aus der fehlenden Zuständigkeit des Feststellungsfinanzamtes eine fehlende Bindungswirkung annimmt, folgt der Senat dem nicht. Der Senat folgt der aus seiner Sicht höchstrichterlichen gefestigten Rechtsprechung sowie der wohl herrschenden Kommentarliteratur. Da schwerwiegende Mängel über eine Nichtigkeit nach § 125 AO erfasst werden können, sieht der Senat keinen Anlass und auch keine gesetzliche Grundlage dafür, in Abkehr von der herkömmlichen Verwaltungsaktdogmatik (rechtmäßiger Verwaltungsakt, rechtswidriger aber wirksamer Verwaltungsakt, rechtswidriger und unwirksamer – d.h. nichtiger – Verwaltungsakt) eine weitere spezielle Kategorie nur für Feststellungsbescheide einzuführen.
48An der wirksamen Feststellung ändert auch die von der Klägerseite angeführte eingeschränkte Bindungswirkung des Feststellungsbescheids für die Frage der Einkünftezuordnung (i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG) nichts. Das BFH-Urteil vom 11. Dezember 1997 (III R 14/96, BStBl II 1999, 401) betrifft die Abgrenzung und Wechselwirkungen zwischen gesellschaftsbezogenenen und gesellschafterbezogenen Feststellungen, dort bei der sog. „Zebragesellschaft“. Das Urteil ist auf die hiesige Fallkonstellation einer in einem „falschen Verfahren“ vorgenommenen Feststellung nach Überzeugung des Senats bereits nicht übertragbar, weil es einen anders gelagerten Sachverhalt betrifft. Im Übrigen lässt sich jedenfalls aus dem Urteil die von der Klägerseite angeführte gänzlich fehlende Bindungswirkung des Feststellungsbescheids nicht schlussfolgern, sondern allenfalls eine fehlende Bindungswirkung hinsichtlich der Einkünftequalifikation. Die Feststellung zum Grund und zur Höhe der erzielten Einkünfte können nach dem BFH-Urteil weiterhin im Feststellungsverfahren getroffen werden, lediglich eine etwaige Umqualifizierung (bspw. in gewerbliche Einkünfte nach § 15 EStG bei einem gewerblichen Grundstückshandel) kann und muss nach dem hiesigen Verständnis nach der BFH-Rechtsprechung endgültig auf Gesellschafterebene erfolgen.
49Unerheblich ist, dass der Beklagte den Änderungsbescheid vom 30. März 2015 auf eine andere Rechtsgrundlage – hier § 164 AO – gestützt hat. Für die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Änderungsbescheids ist erforderlich, dass tatsächlich eine Rechtsgrundlage einschlägig ist. Die Angabe einer unzutreffenden Rechtsgrundlage ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung unbeachtlich (vgl. nur BFH-Beschluss vom 16. August 1995, VIII B 156/94, BFH/NV 1996, 125 m.w.N.; BFH-Urteil vom 10. Juni 1999, IV R 25/98, BStBl II 1999, 545).
50b. Die Festsetzungsfrist war nicht abgelaufen. Soweit für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid, ein Steuermessbescheid oder ein anderer Verwaltungsakt bindend ist (Grundlagenbescheid), endet die Festsetzungsfrist gem. § 171 Abs. 10 AO nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids. Vorliegend ist der Feststellungsbescheid am 29. Dezember 2014 erlassen worden, die 2‑jährige Umsetzungsfrist war im März 2015 unstreitig nicht abgelaufen.
51c. Eine Änderung schied nicht wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben oder anderen Gründen aus.
52Der Grundsatz von Treu und Glauben als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und des Vertrauensschutzprinzips gilt auch im Steuerrecht (Überblick bei Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, 164. Lfg. 2/2021, § 4 AO Rn. 125 ff. m.w.N.). Insbesondere in Form des Rechtsinstituts der Verwirkung kann er – als von der Rechtsprechung aus Verfassungsgrundsätzen entwickelte, einzelgesetzlich ungeregelte Ausnahme – eine Änderung des Steuerbescheids hindern. Verwirkung tritt ein, wenn ein Berechtigter durch sein Verhalten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen hat, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Rechts als illoyale Rechtsausübung empfunden werden muss. Neben einem Zeitmoment verlangt die Rechtsprechung ein Umstandsmoment. Regelmäßig muss der Steuerpflichtige im Vertrauen auf das Verhalten der Finanzbehörde Maßnahmen ergriffen oder unterlassen haben, die er nicht ergriffen oder unterlassen hätte, wenn er mit der Geltendmachung der Steuer gerechnet hätte (vgl. Drüen, a.a.O., § 4 AO Rn. 169, 171 f.).
53Im Streitfall kann der Senat jedenfalls keinen Vertrauenstatbestand in Form des Umstandsmomentes feststellen, weil das Feststellungsfinanzamt seit 2011 mit der Aufklärung zum Veräußerungsvorgang begonnen hatte. Im Feststellungsverfahren konnte sich dadurch kein Vertrauen aufbauen.
54Auch wenn man für die Prüfung des Vertrauensschutzes verfahrensübergreifend– wegen der Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO – auf die Einkommensteuerveranlagung abstellt, ist kein Vertrauenstatbestand ersichtlich. Die Nichtdeklaration eines in Millionenhöhe erzielten Veräußerungsgewinns durch einen Veräußerungsvorgang mit einem Kaufpreis von 35.000.000 € stellt auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Stellung der Klägerin einen erheblichen, für die Klägerin erkennbar steuerbedeutsamen Umstand dar, so dass dem Senat nicht verständlich ist, dass ein solcher Vorgang jahrelang nicht deklariert worden ist. Der Umstand, dass die Klägerin steuerlich beraten worden ist, kann sie jedenfalls – unabhängig davon, dass die Klägerin eigenhändig die verspätet abgegebene Einkommensteuerklärung 2007 unterzeichnet hat – steuerlich nicht exkulpieren und wirkt nach Überzeugung des Senats sogar eher zulasten der Klägerin.
55Soweit die ergänzende Klagebegründung anführt, die Finanzbehörden hätten Grundstückssachverhalte jahrelang nicht geprüft, obwohl dies möglich gewesen wäre, verkennt die Klägerin das Verhältnis von Amtsermittlungspflicht der Finanzbehörde und den Erklärungs- und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen. Auch wenn man wie von der Klägerin dargelegt Versäumnisse und auch verfahrensrechtliche Unsicherheiten sowie (in der Begründung, insbesondere der Angabe der Korrekturvorschrift) Unrichtigkeiten des Beklagten bejahen muss, sieht der Senat keine überwiegende Pflichtverletzung der Finanzbehörden, welche die erheblichen Mitwirkungspflichtverletzungen der Klägerin überwiegen würden.
56Um sich auf einen Vertrauenstatbestand berufen zu können, hätte die Klägerin – in eigener Person bei der Einkommensteuer und in ihrer Funktion innerhalb der KG bei der Feststellung – Angaben zum Veräußerungsvorgang unter Vorlage von Unterlagen machen müssen. Alleine der Umstand, dass die Klägerin erst im Juni 2011 ihre Einkommensteuererklärung 2007 massiv verspätet abgab und weder in der Erklärung noch aus Anlass mehrerer Änderungsbescheide (insbesondere einer Steuerfestsetzung mit 0 € im Einkommensteuerbescheid vom 18. Juli 2013) eine Berichtigung nach § 153 AO veranlasste, verhindert die Annahme eines Vertrauenstatbestandes. Insbesondere verwundert es den Senat, dass die Klägerin bis zum Ablauf der regulären Festsetzungsfrist zur Einkommensteuer 2007 (nach dreijähriger Anlaufhemmung endete diese mit Ablauf des 31. Dezember 2014) keinen Anlass für eine Berichtigungsanzeige sah, andererseits aber – insoweit für den Senat widersprüchlich – in die Nichtbesteuerung vertraut haben will, wobei die Klägerin ausweislich ihrer „Berichtigungserklärung“ vom 3. März 2015 – für den Senat erneut unverständlich – dann wiederum überrascht gewesen sein will, dass die Einkünfte nicht in ihrer persönlichen Steuererklärung deklariert worden seien. Die Unstimmigkeiten werden dadurch intensiviert, dass die Klägerin und ihr steuerlicher Berater einerseits jahrelang anscheinend keine Notwendigkeit einer korrekten steuerlichen Deklaration erkannt haben wollen, mit Ablauf der regulären Festsetzungsfrist nach dem 31. Dezember 2014 dann aber für sie offenkundig gewesen sein soll, das der Veräußerungsgewinn im falschen Verfahren erfasst worden sei. Nach alledem kann der Senat bei berechtigter von der Klägerseite geäußerter Kritik an den Abläufen innerhalb der Finanzverwaltung jedenfalls keinen Vertrauenstatbestand für die Klägerin bejahen, der nach der rechtlichen Konzeption des Prinzips der Verwirkung nur im Ausnahmefall eine Änderung hindern soll.
572. Nach der Änderung der Feststellung mit Bescheid vom 30. November 2017 durfte der Beklagte überdies – in Ausübung eigener Ermittlungskompetenz und ohne betragsmäßige Änderungsbeschränkung – einen Veräußerungsgewinn nach § 23 EStG eigenständig ermitteln und der Besteuerung zugrunde legen.
58Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt mit dem Feststellungsbescheid vom 30. November 2017 eine geänderte Feststellung in Form der aufgehobenen Einzelfeststellung eines Veräußerungsgewinns vor. Der geänderte Feststellungsbescheid vom 30. November 2017 ist als Abhilfe zu den verschiedenen gegen den Feststellungsbescheiden erhobenen Einsprüchen (der KG, der Klägerin, des Bruders der Klägerin) ergangen. Er zeigt hinreichend deutlich den Regelungsinhalt, dass ein zuvor (siehe Ausführungen unter 1.) festgestellter Gewinn auf Gesellschaftsebene nun nicht mehr verbindlich festgestellt werden soll. Soweit die Klagebegründung auf die sog. ESt4B-Mitteilung abstellt, ist dies unbeachtlich, weil für die Bestimmung der Bindungswirkung auf den (geänderten) Feststellungsbescheid und nicht auf behördeninterne Mitteilungen abzustellen ist (vgl. nur BFH-Urteil vom 26. Februar 1997, X R 111/95, BFH/NV 1997, 734 m.w.N.; Söhn, a.a.O., § 182 AO Rn. 39 m.w.N.).
59Mit der insoweit aufgehobenen Feststellung ergab sich für den Beklagten eine erneute Änderungsbefugnis nach § 175 AO. Jede Einzelfeststellung begründet für sich die Änderungsbefugnis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 AO und die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO (vgl. etwa BFH-Urteil vom 27. Januar 2016, X R 53/14, BFH/NV 2016, 889). Die zweijährige Umsetzungsfrist (geänderter Feststellungsbescheid vom 30. November 2017; geänderte Einkommensteuerfestsetzung in der Einspruchsentscheidung vom 16. August 2018) wurde eingehalten.
60Der Beklagte war durch Änderung des Feststellungsbescheids auch zur eigenständigen Ermittlung und Würdigung des Sachverhaltes auf Einkommensteuerebene befugt. Die Vorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO erfasst nach Rechtsprechung des BFH auch die Fälle, in denen ein bestimmter Sachverhalt, der richtigerweise in einem Steuerbescheid (Folgebescheid) zu regeln ist, zunächst fehlerhaft in einem Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) berücksichtigt war und durch dessen Aufhebung oder Änderung aus der bis dahin bestehenden Bindungswirkung entlassen wird (BFH-Urteil vom 25. Juni 1991, IX R 57/88, BStBl II 1991, 821; BFH-Urteil vom 14. Juli 1993, X R 34/90, BStBl II 1994, 77). Die Finanzbehörde ist in diesem Fällen – wie vom Beklagten angeführt – zu eigenen Ermittlungen befugt und unterliegt für den aus der Bindungswirkung entlassenen Sachverhalt (Sachverhaltskomplex) keiner betragsmäßigen Bindung oder Beschränkung (vgl. hierzu nur Söhn, a.a.O., § 182 AO Rn. 55 m.w.N.; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 164. Lfg. 2/2021, § 175 AO Rn. 13 m.w.N.).
61Auch bei der Umsetzung jenes Änderungs- bzw. Aufhebungsbescheids scheidet eine Korrektursperre wegen Treu und Glauben unter dem Aspekt der Verwirkung aus. Da der Beklagte – wie unter 1. dargestellt – mit dem Feststellungsbescheid vom 29. Dezember 2014 einer Bindungswirkung für die Einkommensbesteuerung der Klägerin unterlag, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte erst nach dem „Wiederaufleben“ der Ermittlungskompetenz durch den geänderten Feststellungsbescheid vom 30. November 2017 in eine eigenständige Ermittlung eintreten konnte. Da die Klägerin zwischenzeitlich auch mitgeteilt hatte, dass ihrem Bruder steuerlich – anders als noch im Feststellungsbescheid vom 29. Dezember 2014 tenoriert – kein Veräußerungsgewinn zuzurechnen sei, durfte der Beklagte auch eine Berechnung unter Einbeziehung des vermeintlichen Anteils des Bruders der Klägerin vornehmen.
62Entgegen der Auffassung der Klägerin sieht der Senat keinen Anlass, von der vorgenannten BFH-Rechtsprechung abzuweichen. Da – wie unter 1. dargestellt – im Feststellungsbescheid vom 29. Dezember 2014 eine wirksame (wenngleich rechtswidrige) Feststellung eines Veräußerungsgewinns erfolgte, ist die klägerische Argumentation einer fehlenden Bindungswirkung hinfällig. Sie ist aus klägerischer Sicht, die unter Berufung auf eine Einzelmeinung in der Kommentarliteratur fußt (Frotscher in Schwarz/AO) zwar folgerichtig, steht aber im Widerspruch zur BFH-Rechtsprechung, welcher der erkennende Senat folgt. Gleiches gilt für die klägerische Argumentation zur fehlenden Anwendbarkeit der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO.
633. Da für beide hier nach § 44 Abs. 2 FGO verfahrensgegenständlichen Änderungen eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO einschlägig war, braucht nicht entschieden zu werden, ob der Beklagte andernfalls über andere Korrekturvorschriften (bspw. § 173 AO) im Jahre 2015 und 2018 aufgrund einer durch Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO verlängerten Festsetzungsfrist eine Änderung vornehmen durfte.
64III. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil oder anderweitigen Verfahrensabschluss vorbehalten (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, 164. Lfg. 2/2021, § 143 FGO Rn. 5 m.w.N.). Die Ermittlung der Höhe des Veräußerungsgewinns bleibt dem weiteren Klageverfahren / Endurteil vorbehalten. Die Klägerseite erhält dort Gelegenheit, eine geringere Höhe des Veräußerungsgewinns näher darzulegen und unter Beifügung von Unterlagen im Einzelnen nachzuweisen.
65IV. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Fall beruht auf der Übertragung höchstrichterlicher Rechtsprechung auf einen Einzelfall, insbesondere auf einer Auslegung von Bescheidinhalten, der einzelfallbezogenen Prüfung von Nichtigkeitsgründen sowie Abwägungen im Wege des Vertrauensschutzes (Treu und Glauben, Verwirkung).