Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der für das Verfahren beim BFH
werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand:
2Die Klägerin hatte gegen die Besteuerung einer Kapitalabfindung i.H.v. insgesamt 8.929,85 € (8.877,97 € + 51,88 €) aus einer Kleinbetragsrente (§ 93 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes -EStG-) beim Finanzgericht (FG) Köln unter Aktenzeichen 5 K 3136/16 Klage erhoben.
3Die Besteuerung hatte dazu geführt, dass für die Klägerin, die im Übrigen im Streitjahr nur Einnahmen aus einer Rente i.H.v. 14.215 € bezog, Einkommensteuer i.H.v. 2.744 € festgesetzt worden war.
4Durch Urteil des 5. Senats des FG Köln unter 5 K 3136/16 vom 04.07.2017 wurde die Klage abgewiesen.
5Auf die Revision der Klägerin hob der Bundesfinanzhof (BFH) unter Aktenzeichen X R 39/17 durch Urteil vom 06.11.2019 das Urteil des FG Köln vom 04.07.2017 auf und verwies die Sache an das Gericht zurück. Der BFH bestätigte zwar das FG Köln dahingehend, dass die Kapitalabfindung dem Grunde nach gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG einkommensteuerpflichtig sei. Das FG müsse jedoch tatsächliche Feststellungen zu den besonderen Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG für eine ermäßigte Besteuerung nachholen. Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG sei bei Altersvorsorgeverträgen auch die frühere Leistung von Beiträgen. Entscheidend für die Anwendung dieser Vorschrift sei aber die Außerordentlichkeit der Einkünfte, hier der Kapitalabfindung, welche vom FG festzustellen sei.
6Unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 11.06.2019 X R 7/18, wodurch das Urteil des FG Berlin-Brandenburg 7 K 7032/16 aufgehoben und die Sache an dieses zurück verwiesen worden war, wurde dem FG Köln aufgegeben festzustellen, ob die Kapitalisierung laufender Rentenansprüche im Bereich der Altersvorsorgeverträge (§§ 82 ff EStG) als atypisch anzusehen sei. Zur Feststellung dessen seien Anfragen bei Organisationen einzuholen, die über entsprechendes statistisches Material verfügten, wie zum Beispiel die Zentrale Stelle im Sinne des § 81 EStG (Deutsche Rentenversicherung Bund), Verbraucherschutzorganisationen sowie Verbände der Anbieter.
7Im zweiten Rechtsgang bat der 5. Senat des FG Köln diverse Organisationen (Deutsche Rentenversicherung Bund, Verbraucherzentrale Bundesverband, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) um Auskunft zwecks Beantwortung der Frage, ob es sich bei Kleinbetragsrenten im Sinne des § 93 Abs. 3 EStG um atypische Einzelfälle handele und ob es bei Erfüllung der Voraussetzungen dieser Vorschrift nur in atypischen Einzelfällen zur Wahl der Kapitalabfindung komme.
8Da die dem FG Köln gegebenen Auskünfte unergiebig waren - alle angeschriebenen Organisationen teilten mit, dass sie über die Zahl der Altersvorsorgeverträge keine Informationen oder Statistiken verfügten -, wandte sich das Gericht an das (vom BFH in Bezug genommene) FG Berlin-Brandenburg. Das FG Berlin-Brandenburg, dessen Urteil 7 K 7032/16 vom BFH drei Monate früher als das des FG Köln 5 K 3136/16 aufgehoben worden war, hatte bereits diverse „Organisationen“ angeschrieben, um den Vorgaben des BFH-Urteils vom 11.06.2019 nachzukommen. Die Auskünfte hierzu stellte das FG Berlin-Brandenburg dem FG Köln in neutralisierter Form zur Verfügung. - Wegen des Inhaltes der Auskunft durch das FG Berlin-Brandenburg vom 25.05.2020 im Einzelnen wird auf dieses Schreiben verwiesen. Zahlenmaterial hatten nur die sogenannten Anbieter 2-5 geliefert.
9Anbieter 2 hatte ausgeführt: Im Zeitraum 01.05.2005 bis 31.12.2017 kam es bei 20.872 Riesterkunden von insgesamt 26.439 Altersvorsorgeverträgen zur vollständigen oder teilweisen Auszahlung.
10Die Auskunft von Anbieter 3 lautete: Von 162.997 Verträgen wurden 46.855 vorzeitige Abgänge (=schädliche Verwendung) registriert, bei einer anderen Gesellschaft des Konzerns von 64.261 Verträgen 24.357 Abgänge, bei einer weiteren Gesellschaft von 461 Verträgen 45 Abgänge. Für den Zeitraum 2014-2019 für die erstgenannte Gesellschaft erfolgten von 3.488 Abläufen 324 mit Rentenzahlungen, 362 mit Teilauszahlung und 2.802 mit Kapitalabfindung.
11Anbieter 4 hatte die Auskunft erteilt: Bei insgesamt 48.097 Altersvorsorgeverträgen in der Auszahlungsphase wurden 26.808 Verträge vollständig kapitalisiert durch Abfindung, 6.753 Verträge wurden mit 30% des Kapitals förderunschädlich teilkapitalisiert, 14.536 Verträge wurden vollständig verrentet.
12Anbieter 5 hatte mitgeteilt: Von 52.654 Verträgen in der Auszahlungsphase wurden 16.660 Verträge ganz kapitalisiert, 14.369 teilweise (insgesamt 31.029 wurden damit ganz oder teilweise kapitalisiert).
13Den Beteiligten wurden sämtliche Auskünfte der angeschriebenen Organisationen sowie die Auskunft des FG Berlin-Brandenburg zur Kenntnis gebracht.
14Die Klägerin vertrat die Auffassung, es sei gerade nicht das Ziel zu ermitteln, ob Kleinbetragsrenten atypische Einzelfälle seien und auch nicht, ob bei Kleinbetragsrenten die Abfindung atypische Einzelfälle darstellten. Nach dem Urteil des BFH sei vielmehr zu ermitteln die Zahl sämtlicher in die Auszahlungsphase eingetretenen Altersvorsorgeverträge nach § 82 Abs. 1 Satz 1 EStG und die Zahl der nach § 93 Abs. 3 EStG ausgezahlten Abfindungen von Kleinbetragsrenten. Im Übrigen sehe der BFH in den Kapitalisierungsmöglichkeiten der Riesterrente nur ein Indiz für einen typischen Vorgang. Eine Festlegung sei damit nicht verbunden.
15Ohne Vorlage von statistischen Werten der ZfA könnten Ermittlungen, die sich auf einzelne Erhebungen stützten, zu keinem gesicherten Ergebnis führen. Dies gelte umso mehr, als noch nicht einmal bekannt sei, in welche Bereiche die Riesterbeiträge investiert worden seien. Es seien Angaben dazu notwendig, welchen Anteil die einzelnen Bereiche an der Gesamtheit der in die Auszahlungsphase getretenen Verträge und die Kleinbetragsabfindungen hätten.
16Die vom FG Berlin-Brandenburg übermittelten Zahlen seien nicht repräsentativ und auch aus anderen Gründen nicht verwertbar. Es sei nicht erkennbar, aus welchen Regionen und Anlagebereichen die Angaben stammten. Es bestehe die Vermutung, dass die Angaben ausschließlich aus dem Bereich der Lebensversicherung stammten, in dem ein vorzeitiges Beenden von Verträgen als notorisch bekannt sei.
17Der Anbieter 1 mache nur Angaben zu Lebensversicherungen, nicht aber zu Kleinbetragsrenten. Anbieter 2 mache keine Angaben zur Anlageart. Die teilweise Auszahlung sei mit einer Kleinbetragsrente nicht vereinbar. Der Anbieter 3 mache keine Angaben zur Anlageart. Vorzeitige Abgänge müssten nicht identisch sein mit Kleinbetragsrenten und könnten sich auch vor Erreichen der Altersgrenze ergeben. Anbieter 4 habe wohl Angaben zu Lebensversicherungsanlagen gemacht. Anbieter 5 mache keine Angaben zur Anlageart. Ganzkapitalisierung besage nicht, dass die Voraussetzungen einer Kleinbetragsrente erfüllt seien. Teilkapitalisierungen seien mit einer Kleinbetragsrente nicht vereinbar.
18Im Anschluss an die Ladung zur mündlichen Verhandlung führte die Klägerin mit Schriftsatz vom 04.08.2020 ergänzend und zusammenfassend wie folgt aus:
19Die vom FG Berlin-Brandenburg übermittelten Angaben seien für die Beurteilung der Atypik von Kleinbetragsrentenabfindungen nicht verwertbar. Es werde nicht mitgeteilt, welche konkreten Fragen das FG Berlin-Brandenburg an welche Anbieter gestellt habe. Die Antworten würden zudem nicht in Gänze dargestellt, sondern seien teilweise geschwärzt. Es sei auch nicht erkennbar, aus welcher Branche die Anbieter stammten und welche Regionen erfasst seien. Verlässliche Daten fielen ausschließlich bei der ZfA an, die sie aber statistisch nicht ausgewertet habe. Der Anbieter zu 2 habe darauf hingewiesen, dass sich der Anteil der Kleinbetragsabfindungen kontinuierlich verringern werde. Der Verband zu 1 habe nur Lebensversicherungen angesprochen. - Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 04.08.2020 verwiesen.
20Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.08.2020 legte die Klägerin einen weiteren Schriftsatz mit demselben Datum vor. Dieser wurde auch dem Beklagtenvertreter zur Verfügung gestellt und anschließend von der Vorsitzenden vorgelesen. Der auf den 12.08.2020 datierte Schriftsatz hat folgenden Inhalt:
21Die Feststellungen des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg seien, wie bereits vorgetragen, nicht verwertbar. Eigene Ermittlungen des Senats hätten nicht den Vorgaben des BFH entsprochen und führten darüber hinaus zu keinen Ergebnissen. Ob eine Anfrage an das FG Nürnberg, das im Gegensatz zum FG Brandenburg in einem Parallelverfahren zugunsten der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes geurteilt habe, gerichtet wurde, sei der Klägerin nicht mitgeteilt worden. Wenn es nicht möglich sei, im Zeitraum 2005-2017 a) die Zahl sämtlicher in die Auszahlungsphase eingetretener Altersvor-sorgeverträge nach § 82 Abs. 1 Satz 1 EStG, b) die Zahl der nach § 93 Abs. 3 EStG KBRA (lt. Klägerin: Kleinbetragsrentenabfindung) zu ermitteln, dann sei die Vorgabe des BFH nach seinem Urteil vom 11.06.2019 X R 7/18 nicht erfüllbar.
22Somit seien für die Beurteilung der A-Typik andere Kriterien heranzuziehen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass schon der Zeitraum 2005-2017 für die Ansparphase zu kurz bemessen sei, da mit einem nennenswerten Beitrag zur Altersversorgung erst ab einem Zeitraum von 20 und mehr Jahren zu rechnen sei. Der Anbieter 2 habe im Schreiben des FG Brandenburg vom 25.05.2020 zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die KBRA nach 2017 kontinuierlich verringern werde. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Zeitraum 2005-2017 nicht deswegen sachgerecht sei, weil er sich an einer ab 2018 anwendbaren Gesetzesänderung orientiere. Denn dies schaffe die KBRA als solche nicht ab, sondern erlaube nunmehr lediglich die von der Klägerin beantragte Besteuerung ab 2018. Die KBRA stelle bereits nach dem Gesetz eine Ausnahmeregelung dar, die nur unter bestimmten Voraussetzungen nicht als steuerschädlich gelte. Wenn schon der Gesetzgeber die KBRA als Sonderfall einordne, könne für das vom BFH wegen des ihm als zu weitgehend erscheinenden Wortlautes des Gesetzes eingeführte Kriterium Typik/Atypik kein enger Maßstab für dessen Anwendung angelegt werden.
23Die BFH-Entscheidungen vom 23.10.2013 X R 3/12 und vom 20.09.2016 X R 23/15 hätten darauf abgestellt, ob die Abfindungen dem vertragsgemäßen oder typischen Ablauf der jeweiligen Einkunftserzielung entsprochen hätten. Daraus sei der Schluss zu ziehen, dass der nicht vertragsgemäße Ablauf bisher mit dem atypischen gleichzusetzen sei. Es spreche nichts dagegen, einen nicht vertragsgemäßen Ablauf weiterhin als atypisch einzustufen, zumal es sich bei der KBRA im Sinne der beiden Urteile um eine eng begrenzte Ausnahmeregelung handele. Der Gesetzgeber selbst habe mit der Novellierung des EStG zu erkennen gegeben, dass er die Vollversteuerung der KBRA für unverhältnismäßig halte. Die Klägerin habe sich bei der Antragstellung auf Auszahlung im Jahr 2014 nicht auf ein Urteil aus dem Jahr 2019 einstellen können, von dem bis zum heutigen Tage höchstrichterlich nicht geklärt sei, welche Folgen es habe. Für die Klägerin bestehe eine zusätzliche Härte darin, dass sie sich durch die ungemilderte Besteuerung schlechter stehe, als wenn sie das Sparguthaben regulär unter Einbehaltung von Prämien und Steuervorteilen durch den Anbieter gekündigt hätte.
24Die Klägerin beantragt,
25auf die gesamte Kleinbetragsrentenabfindung den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG anzuwenden,
26hilfsweise die Revision zuzulassen.
27Der Beklagte beantragt,
28die Klage abzuweisen.
29Er bleibt bei seiner bisher vertretenen Auffassung, dass die Abfindung einer Kleinbetragsrente nicht atypisch sei und damit eine ermäßigte Besteuerung ausscheide. Der BFH habe in seinem Urteil vom 11.06.2019 festgestellt, dass die gesetzliche Regelung dafür spreche, dass der Gesetzgeber selbst die Kapitalisierungsmöglichkeit gerade nicht als atypisch ansehe.
30Die Vorsitzende hatte sich im Anschluss an die Einwendungen der Klägerin im Schriftsatz vom 04.08.2020 am selben Tage erneut an das FG Berlin-Brandenburg gewandt, mit der Bitte um weitere Auskunft. Daraufhin äußerte sich der Vorsitzende des 7. Senats des FG Berlin-Brandenburg zu den von der Klägerin erhobenen Einwendungen.
31Das entsprechende Schreiben vom 06.08.2020 wurde, nachdem die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgetragen hatte, dieses - vom FG Köln am 07.08.2020 zur Post gegebene - Schreiben nicht erhalten zu haben, der Klägerin in Kopie übergeben und von der Vorsitzenden vorgelesen. -
32Wegen des Inhaltes des gerichtlichen Auskunftsersuchens sowie des Antwortschreibens im Einzelnen wird auf die Schreiben vom 04.08.2020 bzw. 06.08.2020 verwiesen.
33Entscheidungsgründe:
34Die Klage ist unbegründet.
35Dabei hat der erkennende Senat gemäß § 126 FGO in Erfüllung des Urteils des BFH X R 39/17 vom 06.11.2019 berücksichtigt, wonach (nur noch) festzustellen war, ob die Kapitalisierung laufender Rentenansprüche im Bereich der Altersvorsorgeverträge und damit die an die Klägerin ausgezahlte einkommensteuerpflichtige Kapitalabfindung als atypisch anzusehen und damit gemäß § 34 Abs. 1, 2 Nr. 4 EStG dem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen ist.
36Soweit der BFH dem FG Köln unter Hinweis auf seine Entscheidung X R 7/18 vom 11.06.2019 aufgegeben hatte, bei „Organisationen“ wie die Zentrale Stelle im Sinne des § 81 EStG, Verbraucherschutzorganisationen sowie Verbände der Anbieter anzufragen, waren entsprechende Anfragen des FG nicht erfolgreich, weil diese „Organisationen“ kein statistisches Material zu Altersvorsorgeverträgen liefern konnten.
37Das FG Köln hat jedoch vom FG Berlin-Brandenburg, das vom BFH in o.a. Urteil den dargestellten Hinweis zur Ermittlung statistischen Materials erhalten hatte, mit Schreiben vom 25.05.2020 und vom 06.08.2020 Auskünfte dazu erhalten, ob bzw. welche Antworten diverse Unternehmen auf Anfrage des 7. Senats des FG Berlin-Brandenburg gegeben hatten. Das FG Berlin-Brandenburg teilte dem FG Köln mit, dass ihm nach vorangegangenem Beweisbeschluss und diesbezüglichen Anschreiben zahlenmäßige Auskünfte erteilt wurden von einer Investmentgesellschaft einer Gruppe von Kreditinstituten in der Rechtsform der GmbH (sog. Anbieter 2), im Übrigen von Lebensversicherungsunternehmen in der Rechtsform der AG (sog. Anbieter 3-5). - Wegen des Inhaltes der Auskunftsschreiben vom 25.05.2020 und 06.08.2020 im Einzelnen wird auf diese verwiesen.
38Die vom FG Berlin-Brandenburg mit Schreiben vom 25.05.2020 sowie mit Schreiben vom 06.08.2020 gegebenen Auskünfte wurden in das hier anhängige Klageverfahren 5 K 3136/16 eingeführt. Soweit die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.08.2020 vorgetragen hatte, das Schreiben des Vorsitzenden des 7. Senats des FG Berlin-Brandenburg vom 06.08.2020 - als Antwort auf die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 04.08.2020 erhobenen Einwendungen - nicht erhalten zu haben, hatte die Klägerin nach Vorlesen dieses Schreibens durch die Vorsitzende des erkennenden Senats Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Da diesbezügliche weitere Anträge im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht gestellt wurden, stand der Einführung der Auskunftsschreiben des FG Berlin-Brandenburg in das hier anhängige Klageverfahren nichts entgegen.
39Der erkennende Senat hält es entgegen der Auffassung der Klägerin für unerheblich, dass das FG Berlin-Brandenburg dem FG Köln die von ihm kontaktierten Anbieter unter Hinweis auf § 30 der Abgabenordnung nicht namentlich mitgeteilt hat. Es dürfte unstreitig sein, dass das FG Berlin-Brandenburg die ihm mitgeteilten statistischen Zahlen zutreffend an das FG Köln weitergegeben hat. Für die Beurteilung der Frage, ob Kapitalabfindungen bei Altersvorsorgeverträgen atypisch sind oder nicht, kommt es nach Überzeugung des erkennenden Senats nur darauf an, allgemeine Marktverhältnisse zu ermitteln. Hierfür ist es nicht erforderlich, alle in der Bundesrepublik Deutschland oder sogar Europa oder weltweit im Bereich der Altersvorsorgeverträge tätigen Unternehmen zur Zahl abgeschlossener Altersvorsorgeverträge bzw. zur Anzahl der hiervon durch Kapitalisierung beendeten Verträge zu befragen. Die Frage der Atypik konnte durch stichprobenweise Befragung einiger Unternehmen, die eine nicht unerhebliche Zahl von Altersvorsorgeverträgen abgeschlossen haben, erfolgen. Ein besonderes Interesse der Klägerin an der namentlichen Nennung der durch das FG Berlin-Brandenburg befragten Anbieter konnte nicht festgestellt werden. Die - die Feststellungslast tragende - Klägerin hat die Richtigkeit der vom FG Berlin-Brandenburg gegebenen Auskünfte in der Sache nicht angezweifelt und auch nicht dargetan, welche Unternehmen ihrer Ansicht nach zur Ermittlung - weiteren - statistischen Materials zwingend hätten angefragt werden müssen.
40Der erkennende Senat geht davon aus, dass die in das Klageverfahren eingeführten Auskünfte des FG Berlin-Brandenburg bzw. der von diesem befragten Anbieter für die, für die Feststellung der Atypik bedeutsamen, Marktverhältnisse repräsentativ und daher im anhängigen Klageverfahren zu berücksichtigen sind.
41Nach diesen Auskünften geht das Gericht davon aus, dass die Kapitalisierung der Kleinbetragsrente der Klägerin keine außerordentliche Leistung an diese war und damit nicht dem ermäßigten Steuersatz im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG zu unterwerfen ist.
42Hierbei hat der erkennende Senat die Auffassung des BFH zur Frage der Außerordentlichkeit im Sinne des § 34 EStG - ausführlich dargelegt im Urteil X R 7/18 vom 11.06.2018 - zugrunde gelegt. Danach ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Kapitalisierung der laufenden Auszahlungsansprüche aus Altersvorsorgeverträgen eingeführt hat, wodurch er den Zweck dieser Art der Altersvorsorge, nämlich die Gewährleistung einer lebenslangen laufenden Versorgung, in Teilbereichen in Frage gestellt hat. Dies ergibt sich zum einen aus der Vorschrift des § 93 Abs. 3 EStG, wonach die Abfindung einer Kleinbetragsrente zulässig ist, das heißt nicht als schädliche Verwendung im Sinne des § 93 Abs. 1 EStG angesehen wird, mit der Konsequenz, dass ausgezahlte Zulagen und berücksichtigte Sonderausgaben vom Berechtigten nicht zurückzuzahlen sind. Zum anderen lässt § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4a des Gesetzes über die Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen (AltZertG) zu, dass bis zu 30 % des zu Beginn der Auszahlungsphase zur Verfügung stehenden Kapitals außerhalb der monatlichen Leistungen ausgezahlt werden kann, was gemäß § 93 Absatz 1 Satz 1 EStG ebenfalls nicht als schädliche Verwendung gilt. Derartige weitreichende Kapitalisierungsmöglichkeiten sind den gesetzlichen Regelungen zur Basisversorgung (erste Schicht des sogenannten Drei-Schichten-Modells) fremd, was dafür spricht, dass der Gesetzgeber die ausdrücklich zugelassenen Kapitalisierungsmöglichkeiten im Bereich der hier zu beurteilenden Altersversorgung der sogenannten zweiten Schicht nicht als atypisch ansieht.
43Der Gesetzgeber ist offenbar davon ausgegangen, dass in bestimmten Fällen der Altersvorsorgeverträge statt einer Verrentung eine Teil-/Kapitalisierung bzw. eine Komplettabfindung bei einer Kleinbetragsrente spezieller Regelungen bedurfte, um die Rückzahlung von staatlichen Zulagen und gewährten Sonderausgaben auf gefördertes Altersvorsorgevermögen zu vermeiden. Wäre die Teil-/Kapitalisierung eine nur im Einzelfall vorkommende Variante der Beendigung eines Altersvorsorgevertrages, hätte es einer gesetzlichen Regelung hierzu nicht bedurft. Für den Gesetzgeber hätte jedenfalls kein Anlass bestanden, die Konsequenzen für bestimmte sogenannte unschädliche Verwendungen zu regeln, wenn diese nur im Einzelfall, also nicht typischerweise auftreten würden. Der gesetzgeberische Zweck der Förderung von Altersvorsorgevermögen würde durch Kapitalisierung im Einzelfall nicht infrage gestellt. Dies wäre aber der Fall, wenn eine Vielzahl von Rentnern die Förderung ihres Altersvorsorgevermögens schon aufgrund geringfügiger Kapitalauszahlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 AltZertG oder § 93 Abs. 3 EStG verlieren würden, sodass unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Zwecks Bedarf für die Regelung einer unschädlichen Verwendung bestand.
44Dass viele Inhaber eines Altersvorsorgevertrages von der vom Gesetzgeber als zulagenunschädlich ermöglichten Teil-/Kapitalisierung Gebrauch gemacht haben in dem laut BFH hier maßgeblichen Zeitraum 2005-2017, wird bestätigt durch das im Rahmen der stichprobenweisen Befragung diverser „Organisationen“ durch das FG Berlin-Brandenburg bekannt gewordene Zahlenmaterial.
45So hat der Anbieter 2 angegeben, dass es im Zeitraum 01.05.2005 bis zum 31.12.2017 bei 20.872 Riesterkunden von insgesamt 26.439 Altersvorsorgeverträgen zur vollständigen oder teilweisen Auszahlung gekommen sei, das heißt bei rund 79 % der Altersvorsorgeverträge.
46Anbieter 4 hat angegeben, dass bei insgesamt 48.097 Altersvorsorgeverträgen 26.808 vollständig kapitalisiert worden seien, also ca. 58 % und 6.753 Verträge, also 14 %, mit 30 % des Kapitals förderunschädlich kapitalisiert worden seien; nur 14.536 Verträge, das heißt 30 %, seien vollständig verrentet worden.
47Der Anbieter 5 lieferte detaillierte Angaben dahingehend, dass von 52.654 Verträgen 31.029 Verträge = 58,93 % ganz oder teilweise kapitalisiert worden seien (16.660 = 31,64 % ganz, 14.369 = 27,29 % teilweise).
48Die Auskünfte des Anbieters 3 hält das Gericht nicht für ohne weiteres verwertbar, da sich dessen Auskünfte im Wesentlichen auf vorzeitige Abgänge von Verträgen mit schädlicher Verwendung beziehen, also auf die Frage, ob und wie oft Kleinbetragsrenten kapitalisiert werden, keine Auskunft geben.
49Der erkennende Senat sieht durch die Auskünfte der Anbieter 2, 4 und 5 die Annahme gerechtfertigt, dass Teil-/Kapitalisierungen bei Altersvorsorgeverträgen nicht nur im Einzelfall vorkommen, sondern in einer Vielzahl von Altersvorsorgeverträgen.
50Die Klägerin hat demnach, wie eine Vielzahl anderer Vertragsteilnehmer von Altersvorsorgeverträgen, die gemäß § 93 Abs. 3 EStG mögliche förderunschädliche Kapitalauszahlung in Anspruch genommen. Diese Art der Vergütungsleistung ist damit nicht atypisch, mithin nicht außerordentlich im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG und somit nicht ermäßigt zu besteuern.
51Soweit die Klägerin das FG Nürnberg (ohne nähere Angaben) als Bestätigung ihrer Rechtsauffassung angeführt hat, war dieser Einwand unerheblich. Die Entscheidung des FG Nürnberg 5 K 1130/17 vom 11.07.2018 wurde durch Urteil des BFH - ebenfalls unter Hinweis auf seine Entscheidung X R 7/18 zum Urteil des FG Berlin-Brandenburg - durch Urteil vom 11.06.2019 X R 24/18 aufgehoben.
52Der Umstand, dass der Gesetzgeber mit Wirkung ab dem 01.01.2018 für Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen nach § 93 Abs. 3 EStG die ermäßigte Besteuerung im Sinne des § 34 EStG eingeführt hat (vgl. Art. 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 9 Nr. 5 Buchst. b des Betriebsrentenstärkungsgesetzes vom 17.08.2017, BGBl 2017, 3214) ist für die anderslautende Entscheidung für das Streitjahr 2015 unbeachtlich (vorangegangenes Urteil des BFH im ersten Rechtsgang X R 39/17 vom 06.11.2019).
53Die Klage war daher abzuweisen.
54Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO i.V.m. § 143 Abs. 2 FGO.