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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.
Tatbestand:
2Die Klage richtet sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 17.07.2018. Durch diesen Bescheid hatte der Beklagte den Antrag der Kläger vom 29.06.2018 auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 2012 vom 13.04.2017 wegen offenbarer Unrichtigkeit abgelehnt.
3Die Besteuerungsgrundlagen für die Kläger waren zunächst durch Einkommensteuerbescheid 2012 vom 16.07.2014 geschätzt worden. Nach Abgabe einer Steuererklärung für das Streitjahr erging am 29.08.2014 ein Änderungsbescheid. Eine Anlage AV für Angaben zu Altersvorsorgebeiträgen war der Erklärung nicht beigefügt. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Am 13.04.2017 erging ein auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) wegen Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses gemäß § 7g Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geänderter Einkommensteuerbescheid 2012.
4Mit ihrem Antrag vom 29.06.2018 begehrten die Kläger die Änderung des Bescheides vom 13.04.2017 mit der Begründung, der Beklagte habe bei der Einkommensteuerveranlagung 2012 weder die Versicherungsbeiträge für den seit Dezember 2012 bestehenden Riester-Vertrag für die Klägerin berücksichtigt, noch die staatliche Altersvorsorgezulage und die Kinderzulage. Die für die Berücksichtigung erforderlichen Daten seien vom Versicherungsunternehmen an das Finanzamt gemeldet worden.
5Der Beklagte lehnte den Änderungsantrag ab, da ein Sonderausgabenabzug für Riester - Beiträge mangels Vorlage einer Anlage AV nicht berücksichtigt werden könne. Der Einkommensteuerbescheid sei im Übrigen inzwischen bestandskräftig.
6Dagegen erhoben die Kläger Einspruch. Es liege eine offenbare Unrichtigkeit vor. Das Finanzamt habe sich einen Fehler der Steuerpflichtigen zu Eigen gemacht. Aus § 10a EStG ergebe sich auch nicht, dass eine Anlage AV hätte abgegeben werden müssen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Schreiben zur Begründung des Einspruches vom 30.08.2018 verwiesen.
7Der Beklagte wies den Einspruch durch Entscheidung vom 21.08.2019 als unbegründet zurück. Es seien weder die Voraussetzungen des § 129 AO erfüllt, noch könne eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfolgen. - Wegen der Einzelheiten in der Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen.
8Ihre dagegen gerichtete Klage begründen die Kläger wie folgt: Im Zeitpunkt der Bearbeitung des Steuerfalles für die Kläger hätten dem Beklagten eine Einkommensteuererklärung 2012, ebenso die zertifizierten Altersvorsorgeverträge des Anbieters, sowie die Meldung des Anbieters über die im Kalenderjahr 2012 von den Steuerpflichtigen geleisteten Altersvorsorgebeiträge vorgelegen. Die Kläger hätten nie versucht, einen unberechtigten Steuervorteil zu erlangen. Das Finanzamt habe den Klägern auch nie mitgeteilt, wie es mit den gemeldeten Altersvorsorgebeiträgen im Rahmen der steuerlichen Veranlagung verfahren sei. Soweit das Finanzamt vortrage, die Nichtberücksichtigung der Beiträge sei bewusst erfolgt, sei diese bewusste Entscheidung den Klägern nie mitgeteilt worden. Die Finanzbehörde verletze ihre Aufklärungspflicht, wenn sie Tatsachen und Beweismittel außer Acht lasse und offenkundigen Zweifeln nicht nachgehe. In Anbetracht der vom Anbieter übermittelten Daten hätte sich dem Finanzamt die Frage aufdrängen müssen, warum die Kläger die Anlage AV nicht beigefügt hätten. Das Finanzamt sei seiner Aufklärungspflicht bewusst und vorsätzlich nicht nachgekommen.
9Die Voraussetzungen des § 129 AO seien erfüllt. Die zertifizierten Altersvorsorgeverträge seien Grundlagenbescheide, die nach den §§ 171 Abs. 10, 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO zwingend zu berücksichtigen seien. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO finde keine Anwendung, da im Zeitpunkt der Veranlagung die Beweise und Tatsachen bereits vorgelegen hätten. Das Vorliegen der Anlage AV sei nicht erforderlich gewesen. Eine Änderung des Einkommensteuerbescheides sei auf der Grundlage des § 10a Abs. 5 Satz 2 EStG gegeben. - Wegen weiterer Einzelheiten des Klagevortrages wird auf die Klageschrift vom 11.11.2019 verwiesen.
10Die Kläger beantragen,
11den Ablehnungsbescheid vom 17.07.2018 und die dazu ergangene
12Einspruchsentscheidung aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten,
13den Einkommensteuerbescheid 2012 dahingehend zu ändern, dass die
14im Jahr 2012 geleisteten Altersvorsorgebeiträge berücksichtigt werden.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Er bleibt bei seiner Auffassung, dass eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides 2012 nicht mehr möglich sei. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 129 AO bzw. § 173 AO seien nicht erfüllt. Eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO scheide aus, da die Datenübermittlung an die Finanzbehörde durch die zentrale Stelle im Sinne des § 81 EStG keinen Grundlagenbescheid darstelle.
18Im Übrigen verweist der Beklagte auf das rechtskräftige Urteil des Hessischen Finanzgerichts 9 K 1382/18 vom 28.01.2019. Hieraus ergebe sich, dass für einen Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG das Vorliegen einer Anlage AV zur Einkommensteuererklärung erforderlich sei.
19Nach entsprechendem Hinweis an die Beteiligten wurde die Sache durch Beschluss des 5. Senats vom 08.04.2020 der Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
20Entscheidungsgründe:
21Die Klage ist unbegründet.
22Der Beklagte hat zu Recht die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung 2012 abgelehnt.
23Hierbei geht das Gericht davon aus, dass entgegen dem Einspruchsschreiben der Kläger vom 29.06.2018 der Änderungsantrag nicht auf den Bescheid vom 13.04.2017 begrenzt sein soll, sich vielmehr das Abänderungsbegehren (auch) auf die Einkommensteuerfestsetzung 2012 durch Bescheid vom 29.08.2014 bezieht. Der Bescheid vom 13.04.2017 wurde nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen eines rückwirkenden Ereignisses im Sinne des § 7g Abs. 3 EStG geändert, sodass eine Änderung der Steuerfestsetzung nur im Rahmen des § 177 Abs. 1 AO möglich wäre.
24Die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung 2012 gemäß § 129 AO sind nicht erfüllt. - Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen, also durch mechanisches Versehen, erfolgt sind, jederzeit berichtigen. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist. Eine offenbare Unrichtigkeit kann aber auch vorliegen, wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare, das heißt für das Finanzamt erkennbare, Unrichtigkeit als eigene übernimmt. Jedoch ist eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter unterlassene Sachverhaltsermittlung kein mechanisches Versehen. In solchen Fällen hat das Finanzamt möglicherweise seine Amtsermittlungspflicht (§ 88 AO) verletzt. Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht zu Ungunsten des Steuerpflichtigen schließt aber in der Regel eine offenbare Unrichtigkeit aus (vgl. nur Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 31.07.1990 I R 116/88, BFHE 162,115, HFR 1991, 137 m.w.N.).
25Abgesehen davon, dass die Kläger selbst vortragen, der Beklagte habe seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhaltes verletzt, was gegen die Berechtigung ihres Begehrens, die Einkommensteuerfestsetzung 2012 nach § 129 AO zu ändern, spricht, kann eine offenbare Unrichtigkeit aus folgenden Gründen nicht angenommen werden:
26Es fehlt bereits an der Unrichtigkeit des Veranlagungsverhaltens des Beklagten.
27Gemäß § 10a Abs. 1, 2 EStG können Altersvorsorgebeiträge im Sinne des § 82 EStG zuzüglich der dafür nach Abschnitt XI (des EStG) zustehenden Zulagen als Sonderausgaben abgezogen werden. Ohne Antrag muss die Finanzbehörde im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung keinen Sonderausgabenabzug gewähren.
28Die Berücksichtigung eines Vorsorgeaufwands gemäß § 10a Abs. 1, 2 EStG setzte somit einen Antrag der Kläger voraus, der nach den Vorgaben der Finanzverwaltung in Form einer Anlage AV als amtlicher Erklärungsvordruck hätte gestellt werden müssen. Ein entsprechender Hinweis ergibt sich aus den Anlagen zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung. Erst bei ausdrücklicher Beantragung der Berücksichtigung des Vorsorgeaufwands und der gemäß § 10a Abs. 2a, 5 EStG erfolgten Datenübermittlung besteht für die Finanzbehörde eine Veranlassung, die Günstigerprüfung im Sinne des § 10a Abs. 2 Satz 3 EStG vorzunehmen. So wie es eines Antrages auf steuermindernde Berücksichtigung von Werbungskosten oder Betriebsausgaben bedarf, ist es Sache des Steuerpflichtigen, sich dazu zu äußern, ob er den Sonderausgabenabzug gemäß § 10a Abs. 2 EStG begehrt, weil dieser für ihn günstiger ist als der Anspruch auf Zulage nach den §§ 79 ff EStG.
29Die Kläger hatten ihrer Einkommensteuererklärung eine Anlage AV nicht beigefügt, im Übrigen haben sie bis heute keine Anlage nachgereicht. Der Beklagte musste daher die von den Klägern in 2012 geleisteten Altersvorsorgebeiträge nicht gemäß § 10a Abs. 1, Abs. 2 EStG als Sonderausgaben in Abzug bringen. Eine Unrichtigkeit seines Verhaltens bei der Einkommensteuerveranlagung ist daher nicht gegeben.
30Selbst wenn man, wie die Kläger, die Auffassung vertritt, ein entsprechender Antrag in Form einer Anlage AV sei für den Steuerpflichtigen mangels ausdrücklicher Regelung im Gesetz nicht verpflichtend, scheitert die Annahme eines Fehlers der Finanzbehörde jedenfalls daran, dass die Kläger einen (formlosen) Antrag erstmals mit ihrem Änderungsantrag am 29.06.2018 - also weit nach Eintritt der Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzung - gestellt haben, dem Beklagten also bei der Einkommensteuerfestsetzung 2012 kein Fehler durch Nichtberücksichtigung eines nicht gestellten Antrages unterlaufen ist.
31Jedenfalls stellte die Nichtberücksichtigung eines Sonderausgabenabzuges mangels eines entsprechenden Antrages der Kläger keine offenbare Unrichtigkeit dar, weil die Nichtberücksichtigung des nicht gestellten Antrages der Kläger nicht auf einem mechanischen Versehen des Beklagten beruht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Beklagte, der durch Datenabgleich (§ 10a Abs. 5 EStG) hätte feststellen können, dass die Kläger zulagenbegünstigte Altersvorsorgebeiträge geleistet haben, bewusst mangels Antrages keinen Vorsorgeaufwand berücksichtigt hat. Jedenfalls kann diese Möglichkeit nach Aktenlage nicht ausgeschlossen werden. Ob der Beklagte, wenn er denn von der Datenübermittlung durch den Anbieter Kenntnis hatte, den Sachverhalt hätte aufklären müssen, ggfls. bei den Klägern hätte nachfragen müssen, ob auf die Berücksichtigung des Vorsorgeaufwands - weil nicht beantragt - verzichtet werden sollte, kann dahinstehen. Denn die Feststellung einer Verletzung der Ermittlungspflicht der Finanzbehörde schließt die Anwendung des § 129 AO aus.
32Selbst wenn die Nichtbeantragung des Abzuges des Vorsorgeaufwands durch die Kläger auf einem vom Beklagten übernommenen Versehen der Kläger beruhen sollte, - wozu in Anbetracht der Tatsache, dass die Kläger dreimal Gelegenheit hatten, die für sie festgesetzte Einkommensteuer 2020 zu prüfen, ohne einen Antrag auf Berücksichtigung des Sonderausgabenabzuges nachzuholen, nicht ausgegangen werden kann - so kann nicht unterstellt werden, der Beklagte habe dieses Versehen als eigenen Fehler übernommen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Beklagte, wie bereits ausgeführt, die Einkommensteuerveranlagung bewusst ohne Sonderausgabenabzug für Altersvorsorgebeiträge im Sinne des § 10a Abs. 1, 2 EStG vorgenommen hat, weil er keine Anlage AV der Kläger vorliegen hatte. Auch insoweit fehlt es demnach an einem mechanischen Fehler seitens des Beklagten.
33Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheidet ebenfalls aus. Selbst wenn man das im Rahmen des Änderungsantrages geäußerte Begehren der Kläger, den Sonderausgabenabzug gemäß § 10a EStG zu erlangen, als neue Tatsache behandeln wollte, scheiterte eine Änderung daran, dass dem Beklagten der „neue“ Antrag erst durch grobes Verschulden der Kläger nachträglich bekannt geworden ist. Die Kläger hätten schon bei Abgabe ihrer Einkommensteuererklärung 2012 entsprechend den amtlichen Anlagen hierzu ihr Begehren durch Abgabe einer Anlage AV konkretisieren müssen. Jedenfalls hätten sie nach Ergehen des Änderungsbescheides vom 29.08.2014 sorgfältig prüfen müssen, ob der Beklagte seine Steuerschätzung vom 14.07.2014 unter Berücksichtigung aller Angaben und Anträge der Kläger geändert hatte. Hierbei hätten die Kläger den fehlenden Sonderausgabenabzug feststellen können. Eine solche Prüfung erfolgte offenbar nicht. Ein Verzicht des Steuerpflichtigen auf Prüfung eines Steuerbescheides, insbesondere nach zuvor erfolgter Schätzung und Änderung derselben nach Erklärung, stellt eine grobe Obliegenheitsverletzung dar, sodass eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht kommt.
34Eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 2012 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO scheidet ebenfalls aus. Zwar ist die Zertifizierung eines Altersvorsorgevertrages gemäß § 82 Abs. 1 Satz 2 EStG ein Grundlagenbescheid, jedoch nur insoweit, als sie das - für einen Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG notwendige - Vorliegen der Voraussetzungen im Sinne des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes (§§ 1, 5) feststellt.
35Die an die Finanzbehörde übermittelten Daten erfüllen nicht die Voraussetzungen eines Grundlagenbescheides im Sinne des § 171 Abs. 10 AO für Zwecke des Vorsorgeabzuges gemäß § 10 a EStG. Sie stellen nur eine der Voraussetzungen für den im Übrigen zu beantragenden Sonderausgabenabzug dar. Eine zwingende Verpflichtung der Finanzbehörde im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO, allein aufgrund der Datenübermittlung den Sonderausgabenabzug zu gewähren, besteht daher nicht.
36Die Klage war daher abzuweisen.
37Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.