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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig ist, ob die Klägerin, die U & W ... GmbH, im Streitjahr 2013 insgesamt 19 Kfz umsatzsteuerbefreit in die Türkei geliefert hat.
3Herr U und Herr W gründeten am ....7.2007 die E-GmbH mit Sitz in ... K, B-Straße ..., der Wohnadresse des Herrn U.
4Herr U und Herr W wurden bei einem Geschäftsführergehalt von 1.000 € monatlich mit Gründung der GmbH zu deren Geschäftsführern bestellt. Gegenstand der GmbH, an der die Geschäftsführer zu jeweils 50 % beteiligt waren, war der Handel und die Beratung im Kfz-Bereich. Beide Geschäftsführer waren Angestellte der Firma G in P, einem Vertragshändler der M AG.
5Ab Oktober 2012 firmierte die E-GmbH unter U & W ... GmbH, der Firma der Klägerin.
6Der Beklagte vermerkte am 14.12.2012 (Bl. 303 Bp-Akte), dass in einem Amtshilfeersuchen der Türkei an den deutschen Zoll der Verdacht geäußert worden sei, dass Kfz von Deutschland aus unterfakturiert in die Türkei exportiert werden, um die dortige Sonderverbrauchsteuer = Special Consumption Tax (SCT oder Excise Duty, auch ÖTV = Özel Tüketim Vergisi) und die türkische Umsatzsteuer (KDV = Katma Deger Vergisi) zu umgehen.
7Insoweit wird auf die Übersetzung eines Schreibens der Türkischen Republik, Zoll- und Handelsministerium, Abteilung für EU und auswärtige Angelegenheiten (undatiert höchstwahrscheinlich Anfang 2014) an das Deutsche Generalkonsulat T (Türkei), Ansprechpartner für Zollangelegenheiten, verwiesen, in dem unter anderem die bisher erfolgten gegenseitigen Maßnahmen geschildert werden: Arbeitsbesuch im Zollkriminalamt Q März 2011, türkische Anfragen vom 23.05.2011, 15.07.2011, deutsche Schreiben vom 26.01.2012, 07.05.2012 und 08.06.2012 (Bl. 144 ff. Prozessakte).
8Des Weiteren wird Bezug genommen auf das Amtshilfeersuchen des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt) gemäß § 117 AO vom 04.11.2013 (Bl. 139-143 der Prozessakte), das auf ein Schreiben des türkischen Zoll- und Handelsministeriums, Abteilung für EU und auswärtige Beziehungen, eingegangen am 30.05.2011, Bezug nimmt.
9Dort wird ausgeführt, dass nach bisherigen Feststellungen acht deutsche Firmen, unter anderem die Klägerin, in den Jahren 2007-2012 Fahrzeuge im Gesamtwert von 100 Millionen Euro steuerfrei in die Türkei geliefert hätten. Es bestehe der Verdacht, dass die deutschen Firmen unterfakturierte Rechnungen für die türkischen Abnehmer erstellt hätten. Unter anderem bezüglich der Klägerin sei daher zu prüfen, ob deren Kfz-Lieferungen weiterhin als steuerfrei anerkannt werden könnten. Für den Fortgang der Verfahren in Deutschland seien die Rechnungen der deutschen Lieferanten, die dem türkischen Zoll vorlägen und Aufstellungen und Listen des türkischen Zolls über die Einfuhr von Kfz aus Deutschland für die Jahre 2011-2013 von Bedeutung.
10Für mögliche Rückfragen und ein persönliches Gespräch stehe Herr Y vom Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung R den türkischen Behörden zur Verfügung.
11Am 18.09.2013 begann das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung P in Form einer sogenannten Kombi-Prüfung mit dem Finanzamt für Strafsachen und Steuerfahndung R eine Betriebsprüfung bei der Klägerin für den Zeitraum 2008-2010, unter anderem betreffend Umsatzsteuern. Der diesbezügliche Bericht, auf den verwiesen wird, datiert vom 13.07.2015. Ebenfalls wird auf den Bericht über straf- und bußgeldrechtliche Feststellung des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung R vom August 2015 verwiesen.
12Der Beklagte führte ebenfalls mit Beginn am 18.09.2013 eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der Klägerin für die Voranmeldungszeiträume 1-12/2012 und 1-7/2013 durch. Auf den Bericht vom 20.05.2015 wird Bezug genommen.
13Ebenfalls am 18.09.2013 fand in den Geschäftsräumen der Klägerin in den Räumen der G-Gruppe, H-Straße ... in P, eine Durchsuchung statt.
14Auf den Durchsuchung- und Beschlagnahmebericht vom 18.09.2013 und die anlässlich der Durchsuchung beschlagnahmten sechs Belege betr. dreier KFZ (Bl. 230-237 Prozessakte) wird verwiesen.
15Am 15.01.2014 fand eine Besprechung im Zoll- und Handelsministerium in Ankara statt. Auf den diesbezüglichen Aktenvermerk des Herrn Y vom 17.01.2014 wird verwiesen (Bl. 401 f, BP-Akte). Dort wird dargelegt, dass die türkische Seite im Austausch gegen Unterlagen bezüglich der Kfz-Importe aus Deutschland weitere Listen über Fahrzeugimporte aus Deutschland in die Türkei ab dem Jahr 2011 und Rechnungen der in den Auskunftsersuchen des BZSt vom 04.11.2013 genannten Firmen der deutschen Steuerfahndung zur Verfügung stellen werde. Auf die „Minutes of Meeting“ bezüglich der Besprechung vom 15.01.2014 in Ankara, unterschrieben von der türkischen und deutschen Seite, wird ebenfalls verwiesen (Bl. 402 f BP).
16In einem weiteren Vermerk vom 04.09.2014, dem Gericht vom Beklagten eingereicht am 15.02.2019, stellte Herr Y fest, anlässlich eines Treffens in den Räumlichkeiten des deutschen Konsulats in T (Türkei) vom 01.09.2014 bis 03.09.2014 seien seitens der türkischen Behörden aufgrund des Amtshilfeersuchens folgende Unterlagen übergeben worden: Rechnungen für die Jahre bis 2010 unter anderem der Klägerin. Die Rechnungen der Klägerin für die Jahre 2011-2013 seien nicht enthalten gewesen. Diesbezüglich habe das BZSt zwischenzeitlich bereits eine erneute Anfrage an die türkischen Behörden gerichtet. Von deutscher Seite habe er den türkischen Behörden aufgrund von deren Amtshilfeersuchen die Ausgangsrechnungen unter anderem der Klägerin bis 2013 überreicht. Auf den Aktenvermerk wird verwiesen (Bl. 391 der Prozessakte).
17In einem weiteren Vermerk vom 11.11.2014, auf den verwiesen wird, führte Herr Y unter anderem erneut aus, anlässlich des deutsch-türkischen Treffens im deutschen Generalkonsulat in T (Türkei) vom 01.09. bis 03.09.2014 habe die türkische Seite ihm die mit Amtshilfeersuchen vom 04.11.2013 erbetenen Rechnungen, auch bezüglich der Klägerin, für die Jahre bis 2010 übergeben. Die Rechnungen betreffend die Klägerin für die Jahre 2011-2013 seien nochmals vom BZSt bei der Türkei angefragt worden. Die für die Jahre bis 2010 von der Türkei übergebenen Rechnungen erbrächten den Nachweis, dass die deutschen Lieferanten den türkischen Abnehmern inhaltlich falsche Rechnungen ausgestellt hätten. Die in der Buchführung der Klägerin erfassten Rechnungen seien bis auf den Rechnungsbetrag mit den von der Türkei übergebenen Rechnungen identisch. Nach den bisherigen Erkenntnissen habe die Klägerin von 2008 -2013 ca. 1100 Kfz mit inhaltlich falschen Rechnungen in die Türkei verkauft, was zu einem steuerlichen Gesamtschaden in Höhe von ca. 40 Mio. € in der Türkei geführt habe.
18Ferner vermerkte Herr Y, er habe am 30.10.2014 mit einem bayerischen Kollegen die Spedition J in L, Deutschland, aufgesucht. Diese habe im Auftrag der Spedition V, in der T (Türkei), Kfz bei deutschen Firmen, unter anderem der Klägerin, zum Transport in die Türkei abgeholt. Herr O, ein Angestellter der Spedition J, habe mitgeteilt, die deutschen Lieferanten nähmen die Zollanmeldungen vor. Die Fahrer der Spedition J erhielten von diesen die deutschen Zollanmeldungen und die Kfz-Rechnungen. Diese Unterlagen würden zusammen in T (Türkei) auf dem Zollhof der Firma V übergeben. Die Firma V wiederum habe die Unterlagen dem türkischen Zoll und dem türkischen Abnehmer der Fahrzeuge übergeben. Sämtliche Unterlagen, die der jeweilige Fahrer erhalten habe, habe er kopiert.
19Herr Y hielt in dem Aktenvermerk fest, dass Herr O im Einverständnis mit dem Inhaber der Spedition J sämtliche Kopien der Steuerfahndung in Kopie zur Verfügung stelle.
20Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 15.02.2019 an das Gericht eine E-Mail des Herrn X vom Bundeszentralamt für Steuern vom 26.02.2015 vorgelegt. Dort schreibt Herr X an ...@... und ...@... mit Betreff “Unterlagen in Sachen der Exporte von Kfz in die Türkei“:
21„In der vergangenen Woche sind Unterlagen aus der Türkei gekommen und dem BZSt über das ZKA zur weiteren Bearbeitung zugeleitet worden. Nachdem nun die Unterlagen nach Bundesländern sortiert wurden, ergeben sich für NRW 111 Vorgänge. Diese Vorgänge wurden heute an Y persönlich übergeben. Ich weise darauf hin, dass in den Fällen, in denen die Türken uns die Unterlagen übersandt haben, sie im Wege der Amtshilfe die entsprechenden in Deutschland vorliegenden Unterlagen zwecks Abgleich angefordert haben. Ich bitte diesbezüglich die erforderlichen Ermittlungen durchführen zu lassen.“
22Der Beklagte hat dem Gericht mit Schriftsatz vom 23.01.2019 einen DIN A4 Ordner (Aufschrift „II U + W Rechnungen vom Spediteur J in L 2009 u. 2010“) überlassen und mitgeteilt, bei den in dem Aktenordner befindlichen Rechnungskopien 2009-2012 handele es sich um die Kopien, die dem Steuerfahnder Y von Herrn von der Spedition J persönlich am 30.10.2014 übergeben worden seien. Auf den Ordner wird verwiesen.
23Des Weiteren hat der Beklagte dem Gericht mit Schriftsatz vom 07.06.2017 einen Aktenordner der Steuerfahndung R vorgelegt (Aufschrift „I U & W für FG - Rechnungen 2013“), in dem sich die „dem türkischen Zoll vorgelegten, unterfakturierten Rechnungen“ , zugeordnet zu 17 der 19 von der Finanzverwaltung betreffend das Streitjahr 2013 beanstandeten Rechnungen aus der Buchführung der Klägerin (laut vorgehefteter tabellarischer Aufstellung Nr. 1-3, 5-16 und 19), befinden.
24Auf den Aktenordner wird verwiesen.
25Die zwei in der Zusammenstellung in dem Aktenordner fehlenden Vorgänge bezüglich beanstandeter unterfakturierter Rechnungen hat der Beklagte mit Schreiben vom 08.11.2017 (Bl. 135 R, Bl. 150-153 Prozessakte, s.a. Bl. 155, 162 BP-Akte) vorgelegt, nachdem das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung R ihm diese nachgesandt hatte.
26In dem Umsatzsteuersonderprüfungsbericht vom 20.05.2015 gingen die Prüfer unter Textziffer 2.1 davon aus, dass die Kfz, für die über die Spedition J und den türkischen Zoll unterfakturierte Rechnungen vorlägen, tatsächlich in die Türkei geliefert worden seien. Die Umsatzsteuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen könne dennoch nicht gewährt werden, weil nach der Missbrauchsrechtsprechung des EuGH der Unternehmer, der sich aktiv an einem Betrugsmodel beteilige und die Begehung einer Steuerverkürzung im Empfangsstaat durch falsche Belegnachweise ermögliche, von der Steuerbefreiung ausgeschlossen sei. Die Missbrauchsrechtsprechung des EuGH gelte sowohl für innergemeinschaftliche Lieferungen als auch für Lieferungen in Drittländer.
27Die Klägerin habe sich durch ihre aktive Beteiligung an der Umgehung der türkischen Umsatzsteuer und der ÖTV gegenüber rechtstreuen Unternehmern im Gemeinschaftsgebiet auf unlauterem Weg Wettbewerbsvorteile verschafft. Nach Art. 131 Mehrwertsteuersystemrichtlinie - MwStSystRL - gelte das Verbot missbräuchlicher Praktiken; das Verbot verhindere, dass Unternehmer wie die Klägerin, die aktiv zu dem Betrug mit den von ihr unterfakturierten Rechnungen beigetragen habe, in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen kämen. Einer dieser Vorteile sei die Steuerbefreiung für Lieferungen in Drittländer, die der Klägerin daher nicht zu gewähren sei. Hieraus ergebe sich eine Erhöhung der festzusetzenden Umsatzsteuer 2012 um 272.016,13 € und der festzusetzenden Umsatzsteuer 2013 um 180.803,36 €.
28In Umsetzung der Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung erließ der Beklagte unter anderem am 27.08.2015 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid 2013.
29Auf den Bescheid wird verwiesen.
30Die Klägerin legte gegen den Umsatzsteuerbescheid 2013 Einspruch ein, den der Beklagte unter Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 um 9.420,20 € Umsatzsteuer zu Gunsten der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 18.10.2016 als im Übrigen unbegründet zurückwies.
31Die Änderung zu Gunsten der Klägerin erfolgte, weil bezüglich eines am ....03.2013 in die Türkei gelieferten ... (Fahrgestellnummer: ..., Verkaufspreis: 59.000 €) keine Unterfakturierung vorlag und die Lieferung demzufolge umsatzsteuerfrei war.
32Auf die Einspruchsentscheidung wird verwiesen.
33Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin geltend, ihr habe die Ausfuhrabwicklung oblegen. Sie habe korrekte Ausfuhranmeldungen abgegeben. Bestandteil ihrer Ausfuhranmeldungen seien ordnungsgemäße Rechnungen gewesen, die den tatsächlich vereinnahmten Kaufpreis ausgewiesen hätten. Diese Rechnungen seien auch in ihre Buchführung eingeflossen und lägen ihrer Ertragsbesteuerung zugrunde.
34Mit dem Beklagten gehe sie davon aus, dass die 19 in Streit stehenden Kfz-Lieferungen tatsächlich in die Türkei erfolgt seien.
35Wenn es bei der Einfuhrabwicklung durch die Abnehmer der 19 Kfz im Streitjahr zur Vorlage von unterfakturierten Rechnungen gekommen sei, könne ihr dies nicht vorgeworfen werden. Sie sei nicht in Betrugshandlungen in der Türkei eingebunden gewesen.
36Auch sei ein Betrug in der Türkei bisher lediglich behauptet worden.
37Auch bei unterstellter Unterfakturierung durch sie sei kein Steuerschaden in der Türkei entstanden. Es sei weder zu einer kausalen Verkürzung der ÖTV (Bl. 395 Prozessakte) noch zu einer kausalen Verkürzung der türkischen Umsatzsteuer (Bl. 397 Prozessakte) durch die ihr vorgeworfenen Unterfakturierungen gekommen. Auch liege keine zollrechtliche Ordnungswidrigkeit gemäß § 379 AO vor wegen der Zollunion Deutschlands mit der Türkei und der von ihr beantragten Warenverkehrsbescheinigung A.TR. Es gebe keine Rechtsgrundlage, ihr die Steuerbefreiung ihrer Ausfuhrlieferungen zu versagen, selbst wenn unterstellt würde, es sei zum Steuerbetrug in Zusammenhang mit der Lieferung ihrer Kfz gekommen, denn die Rechtsprechung des EuGH zur Versagung der Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen in Betrugsfällen sei auf Ausfuhrlieferungen nicht anwendbar. Die MwStSystRL schütze nicht das Steueraufkommen eines Drittlandes. Sie diene dem Schutz des Steueraufkommens der EU-Mitgliedstaaten. Bei unterstellter verkürzter Sonderverbrauchsteuer ÖTV könne diese nicht mit der Umsatzsteuer gleichgestellt werden, zu der die Missbrauchsrechtsprechung des EuGH bei innergemeinschaftlichen Lieferungen ergangen sei.
38Die Steuerhinterziehung im Drittland unterfalle nicht der Rechtsetzungskompetenz gemäß Art. 113 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der EU v. 01.12.2009).
39Im Übrigen berufe sie, die Klägerin, sich auf die Prinzipien der Neutralität und Territorialität der Mehrwertsteuer.
40Allein ihre, der Klägerin, Sichtweise entspreche der Auffassung des EuGH, die dieser nochmal mit dem EuGH-Urteil Cartrans Spedition SRL vom 08.11.2018 – C-495/17 bestätigt habe.
41Zur Versagung der Steuerbefreiung könne sich der Beklagte auch nicht auf Art. 131 MwStSystRL berufen. Der Klägerin sei keine Pflichtverletzung vorzuwerfen.
42Ein ordnungsgemäßes Amtshilfeersuchen des Beklagten liege auch nicht vor. Ohne ein derartiges Amtshilfeersuchen gewonnene Beweise, in Gestalt von angeblichen Kopien der unterfakturierten Rechnungen, welche die türkischen Behörden dem Beklagten übergeben haben sollen, unterlägen einem qualifizierten materiell-rechtlichen Verwertungsverbot. Äußerungen des Steuerfahnders Y deuteten darauf hin, dass dieser die Unterlagen ohne ordnungsgemäßes Amtshilfeersuchen abgeholt habe, da die nationalen Behörden keinen Anlass für eine weitere Verfolgung der Vorgänge im Inland gesehen hätten.
43Die in der Einspruchsentscheidung erwähnten Aussagen des Mitarbeiters O der Spedition J seien nicht dokumentiert, es existiere lediglich ein Aktenvermerk des Steuerfahnders Y.
44Auch unterschieden sich die angeblich vom türkischen Zoll überreichten Rechnungen von den Rechnungen in der Buchhaltung der Klägerin. Sie enthielten das Wort „Pro“ und trügen teilweise keinen Briefkopf. Diese Rechnungen hätten entweder Anzahlungs- oder Angebotszwecken gedient, seien aber nicht die wesentlichen Hauptrechnungen. Gleiches ergebe ein Abgleich der bei der Durchsuchung bei der Klägerin beschlagnahmten Rechnung vom 23. 4.2013 (Kfz: A5, Fahrgestellnummer: ...) mit der angeblich vom türkischen Zoll überreichten Rechnung Nr. 14 im Aktenordner der Steuerfahndung R (Aufschrift „I U & W für FG - Rechnungen 2013“). Der Leistungsumfang in den angeblich unterfakturierten Rechnungen entspreche sich nicht.
45Die Klägerin beantragt,
46den Umsatzsteuerbescheid 2013 vom 27.08.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.10.2016 dahingehend zu ändern, dass die steuerpflichtigen Umsätze zum Allgemeinsteuersatz um 902.016,81 € und die festgesetzte Umsatzsteuer 2013 um 171.383,19 € auf -180.188,54 € herabgesetzt werden,
47hilfsweise,
48die Revision zuzulassen.
49Der Beklagte beantragt,
50die Klage abzuweisen.
51Unter Hinweis auf seinen bisherigen Vortrag trägt der Beklagte ergänzend vor, die nunmehr vorliegenden Unterlagen zur Übergabe der unterfakturierten Rechnungen 2013 der Klägerin durch den türkischen Zoll über das Zollkriminalamt an das BZSt im Februar 2015 belegten, dass und wie die Rechnungsunterlagen im Rahmen eines Amtshilfeersuchens letztendlich an die Steufa R (Herrn Y) gelangt seien. Dass die unterfakturierten Rechnungen betreffend die Klägerin an Herrn Y durch das BZSt am 26.02.2015 persönlich übergeben worden seien, werde Herr Y bezeugen. Ob die in dem Ordner befindlichen Belege der deutschen Finanzverwaltung über die Wirtschaftsabteilung der türkischen Botschaft oder eine andere staatliche türkische Institution zugeleitet worden seien, könne derzeit nicht zuverlässig rekonstruiert werden. Feststehe, dass die Belege dem BZSt von einer staatlichen Institution der Türkei zugeleitet worden seien. Ein Missverständnis bei der Kommunikation mit der Steuerfahndung R habe ihn zu der Annahme veranlasst, dass die Wirtschaftsabteilung der türkischen Botschaft eingebunden gewesen sei.
52Der Zeuge O werde bestätigen, dass die unterfakturierten Rechnungen betreffend die Jahre 2009 - 2012 von der Klägerin mit den Zollunterlagen an den jeweiligen Fahrer der Firma J übergeben worden seien und dass er diese Zollunterlagen mit den Rechnungen, bevor sie mit der Kfz-Lieferung in die Türkei gelangt seien, fotokopiert habe.
53Die den Transport im Streitjahr durchführende bulgarische Spedition C sei nicht mehr existent.
54Die bei der Klägerin im Rahmen der Durchsuchung aufgefundenen unterfakturierten Rechnungen belegten ebenfalls, dass die Klägerin diese Rechnungen geschrieben habe. Eine der drei Rechnungen finde sich in den von dem türkischen Zoll an das Zollkriminalinstitut übergebenen unterfakturierten Rechnungen wieder (Nr. 14 im Aktenordner der Steuerfahndung R (Aufschrift „I U & W für FG - Rechnungen 2013“).
55Das Gericht hat die Herren O und Y als Zeugen zur mündlichen Verhandlung geladen.
56Die Klägerin hat während der mündlichen Verhandlung die Ehefrau des Geschäftsführers U der Klägerin, Frau U, als präsente Zeugin benannt.
57In der mündlichen Verhandlung sind die folgenden Beweisbeschlüsse ergangen:
581.
59Es wird Beweis erhoben über Behauptung des Beklagten,
60Herr O habe die Zolldokumente einschließlich der Fahrzeugrechnungen bezüglich der von der Klägerin über die Spedition J in die Türkei gelieferten Kfz vom dem Fahrer der Spedition J, der die KFZ und die Zolldokumente einschließlich der Fahrzeugrechnungen bei der Klägerin abgeholt hat, erhalten, kopiert und im Jahr 2014 den Steuerfahndern Y und S übergeben durch Vernehmung des Herrn O als Zeugen.
612.
62Es wird Beweis erhoben über die Behauptung des Beklagten,
63Herrn Y seien vom Bundeszentralamt für Steuern die in dem dem Gericht vom Beklagten überlassenen Ordner „I U + W für FG“ enthaltenen Belege persönlich übergeben worden und er habe diese an den Beklagten weitergeleitet durch Vernehmung des Herrn Y als Zeugen.
643.
65Es wird Beweis erhoben über die Behauptung der Klägerin, dass die Zahlungen auf die Kaufpreise für die 19 im Jahr 2013 in die Türkei gelieferten Kfz nicht in einer Zahlung sondern in mehreren Zahlungen erfolgt sind durch Vernehmung der Frau U als Zeugin.
66Auf die vom Gericht bei der türkischen Botschaft in A (Deutschland) (Herr D, Abteilung Handel) am 30.01.2019 eingeholte telefonische Auskunft zur ÖTV wird verwiesen (Aktenvermerk, Bl. 293 Prozessakte).
67Ebenfalls wird auf die Veröffentlichung des Türkischen Finanzministeriums, Revenue Administration mit dem Titel „Turkish Taxation System 2016“, dort Tz. A. (Tax Procedure Law), Tz. C.1. Value Added Tax und Tz. C.2. (Special Consumption Tax), verwiesen (Bl. 416ff Prozessakte sowie unter http://www.gib.gov.tr/en).
68Des Weiteren wird auf die von der Klägerin übergebenen, aus dem Englischen übersetzten Erläuterungen des türkischen Steuerberater N zu der ÖTV und KDV vom 11.02.2019 verwiesen (Anlage 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2019).
69Verwiesen wird auch auf das Interview zur KFZ-Besteuerung in der Türkei aus dem Jahr 2013 mit dem Leiter der Steuerabteilung bei Deloitte Türkei, Niyazi Cömez (Bl. 413f Prozessakte sowie unter www.autoflotte.de/artikelarchiv/artikel/was-der-fiskus-an-steuern-erhebt-1581668.html)
70Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme wird Bezug genommen.
71Entscheidungsgründe:
72Die Klage ist unbegründet.
73Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
74Die von der Klägerin unstreitig im Wege einer Ausfuhrlieferung gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 UStG erbrachten 19 Kfz-Lieferungen entsprechend Tz. 2.2.2 des Umsatzsteuersonderprüfungsberichts vom 20.05.2015 (mit Ausnahme des ... mit Belegdatum ....03.2013) sind nicht nach § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG steuerfrei erfolgt.
75I.
76Ausfuhrlieferungen sind gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG grundsätzlich steuerfrei.
77Eine Ausfuhrlieferung liegt unter anderem nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 UStG vor, wenn bei einer Lieferung der Unternehmer oder der ausländische Abnehmer im Sinne des § 6 Abs. 2 UStG den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet hat.
78Der Vorschrift liegt Art. 146 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – MwStSystRL – zugrunde.
79Art. 146 Abs. 1 MwStSystRL sieht vor:
80„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
81a) die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer oder für dessen Rechnung nach Orten außerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden;
82b) die Lieferung von Gegenständen, die durch den nicht in ihrem jeweiligen Gebiet ansässigen Erwerber oder für dessen Rechnung nach Orten außerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden; …“
83Gemäß § 6 Abs. 4 S. 1 UStG müssen die Voraussetzungen einer Ausfuhrlieferung vom Unternehmer nachgewiesen sein.
84Im vorliegenden Verfahren sind sich die Beteiligten mit dem erkennenden Senat einig, dass die Klägerin im Streitjahr 2013 nachweislich die im Umsatzsteuersonderprüfungsbericht vom 20.05.2015 unter Tz. 2.2.2 aufgeführten Kfz (mit Ausnahme des ..., Belegdatum ....03.2013), das heißt insgesamt 19 Kfz, gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 UStG in die Türkei, einen Drittstaat, geliefert hat und die Abnehmer ausländische Abnehmer im Sinne des § 6 Abs. 2 UStG waren.
85Unerheblich ist vor diesem Hintergrund, dass nicht geklärt ist, ob es sich um Ausfuhrlieferungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 UStG – so der Beklagte – oder nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG – so die Rechnungen der Klägerin – gehandelt hat.
86II.
87Auch nachweislich erfolgte Ausfuhrlieferungen sind allerdings gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG nach der maßgeblichen und nach Auffassung des erkennenden Senats eindeutigen EuGH-Rechtsprechung (siehe EuGH, Urteil vom 21.02.2008 – C-271/06, Netto Supermarkt, juris; EuGH, Urteil vom 08.11.2018, Cartrans Spedition – C-495/17, EU: C: 2018:887, Rn. 40, 41, juris und EuGH, Urteil vom 28.03.2019, Milan Vins – C-275/18, EU: C:2019:265, Rn. 32-34, juris) ebenso wie nachweislich erfolgte innergemeinschaftliche Lieferungen gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG (EuGH Große Kammer, Urteil vom 07.12.2010 – C-285/09, R, EU: C: 2010:742, juris; EuGH, Urteil vom 06.09.2012 – C‑273/11, Mecsek-Gabona, EU: C: 2012:587, juris; EuGH, Urteil vom 18.12.2014 – C‑131/13, C - 163/13, C- 164/13, Italmoda, EU: C: 2014:2455, juris; EuGH, Urteil vom 14.06.2017 – C-26/16, Santogal, EU: C: 2017:453, juris; siehe auch Treiber, MwStR 2015, 626 mwN) im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung der Vorschriften zur Ausfuhrlieferung und zur innergemeinschaftlichen Lieferung dann nicht steuerfrei, wenn der Unternehmer gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder einem sonstigen Betrug des Erwerbers verknüpft ist (EuGH, Urteil vom 21.06.2012 – C-80/11, – C-142/11, Mahagében und Dávid, EU:C:2012:373, juris; EuGH, Urteil vom 06.07.2006 – C-439/04, – C- 440/04, Kittel und Recolta Recycling, EU:C:2006:446, juris) und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder einen sonstigen Betrug zu verhindern (zur richtlinienkonformen Auslegung: BGH, Beschluss vom 07.07.2009 – 1 StR 41/09, juris; EuGH Große Kammer, Urteil vom 07.12.2010 – C-285/09, R, EU: C: 2010:742, juris; BVerfG, Urteil vom 06.07.2010 – 2 BvR 2661/06, Honeywell, juris).
88Liegen diese Voraussetzungen vor, scheidet eine Berufung des Steuerpflichtigen auf Grundsätze des Vertrauensschutzes oder der Rechtssicherheit aus (EuGH, Urteil vom 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13, C-164/13, Italmoda, EU: C: 2014:2455, juris).
89Systemtragende Prinzipien der Umsatzsteuer wie die Grundsätze der Neutralität und Territorialität sowie das Bestimmungslandprinzip treten zu Gunsten der Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und etwaigen Missbräuchen über die Landesgrenzen der Mitgliedstaaten hinaus zurück (EuGH, Urteil vom 18.12.2014 – C‑131/13, C-163/13, C-164/13, Italmoda, EU: C: 2014:2455, juris; EuGH, Urteil vom 21.06.2012 – C-80/11, – C-142/11, Mahagében und Dávid, EU:C:2012:373, juris; Treiber, MwStR 2015, 626 mwN; Sterzinger, DStR 2015, 2641 mwN).
90III.
91Der erkennende Senat ist nach Aktenlage und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die Geschäftsführer der Klägerin gewusst haben, dass die von der Klägerin bewirkten Ausfuhrlieferungen in Gestalt der unter Tz. 2.2.2 des Umsatzsteuersonderprüfungsberichts vom 20.05.2015 aufgeführten 19 Kfz (mit Ausnahme des ... mit Belegdatum vom ....03.2013) mit Steuerhinterziehungen der türkischen Erwerber der Kfz in der Türkei verknüpft waren, und sie diese Steuerhinterziehungen durch die Ausstellung unterfakturierter Rechnungen zur Vorlage an den türkischen Zoll bewusst gefördert, wenn nicht sogar ermöglicht haben. Dieses Geschäftsgebaren der Geschäftsführer der Klägerin war zur Überzeugung des erkennenden Senats im Streitjahr 2013 bereits mehrjährige Routine, die nach einer Umfirmierung der Klägerin im Jahr 2012 im Streitjahr fortgesetzt wurde.
92Diese Überzeugung hat der erkennende Senat gewonnen, obwohl die Geschäftsführer der Klägerin, die vom Gericht zwecks weiterer Aufklärung des Sachverhalts zur mündlichen Verhandlung geladen worden waren, auf die Nachfragen der Vorsitzenden zu den Umständen der Rechnungslegung durch ihre Prozessbevollmächtigten erklären ließen, sie würden sich persönlich insgesamt nicht äußern und dies auch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu keinem der weiteren entscheidungsrelevanten Umstände taten.
93Damit haben die Geschäftsführer der Klägerin ihre allgemeine Mitwirkungspflicht bezüglich von Tatsachen aus der von ihnen beherrschten Informations- und Tätigkeitsphäre verletzt, vgl. § 76 Abs. 1 S. 2 und 3 FGO (Krumm in Tipke/Kruse, AO, FGO, § 76 Rz. 49 f, 57).
94Auf ein Mitwirkungsverweigerungsrecht konnten sich die Geschäftsführer der Klägerin nicht berufen. Ihrer Mitwirkung im Prozess stand nicht entgegen, dass sich ihre wahrheitsgemäßen Aussagen für sie als schädlich im Rahmen der gegen sie eingeleiteten Strafverfahren hätten auswirken können (vgl. Krumm in Tipke/Kruse, AO, FGO, § 76 Rz. 70 mwN)
95Die Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die Geschäftsführer der Klägerin hatte zur Folge, dass der erkennende Senat in rechtsanaloger Anwendung des § 96 Abs.1 S. 1 Halbsatz 2 AO i.V.m. § 162 AO sowie gemäß § 155 FGO i.V.m. § 444 ZPO gegebenenfalls unter Reduzierung des Regelbeweismaßes der vollen richterlichen Überzeugung nach größtmöglicher Wahrscheinlichkeit entscheiden und Schlussfolgerungen zum Nachteil der Klägerin ziehen konnte (BFH, Beschluss vom 07.05.2007 – IV B 221/02, Rz. 7; BFH, Urteil vom 08.02.2011 – IX R 44/10, BStBl. II 2011, 718, Rz. 17; Seer in Tipke/Kruse, AO, FGO, § 96 FGO, Rn. 65 ff. mwN; Ratschow in Gräber, FGO, § 96 Rz. 86 ff.).
961.
97Die Geschäftsführer der Klägerin haben zur vollen Überzeugung des erkennenden Senats für jedes der 19 Kfz sowohl eine Rechnung, die unstreitig in der Buchführung der Klägerin zutreffend verbucht worden ist (im folgenden „erste“ Rechnung) sowie eine weitere - unterfakturierte - Rechnung (im folgenden „zweite“ Rechnung), die mit der ersten Rechnung bis auf den Rechnungsbetrag und den Zusatz “PRO“ hinter der Rechnungsnummer in 15 Fällen weitestgehend identisch war, erstellt.
98Dass die Geschäftsführer der Klägerin persönlich die jeweils „erste“ und eine dazugehörige „zweite“ Rechnung pro Kfz erstellt haben, hat die von der Klägerin benannte Zeugin U glaubhaft versichert.
99Die Aussagen der Zeugin U zu den im Betrieb der Klägerin erstellten „ersten“ und „zweiten“ Rechnungen werden dadurch bestätigt, dass anlässlich der am 18.09.2013 erfolgten Durchsuchung in den Geschäftsräumen der Klägerin drei Rechnungen für drei Kfz-Auslandslieferungen in die Türkei (Rechnungsnummer 131161, 131168 und 131169) in zwei Varianten, einerseits mit einem höheren Rechnungsbetrag, andererseits mit einem niedrigeren Rechnungsbetrag mit dem Zusatz „PRO“, gefunden worden sind.
100Die Aussagen der Zeugin, die Betriebswirtin und Ehefrau des Geschäftsführers U der Klägerin ist, haben zusätzlich einen – wenn auch nicht vollständigen – Einblick insbesondere in die Praxis der Rechnungslegung und in die generelle Geschäftsabwicklung bei der Klägerin ermöglicht, da die Zeugin im Betrieb der Klägerin tätig war.
101Die Zeugin U hat insoweit ausgesagt, die „zweiten“ Rechnungen, die den Zusatz „PRO“ trügen, seien Akonto-Rechnungen. Die PRO-Rechnungen seien – nicht von ihr – per Fax an die türkischen Kunden gesandt worden, die dann Anzahlungen, allerdings nicht bezogen auf einzelne PRO-Rechnungen sondern pauschal, geleistet hätten.
102Diese Aussage der Zeugin ist nach voller Überzeugung des erkennenden Senats nur teilweise glaubhaft.
103Die Zeugin, die von der Klägerin auf ihren Wunsch erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung als Zeugin benannt wurde, hatte erkennbar das Bedürfnis, die Funktion der „ersten“ vollen und der „zweiten“ unterfakturierten Rechnung für die in die Türkei gelieferten Kfz in Zusammenhang mit den für die Kfz eingehenden Pauschalzahlungen der Käufer dem erkennenden Senat plausibel zu erklären.
104Allerdings ist die in diesem Rahmen durch die Zeugin erfolgte Bewertung der „zweiten“ unterfakturierten Rechnungen als bloße Akonto-Rechnung bzw. Voraus-Rechnung oder Pro-Forma-Rechnung angesichts der betriebswirtschaftlichen Ausbildung der Zeugin nicht nachvollziehbar und rechtlich auch nicht haltbar.
105Voraus-Rechnungen, Akonto-Rechnungen oder Pro-Forma-Rechnungen müssen nach ihrer Aufmachung und ihrem Inhalt auf den ersten Blick für einen Betrachter auch ohne Kenntnis der Vorgänge als bloße Voraus-Rechnungen, Akonto-Rechnungen oder Pro-Forma-Rechnungen erkennbar sein (BFH, Urteil vom 07.04.2011 – V R 44/09 mwN, juris).
106Vier der 19 unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen sind, da sie keinen Zusatz „PRO“ hinter der Rechnungsnummer tragen (Rechnungsnummer 131153, 131159, 131160, 131167), von einer Endrechnung überhaupt nicht zu unterscheiden.
107Die 15 weiteren unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen mit dem Zusatz PRO kann ein Betrachter wegen der dortigen Formulierung: „Gemäß unserer Lieferbedingungen erhielten Sie folgendes Fahrzeug“ und „Gesamtbetrag, zahlbar sofort Nettokasse“ ebenfalls nur als Endrechnung auffassen. Hieran vermag der Zusatz PRO hinter der Rechnungsnummer, den ein objektiver Dritter nicht ohne weiteres mit Pro-Forma in Verbindung bringt, nichts zu ändern.
108Die Zeugin hatte für die zitierten Formulierungen auf den PRO-Rechnungen, die nach ihren Einlassungen Akonto-Rechnungen darstellen sollen, keine Erklärung, vielmehr äußerte sie ausweichend, sie habe insoweit höchstens Vermutungen.
109Auch hatte die Zeugin keine nachvollziehbare Erklärung dafür, dass die streitgegenständlichen “ersten“ Rechnungen und die streitgegenständlichen unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen als angebliche Akonto-Rechnungen nicht nur ausnahmsweise, sondern stets dasselbe Rechnungsdatum tragen, obwohl doch anzunehmen wäre, dass Akonto-Rechnungen regelmäßig ein früheres Datum als die entsprechenden Endrechnungen tragen.
110Hinzu kommt, dass in den „ersten“ Rechnungen, wären diese Endrechnungen, die nach Aussage der Zeugin eingegangenen Akontozahlungen bei ordnungsgemäßer Rechnungsausstellung von dem Gesamtpreis gemäß § 14 Abs. 5 UStG abgesetzt worden wären.
111Dass die unterfakturierten “zweiten“ Rechnung trotz ihrer Untauglichkeit als Akonto-Rechnungen als solche von der betriebswirtschaftlich geschulten Zeugin bezeichnet wurden, kann sich der erkennende Senats nur damit erklären, dass die Zeugin verschleiern wollte, dass die 19 unterfakturierten „zweiten“ (PRO-) Rechnungen tatsächlich die Funktion von Handelsrechnungen hatten und den türkischen Abnehmern der Kfz auch als solche wahrscheinlich vorab per Fax übermittelt worden sind.
112Tatsächlich dienten die unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme auch nicht dazu, Akontozahlungen per Fax einzuholen. Nach Aussage der Zeugin und der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erfolgten die Zahlungen für die Kfz ohne Bezug zu einzelnen Kfz-Rechnungen in hohen Pauschalbeträgen. Diese Pauschalzahlungen verbuchte die Zeugin entsprechend den in der Buchführung der Klägerin gebuchten offenen Forderungen laut den „ersten“ Rechnungen ohne erkennbaren Bezug zu den vorgeblich als Akonto-Rechnungen eingeordneten unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen.
1132.
114Hauptzweck der unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen, die - wie dargestellt - von Endrechnungen nicht zu unterscheiden waren, war nach voller Überzeugung des erkennenden Senats diese als Handelsrechnungen mit der jeweiligen Zollanmeldung und dem jeweiligen A.TR Dokument den Fahrern des von den Abnehmern der Klägerin in der Türkei oder von der Klägerin selbst beauftragten Speditionsunternehmens C mitzugeben. Die nachweislich von der Klägerin erstellten unterfakturierten “zweiten“ 19 Rechnungen und nicht die „ersten“ Rechnungen, die Eingang in ihre Buchführung gefunden haben, sind nach voller Überzeugung des erkennenden Senats im Streitjahr 2013 sodann planmäßig dem türkischen Zoll anlässlich der Zollabfertigung der jeweiligen Kfz als Handelsrechnungen vorgelegt worden.
115a.
116Auch wenn die im Streitjahr für den Transport der 19 Kfz in die Türkei eingesetzte bulgarische Spedition C, die nach unstreitigem Vortrag des Beklagten nicht mehr existiert, zur Sachaufklärung nichts beitragen kann, ist der erkennende Senat aufgrund der Aussage des Zeugen O, eines Mitarbeiters der von der für die Kfz-Lieferungen der Klägerin in die Türkei in den Vorjahren eingesetzten Spedition J, zu der vollen Überzeugung gelangt, dass die Mitgabe von unterfakturierten Handelsrechnungen zur Vorlage beim türkischen Zoll anlässlich der Kfz-Ausfuhrlieferungen der Klägerin in die Türkei im Betrieb der Klägerin jahrelang Routine war und auch im Streitjahr praktiziert wurde.
117Der Zeuge O, der bis zu seiner Rente Disponent bei der Spedition J gewesen ist und für die Disposition der Kfz-Lieferungen unter anderem der Klägerin in die Türkei in den Jahren bis zu ihrer Umfirmierung tätig war, hat glaubhaft beschrieben, dass die Fahrer der Spedition J die ihnen von der Klägerin ausgehändigten Zollpapiere inklusive Handelsrechnungen und A.TR Dokumenten im Original bei sich führten und er bzw. die anderen beiden Disponenten diese Unterlagen bei Ankunft der Transporter am Firmensitz der Firma J stets fotokopierten. Er hat nachvollziehbar erklärt, weshalb die Unterlagen stets kopiert wurden.
118Die Fotokopien der durch die Fahrer an die Disponenten ausgehändigten Handelsrechnungen hat der Zeuge O dem Zeugen Y, von dem er wusste, dass dieser als Steuerfahnder tätig war, nach seiner glaubhaften Aussage übergeben.
119Der erkennende Senat sieht keinen Anlass, die in sich schlüssigen und detaillierten Schilderungen des Zeugen O zu der Abfertigung der Kfz-Lieferungen am Sitz der Spedition J inklusive der Anfertigung von unter anderem der von den Fahrern mit sich geführten Handelsrechnungen in Zweifel zu ziehen.
120Unter den von dem Zeugen O gefertigten, dem Zeugen Y übergebenen und dem Gericht in einem Aktenordner vorliegenden Fotokopien befindet sich eine Vielzahl von nachweislich unterfakturierten Rechnungen der Klägerin für Kfz-Lieferungen in die Türkei, die der erkennende Senat stichprobenartig geprüft hat (2010: unterfakturierte Rechnungen mit den Rechnungsnummern 10792, 10793, 10820,10821, 10699, 10700, 10696 und 10625 mit den entsprechenden „ersten“ Rechnungen aus der Buchführung der Klägerin, vgl. Blatt 425, 426, 421 und 420 Bp-Akte, und vorgeheftet in dem Aktenordner mit den von der Spedition J überreichten Rechnungskopien; 2012: Tabelle über 24 „erste“ und unterfakturierte „zweite“ Rechnungen, Bl. 461 Bp-Akte).
121b.
122Auf Kontinuität in den Abläufen und Geschäftsbeziehungen der Klägerin zu ihren türkischen Abnehmern, wozu die Ausstellung unterfakturierter Handelsrechnungen zur Vorlage beim türkischen Zoll zur Überzeugung des erkennenden Senats zählt, weist auch die Aussage der Zeugin U hin, nach der die Klägerin zu ihren türkischen Abnehmern ein Vertrauensverhältnis hatte. Zwar ist lediglich der Händler F Ltd. ... aus ... sowohl im Jahr 2012 als auch im Streitjahr 2013 nach Aktenlage Adressat von unterfakturierten Rechnungen der Klägerin gewesen. Allerdings kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Handelspartner der Klägerin – genauso wie die Klägerin – ihre Firmen seit 2007 gewechselt haben.
123c.Die dem erkennenden Senat vom Beklagten vorgelegten „ersten“ Rechnungen und die entsprechenden unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen nebst den jeweiligen türkischen Zollanmeldungen für die 19 Kfz-Lieferungen entsprechend der Aufstellung in dem Umsatzsteuersonderprüfungsbericht vom 20.05.2015, Textziffer 2.2.2 (mit Ausnahme des ... mit Belegdatum vom ....03.2013) belegen zudem, dass die von der Klägerin erstellten unterfakturierten „zweiten“ 19 Rechnungen den türkischen Zollbehörden anlässlich des Imports der 19 Kfz als die Handelsrechnungen für die Kfz vorgelegt worden sind.
124Die Unterlagen für 17 der 19 Kfz befinden sich in dem Aktenordner “I U&W für FG Rechnungen 2013“, den der Zeuge Y entsprechend seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung persönlich zusammengestellt hat.
125In dem Aktenordner hat er in Gestalt einer pro Kfz erfolgenden Gegenüberstellung der „ersten“ und der unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen inklusive der dazugehörigen Zollanmeldung des türkischen Zolls 19 Fächer gebildet. In den Fächern 1 bis 3, 5 bis 16 sowie 18 und 19 befinden sich die zusammengestellten Unterlagen für 17 der 19 Kfz-Lieferungen entsprechend der Aufstellung in dem Umsatzsteuersonderprüfungsbericht vom 20.05.2015, Textziffer 2.2.2 (mit Ausnahme des ... mit Belegdatum vom ....03.2013).
126In der Prozessakte, Bl. 150-153 und der Bp-Akte Bl. 155, 165 befinden sich die entsprechenden Unterlagen für die zwei weiteren Kfz-Lieferungen laut Aufstellung in dem Umsatzsteuersonderprüfungsbericht vom 20.05.2015, Textziffer 2.2.2 (mit Ausnahme des ... mit Belegdatum vom ....03.2013). Die zwei unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen und die dazugehörigen türkischen Zollanmeldungen sind dem erkennenden Senat von dem Finanzamt für Steuerfahndung R über den Beklagten vorgelegt worden.
127Dass der Zeuge Y die unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen und die türkischen Zollanmeldungen über das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) von dem türkischen Zoll oder der türkischen Polizei erhalten hat, steht für den erkennenden Senat aufgrund der Aussage des Zeugen Y zu seiner vollen Überzeugung fest (siehe hierzu im einzelnen Textziffer III. 3. der Entscheidungsgründe).
128Die Auswertungen der türkischen Zollerklärungen in Zusammenhang mit den 19 „ersten“ von der Klägerin ausgestellten und in ihre Buchführung übernommenen Rechnungen und den 19 unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen ergibt, dass dem türkischen Zoll bei der Einfuhr der 19 Kfz die 19 unterfakturierten Rechnungen der Klägerin vorgelegt worden sind. Hieraus erklärt sich auch, wie die türkischen Zollbehörden an die unterfakturierten Rechnungen gelangt sind.
129Unabhängig davon ist aufgrund der Aussage der Zeugin U sehr wahrscheinlich, dass die Klägerin die von ihren Geschäftsführern gefertigten unterfakturierten „zweiten“ Rechnungen an die türkischen Abnehmer der Kfz gefaxt hat. Es ist daher auch nicht ausgeschlossen, dass die türkischen staatlichen Stellen im Rahmen von polizeilichen Maßnahmen bei türkischen Abnehmern der Kfz an die unterfakturierten Rechnungen gelangt sind.
130Die zu den jeweiligen Kfz-Lieferungen gehörige türkische Zollerklärung beweist durch die Aufnahme der Rechnungsnummer mit dem Zusatz PRO unter Kennziffer 44 bei 11 von 15 Rechnungen mit dem Zusatz PRO, dass dem türkischen Zoll bei der Einfuhr der Kfz lediglich die unterfakturierten „zweiten“ PRO-Rechnungen und nicht die in der Buchführung der Klägerin befindlichen „ersten“ Rechnungen vorgelegt worden sind (siehe z.B. zu Rechnungsnummer 131163 vom 23.04.2013: „Fatura V 13111163 PRO # 23.-04.-13“, Fach 15 Aktenordner „I U&W für FG Rechnungen 2013“).
131Zusätzlich weisen sämtliche 19 Zollerklärungen unter der Kennziffer 41 den Exportpreis entsprechend den unterfakturierten Rechnungen aus. Zwar besteht bezüglich der unterfakturierten Rechnung Nr. 131143 PRO vom 28.01.2013 (Fach 1 Aktenordner “I U&W für FG Rechnungen 2013“) eine Diskrepanz zwischen dem in der Rechnung aufgeführten Betrag und dem in Kennziffer 41 aufgeführten Rechnungsbetrag. Diese erklärt sich aber daraus, dass unter Kennziffer 44 der Zollerklärung neben der Rechnung Nr. 131143 PRO eine weitere Rechnung („Fatura V 33834“) aufgeführt ist, so dass auch die Rechnung Nr. 131143 PRO dem türkischen Zoll nachweislich vorgelegt worden ist.
132d.
133Schließlich belegt die anlässlich der am 18.09.2013 bei der Klägerin erfolgten Durchsuchung unter den beschlagnahmten Rechnungen gefundene Rechnung mit der Rechnungsnummer 131161 PRO (Bl. 232 Prozessakte) überzeugend, dass von der Klägerin stammende unterfakturierte Rechnungen auch im Streitjahr als Bestandteil der von den Fahrern der Spedition C transportierten Zollunterlagen dem türkischen Zoll als Handelsrechnungen vorgelegt worden sind. In den von den türkischen Behörden an den Beklagten über das Bundeszentralamt für Steuern – BZSt – übergebenen Unterlagen befindet sich nämlich eine Rechnung mit der Rechnungsnummer 131161 PRO, die im Wesentlichen mit der bei der Klägerin beschlagnahmten Rechnung übereinstimmt (Aktenordner “I U&W für FG Rechnungen 2013“, Fach 14).
1343.
135Die von dem Zeugen Y in dem Aktenordner “I U&W für FG Rechnungen 2013“ zusammengestellten Unterlagen und die in der Prozessakte, Bl. 150-153, und der Bp-Akte, Bl. 155, 165, befindlichen Unterlagen (Rechnungen und türkische Zollanmeldungen für die entsprechend der Aufstellung in dem Umsatzsteuersonderprüfungsbericht vom 20.05.2015, Textziffer 2.2.2 (mit Ausnahme des ... mit Belegdatum vom ....03.2013) streitgegenständlichen 19 KFZ-Lieferungen in die Türkei) unterliegen keinem qualifizierten materiell-rechtlichen Verwertungsverbot (siehe hierzu Ratschow in Gräber, FGO, § 96 Rz. 64 ff.).
136Der Beklagte hat die in diesen Unterlagen enthaltenen 19 Kopien der dem türkischen Zoll beim Import der Kfz vorgelegten, von der Klägerin erstellten unterfakturierten Rechnungen nebst türkischen Zollerklärungen nicht unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften, sondern mittels eines ordnungsgemäßen Amtshilfeersuchens rechtmäßig von türkischen staatlichen Behörden (Zoll, Polizei) erhalten.
137Ein Amtshilfeersuchen des hierfür gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG zuständigen Bundeszentralamts für Steuern - BZSt - ist gemäß § 117 Abs. 3 und 4 AO im vertragslosen Amtshilfeverkehr (Rätke in Klein, AO, § 117, Rnr. 110 ff.) am 04.11.2013 an die zuständigen türkischen Behörden ergangen.
138Eine Anhörung der Klägerin ist gemäß § 117 Abs. 4 S. 2 AO unterblieben, weil mit dem Amtshilfeersuchen grenzüberschreitende Auskünfte in Umsatzsteuersachen angefordert worden sind. Bei derartigen Amtshilfeersuchen sieht der Gesetzgeber eine vorherige Anhörung als unverhältnismäßig und hinderlich an; die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges ist vorrangig (Rätke in Klein, AO, § 117, Rnr.124).
139Mit dem rechtmäßigen Amtshilfeersuchen vom 04.11.2013 wurden die Übermittlung von Rechnungen, unter anderem der Klägerin, die dem türkischen Zoll vorlagen, und von weiteren Listen und Aufstellungen über die Einfuhr von Kfz aus Deutschland, unter anderem durch die Klägerin, für die Jahre 2011-2013 erbeten. Es wurde ferner mitgeteilt, es solle für die ab dem Jahr 2007 festgestellten Kfz-Lieferungen geprüft werden, ob diese bei den Lieferanten weiterhin als steuerfrei zu behandeln seien.
140In dem Amtshilfeersuchen wurde der Zeuge Y den türkischen Behörden als Kontaktperson benannt.
141Nach Aktenlage (Aktenvermerke vom 15.01.2014, 04.09.2014 und 11.11.2014) hat der Zeuge Y auf Grundlage des Amtshilfeersuchens vom 04.11.2013 im Deutschen Generalkonsulat in T (Türkei) persönlich von den türkischen Behörden die in dem Amtshilfeersuchen unter anderem angeforderten Rechnungen der Klägerin für die Jahre bis 2010 erhalten.
142Aufgrund einer Gesamtschau der Aktenvermerke des Zeugen Y vom 15.01.2014, 04.09.2014 und 11.11.2014, der E-Mail des Beamten X des BZSt vom 26.02.2015 und der Aussage des Zeugen Y in der mündlichen Verhandlung hat der erkennende Senat in Anbetracht der beiden für die Übergabe der unterfakturierten Rechnungen und türkischen Zollerklärungen im Raum stehenden Termine (Anfang September 2014 im Deutschen Generalkonsulat in T (Türkei) und am 26.02.2015 im BZSt) die volle Überzeugung gewonnen, dass die betreffenden Unterlagen für das Streitjahr von den türkischen Behörden über den deutschen Zollverbindungsbeamten im Deutschen Generalkonsulat T (Türkei), Herr I, das heißt über das ZKA und sodann über das BZSt entsprechend dem Amtshilfeersuchen des BZSt vom 04.11.2013 am 26.02.2015 an den Zeugen Y gelangt sind.
143Folgerichtig wurde die bei der Klägerin am 18.09.2013 begonnene Umsatzsteuersonderprüfung für den Zeitraum 1/12 bis 7/13 sodann zu Ende geführt (Umsatzsteuersonderprüfungsbericht vom 20.05.2015).
144Dieser schlüssige Ablauf wird nicht dadurch infrage gestellt, dass sich der Zeuge Y anlässlich der Beweisaufnahme nicht mehr genau daran erinnern konnte, bei welchem der beiden persönlichen Übergabetermine die Rechnungen und Unterlagen der Klägerin betreffend den Zeitraum 2011-2013 an ihn übergeben worden sind.
1454.
146Bei der Erstellung und Übermittlung der unterfakturierten 19 Rechnungen als Handelsrechnungen in die Türkei im Rahmen der von der Klägerin bewirkten Ausfuhrlieferungen von 19 Kfz entsprechend der Aufstellung im Umsatzsteuersonderprüfungsbericht vom 20.05.2015, Textziffer 2.2.2 (mit Ausnahme des ... mit Belegdatum vom ....03.2013) hat die Klägerin in Gestalt ihrer Geschäftsführer zur vollen Überzeugung des erkennenden Senats gewusst, dass die von ihr bewirkten Ausfuhrlieferungen mit einer Steuerhinterziehung in der Türkei verknüpft waren.
147Die Erstellung und Übermittlung der unterfakturierten „zweiten“ (PRO-) Rechnungen als Handelsrechnungen zur Vorlage bei den Zollbehörden in der Türkei erfüllte für die Klägerin ebenso wie für ihre türkischen Abnehmer den Zweck, die streitbefangenen Kfz durch die Verletzung türkischer Steuergesetze auf dem türkischen Markt billiger als gesetzestreue Wettbewerber an eigennutzende Erwerber zu verkaufen bzw. dass die türkischen Erwerber die KFZ selbst verbilligt von der Klägerin zur Eigennutzung erwerben konnten.
148Dazu hat die Klägerin den türkischen Abnehmern der Kfz mit den von ihr ausgestellten unterfakturierten Handelsrechnungen ermöglicht, sowohl türkische Umsatzsteuer (Katma Deger Vergisi – KDV –) als auch Sonderverbrauchssteuer (Özel Tüketim Vergisi – ÖTV –) entsprechend Art. 359 des türkischen Steuerverfahrensrechts (Vergi Usul Kanunu – VUK –) zu hinterziehen. Die Geschäftsführer der Klägerin sind durch ihren wesentlichen Tatbeitrag in Gestalt der vorsätzlich erstellten unterfakturierten Rechnungen als Mittäter zu qualifizieren.
149a.
150Die Feststellung ausländischen Rechts gehört zu den Tatsachenfeststellungen im Sinne des § 118 Abs. 2 FGO, die von den Finanzgerichten von Amts wegen vorzunehmen sind (§ 155 FGO i.V.m. § 293 ZPO). Dabei ist das Gericht nicht auf die von den Beteiligten beigebrachten Nachweise beschränkt; es ist befugt, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen, um das ausländische Recht nach pflichtgemäßem Ermessen zu ermitteln (BFH, Urteil vom 19.12.2007 – I R 46/07, juris, Rz. 15 mwN; Krumm in Tipke/Kruse, AO, FGO, § 76 FGO, Anm. 60a; Seer in Tipke/Kruse, AO, FGO, § 81 FGO, Anm. 10).
151b.
152Vorliegend sieht der erkennende Senat wegen der allgemein zugänglichen Quellen zum türkischen Steuerstrafverfahrensgesetz (VUK), zum türkischen Umsatzsteuergesetz (KDVK) und zu dem Gesetz über die türkische Sonderverbrauchsteuer (ÖTVK) im Internet in Ausübung seines Ermessens von der Einholung eines Sachverständigengutachtens ab.
153c.
154Der erkennende Senat hat seiner rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt:
155die Veröffentlichung des Türkischen Finanzministeriums betreffend das türkische Steuersystem 2016 in englischer Sprache, www.gib.gov.tr/en, Link: Turkish Taxation System, Bl. 416 bis 456 Prozessakte;
die Inaugural-Dissertation von Engin Karabulut zu dem Thema „Der Vorsteuerabzug im Waren- und Dienstleistungsverkehr zwischen EU- Mitgliedstaaten und der Türkei“, vorgelegt im Fachbereich Rechtswissenschaften der Freien Universität Berlin im Jahr 2013, https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/5141, Startseite>Dissertationen>Dissertationen FU>Dokumentanzeige, Bl. 457 bis 475 Prozessakte;
die von der Klägerin vorgelegten Erläuterungen des Steuerberaters N, beschäftigt bei der Gözde YMM Ltd. in T (Türkei), zur ÖTV-Pkw vom 11.02.2019 (Anl. 2 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2019) in englischer Sprache mit deutscher Übersetzung;
einen Artikel zur Kfz-Besteuerung in der Türkei mit dem Leiter der Steuerabteilung bei Deloitte Türkei, Niyazi Cömez, unter der Überschrift “Was der Fiskus für Steuern erhebt“ vom 31.01.2013 in Autoflotte, Ausgabe 2/13, www.autoflotte,de/artikelarchiv, Bl. 413 bis 415 Prozessakte);
einen Artikel von Alper Uzun, Anwalt bei Erdem&Erdem, Law Office, vom 20.11. 2014 mit einem Überblick über Steuerstraftaten und ihre Bestrafung in der Türkei in englischer Sprache („Turkey: An Overview of Tax Crimes and Penalties“), www.erdem-erdem.av.tr, dort Attorneys>Alper Uzun>Publications, Bl. 476-478 Prozessakte).
Soweit die herangezogenen Unterlagen in englischer Sprache abgefasst und nicht ins Deutsche übersetzt worden sind, hat sich der erkennende Senat, dessen Richter sämtlich in der Lage sind, die englischsprachigen Unterlagen zu verstehen, von den Beklagtenvertretern und den Prozessbevollmächtigten der Klägerin versichern lassen, dass auch diese in der Lage sind, die englischsprachigen Unterlagen zu verstehen.
162d.Auf der Grundlage der herangezogenen Unterlagen ist zunächst festzustellen, dass ebenso wie in Deutschland auch in der Türkei Steuerhinterziehung strafbar ist.
163Das türkische Steuerverfahrensgesetz (Vergi Usul Kanunu – VUK –) stellt in Art. 359 die Steuerhinterziehung mit einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten bis fünf Jahren unter Strafe.
164Die Steuerhinterziehung liegt gemäß Art. 359 VUK unter anderem vor, wenn Steuerpflichtige, ihre gesetzlichen Vertreter oder Mittäter schuldhaft betrügerische Handlungen unternehmen, die zum Verlust von Steuereinnahmen führen. Als betrügerische Handlungen werden unter anderen die Benutzung gefälschter, falscher oder irreführender Unterlagen und Kopien benannt (Türkisches Finanzministerium unter Tz. A.3 (Penalty Provisions), Bl. 418, 419 Prozessakte; Uzun, An Overview of Tax Crimes and Penalties, Bl. 477 Prozessakte).
165e.
166Ausgehend von dieser Definition der Steuerhinterziehung haben sich die unternehmerischen Abnehmer der Klägerin durch die Vorlage der von der Klägerin mit zu niedrig ausgewiesenen Exportpreisen ausgestellten Handelsrechnungen beim türkischen Zoll anlässlich des Imports der 19 Kfz einer Umsatzsteuerhinterziehung schuldig gemacht.
167Entsprechend dem türkischen Umsatzsteuergesetz (KDVK) entsteht die Umsatzsteuer unter anderem, wenn Gegenstände in die Türkei importiert werden. Steuerpflichtig sind
168die importierenden Unternehmer (Türkisches Finanzministerium Tz. C 1.; 1.1.)
169Für Kfz lag der Umsatzsteuersatz im Streitjahr bei einem Prozent für gebrauchte Fahrzeuge und bei 18 Prozent für neue Fahrzeuge (Cömez, “Was der Fiskus für Steuern erhebt“, Bl. 413 Prozessakte). Die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer ist gemäß KDVK der Gesamtwert der erhaltenen Gegenleistung, mithin der in der Handelsrechnung des Exporteurs ausgewiesene Exportpreis (Türkisches Finanzministerium Tz. C 1.3. Bl. 444 Prozessakte).
170Die unternehmerischen Abnehmer der Klägerin haben den türkischen Zollbehörden bei Import der streitbefangenen 19 Kfz zusammen mit den Zollunterlagen die 19 unterfakturierten „zweiten“, von der Klägerin ausgestellten Rechnungen als die für den Import maßgeblichen Handelsrechnungen vorgelegt. Die Handelsrechnungen sind als falsche, irreführende Unterlagen im Sinne von Art. 359 VUK aufzufassen.
171Durch die Vorlage dieser Unterlagen hat die türkische Zollbehörde die Umsatzsteuer für die 19 importierten Kfz ausgehend von einem zu niedrigen Exportpreis der Kfz zu niedrig festgesetzt. Hierdurch ist dem türkischen Staat ein Steuerschaden entstanden.
172Damit haben die türkischen Abnehmer der Klägerin den objektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung gemäß Artikel 359 VUK erfüllt.
173Bereits in der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass ihr Vortrag, dass bei Vorlage unterfakturierter Rechnungen wegen des Vorsteuerabzugs der Abnehmer der Klägerin kein steuerlicher Schaden entstehen könne, unzutreffend ist. Zwar gibt es im türkischen Umsatzsteuerrecht ebenso wie im deutschen Umsatzsteuerrecht grundsätzlich eine Vorsteuerabzugsberechtigung für Unternehmer (vergleiche Art. 29 KDVK, Dissertation Karabulut, Seite 134, Prozessakte Bl. 471; Türkisches Finanzministerium unter Tz. C.1.6. Bl. 445 Prozessakte). Gemäß Art. 30 lit b KDVK haben die unternehmerischen Erwerber von Kfz, soweit sie keine Taxiunternehmen, Autovermietungen oder ähnliche Betriebe sind, jedoch keine Vorsteuerabzugsberechtigung (Dissertation Karabulut, Seite 134, 135, Prozessakte Bl. 471, 472; Türkisches Finanzministerium unter Tz. C.1.7.a), Prozessakte Bl. 445; Cömez “Was der Fiskus für Steuern erhebt“, Bl. 413 bis 415 Prozessakte).
174Der erkennende Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die türkischen Abnehmer der Klägerin ausnahmsweise Unternehmer sind, die gemäß Art. 30 lit b KDVK vorsteuerabzugsberechtigt sind. Dies ist von der Klägerin auch nicht geltend gemacht worden, nachdem sie vom Gericht auf die grundsätzlich nicht bestehende Vorsteuerabzugsberechtigung von Autohändlern hingewiesen worden ist.
175Da die unternehmerischen Abnehmer der Klägerin wussten, dass die dem türkischen Zoll vorgelegten Handelsrechnungen wegen ihrer Unterfakturierung falsch waren, denn sie hatten unstreitig an die Klägerin den höheren Exportpreis entsprechend der von der Klägerin in ihrer Buchführung verbuchten „ersten“ Rechnungen entrichtet, haben sie auch den subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß Art. 359 VUK erfüllt.
176f.
177Neben der ohne Zweifel erfolgten Umsatzsteuerhinterziehung der unternehmerischen Abnehmer der Klägerin in Mittäterschaft der Geschäftsführer der Klägerin ist mittels der 19 unterfakturierten Rechnungen der Klägerin auch türkische Sonderverbrauchsteuer (ÖTV) von den unternehmerischen Abnehmern der Klägerin, wiederum in Mittäterschaft der Geschäftsführer der Klägerin, hinterzogen worden.
178Wegen der Regelungen im Gesetz zur Sonderverbrauchsteuer (ÖTVK) wird auf die Erläuterungen des Steuerberaters N vom 11.02.2019 (Anl. 2 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2019) und das Dokument des Türkischen Finanzministeriums (Tz. C.2 ff, Bl. 446 ff. Prozessakte) verwiesen.
179Bedingt durch die fehlende Mitwirkung der Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hat der erkennende Senat keine Erkenntnisse zu den Kunden der Abnehmer der Klägerin erlangen können.
180Er geht deshalb davon aus, dass die türkischen Abnehmer der Klägerin im Streitfall die ÖTV-Steuerpflichtigen waren, entweder gemäß Art. 4a ÖTVK als Verkäufer der streitbefangenen Kfz an Dritte zur Eigennutzung oder gemäß Art. 4b ÖTVK als Abnehmer in eigener Sache zur Eigennutzung (vergleiche N, Anl. 2 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2019, Seite 2; Türkischen Finanzministerium Tz. C.2.2, Prozessakte Bl. 446).
181Da Bemessungsgrundlage für die ÖTV die Mehrwertsteuer-Bemessungsgrundlage, d.h. der vom Verkäufer in Rechnung gestellte Verkaufspreis, ist (vergleiche N, Anl. 2 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2019, Seite 2), liegt im Falle einer Eigennutzung durch die Abnehmer der Klägerin auf der Hand, dass durch die Exportpreise in den unterfakturierten Handelsrechnungen der Klägerin, die die Bemessungsgrundlage für die ÖTV bilden, bereits bei der Einfuhr der Kfz durch die Vorlage der unterfakturierten Rechnungen beim türkischen Zoll ÖTV hinterzogen worden ist.
182Im Falle eines Verkaufs der Kfz durch die Abnehmer der Klägerin an Dritte zur Eigennutzung ist, ausgehend von dem Zweck der Unterfakturierung der 19 Handelsrechnungen – neben der dargelegten Umsatzsteuerhinterziehung – durch günstige Verkaufspreise einen Wettbewerbsvorteil auf dem türkischen Kfz-Markt zu erlangen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Abnehmer der Klägerin die streitbefangenen Kfz ebenfalls unterfakturiert weiterverkauft haben und sie damit die ÖTV verkürzt haben.
183Denn die vom türkischen Zoll als Mindestbemessungsgrundlage der ÖTV ausgehend von den unterfakturierten 19 Handelsrechnungen der Klägerin registrierten Exportpreise (vergleiche N, Anl. 2 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2019, Seite 3) ermöglichten derartige unterfakturierte Weiterverkäufe durch die Abnehmer der Klägerin an Dritte, ohne gegenüber den türkischen Zoll- oder Steuerbehörden aufzufallen. Indem ein nur geringer Kaufpreisaufschlag auf die unterfakturierten Exportpreise der Klägerin erfolgte, wurde unauffällig erreicht, dass die Bemessungsgrundlage für die an den türkischen Staat abzuführende ÖTV stets geringer war als die Mindestbemessungsgrundlage der ÖTV, die bei Vorlage der in der Buchführung der Klägerin verbuchten „ersten“ korrekten Handelsrechnungen anlässlich des Imports der 19 streitbefangenen Kfz staatlich registriert worden wäre.
184Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 FGO.
185Die Revision war im Hinblick auf die Geltung der Missbrauchsrechtsprechung des EuGH bei Ausfuhrlieferung zur Fortbildung des Rechts und zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung geboten, § 115 Abs. 2 FGO.