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Die Beklagte wird verpflichtet, die Bescheide über pauschale Lohnsteuer gemäß § 40a EStG für die Jahre 2005 bis 2008 unter Reduktion der festgesetzten Lohnsteuer um den Betrag i. H. v. 91,06 € (2005), 79,53 € (2006), 104,63 (2007) und 164,71 € (2008) zu ändern.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte zu 60 % und der Kläger zu 40 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
2Der Kläger betreibt als gemeinnütziger Verein die offene Ganztagsschule K in N. Zur Bestreitung des Unterrichts und der Betreuungsmaßnahmen beschäftigt der Kläger zum Teil Aushilfskräfte.
3Für die Aushilfskräfte meldete der Kläger pauschale Lohnsteuer gemäß § 40a EStG an und führte diese an die Beklagte ab. Mit Schreiben vom 18.12.2009, bei der Beklagten am 23.12.2009 eingegangen, meldete der Kläger eine Berichtigung an. Er verwies darauf, dass bezüglich der Aushilfskräfte die Anwendung des Übungsleiterfreibetrages gemäß § 3 Nr. 26 EStG bislang unterblieben sei. Dies sei nunmehr nachzuholen.
4Mit Schreiben vom 27.1.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Prüfung der Voraussetzungen der Übungsleiterpauschale gemäß § 3 Nr. 26 EStG dem „zuständigen Finanzamt N“ obliege. Dies wurde mit der Bitte verbunden, sich dorthin zu wenden.
5Seinen Antrag vom 18.12.2009 konkretisierte der Kläger mit Schreiben vom 10.11.2010 durch Bezeichnung der entsprechenden Mitarbeiter, des seinerzeit angemeldeten Entgeltes, sowie des sich ergebenden Erstattungsbetrages. Durch Bescheid vom 13.1.2011 lehnte der Beklagte den Antrag auf Erstattung zu viel entrichteter Sozialversicherungsbeiträge ab. Im Rahmen dieser Ablehnung verwies er darauf, dass „die steuerliche Rückrechnungsmöglichkeit ... auf das Recht der Sozialversicherung nicht übertragen werden [könne]. … Der eventuell steuerrechtlich zulässige Wechsel … [habe] damit sozialversicherungsrechtlich nachträglich keine Minderung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts zur Folge...“.
6Mit Schreiben vom 11.1.2012, dem Beklagten zugegangen am 16.1.2012, legte der Kläger Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein. Zur Begründung führte er aus, dass nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, dass ein steuerfreies Arbeitsentgelt keine Sozialversicherungsbeiträge nach sich ziehen könne.
7Der eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 24.4.2012 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 SGB IV für die Erstattung der gezahlten Beiträge nicht vorlägen. Die Beiträge seien namentlich nicht zu Unrecht – ohne Rechtsgrund – entrichtet worden. Insbesondere sei die steuerrechtlich zulässige rückwirkende Anwendung von § 3 Nr. 26 EStG für das Sozialversicherungsrecht ohne Bedeutung. Wegen des im Sozialversicherungsrecht vorherrschenden Prinzips der vorausschauenden Betrachtung und der damit verbundenen Rechtssicherheit dürfe die Höhe der Beiträge nicht von ungewissen, in der Zukunft liegenden Ereignissen abhängen.
8Am 19.5.2012 erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Köln Klage, mit der er die Erstattung zu Unrecht gezahlter Abgaben begehrt.
9Durch Beschluss vom 20.12.2012 hat das Sozialgericht Köln den Rechtsstreit bezüglich der in der Abgabe enthaltenen pauschalen Lohnsteuer i. H. v. 201,42 € abgetrennt und an das Finanzgericht Köln verwiesen. Die vor dem Sozialgericht Köln fortgeführte Klage bezüglich der Sozialversicherungsbeiträge wurde durch Urteil vom 25.9.2013 abgewiesen; die hiergegen gerichtete Berufung ist derzeit beim Landessozialgericht anhängig.
10Der Kläger hat sein Begehr bezüglich der Steuerfreiheit der an Herrn A, Frau B, Frau C sowie Herrn D gezahlten Löhne eingeschränkt, da Herr A und Herr D keine begünstigte Tätigkeit ausgeübt haben und Frau B sowie Frau C nicht nebenberuflich tätig waren. Er beantragt daher,
11die Beklagte zu verpflichten, die Bescheide über pauschale Lohnsteuer gemäß § 40a EStG für die Jahre 2005 bis 2008 unter Reduktion der Lohnsteuer um den Betrag i. H. v. 91,06 € (2005), 79,53 € (2006), 104,63 € (2007) und 164,71 € (2008) zu ändern.
12Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung verweist die Beklagte auf den Ablehnungsbescheid vom 13.1.2011 sowie den Widerspruchsbescheid vom 24.4.2012:
15Für die Einzelheiten hinsichtlich der an die einzelnen Mitarbeiter gezahlten Löhne, die von ihnen verrichtete Tätigkeit und die Dauer ihrer Beschäftigung wird auf die Blätter 148 bis 227 der Akte verwiesen.
16Entscheidungshinweise
17Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Köln vom 20.12.2012 (S 2 KN 53/12) wird dahingehend ausgelegt, dass die gesamte im Streit stehende Lohnsteuer – mithin 714,46 € – abgetrennt und an das hiesige Gericht verwiesen wurde. Dies ist ausweislich der Gründe des Beschlusses, die zur Auslegung des Tenors heranzuziehen sind, der Wille des erkennenden Sozialgerichts. Die insoweit abweichende Tenorierung des Sozialgerichts beruht darauf, dass die verwiesene Lohnsteuer (2 %) unter Zugrundelegung des streitigen Abgabenbetrages (10.071,19 € * 2 %) ermittelt wurde, anstatt den Bruttolohn als Grundlage zur Berechnung der Lohnsteuer heranzuziehen (35.723,12 * 2 %). Diese Auslegung des Trennungs- und Verweisungsbeschlusses wird bestärkt durch den Umstand, dass das Sozialgericht in seinem anschließenden Urteil vom 25.9.2013 ausschließlich sozialversicherungsrechtliche Erwägungen und Prüfungen durchgeführt hat, mithin offenkundig nur über die pauschalen Beiträge zu Kranken- und Rentenversicherung entscheiden wollte.
18Die Ablehnung der Beklagten, einen Änderungsbescheid zu erlassen, ist rechtswidrig und verletzt damit den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 101 Abs. 1 Satz 1 FGO).
19Die im Wege des sogenannten Haushaltsscheckverfahrens gemäß § 28a Abs. 9, 7 und § 8 SGB IV ergangenen Bescheide über Lohnsteuer sind gemäß § 164 Abs. 2 AO zu ändern. Die aufgrund von § 28a SGB IV erfolgte Meldung ist eine Steueranmeldung i. S. des § 168 AO. Ihr kommt daher die Wirkung eines unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Steuerbescheides zu. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 40a Abs. 6 Satz 3 AO, wonach für die Anmeldung, Abführung und Vollstreckung der einheitlichen Lohnsteuer bestimmte Regelungen des Sechsten Sozialgesetzbuches gelten. Steuern werden nämlich durch Steuerbescheide festgesetzt, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, § 155 Abs. 1 Satz 1 AO. Etwas Abweichendes ist weder im Rahmen des Sechsten Sozialgesetzbuches noch in § 28a SGB IV geregelt.
20Der Vorbehalt der Nachprüfung ist auch nicht aufgrund von § 164 Abs. 4 AO wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung entfallen. Die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren (§ 169 Abs. 1 Nr. 2 AO) beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO, mit Ablauf des Jahres, in dem die Steueranmeldung erfolgt.
21Da die Haushaltsschecks für die Zeiträume ab Dezember 2005 frühestens im Jahr 2006 übermittelt wurden, endete die regelmäßige Festsetzungsfrist insoweit nicht vor dem 31.12.2010 und damit nach dem am 10.11.2010 gestellten Änderungsantrag. Der Änderungsantrag hemmt gemäß § 171 Abs. 3 AO den Ablauf der Festsetzungsfrist.
22Bezüglich der Anmeldezeiträume Januar bis November 2005 wäre die reguläre Festsetzungsfrist zum 31.12.2009 und damit vor Stellung des Antrags vom 10.11.2010 abgelaufen. Allerdings hat der Kläger bereits mit Schreiben vom 18.12.2009 die rückwirkende Berichtigung begehrt. Dieses Schreiben ist ebenfalls als Änderungsantrag auszulegen, der vor Ablauf der Festsetzungsverjährung gestellt wurde. Die Festsetzungsverjährung wird daher gemäß § 171 Abs. 3 AO in ihrem Ablauf gehemmt, bis über den Antrag unanfechtbar entschieden ist. Eine solche unanfechtbare Entscheidung ist insbesondere im Schreiben vom 27.1.2010 nicht zu erkennen. Denn in diesem Schreiben hat der Beklagte keine abschließende Entscheidung getroffen. Vielmehr stellt der Beklagte anheim, die materiell-rechtlichen Fragen durch das „zuständige Finanzamt N“ respektive den Prüfdienst klären zu lassen, um sodann ggf. eine Erstattung durchzuführen. Darüber hinaus könnte der Beklagte sich ohnehin nicht darauf berufen, dass durch das Schreiben vom 27.1.2010 die Ablaufhemmung weggefallen ist, da er den Kläger zuständigkeitshalber an das Finanzamt verwiesen hat. Insoweit hat der Beklagte verkannt, dass er selbst gemäß § 40a Abs. 6 Satz 1 i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 8 AO zuständige Finanzbehörde ist und zur Klärung auch der materiell-rechtlichen Fragen berufen ist. Darüber hinaus gibt es kein Finanzamt N. Aus diesem irreführenden Schreiben das Ende der Ablaufhemmung herleiten zu wollen, wäre grob treuwidrig.
23Bei den nach Einschränkung des Klagebegehrs im Rahmen der mündlichen Verhandlung noch in Rede stehenden Löhnen handelt es sich dem Grunde nach auch um steuerfreie Einnahmen i. S. des § 3 Nr. 26 EStG. Die in Rede stehenden Mitarbeiter waren beim Beklagten erzieherisch, betreuend, teilweise auch unterrichtend tätig. Gemäß § 3 Nr. 26 EStG sind steuerfrei die Einnahmen insbesondere aus einer Tätigkeit als Übungsleiter, Erzieher oder Betreuer. Ein Erzieher im Sinne dieser Vorschrift wirkt auf Menschen ein, um sie geistig und körperlich in Richtung auf ein bestimmtes Erziehungsziel zu formen. Die Tätigkeit eines Betreuers übt derjenige aus, der durch einen direkten pädagogisch ausgerichteten persönlichen Kontakt auf die von ihm betreute Person einwirkt (Urteil des FG Sachsen-Anhalt vom 20.8.2002 1 K 145/02, EFG 2002, 1579, DStRE 2005, 415; von Beckerath in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, § 3 Nr. 26 EStG). Diesen Anforderungen werden die Mitarbeiter des Klägers gerecht, da sie – nach unwidersprochenem Vortrag des Klägers – Kinder bei der Fertigung von Hausaufgaben betreuen und unterstützen, Gruppen in der offenen Ganztagsschule leiten, den Leiter der Gruppe unterstützen oder Musikunterricht erteilen.
24Nach unwidersprochenen Angaben des Klägers waren die Mitarbeiter auch nebenberuflich tätig. Eine Tätigkeit wird namentlich dann nebenberuflich i.S. von § 3 Nr.26 EStG ausgeübt, wenn sie nicht mehr als ein Drittel der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeiterwerbs in Anspruch nimmt (z. B. BFH-Urteil vom 30.03.1990 VI R 188/87, BFHE 160, 486, BStBl II 1990, 854). Der Senat hegt mit Blick auf die Höhe der gezahlten Vergütungen und die erklärten Zeiten der Beschäftigung auch keinen Zweifel daran, dass die Mitarbeiter nur höchstens 1/3 der üblichen Arbeitszeit eines Erziehers, Betreuers oder Lehrers einsetzten, wobei der Senat von einer Wochenarbeitszeit von 39 Stunden ausgeht. Geht man im regulären Schulbetrieb davon aus, dass in 40 Wochen pro Jahr unterrichtet wird (52 Jahreswochen ./. 2 Wochen Osterferien ./. 6 Wochen Sommerferien ./. 2 Wochen Herbstferien ./. 2 Wochen Winterferien) und der Stundenlohn durchgängig (zu Lasten des Klägers) mit nur 7,50 € angesetzt wird, erreichen die Mitarbeiter nicht ansatzweise die Grenze von 13 Arbeitsstunden pro Woche.
25Danach sind die folgend dargestellten Löhne steuerfrei und zählen gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV nicht zum Arbeitsentgelt i. S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, das Bemessungsgrundlage der pauschalen Lohnsteuer gemäß § 40a Abs. 2 EStG ist:
262005 |
Lohn |
davon steuerfrei |
... |
300,00 € |
300,00 € |
... |
90,00 € |
90,00 € |
... |
2.400,00 € |
1.848,00 € |
... |
168,75 € |
168,75 € |
... |
517,50 € |
517,50 € |
... |
140,00 € |
140,00 € |
... |
120,00 € |
120,00 € |
... |
558,75 € |
558,75 € |
... |
810,00 € |
810,00 € |
Summe |
5.105,00 € |
4.553,00 € |
2006 |
Lohn |
davon steuerfrei |
... |
1.020,00 € |
1.020,00 € |
... |
525,00 € |
525,00 € |
... |
15,00 € |
15,00 € |
... |
560,00 € |
560,00 € |
... |
228,75 € |
228,75 € |
... |
1.627,50 € |
1.627,50 € |
Summe |
3.976,25 € |
3.976,25 € |
2007 |
Lohn |
davon steuerfrei |
... |
1.158,75 € |
1.158,75 € |
... |
630,00 € |
630,00 € |
... |
453,75 € |
453,75 € |
... |
240,00 € |
240,00 € |
... |
510,00 € |
510,00 € |
... |
401,25 € |
401,25 € |
... |
1.456,88 € |
1.456,88 € |
... |
380,63 € |
380,63 € |
Summe |
5.231,26 € |
5.231,26 € |
2008 |
Lohn |
davon steuerfrei |
... |
941,25 € |
941,25 € |
... |
318,75 € |
318,75 € |
... |
941,24 € |
941,24 € |
... |
3.563,74 € |
2.100,00 € |
... |
2.255,62 € |
2.100,00 € |
... |
241,88 € |
241,88 € |
... |
922,49 € |
922,49 € |
... |
670,00 € |
670,00 € |
Summe |
9.854,97 € |
8.235,61 € |
Die ausgesprochenen Reduktionsbeträge ergeben sich durch Multiplikation des steuerfreien Entgeltes mit dem Steuersatz i. H. v. 2 %.
31Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
32Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.