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Unter Änderung des Abrechnungsbescheides vom 3.11.2011 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 17.8.2012 wird festgestellt, dass der Insolvenzschuldnerin für den Monat Januar 2006 ein Vorsteuervergütungsanspruch i. H. v. 44.791,24 € zusteht.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Am 1.8.2004 wurde durch Beschluss des AG N Az.: 1 über das Vermögen der K & Co. GmbH in L (Insolvenzschuldnerin) das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Zuvor war er durch Beschluss des AG vom ....5.2004 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden. Mit weiterem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 23.1.2006 ist die Vergütung für den vorläufigen Insolvenzverwalter für seine Tätigkeit vom ....5. bis 1.8.2004 wie folgt festgesetzt worden:
3Vergütung |
279.195,23 € |
Auslagen |
750,00 € |
zzgl. 16 % Umsatzsteuer |
44.791,24 € |
Endbetrag |
324.736,47 € |
Mit Datum vom 24.1.2006 hat der Insolvenzverwalter als damals vorläufig bestellter Verwalter über diese Vergütung zzgl. Umsatzsteuer eine Rechnung erteilt. Entsprechend der Entnahmeerlaubnis des AG N ist der o.g. Endbetrag am 26.1.2006 überwiesen worden. In der Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Januar 2006 erklärte der Kläger für die Insolvenzschuldnerin einen Vorsteuervergütungsanspruch von insgesamt 45.763,99 €. Darin enthalten war die Vorsteuer aus der o.g. Rechnung i.H.v. 44.791,24 € sowie weitere, zeitlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhaltener Leistungen i.H.v. 972,75 €. Der letztgenannte Betrag wurde der Masse erstattet.
5Über den Teilbetrag von 44.791,24 € erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 23.2.2006 die Aufrechnung des Umsatzsteuer-Erstattungsanspruchs für den Monat Januar 2006 mit Rückständen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (rückständige Lohnsteuer und Nebenabgaben für Zeiträume in 2004 mit Fälligkeit aus 2004). Die entsprechenden Umbuchungen wurden dem Kläger mit Umbuchungsmitteilung vom 21.3.2006 mitgeteilt.
6Auch die Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2006, der der Beklagte am 20.8.2007 zugestimmt hat, weist lediglich Vorsteuern in Höhe von insgesamt 48.357,33 € aus, in denen der o. g. Betrag aus der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters enthalten ist.
7Mit Schreiben vom 11.10.2011 nahm der Kläger auf die Vorgänge aus 2006 Bezug. Er wies auf das Urteil des BFH vom 2.11.2010 VII R 6/10 hin, mit dem dieser seine Rechtsprechung geändert und sich der Auffassung des BGH im Urteil vom 9.7.2009 IX R 86/08 angeschlossen habe. Seit Bekanntgabe der Entscheidung des BFH vom 2.11.2010, die Anfang des Jahres 2011 erfolgt sei, sei nunmehr eine Anfechtungssituation gegeben, die aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des BFH nicht bestanden habe. Der Kläger erklärte, er fechte nach §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 130 Abs. 1 Nr. 2 sowie 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO die für den Beklagten entstandene Verrechnungsmöglichkeit an. Er forderte den Beklagten sodann auf, den Betrag in Höhe von 44.791,24 € nebst Zinsen seit dem 21.3.2006 – Tag der Umbuchungsmitteilung – auf das Anderkonto bis zum 31.10.2011 zu zahlen. Dieses Verlangen lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 18.10.2011 ab, da die Verjährungsfrist für Anfechtungsansprüche aufgrund der Aufrechnungserklärung vom 21.3.2006 mit Ablauf des 31.12.2009 eingetreten sei.
8Nachdem der Kläger mit Antwortschreiben vom 25.10.2011 dargelegt hatte, dass die Verjährungsfrist seiner Meinung nach erst mit dem 31.12.2011 zu laufen beginne und er seine Zahlungsaufforderung unter Fristsetzung wiederholt hatte, erließ der Beklagte am 3.11.2011 hierüber einen Abrechnungsbescheid.
9Den dagegen – am 16.11.2011 fristgerecht – eingelegten Einspruch begründete der Kläger hinsichtlich der Anfechtung damit, dass § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zur Unwirksamkeit der vom Beklagten erklärten Aufrechnung führe. Dies bedeute, dass der Zahlungsanspruch aus der Umsatzsteuervoranmeldung nicht durch Aufrechnung erloschen sei. Gemäß §§ 228 ff AO verjähre dieser Zahlungsanspruch in fünf Jahren, d.h. mit Ablauf des 31.12.2011.
10Mit Einspruchsentscheidung vom 17.8.2012 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass der Bereicherungsanspruch auf Auszahlung des Betrages nach § 195 BGB verjährt sei. Er räumte zwar ein, dass in seiner Aufrechnung eine anfechtbare Rechtshandlung liege, aber nach § 143 Abs. 1 InsO seien die Vorschriften des BGB anzuwenden. Die Verjährungsfrist von drei Jahren gemäß § 195 BGB sei abgelaufen.
11Daraufhin hat der Kläger am 20.9.2012 die vorliegende Klage erhoben, mit der er weiterhin die Unwirksamkeit der vom Beklagten erklärten Aufrechnung geltend macht. Er begründet dies im Wesentlichen damit, dass er rechtzeitig die vom Beklagten erklärte Aufrechnung angefochten habe. Zum einen ist er der Auffassung, dass sich die relevante Anfechtungsfrist aus § 228 AO ergebe. Die daraus resultierenden fünf Jahre hätten erst mit Ablauf des 31.12.2011 geendet. Zum anderen sei er auch innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist nach BGB tätig geworden. Diese Verjährungsfrist beginne erst mit Kenntnis von der Rechtsprechungsänderung des BFH im Urteil vom 2.11.2010. Dies folge aus § 199 Abs. 1 BGB, wonach die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres beginne, in welchem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von dem den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste.
12Seit der Schuldrechtsreform sei die Systematik der regelmäßigen Anspruchsverjährung um eine subjektive Komponente erweitert. Die Verjährung beginne daher erst dann, wenn der Anspruch entstanden und dem Anspruchsberechtigten dessen Durchsetzung zugemutet werden könne. Bis zur Entscheidung des BFH vom 2.11.2010 habe der Durchsetzung des Anspruchs die insoweit eindeutige Rechtsprechung des BFH entgegengestanden, die die Geltendmachung der mit der jetzigen Klage verfolgten Anfechtungsansprüche sinnlos gemacht habe. Die Verjährungsfrist beginne frühestens mit Bekanntgabe der Entscheidung des BGH vom 22.10.2009, also im Jahr 2010. Lediglich zwei Fachzeitschriften hätten die Entscheidung im letzten Heft für das Jahr 2009, also unmittelbar vor Weihnachten, veröffentlicht.
13Dass ihm, dem Kläger, eine frühere Geltendmachung seiner Rechte nicht zumutbar gewesen sei, ergebe sich auch aus den Entscheidungen des BGH vom 28.10.2014 IX ZR 348/13 und 17/14. Darin heiße es, dass ausnahmsweise die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn hinausschiebe, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliege, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht in einem für die Klageerhebung ausreichenden Maße einzuschätzen vermöge. Dies gelte erst recht, wenn der Durchsetzung des Anspruchs eine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung entgegenstehe. In einem solchen Fall fehle es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn.
14Im Übrigen sei eine Berufung des Beklagten auf eine Anspruchsverjährung treuwidrig. Der Beklagte trete dem Kläger in einem Über-/Unterordnungsverhältnis gegenüber und sei verpflichtet, die staatlichen Gesetze ordnungsgemäß und richtig umzusetzen. Dies sei offensichtlich im Hinblick auf die 2006 erklärte Aufrechnung nicht geschehen.
15Der Kläger beantragt,
16unter Abänderung des Abrechnungsbescheids vom 3.11.2011 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 17.8.2012 im Abrechnungsbescheid einen Erstattungsanspruch aus der Umsatzsteuer 2006 i.H.v. 44.791,24 € auszuweisen,
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Er ist weiterhin der Ansicht, der Kläger könne aufgrund eingetretener Verjährung keinen Umsatzsteuer-Vergütungsanspruch mehr geltend machen. Der BGH-Rechtsprechung zur Frage des Beginns der Verjährungsfrist in speziellen Bereichen, wie z.B. in Amtshaftungssachen, sei zwar zuzustimmen, doch dies reiche nicht aus, vorliegend den Verjährungsbeginn hinauszuschieben.
20Dem Kläger seien vor Ablauf der dreijährigen Frist sowohl der Anspruchsgegner, nämlich der Beklagte, die Erfolgsaussichten seines Klagebegehrens aufgrund der BGH-Entscheidung vom 22.10.2009 bekannt und die Anfechtung der Aufrechnungserklärung vom 23.2.2006 zumutbar gewesen. Versäumnisse des Klägers führten nicht zu einer Verschiebung des Beginns der Verjährungsfrist. Dass die Aufrechnungserklärung vom 23.2.2006 erst mit der geänderten BGH- und BFH-Rechtsprechung in den Jahren 2009/2010 nachträglich unzulässig geworden sei, führe zu keinem anderen Beginn der regelmäßigen Verjährung nach §§ 195, 199 BGB. Die Rechtslage sei auch nicht unklar gewesen.
21Die BGH-Rechtsprechung zum hinausgeschobenen Verjährungsbeginn betreffe durchweg Ansprüche aus schuldrechtlichen Vertragsverhältnissen, während hier die Aufrechnung aufgrund seiner – des Beklagten – einseitigen Erklärung erfolgt sei. Wolle man der Ansicht des Klägers folgen, werde das Rechtsbehelfsverfahren nach der AO ausgehöhlt. Aufgrund bekannt gewordener (Muster-) Verfahren bedürfe es nach der Ansicht des Klägers keines Einspruchsverfahrens mehr in eigener Sache. Verwaltungshandeln werde damit nahezu unmöglich. Treuwidriges Verhalten des beklagten Finanzamts liege nicht vor. Die Aufrechnungserklärung sei eine Ermessensentscheidung, die auch ermessensfehlerfrei sei, weil sie der im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vorliegenden BFH-Rechtsprechung entsprochen habe; allein auf diesen Zeitpunkt sei abzustellen.
22Der Senat hat in der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung festgestellt, dass durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom 9.4.2014 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin am 9.4.2014 nach Vollzug der Schlussverteilung aufgehoben worden ist (§ 200 InsO). Zugleich hat das Insolvenzgericht beschlossen:
23„Hinsichtlich der Steuererstattungsansprüche – insbesondere aus der Vergütung des endgültigen Insolvenzverwalters – bezüglich der bis zur Aufhebung des Verfahrens entstehenden bzw. entstandenen Erstattungsansprüche sowie hinsichtlich möglicher Massezuflüsse aus dem Klageverfahren gegen das Finanzamt N vor dem Finanzgericht Köln zu Az.: 1 K 2893/12 wird die Nachtragsverteilung angeordnet (§ 203 Abs. 1 InsO).“
24Der Senat hat die Beteiligten vom Vorliegen dieses Beschlusses informiert.
25Entscheidungsgründe
26Die Klage ist begründet.
27Der Kläger ist als Insolvenzverwalter aufgrund wirksamer Anordnung der Nachtragsverteilung weiterhin zur Prozessführung befugt. Der Beklagte kann gegen den Umsatzsteuererstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin aus der Voranmeldung Januar 2006 nicht mit deren vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Lohnsteuerschulden nebst Nebenabgaben aus 2004 aufrechnen.
28I. Der Insolvenzverwalter ist aufgrund des Beschlusses des Insolvenzgerichts vom 9.4.2014 trotz Aufhebung des Insolvenzverfahrens weiterhin befugt, für die Insolvenzmasse die Unwirksamkeit der vom Beklagten erklärten Aufrechnung geltend zu machen. An der Wirksamkeit der in diesem Beschluss verfügten Nachtragsverteilung hinsichtlich des hier streitigen Vorsteuervergütungsanspruches Januar 2006 zu Gunsten der Insolvenzmasse hat der Senat keine Zweifel.
291. Zwar ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom 9.4.2014 nach vollzogener Schlussverteilung aufgehoben worden. Ordnet das Insolvenzgericht jedoch eine Nachtragsverteilung an, besteht insoweit der Insolvenzbeschlag unverändert fort (vgl. BGH-Beschluss vom 18.6.2015 IX ZB 86/12, Rn. 9, juris). Ein Insolvenzverwalter kann dann aber, wenn es um einen sog. Aktivprozess geht, einen Rechtsstreit fortführen; der Insolvenzverwalter bleibt weiterhin aktivlegitimiert und prozessführungsbefugt (Urteil des BFH vom 26.2.2014 I R 12/14, BFH/NV 2014, 1544 mit weiteren Nachweisen; vgl. BGH-Beschluss vom 18.6.2015 IX ZB 86/12, Rn. 9, juris, m. w. N. ).
302. Da der Kläger letztlich hier die Auszahlung eines Vorsteuererstattungsanspruchs an die Masse begehrt, liegt ein Aktivprozess vor, für dessen Geltendmachung er als Folge einer wirksamen Anordnung der Nachtragsverteilung weiter prozessführungsbefugt ist.
31Wieweit die von der Nachtragsverteilung betroffenen Gegenstände und Forderungen im Beschluss, mit dem die Fortgeltung der Beschlagnahmewirkung angeordnet wird, konkretisiert sein müssen, ist zwar neuerlich in der Rechtsprechung thematisiert worden (vgl. dazu die Urteile des FG Köln vom 6.8.2014 12 K 791/1 -rkr- , EFG 2015, 526 und vom 25.2.2015 3 K 769/11, EFG 2015, 1339, Revision beim BFH anhängig unter Az. VII R 10/15), doch ist jedenfalls die hier im Beschluss des Insolvenzgerichts verwendete Formulierung zur Überzeugung des Senats hinreichend. In ihm ist nämlich die Nachtragsverteilung (u. a.) hinsichtlich möglicher Massezuflüsse aus dem mit zutreffendem Aktenzeichen und Benennung des beklagten Finanzamts konkret bezeichneten vorliegenden Klageverfahrens angeordnet worden. Eine darüber hinausgehende Benennung des Vorsteuererstattungsanspruchs betreffend Januar 2006 ist im Hinblick dessen nicht erforderlich, da sich dieser Anspruch leicht und eindeutig aufgrund der vom Insolvenzgericht verwendeten Formulierung als vom Insolvenzbeschlag erfasst bestimmen lässt.
32II. Die Klage ist auch begründet, da der Beklagte zu Unrecht im Abrechnungsbescheid keinen Erstattungsanspruch des Klägers in Höhe der Vorsteuer aus der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters ausgewiesen hat. Die vom Beklagten gegen diesen Anspruch erklärte Aufrechnung ist insolvenzrechtlich dem Kläger gegenüber nämlich unbeachtlich.
331. Der Aufrechnung des Beklagten steht § 96 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung --InsO-- entgegen. Danach ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat.
34a) Der Beklagten ist nach § 38 InsO Insolvenzgläubiger, denn er hatte zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen die Insolvenzschuldnerin aus Lohnsteuer und Nebenabgaben für das Jahr 2004.
35aa) Der Beklagte hat die Möglichkeit der Aufrechnung der eigenen Forderung gegen die der Insolvenzschuldnerin durch eine anfechtbare Rechtshandlung nach §§ 129 ff InsO erhalten. Nach § 129 InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die die Insolvenzgläubiger benachteiligen, nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO anfechten.
36Rechtshandlung in diesem Sinne ist jedes von einem Willen getragene Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann (BGH-Urteil vom 22.10.2009 IX ZR 147/06, DStR 2010, 1145 und BFH-Urteil vom 02.11.2010, BStBl II 2011, 374). Zu den Rechtshandlungen zählen auch Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst. Als Rechtshandlung kommt danach jede Handlung in Betracht, die zum (anfechtbaren) Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt. Das ist hier die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters an die Insolvenzschuldnerin nach Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zu dessen Eröffnung (vgl. BFH-Urteil vom 2.11.2010 VII R 6/10, BStBl II 2011, 374).
37Die Rechtshandlung ist nach § 131 Abs.1 Nr.1 InsO anfechtbar. Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzschuldner eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er in der Art oder zu der Zeit nicht zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung nach Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist. Diese Voraussetzungen liegen vor.
38bb) Die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist nach Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht worden. Hierdurch hat der Beklagte die Möglichkeit zur Aufrechnung gegen den Erstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin erhalten, die er im Sinne des § 131 InsO nicht beanspruchen konnte. Der Beklagte hat einen Zahlungsanspruch erst dadurch erhalten, dass die Insolvenzschuldnerin durch die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters einen Vorsteuervergütungsanspruch erlangt hat, der nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist.
39b) Als Rechtsfolge bestimmt § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, dass die Aufrechnung „unzulässig“ ist. Zwar ist die vom Beklagten erklärte Aufrechnung nach § 224 der Abgabenordnung ‑-AO -- in Verbindung mit §§ 387 ff des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB-- wirksam und hat zur Folge, dass der Vorsteuererstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin und der Lohnsteueranspruch des Beklagten erloschen sind. Für die Dauer und für Zwecke des Insolvenzverfahrens besteht der Erstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin aber fort. Da sich die Unwirksamkeit der Aufrechnung bereits aus § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ergibt, kann sich der Insolvenzverwalter ohne Anfechtung der Rechtshandlung unmittelbar auf die Unwirksamkeit berufen (BFH-Urteil vom 5.5.2015 VII R 37/13 BFHE 249, 418, BStBl II 2015, 856).
402. Der Kläger hat als Insolvenzverwalter auch innerhalb der Verjährungsfrist zur Durchsetzung seines Anfechtungsrechts gehandelt. Der Beklagte kann sich daher gegenüber dem Einwand des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht auf Verjährung berufen.
41a) Dabei kann der Senat letztlich dahinstehen lassen, ob bereits die Geltendmachung der insolvenzrechtlichen Unwirksamkeit der Aufrechnung, die zum Erlass eines Abrechnungsbescheids der Finanzbehörde führt, für die Wahrung der Verjährungsfrist ausreicht, oder ob zu deren Geltendmachung Klage beim Finanzgericht erforderlich ist.
42Denn schon damit, dass der Kläger mit seinen Schriftsätzen vom 11.10.2011 und 25.10.2011 den Vorsteuererstattungsanspruch Januar 2006 wegen Unwirksamkeit der Aufrechnung geltend gemacht und den Beklagten unter Fristsetzung zur Auszahlung aufgefordert hat, hat der Kläger seine Hauptforderung rechtzeitig geltend gemacht. Da zur Entscheidung über die Wirksamkeit einer Aufrechnung im Steuerrechtsverhältnis seitens einer Finanzbehörde das Verfahren des Abrechnungsbescheids gemäß § 218 AO zwingend vorgesehen ist, ist das Ingangsetzen dieses Verfahrens der Klageerhebung vor einem Zivilgericht für den Fall der Geltendmachung einer Aufrechnung durch einen privaten Insolvenzgläubiger gleichzusetzen. Die vom BGH insoweit geforderte gerichtliche Geltendmachung ist für das Steuerrechtsverhältnis der Situation gleichzusetzen, in der der Insolvenzverwalter auf den Erlass eines Abrechnungsbescheids drängt.
43b) Jedenfalls aber hat der Kläger die dreijährige Verjährungsfrist gewahrt, indem er im Jahr 2012 die vorliegende Klage erhoben hat.
44Der Insolvenzverwalter kann nämlich die insolvenzrechtliche Wirkung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nur innerhalb der Anfechtungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO durchsetzen; diese Frist ist auf die Hauptforderung entsprechend anwendbar und überlagert deren allgemeine Verjährungsfristen (BFH-Urteil vom 5.5.2015 VII R 37/13 BFHE 249, 418, BStBl II 2015, 856 m. w. N.). Die entsprechende Anwendung des § 146 Abs. 1 InsO gilt auch dann, wenn die Aufrechnungserklärung --wie im Streitfall-- erst nach der Insolvenzeröffnung abgegeben wird (BFH-Urteil vom 5.5.2015 VII R 37/13, BFHE 249, 418, BStBl II 2015, 856). § 146 Abs. 1 InsO verweist auf die regelmäßige Verjährung nach dem BGB, die gemäß § 195 BGB drei Jahre beträgt und gemäß § 199 Abs. 1 BGB am Ende desjenigen Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Da es im Rahmen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO um den Fortbestand der Hauptforderung geht, beginnt die Verjährungsfrist frühestens mit dem Ablauf desjenigen Jahres, in dem die Hauptforderung entstanden ist, die durch die Aufrechnung erloschen wäre (BFH-Urteil vom 5.5.2015 VII R 37/13, BFHE 249, 418, BStBl II 2015, 856).
45Nach diesen zutreffenden Grundsätzen kann die Verjährungsfrist frühestens mit dem Ablauf desjenigen Jahres, in dem der Vorsteuervergütungsanspruch entstanden ist, beginnen. Dabei ist nämlich nicht auf die insolvenzrechtliche Begründung dieses Anspruchs abzustellen, sondern auf die steuerrechtliche Entstehung, weil anderenfalls die Hauptforderung bereits vor ihrer tatsächlichen Entstehung verjähren könnte, was dem Sinn und Zweck des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO widerspräche (BFH-Urteil vom 5.5.2015 VII R 37/13, BFHE 249, 418, BStBl II 2015, 856).
46Demnach hat hier im vorliegenden Fall die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB frühestens mit Ablauf des Jahres 2006 begonnen, da der Vorsteuervergütungsanspruch mit Ablauf des Monats Januar 2006 entstanden war. Die Verjährung wäre dann mit Ablauf des Jahres 2009 eingetreten, doch war der Fristbeginn hier bis zum Schluss des Jahres 2009 oder 2010 gehemmt (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB), so dass die Verjährungsfrist vorliegend gewahrt ist.
47c) Zwar hatte der Kläger bereits im Jahr 2006 nach der Aufrechnungserklärung des Beklagten Kenntnis sämtlicher seinen Anspruch begründenden tatsächlichen Voraussetzungen, die Klageerhebung war ihm aber entgegen der Auffassung des Beklagten vor dem Jahre 2009 oder 2010 nicht zumutbar, so dass der Verjährungsbeginn bis zum Schluss des Jahres 2009 oder 2010 hinausgeschoben war.
48aa) § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlangt nämlich Kenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen. Der Verjährungsbeginn setzt danach zwar grundsätzlich nicht voraus, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Jedoch ist die von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB geforderte Kenntnis des Gläubigers erst vorhanden, wenn er aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen den Schuldner eine Klage erheben kann, die bei verständiger Würdigung in einem Maße Erfolgsaussicht hat, dass sie zumutbar ist (BGH-Urteil vom 28.10.2014 XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 unter II. 2. b) bb) (2) (a) (aa) = juris, Rz. 49, m. w. N.). Das Hinausschieben des Verjährungsbeginns in Fällen zweifelhafter Rechtslage in besonders begründeten Ausnahmefällen widerspricht nicht Sinn und Zweck des Verjährungsrechts (BGH-Urteil vom 28.10.2014 XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 unter II. 2. b) bb) (2) (a) (cc) = juris, Rz. 52, m. w. N.). Das Verjährungsrecht erfordert angesichts seines Schutzzwecks eindeutige Verjährungsregeln und eine Auslegung, die die gebotene Rechtssicherheit gewährleistet; jedoch müssen Verjährungsregeln mit Rücksicht auf das verfassungsrechtlich geschützte Forderungsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) stets einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Schuldners und des Gläubigers darstellen. Dies kann in engen Grenzen Ausnahmen rechtfertigen, um dem Gläubiger eine faire Chance zu geben, seinen Anspruch geltend zu machen (BGH-Urteil vom 28.10.2014 XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 unter II. 2. b) bb) (2) (a) (cc) = juris, Rz. 52, m. w. Nachw.). Dem steht auch der Wille des Gesetzgebers für eine Anwendung der von der Rechtsprechung zu § 852 BGB a.F. entwickelten Grundsätze nicht entgegen (BGH-Urteil vom 28.10.2014 XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 unter II. 2. b) bb) (2) (a) (dd) = juris, Rz. 53, m. w. N.).
49Entgegen der Annahme des Beklagten ist der Anwendungsbereich der Rechtsprechungsgrundsätze des BGH zum Hinausschieben des Verjährungsbeginns bei unklarer und zweifelhafter Rechtslage nicht auf Fälle beschränkt, in denen - wie bei Notar- oder Amtshaftungsansprüchen - Unsicherheit über die Person des Schuldners besteht (st. Rspr., vgl. nur BGH-Urteil vom 28.10.2014 XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 unter II. 2. b) bb) (2) (b) = juris, Rz. 54, mit umfangreichen Nachw. der Rspr. und der Literatur). Zumutbar ist die Klageerhebung nach allgemeinen Grundsätzen des BGH erst, sobald sie erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist (st. Rspr. des BGH, vgl. nur BGH-Urteil vom 28.10.2014, XI ZR 348/13 BGHZ 203, 115 unter II. 2. b) bb) (2) (b) = juris, Rz. 54, m. w. N). Einer Zumutbarkeit der Klageerhebung insbesondere steht eine ältere, bis dahin ständige Rechtsprechung eines Bundesgerichts bis zu einer Rechtsprechungsänderung entgegen (vergleiche BGH-Urteil vom 28.10.2014 XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 unter II. 2. b) bb) (2) (c) (aa) = juris, Rz. 56 ablehnend z.B. AG Köln, Urteil vom 22.6.2015 142 C 641/14, juris; Wardenbach, BB 2015, 2).
50bb) Der erkennende Senat sieht keine durchgreifenden Gesichtspunkte, die der Übertragung dieser Rechtsprechungsgrundsätze des BGH zur Unzumutbarkeit der Klageerhebung bei anspruchsfeindlicher Rechtsprechung auf den Streitfall entgegenstehen. Der Einwand des Beklagten, die Rechtsprechung des BGH beziehe sich nur auf schuldrechtliche Verhältnisse, verfängt nicht. Ob sich der Insolvenzverwalter gegen die Aufrechnung durch einen Privatgläubiger oder durch den Fiskus wendet, kann wegen der Verknüpfung beider Fallgestaltungen in der Frage der Verjährungsfristen nach dem BGB (beim Privatgläubiger direkt anwendbar, beim Fiskus analog) keinen Unterschied machen.
51d) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Ausnahmefalles einer unklaren und zweifelhaften Rechtslage liegen im Streitfall vor. Eine gerichtliche Geltendmachung der Anfechtung der Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO war dem Kläger nicht vor dem Jahr 2009 oder 2010 zumutbar.
52Dabei kann der Senat offen lassen, ob eine solche Rechtsprechungsänderung durch dasjenige Bundesgericht erforderlich ist, dass nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen für die Überprüfung des behaupteten insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbots zuständig ist, oder nicht. Denn für die Prüfung eines solchen Verbots im Rahmen eines von der Finanzbehörde erteilten Abrechnungsbescheides ist der BFH zuständiges Bundesgericht. Dieser hat erst mit Urteil vom 2.11.2010 VII R 6/10 seine Rechtsprechung zur Frage des Vorliegens einer anfechtbaren Rechtshandlung beim Erstattungsanspruch aus der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters geändert und sich der Auffassung des BGH im Urteil vom 9.7.2009 IX R 86/08 angeschlossen. Dem Kläger wäre dann erst mit Veröffentlichung dieser Rechtsprechungsänderung Ende 2010 frühestens eine Klageerhebung zumutbar gewesen. Da er die vorliegende Klage 2012 erhoben hat, ist für diesen Fall die dreijährige Verjährungsfrist eingehalten.
53Wenn man bei der Frage der Zumutbarkeit der Klageerhebung auch eine Entscheidung eines Bundesgerichts ausreichen lassen würde, die der bisherigen Rechtsprechung des zuständigen Bundesgerichts entgegensteht und letztlich zu deren Aufhebung führt, wäre auf die Veröffentlichung des Urteils des BGH vom 9.7.2009 IX R 86/08 abzustellen. Darin hat BGH als „sachfremdes Gericht das zur materiell-rechtlichen Entscheidung allein wegen § 17a Abs. 5 GVG berufen war“ (Jäger, juris PR-Steuer R 9/2011, Anm. 5) entgegen der bisherigen BFH-Rechtsprechung zur o.g. Sachverhaltskonstellation entschieden. Dann wäre es dem Kläger zwar bereits ab dem Jahr 2009 zumutbar gewesen, seinen Anspruch durchzusetzen, doch ist auch für diesen Fall durch die Klageerhebung in 2012 die dreijährige Verjährungsfrist gewahrt.
54III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--.
55IV. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die Frage des Beginns der Verjährungsfrist bei der Geltendmachung der insolvenzrechtlichen Wirkung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO bei Unzumutbarkeit der Klageerhebung wegen anspruchsfeindlicher Rechtsprechung hat grundsätzliche Bedeutung.