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Der Einkommensteuerbescheid 2010 vom 28.06.2011 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 09.03.2012 unter Berücksichtigung von außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von insgesamt 12.527 € geändert, wobei die Berechnung der Steuer dem Beklagten aufgetragen wird.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren des Klägers als außergewöhnliche Belastung.
3Der Kläger ist seit Februar 2010 geschieden. In der mündlichen Verhandlung vom 11.01.2010 wurde über die Scheidung und den Versorgungsausgleich verhandelt und für den Fall der rechtskräftigen Scheidung eine Scheidungsfolgenvereinbarung getroffen, in welcher die Scheidungsfolgesachen vergleichsweise beigelegt wurden. Es wurde eine Regelung über die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder getroffen, ebenso eine Regelung zum Umgangsrecht und zum Kindesunterhalt. Weitere Regelungen betrafen den Ehegattenunterhalt für die geschiedene Ehefrau, den Unterhaltsverzicht für den Zeitraum nach dem 31.12.2011 sowie das Realsplitting. Darüber hinaus einigten sich die Eheleute über den Hausrat, den Zugewinn und die Auseinandersetzung des in ihrem gemeinsamen Eigentum stehenden Einfamilienhauses. Das Urteil vom ....02.2010 betraf dementsprechend nur noch die Ehescheidung und den Versorgungsausgleich.
4Im Rahmen seiner Steuererklärung für das Streitjahr 2010 machte der Kläger außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt 12.527 € geltend. Darin enthalten waren Ehescheidungskosten in Höhe von 11.766,48 €, darunter Rechtsanwaltskosten in Höhe von 10.742,13 €. Letztere setzen sich zusammen aus außergerichtlichen Kosten für die Scheidungsfolgenvereinbarung in Höhe von 7.647,42 € sowie gerichtlichen Kosten für die Scheidung in Höhe von 1.588,65 € und für die Scheidungsfolgenvereinbarung in Höhe von 3.291,06 €. Von der sich hieraus ergebenden Summe in Höhe von 12.527,13 € wurden im Jahr 2009 geleistete Abschlagszahlungen in Höhe von 1.785 € in Abzug gebracht, so dass der vorgenannte Betrag in Höhe von 10.742,13 € verblieb.
5Im Rahmen des Steuerbescheides vom 28.06.2011 berücksichtigte der Beklagte lediglich die Rechtsanwaltskosten für die Scheidung in Höhe von 1.588,65 € mit der Begründung, dass Scheidungskosten, die im Rahmen der Vermögensebene entstanden seien, nicht berücksichtigt werden könnten.
6Den hiergegen eingelegten Einspruch, bei dem der Kläger auf die geänderte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vom 12.05.2011 (Az. VI R 42/10) hinwies, wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 09.03.2012 als unbegründet zurück: Die geänderte Rechtsprechung sei angesichts der zu erwartenden gesetzlichen Neuregelung nicht anzuwenden.
7Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger geltend macht, dass die streitigen Kosten nach der genannten neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen sein. Zwar sei es richtig, dass die in der Scheidungsfolgenvereinbarung enthaltenen Ansprüche grundsätzlich auch von den Parteien hätten außergerichtlich geregelt werden können. Allerdings hätte es hierzu speziell bei den Unterhaltsregelungen einer notariellen Urkunde bedurft, weil ansonsten eine Vollstreckung aus der Vereinbarung nicht möglich gewesen wäre. In Sachen des Kinderunterhaltes hätte auch das Jugendamt eine entsprechende Urkunde fertigen können. Eine anwaltliche Überprüfung wäre in diesem Fall allerdings ausgeblieben. Im Hinblick auf den Ehegattenunterhalt hätten die Parteien zudem eine Befristung zum 31.12.2011 und nach Ablauf dieses Datums einen wechselseitigen Verzicht vereinbart. Auch diese Regelung hätte einer notariellen Urkunde bedurft. Vor dem Scheidungsverfahren wäre eine solche Regelung ohnehin nicht möglich gewesen, weil diese mit der Scheidung obsolet geworden wäre, wenn die Scheidung innerhalb von einem Jahr nach der Vereinbarung eingereicht worden wäre. Außerdem sei die Rechtsprechung in Fragen des Unterhaltsrechts für und des Unterhaltsverzichts von geschiedenen Ehegatten kaum vorhersehbar. Ein gerichtlicher Vergleich biete demgegenüber bereits durch die Beteiligung des Familiengerichts Rechtssicherheit, weil keine Möglichkeit mehr bestehe, die einmal getroffene Regelung anzugreifen. Um Rechtssicherheit zu erhalten sei es daher zwangsläufig erforderlich gewesen, diese Positionen auch im Rahmen der Scheidungsfolgenvereinbarung in den gerichtlichen Vergleich mit einzubeziehen. Es sei auch sinnvoll gewesen, gleichzeitig Regelungen zum Zugewinnausgleich, zum Hausrat und zum schuldrechtlichen Versorgungsausgleich zu treffen, weil nur so eine Gesamtvereinbarung möglich gewesen sei. Somit seien die vom Kläger aufgewandten Kosten zwangsläufig entstanden und insofern nach § 33 EStG zu berücksichtigen.
8Der Kläger beantragt,
9den Einkommensteuerbescheid vom 28.06.2011 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 09.03.2012 zu ändern und die Einkommensteuer 2010 unter der Berücksichtigung von außergewöhnlichen Belastungen für das Scheidungsverfahren in Höhe von 12.527,13 € festzusetzen.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Er verweist zu Begründung auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
13Entscheidungsgründe
14Die Klage ist begründet.
15Der Beklagte hat den Abzug der geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren als außergewöhnliche Belastung zu Unrecht versagt.
16Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes, so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
17Während der Bundesfinanzhof (BFH) im Rahmen seiner früheren Rechtsprechung eine derartige Zwangsläufigkeit bei Kosten eines Zivilprozesses nur ausnahmsweise bei Rechtsstreiten mit existenzieller Bedeutung für den Steuerpflichtigen anerkannt hat und insbesondere bei Scheidungskosten nur die Kosten der eigentlichen Scheidung und der im so genannten Zwangsverbund nach § 623 Abs. 1 der Zivilprozessordnung a.F. stehenden Scheidungsfolgesachen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt hat mit der Begründung, dass sich die Eheleute bezüglich der sonstigen Scheidungsfolgesachen auch ohne Mitwirkung des Gerichts einigen könnten (etwa Urteil vom 09.05.1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596), hat der BFH mit Urteil vom 12.05.2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass Zivilprozesskosten (stets) als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind, wenn der Steuerpflichtige darlegen kann, dass die Prozessführung hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten habe und nicht mutwillig erschienen sei.
18Unter Anwendung dieser geänderten Rechtsprechung ist die bisher vorgenommene Unterscheidung zwischen Scheidungsfolgesachen im Zwangsverbund und sonstigen Scheidungsfolgesachen obsolet.
19Das Recht der Ehe (Eheschließung und -scheidung einschließlich der daraus folgenden Unterhalts-, Vermögens- und Versorgungsfragen) unterliegt allein dem staatlich dafür vorgesehenen Verfahren. Ein anderes, billigeres Verfahren steht Eheleuten zur Beendigung einer Ehe nicht zur Verfügung. § 623 ZPO a.F. ordnet für den Fall, dass im Zusammenhang mit der Durchführung eines Scheidungsverfahrens die Regelung einer anderen Familiensache begehrt wird (sog. Folgesachen), einen Verhandlungs- und Entscheidungsverbund zwischen der Scheidungssache und der Folgesache an. Zweck der Vorschrift ist es, den Ehegatten deutlich vor Augen zu führen, welche Wirkungen die Scheidung für sie haben wird. Auch wird der schwächere Ehegatte, der sich der Scheidung nicht mit Erfolg widersetzen kann, durch den Verhandlungs- und Entscheidungsverbund geschützt. Er kann wenigstens sicher sein, dass die Ehe nicht geschieden wird, bevor die für ihn wichtigen Fragen geregelt sind. Der Verhandlungs- und Entscheidungsverbund bewirkt einen Zwang zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Ein unter Missachtung des Verbunds gefälltes Scheidungsurteil leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Diese nicht zuletzt aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) folgenden Erwägungen werden verletzt, wenn die Möglichkeit der Abzugsfähigkeit von Ehescheidungskosten (Anwalts- und Gerichtskosten) auf Fälle des sog. Zwangsverbundes zwischen Ehescheidung und Versorgungsausgleich begrenzt wäre. Kausal für die insgesamt zu treffenden Regelungen einschließlich der vermögensrechtlichen und unterhaltsrechtlichen Beziehungen ist die Beendigung der bisher bestehenden Ehe durch die begehrte Ehescheidung. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die die Ehescheidung Begehrenden letztere durch Urteil klären oder im Vergleichswege vom Gericht beurkunden lassen. In jedem Fall ist ein mit dem Scheidungsverfahren bestehender Veranlassungszusammenhang gegeben. Jeder Ehegatte könnte diese Fragen durch Antragstellung zum Verfahrensgegenstand der Scheidungssache machen, über die insgesamt dann durch Urteil zu entscheiden wäre (FG Düsseldorf, Urteil vom 19.02.2013 10 K 2392/12 E, EFG 2013, 933).
20Unter Berücksichtigung der dargelegten, durch das Urteil des BFH vom 12.05.2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) eingeleiteten Rechtsprechungsänderung sind daher die insgesamt mit einer Ehescheidung erwachsenen Verfahrensaufwendungen, soweit sie die gesetzlich festgelegten Gebühren nicht übersteigen, als außergewöhnliche Belastung berücksichtigungsfähig.
21Sind somit die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten dem Grunde nach abzugsfähig, bestehen auch gegen deren Höhe sowie gegen die sonstigen geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen nach Aktenlage keine Einwendungen. Auch der Beklagte hat diese Kosten als unstreitig erklärt.
22Die Berechnung der danach festzusetzenden Steuer wird nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
24Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
25Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung und Fortbildung des Rechts im Hinblick auf zahlreiche bereits anhängige Revisionsverfahren zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO).