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Unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Oktober 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 12. März 2013 wird die Beklagte verpflichtet, Kindergeld für die Kinder des Klägers H (geboren am ... August 2000), D (geboren am ... Dezember 2002) und M (geboren am ... Januar 2005) ab April 2012 bis März 2013 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kindergeld für die Zeit von April 2012 bis März 2013 für die Kinder des Klägers H (geboren am ... August 2000), D (geboren am ... Dezember 2002) und M (geboren am ... Januar 2005).
3Der Kläger ist italienischer Staatsbürger und seit dem 1. April 2012 als Arbeitnehmer der A Service GmbH in Euskirchen tätig. Im Rahmen der Art. 11 ff. der Verordnung (EG) 883/2004 unterliegt der Kläger den deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit. Er hat seinen Wohnsitz in Deutschland und ist in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
4Seine Kinder leben bei der Kindesmutter in Italien, von der der Kläger dauernd getrennt lebt.
5Der Kläger leistet für die Kinder Barunterhalt.
6Weder der Kläger noch die Kindesmutter erhalten in Italien Kindergeld.
7Am 25. Juli 2012 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld für seine Kinder.
8Mit Bescheid vom 18. Oktober 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kindergeld ab. Zur Begründung führte sie aus, dass nach § 64 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum gültigen Fassung (EStG) für jedes Kind nur einer Person Kindergeld gezahlt würde. Erfüllten für ein Kind mehrere Personen die Anspruchsvoraussetzungen, so werde das Kindergeld derjenigen Personen gewährt, die das Kind in ihrem Haushalt aufgenommen habe (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).
9Nach den ihr vorliegenden Unterlagen lebten die Kinder nicht in seinem Haushalt, sondern bei der Kindesmutter in Italien. Daher könne nach § 63 Abs. 1 S. 4 EStG i.V.m. § 2 Abs. 4 S. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) keine Festsetzung des Kindergeldes an ihn erfolgen. Des Weiteren erteilte sie den Hinweis, dass die Kindesmutter Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen könne.
10Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, weder er noch die Kindesmutter erhielten für ihre Kinder italienisches Kindergeld. Die Zahlung des Kindergeldes in Italien sei an ein bestehendes Arbeitsverhältnis gekoppelt und von der Höhe des Einkommens abhängig. Sofern die Voraussetzungen vorlägen, erfolgte die Zahlung des Kindergeldes monatlich über die Gehaltsabrechnung. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Italien, sei die daran gekoppelte Steuerzahlung in Italien beendet worden. Die Kindesmutter gehe in Italien keiner Beschäftigung nach und erhalte daher auch kein Kindergeld. Da zudem sein Gehalt die Grenzen in Italien überschreite und seine in Italien lebenden Kinder von ihm wirtschaftlich abhängig seien, erhalte weder er noch die Kindesmutter Kindergeldleistung aus Italien.
11Als Rechtsgrundlage für die Kindergeldgewährung sei nicht § 64 Abs. 1 EStG anzuwenden, sondern Art. 67 ff. der Verordnung (VO) (EG) 883/2004, welche die Anspruchsvoraussetzungen für Familienleistungen regelten.
12In Art. 68 der VO (EG) 883/2004 seien die Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen aus Familienleistungen aufgeführt. Darin würde nach Ansprüchen unterschieden, die aus unterschiedlichen sowie aus denselben Gründen zu gewähren seien.
13Bei Leistungsansprüchen aus unterschiedlichen Gründen aus mehreren Mitgliedstaaten gelte nach Art. 68 Abs. 1 a VO (EG) 883/2004 folgende Rangfolge:
14- Ansprüche aufgrund einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit,
15- Ansprüche aufgrund des Bezugs von Rente,
16- Ansprüche aufgrund des Wohnortes.
17Er sei in Deutschland beschäftigt und habe seit dem 1. April 2012 einen Wohnsitz in Deutschland begründet. Er unterliege aufgrund dessen uneingeschränkt der deutschen Einkommensteuerpflicht. Des Weiteren unterliege er während seiner Beschäftigung den deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit. Die Kindesmutter und seine Kinder hätten jedoch weiterhin ihren Wohnsitz in Italien. Nach den oben genannten Regeln bestehe daher kein vorrangiger Kindergeldanspruch in Italien, da die Kindesmutter keiner Beschäftigung dort nachginge.
18In Italien könne kein Kindergeldanspruch geltend gemacht werden. Da der Anspruch aus einer Beschäftigung vorrangig sei, bestehe unter Berücksichtigung der gemachten Ausführungen lediglich in Deutschland ein Anspruch auf Kindergeld. Der Wohnsitz der Kinder in Italien könne nicht zur Versagung des Kindergeldes in Deutschland führen. Gemäß Art. 68 Satz 1 der VO (EG) 883/2004 habe eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnten, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Zusammentreffen von Ansprüchen nach Art. 68 Abs. 2 VO (EG) 883/2004, wonach nur solche nach Abs. 1 Vorrang hätten, fände nach den oben genannten Ausführung nicht statt.
19Eine Antragsberechtigung der Kindesmutter nach § 1 BKGG erfordere, dass der Berechtigte (hier die in Italien lebende Kindesmutter) in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit als Beschäftigte stehe oder eine nach § 28 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) versicherungsfreie Beschäftigung als Arbeitnehmer ausübe. Hintergrund für die Anknüpfung an die Versicherungspflicht sei, dass eine Einbeziehung von Arbeitnehmern erforderlich sei, die nach den Vorschriften der VO (EG) 883/2004 den deutschen Bestimmungen über soziale Sicherheit unterliege und in denen deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Union (EuGH) Kindergeld nach deutschem Recht zu gewähren sei.
20Wie bereits im Kindergeldantrag und der bisherigen Einspruchsbegründung dargelegt, übe die Kindesmutter weder eine Beschäftigung in Italien noch in Deutschland aus. An einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit fehle es somit, mit dem Ergebnis, dass ein Anspruch aus § 1 BKGG keinesfalls herzuleiten sei. Ein solcher scheide für die Kindesmutter somit aus.
21Mit Einspruchsentscheidung vom 12. März 2003 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Kläger erfülle die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG für einen steuerrechtlichen Kindergeldanspruch in Deutschland. Welcher Anspruch vorrangig sei, bestimme sich im Verhältnis zu den EU-Staaten nach den Regelungen der VO (EG) 883/2004 und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (DVO) (EG) Nr. 987/2009. Dieser Verordnung gingen als überstaatliche Vorschriften der deutschen Rechtsordnung vor und seien in Deutschland unmittelbar geltendes Recht (vgl. Art. 288 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union).
22Die Konkurrenz zwischen Kindergeldansprüchen in Deutschland und anderen EU-Staaten werde durch die Art. 67 und 68 VO (EG) Nr. 883/2004 aufgelöst. Der Zweck dieser Vorschrift besteht darin, funktionsgleiche Doppelleistungen in verschiedenen Staaten zu vermeiden. Hiernach habe eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen EU-Staat wohnten, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen EU-Staates, als ob die Familienangehörigen in diesem EU-Staat wohnten. Seien für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistung nach den Rechtsvorschriften mehrerer EU-Staaten zu gewähren, so sei vorrangig der Staat zuständig, in dem eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werde. Hierauf folgten die durch den Bezug einer Rente und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche (vgl. Art. 68 Abs. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004).
23Soweit die genannten Konkurrenzregelungen auf eine Erwerbstätigkeit im Sinne des Art. 68 VO (EG) Nr. 883/2004 abstellten, fielen hierunter nach dem Beschluss Nr. F1 der EU-Verwaltungskommission folgende Tätigkeiten bzw. Zeiträume:
24- die tatsächliche Ausübung einer beruflichen Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger sowie
25- die vorübergehende Unterbrechung dieser beruflichen Tätigkeit
26wegen Krankheit, Mutterschaft, Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Arbeitslosigkeit, solange Arbeitsentgelt oder andere Leistung als Renten im Zusammenhang mit diesen Versicherungsfällen zu zahlen seien, oder
während bezahltem Urlaub, Streik oder Aussperrung oder
während unbezahltem Urlaub zum Zweck der Kindererziehung, solange dieser Urlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt sei.
30Der Kläger arbeite seit April 2012 in Deutschland unterliege den deutschen Vorschriften (§ 11 Abs. 3 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004). Der Kläger und seine Ehefrau lebten getrennt. Die Ehefrau lebe in Italien mit den Kindern, arbeite nicht und habe kein Anspruch auf italienisches Kindergeld. Es bestehe Anspruch auf volles deutsches Kindergeld (Deutschland vorrangig nach § 68 VO (EG) Nr. 883/2004) nach den nationalen Bestimmungen, insoweit nicht Regelungen des Einkommensteuergesetzes entgegenstünden. Der Vorrang bezöge sich lediglich auf den Staat, nicht auf die Person, die das Kindergeld tatsächlich erhalte. Die Kindesmutter (ebenfalls antragsberechtigt) erfülle nicht die Voraussetzungen des § 62 EStG, ihr Anspruch bestehe auf der Grundlage von § 1 BKGG i.V.m. Art. 67, 68 VO (EG) Nr. 883/2004. Das Kindergeld sei dem gegenüber festzusetzen, der nach nationalem Recht vorrangig sei. Das sei vorliegend die Mutter (§ 64 Abs. 2 EStG).
31Die Zahlung von Kindergeld richte sich nach § 64 EStG. Für jedes Kind werde nur einer Person Kindergeld gezahlt (§ 64 Abs. 1 EStG). Bei mehreren Berechtigten werde das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe (vgl. § 64 Abs. 2 S. 1 EStG). Die Kinder lebten nicht im Haushalt des Klägers in Deutschland, sondern in dem alleinigen Haushalt der anderen anspruchsberechtigten Person (Kindesmutter) in Italien. Mit der anderen anspruchsberechtigten Person unterhalte der Kläger keinen gemeinsamen Haushalt. Die andere anspruchsberechtigte Person sei daher der vorrangig Berechtigte (§ 64 Abs. 1 und 2 EStG i.V.m. Art. 60 Abs. 1 S. 2 DVO (EG) Nr. 987/2009; EuGH-Urteil vom 26. November 2009 C-363/08, Slania, Slg. 2009, I-11111).
32Infolgedessen habe der Kläger keinen Anspruch auf Kindergeld in Deutschland.
33Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, aus der Bescheinigungsanlage K3 (Bl. 43-49 der FG Akte) ergebe sich, dass für die Kindesmutter in Italien kein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Er habe einen Kindergeldanspruch, da er seinen Wohnsitz seit dem 1. April 2012 in Deutschland habe und unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei, § 62 EStG. Aufgrund seiner Beschäftigung in Deutschland unterliege er den deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit. Daher könne er in Italien keinen Kindergeldanspruch geltend machen. Er habe einen Anspruch auf Gewährung deutschen Kindergelds, da seine Kinder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (Italien) wohnten, § 63 Abs.1 Satz 3 EStG. Weder ihm noch der Kindesmutter habe in Italien Kindergeld zugestanden. Ein Kindergeldanspruch scheitere entgegen den Ausführungen der Beklagten auch nicht an § 64 Abs. 1 und 2 EStG, denn eine Kindergeldberechtigung der Kindesmutter komme bereits deswegen nicht in Betracht, weil diese nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei. Die Kindesmutter habe weder im Inland einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt.
34Auch ein Anspruch der Kindesmutter nach § 1 BKGG liege nicht vor. Eine Antragsberechtigung nach § 1 BKGG erfordere, dass der Berechtigte (hier die in Italien lebende Kindesmutter) in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit stehe oder eine nach § 28 Nr. 1 SGB III versicherungsfreie Beschäftigung als Arbeitnehmer ausübe. Hintergrund für die Anknüpfung an die Versicherungspflicht sei, dass eine Einbeziehung von Arbeitnehmern erforderlich sei, die nach den Vorschriften der VO (EG) 883/2004 den deutschen Bestimmungen über soziale Sicherheit unterlägen und denen deshalb nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Kindergeld nach deutschem Recht zu gewähren sei.
35Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der Kindergeldanspruch auch nicht durch europarechtliche Regelungen ausgeschlossen. Er (der Kläger) unterliege ausschließlich den deutschen Rechtsvorschriften, da er seit April 2012 in Deutschland nichtselbständig tätig sei. Es bestehe auch keine Konkurrenz von Kindergeldansprüchen, bei der Art. 67 und 68 der VO (EG) 880/2204 zur Anwendung kommen würden. Es fehle an konkurrierenden Kindergeldansprüchen in zwei EU-Mitgliedstaaten, für die eine Rangfolge zu bestimmen wäre. Weder er noch die Kindesmutter hätten einen Anspruch auf Kindergeld in Italien, da beide keine Beschäftigung in Italien ausübten. Es bestehe folglich allein sein Anspruch auf Gewährung deutschen Kindergeldes.
36Selbst wenn eine konkurrierende Leistungssituation vorläge, wäre die nachrangige Zahlung des Unterschiedsbetrages zwischen den gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 2, 2. HS VO (EG) Nr. 883/2004 vorrangig zu gewährenden italienischen Familienleistungen (0,00 €) vor den deutschen Leistungen gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 3 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht zu versagen. Gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 3 VO (EG) Nr. 883/2004 bestehe kein Anspruch auf Zahlung eines Unterschiedsbetrags, wenn die Kinder in einem anderen Mitgliedstaat wohnten und wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst werde. Für die Beantwortung der Frage, ob der Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst werde, seien allein Vorschriften der VO (EG) Nr. 883/2004 und nicht die nationalen Regelungen der §§ 62 ff. EStG maßgeblich. Somit sei maßgeblich, aufgrund welchen Tatbestandes die berechtigte Person den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates nach den Art. 11 bis 16 der VO (EG) Nr. 883/2004 unterstellt sei. Für diese Auffassung spreche auch, dass es bei Heranziehung der nationalen Vorschriften den Mitgliedstaaten durch Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen überlassen wäre zu bestimmen, an welcher Stelle in der europarechtlichen Rangfolge sie leistungsverpflichtet sein wollten.
37Auch Art. 67 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 begründe keinen Kindergeldanspruch der Mutter der Kinder. Gemäß Art. 67 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 habe „eine Person auch für Familienangehörige, die in einem Mitgliedstaat (hier: Italien) wohnen, Anspruch auf Familienleistung nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates (hier: Deutschland), als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.“ Diese Vorschrift entspräche aber bereits der nationalen Vorschrift des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG, nach der die Kinder einer anspruchsberechtigten Person auch im EU-Ausland wohnen dürften. Für die in Italien zusammen mit ihren Kindern wohnende Mutter führe Art. 67 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 jedoch nicht zu einer Anspruchsberechtigung in Deutschland. Eine Auswahl zwischen mehreren Berechtigten i.S. des § 64 Abs. 2 EStG komme somit nicht in Betracht.
38Auch aus Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 ergebe sich nichts anderes. Demnach sei die Situation der gesamten Familie bei Anwendung von Art. 67 und 68 VO (EG) Nr. 883/2004 in einer Weise zu berücksichtigten, als fielen alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates und wohnten dort. Allerdings sei bereits der Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 nicht eröffnet, denn dieser setzte einen Anspruch im Sinne von Art. 67 oder 68 VO (EG) Nr. 883/2004 voraus. Da jedoch weder Art. 67 noch Art. 68 VO (EG) Nr. 883/2004 im Streitfall einen Kindergeldanspruch begründeten, komme eine Anwendung von Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 nicht in Betracht. Ein Anspruch auf Kindergeld bestehe vielmehr allein gemäß §§ 62 ff. EStG und damit aufgrund nationaler Vorschriften. Im Übrigen habe Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 nicht die Intention, einen unstreitig bestehenden Kindergeldanspruch dem Anspruchsinhaber bei einer hypothetischen Familienbetrachtung zu versagen. Im Ergebnis könnten anspruchsberechtigt i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG nur solche Personen sein, die selbst die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 62 Abs. 1 EStG erfüllten. Damit habe allein der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG.
39Schließlich bestünde für den im Ausland lebenden Familienangehörigen kein Bedürfnis, auf eine eigene Anspruchsberechtigung, denn Art. 68 a VO (EG) Nr. 883/2004 eröffne die Möglichkeit, auf das deutsche Kindergeld zugreifen zu können, falls es nicht für den Kindesunterhalt verwendet würde.
40Im Übrigen bestehe selbst unter Zugrundelegung der Verwaltungsauffassung ein Anspruch auf Kindergeld. Dies ergebe sich aus der schematischen Darstellung in der Durchführungsanweisung zum über- und zwischenstaatlichen Recht RV 1-7543 der Familienkasse Direktion von Januar 2010. Laut dieser Darstellung bestünde ein vorrangiger Anspruch auf Familienleistungen in Deutschland, wenn der Vater in Deutschland tätig sei und die Mutter mit den Kindern im Ausland wohne und sie dort keine Beschäftigung ausübe.
41Der Bundesfinanzhof (BFH) habe bereits mit Urteil vom 20. März 2013 XI R 37/11 (BFHE 240, 394) entschieden, dass die europarechtliche Kollisionsregelung keinen unmittelbaren Anspruch auf Kindergeld aus Unionsrecht begründe. Ein solcher Anspruch setze vielmehr voraus, dass die mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden nationalen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien. Im Übrigen beruhe die Auffassung der Beklagten auf einem unzutreffenden Rechtsverständnis der EuGH-Rechtsprechung, denn in den von der Beklagten genannten Entscheidungen seien die jeweiligen Klägerinnen nach den nationalen Vorschriften anspruchsberechtigt gewesen. Da die Kindesmutter die nationalen Voraussetzungen mangels unbeschränkter Steuerpflicht unstreitig nicht erfülle, stehe ihr auch kein Anspruch auf deutsches Kindergeld zu.
42Der Kläger beantragt sinngemäß,
43unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Oktober 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 12. März 2013 die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für seine Kinder H (geboren am ... August 2000), D (geboren am ... Dezember 2002) und M (geboren am ... Januar 2005) ab April 2012 bis März 2013 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
44Die Beklagte beantragt,
45die Klage abzuweisen.
46Diesbezüglich verweist sie auf ihre Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt sie aus, Kindergeld sei an denjenigen auszuzahlen, der nach § 64 EStG bzw. § 3 BKGG der Kindergeldberechtigte sei. Sei danach derjenige Elternteil der Kindergeldberechtigte, der selbst nicht den deutschen Rechtsvorschriften unterliege, sei nach ständiger Rechtsprechung des EuGH dennoch ihm das Kindergeld zu zahlen.
47Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
48Entscheidungsgründe
49Die Klage ist begründet. Die Ablehnung der Festsetzung des Kindergeldes mit Bescheid vom 18. Oktober 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 12. März 2013 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
50Die Beklagte hat dem Kläger zu Unrecht für seine drei Kinder H (geboren am ... August 2000), D (geboren am ... Dezember 2002) und M (geboren am ... Januar 2005) ab April 2012 bis März 2013 kein Kindergeld in gesetzlicher Höhe gewährt.
511. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bindet die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung nur bis zum Endes des Monats der Bekanntgabe des Bescheides bzw. der Einspruchsentscheidung (vgl. BFH-Urteil vom 5. Juli 2012 V R 58/10), so dass der Senat nur bis zum Monat März 2013, dem Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, über den streitigen Kindergeldanspruch entscheiden kann.
522. Dem Kläger steht für seine drei minderjährigen Kinder gemäß §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG Kindergeld für den Zeitraum April 2012 bis März 2013 in gesetzlicher Höhe (§ 66 Abs. 1 EStG) zu. Der Kläger hat seit April 2012 seinen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung --AO--) im Inland (§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 1. Fall EStG). Unerheblich ist, dass die Kinder bei der Kindesmutter in Italien leben, weil sie damit in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ihren Wohnsitz haben (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).
533. Der Kläger unterlag auch nur diesen deutschen Rechtsvorschriften, denn für Streitzeiträume ab Mai 2010 bestimmt sich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nach Art. 11 ff. der VO (EG) Nr. 883/2004, welchen Rechtsvorschriften eine Person betreffend die Familienleistungen, zu denen gemäß Art. 1 Buchst. z der VO (EG) Nr. 883/2004 auch das Kindergeld gehört, unterliegt. Der Kläger unterlag danach für den Streitzeitraum infolge seiner in Deutschland ausgeübten (nichtselbständigen) Beschäftigung nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. a VO (EG) 883/2004 nur den deutschen Rechtsvorschriften.
544. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Kindergeldanspruch des Klägers nicht nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ausgeschlossen.
55Nach dieser Vorschrift wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat.
56Zwar hat die Kindesmutter die Kinder in ihren Haushalt aufgenommen. Anspruchsberechtigt nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG bzw. § 3 Abs. 2 Satz 1 BKGG können aber nur solche Personen sein, die selbst die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG oder des § 1 Nr. 1 bis Nr. 4 BKGG erfüllen. Dies ist jedoch bei einer in Italien lebenden Kindesmutter nicht der Fall. Es bestehen insbesondere keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Kindesmutter einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) in Deutschland hatte, nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln oder nach § 1 Abs. 1 BKGG anspruchsberechtigt ist. Aufgrund dessen hat die Kindesmutter keinen eigenen Anspruch auf deutsches Kindergeld, so dass die Konkurrenzregelung nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht zur Anwendung kommt.
57Zudem zahlt der Kläger den Kindern laufenden Barunterhalt, so dass auch die Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG erfüllt sind.
585. Es besteht auch keine Anspruchskonkurrenz nach Art. 68 VO 883/2004, weil weder der Kläger noch die Kindesmutter --was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist-- einen Anspruch auf Kindergeld in Italien im Streitzeitraum haben (vgl. ausführlich hierzu Urteil des Finanzgerichts Münster vom 18. Dezember 2012 9 K 1256/11 Kg, nicht veröffentlicht, nicht rechtskräftig, Az. BFH III R 14/13).
596. Die Sache ist spruchreif. Die Beklagte ist verpflichtet dem Kläger für seine drei Kinder für den Zeitraum April 2012 bis März 2013 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
607. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
618. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.