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1. Der Beklagte wird verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid 2022 vom 12.07.2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.10.2024 dahingehend abzuändern, dass statt eines Veräußerungsgewinns aus der Veräußerung der Geschäftsanteile an der T. S. GmbH ein Verlust hieraus in Höhe von EUR ... steuerlich berücksichtigt wird. Die Berechnung der steuerlichen Auswirkungen wird dem Beklagten auferlegt.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
Tatbestand
2Die Kläger sind zusammenveranlagte Ehegatten und wenden sich gegen die Einkommensteuer 2022. Die Beteiligten streiten darüber, ob im Rahmen der Weiterveräußerung von Gesellschaftsanteilen durch den Kläger bei der Besteuerung nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sind.
3Der Kläger erwarb von A. (nachfolgend „Schenker“ genannt) mitnotariell beurkundetem Vertrag vom 00.00.2014 (Geschäftsanteilsübertragungsvertrag) unentgeltlich den Großteil – d.h. vier von fünf – der von jenem gehaltenen Geschäftsanteile an der T. S. GmbH (im Weiteren „Gesellschaft“ genannt). Die übrigen Geschäftsanteile wurden im Zeitpunkt der Übertragung von acht weiteren Gesellschaftern gehalten. Die ursprünglichen Anschaffungskosten der übertragenden Anteile des Schenkers betrugen EUR ... . Vor der Veräußerung in 2014 war der Schenker unmittelbar zu mehr als 1 % an der Gesellschaft beteiligt.
4Im Rahmen des Geschäftsanteilsübertragungsvertrags behielt sich der Schenker ein lebenslanges Nießbrauchsrecht an den übertragenen Anteilen vor (§ 3 des Übertragungsvertrags). Die Stimmrechte standen dem Kläger zu (§ 4 des Übertragungsvertrags). Er verpflichtete sich jedoch, die Stimmabgabe im Vorfeld von Gesellschafts- und Poolversammlungen mit dem Schenker zu besprechen. In Fällen, die unmittelbar die Stellung des Nießbrauchers betrafen (u.a. die Gewinnverteilung), sollte eine Einigung erzielt werden. In Situationen, in denen eine Einigung nicht erzielt werden könne, verpflichtete sich der Erwerber, das Stimmrecht nicht auszuüben.
5In dem Übertragungsvertrag wurde ferner ein (schuldrechtliches) Verfügungsverbot zu Lasten des Klägers vereinbart (§ 5 des Übertragungsvertrags). Im Übrigen enthielt der Vertrag ein Rücktrittsrecht zugunsten des Schenkers für verschiedene Konstellationen (§ 6 des Übertragungsvertrags). Ein zugunsten des Schenkers jederzeitiger bzw. ein allein von seinem Willen abhängiger Rückübertragungsanspruch wurde nicht vereinbart.
6Auf den Inhalt des Übertragungsvertrags wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
7Der Schenker war ferner Mitglied einer Pool- und Stimmbindungsvereinbarung, die im Jahr 2012 abgeschlossen worden war; auf den weiteren Inhalt wird Bezug genommen. Im Zusammenhang mit der Anteilsübertragung ist der Kläger in die Rechtsposition des Schenkers bei der Pool- und Stimmbindungsvereinbarung getreten.
8Im Jahr 2022 veräußerte der Kläger die Anteile weiter zu einem Kaufpreis vonEUR .. . Dem Kläger entstanden im Zuge dessen Veräußerungskosten, insbesondere Rechtsberatungskosten, in Höhe von EUR ... . Im Vorfeld der Veräußerung verzichtete der Schenker auf seinen Nießbrauch gegen Zahlung eines „Ablösebetrags“ von EUR ... durch den Kläger.
9Die Veräußerung in 2022 habe daher zu einem Veräußerungsverlust in Höhe vonEUR ... geführt. Diesen beziffern die Kläger wie folgt:
10Veräußerungspreis |
EUR ... |
./. Veräußerungskosten |
EUR . |
./. ursprüngliche Anschaffungskosten |
EUR ... |
./. Ablösezahlung |
EUR ... |
Summe |
./. EUR ... |
Unter Berücksichtigung des sog. Teileinkünfteverfahrens sei danach ein Verlust in Höhe von EUR ... im Einkommensteuerbescheid 2022 steuerlich zu berücksichtigen.
12Der Beklagte war hingegen der Auffassung, dass kein Verlust, sondern ein Gewinn entstanden sei. Mit Einkommensteueränderungsbescheid vom 12.07.2024 legte der Beklagte der Steuerfestsetzung einen Veräußerungsgewinn in Höhe von EUR ... zugrunde.
13Dagegen legten die Kläger Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 04.10.2024 als unbegründet zurückwies.
14Mit dagegen erhobener Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
15Die Kläger beantragen sinngemäß,
16den Einkommensteuerbescheid 2022 vom 12.07.2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.10.2024 dahingehend abzuändern, dass statt eines Veräußerungsgewinns aus der Veräußerung der Geschäftsanteile an derT. S. GmbH ein Verlust hieraus in Höhe von EUR ... steuerlich berücksichtigt wird.
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Er hält an seiner Auffassung fest, dass das wirtschaftliche Eigentum an den übertragenen Geschäftsanteilen auf den Kläger nicht bereits mit Übergang des zivilrechtlichen Eigentums in 2014, sondern erst in 2022 und zwar entgeltlich infolge der Ablösezahlung für den Verzicht des Nießbrauchs übergegangen sei. Bei der sich daran anschließenden Weiterveräußerung sei demnach – unter Außerachtlassung der ursprünglichen Anschaffungskosten des Schenkers – ein Veräußerungsgewinn in Höhe vonEUR ... entstanden.
20Unter Zugrundelegung des Teileinkünfteverfahrens sei demnach ein Veräußerungsgewinn in Höhe von EUR ... der Besteuerung zu unterwerfen.
21Der Senat hat die Steuerakten beigezogen. Auf den übersandten Verwaltungsvorgang, auf die gewechselten Schriftsätze im Gerichtsverfahren sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2025 wird Bezug genommen. Die Sache wurde in der mündlichen Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt. Auf weitere mündliche Verhandlung haben die Beteiligten verzichtet.
22Entscheidungsgründe
23Das Gericht konnte nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
24Die zulässige Klage ist begründet.
251. Der angefochtene Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten im Sinne des § 100 Abs. 1 FGO.
26Infolge der Veräußerung der Geschäftsanteile in 2022 ist kein Veräußerungsgewinn, sondern ein Veräußerungsverlust entstanden, der in Höhe von EUR ... steuerlich zu berücksichtigen ist.
27a) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war.
28Veräußerungsgewinn ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt.
29Hat der Veräußerer – wie hier der Kläger – den veräußerten Anteil innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung unentgeltlich erworben, so gilt Satz 1 entsprechend, wenn der Veräußerer zwar nicht selbst, aber der Rechtsvorgänger – wie hier der Schenker – innerhalb der letzten fünf Jahre im Sinne von Satz 1 beteiligt war.
30Entsprechend gilt nach § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG: „Hat der Veräußerer den veräußerten Anteil unentgeltlich erworben, so sind als Anschaffungskosten des Anteils die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers maßgebend, der den Anteil zuletzt entgeltlich erworben hat.“
31b) Ausgehend davon ist im Zuge der Veräußerung in 2022 ein Veräußerungsverlust in Höhe von EUR ... entstanden.
32aa) Der Schenker war an den im Jahr 2014 übertragenen Anteilen zu mehr als 1 Prozent an der Gesellschaft unmittelbar beteiligt. Der Kläger hat diese auch unentgeltlich in 2014 erworben; eine Gegenleistung erbrachte er für den Erwerb der Anteile nicht. Infolge des Übertragungsvertrags vom 00.00.2014 ist er sowohl zivilrechtlicher als auch wirtschaftlicher Eigentümer im Sinne des § 39 der Abgabenordnung (AO) geworden.
33(1) Nach § 39 Abs. 1 AO sind Wirtschaftsgüter grundsätzlich dem Eigentümer zuzurechnen. Der Übergang des zivilrechtlichen Eigentums ist zu Recht unstrittig zwischen den Beteiligten.
34Abweichend von der zivilrechtlichen Eigentümerstellung an Wirtschaftsgütern sind Wirtschaftsgüter demjenigen zuzurechnen, der die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO).
35Das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil geht nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO auf einen Erwerber über, wenn er aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann und die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte (insbesondere Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht) sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind (BFH, Urteil vom 24.01.2012, IX R 51/10, BFHE 236, 356, BStBl. II 2012, 308, Rn. 15; FG Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2013, 1 K 1143/12 E, EFG 2014, 447).
36Beim Nießbrauch besteht die Besonderheit, dass der Nießbraucher zivilrechtlich einem Gesellschafter mit der Folge einer Zurechnung nach § 39 Abs. 1 AO gleichzustellen ist, wenn der Nießbrauch die gesamte Beteiligung umfasst und ihm eine Position vermittelt, die ihm (z.B. durch ihm eingeräumte Stimmrechtsvollmachten) entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft verschafft (BGH, Beschluss vom 05.04.2011, II ZR 173/10, DStR 2011, 1475 ff., m.w.N.; BFH, Urteil vom 24.01.2012, IX R 51/10, BStBl. II 2012, 308, Rn. 17). Erst recht ist dem Nießbraucher unter diesen Voraussetzungen der Gesellschaftsanteil steuerrechtlich nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zuzurechnen. Er ist wirtschaftlicher Eigentümer, wenn er nach dem Inhalt der getroffenen Abrede alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögens- und Verwaltungsrechte) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann (BFH, Urteil vom 24.01.2012, IX R 51/10, BStBl. II 2012, 308, Rn. 18; FG Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2013, 1 K 1143/12 E, EFG 2014, 447).
37Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ist nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. Ausschlaggebend ist nicht lediglich das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und tatsächlich Bewirkte (BFH, Urteil vom 24.01.2012, IX R 51/10, BStBl. II 2012, 308, Rn. 21). Dies festzustellen, obliegt der Tatsacheninstanz (vgl. zweiter Rechtszug in einem vergleichbaren Fall, welcher dem 1. Senat des FG Düsseldorf vorgelegen hat: BFH, Urteil vom 18.11.2014, IX R 49/13, BStBl. II 2015, 224).
38(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das wirtschaftliche Eigentum auf den Kläger bereits in 2014 übergegangen. Umgekehrt formuliert: Das wirtschaftliche Eigentum ist nicht beim Schenker verblieben.
39Der Kläger hatte aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden konnte. Im Zuge der Verfügung der Geschäftsanteile durch den Schenker ist der Kläger Gesellschafter geworden. Die Anteile gelangten zivilrechtlich in sein Eigentum. Diese Rechtsposition konnte ihm nicht einseitig gegen seinen Willen entzogen werden. Dem Schenker ist kein Rückforderungsanspruch eingeräumt worden, dessen Entstehen allein von seinem Willen abhing. Die Rücktrittsrechte hingen alle davon ab, dass gewisse Umstände hinzutreten, welche vom Schenker allein nicht beeinflussbar waren.
40Nichts anderes folgt aus dem vereinbarten Veräußerungsverbot. Der Kläger konnte, da es sich lediglich um ein schuldrechtliches Verfügungsverbot im Sinne des § 137 BGB handelte, gleichwohl im Außenverhältnis zivilrechtlich wirksam als Rechtsinhaber über die Geschäftsanteile uneingeschränkt verfügen. Ein Verstoß gegen das Veräußerungsverbot hätte die zivilrechtliche Wirksamkeit der Übertragung grundsätzlich nicht beeinflussen können.
41Auch das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung waren auf den Kläger übergegangen, welche sich erst im Zuge der Veräußerung in 2022 realisiert hat, nämlich durch Realisierung und Vereinnahmung des Kaufpreises. Damit partizipierte allein der Kläger an den in der Zeit zwischen Erwerb und Veräußerung entstandenen und durch Veräußerung realisierten stillen Reserven.
42Soweit die mit den Anteilen wesentlichen verbundenen Rechte nicht auf den Kläger übergegangen waren, bedeutete dies gleichwohl nicht, dass das wirtschaftliche Eigentum beim Schenker verblieb. Zwar standen die Erträge letztlich ihm als Nießbraucher zu; dies ist jedoch für einen Nießbrauch wesensimmanent und genügt für sich genommen nicht, um einen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums zu verneinen. Andernfalls wäre der Nießbraucher stets weiterhin wirtschaftlicher Eigentümer. Die Stimmrechte waren, jedenfalls faktisch, nicht unerheblich eingeschränkt, gleichwohl hatte der Schenker weniger Rechte als der Beschenkte, sodass diese Restriktionen nicht ausreichend waren, das wirtschaftliche Eigentum als beim Schenker verbliebend anzusehen.
43Die vereinbarten Restriktionen definierten vielmehr das vom Beschenkten tatsächlich Erworbene, und zwar belastetes Eigentum, genügten je für sich aber auch in der Kumulation nicht, dass das wirtschaftliche Eigentum beim Schenker verblieb.
44bb) Infolge der Veräußerung der Anteile in 2022 ist ein Veräußerungsverlust in Höhe von EUR ... entstanden. Dieser ermittelt sich aus der Differenz zwischen Verkaufspreis (EUR ...) und ursprünglichen Anschaffungskosten des Schenkers (EUR ...), den Veräußerungskosten (EUR ...) sowie der geleisteten Ablösezahlung für den Nießbrauch (EUR ...). Die Ablösezahlung führte zu nachträglichen Anschaffungskosten des Klägers (vgl. BFH, Urteil vom 18.11.2014, IX R 49/13, BStBl. II 2015, 224). Sie stellen nicht das Entgelt für den Erwerb der Anteile dar, sondern Entgelt, um das Eigentum lastenfrei zu stellen. Das Eigentum an den Anteilen erlangte der Kläger bereits in 2014 und zwar unentgeltlich, sodass nach § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG die ursprünglichen Anschaffungskosten des Schenkers in die Bemessungsgrundlage bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns/-verlustes einzubeziehen sind. Nach dem sog. Teileinkünfteverfahren nach § 3 Nr. 40 Buchst. c) EStG ist demnach ein Verlust in Höhe von EUR ... steuerlich zu berücksichtigen.
452. Die Verpflichtung des Beklagten zur Berechnung der steuerlichen Auswirkungen folgt aus § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
463. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO und die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.