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Der Bescheid über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages und des Verspätungszuschlages vom 15.9.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8.9.2023 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen
Tatbestand:
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger mit seiner Tätigkeit als Tätowierer im Jahr 2019 der Gewerbesteuerpflicht unterliegt.
3Der Kläger ist seit 2013 als Tätowierer tätig. Das hierzu ursprünglich angemeldete Gewerbe meldete er unter dem 0.00.2018 mit dem Hinweis „freiberuflich tätig“ ab. In seiner Einkommensteuererklärung 2019 gab der Kläger einen Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit i.H.v. 36.864 Euro an. Hiervon abweichend berücksichtigte der Beklagte den Gewinn als einen solchen aus Gewerbebetrieb und setzte mit Bescheid vom 15.9.2021 den Gewerbesteuermessbetrag 2019 auf 430 Euro sowie einen Verspätungszuschlag i.H.v. 25 Euro fest.
4Hiergegen legte der Kläger am 28.9.2021 Einspruch ein und machte u.a. geltend: Er sei als Tattoodesigner sowie Tätowierkünstler tätig. Er vollbringe vorrangig schöpferische Leistungen, bei denen sich eine individuelle Anschauungsweise und Gestaltungskraft widerspiegelten und die eine gewisse künstlerische Gestaltungshöhe erreichten. Er beziehe sein Einkommen vorrangig aus seinem kreativen Schaffen und nicht aus dem Einsatz manuell-technischer Fähigkeiten, auch wenn er die Motive teilweise selbst in fertige Tattoos umsetze. Der Entwurf des Tattoo-Designs präge die Tätigkeit. Auch Auftragsarbeiten etwa im Bereich der Portraitmalerei seien Kunst. Tätowierarbeiten würden in renommierten Museen ausgestellt. Ein Kundenauftrag werde so abgewickelt, dass zunächst ein persönliches Erstgespräch zur Besprechung der Vorstellungen der individuellen Tätowierung stattfinde. Dann werde ein erster Entwurf mittels Zeichnung oder zusammengestellter Bilder erstellt, der dann erneut – einschließlich eventueller Änderungswünsche – besprochen werde. Dann werde der Entwurf mittels eines Abdrucks auf die Haut übertragen, wobei meistens Anpassungen oder Ergänzungen notwendig seien. Einige Kundenwünsche würden auch direkt auf der Haut gezeichnet und entworfen. Zuletzt erfolge die Tätowierung, wobei die einzelnen Elemente auf der Haut verbunden und Lichteinfall, Kontraste, Farbauswahl etc. im Schaffensprozess angepasst würden. Kundinnen und Kunden wählten keine Tattoos aus einem Katalog aus.
5Mit Entscheidung vom 8.9.2023 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte u.a. aus: Trotz der kreativen Komponente sei Tätowieren handwerklich, da der Schwerpunkt auf der manuell-technischen Umsetzung liege. Tattoos seien Gebrauchskunst, da durch die Direktlieferung an die Kundinnen und Kunden – anders als bei Gemälden – unmittelbar ein Gebrauchsvorteil vorliege. Gebrauchskunst zeichne sich durch Auftragsgebundenheit aus. Es handele sich nicht um zweckfreie Kunst, die zunächst ohne Auftrag und Weisung nach eigenen Vorstellungen geschaffen werde. Hieran ändere auch die eigenhändige Motivgestaltung nichts, da diese bloße Vorarbeit und für das Kunsthandwerk typisch sei und die Tätigkeit gleichwohl handwerklich geprägt bleibe. Es würden erlernbare Kenntnisse und Techniken angewandt, auch wenn einzelne Arbeitsschritte künstlerische Ausformungen erlaubten (Hinweis auf Finanzgericht – FG – Baden-Württemberg, Urteil v. 23.11.2004 – 11 K 208/04). Es fehle ein unmittelbarer Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers. Es bleibe im Sinne der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) aufgrund der Weisungen des Auftraggebers kein genügender Spielraum für eine eigenschöpferische Leistung (Hinweis auf BFH, Urteil v. 11.7.1991 – V R 33/90). Der Tätowierer lasse innerliche Bildvorstellungen des Kunden bildwerden und nicht seine eigenen. Der Kläger sei auch kein Tattoo-Designer, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (Hinweis auf Urteil v. 28.2.2007 – B 3 KS 2/07 R) künstlerisch tätig seien, da er die Motive nicht veräußere, sondern selbst in fertige Tattoos umsetze. Eine Aufspaltung in einen künstlerischen und einen handwerklichen Teil sei wirklichkeitsfremd.
6Hiergegen hat der Kläger am 6.10.2023 Klage erhoben, mit der er sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren ergänzt und vertieft. Er macht u.a. geltend: Urheberrechtlich seien Tattoos Werke der bildenden Kunst und als solche geschützt. Soweit man in der gewünschten Verschönerung der tätowierten Körperstelle eine Art Gebrauchszweck sehen wolle, sei dieser identisch mit der individuell-künstlerischen Anmutung oder untrennbar damit verbunden. Soweit das BSG das Tätowieren nicht als eigene Kunstform einordne, sei diese Auffassung abzulehnen. Der BFH habe umsatzsteuerliche Begünstigungen zwar abgelehnt, dabei aber offengelassen, ob es sich bei den Werken eines Tätowierers um Werke der bildenden Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 des Urheberrechtsgesetzes handele. Wollte man, wie der Beklagte, die handwerkliche Leistung als Schwerpunkt der Tätigkeit ansehen, so gelte dies für nahezu jede bekannte Kunstform wie Illustration, Malerei, Bildhauerei, Fotografie oder Musik. Er sei auch nicht sklavisch an die Vorgaben seiner Kundinnen und Kunden gebunden, sondern verfüge über erheblichen kreativen Freiraum. Er zeichne den ersten Entwurf aufgrund von Vorgaben in Stichwortform und nehme noch unmittelbar vor Anfertigung der Tattoos Anpassungen freihändig auf der Haut vor. Die Kunstdefinition des Beklagten führe dazu, dass auch Musiker gewerblich handelten, die auf Wunsch des Publikums bestimmte Musik spielten. Er verfüge über keinen Vorlagenkatalog, sondern schaffe jeweils Vorlagen, die nur ein einziges Mal zu einem Tattoo gestochen würden. Er habe lediglich ein Portfolio um die Qualität seiner Arbeit zu illustrieren. Teilweise arbeite er ganz ohne Vorlage. Es handele sich um nicht erlernbare Fähigkeiten. Er nehme mit den von ihm erstellten Motiven an Ausstellungen und Wettbewerben teil.
7Der Kläger hat beispielhaft Plakate und Veranstaltungshinweise von Ausstellungen und Wettbewerben übersandt, an denen er teilgenommen hat (Bl. 91 ff. der Gerichtsakte – GA –).
8Der Kläger beantragt,
91. den Bescheid über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages und des Verspätungszuschlages vom 15.9.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8.9.2023 aufzuheben;
2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er verweist auf die Einspruchsentscheidung und macht ergänzend u.a. geltend: Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit falle als reproduzierende, auftrags- bzw. weisungsgebundene Tätigkeit in den Bereich der Gebrauchskunst. Der Kläger werde aufgrund eines Werkvertrags tätig. Die hiermit verbundene Weisungsgebundenheit führe zur Verneinung einer hinreichenden schöpferischen Gestaltungshöhe. Auch bei Gewerbetreibenden wie bspw. Friseuren verbleibe ein Rest an Umsetzungsspielraum, der aber nicht zur Annahme einer künstlerischen Tätigkeit führen könne. Es sei nicht dargelegt, wie viele Arbeiten tatsächlich freihändig und ohne Vorgaben auf der Haut realisiert würden und welche Umsätze hierdurch erzielt worden seien. Die Erstellung von Tätowiervorlagen sei nach dem BFH-Beschluss vom 20.6.2011 (VII B 258/10, Rn. 9) gewerblich. Die insoweit erfolgte umsatzsteuerliche Beurteilung durch den BFH sei ein gewichtiges Indiz für die ertragsteuerliche Behandlung. Sofern die individuelle Vorlagenerstellung künstlerischer Natur sei, liege eine untrennbar verbundene, einheitliche Tätigkeit vor. Auch nach der Verkehrsanschauung verlasse der Kläger nicht das konventionelle Berufsbild des Tätowierers, der dafür beauftragt werde, Tätowierungen entsprechend den Kundenwünschen auf die Haut zu bringen.
15Entscheidungsgründe:
16Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
17I. Der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid ist dem Grunde nach rechtswidrig, da der Kläger entgegen § 2 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) im Jahr 2019 kein gewerbliches Unternehmen i.S.d. Einkommensteuergesetzes (EStG) betrieben hat. Eine gewerbliche Tätigkeit i.S.d. EStG scheidet nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG aus, da die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit nach den Umständen des Einzelfalls zu Einkünften aus selbständiger Arbeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG führt. Der Kläger ist künstlerisch tätig geworden, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG.
18Die Rechtsprechung des BFH unterscheidet im Bereich der künstlerischen Tätigkeiten zwischen zweckfreier Kunst und Gebrauchskunst. Bei ersterer bedarf es keiner Feststellung der ausreichenden künstlerischen Gestaltungshöhe; vielmehr reicht es aus, wenn den Werken nach der allgemeinen Verkehrsauffassung das Prädikat des Künstlerischen nicht abgesprochen werden kann und die Arbeiten ausschließlich auf das Hervorbringen einer ästhetischen Wirkung gerichtet sind (BFH, Beschluss v. 11.2.2021 – VIII B 30/20, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2021, 789, Rz. 4). Im Bereich der Gebrauchskunst hingegen liegt eine künstlerische Tätigkeit nur dann vor, wenn die betreffende Person eigenschöpferisch tätig wird, d.h. Leistungen vollbringt, in denen sich eine individuelle Anschauungsweise und eine besondere Gestaltungskraft widerspiegeln, und wenn diese Leistungen eine gewisse Gestaltungshöhe erreichen (BFH, Urteil v. 29.7.1981 – I R 183/79, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 1982, 22, Rn. 10; BFH, Urteil v. 27.8.2014 – VIII R 16/11, BStBl. II 2015, 996, Rn. 17).
19Ob die Voraussetzungen einer künstlerischen Tätigkeit gegeben sind, ist von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall abhängig, die das Gericht nach seiner freien Überzeugung zu beurteilen hat. Für die insoweit zu treffende Entscheidung ist der allgemeinen Verkehrsauffassung besonderes Gewicht beizulegen (BFH, Urteil v. 11.7.1991 – IV R 33/90, BStBl. II 1992, 353, Rn. 16, m.w.N.).
20Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit ist dem Bereich der zweckfreien Kunst und nicht der Gebrauchskunst zuzuordnen; als zweckfreie Kunst fällt sie unter § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG (1.). Selbst wenn man jedoch mit dem Beklagten von Gebrauchskunst ausgeht, sind die Voraussetzungen von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erfüllt (2.).
211. a) Es liegt zweckfreie Kunst vor. Es ist nicht erkennbar, welcher Gebrauchs- oder Nützlichkeitswert den von dem Kläger erstellten Tätowierungen zukommt. Diese verfolgen – nicht anders als etwa Gemälde – einen rein ästhetischen Zweck. Nach der Rechtsprechung des BFH umfasst der Bereich der Gebrauchskunst das Kunstgewerbe und das Kunsthandwerk (BFH, Urteil v. 29.7.1981 – I R 183/79, BStBl. II 1982, 22, Rn. 10). Indes werden die vom Kläger erstellten Werke von dessen Kundinnen und Kunden weder gewerblich genutzt noch handelt es sich um Gebrauchsgegenstände mit einem eigenen Nützlichkeitswert.
22Soweit der Beklagte seine Annahme, es handele sich um Gebrauchskunst, damit begründet, dass die vom Kläger erstellten Werke unmittelbar an die Kundinnen und Kunden geliefert würden, folgt der Senat dem nicht. Dieser Gesichtspunkt ändert nichts daran, dass dem jeweiligen Werk kein über den ästhetischen Genuss hinausgehender Nützlichkeitswert zukommt.
23Gleiches gilt für den Einwand, der Kläger handele auftrags- bzw. weisungsgebunden. Zwar hat der BFH die Annahme einer künstlerischen Tätigkeit mit dem Hinweis auf eine bestehende Weisungsgebundenheit verneint, dies allerdings, soweit erkennbar, innerhalb des Bereichs der Gebrauchskunst (etwa jeweils zu Werbetätigkeiten: BFH, Urteil v. 11.7.1991 – IV R 33/90, BStBl. II 1992, 353; BFH, Urteil v. 11.7.1991 – IV R 102/90, BStBl. II 1992, 413; BFH, Urteil v. 15.10.1998 – IV R 1/97, BFH/NV 1999, 465; vgl. auch Valta, in Brandis/Heuermann, § 18 EStG Rn. 95 (8/2022) und Pfirrmann, in Kirchhof/Seer, 23. Aufl. 2024, § 18 EStG Rn. 46). Die Frage der Auftrags- oder Weisungsgebundenheit eignet sich hingegen nicht als Kriterium, um zwischen zweckfreier Kunst und Gebrauchskunst zu differenzieren, da die Auftrags- oder Weisungsgebundenheit insbesondere nicht zwangsläufig dazu führt, dass dem jeweiligen Werk ein bestimmter Nützlichkeitswert zukommt. Auch weisungsgebundene bzw. Auftragsarbeiten können – wie die Tätigkeit des Klägers – frei von Gebrauchszwecken sein. Insoweit hat der Kläger schon im Einspruchsverfahren zu Recht auf Auftragsarbeiten etwa im Bereich der Portraitmalerei hingewiesen, die ebenfalls als zweckfreie Kunst einzuordnen sein können.
24Selbst wenn man dies anders sähe und der Auftrags- bzw. Weisungsgebundenheit Bedeutung für die Abgrenzung von zweckfreier Kunst und Gebrauchskunst beimäße, war der Kläger nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung des Senats (§ 96 FGO) in seiner Tätigkeit nicht derart auftrags- bzw. weisungsgebunden, dass von Gebrauchskunst auszugehen wäre. Der Kläger hat anschaulich dargelegt, dass sich seine Tätigkeit nicht etwa in der Übertragung von durch die Kundinnen und Kunden ausgewählten Motiven auf deren Haut erschöpft. Zwar verkennt der Senat nicht, dass die Kundinnen und Kunden auch nach dem Vortrag des Klägers erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der jeweiligen Motive nehmen. Dies ist angesichts dessen, dass Tätowierungen unmittelbar und dauerhaft auf der Haut aufgebracht werden, auch naheliegend. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass der Kläger die Motive zunächst unabhängig und lediglich auf der Grundlage stichwortartiger Vorgaben im Anschluss an ein persönliches Erstgespräch entwickelt. Auch bei der späteren Umsetzung der Tätowierung auf der Haut sind vom Kläger (ggf. freihändig) vorzunehmende Anpassungen etwa hinsichtlich der Kontraste und des Lichteinfalls erforderlich, die diesem einen kreativen Gestaltungsspielraum überlassen, der eigenständig ausgefüllt werden muss.
25b) Auch die übrigen Voraussetzungen für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit im Bereich der zweckfreien Kunst sind erfüllt (vgl. BFH, Beschluss v. 11.2.2021 – VIII B 30/20, BFH/NV 2021, 789, Rz. 4). Die Arbeiten sind – wie dargelegt – ausschließlich auf das Hervorbringen einer ästhetischen Wirkung gerichtet. Zudem kann ihnen zur Überzeugung des Senats nach der allgemeinen Verkehrsauffassung das Prädikat des Künstlerischen nicht abgesprochen werden. Die vorliegenden exemplarischen Abbildungen der durch den Kläger geschaffenen Werke (Bl. 124 ff. GA) zeugen von einer individuellen Gestaltungskraft, die von der Verkehrsauffassung – nicht anders als klassische grafische Kunstformen wie die Malerei – als künstlerisch verstanden wird. Dafür spricht auch, dass der Kläger nach seinen Angaben an verschiedenen Ausstellungen und Messen u.a. zum Thema Tätowierungen teilgenommen hat; dies wird durch die hierzu übersandten Plakate und Veranstaltungsankündigungen (Bl. 91 ff. GA) untermauert.
26c) Es kann offenbleiben, ob der Prozess der Umsetzung der Tätowierung auf der Haut bei isolierter Betrachtung gewerblicher Natur wäre. Denn eine solche Differenzierung zwischen einem künstlerischen Prozess der Erstellung individueller Vorlagen und einem handwerklichen Prozess der Umsetzung der Tätowierung ist nicht vorzunehmen.
27Übt eine Person sowohl eine künstlerische als auch eine gewerbliche Tätigkeit aus, so ist nach der Rechtsprechung des BFH zu unterscheiden, ob es sich um trennbare Tätigkeiten handelt oder nicht. Sind die verschiedenen Tätigkeiten nach der Verkehrsauffassung ohne Schwierigkeiten zu trennen, so können sie steuerlich getrennt beurteilt werden, und zwar auch dann, wenn sachliche und wirtschaftliche Bezugspunkte zwischen den verschiedenen Tätigkeiten bestehen. Sind allerdings bei einer Tätigkeit die verschiedenen Tätigkeitsarten derart miteinander verflochten, dass sie sich gegenseitig unlösbar bedingen, so liegt eine einheitliche Tätigkeit vor, die steuerlich danach zu qualifizieren ist, ob das künstlerische oder das gewerbliche Element vorherrscht (BFH, Urteil v. 30.3.1994 – I R 54/93, BStBl. II 1994, 864, Rn. 14). Wird gegenüber einem Auftraggeber oder einer Auftraggeberin ein einheitlicher Erfolg geschuldet, so ist auch die zur Durchführung des Auftrags erforderliche Tätigkeit regelmäßig als einheitliche zu beurteilen (BFH, Urteil v. 30.3.1994 – I R 54/93, BStBl. II 1994, 864, Rn. 14). Nach Maßgabe dieser Grundsätze liegt, was auch der Beklagte nicht bestreitet (S. 6 der Einspruchsentscheidung, Bl. 104 GA; Bl. 116 GA), eine einheitliche Tätigkeit vor. Der Kläger tätowiert die von ihm erstellen Motive selbst auf die Haut der Kundinnen und Kunden und schuldet dementsprechend einen einheitlichen Erfolg. Er hat hierzu auch nachvollziehbar dargelegt, dass noch im Prozess des Tätowierens Anpassungen erforderlich sein können (siehe bereits oben) und dass teilweise auch Tätowierungen gänzlich ohne Vorlage erstellt werden. Bei der demnach einheitlich zu betrachtenden Tätigkeit überwiegt, selbst wenn man von einem gewerblichen, manuell-technischen Teilbereich ausgeht, der künstlerische Teil. Denn nach der Verkehrsanschauung ist die Leistung des Klägers vorrangig durch dessen kreative Tätigkeit, die sich durch die Arbeitsabläufe von der Vorlagenerstellung bis zur Umsetzung der Tätowierung zieht, geprägt. Demgegenüber tritt der handwerkliche Aspekt der Tätigkeit in den Hintergrund. Aus diesen Gründen unterscheidet sich die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit auch maßgeblich von dem Sachverhalt, der dem Beschluss des BFH vom 20.6.2011 (VII B 258/10, BFH/NV 2011, 2141) zugrunde lag und in dem es um die isolierte Erstellung von Tätowiervorlagen ging. Hinzu kommt, dass die dortigen umsatzsteuerrechtlichen Erwägungen sich nicht auf die hiesige Frage der gewerbesteuerrechtlichen Behandlung übertragen lassen.
282. Selbst wenn man die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit nicht dem Bereich der zweckfreien Kunst, sondern der Gebrauchskunst zuordnet, handelt es sich um eine künstlerische Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Satz 2 EStG. Dies setzt voraus, dass der Kläger eigenschöpferisch tätig wird, d.h. Leistungen vollbringt, in denen sich eine individuelle Anschauungsweise und eine besondere Gestaltungskraft widerspiegeln, und dass diese Leistungen eine gewisse Gestaltungshöhe erreichen (BFH, Urteil v. 29.7.1981 – I R 183/79, BStBl. II 1982, 22, Rn. 10; BFH, Urteil v. 27.8.2014 – VIII R 16/11, BStBl. II 2015, 996, Rn. 17). Diese Voraussetzungen erfüllt die konkrete Tätigkeit des Klägers. Die beispielhaft übersandten Abbildungen von Werken des Klägers sowie dessen Beschreibung der Arbeitsabläufe – insbesondere die freie, im Ausgangspunkt nur auf stichwortartigen Vorgaben beruhende Entwicklung der Motive – belegen zur Überzeugung des Senats hinreichend, dass in den Werken eine individuelle Anschauungsweise und eine besondere Gestaltungskraft zum Ausdruck kommen. Die Werke weisen auch eine hinreichende Gestaltungshöhe auf; insbesondere ist ohne Weiteres erkennbar, dass eine schöpferische Leistung vorliegt, die deutlich über den im Wesentlichen erlernbaren, manuell-technischen Prozess der Tätowierung hinausgeht. Auch die grundsätzlich bestehende Bindung an die Vorstellungen der Kundinnen und Kunden steht aufgrund der konkreten Arbeitsabläufe der Annahme einer eigenschöpferischen Tätigkeit des Klägers nicht entgegen; insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. In Anbetracht der Gesamtumstände des Falles würde die Verneinung einer eigenschöpferischen Tätigkeit der Einordnung der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit als – insbesondere im Vergleich zu anderen Teilen bildender Kunst – niedere Kunstform gleichkommen; eine solche Differenzierung zwischen höherer und niederer Kunst ist indes nicht zuletzt aufgrund der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland verankerten Kunstfreiheit unzulässig (BFH, Urteil v. 23.9.1998 – XI R 71/97, BFH/NV 1999, 460, Rn. 15 f.; Brandt, in Herrmann/Heuer/Raupach, § 18 EStG Rn. 104 (2/2020)).
29II. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlages war mangels Pflicht zur Abgabe einer Steuerklärung rechtswidrig. Für den Veranlagungszeitraum 2019 ist § 152 der Abgabenordnung (AO) in der Fassung vom 1.1.2017 anzuwenden, Art. 97 § 8 Abs. 4 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur AO. Da die Erklärung zur Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages (§ 14a Satz 1 GewStG) auf ein Kalenderjahr (§ 14 Satz 1, Satz 2 GewStG) bezogen ist, richtet sich die Festsetzung eines Verspätungszuschlages nach § 152 Abs. 2 AO, der indes ebenfalls die Verpflichtung zur Erklärungsabgabe voraussetzt (Rosenke in BeckOK AO, § 152 AO Rz. 360 (10/2024)). Der Kläger war aus den o.g. Gründen nicht Steuerschuldner i.S.d. § 5 GewStG und daher auch nicht nach § 14a Satz 1 GewStG i.V.m. § 149 Abs. 1 Satz 1 AO abgabepflichtig. Er ist auch unstreitig nicht i.S.d. § 149 Abs. 1 Satz 2 AO zur Erklärungsabgabe aufgefordert worden.
30III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Der Senat lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.