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Das Verfahren wird ausgesetzt.
Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Artikel 267 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung zu folgender Frage ersucht:
Scheidet eine Verzinsung nach unionsrechtlichen Grundsätzen auf Grund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union aus, wenn eine Behörde die Gewährung einer nach einzelstaatlichem Recht vorgesehenen Steuerbegünstigung mit der Begründung abgelehnt hat, dass das betreffende Energieerzeugnis nicht zu dem begünstigten Zweck und damit nicht zu einem doppelten Verwendungszweck im Sinne des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. EU L 283/51) verwendet worden sei?
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Gründe
2I.
31. Die Klägerin betrieb Kohlemahlanlagen zur Herstellung von Kohlestaub durch das Mahlen und Trocknen von Rohkohle. Hierzu verwendete sie versteuertes Erdgas. Das durch das Verbrennen des Erdgases erzeugte Rauchgas verwendete sie nicht nur dazu, um die thermische Energie zu nutzen, sondern auch, um ein Inertgas zu erzeugen, das einen explosionsschutzsicheren Betrieb der Anlage gewährleistete.
2. Das beklagte Hauptzollamt zahlte an die Klägerin für die Verwendung des Erdgases antragsgemäß eine Steuerentlastung nach § 51 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe d des deutschen Energiesteuergesetzes (EnergieStG) von ... Euro für das Kalenderjahr 2012 aus.
3. Im Anschluss an eine Außenprüfung forderte das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 7. Februar 2014 die gemäß § 51 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe d EnergieStG seiner Ansicht nach zu Unrecht gewährte Steuerentlastung in Höhe von ... Euro zurück. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Sie entrichtete den zurückgeforderten Betrag am 25. Februar 2014 an das beklagte Hauptzollamt.
4. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin beim Finanzgericht am 19. Oktober 2017 Klage gegen den Bescheid vom 7. Februar 2014.
5. Der erkennende Senat hob mit Urteil vom 30. Oktober 2019 den Bescheid vom 7. Februar 2014 auf, weil das Erdgas nicht nur zum Verheizen, sondern in erster Linie zur Erzeugung des Inertgases verwendet worden sei und dies einen doppelten Verwendungszweck im Sinne des § 51 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe d EnergieStG sowie des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96/EG (Richtlinie 2003/96) des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. EU L 283/51) dargestellt habe. Auf die Revision des beklagten Hauptzollamts hob der deutsche Bundesfinanzhof das Urteil des Senats vom 30. Oktober 2019 auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht Düsseldorf zurück. Der erkennende Senat hob alsdann mit Urteil vom 8. März 2023 den Bescheid vom 7. Februar 2014 erneut auf. Das Urteil wurde rechtskräftig. Das beklagte Hauptzollamt erstattete der Klägerin daraufhin mit Bescheid vom 17. Mai 2023 Energiesteuer vom ... Euro und setzte Prozesszinsen zu ihren Gunsten fest.
6. Die Klägerin beantragte im Mai 2023 beim beklagten Hauptzollamt, für den von ihr auf Grund des Bescheids vom 7. Februar 2014 zurückgezahlten Betrag von dem Zeitpunkt seiner Entrichtung bis zur Erhebung der Klage beim Finanzgericht Zinsen festzusetzen. Das lehnte das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 22. November 2023 ab. Eine Festsetzung von Zinsen sei nach § 236 der deutschen Abgabenordnung (AO) lediglich für den Zeitraum ab dem Eintritt der Rechtshängigkeit vorgesehen. Eine Verzinsung nach unionsrechtlichen Grundsätzen auf Grund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) scheide gleichfalls aus. Die Steuerentlastung nach § 51 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe d EnergieStG habe ihren Ursprung nicht im Unionsrecht, weil Artikel 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96 die Verwendung von Energieerzeugnissen zu einem doppelten Verwendungszweck von dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausnehme.
7. Das beklagte Hauptzollamt wies den von der Klägerin hiergegen eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.
8. Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Wenn auch die Steuerentlastung nach § 51 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe d EnergieStG gemäß Artikel 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96 von dem Anwendungsbereich der Richtlinie nicht erfasst werde, ändere das nichts daran, dass § 51 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe d EnergieStG insgesamt unionsrechtlich geprägt sei. Den Mitgliedstaaten bleibe es trotz der Ausnahmevorschrift des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96 versagt, im Rahmen der einzelstaatlichen Ausgestaltung des durch die Richtlinie eröffneten Regelungsspielraums eine weitere oder erheblich andere Definition des doppelten Verwendungszwecks zu entwickeln.
9. Das beklagte Hauptzollamt trägt vor: Der Klägerin stehe über die bereits festgesetzten Prozesszinsen hinaus kein Anspruch auf Festsetzung weiterer Zinsen zu. Der Umstand, dass die einzelstaatliche Entlastungsvorschrift des § 51 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe d EnergieStG zunächst fehlerhaft angewendet worden sei, stelle keinen Verstoß gegen das Unionsrecht dar.
II.
2210. Für die Entscheidung über die Vorlagefrage ist folgende Bestimmung des deutschen Energiesteuergesetzes vom 15. Juli 2006 (Bundesgesetzblatt Teil I, 2006 Seite 1534; 2008 Seite 660, 1007), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 1. März 2011 (Bundesgesetzblatt Teil I, 2011 Seite 282) geändert worden ist, von Bedeutung:
§ 51 Steuerentlastung für bestimmte Prozesse und Verfahren
25(1) Eine Steuerentlastung wird auf Antrag gewährt für Energieerzeugnisse, die nachweislich … versteuert worden sind und
261. von einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes im Sinne des § 2 Nr. 3 des Stromsteuergesetzes…
27a) für die Herstellung von Glas und Glaswaren,…,
28b) für die Metallerzeugung und -bearbeitung sowie im Rahmen der Herstellung von Metallerzeugnissen für die Herstellung von …,
29c) für chemische Reduktionsverfahren,
30d) gleichzeitig zu Heizzwecken und zu anderen Zwecken als als Heiz- oder Kraftstoff,
312. für die thermische Abfall- oder Abluftbehandlung
32verheizt worden sind.
3311. Ferner ist folgende Bestimmung des deutschen Stromsteuergesetzes vom 24. März 1999 (Bundesgesetzblatt Teil I 1999, Seite 378 und 2000 Seite 147), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 1. März 2011 (Bundesgesetzblatt Teil I, 2011 Seite 282) geändert worden ist, von Bedeutung:
§ 2 Begriffsbestimmungen
36Im Sinne dieses Gesetzes sind
37…
383. Unternehmen des Produzierenden Gewerbes: Unternehmen, die dem Abschnitt C (Bergbau und Gewinnung von Steine und Erden), D (Verarbeitendes Gewerbe), E (Energie- und Wasserversorgung) oder F (Baugewerbe) der Klassifikation der Wirtschaftszweige zuzuordnen sind…;
3912. Darüber hinaus ist folgende Bestimmung der deutschen Abgabenordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (Bundesgesetzblatt Teil I, 2002 Seite 3866, 2003 Seite 61) von Bedeutung:
§ 236 Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge
42(1) Wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, so ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag … vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen…
4313. Des Weiteren ist folgende Bestimmung der deutschen Finanzgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. März 2001 (Bundesgesetzblatt Teil I, 2001 Seite 442, 2262; 2002, Seite 679), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 24. Oktober 2024 (Bundesgesetzblatt Teil I, 2024, Nr. 328), von Bedeutung:
§ 110 Rechtskraft der Urteile
46(1) Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,
471. die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger,…
48Die gegen eine Finanzbehörde ergangenen Urteile wirken auch gegenüber der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, der die beteiligte Finanzbehörde angehört…
49III.
5014. Der Senat setzt das Klageverfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem EuGH gemäß Artikel 267 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die im Tenor formulierte Frage zur Vorabentscheidung vor.
15. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob eine Verzinsung nach unionsrechtlichen Grundsätzen auf Grund der Rechtsprechung des EuGH ausscheidet, wenn eine Behörde die Gewährung einer nach einzelstaatlichem Recht vorgesehenen Steuerbegünstigung mit der Begründung abgelehnt hat, dass das betreffende Energieerzeugnis nicht zu dem begünstigten Zweck und damit nicht zu einem doppelten Verwendungszweck im Sinne des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96 verwendet worden sei.
16. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat der Einzelne, wenn ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen Unionsrecht Abgaben erhoben hat, einen Anspruch auf Erstattung nicht nur der zu Unrecht erhobenen Abgaben, sondern auch der Beträge, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Abgabe an diesen Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Darunter fallen auch Zinsen auf Grund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen (EuGH, Urteile vom 18. Januar 2017, Wortmann, C-365/15, ECLI:EU:C:2017:19 Randnr. 37; vom 22. Februar 2024, Gemeente Dinkelland, C-674/22, ECLI:EU:C:2024:147 Randnr. 30 f.).
17. Nach diesen Grundsätzen besteht ein Anspruch auf Verzinsung auch dann, wenn eine zu Unrecht erhobene Verbrauchsteuer auf der Grundlage einer nach der Richtlinie 2003/96 vorgesehenen fakultativen Steuerbegünstigung entrichtet wurde, weil der Steuerpflichtige auch in diesem Fall nicht über den entrichteten Betrag verfügen konnte und dieser Liquiditätsnachteil auszugleichen ist (EuGH, Urteil vom 9. September 2021, Hauptzollamt B, C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716 Randnr. 36).
18. Im Streitfall liegt keine nach der Richtlinie 2003/96 vorgesehene fakultative Steuerbegünstigung vor. Die einzelstaatliche Steuerentlastungsvorschrift des § 51 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe d EnergieStG beruht zudem auf der durch die Ausnahmevorschrift des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96 dem deutschen Gesetzgeber eingeräumten Regelungsbefugnis. Das könnte dafür sprechen, dass eine unrichtige Anwendung des § 51 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe d EnergieStG keinen Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt.
19. Andererseits hat das beklagte Hauptzollamt die Rückforderung der Steuerentlastungsbeträge mit dem Bescheid vom 7. Februar 2014 darauf gestützt, dass die Verwendung des Erdgases in den von der Klägerin betriebenen Kohlemahlanlagen keinen doppelten Verwendungszweck im Sinne des § 51 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe d EnergieStG dargestellt habe. Die Befugnis der Bundesrepublik Deutschland zum Erlass dieser einzelstaatlichen Bestimmung beruht auf Artikel 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96. Daher könnte das beklagte Hauptzollamt die Rückforderung des Steuerentlastungsbetrags gleichzeitig auf eine unzutreffende Anwendung des Unionsrechts gestützt haben. Nach Artikel 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96 gilt diese nicht für Energieerzeugnisse mit doppeltem Verwendungszweck. Nur unter diesen Voraussetzungen sind die Mitgliedstaaten befugt, Energieerzeugnisse nicht zu besteuern (EuGH, Beschluss vom 17. Dezember 2015, YARA Brunsbüttel, C-529/14, ECLI:EU:C:2015:836 Randnr. 30).
20. Indem das beklagte Hauptzollamt das Vorliegen eines doppelten Verwendungszwecks verneint hat, könnte es die Ausnahmevorschrift des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96 zu eng und damit den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/96 mit der Konsequenz der unzutreffenden Annahme einer Besteuerungspflicht zu weit ausgelegt haben. Dies könnte einen Verstoß des beklagten Hauptzollamts gegen das Unionsrecht mit der Folge dargestellt haben, dass auch nach unionsrechtlichen Grundsätzen eine Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen besteht. Hierfür spricht nach Auffassung des Senats, dass der EuGH bereits mehrfach Entscheidungen zur Auslegung des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96 erlassen hat (EuGH, Urteil vom 2. Oktober 2014, X, C-426/12, ECLI:EU:C:2014:2247; Beschluss vom 17. Dezember 2015, YARA Brunsbüttel, C-529/14, ECLI:EU:C:2015:836).
21. Ein solcher Verstoß des beklagten Hauptzollamts gegen das Unionsrecht könnte in dem vorliegenden Verfahren auch nicht mehr in Frage gestellt werden. Der erkennende Senat hat mit seinem Urteil vom 8. März 2023 den Bescheid vom 7. Februar 2014 aufgehoben, weil das Erdgas nicht nur zum Verheizen, sondern in erster Linie zur Erzeugung des Inertgases verwendet worden sei und dies einen doppelten Verwendungszweck im Sinne des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96 dargestellt habe. Das Urteil ist rechtskräftig geworden und deshalb für die Beteiligten bindend (§ 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der deutschen Finanzgerichtsordnung). Diese Bindungswirkung der Rechtskraft eines Urteils eines einzelstaatlichen Gerichts ist grundsätzlich auch bei der Anwendung von Unionsrecht zu beachten (EuGH, Urteil vom 16. Januar 2025, Baltic Container Terminal, C-376/23, ECLI:EU:C:2025:20 Randnr. 80).
22. Unbeschadet dessen könnte auch deshalb ein Verstoß des beklagten Hauptzollamts gegen das Unionsrecht vorgelegen haben, weil die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Ausnahmevorschrift des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe b zweiter Anstrich der Richtlinie 2003/96 von ihrem Besteuerungsrecht nur unter Beachtung des Unionsrechts Gebrauch machen dürfen (EuGH, Urteile vom 5. Juli 2007, Fendt Italiana, C-145/06 und 146/06, ECLI:EU:C:2007:411 Randnr. 41; vom 2. Oktober 2014, X, C-426/12, ECLI:EU:C:2014:2247 Randnr. 30).