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Das Verfahren wird ausgesetzt.
Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Artikel 267 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung zu folgenden Fragen ersucht:
1. Sind die Artikel 7 Absatz 1 und 2 Buchstabe a, 20 Absatz 2 und 30 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG dergestalt auszulegen, dass sie der Anwendung einer einzelstaatlichen Vorschrift entgegenstehen, nach der bei Beförderungen von verbrauchsteuerpflichtigen Waren unter Steueraussetzung in ein Steuerlager in einem Mitgliedstaat, die der Inhaber des Steuerlagers unter Steueraussetzung in ein anderes Steuerlager in dem betreffenden Mitgliedstaat oder in den Betrieb eines gewerblichen Verwenders in dem betreffenden Mitgliedstaat weiterbefördert, die Waren als in das Steuerlager des Inhabers des Steuerlagers aufgenommen und zugleich entnommen gelten, sobald dieser in dem betreffenden Mitgliedstaat an den Waren Besitz erlangt hat und der Inhaber des Steuerlagers deshalb ein weiteres Steueraussetzungsverfahren eröffnen muss?
2. Ist Artikel 27 Absatz 1 und 2 der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke dergestalt auszulegen, dass der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Versagung einer danach vorgesehenen Steuerbefreiung entgegensteht, weil in Anwendung der zu 1. genannten einzelstaatlichen Vorschrift für eine fiktive Weiterbeförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Verfahren der Steueraussetzung kein weiterer Entwurf eines elektronischen Verwaltungsdokuments übermittelt wurde oder bei der Beförderung in einem Mitgliedstaat in Betriebe von gewerblichen Verwendern kein Begleitdokument oder Handelspapier mit dem Hinweis verwendet wurde, dass der Alkohol denaturiert wurde und eine Beseitigung der Denaturierung oder Verwendung zu Trinkzwecken oder zur Herstellung alkoholhaltiger Getränke sowie der unerlaubte Handel straf- und steuerrechtliche Folge hat, obwohl der Alkohol steuerfrei gewerblich verwendet wurde oder in das Steuerlager eines Berechtigten aufgenommen wurde?
Gründe
2I.
31. Die Klägerin handelt mit Industrie- und Spezialchemikalien. Das beklagte Hauptzollamt erteilte der Klägerin mit Wirkung ab dem 21. Januar 2011 die Erlaubnis zur Lagerung von Alkohol unter Steueraussetzung. Mit dieser Erlaubnis ließ das beklagte Hauptzollamt es zu, dass die Klägerin unter Steueraussetzung beförderten Alkohol unter Steueraussetzung in andere Steuerlager im deutschen Steuergebiet oder in Betriebe von gewerblichen Verwendern im deutschen Steuergebiet weiterbefördern durfte, ohne dass der Alkohol zuvor in das der Klägerin bewilligte Steuerlager aufgenommen werden musste.
2. Die Klägerin bezog im Jahr 2016 von Lieferanten in Belgien, Frankreich, Polen und Deutschland 175 Lieferungen mit insgesamt 4.804.093,982 Liter Alkohol, den sie teilweise selbst an Kunden in Deutschland weiterverkaufte, welche den Alkohol zu steuerfreien Zwecken verwendeten oder in ein ihnen bewilligtes Steuerlager aufnahmen. Teilweise verkaufte die R. GmbH (R. GmbH), die zu dem Konzern der Klägerin gehörte, den Alkohol an Kunden in Deutschland weiter, die den Alkohol zu steuerfreien Zwecken verwendeten. Der Alkohol wurde von den Steuerlagern der Lieferanten direkt zu den Kunden der Klägerin oder den Kunden der R. GmbH befördert, wobei die Transportaufträge regelmäßig von der Klägerin erteilt worden waren. Lediglich bei fünf Lieferungen im Umfang von insgesamt 32.979,015 Liter Alkohol waren die Transportaufträge nicht von der Klägerin, sondern von den Lieferanten des Alkohols in Belgien und Deutschland erteilt worden.
3. Die Lieferanten der Klägerin übermittelten vor dem Beginn der Beförderung des Alkohols unter Steueraussetzung Entwürfe elektronischer Verwaltungsdokumente, in denen in Feld 1 Buchstabe a als Bestimmungsort der Code 1 (Beförderung in Steuerlager) angegeben wurde. Ferner wurden regelmäßig in Feld 5 als Empfänger der Name und die Anschrift der Klägerin sowie die ihr zugeteilte Verbrauchsteuernummer angegeben. In Feld 7 wurden regelmäßig unter Buchstabe a als Ort der Lieferung die Nummer des der Klägerin bewilligten Steuerlagers sowie unter den Buchstaben b bis f der Name und die Anschrift des Kunden der Klägerin oder des Kunden der R. GmbH in Deutschland angegeben. Hiervon abweichend wurden in 22 elektronischen Verwaltungsdokumenten, die Lieferungen im Umfang von insgesamt 555.340,321 Liter Alkohol betrafen, in Feld 5 und 7 die der Klägerin zugeteilte Verbrauchsteuernummer, die Nummer des ihr bewilligten Steuerlagers sowie ihr Name und ihre Anschrift angegeben. Die von den Lieferanten übermittelten Entwürfe der elektronischen Verwaltungsdokumente wurden von den zuständigen Behörden validiert, indem ein Referenzcode zugewiesen wurde. Die Klägerin übermittelte dem beklagten Hauptzollamt nach der Ablieferung des Alkohols bei den Kunden Eingangsmeldungen.
4. Die Klägerin übermittelte für Weiterbeförderungen des Alkohols unter Steueraussetzung aus anderen Mitgliedstaaten von dem Passieren der LKW der deutschen Grenze bis zu ihren Kunden oder bis zur R. GmbH als Zwischenhändlerin Entwürfe elektronischer Verwaltungsdokumente erst, nachdem die LKW die deutsche Grenze bereits überschritten hatten oder der Alkohol bereits an ihre Kunden oder die Kunden der R. GmbH ausgeliefert worden war. Für Weiterbeförderungen des Alkohols unter Steueraussetzung aus Steuerlagern von Lieferanten im deutschen Steuergebiet übermittelte die Klägerin Entwürfe elektronischer Verwaltungsdokumente ganz überwiegend erst, nachdem der Alkohol bereits an ihre Kunden oder die Kunden der R. GmbH ausgeliefert worden war.
5. Bei einer Lieferung im Umfang von 27.980,283 Liter Alkohol, den die R. GmbH an einen Kunden in Deutschland weiterverkauft hatte, übermittelte die Klägerin den Entwurf eines elektronischen Verwaltungsdokuments für eine Weiterbeförderung des Alkohols zur R. GmbH, bevor die Ware bei dem Lieferanten abgeholt wurde. Die R. GmbH übermittelte der Zollbehörde eine Eingangsmeldung über die Ablieferung des Alkohols bei ihrem Kunden bevor der Alkohol dort eingetroffen war. Zudem stellte die Klägerin in diesem Fall erst nach der Beendigung der Beförderung des Alkohols zu dem Kunden der R. GmbH eine Rechnung mit dem in § 28 Absatz 8 Satz 1 Nr. 1 der deutschen Branntweinsteuerverordnung (BrStV) vorgesehenen Hinweis aus und übermittelte sie dem Kunden.
6. Die Klägerin stellte ferner bei zwei Lieferungen im Umfang von insgesamt 53.729,782 Liter Alkohol, den die R. GmbH an einen Kunden in Deutschland weiterverkauft hatte, erst nach dem Beginn der Beförderung des Alkohols zu dem Kunden der R. GmbH Rechnungen mit dem in § 28 Absatz 8 Satz 1 Nr. 1 BrStV vorgesehenen Hinweis aus.
7. Bei Lieferungen im Umfang von insgesamt 4.196.717,774 Liter Alkohol, den die Klägerin an Kunden in Deutschland weiterverkaufte, die den Alkohol zu steuerfreien Zwecken verwendeten, übermittelte die Klägerin für eine Weiterbeförderung des Alkohols unter Steueraussetzung von dem Passieren der deutschen Grenze oder dem Verlassen des Steuerlagers der Lieferanten in Deutschland bis zu ihren Kunden keine weiteren Entwürfe elektronischer Verwaltungsdokumente. Stattdessen stellte sie Rechnungen mit dem in § 28 Absatz 8 Satz 1 Nr. 1 BrStV vorgesehenen Hinweis erst nach dem Ende der Beförderung aus und versandte diese an die Kunden. Hinsichtlich einer Lieferung von 4.991 Liter nicht denaturierten Alkohol hatte die Klägerin kein Begleitdokument nach § 28 Absatz 1 BrStV verwendet.
8. Im Anschluss an eine Außenprüfung setzte das beklagte Hauptzollamt gegen die Klägerin wegen der dargestellten Vorgänge Branntweinsteuer (Alkoholsteuer) von ... Euro fest.
9. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Einspruch wies das beklagte Hauptzollamt als unbegründet zurück und führte aus: Nach der auf Artikel 30 der Richtlinie 2008/118/EG (Richtlinie 2008/118) des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. EU L 9/12) beruhenden Vorschrift des § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV gelte die Inbesitznahme von unter Steueraussetzung befördertem Alkohol durch den Empfänger als fiktive Aufnahme in ein ihm bewilligtes Steuerlager. Gleichzeitig werde eine fiktive Entnahme aus diesem Steuerlager angenommen, die nicht zur Entstehung einer Steuer führe, wenn sich eine weitere Beförderung unter Steueraussetzung anschließe. Der Empfänger habe nach der Inbesitznahme des Alkohols in seiner Eigenschaft als neuer Versender den Entwurf eines elektronischen Verwaltungsdokuments für den weiterzubefördernden Alkohol zu übermitteln, welches das ursprüngliche elektronische Verwaltungsdokument ablöse. Anders hätte im Streitfall die Beförderung des Alkohols unter Steueraussetzung im Steuergebiet nicht erfolgen können, weil der Alkohol nicht zu der Klägerin befördert worden sei, die von den Versendern in den von ihnen übermittelten Entwürfen der elektronischen Verwaltungsdokumente als Empfängerin angegeben worden sei. Daher sei es in den Fällen, in denen die Klägerin nicht die Transportaufträge für die Beförderung des Alkohols erteilt und deshalb keinen mittelbaren Besitz an den Erzeugnissen erlangt habe, zu einer Unregelmäßigkeit während der Beförderung unter Steueraussetzung im Sinne des § 143 Absatz 2 Nr. 5 des deutschen Branntweinmonopolgesetzes (BranntwMonG) gekommen. In den übrigen Fällen habe die Klägerin die für die Weiterbeförderung des Alkohols erforderlichen Entwürfe der elektronischen Verwaltungsdokumente nicht rechtzeitig übermittelt. Ferner habe sie die Rechnungen mit dem nach § 28 Absatz 8 Satz 1 Nr. 1 BrStV vorgesehenen Hinweis verspätet ausgestellt, so dass diese Rechnungen bei der Beförderung des Alkohols nicht hätten mitgeführt werden können. Dadurch sei es zu einer Entnahme des Alkohols aus dem der Klägerin bewilligten Steuerlager gekommen, ohne dass sich ein weiteres Verfahren der Steueraussetzung angeschlossen habe (§ 143 Absatz 2 Nr. 1 BranntwMonG). Die Festsetzung der Steuer verstoße nicht gegen den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei den Erfordernissen der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Steueraussetzungsverfahren unter Verwendung elektronischer Verwaltungsdokumente und dem Mitführen von Handelspapieren mit dem nach § 28 Absatz 8 Satz 1 Nr. 1 BrStV vorgesehenen Hinweis bei Beförderungen im Steuergebiet in Betriebe von Verwendern handele es sich nicht lediglich um formelle Anforderungen, sondern um materielle Voraussetzungen für eine Beförderung unter Steueraussetzung.
10. Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: In den Fällen, in denen sie den Transportauftrag für die Beförderung des Alkohols von den Lieferanten nicht erteilt und deshalb keinen Besitz an den Waren erlangt habe, sei die Steuer bereits mit der Entnahme des Alkohols aus den Steuerlagern der Lieferanten entstanden. Jedenfalls sei der deutsche Staat hinsichtlich der Lieferung aus Belgien nicht befugt, die Steuer zu erheben, die in Belgien durch die Entnahme des Alkohols aus dem Steuerlager des dort ansässigen Lieferanten entstanden sei.
11. In den Fällen, in denen sie entgegen § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV nicht vor dem Beginn der fiktiven Weiterbeförderung des Alkohols zu den Kunden den Entwurf eines elektronischen Verwaltungsdokuments übermittelt habe, verstoße die Festsetzung der Steuer gegen den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sämtliche Kunden, an die der Alkohol geliefert worden sei, seien zur steuerfreien Verwendung oder Aufnahme des Alkohols in ein ihnen bewilligtes Steuerlager berechtigt gewesen. Das habe vor dem Beginn der Beförderung des Alkohols von den Lieferanten festgestanden. Für eine zweckwidrige Verwendung des Alkohols gebe es keine Anhaltspunkte. Die festgesetzte Steuer übersteige den Warenwert des Alkohols um ein Vielfaches. Zwar sei die Übermittlung eines Entwurfs eines elektronischen Verwaltungsdokuments eine Voraussetzung für die wirksame Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung. Im Streitfall sei die Steueraufsicht jedoch durch die von den Lieferanten übermittelten und später validierten elektronischen Verwaltungsdokumente gewährleistet gewesen, von denen Ausdrucke während der Beförderung des Alkohols mitgeführt worden seien. Anhand der Angaben in den Verwaltungsdokumenten hätte ein Zollbeamter bei einer Kontrolle feststellen können, dass es sich um ein Streckengeschäft gehandelt habe, weil der Ort des Empfängers nicht mit dem Ort der Lieferung übereingestimmt habe.
12. In den Fällen, in denen der Alkohol im Steuergebiet in Betriebe von Verwendern befördert worden sei, sei die Ausstellung von Handelspapieren mit dem in § 28 Absatz 8 Satz 1 Nr. 1 BrStV vorgesehenen Hinweis keine Voraussetzung für die Beförderung des Alkohols unter Steueraussetzung gewesen. Ein Handelspapier könne eine Steueraufsicht nicht sicherstellen, weil es nicht wie ein elektronisches Verwaltungsdokument validiert werde. Aus einem Handelspapier ergebe sich nicht, dass der Versender Inhaber eines Steuerlagers sei und der Empfänger des Alkohols eine Erlaubnis zur dessen steuerfreier Verwendung besitze. Jedenfalls verstoße die Festsetzung der Steuer auch in diesen Fällen gegen den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei einer Kontrolle der LKW durch einen Zollbeamten wären auf Grund der mitgeführten Ausdrucke der elektronischen Verwaltungsdokumente und der Frachtpapiere die erforderlichen Informationen vorhanden gewesen. In dem einzigen Fall, in dem nicht denaturierter Alkohol ohne das nach § 28 Absatz 1 BrStV erforderliche Begleitdokument befördert worden sei, sei auch dieses Erfordernis keine materielle Voraussetzung für ein Steueraussetzungsverfahren gewesen. Der Alkohol sei auch in diesem Fall zu steuerfreien Zwecken verwendet worden.
13. Das beklagte Hauptzollamt trägt vor: Ihm lägen keine Informationen über die tatsächliche Verwendung der gelieferten Erzeugnisse vor. Das sei nicht überprüft worden und auch unerheblich, weil die Steuer bereits zuvor durch die festgestellten Verstöße entstanden sei. Die Steueraufsicht sei nicht gewährleistet gewesen, weil vor der Beförderung der Erzeugnisse keine den Bestimmungen der §§ 26 Abs. 7, 28 Abs. 8 BrStV genügenden elektronischen Verwaltungsdokumente und Handelspapiere ausgestellt worden seien, welche bei der Beförderung der Waren mitgeführt worden seien. Da in Feld 7 der übermittelten elektronischen Verwaltungsdokumente keine zu den Empfängern der Erzeugnisse passende Verbrauchsteuernummer eingetragen worden sei, hätten die Versender die Richtigkeit der Angaben nicht überprüfen können. Im Übrigen seien die Steueraussetzungsverfahren nicht von den Empfängern der Waren, sondern von der Klägerin beendet worden, obwohl diese die Erzeugnisse nicht in ihr Steuerlager aufgenommen habe.
II.
3014. Für die Entscheidung über die Vorlagefragen sind folgende Bestimmungen des deutschen Branntweinmonopolgesetzes in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 612-7, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Juni 2013 (Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 1650), von Bedeutung:
§ 138 Beförderungen
33(1) Beförderungen gelten, soweit in diesem Gesetz oder in den dazu ergangenen Rechtsverordnungen keine Ausnahmen vorgesehen sind, nur dann als unter Steueraussetzung durchgeführt, wenn sie mit einem elektronischen Verwaltungsdokument nach Artikel 21 der Systemrichtlinie erfolgen...
34§ 139 Beförderungen im Steuergebiet
35(1) Erzeugnisse dürfen unter Steueraussetzung, auch über Drittländer oder Drittgebiete, befördert werden aus Steuerlagern im Steuergebiet oder von registrierten Versendern vom Ort der Einfuhr im Steuergebiet
361. in andere Steuerlager,
372. in Betriebe von Verwendern (§ 153 Absatz 1)… im Steuergebiet…
38(3) Die Erzeugnisse sind unverzüglich
391. vom Steuerlagerinhaber in sein Steuerlager oder
402. vom Verwender (§ 153 Absatz 1) in seinen Betrieb
41aufzunehmen…
42(5) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung
431. …
442. zur Verfahrensvereinfachung zuzulassen, dass Erzeugnisse, die Steuerlagerinhaber oder Verwender in Besitz genommen haben, als in ihr Steuerlager oder ihren Betrieb aufgenommen gelten, soweit Steuerbelange dadurch nicht beeinträchtigt werden.
45§ 140 Beförderungen aus anderen, in andere oder über andere Mitgliedstaaten
46(1) Erzeugnisse dürfen unter Steueraussetzung, auch über Drittländer oder Drittgebiete, befördert werden
471. aus Steuerlagern im Steuergebiet oder von registrierten Versendern vom Ort der Einfuhr im Steuergebiet
48a) in Steuerlager,
49b) in Betriebe von registrierten Empfängern… in anderen Mitgliedstaaten.
502. aus Steuerlagern in anderen Mitgliedstaaten oder von registrierten Versendern vom Ort der Einfuhr in anderen Mitgliedstaaten
51a) in Steuerlager,
52b) in Betriebe von registrierten Empfängern… im Steuergebiet;
533. durch das Steuergebiet.
54(4) Die Erzeugnisse sind unverzüglich…
554. vom Steuerlagerinhaber des empfangenden Steuerlagers in sein Steuerlager oder
565. vom registrierten Empfänger in seinen Betrieb
57im Steuergebiet aufzunehmen …
58(6) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung zur Sicherung des Steueraufkommens Vorschriften zu den Absätzen 1 bis 4, insbesondere zur Sicherheitsleistung zu erlassen; dabei kann es
591. zur Verfahrensvereinfachung zulassen, dass Erzeugnisse, die Steuerlagerinhaber oder registrierte Empfänger in Besitz genommen haben, als in ihr Steuerlager oder ihren Betrieb aufgenommen gelten, soweit Steuerbelange dadurch nicht beeinträchtigt werden…
60§ 142 Unregelmäßigkeiten während der Beförderung
61(1) Als Unregelmäßigkeit gilt ein während der Beförderung unter Steueraussetzung eintretender Fall, mit Ausnahme der in § 143 Absatz 3 geregelten Fälle, auf Grund dessen die Beförderung oder ein Teil der Beförderung nicht ordnungsgemäß beendet werden kann.
62(2) Treten während einer Beförderung von Erzeugnissen nach den §§ 139 bis 141 im Steuergebiet Unregelmäßigkeiten ein, werden die Erzeugnisse insoweit dem Verfahren der Steueraussetzung entnommen…
63§ 143 Steuerentstehung, Steuerschuldner
64(1) Die Steuer entsteht zum Zeitpunkt der Überführung der Erzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr, es sei denn, es schließt sich eine Steuerbefreiung an.
65(2) Erzeugnisse werden in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt durch:
661. die Entnahme aus dem Steuerlager, es sei denn, es schließt sich ein weiteres Verfahren der Steueraussetzung an; einer Entnahme steht der Verbrauch im Steuerlager gleich…
675. eine Unregelmäßigkeit nach § 142 während der Beförderung unter Steueraussetzung…
68§ 152 Steuerbefreiungen
69(1) Erzeugnisse sind von der Steuer befreit, wenn sie gewerblich verwendet werden
701. zur Herstellung von Arzneimitteln durch dazu nach Arzneimittelrecht Befugte, ausgenommen reine Alkohol-Wasser-Mischungen,
712. unvergällt zur Herstellung von Essig,
723. vergällt zur Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind,
734. vergällt zu Heiz- oder Reinigungszwecken oder anderen Zwecken, die nicht der Herstellung von Waren dienen,
745. unvergällt zur Herstellung von Aromen zur Aromatisierung von
75a) Getränken mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als 1,2 Volumenprozent,
76b) anderen Lebensmitteln, ausgenommen Branntwein und andere alkoholhaltige Getränke…
7715. Ferner sind folgende Bestimmungen der deutschen Branntweinsteuerverordnung vom 5. Oktober 2009 (Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 3262, 3280), zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 3. Dezember 2015 (Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 2178), von Bedeutung:
§ 26 Eingangs- und Ausfuhrmeldung bei Verwendung des elektronischen Verwaltungsdokuments, Streckengeschäft
80…
81(7) 1Ist der Empfänger bei Beförderungen von Erzeugnissen unter Steueraussetzung ein Steuerlagerinhaber im Steuergebiet, der die Erzeugnisse unter Steueraussetzung in ein anderes Steuerlager im Steuergebiet oder in den Betrieb eines Verwenders (§ 153 Absatz 1 des Gesetzes) im Steuergebiet weiterbefördert, kann das zuständige Hauptzollamt auf Antrag unter Widerrufsvorbehalt zulassen, dass die Erzeugnisse als in sein Steuerlager aufgenommen und zugleich entnommen gelten, sobald der Empfänger im Steuergebiet an den Erzeugnissen Besitz erlangt hat. 2Die Vorschriften zu den Beförderungen unter Steueraussetzung bleiben unberührt.
82§ 28 Beförderungen im Steuergebiet in Betriebe von Verwendern (1) 1Bei Beförderungen von Erzeugnissen unter Steueraussetzung in Betriebe von Verwendern (§ 153 Absatz 1 des Gesetzes) hat der Steuerlagerinhaber im Steuergebiet als Versender oder der registrierte Versender vom Ort der Einfuhr im Steuergebiet das Begleitdokument zu verwenden. 2Anstelle des Begleitdokuments kann der Versender ein Handelsdokument verwenden, das alle in dem Begleitdokument enthaltenen Angaben aufweist. 3Er hat das Handelsdokument mit der Aufschrift „Begleitdokument für die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung“ zu kennzeichnen… (7) 1Die Begleitpapiere nach Absatz 1… sind unter den Voraussetzungen des Absatzes 8 Satz 1 nicht erforderlich, soweit folgende Erzeugnisse befördert werden: 1. Branntwein, der mit den in den §§ 44 und 50 Absatz 4 und 5 genannten Vergällungsmitteln vergällt worden ist… 2Die Erzeugnisse gelten als in den Verwendungsbetrieb des Empfängers aufgenommen, sobald dieser daran Besitz erlangt hat. (8) 1Der Versender hat den in Absatz 7 genannten Erzeugnissen bei Beförderung Handelspapiere beizugeben, die gekennzeichnet sind: 1. im Fall des Absatzes 7 Satz 1 Nummer 1 mit der Aufschrift: „Dieser Branntwein ist vergällt. 2Eine Entgällung oder Verwendung zu Trinkzwecken oder zur Herstellung alkoholhaltiger Getränke sowie der unerlaubte Handel hat straf- und steuerrechtliche Folgen.“… |
III.
8416. Der Senat setzt das Klageverfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Artikel 267 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die im Tenor formulierten Fragen zur Vorabentscheidung vor.
17. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt zunächst davon ab, ob die Artikel 7 Absatz 1 und 2 Buchstabe a, 20 Absatz 2 und 30 der Richtlinie 2008/118 dergestalt auszulegen sind, dass sie im Streitfall der Anwendung einer einzelstaatlichen Vorschrift wie der des § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV entgegenstehen.
18. In den Fällen, in denen die Klägerin nicht die Transportaufträge für die Beförderung des Alkohols zu den Kunden erteilt hatte, könnte die Steuer gemäß § 143 Absatz 2 Nr. 5 BranntwMonG durch eine Unregelmäßigkeit während der Beförderung des Alkohols (§ 142 Absatz 1 und 2 BranntwMonG) entstanden sein. Für die Beförderung des Alkohols von den Steuerlagern der Lieferanten zu den Kunden der Klägerin war das elektronische Verwaltungsdokument zu verwenden (Artikel 21 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118; § 138 Absatz 1 BranntwMonG). Das haben die Lieferanten der Klägerin unstreitig verwendet. Gleichwohl könnte eine Unregelmäßigkeit während der Beförderung des Alkohols anzunehmen sein, wenn die Klägerin nach § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV den Alkohol vor der Auslieferung an die Kunden zunächst fiktiv in ihr Steuerlager hätte aufnehmen und zugleich wieder entnehmen müssen. Hierzu hätte sie im Steuergebiet Besitz an dem Alkohol erlangen müssen. Mittelbaren Besitz hat nach deutschem Recht bei einer Beförderung von Waren derjenige erlangt, der den Transportauftrag erteilt hat (deutscher Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. Januar 2024 I ZR 205/22, EuGH Rs. C-76/24 Randnr. 37). Da die Klägerin die Transportaufträge in den vorgenannten drei Fällen nicht erteilt hatte, konnte sie an dem direkt zu ihren Kunden beförderten Alkohol keinen mittelbaren Besitz erlangen, so dass es gemäß § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV nicht zu einer fiktiven Aufnahme in ihr Steuerlager und Entnahme des Alkohols aus ihrem Steuerlager kommen konnte.
19. Anders als die Klägerin meint, ist in den vorgenannten Fällen nicht bereits zuvor mit dem Beginn der Beförderung des Alkohols aus den Steuerlagern der Lieferanten die Steuer nach Artikel 7 Absatz 1 und 2 Buchstabe a der Richtlinie 2008/118 und § 143 Absatz 2 Nr. 1 BranntwMonG entstanden. Vielmehr hat sich an die Entnahme des Alkohols aus den Steuerlagern der Lieferanten ein Verfahren der Steueraussetzung angeschlossen (Artikel 20 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118), so dass es zu diesem Zeitpunkt nicht zu einer Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr (Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118) gekommen ist. Die Beförderung des Alkohols von den Steuerlagern der Lieferanten der Klägerin zu ihren Kunden erfolgte unter Steueraussetzung unter Verwendung elektronischer Verwaltungsdokumente (Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe a Ziff. i., 21 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118; § 138 Absatz 1 BranntwMonG). § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV stellt für die Fiktion der Aufnahme in das Steuerlager und Entnahme der Erzeugnisse aus dem Steuerlager des Empfängers auf den nach dem Beginn der Beförderung liegenden späteren Zeitpunkt der Erlangung des Besitzes des Empfängers an den Erzeugnissen ab („sobald“).
20. In den übrigen Fällen, in denen die Klägerin die Entwürfe der elektronischen Verwaltungsdokumente für die fiktive Weiterbeförderung des Alkohols unter Steueraussetzung zu ihren Kunden oder den Kunden der R. GmbH nach dem Passieren der LKW der deutsche Grenze, nach der Beendigung oder in einem Fall vor dem Beginn der Beförderung übermittelt hat, in denen sie Rechnungen mit dem in § 28 Absatz 8 Satz 1 Nr. 1 BrStV vorgesehenen Hinweis und in einem Fall das Begleitdokument (§ 28 Absatz 1 Satz 1 BrStV) erst nach der Beendigung der Beförderung ausgestellt hat, könnte die Steuer gleichfalls durch eine Unregelmäßigkeit während der Beförderung nach § 143 Absatz 2 Nr. 5 BranntwMonG entstanden sein.
21. Eine Unregelmäßigkeit während der Beförderung unter Steueraussetzung (§ 143 Absatz 2 Nr. 5 BranntwMonG) läge allerdings nicht vor, wenn die Klägerin den im Steueraussetzungsverfahren beförderten Alkohol nicht vor der Weiterbeförderung zu ihren Kunden oder den Kunden der R. GmbH gemäß § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV fiktiv in ihr Steuerlager hätte aufnehmen und zugleich wieder entnehmen müssen. Das wäre dann der Fall, wenn diese Bestimmung gegen Unionsrecht verstößt und deshalb im Streitfall nicht anwendbar wäre.
22. Unionsrechtliche Rechtsgrundlage für die einzelstaatlichen Regelungen der §§ 139 Absatz 5 Nr. 2, 140 Absatz 6 Nr. 1 BranntwMonG und des § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV ist nicht Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie 2008/118, sondern Artikel 30 der Richtlinie 2008/118 (Drucksache des deutschen Bundesrates 169/09 vom 20. Februar 2009, Seite 149).
23. Nach Artikel 30 der Richtlinie 2008/118 können die Mitgliedstaaten für Beförderungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren, die in einem Verfahren der Steueraussetzung ausschließlich in ihrem Gebiet durchgeführt werden, vereinfachte Verfahren festlegen; dies schließt auch die Möglichkeit der Befreiung von der elektronischen Kontrolle dieser Beförderungen ein.
24. Die Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung beschränkt sich auf Beförderungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung, die ausschließlich („entirely“ in der englischen, „entièrement“ in der französischen, „íntegramente“ in der spanischen Fassung und „interamente“ in der italienischen Fassung der Bestimmung) in ihrem Gebiet durchgeführt werden. Die Beförderungen des Alkohols unter Steueraussetzung von den Steuerlagern der in Polen, Frankreich und Belgien ansässigen Lieferanten der Klägerin zu ihren Kunden und den Kunden der R. GmbH sind indessen nicht ausschließlich in dem deutschen Steuergebiet durchgeführt worden. Gleichwohl soll § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV auch für die Fälle der Beförderung von Alkohol aus anderen Mitgliedstaaten in Steuerlager im deutschen Steuergebiet (Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe a Ziff. i der Richtlinie 2008/118; § 140 Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe a BranntwMonG) gelten.
25. Darüber hinaus dürften die Mitgliedstaaten nach dem Wortlaut des Artikels 30 der Richtlinie 2008/118 nur eine Regelungsbefugnis betreffend vereinfachter Verfahren für die Beförderungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung haben. Die Mitgliedstaaten dürften danach nicht befugt sein, einzelstaatliche Bestimmungen zu erlassen, die das Steueraussetzungsverfahren als solches abweichend von der Richtlinie 2008/118 regeln. Das könnte hier jedoch der Fall sein.
26. Die einzelstaatliche Regelung des § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV führt zu einer fiktiven Aufnahme in das Steuerlager und Entnahme aus dem Steuerlager eines Empfängers bei Beförderungen unter Steueraussetzung von Alkohol, der im deutschen Steuergebiet weiterbefördert werden soll. Daran soll sich alsdann ein weiteres fiktives Steueraussetzungsverfahren bis zu dem Endabnehmer des Alkohols anschließen. Diese Fiktionen haben zur Folge, dass das Steueraussetzungsverfahren des Lieferanten des Alkohols fiktiv beendet wird, bevor die tatsächliche Beförderung des Alkohols bei dem letztlichen Empfänger der Waren beendet worden ist. Gemäß Artikel 20 Absatz 2 der Richtlinie 2008/118 endet die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung, wenn der Empfänger die Waren übernommen hat. Insoweit ist auf den tatsächlichen Erhalt der Waren durch ihren Empfänger abzustellen und nicht auf eine einzelstaatlich geregelte Fiktion (EuGH, Urteil vom 28. Januar 2016, BP Europa, C-64/15, ECLI:EU:C:2016:62 Randnr. 29). Die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung endet daher gemäß Artikel 20 Absatz 2 der Richtlinie 2008/118 erst, wenn der Empfänger genaue Kenntnis von der Menge der tatsächlich erhaltenen Waren haben kann (EuGH, Urteil vom 28. Januar 2016, BP Europa, C-64/15, ECLI:EU:C:2016:62 Randnr. 32). Das gilt nach Artikel 24 Absatz 1 i.V.m. Artikel 20 Absatz 2 der Richtlinie 2008/118 auch für Direktlieferungen (Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie 2008/118), die allerdings nach der Intention des deutschen Gesetzgebers in Deutschland nicht zugelassen werden sollten.
27. Darüber hinaus kann die einzelstaatliche Bestimmung des § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV auf Grund der damit angeordneten Fiktion einer vorzeitigen Beendigung einer Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Verfahren der Steueraussetzung entgegen Artikel 7 Absatz 1 und 2 der Richtlinie 2008/118 zu einer Verschiebung des Zeitpunkts des Entstehens der Verbrauchsteuer führen. Dies dürfte indes unzulässig sein. Durch Artikel 20 Absatz 2 der Richtlinie 2008/118 wird nicht nur geregelt, wann die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung endet. Vielmehr wird auch festgelegt, wann solche Waren als in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt gelten und wann infolgedessen die Steuer für diese Waren entsteht (EuGH, Urteil vom 28. Januar 2016, BP Europa, C-64/15, ECLI:EU:C:2016:62 Randnr. 31).
28. Anders als das beklagte Hauptzollamt ausgeführt hat, wäre die festgesetzte Steuer nicht auch dann gemäß Artikel 7 Absatz 1 und 2 Buchstabe a der Richtlinie 2008/118 entstanden, wenn § 26 Absatz 7 Satz 1 BrStV wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht nicht anwendbar wäre. Die Steuer wäre nicht nach § 143 Absatz 2 Nr. 1 BranntwMonG entstanden, weil sich an die Entnahme aus dem Steuerlager der Lieferanten ein Verfahren der Steueraussetzung angeschlossen hat. Die Steuer wäre auch nicht nach § 143 Absatz 2 Nr. 5 BranntwMonG entstanden. Vielmehr wurde der Alkohol aus den Steuerlagern der Lieferanten der Klägerin jeweils unter Steueraussetzung unter Verwendung eines elektronischen Verwaltungsdokuments befördert.
29. Zwar sind diese Beförderungen unter Steueraussetzung nicht dadurch beendet worden, dass die Klägerin den Alkohol in ihr Steuerlager übernommen hat (Artikel 20 Absatz 2 der Richtlinie 2008/118), obwohl in den elektronischen Verwaltungsdokumenten in Feld 1 Buchstabe a als Bestimmungsort der Code 1 (Beförderung in Steuerlager, Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe a Ziff. 1 der Richtlinie 2008/118) und in Feld 7 unter Buchstabe a als Ort der Lieferung die Nummer des der Klägerin bewilligten Steuerlagers angegeben wurden. In Ermangelung einer Umsetzung des Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie 2008/118 in Deutschland konnten keine Direktlieferungen zu den Kunden der Klägerin und der R. GmbH in den elektronischen Verwaltungsdokumenten durch die Eintragung des Codes 4 in Feld 1 Buchstabe a als Bestimmungsort angegeben werden (Tabelle 1 zu Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 684/2009 der Kommission vom 24. Juli 2009 zur Durchführung der Richtlinie 2008/118/EG des Rates in Bezug auf die EDV-gestützten Verfahren für die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung, ABl. EU L 197/24). Andererseits hatte das beklagte Hauptzollamt der Klägerin mit Wirkung ab dem 21. Januar 2011 die Erlaubnis erteilt, unter Steueraussetzung beförderten Alkohol unter Steueraussetzung in andere Steuerlager im deutschen Steuergebiet oder in Betriebe von Verwendern im deutschen Steuergebiet weiterzubefördern, ohne dass der Alkohol zuvor in das ihr bewilligte Steuerlager aufgenommen werden musste und ohne dass deswegen ein weiteres Steueraussetzungsverfahren eröffnet werden musste. Von dieser im Kalenderjahr 2016 nach wie vor wirksamen Erlaubnis konnte die Klägerin nur Gebrauch machen, indem in den von den Lieferanten übermittelten und später validierten Entwürfen der elektronischen Verwaltungsdokumente in Feld 1 Buchstabe a als Bestimmungsort der Code 1 und in Feld 7 unter Buchstabe a als Ort der Lieferung die Nummer des ihr bewilligten Steuerlagers angegeben wurden. Das beklagte Hauptzollamt hat selbst ausgeführt, dass der Entwurf eines elektronischen Verwaltungsdokuments mit der Eintragung des Codes 4 in Feld 1 Buchstabe a (Direktlieferung, Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie 2008/118) nicht validiert worden wäre, weil Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie 2008/118 in Deutschland nicht umgesetzt worden sei.
30. Allerdings dürften Unregelmäßigkeiten während der Beförderung des Alkohols unter Steueraussetzung im Sinne der §§ 142 Absatz 1 und 2, 143 Absatz 2 Nr. 5 BranntwMonG vorliegen, soweit in 22 Fällen in den von den Lieferanten übermittelten und später validierten Entwürfen der elektronischen Verwaltungsdokumente in Feld 5 und 7 die der Klägerin zugeteilte Verbrauchsteuernummer, die Nummer des ihr bewilligten Steuerlagers sowie ihr Name und ihre Anschrift angegeben wurden. In diesen Fällen, die Lieferungen im Umfang von insgesamt 555.340,321 Liter Alkohol betrafen, kann keine Beförderung des Alkohols unter Steueraussetzung direkt von den Steuerlagern der Lieferanten zu den Kunden der Klägerin oder der R. GmbH angenommen werden. Die Klägerin hatte vielmehr den Alkohol in diesen 22 Fällen in ihr Steuerlager zu übernehmen (Artikel 20 Absatz 2 der Richtlinie 2008/118).
31. Gleichwohl stellt sich in den vorgenannten 22 Fällen und sämtlichen anderen Fällen der Beförderung des Alkohols zu Kunden der Klägerin und der R. GmbH, die den Alkohol steuerfrei gewerblich verwendet haben (§ 152 Absatz 1 Nr. 3 BranntwMonG) oder in ein ihnen bewilligtes Steuerlager aufgenommen haben, die Frage, ob die Festsetzung der Steuer gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.
32. Die Steuerbefreiung des § 152 Absatz 1 Nr. 3 BranntwMonG beruht auf der obligatorischen Steuerbefreiung des Artikel 27 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/83/EWG (Richtlinie 92/83) des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke (ABl. EG Nr. L 316/21). Danach befreien die Mitgliedstaaten die von der Richtlinie 92/83 erfassten Erzeugnisse von der harmonisierten Verbrauchsteuer, sofern die betreffenden Erzeugnisse nach den Vorschriften eines Mitgliedstaats denaturiert worden sind und zur Herstellung eines nicht für den menschlichen Genuss bestimmten Erzeugnisses verwendet werden.
33. Nach der Rechtsprechung des EuGH können die Mitgliedstaaten für die Verletzung formeller Anforderungen zwar die Verhängung einer Geldbuße vorsehen. Die Verletzung formeller Anforderungen kann jedoch eine nach dem Unionsrecht vorgesehene Steuerbefreiung für Erzeugnisse nicht in Frage stellen, wenn die nach dem Unionsrecht vorgesehenen materiellen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vorliegen (vgl. EuGH, Urteile vom 27. Juni 2018, Turbogás, C-90/17, ECLI:EU:C:2018:498 Randnr. 44; vom 7. November 2019, Petrotel-Lukoil, C-68/18, ECLI:EU:C:2019:933 Randnr. 59). Denn die Versagung einer Verbrauchsteuerbefreiung durch eine einzelstaatliche Behörde allein auf Grund des Umstands, dass gewisse formelle Anforderungen nicht erfüllt wurden, ohne dass geprüft wurde, ob die materiellen Voraussetzungen für die steuerfreie Verwendung einer Ware erfüllt sind, geht über das hinaus, was erforderlich ist, um eine korrekte und einfache Anwendung der Steuerbefreiungen sicherzustellen sowie Steuerhinterziehung oder Missbrauch zu verhindern (vgl. EuGH, Urteile vom 2. Juni 2016, Polihim-SS, C-355/14, ECLI:EU:C:2016:403 Randnr. 62; vom 13. Juli 2017, Vakarų Baltijos laivų statykla, C-151/16, ECLI:EU:C:2017:537 Randnr. 46; vom 22. Dezember 2022, Shell Deutschland Oil, C-553/21, ECLI:EU:C:2022:1030 Randnr. 34; vom 25. April 2024, Bitulpetrolium Serv, C-657/22, ECLI:EU:C:2024:353 Randnr. 27 ff.). Das gilt insbesondere, wenn bei einer Direktlieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren einer der Beteiligten nicht über die nach einzelstaatlichem Recht erforderlichen Dokumente für eine Bezugsberechtigung verfügt, obwohl die Waren letztlich steuerfrei verwendet werden durften (vgl. EuGH, Urteil vom 2. Juni 2016, Polihim-SS, C-355/14, ECLI:EU:C:2016:403 Randnr. 62).
34. Dem beklagten Hauptzollamt mag einzuräumen sein, dass die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Verfahren der Steueraussetzung unter Verwendung elektronischer Verwaltungsdokumente (Artikel 21 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118) nicht nur eine formelle Anforderung sein könnte. Anderes dürfte jedoch für die Beförderung von Erzeugnissen im Steuergebiet in Betriebe von Verwendern unter Verwendung eines Begleitdokuments (§ 28 Absatz 1 Satz 1 BrStV) oder eines Handelspapiers mit dem nach § 28 Absatz 8 Satz 1 Nr. 1 BrStV vorgesehenen Hinweis zu gelten haben. Hierbei handelt es sich lediglich um auf der Grundlage des Artikel 30 der Richtlinie 2008/118 ergangene einzelstaatlich angeordnete Erfordernisse für den Verwendungsverkehr im deutschen Steuergebiet, der nicht harmonisiert ist (Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2008/118). Abweichendes ergibt sich nicht aus dem vom beklagten Hauptzollamt genannten Urteil des EuGH vom 24. März 2022, TanQuid Polska, C-711/20, ECLI:EU:C:2022:215. Dort wurde unter Randnr. 49 lediglich ausgeführt, dass der Nachweis, dass der Empfänger die Waren übernommen habe, insbesondere („notamment“ in der Originalfassung) durch ein Begleitdokument geführt werden könne.
35. Letztlich könnte die Frage, ob die Verwendung elektronischer Verwaltungsdokumente für die Weiterbeförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Verfahren der Steueraussetzung (Artikel 21 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118) und die Verwendung eines Begleitdokuments bei der Beförderung von Erzeugnissen im Steuergebiet in Betriebe von Verwendern (§ 28 Absatz 1 Satz 1 BrStV) oder eines Handelspapiers mit dem nach § 28 Absatz 8 Satz 1 Nr. 1 BrStV vorgesehenen Hinweis materielle Voraussetzungen für eine Beförderung unter Steueraussetzung oder nur formelle Anforderungen sind, dahinstehen. Selbst wenn es sich bei den vorgenannten Anforderungen um materielle Voraussetzungen für eine Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung handeln sollte, könnte eine Versagung der unionsrechtlich verbindlich vorgesehenen Steuerbefreiung des Artikel 27 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/83 gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, weil dem Beteiligten gleichwohl der Gegenbeweis offenstehen muss, eine steuerfreie gewerbliche Verwendung nachzuweisen (vgl. EuGH, Urteil vom 13. März 2025, Alsen, C-137/23, ECLI:EU:C:2025:179 Randnr. 66 f. und 70 sowie die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 5. September 2024, Alsen, C-137/23, ECLI:EU:C:2024:697 Randnr. 53, 63 ff.). Der Senat geht davon aus, dass die Kunden der Klägerin und der R. GmbH den Alkohol gewerblich zu steuerfreien Zwecken verwendet haben oder in ein ihnen bewilligtes Steuerlager aufgenommen haben. Das hat das beklagte Hauptzollamt lediglich unsubstantiiert bestritten.