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Der Energiesteuerbescheid vom 16. Dezember 2019 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2023 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerin ist Inhaberin einer Erlaubnis zur Lagerung von Energieerzeugnissen unter Steueraussetzung. Zudem wurde der Klägerin eine Erlaubnis zur steuerfreien Verteilung von Energieerzeugnissen innerhalb des Steuergebiets erteilt.
3Am 27. März, 13. Juli und 14. November 2018 entnahm die Klägerin dem ihr bewilligten Steuerlager in T. insgesamt 81.932,91 Liter eines Gemischs, das zu ca. 99 Gewichtshundertteilen (GHT) aus AERON Isopentan (Isopentan >= 95 %, Dichte ca. 0,62 g/cm³ bei 20 °C) und einem GHT aus Solstice® LBA (Liquid Blowing Agent) mit der chemischen Bezeichnung Trans-1-Chlor-3,3,3-Trifluorpropen (ein teilhalogenierter Chlorfluorkohlenwasserstoff, CAS-Nr. 102687-65-0, Unterposition 2903 79 30 der Kombinierten Nomenklatur (KN), nicht entzündlich, Dichte ca. 1,25 g/cm³ bei 30 °C) bestand. Das bei Raumtemperatur flüssige Gemisch lieferte die Klägerin als Bulkware an die L. GmbH (L.) in F./E. (Ausland). Die Klägerin ging davon aus, dass das Gemisch in die Unterposition 3824 78 80 KN einzureihen sei und eröffnete für den Versand nach E. kein Steueraussetzungsverfahren. Die L. verwendete die Ware als Treibmittel zur Herstellung von Dämmplatten für den Baubereich. Dabei verringerte der Einsatz des Solstice® LBA im Gemisch die Wärmeleitfähigkeit der hergestellten Dämmplatten deutlich gegenüber der Verwendung von reinem Isopentan.
4Die E. Zollverwaltung untersuchte eine Probe der am 14. November 2018 gelieferten Ware und kam zu dem Ergebnis, dass das Gemisch in die Unterposition 2901 10 00 KN einzureihen sei. Von der Erhebung der Energiesteuer gegenüber der L. sah die E. Zollverwaltung gleichwohl ab und erteilte der L. in der Folge eine Bewilligung zum Bezug von Energieerzeugnissen der Positionen 2710 11 bis 2710 19 69 KN als registrierte Empfängerin sowie einen sog. Freischein für den Bezug des fraglichen Gemischs.
5Das Hauptzollamt V. erteilte der Klägerin mit Gültigkeit ab dem 23. April 2019 eine verbindliche Zolltarifauskunft (N01), mit der das Gemisch in die Unterposition 2710 12 25 KN eingereiht wurde.
6Der Beklagte teilte die Einreihungsauffassung der verbindlichen Zolltarifauskunft und setzte mit Bescheid vom 16. Dezember 2019 für die drei im Jahr 2018 durchgeführten Lieferungen Energiesteuer von 53.625,09 Euro gegen die Klägerin fest. Zur Begründung führte er aus: Durch die Entnahme der Ware aus dem Steuerlager sei die Energiesteuer nach § 8 Abs. 1, § 4 Nr. 3 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) entstanden. Der Steuertarif bestimme sich nach § 2 Abs. 4, Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) EnergieStG.
7Den hiergegen am 30. Dezember 2019 eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Entscheidung vom 8. Mai 2023 als unbegründet zurück.
8Mit ihrer am 9. Juni 2023 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend: Die Ware sei als Isopentan in die Unterposition 2901 10 00 KN einzureihen. Das Solstice® LBA werde lediglich als „Vergällungsmittel“ zugesetzt, damit das Isopentan nicht mehr als Heiz- oder Kraftstoff verwendet werden könne. Die Ware sei damit zwar ein Energieerzeugnis nach § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 4 Nr. 5 EnergieStG. Es gebe aber keinen nach § 2 Abs. 4 EnergieStG bestimmbaren Steuersatz, da die Ware nicht zur Verwendung als Kraft- oder Heizstoff bestimmt und geeignet gewesen sei. Die L. habe die Ware auch nicht als Kraft- oder Heizstoff verwendet. Da kein Steuertarif einschlägig sei, komme eine Besteuerung nicht in Betracht. Jedenfalls sei eine Besteuerung nach dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen. Gleiches folge aus dem nationalen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
9Die Klägerin beantragt,
101. den Steuerbescheid vom 16. Dezember 2019 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2023 aufzuheben;
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
141. die Klage abzuweisen;
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Zur Begründung macht er geltend: Es sei in jedem Fall der für Benzine maßgebliche Steuersatz des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) EnergieStG anzuwenden. Die nichtenergetische Verwendung des Energieerzeugnisses außerhalb eines Verfahrens der Steuerbefreiung führe nicht dazu, dass kein Steuertarif anzuwenden sei. Wenn die vorrangig vorzunehmende Bestimmung des Steuertarifs nach dem Verwendungszweck unmöglich sei, sei der Steuertarif allein nach der Beschaffenheit der Ware zu bestimmen. Die Benzine der Unterpositionen 2710 11 41 bis 2710 11 49 KN seien dem fraglichen Gemisch in ihrer objektiven Beschaffenheit am nächsten. Es sei im Übrigen nicht auszuschließen, dass das Gemisch möglicherweise als Heiz- oder Kraftstoff verwendet werden könne, da nicht abschließend geklärt worden sei, ob durch das lediglich zu einem GHT enthaltene Solstice® LBA jeder Motor geschädigt würde.
18Die Rechtsgrundsätze des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seien nicht anwendbar, da die Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (RL 2003/96) nicht für Energieerzeugnisse gelte, die für andere Zwecke als als Heiz- oder Kraftstoff verwendet würden. Die Steuerbefreiung nach § 25 EnergieStG sei eine rein nationale Vorschrift. Die Klägerin habe zudem kein vereinfachtes Begleitdokument nach § 44 der Verordnung zur Durchführung des Energiesteuergesetzes (Energiesteuer-Durchführungsverordnung – EnergieStV) verwendet.
19Entscheidungsgründe:
20Die zulässige Klage ist begründet.
21I. Der Energiesteuerbescheid vom 16. Dezember 2019 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Beklagte hat die Energiesteuer zu Unrecht gegen die Klägerin festgesetzt.
22Zwar liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Steuerentstehung in der Person der Klägerin grundsätzlich vor (s. unter 1.). Der Steuerfestsetzung steht jedoch zum einen der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen (s. unter 2.). Zum anderen scheidet eine Besteuerung aus, da kein Steuertarif anwendbar ist (s. unter 3.).
231. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Steuerentstehung nach § 8 Abs. 1 EnergieStG liegen grundsätzlich vor.
24Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 EnergieStG entsteht die Energiesteuer dadurch, dass Energieerzeugnisse im Sinne des § 4 EnergieStG aus dem Steuerlager entfernt werden, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren anschließt (Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr). Schließt sich an die Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr ein Verfahren der Steuerbefreiung (§ 24 Abs. 1 EnergieStG) an, kommt es nach § 8 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG zu keiner Steuerentstehung. Steuerschuldner ist der Steuerlagerinhaber, § 8 Abs. 2 Nr. 1 EnergieStG.
25a) Das streitgegenständliche Gemisch stellt ein Energieerzeugnis im Sinne des § 4 EnergieStG dar. Der Senat kann offenlassen, ob das Gemisch in die von der Klägerin angeführte Unterposition 2901 10 00 KN in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) 2017/1925 der Kommission vom 12. Oktober 2017 (ABl. EU L 282/1) oder in die vom Beklagten angeführte Unterposition 2710 12 25 KN einzureihen ist, da Waren beider Unterpositionen der KN vom Anwendungsbereich des § 4 EnergieStG erfasst sind und eine Einreihung in eine andere Position der KN nicht in Betracht kommt. Als Ware der Unterposition 2901 10 00 KN stellt das Gemisch nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 EnergieStG ein Energieerzeugnis dar, das von § 4 Nr. 5 EnergieStG erfasst ist. Als Ware der Unterposition 2710 12 25 KN stellt das Gemisch nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG ein Energieerzeugnis dar, das von § 4 Nr. 3 EnergieStG erfasst ist.
26b) Das Gemisch wurde in den drei streitgegenständlichen Fällen aus dem der Klägerin bewilligten Steuerlager (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG) entfernt.
27c) Ein Steueraussetzungsverfahren hat sich nicht angeschlossen. Die L. war nicht als Inhaberin eines Steuerlagers oder als registrierte Empfängerin zum Empfang der fraglichen Ware unter Steueraussetzung berechtigt, § 11 Abs. 1 Nr. 1 EnergieStG. Zudem hat die Klägerin kein Steueraussetzungsverfahren eröffnet und die Beförderungen nicht mit dem nach § 9d Abs. 1 EnergieStG i.V.m. Art. 21 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (RL 2008/118) vorgeschriebenen elektronischen Verwaltungsdokument durchgeführt.
28d) Der Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr hat sich auch kein ordnungsgemäßes Verfahren der Steuerbefreiung (§ 24 Abs. 1 EnergieStG) angeschlossen. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG dürfen Energieerzeugnisse im Sinne des § 4 EnergieStG steuerfrei verwendet werden zu anderen Zwecken als zur Verwendung als Kraft- oder Heizstoff. Dies ist hier zwar der Fall. Die L. nutzte – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – das Gemisch als Treibmittel zur Herstellung von Dämmplatten im Baubereich und damit nicht als Kraft- oder Heizstoff. Zu diesem Zweck ist eine steuerfreie Abgabe des fraglichen Gemischs gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG möglich. Gleichwohl hat sich kein ordnungsgemäßes Verfahren der Steuerbefreiung angeschlossen, weil der Klägerin nicht die nach § 24 Abs. 2 Satz 2 EnergieStG erforderliche Erlaubnis zur steuerfreien Verteilung erteilt worden war. Die ihr erteilte Erlaubnis umfasste nicht das Verbringen von Energieerzeugnissen aus dem Steuergebiet (§ 24 Abs. 4 EnergieStG). Es lag zudem keine allgemeine Erlaubnis nach § 55 EnergieStV i.V.m. Nr. 10 der Anlage 1 zur EnergieStV vor. Das Gemisch wurde nicht zu den in Nr. 2.1 der Anlage 1 zur EnergieStV genannten begünstigten Zwecken verwendet und wurde entgegen Nr. 2.2 der Anlage 1 zur EnergieStV nicht in handelsüblichen Behältern bis zu 220 Liter Nenninhalt, sondern als Bulkware in Tankwagen befördert. Das Fehlen einer Erlaubnis führt grundsätzlich zum Ausschluss der Steuerbefreiung, selbst wenn die Ware zu steuerfreien Zwecken verwendet worden ist (vgl. Bundesfinanzhof –BFH–, Urteil vom 17. Oktober 2023 VII R 50/20, BFHE 282, 344, Rn. 22 ff.; Beschluss vom 8. März 2004 VII B 150/03, ZfZ 2004, 311).
292. Die Steuerbefreiung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG ist gleichwohl zu gewähren, da deren Versagung allein wegen des Fehlens der nach § 24 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 EnergieStG erforderlichen Erlaubnis und der Beförderung ohne vereinfachtes Begleitdokument nach § 44 EnergieStV gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.
30Der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist vorliegend anwendbar. Dies gilt ungeachtet dessen, dass die Verwendung von Energieerzeugnissen zu anderen Zwecken als als Kraft- oder Heizstoff durch Art. 2 Abs. 4 Buchst. b erster Anstrich der RL 2003/96 ausdrücklich vom Anwendungsbereich der RL 2003/96 ausgenommen worden ist (vgl. EuGH Urteile vom 5. Juli 2007 C-145/06 und C-146/06, ECLI:EU:C:2007:411, Rn. 34 ff.; vom 12. Februar 2015 C-349/13, ECLI:EU:C:2015:84, Rn. 30) und § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG demgemäß auf der dem nationalen Gesetzgeber durch diese Vorschrift eingeräumten Regelungsbefugnis beruht. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen die Mitgliedstaaten auch bei der Umsetzung der Ausnahmevorschrift des Art. 2 Abs. 4 Buchst. b der RL 2003/96 von ihrem Besteuerungsrecht nur unter Wahrung des Unionsrechts Gebrauch machen (vgl. EuGH, Urteile vom 5. Juli 2007 C-145/06 und 146/06, ECLI:EU:C:2007:411, Rn. 41; vom 2. Oktober 2014 C-426/12, ECLI:EU:C:2014:2247, Rn. 30). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört als allgemeiner Grundsatz zum Unionsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2022, Shell Deutschland Oil, C-553/21, ECLI:EU:C:2022:1030, Rn. 32). Der Bezug zum Unionsrecht wird im Streitfall zudem dadurch deutlich, dass die Steuerentstehung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG auf dem Unionsrecht, nämlich auf Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a der RL 2008/118 beruht, und die Steuerbefreiung an einer Erlaubnis zur steuerfreien Verteilung von Energieerzeugnissen in andere Mitgliedstaaten scheitert.
31Nach der Rechtsprechung des EuGH zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit können die Mitgliedstaaten für die Verletzung formeller Anforderungen zwar die Verhängung einer Geldbuße vorsehen. Die Verletzung formeller Anforderungen kann jedoch eine Steuerbefreiung nicht in Frage stellen, wenn die materiellen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vorliegen (vgl. EuGH, Urteile vom 27. Juni 2018 C-90/17, ECLI:EU:C:2018:498, Rn. 44; vom 7. November 2019 C-68/18, ECLI:EU:C:2019:933, Rn. 59). Denn die Versagung einer Verbrauchsteuerbefreiung durch eine einzelstaatliche Behörde allein auf Grund des Umstands, dass gewisse formelle Anforderungen nicht erfüllt wurden, ohne dass geprüft wurde, ob die materiellen Voraussetzungen für die steuerfreie Verwendung einer Ware erfüllt sind, geht über das hinaus, was erforderlich ist, um eine korrekte und einfache Anwendung der Steuerbefreiungen sicherzustellen sowie Steuerhinterziehung oder Missbrauch zu verhindern (vgl. EuGH, Urteile vom 2. Juni 2016 C-355/14, ECLI:EU:C:2016:403, Rn. 62; vom 13. Juli 2017 C-151/16, ECLI:EU:C:2017:537, Rn. 46). Daher dürfen die Mitgliedstaaten eine Steuerbefreiung nicht von der Einhaltung bestimmter Pflichten, die die Mitgliedstaaten zur Kontrolle und Ahndung einer missbräuchlichen Verwendung von Energieerzeugnissen vorsehen, abhängig machen, wenn zum einen die Verwendung zu einem steuerbegünstigten Zweck feststeht und zum anderen kein Anhaltspunkt für den Verdacht einer Steuerhinterziehung, eines Missbrauchs oder einer Steuervermeidung besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 13. März 2025 C-137/23, ECLI:EU:C:2025:179, Rn. 66 ff.). Der Betroffene muss die Möglichkeit haben, den Nachweis einer ordnungsgemäßen Verwendung zu erbringen (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 5. September 2024 C-137/23, ECLI:EU:C:2024:697, Rn. 61 ff.).
32Die Verteilererlaubnis dient der Kontrolle und Ahndung einer missbräuchlichen Verwendung von Energieerzeugnissen. Diese soll die Steueraufsicht gewährleisten und eine effektive Ausgestaltung der zollamtlichen Steueraufsichtsmaßnahmen ermöglichen. Durch die Kenntnis der zugelassenen Verteiler und Verwender soll die Zollverwaltung zudem eine Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch einzelne Steueraufsichtsmaßnahmen und Außenprüfungen sicherstellen können (BFH, Urteil vom 17. Oktober 2023 VII R 50/20, BFHE 282, 344, Rn. 23).
33Der Klägerin fehlte zwar eine Erlaubnis zur steuerfreien Verteilung von Energieerzeugnissen in andere Mitgliedstaaten. Die Klägerin hat aber nachgewiesen, dass das abgegebene Energieerzeugnis von der L. zu steuerfreien Zwecken verwendet wurde. Dies stellt auch der Beklagte nicht in Abrede. Zudem bestehen keine Anhaltspunkte für den Verdacht einer Steuerhinterziehung, eines Missbrauchs oder einer Steuervermeidung. Vielmehr ist die Klägerin wegen einer irrtümlichen rechtlichen Einschätzung davon ausgegangen, sie könne das Erzeugnis ohne Steueraussetzungsverfahren bzw. ohne Verteilererlaubnis aus dem Steuergebiet verbringen. Allein wegen des Fehlens der Verteilererlaubnis darf die Steuerbefreiung daher nicht versagt werden (a.A. Finanzgericht München, Urteil vom 27. Oktober 2022 – 14 K 1253/19, juris, Rn. 102 ff.). Gleiches gilt für die Beförderung ohne das von § 44 EnergieStV vorgesehene vereinfachte Begleitdokument (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 23. August 2023 – 4 K 2640/22 VE, ZfZ 2024, 360).
34Der Verletzung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit steht nicht entgegen, dass die Klägerin auf ein alternatives Steuerentlastungsverfahren verwiesen werden könnte (vgl. BFH, Urteil vom 17. Oktober 2023 VII R 50/20, BFHE 282, 344, Rn. 33 ff.). § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG hat keine mit § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG korrespondierenden Voraussetzungen. Dieser Entlastungstatbestand stellt nicht auf eine steuerfreie Verwendung, sondern auf das Verbringen aus dem Steuergebiet zu gewerblichen Zwecken ohne vorherigen Gebrauch ab. § 47 Abs. 1 Nr. 3 EnergieStG scheidet aus, da die Klägerin die Erzeugnisse nicht verwendet hat und somit als Verteilerin nicht entlastungsberechtigt ist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EnergieStG).
353. Unbeschadet dessen ist die Festsetzung der Energiesteuer auch deswegen rechtswidrig, weil das EnergieStG für den vorliegenden Sachverhalt keinen Steuertarif vorsieht.
36Für Energieerzeugnisse, die – wie das streitgegenständliche Gemisch – nicht in § 2 Abs. 1 bis 3 EnergieStG genannt sind, ist der maßgebliche Steuersatz im Rahmen einer dreistufigen Prüfung nach § 2 Abs. 4 EnergieStG zu ermitteln. Zu prüfen ist zunächst die Verwendung als Heiz- oder Kraftstoff, anschließend zwingend eine eventuelle Substituierbarkeit durch ein anderes Energieerzeugnis und erst auf der nächsten Stufe die Vergleichbarkeit mit einem anderen Energieerzeugnis aufgrund der Beschaffenheit und des konkreten Verwendungszwecks (vgl. BFH, Urteile vom 20. Juni 2023 VII R 45/20, ZfZ 2023, 346; vom 10. März 2015 VII R 9/11, BFHE 249, 275). Da das fragliche Erzeugnis vorliegend weder als Kraftstoff noch als Heizstoff verwendet wurde, sondern gewerblich zu nichtenergetischen Zwecken, scheidet eine Bestimmung des Steuertarifs bereits auf der ersten Stufe aus (§ 2 Abs. 4 Satz 2 EnergieStG), sodass sich mangels Steuersatzes eine Energiesteuer von Null Euro ergibt.
37Anders als der Beklagte meint, kann bei der nichtenergetischen Verwendung eines Energieerzeugnisses außerhalb eines Verfahrens der Steuerbefreiung nicht ausschließlich auf die Beschaffenheit des Energieerzeugnisses abgestellt werden. Für diese Auslegung findet sich in § 2 Abs. 4 Satz 2 bis 4 EnergieStG kein Anknüpfungspunkt. Vielmehr ist nach § 2 Abs. 4 Satz 2 EnergieStG zunächst der Verwendungszweck als Kraftstoff oder als Heizstoff zu bestimmen. Die Auffassung des Beklagten widerspricht auch der historischen Auslegung. Der Gesetzgeber hat § 2 Abs. 4 EnergieStG zur Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 3. April 2014 C-43/13 und C-44/13, ECLI:EU:C:2014:216) eingeführt (vgl. Bundesrats-Drucksache 157/17, S. 48). Demgemäß regelt § 2 Abs. 4 EnergieStG nur den Steuertarif für die Verwendung von Energieerzeugnissen als Kraft- oder Heizstoff, wie sie von der RL 2003/96 unionsrechtlich vorgegeben ist. Es ist zudem unerheblich, ob das fragliche Gemisch möglicherweise geeignet war, als Kraft- oder Heizstoff verwendet zu werden. Das Energiesteuerrecht beruht nach der allgemeinen Systematik auf dem Grundsatz, dass Energieerzeugnisse nach ihrer tatsächlichen Verwendung besteuert werden (vgl. EuGH, Urteile vom 13. März 2025 C-137/23, C-137/23, ECLI:EU:C:2025:179, Rn. 56; vom 7. November 2019 C-68/18, ECLI:EU:C:2019:933, Rn. 50 ff.). Vorliegend wurde das fragliche Gemisch tatsächlich nicht als Kraft- oder Heizstoff verwendet.
38Der Senat sieht keinen Raum für eine richtlinienkonforme oder geltungserhaltende Auslegung unter Bestimmung einer Steuer von mehr als Null Euro, da das Unionsrecht keine Besteuerungspflicht für die gewerbliche nichtenergetische Verwendung eines Energieerzeugnisses vorsieht. Des Weiteren kennt das Unionsrecht einen Steuersatz von Null, namentlich bei der Besteuerung von Wein nach Art. 5 der Richtlinie 92/84/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke. Es besteht auch keine planwidrige Regelungslücke, die im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung geschlossen werden müsste. Eine Gesetzeslücke liegt vor, wenn der bloße Wortlaut des Gesetzes, gemessen an dessen eigener Absicht und der ihm innewohnenden Teleologie unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist und seine Ergänzung auch nicht einer vom Gesetzgeber gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (BFH, Urteil vom 25. Juli 1995 VIII R 25/94, BFHE 178, 418, Rn. 18). Mit Blick auf die Steuerbefreiung des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG und die beabsichtigte Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit § 2 Abs. 4 EnergieStG einen Steuertarif für die Verwendung von Energieerzeugnissen für andere Zwecke als als Kraft- oder Heizstoff bestimmen wollte.
39II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.