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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens für die Zeit bis zum 28.03.2024 werden den Klägern zu 75 % und dem Beklagten zu 25 % auferlegt. Die nach dem 28.03.2024 entstandenen Kosten tragen die Kläger vollumfänglich.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig ist die Höhe des Zinssatzes für Erstattungszinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 238 AO für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 sowie die Festsetzung von Zinsen auf die Erstattungszinsen.
3Die Kläger werden für die Streitjahre zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Aus den ESt-Änderungsbescheiden für 2012 vom 08.12.2014 und für 2013 vom 12.07.2016 sowie den ESt-Erstbescheiden für 2015 vom 17.03.2017 und für 2016 vom 09.07.2018, in denen der Beklagte Dividendenzahlungen einer bosnisch-herzegowinischen Kapitalgesellschaft an den Kläger als im Inland steuerpflichtige Kapitaleinnahmen ansetzte, resultierten erhebliche ESt-Nachzahlungen. Mit den Bescheiden für 2012, 2013 und 2016 wurden zugleich Zinsen zur ESt gemäß § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 AO i.H.v. 0,5 % monatlich zu Lasten der Kläger wie folgt festgesetzt:
4Nachzahlung |
Zinslauf |
Volle Monate |
Zinsen |
|
2012 |
289.897 € |
01.04.14 bis 11.12.14 |
8 |
11.594 € |
2013 |
15.904 € |
01.04.15 bis 15.07.16 |
15 |
1.192 € |
2016 |
956.581 € |
01.04.18 bis 12.08.18 |
3 |
14.348 € |
Die gegen die ESt-Bescheide für die Streitjahre geführten Einspruchsverfahren, in denen die Steuerfreistellung der Dividendeneinnahmen unter Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts begehrt wurde, brachte der Beklagte hinsichtlich der Jahre 2012, 2013 und 2015 am 10.04.2017 im Hinblick auf ein finanzgerichtliches Musterverfahren (FG Düsseldorf, Aktenzeichen 3 K 2745/16; Revisionsverfahren bei dem Bundesfinanzhof – BFH –, Aktenzeichen I R 63/17), ..., gemäß § 363 Abs. 2 Satz 1 AO zum Ruhen. Nach Beendigung des Verfahrens zu Gunsten des dortigen Klägers mit BFH-Beschluss vom 13.07.2021, Bundessteuerblatt (BStBl) II 2022, 250, veröffentlicht am 18.11.2021, entsprach der Beklagte dem Einspruchsbegehren der Kläger und erließ unter dem 18.02.2022 für die Jahre 2012, 2013, 2015 und 2016 gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderte ESt-Bescheide mit erheblichen Steuererstattungen sowie hieraus resultierenden Festsetzungen von Erstattungszinsen.
6Die Erstattungszinsen wurden in den Bescheiden lediglich bis zum Ablauf des letzten vollen Monats vor dem 01.01.2019 i.H.v. monatlich 0,5 % berechnet und endgültig festgesetzt. Für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 wurden die Zinsfestsetzungen in den Bescheiden gemäß § 165 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Satz 2 Nr. 2 und § 239 Abs. 1 Satz 1 AO aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE) 158, 282, nach der § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 bis zu einer rückwirkenden Gesetzesänderung nicht mehr angewendet werden durfte, ausgesetzt. Hiernach ergaben sich folgende – im vorliegenden Verfahren nicht streitige – (endgültige) Festsetzungen von Erstattungszinsen:
7zu verzinsen |
Zinslauf |
Volle Monate (0,5 %) |
Zinsen |
|
2012 |
289.850 € |
09.01.15 bis 21.02.22 |
47 |
68.115 € |
2013 |
15.904 € 271.196 € |
04.07.16 bis 21.02.22 01.04.15 bis 21.02.22 |
29 45 |
63.326 € |
2015 |
927.800 € |
04.04.17 bis 21.02.22 |
20 |
92.780 € |
2016 |
956.581 € 4.969 € |
30.07.18 bis 21.02.22 01.04.18 bis 21.02.22 |
5 9 |
24.139 € |
Der im Bescheid ausgewiesene Zinslauf „bis 21.02.2022“ umfasste auch die Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019, für die die Zinsfestsetzung ausgesetzt worden war. Die Höhe der mit dem Bescheid endgültig festgesetzten Zinsen errechnete der Beklagte hingegen aus der Anzahl der ausgewiesenen „vollen Monate“, die sich bis zum Ablauf des letzten vollen Monats vor dem 01.01.2019 ergaben.
9Gegen die Bescheide legten die Kläger am 10.03.2022 Einsprüche ein, die sich gegen die Zinsberechnungen richteten. Sie vertraten die Auffassung, dass die Steuererstattungsbeträge nicht nur nach § 233a AO, sondern auch nach § 236 AO (Prozesszinsen) zu verzinsen seien, da die Steuern aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung herabgesetzt worden seien. In dem Musterverfahren, dessentwegen ihr Einspruchsverfahren auf Anraten des Beklagten geruht habe, sei derselbe Sachverhalt wie in ihrem Verfahren Streitgegenstand gewesen. Die Steuerbescheide seien nach Abschluss des Musterverfahrens unmittelbar aufgrund der Entscheidung des BFH vom 13.07.2021 geändert worden. Hinzu komme, dass die – während des Einspruchsverfahrens in Kraft getretene – rückwirkende Herabsetzung des Zinssatzes für Erstattungszinsen nach § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1a AO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der AO und des Einführungsgesetzes zur AO (EGAO) vom 12.07.2022, Bundesgesetzblatt (BGBl) I 2022, 1142 (im Folgenden: AO n.F.), auf 0,15 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot sowie gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig sei. Darüber hinaus seien neben den Steuererstattungsbeträgen auch die unberechtigt erhobenen Nachzahlungszinsen zu verzinsen. Mit Schreiben vom 19.12.2022 baten die Kläger um Auszahlung der unstreitigen Erstattungszinsen.
10Mit Einspruchsentscheidung vom 19.05.2023 wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen. Die Bescheide ergingen weiterhin vorläufig und blieben „ausgesetzt gemäß § 165 Abgabenordnung hinsichtlich der im angefochtenen Bescheid aufgeführten Punkte“. Zur Begründung nahm der Beklagte Bezug auf zwei vorhergehende Schreiben im Einspruchsverfahren (vom 15.09.2022 und 02.03.2023), in denen u.a. ausgeführt wurde, dass die Verzinsung nachgeholt werden würde, sobald die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung von § 238 Abs. 1a und 1b AO vorlägen (Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO). Eine Verzinsung nach § 236 AO komme nicht in Betracht, da eine Verzinsung nach dieser Vorschrift die Rechtshängigkeit des Steueranspruchs voraussetze. Im Falle eines ruhenden Einspruchsverfahrens sei keine Rechtshängigkeit gegeben. Im Übrigen sei die Neuregelung der Vollverzinsung, auch soweit sie Erstattungszinsen betreffe, nicht verfassungswidrig.
11Hiergegen wenden sich die Kläger mit der am 07.06.2023 erhobenen Klage.
12Sie machen – auch unter Einbeziehung ihrer Ausführungen im Vorverfahren – geltend, dass die sich aus den ESt-Änderungsbescheiden vom 18.02.2022 ergebenden ESt-Erstattungsbeträge mit 0,5 % pro Monat bis zur Zustellung der streitbefangenen ESt-Bescheide zu verzinsen und darüber hinaus Zinsen auf die Erstattungszinsen ab dem 22.02.2022 festzusetzen seien.
13Der am 12.07.2022 in Kraft getretene § 238 Abs. 1a AO n.F. sei verfassungswidrig, soweit dieser die rückwirkende Senkung der Erstattungszinsen auf 0,15 % pro Monat ab dem 01.01.2019 anordne. Es handle sich um ein belastendes Gesetz mit verfassungsrechtlich unzulässiger echter Rückwirkung. Durch die rückwirkende Reduzierung der Erstattungszinsen von monatlich 0,5 % auf 0,15 % sei eine bestehende Rechtsposition verschlechtert worden. Es liege eine rückwirkende Regelung abgeschlossener Tatbestände im Sinne einer echten Rückwirkung vor. Gemäß § 233a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 238 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO sei ab dem Tag der ursprünglichen Zahlung des Erstattungsbetrags an das Finanzamt nach jedem vollen Monat ein materiell-rechtlicher Zinsanspruch i.H.v. 0,5 % entstanden. Damit sei der Zinstatbestand Monat für Monat abgeschlossen gewesen. Auf die Festsetzung nach § 239 AO, also den behördlichen Vollzugsakt, komme es bei der Frage der echten oder unechten Rückwirkung nicht an. Die echte Rückwirkung sei auch daran erkennbar, dass sie – die Kläger – nicht mehr die Möglichkeit gehabt hätten, sich rückwirkend durch Klageerhebung die erheblich höheren Prozesszinsen des § 236 AO zu sichern. Bis zur Gesetzesänderung am 12.07.2022 habe es keine Rolle gespielt, ob der Steuerpflichtige Prozesszinsen oder Erstattungszinsen erhalte, weil die Zinsen gleich hoch gewesen seien. Deswegen hätten sie nach Eintritt des Ruhens der Einspruchsverfahren auch keinen Fortsetzungsantrag gemäß § 363 Abs. 2 Satz 4 AO gestellt. Bei einer Zinssatzänderung für die Erstattungszinsen ex nunc hätten sie noch reagieren können, in dem sie Klage erhoben hätten, was wegen der rückwirkenden Änderung des Erstattungszinssatzes nicht mehr möglich gewesen sei. Das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Höhe des Zinssatzes für Erstattungszinsen bis zur Gesetzesänderung sei daher schützenswert.
14Zu berücksichtigen sei auch, dass § 238 Abs. 1 AO nicht verfassungswidrig gewesen sei, soweit der alte Zinssatz von 0,5 % pro Monat sich auf Erstattungszinsen bezogen habe. Das BVerfG habe in seinem Beschluss vom 08.07.2021 lediglich die Nachzahlungszinsen in dieser Höhe ab dem Jahr 2014 als nicht mit der Verfassung vereinbar erachtet. Die Erstattungszinsen hätten sich begünstigend für die Steuerpflichtigen ausgewirkt und seien daher verfassungsgemäß. In diesem Zusammenhang werde nicht verkannt, dass das BVerfG § 238 Abs. 1 Satz 1 AO auch insoweit ab dem 01.01.2019 für mit dem GG unvereinbar erklärt habe, als davon die Erstattungszinsen erfasst gewesen seien. Das BVerfG begründe dies mit dem einheitlichen gesetzgeberischen Regelungskonzept der Vollverzinsung für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen. Das Gericht gehe in seinem Beschluss auf die Frage der echten Rückwirkung bei einer rückwirkenden Herabsetzung der Erstattungszinsen mit keinem Wort ein. Insofern stelle sich die Frage, ob das Gericht dieses Problem überhaupt gesehen habe. Das Gericht habe selbst judiziert, dass die alten Regelungen über die Höhe der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen in ihrem Gefüge nicht so verflochten gewesen seien, dass beide eine untrennbare Einheit gebildet hätten. In diesem Fall müsse daher bei einer rückwirkenden Unvereinbarkeitserklärung des nicht verfassungswidrigen Teils der Norm darauf geachtet werden, dass die Unvereinbarkeitserklärung nicht ihrerseits verfassungswidrig sei, indem man ihr eine belastende echte Rückwirkung verleihe. Ein gesetzgeberisches Gesamtkonzept stehe nicht über dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verbot einer echten belastenden Rückwirkung.
15Es werde beantragt, die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 238 Abs. 1a AO n.F., soweit er rückwirkend zum 01.01.2019 auf Erstattungszinsen anzuwenden sei, gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem BVerfG vorzulegen.
16Zudem habe der Beklagte für den streitbefangenen Zeitraum zunächst noch nicht einmal die unstreitigen Erstattungszinsen i.H.v. 0,15 % pro Monat gezahlt. Die Voraussetzungen des Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO, die Verzinsung gemäß § 165 Abs. 1 Satz 4 AO auszusetzen, solange die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung des § 238 Abs. 1a AO n.F. noch nicht vorlägen, seien jedoch entfallen. Mit ESt-Bescheid vom 16.05.2023 für das Jahr 2020 hätten der Bruder des Klägers zu 1. und dessen Ehefrau eine Steuererstattung einschließlich 0,15 % Zinsen pro Monat erhalten. Die technischen Voraussetzungen für die Anwendung des § 238 Abs. 1a AO hätten im Zeitpunkt der Klageerhebung damit offensichtlich seit mehr als drei Monaten vorgelegen. Es sei nicht ansatzweise erkennbar, weshalb die Finanzbehörde Änderungen von Zinsfestsetzungen nicht habe durchführen können, während Zinsfestsetzungen bei Erstveranlagungen schon seit Monaten möglich gewesen seien.
17Auf die festzusetzenden Erstattungszinsen seien darüber hinaus weitere Zinsen i.H.v. 0,5 % pro vollem Monat ab dem 22.02.2022 festzusetzen. Bei diesem Antrag auf Festsetzung eines Zinseszinses handele es sich um einen unselbständigen Annexantrag zu ihrem mit der Klage verfolgten Hauptbegehren. Insofern sei unerheblich, dass ein solcher Antrag erstmalig im Klageverfahren und nicht zuvor bei dem Beklagten gestellt worden sei. § 233a AO sei – zumindest i.V.m. § 238 Abs. 1a AO n.F. – in den Fällen, in denen die ausgesetzte Zinsfestsetzung gemäß § 165 Abs. 2 Satz 2 AO nachgeholt werde, für die Verzinsung von Erstattungszinsen analog anzuwenden. Denn Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO regle, dass § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Satz 4 und Abs. 2 AO auf die Festsetzung der Erstattungszinsen ab dem 01.01.2019 zur Anwendung kämen, solange die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung des § 238 Abs. 1a AO noch nicht vorlägen. Da die nachgeholte Festsetzung bei einer Steuer, wenn sie denn zur Erstattung führe, auch zu einer Zahlung von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO führe, müsse dies entsprechend für eine Nachholung der Festsetzung von Erstattungszinsen gelten. Dies ergebe sich auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen. Die Regelung in Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO sei zu unbestimmt und daher verfassungswidrig. Es sei nicht verständlich, was unter „technischen und organisatorischen Voraussetzungen“ zu verstehen sei. Letztlich genüge ein Taschenrechner mit Grundrechenarten, um die Zinsen ab dem 01.01.2019 zu berechnen. Die Norm sei kein Freibrief für die Finanzverwaltung, sich mit der Herstellung der technischen und organisatorischen Voraussetzungen unendlich Zeit zu lassen. Nach der Konzeption des Gesetzes solle die Festsetzung der Zinsen mit der Steuerfestsetzung verbunden werden. Nur dies sei auch verfassungskonform, weil der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebiete, den Liquiditätsvorteil und auch -nachteil, den eine späte Steuerfestsetzung gegenüber einer Steuerfestsetzung innerhalb der Karenzzeit mit sich bringe, auszugleichen. Wenn aber die Zinsen entgegen dieser gesetzgeberischen Vorstellung nicht unmittelbar nach der geänderten Steuerfestsetzung, die zu einer Steuererstattung führe, gezahlt würden, werde der verfassungsmäßig gebotene Ausgleich für den rechtswidrigen Liquiditätsentzug in Form einer unrechtmäßigen Steuererhebung nur unzureichend geleistet. Die Schwelle zur Verfassungswidrigkeit sei sicher überschritten, wenn – wie hier – die Erstattungszinsen statt im Februar 2022 erst mehr als zwei Jahre später gezahlt würden. Unter Berücksichtigung der Absenkung der Kaufkraft in diesem Zeitraum von mehr als 10 % bekämen Steuerpflichtige anstelle einer Verzinsung von 0,15 % pro Monat real nur noch 0,13 % oder weniger. Eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO müsse daher beinhalten, dass auf die Erstattungszinsen für die Zeit der Verzögerung ihrer Auszahlung wegen der Herstellung der technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung des § 238 Abs. 1a AO ihrerseits Zinsen in analoger Anwendung der §§ 233a, 238 Abs. 1a AO gezahlt würden. Im Hinblick auf die Entwicklung des Basiszinssatzes seit Juli 2022 – dieser sei um exakt vier Prozentpunkte auf +3,12 % gestiegen – und unter Zugrundelegung der Berechnungsweise des Gesetzgebers aus dem Jahr 2022 (Basiszinssatz plus 2,7 Prozentpunkte) liege der verfassungsgemäße Zinssatz derzeit bei 5,8 % jährlich. Entsprechend sei davon auszugehen, dass der verfassungsmäßig gebotene Zinssatz bei gerundet 0,5 % pro Monat liege. Auch insofern werde beantragt, § 238 Abs. 1a AO n.F. gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem BVerfG vorzulegen.
18Mit Bescheiden vom 27.02.2024 (für 2012, 2013 und 2015) bzw. 25.03.2024 (für 2016) hat der Beklagte geänderte Bescheide über Zinsen zur ESt erlassen und hierin die bislang ausgesetzten Zinsfestsetzungen nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO nachgeholt sowie für endgültig erklärt. Unter Zugrundelegung des sich aus § 238 Abs. 1a AO n.F. ergebenden Zinssatzes von monatlich 0,15 % für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 sind – zwischen den Beteiligten der Berechnung nach unstreitig – Erstattungszinsen zur ESt der Jahre 2012 (85.381 €), 2013 (79.334 €), 2015 (148.588 €) und 2016 (77.617 €) festgesetzt worden. Die Differenzbeträge zu den vorhergehenden Zinsfestsetzungen sind am 01.03.2024 (für 2012, 2013 und 2015) sowie am 28.03.2024 (für 2016) an die Kläger gezahlt worden.
19Die Kläger haben daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache im Umfang der Änderungen der Zinsfestsetzungen zu ihren Gunsten nebst 0,5 % Zinsen pro vollem Monat hierauf seit dem Zeitpunkt der Auszahlung der jeweiligen Beträge für erledigt erklärt.
20Sie beantragen nunmehr,
21den Beklagten zu verpflichten
221.
23den Bescheid für 2012 über Zinsen zur ESt vom 27.02.2024 dahingehend zu ändern, dass Erstattungszinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat für den Zeitraum vom 09.12.2018 bis 21.02.2022 (= 38 volle Monate) auf die ESt-Erstattung in Höhe von 289.850 € festgesetzt werden,
242.
25den Bescheid für 2013 über Zinsen zur ESt vom 27.02.2024 dahingehend zu ändern, dass Erstattungszinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 21.02.2022 (= 37 volle Monate) auf die ESt-Erstattung in Höhe von 271.196 € und für den Zeitraum vom 04.12.2018 bis 21.02.2022 (= 38 volle Monate) auf die ESt-Erstattung in Höhe von 15.904 € festgesetzt werden,
263.
27den Bescheid für 2015 über Zinsen zur ESt vom 27.02.2024 dahingehend zu ändern, dass Erstattungszinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat für den Zeitraum vom 04.12.2018 bis 21.02.2022 (= 38 volle Monate) auf die ESt-Erstattung in Höhe von 927.800 € festgesetzt werden,
284.
29den Bescheid für 2016 über Zinsen zur ESt vom 25.03.2024 dahingehend zu ändern, dass Erstattungszinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat für den Zeitraum vom 30.12.2018 bis 21.02.2022 (= 37 volle Monate) auf die ESt-Erstattung in Höhe von 956.581 € und für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 21.02.2022 (= 37 volle Monate) auf die ESt-Erstattung in Höhe von 4.969 € festgesetzt werden,
305.
31Zinsen auf die Erstattungszinsen in Höhe von 0,5 % Zinsen pro vollem Monat wie folgt festzusetzen:
32a)
33für den Zeitraum vom 22.02.2022 bis zum 21.02.2024 (= 24 Monate) auf die nach den Anträgen zu 1. bis 3. festzusetzenden Erstattungszinsen zur ESt der Jahre 2012, 2013 und 2015,
34b)
35ab dem 22.02.2024 auf die nach den Anträgen zu 1. bis 3. festzusetzenden und um 17.266 € für 2012, 16.008 € für 2013 bzw. 55.808 € für 2015 reduzierten Erstattungszinsen zur ESt der Jahre 2012, 2013 und 2015,
36c)
37für den Zeitraum vom 22.02.2022 bis zum 21.03.2024 (= 25 Monate) auf die nach dem Antrag zu 4. festzusetzenden Erstattungszinsen zur ESt 2016 sowie
38d)
39ab dem 22.03.2024 auf die nach dem Antrag zu 4. festzusetzenden und um 53.478 € reduzierten Erstattungszinsen zur ESt 2016.
40Der Beklagte beantragt,
41die Klage abzuweisen.
42Er macht geltend: Durch die angefochtenen Zinsfestsetzungen in den Bescheiden vom 18.02.2022 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19.05.2023 seien die Kläger nicht beschwert gewesen. In den Bescheiden seien ausschließlich Zinsen für Zeiträume bis zum 31.12.2018 festgesetzt worden, die zwischen den Beteiligten nicht streitig seien. Die Frage einer möglichen Verfassungswidrigkeit von § 238 Abs. 1a AO n.F. für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 sei daher im vorliegenden Klageverfahren nicht zu klären.
43Ungeachtet dessen sei die Absenkung der Erstattungszinsen auf 0,15 % pro Monat auch verfassungsgemäß. Eine verbotene Rückwirkung liege nicht vor, da der Sachverhalt nicht abgeschlossen gewesen sei. Denn die Zinsen bedürften stets der Festsetzung durch Bescheid. Ferner gelte das absolute Rückwirkungsverbot nur im Strafrecht. Die rückwirkende Regelung von Sachverhalten durch Gesetz sei nicht per se ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall sei die rückwirkende Regelung sogar geboten gewesen, da das BVerfG ausdrücklich festgestellt habe, dass Erstattungs- und Nachzahlungszinsen vom Gesetzgeber in verfassungsmäßig nicht zu beanstandender Weise einheitlich geregelt worden seien. Die Entscheidung des BVerfG habe zudem nicht in erster Linie Nachzahlungszinsen, sondern – wie sich aus dem Entscheidungstenor ergebe – die Vollverzinsung als solche betroffen. Da von der gebotenen Neuregelung lediglich noch nicht bestandskräftige Bescheide betroffen seien, stelle sich die Frage der echten Rückwirkung nicht.
44Dass sich die Umsetzung und technische Abwicklung der Neuregelung des § 238 Abs. 1a AO n.F. über einen gewissen Zeitraum hingezogen habe, sei darauf zurückzuführen, dass diese Problematik eine Vielzahl von Steuerbürgern betroffen habe. Da in NRW alle Zinsfälle programmgesteuert hätten umgestellt werden müssen und davon eine Vielzahl von Steuerpflichtigen betroffen sei, sei es selbsterklärend, dass neben der technischen Umsetzung (Programmierung) auch der Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen ein großes Gewicht zugekommen sei. Zur Bewältigung des Fallvolumens habe die Umsetzung in mehreren Stufen erfolgen müssen. In der letzten Stufe sei ab dem 02.01.2024 mit der programmgesteuerten Umstellung der ausgesetzten und/oder vorläufig ergangenen Zinsfestsetzungen nach § 233a AO begonnen worden. Da die Berichtigungsfestsetzungen sukzessive durchgeführt worden seien, habe keine Veranlassung bestanden, in einem letztlich zufälligen Einzelfall einzugreifen.
45Die von den Klägern nunmehr erstmals geforderte Verzinsung von Zinsen sei nach geltender Rechtslage nicht möglich. § 233 Satz 1 AO sehe lediglich die Verzinsung der in § 37 AO abschließend aufgezählten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis vor. Weder steuerliche Nebenleistungen noch Zinsen würden verzinst.
46Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
47Entscheidungsgründe
48A. Die Klage hat keinen Erfolg.
49Die Klage ist unzulässig, soweit sie den Klageantrag zu 5. betrifft (hierzu unter I.). Im Übrigen ist sie unbegründet (hierzu unter II.).
50I. Hinsichtlich des Klageantrags zu 5., mit dem die Festsetzung von Zinsen auf die Erstattungszinsen (Zinseszinsen) geltend gemacht wird, ist die Klage mangels eines zuvor bei dem Beklagten gestellten Antrags auf Festsetzung von Zinseszinsen unzulässig.
51Im Fall der Verpflichtungsklage muss der Kläger geltend machen, durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes in seinen Rechten verletzt zu sein (vgl. § 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Dies setzt voraus, dass er den begehrten Verwaltungsakt ohne Erfolg bereits beantragt hat (vgl. Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 40 FGO Rn. 45; von Groll in Gräber, FGO, § 40 Rn. 25). Wurde zuvor kein entsprechender Antrag bei der Behörde gestellt, ist die Verpflichtungsklage unzulässig (vgl. BFH, Beschluss vom 12.01.2012 II B 49/11, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2012, 757).
521. Hiernach ist die Klage auf Festsetzung von Zinseszinsen unzulässig. Die Kläger haben die begehrte Verzinsung der festzusetzenden Erstattungszinsen erstmals im Klageverfahren geltend gemacht und nicht zuvor – erfolglos – einen Antrag auf Erlass des begehrten Bescheides über die Festsetzung von Zinseszinsen bei dem Beklagten gestellt. Überdies ist entgegen § 44 Abs. 1 FGO auch kein außergerichtliches Vorverfahren durchgeführt worden.
532. Bei dem Klageantrag zu 5. handelt es sich entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Kläger auch nicht um einen bloß unselbständigen Annexantrag zu den Klageanträgen zu 1. bis 4., der keines vorhergehenden gesonderten Antrags bei der Behörde bedurft hätte. Hiervon wäre auszugehen, wenn der geltend gemachte Anspruch auf Zinseszins als zwangsläufige gesetzliche Folge eines erfolgreichen Hauptantrags als in diesem bereits mitenthalten anzusehen und auch ohne gesonderte Antragstellung im Verwaltungsverfahren vom Beklagten zu beachten und in Form eines Zinsfestsetzungsbescheides umzusetzen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Dem Verpflichtungsbegehren auf Festsetzung von Zinseszinsen kommt vielmehr eine eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung zu, die dem Begehren auf Festsetzung der Erstattungszinsen nicht mit anhaftet. Denn die geltend gemachte Verzinsung der Erstattungszinsen stellt keine zwangsläufige gesetzliche Folge im Falle des Erfolges der Klageanträge zu 1. bis 4. dar. Im Gegenteil schließt § 233 Satz 2 AO die Verzinsung steuerlicher Nebenleistungen, zu denen gemäß § 3 Abs. 4 Nr. 4 AO auch Zinsen nach den §§ 233 bis 237 AO gehören, sowie der entsprechenden Erstattungsansprüche ausdrücklich aus. Ohne einen Antrag der Kläger im Verwaltungsverfahren auf Verzinsung der Erstattungszinsen hätte der Beklagte – selbst im Falle der antragsgemäßen Festsetzung der Erstattungszinsen zugunsten der Kläger – keinerlei Veranlassung gehabt, sich mit der Festsetzung von Zinseszinsen zu befassen.
54II. Hinsichtlich der Klageanträge zu 1. bis 4. ist die Klage zulässig, aber unbegründet.
551. Die im Laufe des Klageverfahrens ergangenen Zinsbescheide vom 24.02.2024 und 25.03.2024, mit denen die in den ursprünglich streitbefangenen Bescheiden vom 18.02.2022 ausgesetzten Zinsfestsetzungen für die Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 nachgeholt worden sind, sind gemäß § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Klageverfahrens geworden.
56a) Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt gemäß § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens. Die Norm findet im Falle von Verpflichtungsklagen – im Streitfall ursprünglich gerichtet auf den Erlass endgültiger Zinsfestsetzungen auch für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 – entsprechende Anwendung (vgl. Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rn. 5). Eine Auswechslung des Verfahrensgegenstands setzt zudem voraus, dass die gegen den ersetzten Bescheid erhobene Klage zulässig ist (vgl. BFH, Urteil vom 10.01.2007 I R 75/05, BFH/NV 2007, 1506; Beschluss vom 31.01.2008 IV B 153/06, BFH/NV 2008, 1135; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 68 FGO Rn. 66).
57b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
58Die Bescheide vom 24.02.2024 bzw. 25.03.2014 haben die ursprünglich streitbefangenen Bescheide vom 18.02.2022 gemäß § 165 Abs. 2 Satz 2 AO geändert. Wird – wie im Streitfall – eine zum Teil nach § 165 Abs. 1 Satz 4 AO ausgesetzte Festsetzung nachgeholt, handelt es sich bei dieser nachgeholten Festsetzung um einen Änderungsbescheid i.S.v. § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 165 AO Rn. 182).
59Die ursprünglich erhobene Klage war auch zulässig. Insbesondere fehlte es – entgegen der Auffassung des Beklagten – nicht an einer Beschwer der Kläger i.S.v. § 40 Abs. 2 FGO. Zwar enthielten die ursprünglich streitbefangenen Bescheide vom 18.02.2022 endgültige Zinsfestsetzungen lediglich für vor dem 01.01.2019 liegende Verzinsungszeiträume, die zwischen den Beteiligten nicht streitig und auch nicht Gegenstand des Klageverfahrens sind. Den Klägern kann jedoch nicht entgegengehalten werden, dass es im Umfang der Aussetzung der Festsetzung für die vorliegend streitbefangenen Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 in den Bescheiden vom 18.02.2022 an einer sie beschwerenden Zinsfestsetzung gefehlt habe. Denn ihr ursprüngliches Begehren war – in der Form eines Verpflichtungsbegehrens – auf eine endgültige Festsetzung von Erstattungszinsen zur ESt der Jahre 2012, 2013, 2015 und 2016 i.H.v. 0,5 % pro Monat unter Einbeziehung der auch auf diese Zeiträume entfallenden Zinsbeträge gerichtet. Ihre Beschwer lag insoweit in einem Unterlassen endgültiger Zinsfestsetzungen in der von ihnen begehrten Höhe.
60c) Auch nach Auswechslung des Klagegegenstands gemäß § 68 Satz 1 FGO ist weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis der Kläger gegeben. Die Kläger machen weiterhin höhere Zinsen geltend als in den nunmehr streitgegenständlichen Änderungsbescheiden festgesetzt worden sind.
612. Die Klage auf Festsetzung von Erstattungszinsen zur ESt gemäß § 233a AO in der von den Klägern begehrten Höhe ist jedoch unbegründet.
62Die Zinsbescheide für 2012, 2013 und 2015 vom 27.02.2024 und für 2016 vom 25.03.2024 sind rechtmäßig. Die Kläger sind nicht in ihren Rechten verletzt, soweit der Beklagte die Steuererstattungsbeträge für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 auf Grundlage von § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1a AO n.F. lediglich mit 0,15 % pro vollem Monat anstelle der von den Klägern beantragten 0,5 % pro vollem Monat verzinst hat (§ 101 Satz 1 FGO).
63a) Soweit die Zinsfestsetzungen in den Bescheiden vom 18.02.2022 zunächst gemäß § 165 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO ausgesetzt waren, hat der Beklagte die Festsetzungen in den Bescheiden vom 27.02.2024 bzw. 25.03.2024 gemäß § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO in zutreffender Höhe nachgeholt.
64Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass der Beklagte die einfachgesetzlichen Vorgaben, die sich aus der Neuregelung des Zinssatzes für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 gemäß § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1a und Abs. 1b AO n.F. ergeben, in den Bescheiden zutreffend umgesetzt hat.
65Mit Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282, hat das BVerfG § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 AO für mit Art. 3 GG unvereinbar erklärt, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von 0,5 % Prozent für jeden Monat zugrunde gelegt wurde. Für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 wurde der Gesetzgeber verpflichtet, eine Neuregelung zu treffen. Diesem Auftrag ist der Gesetzgeber mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung der AO und des EGAO nachgekommen. Gemäß § 238 Abs. 1a AO n.F. betragen die Zinsen in den Fällen des § 233a AO abweichend von § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ab dem 01.01.2019 nun 0,15 % für jeden Monat, das heißt 1,8 % für jedes Jahr.
66Diesen niedrigeren Zinssatz hat der Beklagte in den Bescheiden vom 27.02.2024 bzw. 25.03.2024 den erstmaligen Zinsfestsetzungen für die – allein streitbefangenen – Teilverzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 zutreffend zugrunde gelegt. Entsprechend den weiteren Vorgaben des § 238 Abs. 1b AO n.F. hat er die sich jeweils über den Jahreswechsel 2018/2019 erstreckenden Zinsläufe in Teilverzinsungszeiträume aufgeteilt, für die jeweils die unterschiedlichen Zinssätze des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO bzw. § 238 Abs. 1a AO n.F. zur Anwendung kommen, und eine jeweils taggenaue Berechnung vorgenommen. Die von den Klägern begehrte höhere Verzinsung ab dem 01.01.2019 mit 0,5 % pro vollem Monat findet demgegenüber in § 238 Abs. 1a AO n.F. keine einfachgesetzliche Grundlage. Da insoweit und auch hinsichtlich der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Neuregelung nach Art. 97 § 15 Abs. 14 Satz 1 EGAO zwischen den Beteiligten zu Recht kein Streit besteht, sieht der Senat von weiteren Ausführungen ab.
67b) Der erkennende Senat hält § 238 Abs. 1a AO n.F. nicht für verfassungswidrig, weshalb das Verfahren nicht – wie von den Klägern beantragt – nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen ist.
68aa) § 238 Abs. 1a AO n.F. verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.
69(1) Auf den grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen sowie den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) beruht das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.03.2021 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177). Hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen die Rückwirkung von Gesetzen gerechtfertigt ist, unterscheidet das BVerfG in ständiger Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, zwischen der sog. echten Rückwirkung bzw. der Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der sog. unechten Rückwirkung bzw. der tatbestandlichen Rückanknüpfung (zur diesbezüglichen Unterscheidung vgl. BFH, Beschluss vom 16.12.2003 IX R 46/02, BStBl II 2004, 284).
70(a) Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon für vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen"). Das ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 2 BvL 14/02, BVerfGE 127, 1; Beschluss vom 25.03.2021 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177). Allerdings tritt das Rückwirkungsverbot zurück, wenn sich ausnahmsweise kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte. Davon ist unter anderem dann auszugehen, wenn der Betroffene schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen war, nicht mit dem Fortbestand der Regelung rechnen durfte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.10.1996 1 BvL 44/92, BVerfGE 95, 64; Beschluss vom 18.02.2009 1 BvR 3076/08, BVerfGE 122, 374; Beschluss vom 17.12.2013 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1; Beschluss vom 12.07.2023 2 BvR 482/14, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2023, 1769).
71Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung"), liegt demgegenüber eine unechte Rückwirkung vor. Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig, sofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.03.2021 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177).
72(b) Im Sachbereich des Steuerrechts wird die Differenzierung zwischen echter und unechter Rückwirkung mit Blick auf die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen, das Entstehen der Steuerschuld, vorgenommen. Eine echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) liegt danach vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302; Beschluss vom 17.12.2013 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1; Beschluss vom 25.03.2021 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177).
73Für den Bereich der Vollverzinsung von Steuererstattungen nach § 233a AO bedeutet dies entsprechend, dass eine echte Rückwirkung vorliegt, wenn ein bereits entstandener Zinsanspruch durch eine gesetzliche Regelung nachträglich abgeändert wird.
74(2) Bezogen auf den Streitfall bewirkt § 238 Abs. 1a AO n.F. eine echte Rückwirkung (hierzu unter (a)), die nach Auffassung des Senats unter Berücksichtigung von Vertrauensschutzgesichtspunkten jedoch zulässig ist (hierzu unter (b)).
75(a) Eine echte Rückwirkung ist gegeben, weil der Zinssatz des § 238 Abs. 1a AO n.F. im Streitfall auf die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes dem Grunde nach entstandenen Zinsansprüche der Kläger nach § 233a Abs. 1 AO rückbezogen wurde.
76(aa) § 238 Abs. 1a AO n.F. trat am 22.07.2022, dem Tag nach der Verkündung des Zweiten Gesetzes zur Änderung der AO und des EGAO im BGBl, in Kraft (vgl. Art. 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der AO und des EGAO).
77(bb) Zu diesem Zeitpunkt waren die streitgegenständlichen Ansprüche der Kläger auf Erstattungszinsen nach § 233a AO bereits entstanden und wurden, soweit sie Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 umfassen, durch die Rechtsfolgenanordnung des § 238 Abs. 1a AO n.F. rückwirkend der Höhe nach konkretisiert.
78Der Zinsanspruch nach § 233a Abs. 1 AO entsteht (erst) mit der Steuerfestsetzung, aus der eine Steuernachforderung bzw. Steuererstattung resultiert. Nach § 38 AO entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen gemäß § 37 Abs. 1 AO auch der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung wie der Zinsen nach § 233a AO zählt, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Im Falle der Vollverzinsung bedarf es zur Verwirklichung des Verzinsungstatbestandes nach § 233a Abs. 1 AO der Steuerfestsetzung, die zu dem die Nachforderung bzw. Erstattung auslösenden Unterschiedsbetrag führt (vgl. BFH, Urteil vom 14.05.2002 VII R 6/01, BStBl II 2002, 677; Kögel in Gosch, AO/FGO, § 233a AO Rn. 160; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 233a AO Rn. 75). Soweit die Kläger geltend machen, dass der Zinsanspruch materiell-rechtlich bereits vor der Steuerfestsetzung, nämlich ratierlich mit Ablauf eines jeden vollen Monats innerhalb des Zinslaufs entsteht, vermag der Senat dieser Auffassung im Hinblick auf die tatbestandliche Anknüpfung der Vollverzinsung nach § 233a Abs. 1 AO an die jeweilige Steuerfestsetzung nicht zu folgen. Die Dauer des Zinslaufs und der auf den jeweiligen Verzinsungszeitraum anzuwendende Zinssatz sind insofern Berechnungsgrößen, die erst mit der Steuerfestsetzung i.S.v. § 233a Abs. 1 AO und der hierdurch ausgelösten Entstehung des Zinsanspruchs Relevanz erlangen.
79Im Streitfall entstanden die Zinsansprüche der Kläger nach § 233a Abs. 1 AO damit mit Wirksamwerden der geänderten ESt-Festsetzungen 2012, 2013, 2015 und 2016 vom 18.02.2022 am 21.02.2022. Mit dem späteren Inkrafttreten von § 238 Abs. 1a AO n.F. am 22.07.2022 wurden die Ansprüche rückwirkend für die Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 der Höhe nach konkretisiert. Dass die Ansprüche zu diesem Zeitpunkt insoweit noch einer Festsetzung durch Bescheid bedurften, ist für die Beurteilung der Rückwirkung des Gesetzes nicht entscheidungserheblich. Denn der Zinssatz des § 238 Abs. 1a AO n.F., der „in den Fällen des § 233a AO“ zur Anwendung kommt, wirkt sich unabhängig von der verfahrensmäßigen Festsetzung der Zinsen bereits unmittelbar auf die Höhe des dem Grunde nach entstandenen Zinsanspruchs aus.
80(b) Diese echte Rückwirkung ist jedoch ausnahmsweise zulässig, da die Kläger im insofern maßgeblichen Zeitpunkt der materiell-rechtlichen Entstehung der Zinsansprüche nicht mehr mit einem Fortbestand der für sie günstigeren Regelung des § 238 Abs. 1 AO für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 rechnen durften.
81Bereits zuvor, mit der Veröffentlichung der Entscheidung des BVerfG vom 08.07.2021 am 18.08.2021, mit der der typisierte Zinssatz nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 233a AO i.H.v. 0,5 % pro vollem Monat spätestens für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber eine rückwirkende Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 aufgegeben wurde, war einem Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Regelung – auch für Erstattungszinsen – die Grundlage entzogen.
82Zwar richteten sich die dem BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerden – worauf die Kläger zutreffend hinweisen – allein gegen die Festsetzung von Nachzahlungszinsen (zur Gewerbesteuer) nach § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 AO. Auch war die verfassungsrechtliche Prüfung durch das Gericht angesichts dessen in erster Linie daran ausgerichtet, ob die Vollverzinsung mit dem typisierten Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO im Nachzahlungsfall gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstieß. Die vom BVerfG ausgesprochene Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz betraf jedoch explizit zum einen sämtliche von § 233a Abs. 1 Satz 1 AO erfasste Steuerarten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282, dort unter D.I.2.a)bb)) und zum anderen neben den Nachzahlungszinsen auch die im Rahmen des einheitlichen gesetzgeberischen Regelungskonzeptes des § 233a AO ebenfalls erfassten Erstattungszinsen (vgl. unter D.I.2.b)bb) der Gründe des Beschlusses). § 233a Abs. 1 i.V.m. § 238 Abs. 1 AO durfte dem BVerfG zufolge im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit durch Gerichte und Verwaltungsbehörden insgesamt nicht mehr angewendet werden, laufende Verfahren waren auszusetzen. Die dem Gesetzgeber aufgegebene Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 musste angesichts dessen zwangsläufig rückwirkend auch den Zinssatz für Erstattungszinsen umfassen. Dass das BVerfG – entgegen der Vermutung der Kläger – hinsichtlich der gebotenen gesetzgeberischen Neuregelung auch eine etwaige Rückwirkungsproblematik im Falle von Erstattungszinsen in seine Überlegungen einbezogen hat, wird bereits daraus deutlich, dass in der Entscheidung (vgl. unter D.I.3.b) der Gründe des Beschlusses) explizit auf die gebotene Prüfung hinweist, ob und inwieweit einer Änderung oder Aufhebung vorläufig ergangener Festsetzungen von Erstattungszinsen zuungunsten der Steuerpflichtigen die Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO entgegensteht.
83Sofern die Kläger im Vertrauen auf die Fortgeltung des typisierten Zinssatzes nach § 238 Abs. 1 AO für ihre Zinsansprüche von einer Klage gegen die mit Einsprüchen angegriffenen ESt-Bescheide der Streitjahre Abstand genommen haben sollten, die – im Falle des Obsiegens – gemäß § 236 AO i.V.m. § 238 Abs. 1 AO einen Anspruch auf Prozesszinsen i.H.v. monatlich 0,5 % ausgelöst hätte, hätte ein solcher Entschluss selbst vor der Veröffentlichung der Entscheidung des BVerfG keinen erhöhten Vertrauensschutz im Sinne des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots begründet. Da die Zinsansprüche erst mit Wirksamwerden der Steuerfestsetzungen und – wie bereits dargelegt – nicht ratierlich mit Ablauf eines jeden vollen Monats des Zinslaufs rechtlich entstanden, waren ein zeitlich vorgelagertes Vertrauen der Kläger in die Fortgeltung von § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 AO für sich künftig ggfs. ergebende Steuererstattungsansprüche und aus diesem Vertrauen ggfs. abgeleitete Dispositionen noch nicht zu einer vollwertigen Rechtsposition erstarkt, die einen verstärkten Vertrauensschutz im Sinne des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots vermittelt hätte. Ob – worauf die Ausführungen des BVerfG im Beschluss vom 08.07.2021 (dort (dort unter D.I.3.b)) hindeuten (vgl. Seer, DB 2022, 1795, 1798) – Steuerpflichtige angesichts des BFH-Beschlusses vom 25.04.2018 IX B 21/18, BStBl II 2018, 415, aufgrund der hohen Anzahl zunehmend kritischer Stimmen in der Literatur sowie verschiedener gesetzgeberischer Initiativen ab Sommer 2018, die sich insbesondere auf die fehlende Realitätsgerechtigkeit des bisherigen Zinssatzes stützten, bereits im Laufe des Jahres 2018 nicht mehr in schützenswerter Weise auf den Fortbestand der Regelung des § 238 Abs. 1 AO für Fälle der Vollverzinsung vertrauen durften, bedarf angesichts dessen keiner abschließenden Entscheidung.
84bb) § 238 Abs. 1a AO n.F. ist zur Überzeugung des Senats auch nicht aus anderen Gründen verfassungswidrig. Insbesondere verstößt die Norm nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
85(1) Die strukturelle Ausgestaltung der Vollverzinsung nach § 233a Abs. 1 AO begegnet unter Gleichheitsgesichtspunkten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber bewegt sich mit der Festlegung eines typisierten, starren Zinssatzes im Rahmen seines Spielraums bei der Ausgestaltung eines rechtsstaatlichen und zugleich praktikablen Besteuerungsverfahrens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.09.2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115; Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282; BFH, Urteil vom 09.11.2017 III R 10/16, BStBl II 2018, 255). Dass die konkrete Höhe des Zinssatzes des § 238 Abs. 1a AO n.F. von 0,15 % je Monat eine nicht realitätsgerechte Typisierung zulasten steuererstattungsberechtigter Steuerpflichtiger darstellen könnte, machen auch die Kläger nicht geltend. Hierfür bestehen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte. Bei der Bemessung des Zinssatzes hat sich der Gesetzgeber im Jahr 2022 an einem Mittelwert von Habenzinsen einerseits (rund 0 % pro Jahr) und Darlehenszinsen für Konsumkredite andererseits (zwischen rund 2,4 % pro Jahr – besichert – und 5,3 % pro Jahr – unbesichert –) orientiert (vgl. BT-Drucksache 20/1633, S. 21). Dabei bewegt er sich nach Auffassung des Senats, soweit vorliegend der typisierte Zinssatz für den Zeitraum bis zum Erlass der ESt-Änderungsbescheide vom 18.02.2022 zur Anwendung kommt, jedenfalls nicht außerhalb seiner Typisierungsbefugnis (ähnlich BFH, Beschluss vom 08.05.2024 VIII R 9/23, BFH/NV 2024, 1207; Seer, DB 2022, 1795).
86(2) Auch der Umstand, dass Prozesszinsen gemäß § 236 Abs. 1 AO i.V.m. § 238 Abs. 1 AO weiterhin mit 0,5 % je Monat anfallen, begründet – entgegen der von den Klägern im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren geäußerten Auffassung – keinen Verstoß des § 238 Abs. 1a AO n.F. gegen Art. 3 Abs. 1 GG zulasten von Steuerpflichtigen, deren Steuererstattungsbetrag ab dem 01.01.2019 im Rahmen der Vollverzinsung nur noch mit monatlich 0,15 % verzinst wird.
87Ein Gleichlauf der Zinssätze in Fällen der Verzinsung von Erstattungsbeträgen nach § 233a AO und der Prozesszinsen nach § 236 AO ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Zwar kommen beiden Verzinsungstatbeständen ihren jeweiligen Grundgedanken nach vergleichbare Ausgleichsfunktionen zu. So sollen im Falle des § 233a AO Liquiditätsnachteile des erstattungsberechtigten Steuerpflichtigen, die aus einer nicht zeitnahen Festsetzung resultieren, ausgeglichen und im Falle des § 236 AO eine Entschädigung für das Vorenthalten des Kapitals für die Zeit ab Rechtshängigkeit gewährt werden (vgl. zu Sinn und Zweck der Regelungen Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 233a AO Rn. 10, § 236 AO Rn. 5). Dennoch besteht ein wesentlicher und die Differenzierung auch im Rahmen der Zinssätze rechtfertigender Unterschied der Interessen- und Risikolagen der Betroffenen. Steuerpflichtige, die Klage erheben, gehen ein Prozess- und hieraus folgendes Kostenrisiko ein. Steuerpflichtige, deren Steuerfestsetzung gemäß § 165 AO vorläufig erfolgt ist oder deren Einspruchsverfahren – wie im Streitfall – im Hinblick auf ein anhängiges Musterverfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 1 AO zum Ruhen gebracht worden ist, und die angesichts dessen ihr Begehren nicht im Klagewege verfolgen, tragen dieses Risiko nicht. Dass auch diese Steuerpflichtigen ggfs. zur Eingehung eines entsprechenden Prozessrisikos bereit gewesen wären, steht der tatsächlichen Risikoübernahme nicht gleich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.06.2022 2 BvR 737/20, BVerfGE 162, 325). Angesichts dessen lässt sich aus dem Umstand, dass Steuererstattungsbeträge im Falle ihrer Rechtshängigkeit nach § 236 AO verzinst werden, unter Gleichbehandlungsaspekten weder ein genereller Anspruch auf Vollverzinsung dieser Beträge nach § 233a AO außerhalb eines Klageverfahrens ableiten (vgl. zur Kernbrennstoffsteuererstattung BVerfG, Beschluss vom 30.06.2022 2 BvR 737/20, BVerfGE 162, 325; zu nachgezahltem Kindergeld BFH, Urteil vom 20.04.2006 III R 64/04, BStBl II 2007, 240), noch begegnet es verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn auf die in den Anwendungsbereich der Vollverzinsung nach § 233a AO fallenden Steuererstattungsansprüche ein – den verfassungsrechtlichen Typisierungsanforderungen der Vollverzinsung im Übrigen entsprechender – niedrigerer Zinssatz zur Anwendung kommt als bei Prozesszinsen. Auch eine entsprechende Anwendung von § 236 AO auf einspruchsbehaftete, aber nicht rechtshängige Steuerfestsetzungen kommt in diesen Konstellationen nicht in Betracht (vgl. BFH, Urteil vom 02.03.1988 I R 72/84, BFH/NV 1988, 619; Beschluss vom 03.04.2007 IX B 169/06, BFH/NV 2007, 1267; Beschluss vom 23.10.2019 VII B 40/19, BFH/NV 2020, 81).
88III. Ergänzend weist der Senat hinsichtlich des Klageantrags zu 5. darauf hin, dass dieser, ungeachtet seiner Unzulässigkeit (siehe hierzu bereits unter I.), auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte.
89Der geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung der Erstattungszinsen findet in den Steuergesetzen keine Rechtsgrundlage. Schon aufgrund des eindeutigen gesetzlichen Ausschlusstatbestands des § 233 Satz 2 AO scheidet eine Verzinsung der zu Gunsten der Kläger festgesetzten Erstattungszinsen aus. Folgerichtig sieht auch § 233a AO, der ausschließlich und abschließend die Vollverzinsung von Unterschiedsbeträgen aus der Festsetzung der dort genannten Steuerarten regelt (vgl. BFH, Beschluss vom 23.06.2014 VIII B 75/13, BFH/NV 2014, 1713), keine Verzinsung steuerlicher Nebenleistungen vor. Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO erweitert den sachlichen Anwendungsbereich der Vollverzinsung – entgegen der Annahme der Kläger – nicht.
90Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht. Die Verfassung enthält kein allgemeines Gebot, Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis zu verzinsen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.09.1979 1 BvR 594/79, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 1979, Nr. 534; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 233 AO Rn. 15). Der Gesetzgeber bewegt sich nach Auffassung des Senats innerhalb des ihm zustehenden Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraums bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung steuerlicher Verzinsungstatbestände (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 03.09.2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115; Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282; Beschluss vom 30.06.2022 2 BvR 737/20, BVerfGE 162, 325), wenn er den sachlichen Anwendungsbereich der Vollverzinsung auf die in § 233a AO aufgezählten Veranlagungssteuern beschränkt, um die in diesem Zusammenhang typischerweise entstehenden Liquiditätsvor- und -nachteile auszugleichen. Demgegenüber ist er schon unter Typisierungsgesichtspunkten nicht verpflichtet, eine Vollverzinsung auch der sich aus § 233a AO ergebenden Zinsansprüche für die Fälle anzuordnen, in denen es infolge einer der Steuerfestsetzung zeitlich nachfolgenden Zinsfestsetzung ebenfalls zu Liquiditätsvor- oder -nachteilen auf Seiten der Steuerpflichtigen oder des Fiskus kommen kann. Denn im gesetzlich vorgesehenen Regelfall der Verbindung von Steuer- und Zinsfestsetzung gemäß § 233a Abs. 4 AO entstehen solche Liquiditätsauswirkungen gerade nicht.
91B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO.
92Im Hinblick auf den Erlass der endgültigen Zinsbescheide im Laufe des Klageverfahrens, durch den der Beklagte dem Klagebegehren teilweise abgeholfen hat, war über die Kosten des Verfahrens nach Zeitabschnitten zu entscheiden (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 21.02.2017 VIII R 10/14, BStBl II 2017, 819; Beschluss vom 27.06.2023 IX R 7/23 (IX R 19/12), BFH/NV 2023, 1098). Die Kosten bis zum Erlass der Änderungsbescheide waren hiernach gemäß § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO – entsprechend dem Verhältnis der Teilabhilfe zum mit den Klageanträgen zu 1. bis 5. insgesamt verfolgten klägerischen Begehren – zu 25 % dem Beklagten aufzuerlegen. Da die Kläger mit ihrem nach Erlass der Änderungsbescheide noch verbliebenen Begehren insgesamt unterlegen sind, waren die Kosten, die nach dem Tag der Bekanntgabe des letzten Änderungsbescheides (für das Streitjahr 2016) entstandenen sind, gemäß § 135 Abs. 1 FGO vollumfänglich ihnen aufzuerlegen.
93C. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
94D. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO im Hinblick auf die von den Klägern aufgeworfene Frage eines Verstoßes von § 238 Abs. 1a AO n.F. gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot zuzulassen.