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Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antrag auf Anordnung der Haft nach § 284 Abs. 8 AO zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft vom 24.03.2025 gegenüber dem Amtsgericht X. zurückzunehmen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin und der Antragsgegner zu je ½.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
2I.
3Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz wegen eines vom Antragsgegner gestellten Antrags auf Haftanordnung zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft.
4Die Antragstellerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH ...-Imbissbetriebe. Alleingesellschafterin der Antragstellerin ist die M. GmbH. Geschäftsführer der Antragstellerin ist seit dem 00.06.2024 Q. U..
5Nach einer Außenprüfung erließ der Antragsgegner Körperschaft- und Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2014 bis 2017. Die darin festgesetzten Steuern wurden am 22.05.2024 fällig. Ein Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung der Bescheide wurde vom Finanzgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 01.10.2024 abgelehnt (Az. 7 V 1261/24 A (K,G,U)).
6Am 28.10.2024 bestanden Forderungen des Antragsgegners gegen die Antragstellerin wegen Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer nebst Solidaritätszuschlag für 2014 bis 2017 sowie Zinsen und Säumniszuschlägen i.H.v. insgesamt 217.993,66 EUR. Mit Schreiben vom 28.10.2024 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, den offenen Betrag bis zum 20.11.2024 an ihn zu zahlen. Zugleich teilte er mit, dass die Antragstellerin für den Fall der nicht fristgemäßen Zahlung mit kostenpflichtigen Vollstreckungsmaßnahmen und einem Kontenabruf rechnen müsse. Das Schreiben wurde an eine Steuerberatungsgesellschaft als Empfangsbevollmächtigte der Antragstellerin versandt.
7Am 08.01.2025 führte der Antragsgegner eine elektronische Aktenauswertung durch, auf die wegen der Ergebnisse und Einzelheiten Bezug genommen wird. Zudem erließ er unter dem 08.01.2025 gegenüber dem Pfändungsservice der J. – eine Niederlassung der O. AG – eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung.
8Am 14.01.2025 führte ein Vollziehungsbeamter bei der Antragstellerin Pfändungsmaßnahmen durch. In seiner Niederschrift, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, vermerkte er, dass die Pfändung fruchtlos geblieben sei.
9Mit Schreiben vom 14.01.2025 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass der Vollziehungsbeamte sie am 28.01.2025 nochmals aufsuchen werde und forderte sie nochmal zur Zahlung auf. Das Schreiben war an die Antragstellerin adressiert.
10Am 21.01.2025 veranlasste der Antragsgegner einen Kontenabruf. Die Antragstellerin wurde mit einem an sie adressierten Schreiben darüber informiert.
11Mit einem Schreiben vom 22.01.2025 erstellte der Antragsgegner eine Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft. In dem Betreff des Schreibens wurde die Antragstellerin als Vollstreckungsschuldner genannt. Adressiert war das Schreiben an den Geschäftsführer der Antragstellerin, Q. U., ohne dass das Adressfeld einen Hinweis auf seine Geschäftsführerstellung enthielt. Als Adresse wurde die Privatanschrift des Geschäftsführers angegeben.
12In dem Schreiben wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin dem Antragsgegner einen Gesamtbetrag von 205.049,50 EUR schulde. Der Geschäftsführer sei nach § 284 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung – AO – verpflichtet, eine Auskunft über das Vermögen der von ihm gesetzlich vertretenen Antragstellerin zu erteilen, wenn er die Rückstände nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Ladung begleiche. Er wurde aufgefordert, am 24.03.2025 um 9:00 Uhr im Finanzamt zu erscheinen und an Amtsstelle eine Auskunft über das Vermögen der Antragstellerin zu erteilen.
13Ausweislich einer Postzustellungsurkunde wurde dem Geschäftsführer das Schreiben am 27.01.2025 in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt, weil eine Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung nicht möglich gewesen sei.
14Am 24.03.2025 erschien der Geschäftsführer der Antragstellerin nicht im Finanzamt. Gründe für sein Fehlen oder Entschuldigungsgründe teilte er nicht mit.
15Der Antragsgegner beantragte am 24.03.2025 beim Amtsgericht X. die Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft. Dabei gab er als Vollstreckungsschuldner die Antragstellerin und ihren Geschäftsführer als gesetzlichen Vertreter an. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, dass der gesetzliche Vertreter in dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft ohne ausreichende Entschuldigung nicht erschienen sei. Der gesetzliche Vertreter sei zur Abgabe der Vermögensauskunft verpflichtet. Die Voraussetzungen zur Anordnung der Haft lägen vor. Die der Ladung zugrundeliegenden Rückstände bestünden noch in voller Höhe. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vollstreckung lägen vor.
16Der Antragsgegner übermittelte dem Geschäftsführer der Antragstellerin eine Abschrift seines Antrags an das Amtsgericht. In dem Begleitschreiben vom 24.03.2025, das an den Geschäftsführer ohne einen Hinweis auf seine Geschäftsführerstellung an dessen Privatanschrift adressiert war, wurde ausgeführt, dass ihm der Antrag als gesetzlicher Vertreter der Antragstellerin bekanntgegeben werde.
17Am 28.03.2025 hat die Antragstellerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz durch das Gericht gestellt.
18Die Antragstellerin begehrt eine Aussetzung der Vollziehung des Antrags auf Erlass eines Haftbefehls. Sie ist der Auffassung, dass ein Antrag nach § 69 der Finanzgerichtsordnung – FGO – statthaft sei, weil der Antrag an das Amtsgericht ein aussetzungsfähiger Verwaltungsakt sei. Die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Nr. 2 FGO sei erfüllt. Eine vorherige Antragstellung auf Aussetzung der Vollziehung beim Antragsgegner wäre sinnlose Förmelei und der Antragstellerin wegen Gefahr im Verzug nicht zuzumuten.
19Sollte der Verwaltungsaktcharakter der Vollstreckungsmaßnahme verneint werden, werde hilfsweise einstweiliger Rechtsschutz nach Maßgabe des § 114 FGO begehrt.
20In der Sache vertritt die Antragstellerin die Auffassung, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestünden. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 284 Abs. 6 AO sei nicht nachgewiesen. Eine Ladung vom 27.01.2025 habe den Geschäftsführer der Antragstellerin nicht erreicht. Sie rügt die Zustellung der Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft an die Privatadresse des Geschäftsführers. Die Vollstreckungsmaßnahme betreffe die Antragstellerin. Ihr Geschäftsführer sei davon nur als ihr Organ, nicht als Privatperson, berührt. Die Adressierung hätte daher – wie die bisherige Korrespondenz im Vollstreckungsverfahren – über die Adresse der GmbH geführt werden müssen.
21Eine wirksame Zustellung unterstellt, erfülle die Fiktion der Bekanntgabe nicht das Tatbestandsmerkmal „ohne ausreichende Entschuldigung“ im Termin nicht erschienen i.S.d. § 284 Abs. 8 Satz 1 AO. Ohne tatsächliche Kenntnis der Anberaumung des Termins sei keine Reaktion auf den Termin möglich.
22Außerdem sei die Fruchtlosigkeit der Vollstreckung in das Vermögen der Antragstellerin nicht hinreichend nachgewiesen.
23Die Ladung vom 22.01.2025 enthalte keine Ermessensausübung. Auch der Haftantrag sei ermessensfehlerhaft.
24Die Antragstellerin beantragt,
25den mit Datum vom 24.3.2025 an das Amtsgericht X. gestellten Antrag des Antragsgegners auf Erlass eines Erzwingungshaftbefehls in der Vollziehung auszusetzen,
26hilfsweise dem Antragsgegner im Rahmen einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, den o.g. Antrag an das Amtsgericht zurückzunehmen.
27Der Antragsgegner beantragt,
28den Antrag abzuweisen.
29Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass der Antrag nach § 69 FGO nicht zulässig sei. Der von ihm gestellte Antrag an das Amtsgericht sei kein Verwaltungsakt.
30Jedenfalls sei der Antrag unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 284 Abs. 6 AO erfüllt seien. Er sei berechtigt gewesen, die Haftanordnung beim Amtsgericht zu beantragen.
31Die Ladung sei wirksam bekanntgegeben worden. Die Adressierung der Aufforderung zur Abgabe der Vermögensauskunft sei, wie vom Gesetz verlangt, an den Vollstreckungsschuldner selbst erfolgt. Eine Bekanntgabe an die Wohnanschrift des Geschäftsführers genüge diesen Anforderungen. Die unterbliebene Kenntnisnahme der Aufforderung trotz bestehender Möglichkeit und Nichtwahrnehmung des Termins würden ein Verschulden im Sinne des § 284 Abs. 8 AO darstellen.
32Vorherige Vollstreckungsmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Eine Aktenauswertung gemäß § 249 AO sei erfolglos geblieben. Kontenpfändungen und ein Vollstreckungsversuch durch den Vollziehungsbeamten am 14.01.2025 hätten keine nennenswerte Befriedigung der ausstehenden Steuerforderungen bewirkt. Im Vermerk des Vollziehungsbeamten vom 14.01.2025 sei die Pfändung als fruchtlos eingestuft worden. So sehe er es auch für die restlichen Maßnahmen.
33Es habe eine Ermessensausübung stattgefunden. Der für die Vollstreckung zuständige Sachwalter habe sich bei Erlass der Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft vom 22.01.2025 ausdrücklich auf die Höhe der ausstehenden Vollstreckungsrückstände von 205.049,50 EUR bezogen. Er habe dabei in sein gedankliches Mitbewusstsein aufgenommen, dass ein hoher Steuerbetrag geschuldet und eine Verwertung nur des bisher bekannten Vermögens des Vollstreckungsschuldners nicht zu einer Befriedigung der Forderungen führen könnte. Außerdem seien dem Antragsgegner bei Erlass der Ladung keine Umstände bekannt gewesen oder von der Antragstellerin vorgetragen worden, die unter Berücksichtigung der Höhe der rückständigen Steuer und der Erfolglosigkeit bisheriger Vollstreckungsmaßnahmen den Schluss zugelassen hätten, dass eine positive Ausübung des Ermessens zur Ladung des Antragstellers eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehlgebrauch darstellen würde.
34Auf Nachfrage des Gerichts hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass kein Einspruch gegen seinen Antrag vom 24.03.2025 vorliege.
35Am 13.06.2025 hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass das Amtsgericht am 24.04.2025 unter dem Aktenzeichen N01 einen Haftbefehl erlassen habe. Er habe den Haftbefehl am 05.05.2025 erhalten und zugleich dem Gerichtsvollzieher einen Vollstreckungsauftrag erteilt. Am 23.05.2025 habe er dem Gerichtsvollzieher den Haftbefehl weitergeleitet. Eine Abschrift des Haftbefehls könne nicht vorgelegt werden, weil er sich vor der Weiterleitung des Originals keine Kopie gefertigt habe.
36Der Bevollmächtigte der Antragstellerin ist durch das Finanzgericht am 13.06.2025 über den Erlass des Haftbefehls informiert worden. Er hat mitgeteilt, dass er bislang hiervon keine Kenntnis gehabt habe.
37Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und den Inhalt der hinzugezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
38II.
39Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
40A.
41Der Hauptantrag, mit dem die Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung des Antrags auf Anordnung der Haft nach § 284 Abs. 8 AO begehrt, ist unzulässig.
42Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen.
43Unabhängig von der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob der Antrag auf Anordnung der Haft als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, ist der Aussetzungsantrag unzulässig, weil es an einer Anfechtung des (vermeintlichen) Verwaltungsakts fehlt. Es ist weder dargetan noch aus den Akten ersichtlich, dass die Antragstellerin gegen den Antrag auf Anordnung der Haft einen Einspruch eingelegt hat. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass ihm kein solcher Einspruch vorliege.
44B.
45Der Hilfsantrag der Antragstellerin, der auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 114 FGO gerichtet ist, hat Erfolg.
46Gemäß § 114 Abs. 1 FGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
47Zur Erlangung einer einstweiligen Anordnung nach jedem dieser Tatbestände hat der Antragsteller auf Grund der Verweisung in § 114 Abs. 3 FGO auf die Bestimmungen der Zivilprozessordnung – ZPO – den Anspruch und den Grund für den Erlass der einstweiligen Anordnung glaubhaft zu machen (vgl. § 920 Abs. 2 und § 294 ZPO), wobei als Anspruch in diesem Sinne der Anspruch aus dem Rechtsverhältnis anzusehen ist, das vom Antragsteller in der Hauptsache verfochten wird oder werden soll, und die Maßstäbe für den Anordnungsgrund dem § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO zu entnehmen sind (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 12.01.1993 VII B 169/92, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 1994, 504).
481.
49Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.
50a) Der Antrag ist statthaft und nicht gemäß § 114 Abs. 5 FGO unzulässig.
51Nach § 114 Abs. 5 FGO gelten die Absätze 1 bis 3 des § 114 FGO nicht für die Fälle des § 69 FGO. Daraus folgt, dass ein Antrag auf eine einstweilige Anordnung unzulässig ist, wenn ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statthaft wäre, es also um die Aussetzung eines vollziehbaren Verwaltungsakts geht. Die Abgrenzung zwischen § 114 FGO und § 69 FGO korrespondiert mit der Klageart in der Hauptsache. In Anfechtungssachen kann die Vollziehung nach § 69 FGO ausgesetzt werden. Eine einstweilige Anordnung ist grundsätzlich nur zulässig, wenn in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage, sonstige Leistungsklage oder Feststellungsklage erhoben werden soll oder bereits erhoben ist (vgl. Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 177. Lieferung, 9/2023, § 114 FGO, Rn. 8).
52Der Antrag auf Anordnung der Haft nach § 284 Abs. 8 AO ist – wovon auch der Antragsgegner ausgeht – kein Verwaltungsakt (so auch Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 185. Lieferung, 4/2025, § 284 AO 1977 Rn. 22; BeckOK AO/Baldauf, 32. Ed. 1.4.2025, AO § 284 Rn. 183; Klein/Werth, 18. Aufl. 2024, AO § 284 Rn. 28; Hohrmann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, 286. Lieferung, 5/2025, § 334 AO 1977 Rn. 16). Gemäß § 118 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Regelung ist das gewollte hoheitliche (einseitige) Setzen einer verbindlichen Rechtsfolge (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 185. Lieferung, 4/2025, § 118 AO 1977 Rn. 11). Die Rechtsfolge kann darin bestehen, dass Rechte und/oder Pflichten begründet, geändert oder aufgehoben sowie Rechte und/oder Pflichten oder eine bestimmte Eigenschaft einer Person oder einer Sache verbindlich festgestellt werden. Aus dem Inhalt der Regelung ergibt sich, dass und welche entsprechenden Rechtsfolgen versagt, insbesondere Ersuchen, Anträge u.Ä. positiv verbeschieden oder abgelehnt werden, dem Adressaten z.B. etwas geboten, verboten oder erlaubt wird (Müller-Franken in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, 286. Lieferung, 5/2025, § 118 AO 1977 Rn. 116). Das Merkmal „Regelung“ dient insbesondere dazu, Verwaltungsakte von Realakten und Wissenserklärungen, Willenserklärungen, nicht regelnden Verfahrenshandlungen (Vorbereitungsmaßnahmen u.a.m.) und unselbständigen Teilakten abzugrenzen (Müller-Franken in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, 286. Lieferung, 5/2025, § 118 AO 1977 Rn. 124). Keine Regelung der Finanzbehörde enthalten Amtshilfeersuchen sowie Anregungen und Anträge an andere Behörden (vgl. Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 185. Lieferung, 4/2025, § 118 AO 1977 Rn. 15b).
53Nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO kann die Vollstreckungsbehörde, die die Vollstreckung betreibt, wenn der Vollstreckungsschuldner ohne ausreichende Entschuldigung in dem zur Abgabe der Vermögensauskunft anberaumten Termin vor der in § 284 Abs. 5 Satz 1 AO bezeichneten Vollstreckungsbehörde nicht erschienen ist oder er ohne Grund die Abgabe der Vermögensauskunft verweigert, die Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe beantragen. Der Antrag auf Anordnung der Haft nach § 284 AO enthält keine Regelung mit Außenwirkung. Die Regelung, also die Anordnung der Haft, wird durch das Amtsgericht getroffen, dem im Hinblick auf den verfassungsrechtlich geregelten Richtervorbehalt (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG) die Entscheidung über die Haftanordnung trifft.
54Die von der Gegenauffassung für die Annahme eines Verwaltungsakts vorgebrachten Argumente (vgl. hierzu Finanzgericht – FG – Köln, Beschluss vom 12.10.2016 3 V 593/16, EFG 2017, 6; Müller-Franken in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, 286. Lieferung, 5/2025, § 284 AO Rn. 69; Kühnen/Seibel in: Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, 149. Lieferung, 5/2025, § 284 AO 1977 Rn. 16; Koenig/Klüger, 5. Aufl. 2024, AO § 284 Rn. 30) überzeugen nicht.
55So wird von der Gegenauffassung für die Annahme eines Verwaltungsakts angeführt, dass dem Antrag der Finanzbehörde nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO eine Ermessensentscheidung vorauszugehen habe und dass der Anspruch des Vollstreckungsschuldners auf ordnungsgemäße Ermessensausübung effektiv nur bei einer Annahme eines Verwaltungsakts und der damit einhergehenden Anfechtungsmöglichkeit verwirklicht werden könne. Zudem sei das Amtsgericht an den von der Finanzbehörde gestellten Antrag gebunden und verpflichtet, eine Entscheidung über die Haftanordnung zu treffen.
56Nach Ansicht des Senats ist der Antrag auf Erlass der Haftanordnung einem Antrag der Finanzbehörde auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vergleichbar. Die Stellung des Insolvenzantrags steht ebenfalls im Ermessen der Behörde und auch über diesen Antrag hat ein Gericht zu entscheiden. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, ist ein Insolvenzantrag der Finanzbehörde kein Verwaltungsakt, sondern schlichtes hoheitliches Handeln (vgl. nur BFH-Beschluss vom 31.08.2011 VII B 59/11, BFH/NV 2011, 2105). Vorläufiger Rechtsschutz kommt bei einem solchen Antrag des Finanzamts durch eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO in Betracht, wobei sich die Prüfung des Gerichts auf die Erfolgsaussichten des Antragstellers im Hauptsacheverfahren, bei dem es sich in der Regel um eine Leistungsklage auf Rücknahme des Antrags handelt, zu erstrecken hat (vgl. nur BFH-Beschluss vom 28.02.2011 VII B 224/10, BBFH/NV 2011, 763). Das Finanzgericht hat dabei eine Ermessenskontrolle nach § 102 FGO i.V.m. den Vollstreckungsvorschriften der Abgabenordnung vorzunehmen (BFH-Beschluss vom 31.08.2011 VII B 59/11, BFH/NV 2011, 2105). Es sind keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Antrag auf Anordnung einer Haftanordnung einerseits und einem Insolvenzantrag erkennbar, die eine unterschiedliche rechtliche Einordnung der beiden Anträge rechtfertigen würde.
57Der Beschluss des BFH vom 11.12.1984 (VII B 41/84, Bundessteuerblatt Teil II – BStBl II – 1985, 197), auf den das FG Köln in seinem Beschluss vom 12.10.2016 (3 V 593/16, Entscheidungen der Finanzgerichte 2017, 6), in dem ein Antrag nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO als Verwaltungsakt qualifiziert wurde, abgestellt hat, steht der Auffassung des Senats ebenfalls nicht entgegen. Denn der gleiche Senat des BFH hat seine Rechtsprechung in der Folgezeit geändert und in einem späteren Beschluss entschieden, dass in einem Antrag auf Anordnung der Ersatzzwangshaft keine auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme i.S. des § 118 AO gesehen werden könne (BFH-Beschluss vom 18.11.1986 VII S 16/86, BFH/NV 1987, 669). Hinzu kommt, dass der BFH in seinem Beschluss aus dem Jahr 1984 keine Subsumtion vorgenommen hat, sondern zur Begründung seiner Entscheidung lediglich auf zwei Standardkommentare zur AO verwiesen hat.
58b) Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin ist nicht dadurch entfallen, dass das Amtsgericht am 24.04.2025 den vom Antragsgegner beantragten Haftbefehl erlassen hat.
59Es kann dahinstehen, ob nach Erlass eines Haftbefehls, gegen den die sofortige Beschwerde beim Amtsgericht zulässig ist, das Rechtsschutzbedürfnis für ein finanzgerichtliches Verfahren grundsätzlich entfällt (vgl. hierzu Klein/Werth, 18. Aufl. 2024, AO § 284 Rn. 28 m.w.N.) oder das Rechtsschutzbedürfnis trotz eines erlassenen Haftbefehls generell fortbesteht (vgl. hierzu FG Köln, Beschluss vom 12.10.2016 3 V 593/16, EFG 2017, 6). Denn jedenfalls im Streitfall kann die Antragstellerin nicht auf die Möglichkeit einer sofortigen Beschwerde verwiesen werden. Bislang ist weder der Antragstellerin selbst noch ihrem Geschäftsführer der Haftbefehl bekanntgegeben worden. Der Antragsteller hat mitgeteilt, dass er den Haftbefehl dem Gerichtsvollzieher am 23.05.2025 übergeben habe und dass bislang keine Verhaftung erfolgt sei. Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat mitgeteilt, dass er erst durch die telefonische Mitteilung des Gerichts vom 13.06.2025 vom Erlass des Haftbefehls Kenntnis erlangt habe. Dementsprechend geht der Senat davon aus, dass die bei der Verhaftung in § 284 Abs. 8 Satz 3 i.V.m. § 802g Abs. 2 Satz 2 ZPO vorgeschriebene Aushändigung des Haftbefehls durch den Gerichtsvollzieher noch nicht erfolgt ist. Zwar dürfte eine sofortige Beschwerde bereits jetzt zulässig sein. Denn nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung ist die Beschwerde bereits zulässig, wenn der Haftbefehl mit Hinausgabe aus dem Geschäftsbetrieb des Gerichts existent geworden ist; einer vorherigen Zustellung oder Übergabe des Haftbefehls an den Schuldner bedürfe es nicht (vgl. Seibel in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage, 10/2023, § 802g ZPO, Rn. 15). Die Möglichkeit eine sofortige Beschwerde beim Amtsgericht einlegen zu können, kann aber nicht dazu führen, dass der Antrag im finanzgerichtlichen Verfahren unzulässig geworden ist. Die Antragstellerin kennt bislang nur das Datum des Haftbefehls. Dem Schriftsatz des Antragsgegners vom 13.06.2025, der im Eilverfahren übermittelt worden ist, kann sie nach der Weiterleitung durch das Finanzgericht das Aktenzeichen des Amtsgerichts entnehmen. Der genaue Inhalt des Haftbefehls ist ihr unbekannt. Der Antragsgegner hat hierzu mitgeteilt, dass er keine Abschrift des Haftbefehls zur Verfügung stellen könne, weil er sich hiervon vor der Weitergabe an den Gerichtsvollzieher keine Kopie gefertigt habe. Bei dieser Sachlage kann die Antragstellerin nicht darauf verwiesen werden, dass ihr durch eine sofortige Beschwerde ausreichender Rechtsschutz gewährt werde. Ihr kann auch nicht zugemutet werden, zunächst die Bekanntgabe des Haftbefehls abzuwarten.
60Hinzu kommt, dass sich die Antragstellerin auf einen Ermessensfehler des Antragsgegners beruft. Die Frage, ob der Antragsgegner das ihm bei der Stellung des Antrags nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, wird aber nicht vom Amtsgericht bei der Entscheidung über den Erlass des Haftbefehls geprüft und kann somit auch nicht Gegenstand der sofortigen Beschwerde gegen den erlassenen Haftbefehl sein. Das Amtsgericht hat in eigener Zuständigkeit und Verantwortung über die Haftanordnung zu entscheiden. Dabei hat es das Bestehen einer Verpflichtung zur Abgabe der Vermögensauskunft und das Vorliegen eines Haftgrundes zu prüfen (vgl. zur Altfassung des § 284 AO BGH-Beschluss vom 14.08.2008 I ZB 10/07, NJW 2008, 350). Demgegenüber hat das Finanzgericht bei der rechtlichen Überprüfung des Antrags eine Ermessenskontrolle nach § 102 FGO i.V.m. den Vollstreckungsvorschriften der Abgabenordnung vorzunehmen (so auch FG Köln, Beschluss vom 12.10.2016 3 V 593/16, EFG 2017).
61Zudem lassen sich die vom BFH aufgestellten Grundsätze zum Rechtsschutz bei einem Insolvenzantrag des Finanzamts (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 31.08.2011 VII B 59/11, BFH/NV 2011, 2105) auf den Rechtsschutz gegen einen Antrag nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO übertragen. Die Antragstellerin könnte somit die ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht gerichtlich überprüfen lassen, wenn man ihr eine finanzgerichtliche Überprüfung versagen würde.
622.
63Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.
64a) Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Rücknahme seines Antrags auf Anordnung der Erzwingungshaft, weil ein Ermessensfehler des Antragsgegners vorliegt.
65Wie bereits ausgeführt hat sich die Prüfung des Gerichts auf die Erfolgsaussichten der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren, bei dem es sich in der Regel um eine Leistungsklage auf Rücknahme des Antrags handelt, zu erstrecken. Dabei hat das Finanzgericht eine Ermessenskontrolle nach § 102 FGO i.V.m. den Vollstreckungsvorschriften der Abgabenordnung vorzunehmen. Nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO kann die Vollstreckungsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen die Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe beantragen. Aus der Verwendung des Begriffs „kann“ ergibt sich, dass der Behörde ein Ermessen eingeräumt ist; die Behörde hat somit die Wahl zwischen verschiedenen Handlungsalternativen (vgl. hierzu Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 180. Lieferung, 3/2024, § 5 AO 1977, Rn. 7 f.).
66Ermessensentscheidungen der Finanzbehörde unterliegen gemäß § 102 FGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Sie können im finanzgerichtlichen Verfahren nur daraufhin überprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Hingegen ist das Gericht nicht befugt, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen und diese an die Stelle der behördlichen Ermessensentscheidung zu setzen (vgl. nur BFH-Urteil vom 17.05.2022 VIII R 26/20, BStBl II 2022, 829).
67Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, muss die Ermessensentscheidung der Verwaltung wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen begründet werden; anderenfalls ist sie im Regelfall fehlerhaft. Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen aus der Entscheidung erkennbar sein (z.B. BFH-Urteil vom 29.09.1987 VII R 54/84, BStBl II 1988, 176; BFH-Beschluss vom 26.02.2007 VII B 98/06, BFH/NV 2007, 1270).
68An einer solchen Begründung der Ermessensentscheidung fehlt es hier. Weder der Antrag an das Amtsgericht selbst noch das an den Geschäftsführer gerichtete Schreiben vom 24.03.2025 erfüllen ansatzweise die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Begründung einer Ermessensentscheidung. Für den Senat ist nicht erkennbar, dass der Antragsgegner sein Ermessen erkannt und die ermessensleitenden Kriterien berücksichtigt hat. Dem Antrag lässt sich weder entnehmen, von welchen Ermessenserwägungen sich der Antragsgegner hätte leiten lassen, noch ist erkennbar, dass der Antragsgegner überhaupt sein Ermessen ausgeübt hätte. Der Antragsgegner hat in dem Antrag lediglich ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft vorliegen würden. Nichts anders ergibt sich aus der weiteren Aktenlage.
69Der Vortrag des Antragsgegners im hiesigen Verfahren, wonach eine Ermessensausübung stattgefunden habe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Ausführungen betreffen allein die Ladung zum Termin vom 22.01.2025 und nicht den Antrag vom 24.03.2025. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob eine Begründung einer Ermessensentscheidung im hiesigen Verfahren überhaupt hätte nachgeholt werden können.
70Eine Begründung der Ermessensentscheidung war nicht entbehrlich. Die Begründung einer Ermessensentscheidung ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn sie eine bloße Formalität bildete, da die Gründe offensichtlich sind, insbesondere wenn dem Betroffenen die Auffassung der Finanzbehörde hinsichtlich der Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder für ihn ohne weiteres erkennbar ist (BFH-Beschluss vom 26.02.2007 VII B 98/06, BFH/NV 2007, 1270).
71Vorliegend sind die Gründe für den Antrag auf Anordnung der Erzwingungshaft nicht offensichtlich. Insbesondere ergibt sich eine solche Offensichtlichkeit nicht aus der Höhe der Rückstände der Antragstellerin. Unabhängig davon, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 284 Abs. 8 Satz 1 AO erfüllt sind – dies kann der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit offenlassen –, differenziert die Regelung nicht nach der Höhe der beizutreibenden Beträge.
72Anderweitige Anhaltspunkte dafür, dass im Streitfall die Ermessenentscheidung ausnahmsweise eine reine Formalität darstellen würde, sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich und wurden durch die Beteiligten auch nicht vorgetragen.
73b) Es besteht auch ein Anordnungsgrund.
74Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn die einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 114 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die „anderen Gründe“ müssen ähnlich wichtig und bedeutsam sein wie die ausdrücklich genannten. Die einstweilige Anordnung ist „nötig“ i.S.d. § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO, wenn das Interesse des Antragstellers an der erstrebten Anordnung das öffentliche Interesse an der Beibehaltung des gegenwärtigen Zustands überwiegt und die Maßnahme unumgänglich ist, um ihn gegen wesentliche Nachteile zu schützen (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 177. Lieferung, 9/2023, § 114 FGO, Rd-Nr. 27).
75Die einstweilige Anordnung ist hier nötig, um eine Verhaftung des Geschäftsführers zu verhindern und damit seine persönliche Freiheit zu schützen.
76c) Dem Erlass der einstweiligen Anordnung steht auch das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache nicht entgegen.
77Grundsätzlich wird mit einer einstweiligen Anordnung vorläufiger Rechtsschutz gewährt. Darum darf das Gericht keine endgültige Regelung treffen und so das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens vorwegnehmen (vgl. Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 177. Lieferung, 9/2023, § 114 FGO, Rn. 38). Im Einzelfall kann die Vorwegnahme der Hauptsache aber erforderlich sein, um unzumutbare Nachteile für den Antragsteller zu vermeiden und effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 177. Lieferung, 9/2023, § 114 FGO, Rn. 41). Dazu muss der Erfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren überwiegend wahrscheinlich sein und hinzukommen muss eine besondere Intensität des Anordnungsgrundes.
78Das ist vorliegend der Fall. Da es an einer Begründung der Ermessensentscheidung fehlt, würde die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren obsiegen. Da es sich bei Haftanordnung um eine freiheitsentziehende Maßnahme handelt, liegt auch eine besondere Intensität des Anordnungsgrundes vor.
79d) Nach alledem ist der Antragsgegner zu verpflichten, seinen Antrag auf Anordnung der Erzwingungshaft zurückzunehmen.
80Der Rücknahme des Antrags steht nicht entgegen, dass der Haftbefehl bereits vom Amtsgericht erlassen worden ist. Der Antragsgegner bleibt auch nach dem Erzwingungshaftersuchen als Vollstreckungsbehörde Herr des Verfahrens und hat das Amtsgericht um Aufhebung des Haftbefehls zu ersuchen, wenn es zu Unrecht einen Haftbefehl erwirkt hat (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 08.12.2020 10 K 3436/18 KV, EFG 2021, 344). Der Antrag ist die Grundlage für den Erlass eines Haftbefehls. Wird dieser Antrag zurückgenommen, ist auch der Haftbefehl aufzuheben, weil die Rücknahme des Antrags jedenfalls als Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls auszulegen sein wird.
81C.
82Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Die Antragstellerin hat nur mit ihrem Hilfsantrag obsiegt.
83Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zugelassen. Über den finanzgerichtlichen Rechtsschutz von Vollstreckungsschuldnern gegen Anträge der Vollstreckungsbehörden auf Anordnung der Haft nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO in der ab 01.01.2013 geltenden Fassung ist bisher nicht vom BFH entschieden worden.