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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Streitig ist, ob die Klägerin im Streitjahr Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft erzielte.
3Der Vater der Klägerin, Herr E. Y., verstarb am 00.0.2000. Erben nach E. Y. waren die Klägerin und ihre Mutter, Frau L. Y., zu je ½. Das Vermögen des Erblassers bestand aus Kapitalvermögen i.H.v. 252.423,78 €. Mit einer Vereinbarung über den „Pflichtteilsanspruch nach § 2303 (1) BGB“ vom 30.4.2000 kamen die Klägerin und ihre Mutter darin überein, dass der Klägerin ein Pflichtteilsanspruch i.H.v. 126.211,80 € zustand. Ferner trafen sie folgende Vereinbarung:
4„Nach ihrer Aussage, will sie auf diesen Pflichtteilsanspruch nicht verzichten. Wir schließen jedoch heute die Vereinbarungen, dass das Kapitalvermögen langfristig angelegt, bzw. kurzfristig nicht aufgelöst werden kann, so dass der Pflichtteilsanspruch von mir in Ratenzahlungen in Form liquider Mittel ausgeglichen wird. Eine Verzinsung ist zunächst nicht vorgesehen.“
5Mit Beschluss des Amtsgerichts (AG) X. vom 8.10.2008 (N01) wurde die Klägerin zur Betreuerin für Frau Y. hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge, der Bestimmung des Aufenthalts, der Behördenangelegenheiten und der Entgegennahme und Öffnen der Post bestellt.
6Mit Schreiben vom 16.5.2014 wandte sich die Klägerin im Nachgang zu einem Notartermin an das AG X. und legte dar, dass gegebenenfalls ein Ergänzungsbetreuer zu bestellen sei. Der Grund hierfür seien ihre im Jahr 2000 vereinbarten Pflichtteilsansprüche und eine Übertragung/Grundbucheintragung bzw. eine eventuelle Veräußerung von Grundstücken. Das AG X. teilte mit, dass für die Grundstücksübertragung ein Ergänzungsbetreuer zu bestellen sei. Bezüglich des Wertes der Grundstücke sei ein Verkehrswertgutachten einzuholen.
7Am 23.6.2014 übersandte die Klägerin an das AG X. eine Wertschätzung der Immobilienberatung U. B. für das Grundstück „I.-straße“. Dieser hatte die Wohneinheiten nach Inaugenscheinnahme für nicht mehr bewohnbar befunden und zu einem Abriss der Gebäude geraten. Den Wert des Grundstücks schätzte er auf rund 52.000 € (Bodenrichtwert 82.220 € abzüglich Abrisskosten 30.000 €). Danach belief sich der aktuelle Verkehrswert des Grundstücks „I.-straße“ auf 52.000 €.
8Ferner wies die Klägerin auf ihren Pflichtteilsanspruch i.H.v. 126.211,80 € hin, der inzwischen höher liege als der Wert des Grundstücks und der Wert noch vorhandener Festanlagen zusammen. Ihr bleibe zum gegenwärtigen Zeitpunkt daher nur noch ein Gesamtwert von ca. 75.000 €. So gesehen, habe sie fast für die letzten beiden Jahre die Kosten des Altenheims für ihre Mutter aus ihrer eigenen Tasche bezahlt und somit ihre Altersversorgung gefährdet.
9Mit Beschluss vom 3.9.2014 bestellte das AG X. Herrn Rechtsanwalt N. K. zum Ergänzungsbetreuer hinsichtlich der Übertragung des Grundstücks „I.-straße“. Dieser übersandte am 28.10.2014 einen Vertragsentwurf u.a. hinsichtlich der Übertragung des Grundstücks „I.-straße“ an das AG X.. Mit Schreiben vom 27.11.2014 teilte das AG X. mit, dass keine Bedenken bezüglich des Vertragsentwurfs bestünden.
10Auf Anregung des Ergänzungspflegers und der Klägerin wurde die Ergänzungsbetreuung durch Beschluss vom 25.11.2014 dahingehend ergänzt, dass diese auch die Übertragung des Grundstücks Gemarkung A., ... und die Übertragung von drei Festgeldanlagen bei der Bank X. mit einem Wert von ca. 23.300 € umfasste.
11Mit notariellem Vertrag vom 4.12.2014 erwarb die Klägerin das Eigentum an den mit ca. 150 Jahre alten ...Häusern bebauten Grundstücken „I.-straße“ in X. von ihrer Mutter. Bei der Beurkundung trat die Klägerin im eigenen Namen und als Vertreterin ohne Vertretungsmacht für den für ihre Mutter amtlich bestellten Ergänzungsbetreuer, Herrn Rechtsanwalt N. K. – sich dessen Genehmigung vorbehaltend – auf.
12In dem notariellen Vertrag vom 4.12.2014 ließ die Klägerin unter „Vorbemerkungen“ Folgendes beurkunden:
13„Mein Vater, Herr E. Y., ist am 00.00.2000 ohne Hinterlassung einer Verfügung von Todes wegen verstorben. Aufgrund gesetzlicher Erbfolge sind seine Erben geworden seine Ehefrau bzw. meine Mutter, Frau L. Y. geb. T., und ich, zu je ½ Anteil. Der Nachlaß meines Vaters bestand ausschließlich aus Kapitalvermögen im Betrag von DM 493.698,- = EUR 252.423,78. Meine Mutter und ich haben am 30.04.2000 eine privatschriftliche Vereinbarung getroffen, wonach meine Beteiligung am Nachlass meines Vaters, ein Betrag von EUR 126.211,89, nicht sofort fällig werden, sondern der Nachlass meines Vaters langfristig angelegt werden und meine Beteiligung sodann unverzinslich ratenweise ausgeglichen werden sollte. Diese Geldanlage ist aus Zinsgründen ausschließlich auf den Namen meiner Mutter erfolgt. In der vorgenannten privatschriftlichen Vereinbarung vom 30.04.2000 ist meine Beteiligung am Nachlass meines Vaters fälschlicherweise als „Pflichtteil“ bezeichnet worden; tatsächlich handelt es sich jedoch um meinen gesetzlichen Erbteil, wie sich auch aus der dort angegebenen Quote von 50 % ergibt.
14Ein Erbschein wurde seinerzeit nicht beantragt, da das Vermögen meines Vaters ausschließlich aus Kapitalvermögen bestand und das Bankinstitut zur Neuanlage dieses Geldvermögens auf den Namen meiner Mutter die Vorlage eines Erbscheins nicht verlangt hat.
15In der Folgezeit sind aus dem vorgenannten Geldbetrag die Lebenshaltungskosten meiner Mutter bestritten worden; Ratenzahlungen zur Abgeltung meines Erbteils am Nachlass meines Vaters sind nicht erfolgt.
16Im Jahre 2011 musste meine Mutter infolge einer fortschreitenden Demenzerkrankung in einem Heim untergebracht werden. Das vorgenannte, aus dem Nachlass meines Vaters stammende Geldvermögen ist zwischenzeitlich auf einen Betrag von ca. € 23.000,- abgeschmolzen, wobei dies unter Inanspruchnahme meiner hälftigen Beteiligung an diesem Geldvermögen erfolgt ist. Die Rückzahlung meines Anteils am Nachlass meines Vaters in Höhe eines Betrages von € 126.211,89 € steht nach wie vor aus.
17Zum Vermögen meiner Mutter gehört der nachfolgend näher bezeichnete Grundbesitz Gemarkung A., Flur G01 und G02 sowie Flur G03, dessen Wert sich unter Berücksichtigung der Baufälligkeit der darauf aufstehenden Gebäude gemäß Werteinschätzung des Maklers U. B. in X. vom 23. Juni 2014 auf einen Betrag von € 52.000.- beläuft.
18Zur Ausgleichung meiner Ansprüche aus meiner vorgenannten hälftigen Beteiligung am Nachlass meines Vaters sollen nunmehr der vorgenannte Grundbesitz sowie das vorgenannte Geldvermögen auf mich übertragen werden.“
19In § 1 und § 2 des Vertrags wird der Grundbesitz beschrieben und das Eigentum auf die Klägerin übertragen. § 3 des Vertrags hat folgenden Inhalt:
20„Gegenleistungen
21Die Übertragung erfolgt zum Ausgleich des Herauszahlungsanspruchs des Erwerbers gegen den Veräußerer im Zusammenhang mit der in den Vorbemerkungen dargestellten Erbfolge nach Herrn E. Y.. Die Beteiligten sind darüber einig, dass mit Durchführung dieses Übertragungsvertrages dieser Herauszahlungsanspruch von € 126.211,89 in Höhe eines Teilbetrages von € 52.000,- erloschen ist.
22Außerdem soll das Konto, auf welchem der in den Vorbemerkungen genannte, aus dem Nachlass des Herrn E. Y. stammende Geldbetrag von derzeit noch ca. € 23.000,- festgelegt ist, auf Frau F. G. umgeschrieben werden. Die Beteiligten sind darüber einig, dass mit Durchführung dieser Kontoumschreibung ein weiterer Teilbetrag des vorgenannten Herauszahlungsanspruchs von € 126.211,89 in Höhe des auf dem Konto vorhandenen Geldbetrages erloschen ist. Weitere Gegenleistungen erfolgen nicht.“
23Nutzen und Lasten an den Grundstücken „I.-straße“ gingen am 4.12.2014 auf die Klägerin über.
24Am 19.12.2014 genehmigte der Ergänzungsbetreuer den Notarvertrag vom 4.12.2014. Auf Antrag des Ergänzungsbetreuers genehmigte das AG X. mit Beschluss vom 29.1.2015 die Erklärungen des Ergänzungsbetreuers betreuungsrechtlich.
25Auf der notariellen Veräußerungsanzeige vom 17.12.2014 teilte der Notar dem Beklagten mit, dass der Erwerber in gerader Linie mit dem Veräußerer verwandt ist. Weiterhin kreuzte der Notar in der Kategorie „Rechtsvorgang“ das von ihm ergänzte Feld „Übertragung“ an. Als Gegenleistung wird unter d) der Verkehrswert 52.000 € angegeben. Ferner ist dort benannt, dass der Rechtsvorgang der Genehmigung des Ergänzungspflegers bedarf.
26Mit notariellem Vertrag vom 21.12.2016 verkaufte die Klägerin das Grundstück „I.-straße“ für 160.000 € an Dritte weiter. Der Kaufpreis war erst nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen fällig (§ 3 des Vertrags) und ist am 17.2.2017 auf dem Konto der Klägerin eingegangen. In § 8 Abs. 1 des Vertrags vom 21.12.2016 heißt es, dass die Gebäude von den Erwerbern auf eigene Kosten abzureißen seien.
27In der vom Beklagten vorgelegten Vertragsakte befindet sich eine „Mitteilung zur Prüfung privater Veräußerungsgeschäfte nach § 23 EStG“, auf der handschriftlich mit blauem Kugelschreiber vermerkt ist: „2014 geerbt: kein § 23 EStG“. Der Vermerk enthält keine Datumsangabe. Dort ist auch eine Veräußerungsanzeige abgelegt, bei der als Tag der Übergabe „bei KPZ“ vermerkt ist. Ferner ist die Veräußerungsanzeige insoweit gekennzeichnet, dass dort mit blauem Kugelschreiber die Mitteilung „Verwandter in gerader Linie“ und „Übertragung“ umkreist ist. Das Datum der Kaufpreiszahlung ist auf der Veräußerungsanzeige nicht vermerkt.
28Im Rahmen der am 30.12.2016 beim Beklagten eingegangenen Einkommensteuererklärungen für das Jahr 2015 machte die Klägerin einen Überschuss der Werbungskosten über die Einnahmen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für die Immobilien „I.-straße“ i.H.v. 2.591 € geltend. Der Beklagte berücksichtigte den Werbungskostenüberschuss bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung im Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 31.5.2017 nicht. Hiergegen wandten sich die Kläger mit ihrem Einspruch vom 29.6.2017. Während des Einspruchsverfahrens legten die Kläger mit Schreiben vom 28.7.2017 den vorgenannten Notarvertrag vom 3.12.2014 und das Wertgutachten des Immobilienmaklers U. B. vom 23.6.2014 vor.
29In der am 28.9.2017 eingereichten Einkommensteuererklärung für 2016 machten die Kläger u. a. einen Werbungskostenüberschuss bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 4.159 € geltend. Einen Veräußerungsvorgang i. S. des § 23 EStG erklärten die Kläger nicht. Der Beklagte berücksichtigte die Verluste aus Vermietung und Verpachtung im Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 19.2.2018 nicht. Hiergegen wandten sich die Kläger mit ihrem Einspruch vom 21.3.2018.
30Mit Einspruchsentscheidung vom 15.5.2018 wies der Beklagte die Einsprüche zur Einkommensteuer für 2015 und 2016 als unbegründet zurück. Hiergegen erhoben die Kläger am 18.6.2018 Klage, die unter dem Aktenzeichen 10 K 1680/18 E geführt wurde. Auf gerichtliche Aufforderung legten sie in diesem Verfahren mit Schriftsatz vom 18.4.2019 u. a. den Notarvertrag vom 21.12.2016 vor. Schließlich erklärte sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 4.7.2019 bereit, den beantragten Werbungskostenüberschuss bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigten. Weiterhin vertrat er jedoch die Auffassung, dass ein steuerlich zu erfassendes privates Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 23 EStG mit einem Gewinn i.H.v. 108.000 € im Jahr 2016 vorliege. Hierzu erklärten die Kläger mit Schriftsatz vom 12.9.2019, dass aus ihrer Sicht ebenfalls ein Veräußerungsvorgang i. S. des § 23 EStG vorliege, der Veräußerungsgewinn jedoch nur mit 29.384 € anzusetzen sei.
31In der am 22. August 2019 bei der Beklagten eingegangenen Einkommensteuererklärung für 2017 erklärten die Kläger keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften. Am 7.1.2020 bearbeitete ein Bearbeiter die Einkommensteuererklärung für 2017 abschließend. Die Prüfberechnung enthielt keine Hinweise (weder Risikohinweise noch Nachbearbeitungshinweise) im Hinblick auf ein etwaiges privates Veräußerungsgeschäft. Mit Bescheid vom 16.1.2020 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 2017 erklärungsgemäß fest und berücksichtigte dabei keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften.
32Infolge einer Aufklärungsverfügung im Verfahren 10 K 1680/18 E zur Einkommensteuer für 2015 und 2016 vom 26.1.2021 teilte der Beklagte mit Schriftsatz vom 3.2.2021 mit, dass ihm unbekannt sei, wann der Klägerin der Veräußerungserlös zugeflossen sei und dass ein Veräußerungsgewinn in der Einkommensteuererklärung für 2017 nicht erklärt worden sei. Die Klägerin teilte im Verfahren 10 K 1680/18 E mit Schriftsatz vom 16.3.2021 mit, dass ihr der Veräußerungserlös aus dem Verkauf der Grundstücke „I.-straße“ am 17.2.2017 zugeflossen sind und legte dazu eine Umsatzanzeige ihres Girokontos vor.
33Daraufhin berücksichtigte der Beklagte in den geänderten Einkommensteuerbescheiden vom 16.4.2021 für 2015 und 2016 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. ./. 2.591 € und i.H.v. ./. 4.367 €. Im Verfahren 10 K 1680/18 E erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit daraufhin übereinstimmend für erledigt.
34Unter Bezugnahme auf das Klageverfahren zur Einkommensteuer 2016 änderte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung für 2017 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) mit Bescheid vom 27.4.2021 und setzte die Einkommensteuer auf 56.562 € fest. Dabei berücksichtigte er einen Veräußerungsgewinn i.H.v. 108.000 €. Diesen ermittelte er dergestalt, dass er vom Veräußerungserlös i.H.v. 160.000 € die aus seiner Sicht angefallenen Anschaffungskosten i.H.v. 52.000 € abzog.
35Hiergegen wandten sich die Kläger mit ihrem Einspruch vom 31.5.2021.
36Sie machen geltend, dass es sich bei der mit Notarvertrag vom 4.12.2014 vollzogenen Übertragung um einen erbrechtlichen Vorgang mit Versorgungscharakter handele und darin kein Kaufvertrag zu sehen sei, denn im Zeitpunkt der Grundbesitzübertragung sei nicht absehbar gewesen, für welchen Zeitraum die Kostenübernahme für die Mutter der Klägerin noch andauern werde. Deshalb setze die Klägerin durch den Grundbesitzübertragungsvertrag die rechtliche Stellung des früheren Anschaffungsvorgangs der Mutter der Klägerin fort.
37Sollte diese rechtliche Annahme nicht zutreffen, handele es sich bei der Grundstücksübertragung vom 4.12.2014 um eine gemischte Schenkung. Die Wertschätzung vom 23.6.2014 sei offensichtlich grob fehlerhaft. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das Grundstück im Jahr 2014 mit 52.000 € bewertet worden sei, während es tatsächlich im Jahr 2016 für 160.000 € veräußert worden sei. Eine solche Wertsteigerung sei tatsächlich nicht eingetreten. Die Unzulänglichkeit der Wertschätzung werde auch durch die Betrachtung des reinen Bodenwerts bestätigt. Aus den Bodenrichtwerten ergebe sich ein Wert von 150 €/qm und danach betrage der Gesamtwert des Grundstücks 173.850 €. Demnach habe das Gutachten aus dem Jahr 2014 nichts mit der Realität zu tun. Da sich die aufstehenden Gebäude im Jahr 2014 noch in einem renovierbaren Zustand befunden hätten, habe der Grundstückswert im Jahr 2014 mindestens 160.000 € betragen.
38Bei einem Missverhältnis zwischen Verkehrswert und Gegenleistung komme es – insbesondere bei nahen Angehörigen – zu einer Aufteilung in einen entgeltlichen oder unentgeltlichen Anteil. Es komme nicht darauf an, ob die Vertragsparteien davon wüssten und übereinstimmend wollten, dass der Verkehrswert der einen Leistung und der Wert der anderen Leistung sich nicht entsprechen.
39Demnach sei der Grundstückserwerb der Klägerin in einen entgeltlichen und in einen unentgeltlichen Anteil aufzuteilen. Der für 52.000 € entgeltlich erworbene Anteil von 32,5 % sei auch für 52.000 € veräußert worden. Der unentgeltlich erworbene Anteil von 67,5 %, der für 108.000 € veräußert worden sei, sei nicht steuerbar, weil der Erwerb des Grundstücks durch die Mutter der Klägerin bereits außerhalb der sog. Spekulationsfrist von 10 Jahren liege. Die Anschaffungskosten des Grundstücks sei wegen des tatsächlich wertlosen Herauszahlungsanspruchs gegenüber der Mutter i.H.v. 51.211,89 € sogar höher, so dass der entgeltlich erworbene Anteil 64,5 % betrage.
40Bei beiden Varianten betrage der steuerpflichtige Gewinn jedenfalls 0 €.
41Mit Einspruchsentscheidung vom 11.1.2022 wies der Beklagte den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Er vertrat die Ansicht, dass die im Notarvertrag vom 4.12.2014 beurkundete Grundstücksübertragung ein Erwerbsgeschäft sei und keine Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge vorliege. Es liege auch keine gemischte Schenkung vor. Eine gemischte Schenkung sei ein Vertrag, bei dem der Wert der Leistung des einen Vertragspartners dem Wert der Leistung des anderen Vertragspartners nur zum Teil entspreche und die Vertragsparteien dies wüssten und übereinstimmend wollten. Die Klägerin und ihre Mutter seien jedoch gerade nicht von einem solchem Sachverhalt ausgegangen. Im Notarvertrag werde ausdrücklich auf die Wertermittlung Bezug genommen, in der der Wert des übertragenen Grundstücks mit einem Betrag von 52.000 € bemessen worden sei. Für eine gemischte Schenkung müsse hinsichtlich des Mehrwerts tatsächlich eine Schenkung gewollt sein. Sei dies nicht der Fall, sei – auch wenn Leistung und Gegenleistung objektiv nicht gleichwertig seien – im vereinbarten Umfang ein Anschaffungsgeschäft anzunehmen.
42Die Kläger haben am 14.2.2022 Klage erhoben. Im Klageverfahren vertiefen sie ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren. Sie stellen insbesondere heraus, dass die Wertschätzung aus dem Jahr 2014 offensichtlich unzutreffend sei und der Bodenrichtwert der veräußerten Grundstücke im Jahr 2014 insgesamt 165.055 € und im Jahr 2016 insgesamt 173.850 € betragen habe.
43Während des Klageverfahrens hat der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung für 2017 mit Bescheid vom 30.11.2023 hinsichtlich der Nebenbestimmungen teilweise geändert und die Einkommensteuer u. a. auf Grundlage von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften i.H.v. 108.000 € unverändert auf 56.562 € festgesetzt.
44Die Kläger beantragen,
45den Einkommensteuerbescheid vom 30.11.2023 dahingehend zu ändern, dass bei der Festsetzung der Einkommensteuer keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften berücksichtigt werden.
46Der Beklagte beantragt,
47die Klage abzuweisen.
48Er vertieft seine Ausführungen aus der Einspruchsentscheidung und macht ergänzend geltend, dass für die Annahme einer gemischten Schenkung das Missverhältnis zwischen Verkehrswert und Kaufpreis nicht die alleinige Voraussetzung sei. Vielmehr müsse seitens des Schenkers auch ein Rechtsbindungswille vorhanden sein, der wenigstens zum Teil auf eine unentgeltliche Eigentumsübertragung gerichtet sei. Vorliegend habe das Rechtsgeschäft zur Abgeltung der Ansprüche der Klägerin gegen ihre Mutter erfolgen sollen. Aus diesem Grund sei überhaupt das Gutachten beauftragt und der dadurch ermittelte Wert auch dem Kaufvertrag zu Grunde gelegt worden. Die Vertragsparteien seien zum Zeitpunkt der Veräußerung in 2014 von einem objektiven Grundstückswert von 52.000 € ausgegangen. Der Wille, wonach auch nur zum Teil eine unentgeltliche Zuwendung habe erfolgen sollen, sei somit nicht erkennbar.
49Das Gericht hat die Steuerakten zum Verfahren beigezogen. Auf den übersandten Verwaltungsvorgang und die Schriftsätze der Beteiligten wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
50Entscheidungsgründe
51Die Klage ist unbegründet.
52Der Einkommensteuerbescheid vom 30.11.2023 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 FGO. Zutreffend hat der Beklagte die von der Klägerin erzielten Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. des § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.H.v. 108.000 € der Besteuerung unterworfen (dazu 1.). Er durfte auch den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 16.1.2020 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 EStG ändern (dazu 2.).
531. Die Klägerin hat aus der Veräußerung der Grundstücke „I.-straße“ im Streitjahr einen Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten i.H.v. 108.000 € erzielt. Sie hat die Grundstücke „I.-straße“ im Jahr 2014 erworben und im Jahr 2016 veräußert. Somit lagen zwischen der Veräußerung und der Anschaffung der Grundstücke ersichtlich weniger als zehn Jahre. Von dem Veräußerungspreis i.H.v. 160.000 € hat der Beklagte zu Recht Anschaffungskosten i.H.v. 52.000 € in Abzug gebracht und einen Veräußerungsgewinn i.H.v. 108.000 € ermittelt. Weitere Aufwendungen sind nicht steuermindernd zu berücksichtigen, da nicht nachgewiesen ist, dass der Klägerin weitere Aufwendungen entstanden sind.
54a) Nach § 22 Nr. 2 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG. Diese umfassen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u. a. Grundstücksveräußerungen, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.
55Gewinn oder Verlust aus Veräußerungsgeschäften i.S. des § 22 Nr. 2 EStG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ist gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG der Unterschied zwischen Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Werbungskosten andererseits. Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mindern sich um Absetzungen für Abnutzung, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen, soweit sie bei der Ermittlung der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 6 EStG abgezogen worden sind (§ 23 Abs. 3 Satz 4 EStG).
56§ 23 Abs. 3 EStG betrifft aber als Einkünfteermittlungsregel nur die Frage, wie der Gewinn oder Verlust aus dem privaten Veräußerungsgeschäft errechnet wird. Hierfür ist der tatsächliche Veräußerungspreis maßgebend, unabhängig davon, wann und auf welche Weise er zu entrichten ist. Für welches Kalenderjahr der Gewinn oder Verlust aus dem privaten Veräußerungsgeschäft erfasst wird, ist nach dem Zufluss (§ 11 Abs. 1 EStG) des Veräußerungserlöses zu beurteilen. Bei zeitlicher Streckung der Zahlung wird der Veräußerungspreis in mehreren Veranlagungszeiträumen erfasst (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 6. Dezember 2016 IX R 18/16, Bundessteuerblatt– BStBl – II 2017, 676 m.w.N.).
57b) Die Klägerin hat die Immobilie für einen Veräußerungspreis von 160.000 € veräußert. Dieser Betrag ist ihr am 17.2.2017 auf ihrem Girokonto zugeflossen.
58c) Die Klägerin hat die Immobilie vollentgeltlich durch Notarvertrag vom 4.12.2014 erworben. Ein „erbrechtlicher Vorgang mit Versorgungscharakter“ liegt nicht vor. Weiterhin liegt auch keine sog. gemischte Schenkung vor, die teilweise entgeltlich und teilweise teilentgeltlich erfolgte.
59aa) Der Notarvertrag vom 4.12.2014 enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihrer Mutter eine auf ihre Versorgung gerichtete Zusage für die Übertragung des streitgegenständlichen Grundbesitzes „I.-straße“ gemacht haben könnte. Vielmehr messen die Klägerin und ihre Mutter dem Grundbesitz einen Wert bei und gehen in Höhe des Grundbesitzwertes von einem Erlöschen einer Forderung der Klägerin gegen ihre Mutter aus. Damit liegt insoweit eine teilweise Erfüllung der erbrechtlichen Forderung der Klägerin gegenüber ihre Mutter vor. Weiterhin vereinbarten die Klägerin und ihre Mutter, dass der verbliebene Geldbetrag der Mutter bei der Bank zum Ausgleich der erbrechtlichen Forderung der Klägerin übertragen wird. Danach verbleibt auch nach dem Notarvertrag eine unerfüllte Forderung der Klägerin gegenüber ihrer Mutter. Diese nicht erfüllte Forderung der Mutter ist nicht Teil des Kaufpreises der Grundstücke „I.-straße“. Insoweit hat sie die unerfüllt gebliebene Forderung nicht aufgewendet, um das Grundstück „I.-straße“ zu erwerben (vgl. § 255 des Handelsgesetzbuchs).
60bb) Die Klägerin hat die streitgegenständlichen Grundstücke auch nicht im Wege der sog. gemischten Schenkung von ihrer Mutter erlangt.
61Eine Schenkung setzt gemäß § 516 BGB voraus, dass der Schenker dem Beschenkten einen Vermögensgegenstand zuwendet, diesen damit bereichert und beide sich darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt (vgl. grundlegend Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 18. Oktober 2011 X ZR 45/10, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 2012, 605).
62(1) Mit der Bereicherung des Beschenkten wird ein objektiver Tatbestand vorausgesetzt, bei dem die Leistung des Schenkers den Wert etwaig versprochener Gegenleistungen überwiegt (vgl. BGH-Urteile vom 21. Mai 1986 IVa ZR 171/84, NJW-RR 1986, 1135, und vom 18. Mai 1990 V ZR 304/88, WM 1990, 1790). Hierfür reicht eine bloße Wertdifferenz zugunsten des Beschenkten aus. Bei Vorliegen einer oder mehrerer Gegenleistungen, womit die Schenkung regelmäßig als gemischte Schenkung anzusehen ist, bedarf es insbesondere nicht eines Überwiegens des unentgeltlichen Charakters des Geschäfts gegenüber dem entgeltlichen; der Wert des geschenkt Zugewendeten muss also nicht mindestens das Doppelte etwaiger Gegenleistungen betragen (vgl. BGH-Urteil vom 18. Oktober 2011 X ZR 45/10, NJW 2012, 605).
63(2) Auch der subjektive Tatbestand zum Wissen und zur Einigung in Bezug auf eine (teilweise) Unentgeltlichkeit der Zuwendung setzt nicht voraus, dass bei einer gemischten Schenkung der unentgeltliche Charakter überwiegt.
64(a) Dieser Tatbestand ist in tatrichterlicher Würdigung aufgrund der Gesamtumstände des Falls unter der Beweislast dessen festzustellen, der sich auf die Schenkung beruft. Bei gemischten Schenkungen ist dabei besonders zu prüfen, ob die Vertragsparteien sich überhaupt einer Wertdifferenz zwischen den beiden Leistungsseiten bewusst und sich insoweit darüber einig waren, jedenfalls den überschießenden Leistungsteil dem Beschenkten unentgeltlich zuzuwenden, mithin die Gegenleistung nicht lediglich ein gewollt günstiger Preis sein sollte (vgl. BGH-Urteil vom 18. Oktober 2011 X ZR 45/10, NJW 2012, 605).
65(b) Maßgebliche Bedeutung kommt dem Verhältnis zwischen dem Wert der Zuwendung und dem Wert der Gegenleistung zu. Besteht hierbei eine auffallende, über ein geringes Maß deutlich hinausgehende Diskrepanz, dann begründet dies im Einklang mit der Lebenserfahrung die tatsächliche, widerlegbare Vermutung für einen Schenkungswillen der Vertragsparteien (BGH-Urteil vom 18. Oktober 2011 X ZR 45/10, NJW 2012, 605). Hierfür sind nicht nur die objektiven Werte der Leistungen, sondern vor allem auch die Wertspannen zu berücksichtigen, innerhalb derer die Vertragsparteien den Wert der Leistungen auch unter Berücksichtigung der Beziehung, in der sie zueinanderstehen, in einer noch vertretbaren Weise hätten annehmen können.
66(3) Nach Maßgabe dieser Grundsätze liegt keine sog. gemischte Schenkung vor.
67(a) Die objektiven Voraussetzungen einer gemischten Schenkung liegen vor, da die Leistung der Mutter in Gestalt der Übertragung der Grundstücke „I.-straße“ den Wert der Gegenleistung der Klägerin, nämlich die Erfüllung ihrer Forderung i.H.v. 52.000 €, übersteigt. Wie aus der im Jahr 2016 beurkundeten Grundstücksveräußerung ersichtlich ist, hatte das Grundstück zu diesem Zeitpunkt – unter Berücksichtigung der Abrisskosten (§ 8 Nr. 3 des Notarvertrages vom 21.12.2016) – einen Marktwert von 160.000 €. Selbst unter Berücksichtigung einer zwischen der Übertragung im Jahr 2014 und der Veräußerung im Jahr 2016 eingetretenen moderaten Steigerung der Bodenwerte entsprach der im Rahmen der Übertragung von Frau L. Y. auf die Klägerin angenommene Wert i.H.v. 52.000 € nicht dem diesem Grundstück beizumessenden objektiven Wert.
68(b) Indes kann nicht festgestellt werden, dass der subjektive Tatbestand einer gemischten Schenkung vorliegt. Insoweit kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin und ihre vom Ergänzungsbetreuer vertretene Mutter um den tatsächlich höheren Wert der übertragenen Grundstücke wussten und im Hinblick auf die Wertdifferenz darüber einig geworden sind, dass die Mutter der Klägerin dieser die Grundstücke teilweise unentgeltlich zuwendet.
69Vielmehr spricht vorliegend alles dafür, dass sich die Klägerin und ihre Mutter über den Wert der Grundstücke informieren wollten und zu diesem Zweck ein Wertgutachten eingeholt haben. Das Ergebnis dieses Wertgutachtens haben sie der Übertragung vom 4.12.2014 zugrunde gelegt und demgemäß den Anspruch der Klägerin gegen ihrer Mutter in dieser Höhe, mithin i.H.v. 52.000 € als erfüllt angesehen. Anhaltspunkte dafür, dass eine teilentgeltliche Übertragung der Grundstücke an die Klägerin gewollt war, ergeben sich aus dem Notarvertrag nicht. Insoweit bliebe unerklärlich, weshalb der Ergänzungsbetreuer, auf dessen Kenntnis es nach § 166 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ankommt, der Klägerin teilentgeltlich Vermögen zuwenden wollte, gleichzeitig ihre von ihr betreute Mutter außerstande war, die gegenüber der Klägerin bestehenden Verpflichtungen aus ihrem erbrechtlichen Anspruch zu erfüllen. Vielmehr ergab sich infolge der Übertragung der Grundstücke und der Bankeinlagen weiterhin ein Anspruch der Klägerin gegen ihre Mutter, die diese wegen Vermögenslosigkeit nicht mehr ausgleichen konnte.
70Die Behauptung der Klägerin, dass eine teilentgeltliche Übertragung gewollt gewesen sei, ist nur dadurch erklärbar, dass der Klägerin eine Veräußerung zu einem über dem vom Immobilienmakler geschätzten Wert gelang. Daraus folgt jedoch nicht, dass sich die Parteien im Jahr 2014 eines teilentgeltlichen Vorgangs bewusst waren.
71Selbst sofern wegen einer besonderen familiären Nähebeziehung eine teilentgeltliche Übertragung der Grundstücke naheliegt, kann bei einer vollentgeltlich gestalteten Grundstücksübertragung nicht von einer teilentgeltlichen Übertragung ausgegangen werden. Vielmehr haben die Parteien unter Bezugnahme auf das Wertgutachten eine vollentgeltliche Übertragung dokumentiert. Hier hat die Mutter der Klägerin die Übertragung nicht selbst vorgenommenen, sondern diese wurde vom Ergänzungsbetreuer genehmigt. Anhaltspunkte dafür, dass dieser das Vermögen der Mutter der Klägerin schädigen und eine (teilweise) Schenkung des Grundstücks an die Klägerin vornehmen wollte, liegen nicht vor.
72Die bei einer deutlichen Diskrepanz zwischen dem Wert der Zuwendung und dem Wert der Gegenleistung bestehende Vermutung für einen Schenkungswillen ist widerlegt.
73cc) Die Anschaffungskosten betragen 52.000 €. In dieser Höhe hat die Klägerin mit ihrer vom Ergänzungsbetreuer vertretenen Mutter ein Erlöschen ihrer Forderung gegenüber ihrer Mutter vereinbart. Vereinbarungsgemäß verblieb nach Übertragung der Grundstücke und Übertragung des Geldbetrages eine nicht ausgeglichene Forderung der Klägerin gegenüber ihrer Mutter. Diese Forderung ist offenbar bis zum Tod der Mutter der Klägerin nicht erfüllt worden. Der offene Schuldbetrag nach der Grundstücksübertragung steht – wie bereits zuvor ausgeführt – jedoch nicht in Zusammenhang mit der Anschaffung des Grundstücks. Weitere Anschaffungsnebenkosten sind nicht nachgewiesen worden.
74d) Der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten ist wegen des Zuflusses des Kaufpreises aus der Veräußerung der Grundstücke „I.-straße“ im Jahr 2017 auch in diesem Jahr zu erfassen.
752. Der Beklagte durfte mit Bescheid vom 27.4.2021 den Einkommensteuerbescheid vom 16.1.2020 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern.
76a) Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
77Rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Bestandskraft nach § 173 AO ist nicht die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung (vgl. BFH-Beschluss vom 23.11.1987 GrS 1/86, BStBl II 1988, 180), sondern der Umstand, dass das Finanzamt bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist (BFH-Urteil vom 22.04.2010 VI R 40/08, BStBl II 2010, 951).
78b) aa) Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen in diesem Sinne sind Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen (vgl. nur BFH-Urteil vom 6. Mai 2024 III R 14/22, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2024, 1067 m.w.N.).
79bb) Nachträglich bekannt gewordene Tatsache ist hier der Zeitpunkt, in dem der Klägerin der Veräußerungserlös auf ihrem Konto gutgeschrieben worden ist. Der Beklagte wusste vom Erwerb der Immobilie und der Veräußerung durch die Klägerin.
80c) Diese Tatsache, also der Zeitpunkt des Geldeingangs auf dem Konto der Klägerin, ist dem Beklagten nach Erlass des Einkommensteuerbescheids für 2017 vom 16.1.2020 bekannt geworden.
81Für die Kenntnis von Tatsachen kommt es auf den Kenntnisstand der Personen an, die innerhalb der zuständigen Finanzbehörde organisatorisch dazu berufen sind, den in Frage stehenden Steuerfall zu bearbeiten.
82Aus den Akten ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der die Einkommensteuerfestsetzung für 2017 durchführende Bedienstete des Beklagten eine Kenntnis vom Eingang des Veräußerungserlöses im Jahr 2017 hatte. Die steuerlich beratenen Kläger haben auch keinen entsprechenden Veräußerungsvorgang in ihrer Einkommensteuererklärung für 2017 vom 22.8.2019 angegeben. Dabei bestand jedoch für die Kläger ein Anlass zur Prüfung des Veräußerungsvorgangs, weil der Beklagte im Verfahren zur Einkommensteuer 2016 im Schriftsatz vom 4.7.2019 von dem Ansatz eines Veräußerungsgewinns ausging.
83Die Kenntnis vom Zahlungseingang im Jahr 2017 und damit vom – in zeitlicher Hinsicht – in diesem Veranlagungszeitraum zu erfassenden privaten Veräußerungsgeschäft hat der Bedienstete des Beklagten erst infolge der Mitteilung der Kläger vom 16.3.2021 erlangt.
84d) Einer Änderung einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO steht dann der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 2015 X R 16/12, BFH/NV 2015, 815). Demgegenüber scheidet in Fällen beiderseitiger Pflichtverletzungen eine Änderungsmöglichkeit aus, wenn der Verstoß des Finanzamts deutlich überwiegt (BFH-Beschluss vom 14. Mai 2013 X B 33/13, BStBl II 2013, 997).
85Hier ist eine Änderung der Steuerfestsetzung nach Treu und Glauben nicht ausgeschlossen. Anhaltspunkte für eine treuwidrige Änderung der Steuerfestsetzung bietet lediglich der – nicht paraphierte und undatierte – Vermerk auf der „Mitteilung zur Prüfung privater Veräußerungsgeschäfte nach § 23 EStG“. Hier ist ein Bediensteter des Beklagten davon ausgegangen, dass kein Veräußerungsvorgang i. S. des § 23 EStG erfüllt war. Von diesem Vermerk hat sich der Beklagte jedoch bereits im Schriftsatz vom 4.7.2019 distanziert und ist insoweit von einem im Jahr 2016 zu erfassenden Veräußerungsvorgang ausgegangen. Auch die Kläger gingen mit Schriftsatz vom 12.9.2019 von einem offenbar im Jahr 2016 zu erfassenden privaten Veräußerungsgeschäft aus, waren jedoch der Ansicht, dass der Veräußerungsgewinn lediglich 29.384 € betrage.
86Erst infolge der gerichtlichen Verfügung vom 26.1.2021 ist sowohl den Klägern als auch den Beklagten offenbar geworden, dass der Veräußerungsvorgang erst im Jahr 2017 steuerlich zu erfassen ist.
87Eine die Änderungsbefugnis des Beklagten ausschließende Pflichtverletzung wegen Verletzung der Ermittlungspflichten liegt jedenfalls nicht vor.
883. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.